Die Ehre des Henkersweibs - Ute Zembsch - E-Book

Die Ehre des Henkersweibs E-Book

Ute Zembsch

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Beschreibung

»Ich bin mehr als nur das, was andere aus mir gemacht haben.« Marburg 1233 – Die einstige Magd Runhild ist seit einem Jahr das Weib des Henkers Meinulf. Beide setzen alles daran, über ein Gnadengesuch dem ehrlosen Dasein zu entkommen, das sie nur durch ihre innige Liebe zueinander ertragen. Als mit einer Gesandtschaft von Rittern aus dem Deutschen Orden auch Meinulfs einstiger Kamerad Swidbert nach Marburg kommt, brechen alte Wunden wieder auf. Denn ehe er vier Jahre zuvor eines schlimmen Verbrechens denunziert, dafür verurteilt und so in das Amt des Henkers gezwungen wurde, war Meinulf ein angesehener Schildknappe kurz vor dem Ritterschlag. Gemeinsam macht sich das Henkerspaar auf die Suche nach demjenigen, der damals das vermeintliche Verbrechen Meinulfs bezeugte. Schnell finden sie sich inmitten von Intrigen und Verrat wieder und wissen bald nicht mehr, wem sie überhaupt noch trauen können. Erneut taucht Ute Zembsch in ihrem historischen Roman in das mittelalterliche Marburg ein und erzählt die packende Geschichte von Runhild, dem „Henkersweib“, weiter.

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Die Ehre des Henkersweibs

 

Historischer Roman

von Ute Zembsch

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-943531-91-6

ISBN 978-3-943531-90-9 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstraße 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Jana Hoffhenke

Umschlaggestaltung | Coverillustration: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

Kapitel 1

 

Endlich drangen keine Schreie mehr aus der Folterkammer in die Wachstube. Runhild wandte ihren Blick von der Treppe ab und ließ ihren Zopf los. Einige dunkelblonde Strähnen hatte sie wieder in ihrer Unruhe herausgezupft. Sie rutschte auf der Bank hin und her. Diesmal musste ihr Gemahl auf Geheiß des Großinquisitors Konrad von Marburg einen Korbflechter peinigen. Ob der tatsächlich ketzerische Reden geführt hatte? Runhild wusste es besser. Der Wirt, dessen Weib oft in der Korbflechterei gesehen ward, hatte am gestrigen Sonntag beim Konrad in der Marienkirche gebeichtet und hämisch gegrinst bei der Ergreifung auf dem Kirchhof.

Die Stufen knarrten. Auch die Männer, die in der Wachstube ihre Waffen pflegten, verstummten und sahen auf. Runhild duckte sich unwillkürlich. Im Gesicht des Inquisitors spiegelte sich Triumph.

»Da siehst du es«, meinte er zu dem Mönch neben ihm. »Mir entgeht kein Ketzer, ob er auch leugnet und sich windet. Der Kaiser wird zufrieden sein.«

»Es ist mir eine Ehre, Euch bei der Vernichtung dieses Gezüchts begleiten zu dürfen.« Der Geistliche verbeugte sich und stolperte fast.

Konrad hob den Finger. »Es ist unsere Pflicht im Dienste des Höchsten. Mögen sich jene mit den gleichen Aufgaben ein Vorbild an mir nehmen.«

Wie Runhild gehört hatte, führten andere Inquisitoren die verlorenen Schafe viel lieber in den Schoß von Mutter Kirche zurück. Sie hatte längst aufgehört, die Opfer des Priesters zu zählen, die allein in dieser Gegend qualvoll auf dem Scheiterhaufen starben. Ein Jahr zuvor hatte die Anklage sie selbst getroffen. Vermutlich dachte der Inquisitor nicht mehr daran, oder es war ihm gleich. Allein Meinulf als Henker hatte ihr Leben retten können, indem er sie zur Gemahlin nahm.

Von einer Leibeigenen auf dem Weg in die Freiheit zum Henkersweib, was für ein Aufstieg!

Kaum schloss sich die Pforte hinter den Klerikern, griff Runhild ihren Korb mit den Tinkturen, Salben und Verbänden und eilte die Treppe hinunter. In der Kammer streifte Meinulf gerade die Kapuze seiner roten Gugel zurück und half dem Korbflechter, sich auf die Streckbank zu setzen. Der Rücken des Gemarterten sah übel aus.

»Ich geb dir Spitzwegerichwasser auf deine Wunden.« So konnte Runhild wenigstens etwas für ihn tun. Sie kramte in ihrem Korb.

Mit verbissener Miene tauchte Meinulf ein Tuch in den Wassereimer und wischte umsichtig das Blut ab. »Warum hast du nicht gleich erzählt, was der Inquisitor hören wollte? Du hättest uns beiden viel erspart.«

Statt einer Antwort zitterte der Mann am ganzen Leib. Was sollte er auch sagen? Dass er hoffte, wie Runhild ein Jahr zuvor, die Wahrheit sei stärker als die Lüge, die jemand dem Konrad aufgetischt hatte?

Gemeinsam versorgten sie den Korbflechter und brachten ihn in die Zelle nebenan. Am nächsten Tag würde er brennen. Unschuldig, wie so viele vor ihm. Meinulf stapfte zurück in die Folterkammer und Runhild eilte ihm nach. Mit einem Aufschrei trat er den Wassereimer in die nächste Ecke, ergriff die Peitsche und schleuderte sie hinterher.

»Wieso lässt Gott zu, dass der Kutten-Konrad ihn für seinen Wahn benutzt? Und wieso muss ich diesem Scheißkerl helfen?«

Runhild schloss ihn fest in ihre Arme. »Wenn nicht du, dann ein anderer.« Sie suchte seinen Blick. »Komm, lass uns drüben in der Kilianskapelle für die Seele des armen Mannes beten. Und für unser Gnadengesuch.«

Seine Augen schimmerten feucht im Schein der Fackel, neben der sie standen. Er hielt sie eng umschlungen und vereinte seine Lippen mit ihren. Nach einer Weile spürte sie, wie seine Anspannung nachließ. Wie lange noch würden sie Trost in ihrer innigen Liebe finden? Und wann erlöste sie die Gnade der Kirche und des Landgrafen aus ihrem ehrlosen und leidvollen Dasein?

 

Am frühen Abend des Ulrichstages ließ Ritter Anselm mit grimmiger Miene sein Schwert auf den halb so alten Meinulf herniedersausen. Doch dieser blockte den Hieb mit der eigenen Waffe so gewandt ab, dass es Runhild ein Lächeln entlockte. Erst letztes Jahr hatte sie erfahren, Anselms illegitime Tochter zu sein, die er durch ihre Ehrlosigkeit nicht anerkennen, mit der er sich nicht mal zeigen konnte. Wenigstens hatte er ihrer Mutter, die er noch immer liebte, die Freiheit geschenkt und als Magd an seinen Hof geholt.

»Vater ist ja mächtig wütend.« Runhild drehte sich von den Kämpfenden weg und setzte sich unter den Ahorn zu ihrer Mutter auf die Decke.

»Der Kutten-Konrad hat es mittlerweile nicht nur auf Ketzer abgesehen.« Gelsa packte den Korb aus, den sie für das verborgene Treffen am Lahnufer mit Herzhaftem und Naschwerk gefüllt hatte. »Jetzt hetzt er auch noch das Volk gegen die Herren auf. Und es trifft alle Adeligen, egal wie hoch oder niedrig sie stehen.«

Seufzend griff Runhild nach einem Messer und dem Brot und schnitt ein paar Scheiben ab. »Die Menschen ächten uns. Sogar für die Dinge, die Meinulf nur auf Befehl des Inquisitors tut. Dabei folgen sie selbst Konrads Worten und sterben sogar bei den Kämpfen, die er anstiftet. Heißt es nicht in der Bibel: Du sollst nicht töten?«

Gelsa streichelte ihre Wange. »In seinem Wahn ist es ihm gleich, meine Kleine.«

»Warum nutzt er nicht seine Beredsamkeit, um den Adeligen und Bürgern tatkräftige Nächstenliebe beizubringen? Wie gerne würde ich reichlich den Bedürftigen spenden und die armen Kranken im Hospital pflegen.«

Darauf wusste ihre Mutter keine Antwort.

Noch einige Male schlugen die Schwerter gegeneinander. Schließlich senkte Anselm die Waffe und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Ich bin stolz auf dich. Selbst meine Finte hast du abgewehrt.«

»Dank Eurer Lehrstunden, mein Herr.« Meinulf verbeugte sich.

Lächelnd klopfte Anselm ihm auf die Schulter und wies zum Platz unter dem Ahorn. Er wirkte nach dem Kampf nicht mehr so zornig. Wie Meinulfs dunkle Augen bei den Übungen strahlten. Runhilds Herz erwärmte sich. Gewiss war er sehr glücklich gewesen als Schildknappe ihres Vaters. Damals, vor der Verleumdung. Meinulf setzte sich neben sie, während ihr Vater sich stehend den Rücken rieb.

Anselm griff nach der Korbflasche und trank einen Schluck Wein. »Im Lenz klagte dieser Priester den Grafen von Sayn an, bestellte ihn nach Bingen.« Er nahm einen weiteren Schluck. »Mutig wies Hochgeboren die Anschuldigung zurück und erwirkte ein Sendgericht.«

Runhild reichte ihrem Gemahl Brot und Käse, dann blickte sie zu ihrem Vater auf. »Der Graf und sein Weib waren mit unserer Fürstin Elisabeth vertraut. Jedenfalls besuchte die Gräfin sie im Hospital.«

Vermutlich hätte noch nicht einmal die viel zu früh verstorbene Landgräfin ihren Beichtvater und Vormund von der Anklage gegen ihre Freunde abhalten können.

Meinulf schluckte den Bissen hinunter. »Dem Grafen stehen genügend Eideshelfer zur Seite, die seine Unschuld beschwören. Doch der Priester lässt keinen vergessen, dass er im Auftrag des Papstes handelt.«

»Selbst, wenn das Gericht gegen den Konrad entscheidet, gibt er dennoch keine Ruhe in seiner Verblendung.« Runhild spielte mit ihrem geflochtenen Zopf. »Immer hoffen welche, seinen Fängen zu entgehen, wenn sie andere in den Schmutz ziehen.«

Ihr Vater senkte die Flasche. »Der Erzbischof von Mainz rief ihn vor einiger Zeit zur Mäßigung auf und schilderte die Untaten des Inquisitors in einem Schreiben an den Pontifex. Gewirkt hat es bislang nicht.«

Der Papst musste unbedingt den Richter Gnadenlos, wie er hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, aufhalten. Ein Schauer durchlief Runhild. Die Narben der Folter auf ihrem Rücken juckten bei jedem Wetterwechsel, und jedes Mal, wenn sie den Inquisitor sah.

»Den Tag des Gerichts bestimmte der Erzbischof auf den Jakobstag. Also in drei Wochen«, fuhr Anselm fort. »Vogt Gunthram steht ebenfalls dem Grafen zur Seite, außerdem einige Freiherren.« Er legte die Hand auf sein Herz und verbeugte sich leicht.

»Und sogar König Heinrich sehen wir.« Gelsa streichelte Runhilds Arm und beugte sich zu ihr. »Im Badehaus erzählte es mir die Frouwe von Merlau.«

Ein wehmütiges Lächeln umspielte Runhilds Lippen. »Die Vögtin hielt dich wohl für eine Edle, weil du mit Vater dort warst. Es ist nicht gottesfürchtig, sich höher zu geben, als es der Wahrheit entspricht.«

Gelsa winkte ab. »Die Adligen sollen sich nicht so haben. Sie sind auch nicht besser.«

Die Fäuste in die Hüfte gestemmt, räusperte sich Anselm. Aber Runhild bemerkte das Lächeln in seinen Augen, deren grüne Farbe sie geerbt hatte. Er ließ sich neben Gelsa nieder und küsste seine Liebste.

»Hätte ich doch außer Mutter und der Abdeckerin noch andere Freundinnen, mit denen ich einfach mal schwätzen kann.« Sie biss kräftig in ihr Stück Brot. Jammern half ihr nicht weiter und ihr Gemahl litt ja genauso, wenn nicht sogar mehr. Eines Reliquiendiebstahls bezichtigt, sollten ihm damals die Hände abgeschlagen werden, jedoch trat er stattdessen die Nachfolge des alten Henkers an.

Meinulf rieb sich den Nacken. »Herr Anselm, konntet Ihr etwas bewirken, damit mir Gnade erwiesen wird und ich meine Ehre zurückerlange?«

»Ich sprach mit dem Vogt, erklärte ihm, welch anständiger Mensch du bist. Zudem wärst du nicht der erste Edle, dem übel mitgespielt worden sei. Er schrieb an den Bischof, der sich mit dem Erzbischof beraten will.« Er lächelte ihm zuversichtlich zu. »Ich hoffe für uns alle, beim Sendgericht mehr zu erfahren.«

Runhild nickte traurig und schmiegte sich an Meinulf. So ergeben, wie sie täglich zur Heiligen Maria betete, musste diese endlich ihr Flehen erhören. Und bis dahin lenkte sich Runhild ab, indem sie die Bürde linderte, die ihren Gemahl peinigte. Wenigstens schaffte sie es, dass er nicht wie sein Vorgänger Trost in Bier und Wein suchte.

 

Am letzten Freitag des Heumonds drückte der Sohn des Abdeckers Runhild ein Stück Papier in die Hand.

»Das hab ich von einem der höheren Leute von den Burgmannen. Soll ich dir geben. Du kannst lesen?« Der Bursche, der an der Grenze zum Mannesalter stand, riss die Augen auf.

»Ich übe noch. Meinulf hat es gelernt.« Sie hastete in den Schuppen, in dem ihr Gemahl Glücksbringer fertigte. Er schaute auf und legte die Feile beiseite, mit der er einen Knochen bearbeitet hatte.

Runhilds Hände zitterten beim Entfalten des Schreibens. Eine Nachricht auf diesem Wege musste zu wichtig sein, um sie einem Botenjungen mündlich anzuvertrauen.

»Von wem ist das?« Meinulf griff danach und hielt es ins Licht.

»Anscheinend von einem Gefolgsmann meines Vaters. Lies endlich vor.«

Meinulf pfiff durch die Zähne. »Hanrich will sich mit uns an der Richtstätte am Lahnufer treffen. Sofort. Es eilt.«

»Ich bete zur Heiligen Jungfrau, dass nichts passiert ist.« Runhilds Herz klopfte wild. Selbst der Vogt samt Gefolge konnte auf der Reise gen Mainz überfallen worden sein.

 

Sie hatten keine Zeit verloren und waren sofort zu der Stelle aufgebrochen, an der immer die Scheiterhaufen brannten.

Vergeblich sahen sie sich nach Hanrich um, er schien noch nicht da zu sein. Dann wies ihnen ein leiser Ruf aus dem Gebüsch den Weg. Der Ministeriale Anselms lief in seinem Versteck auf und ab.

»Ist was mit meinen Eltern?«

Hanrich schüttelte den Kopf. »Es geht beiden gut, sie kehrten Mittwoch vom Sendgericht zurück. Doch die Lage ist überaus ernst.«

Runhild drückte Meinulfs Hand fest. »Was kam dabei heraus?«

»Hochgeboren wies reichlich Eideshelfer vor, im Gegensatz zum Inquisitor. Der meinte, seine Zeugen treten aus Angst vor den Mächtigen nicht in Erscheinung. Seine Anschuldigung sei dennoch über jeden Zweifel erhaben. Er erfülle nur seinen Auftrag im Namen des Kaisers und des Papstes, die Flut an Ketzern schnell abzuurteilen. Seine Vollmacht führte zur Verurteilung des Grafen.«

Runhild ließ die Schultern sinken. »Nein«, hauchte sie.

Schwer atmend schüttelte Meinulf den Kopf.

Hanrich hob beschwichtigend die Hand. »Nach einem heftigen Streit lud König Heinrich zum Königstag ein. Der Graf weiß jedoch um Magister Konrads Einfluss auf den Kaiser und verlangt, vom Erzbischof unterstützt, das Urteil vom Papst höchstselbst. Damit erklärte sich Majestät einverstanden, und Graf von Sayn verließ das Sendgericht als rechtgläubiger Mann. Bis jedoch die Entscheidung aus Rom eintrifft, dauert es etliche Wochen. Zeit genug für den Inquisitor, das Volk noch mehr aufzuhetzen.«

Runhild schloss kurz die Augen. Als die Geringsten blieb ihnen nur das Gebet und die Hoffnung. Sie langte nach ihrem Zopf. »Die Edlen können selbst für sich kämpfen und sich schützen. Aber was ist mit jenen, die sich auf seine Hetze hin in ihr Unglück stürzen?«

»Herr Anselm und Herr Gunthram sprachen mit dem Grafen von Sayn, dem Erzbischof und anderen Mächtigen. Sie sind sich einig, dass dem Inquisitor ein für alle Mal Einhalt geboten werden muss.«

»Und wenn sie den Kaiser überzeugen?« Runhild suchte Zustimmung in den Gesichtern der anderen. Der weltliche Herrscher wollte sicher nicht, dass seine treuen Vasallen zu Unrecht verbrannt wurden.

Hanrich knetete seine Lippen. »Es wurde bereits ein Urteil über Konrad von Marburg gefällt. Ich bin der Bote, der dem Henker den Befehl für die Vollstreckung überbringt. Dabei gebieten es besondere Umstände, dass diese nicht öffentlich geschehen darf.«

»Rechtsprechungen finden immer vor aller Augen statt.« Runhild schüttelte verwirrt den Kopf.

Mit verschränkten Armen stimmte Meinulf ihr zu. »Warum heimlich?«

Hanrich faltete die Hände. »Seine Anhänger würden es als Willkür des Adels sehen und sich selbst in Gefahr bringen, wenn sie versuchen, ihn gewaltsam zu befreien. Es sähe ihnen zudem ähnlich, Rache an jenen zu nehmen, die daran beteiligt sind.«

Unsicher wechselte Runhild mit Meinulf einen Blick. Es klang zu sehr nach einer Ausrede.

»Wenn der Priester rechtmäßig verurteilt wurde«, hob Meinulf an, »müssen sich alle beugen.«

»Gerechtigkeit zu erlangen, ist nicht immer einfach. Manchmal bleibt selbst hohen Würdenträgern nur, andere Wege zu beschreiten. Versteht ihr?« Beschwörend nickte Hanrich ihnen zu. »Du triffst dich morgen mit Herrn Anselm und weiteren fünf Edlen in dem Wäldchen hinter Weidenhausen.« Der Ministeriale deutete zu dem Vorort auf der anderen Seite der Brücke. »Dort erfährst du weiteres.«

»Also gut. Dieser Priester ist einer der wenigen, bei denen ich bereit bin, das Gesetz zu beugen.«

»Für deine Treue und Verschwiegenheit erhältst du das Wohlwollen des Grafen und des Erzbischofs. Selbst Papst Gregor wird sich dir verpflichtet fühlen, denn Konrads Schreckensherrschaft fällt auch auf ihn zurück.«

Bot sich hier eine Gelegenheit, weitere Fürsprecher zu gewinnen? Auf die Prüfung ihres Gnadengesuchs warteten sie mittlerweile viel zu lange.

»Sühne für die unschuldig Verbrannten und Hilfe für unser Gesuch.« Runhild lächelte ihren Gemahl an. »Ich glaube, die Heilige Jungfrau hat ihre Hand im Spiel.«

 

Meinulf packte am nächsten Vormittag seine rote Kapuze in die Tasche. Er brauche weder Seil noch sein Richtschwert mitzubringen, hatte Hanrich ihm gesagt. Nun gut, wie die Herren wollten. Etwas mulmig war ihm dennoch, ohne dass er sagen konnte, warum.

Sein Weib stand von der Bank auf und ging um den Tisch. »Ich begleite dich.«

»Du willst mit zur Hinrichtung?« Er griff nach der Tonflasche mit frischem Wasser.

Fest sah sie ihm in die Augen. »Du hättest sehen sollen, wie er damals den Rücken unserer gütigen Frouwe Elisabeth blutig schlug. Genauso wie er es später bei mir durch deine Hand befahl. Durch meine Verbundenheit mit der Fürstin auch nach ihrem Tod und weil ich so sehr mit seinen Opfern leide, will ich sehen, wie er dafür büßt.«

Meinulf seufzte. »Willst du dir das wirklich antun?«

»Ich möchte nach seiner Hinrichtung für die vielen unschuldigen Seelen beten, die er auf dem Gewissen hat.«

Der Blick aus ihren grünen Augen wirkte unschuldig, doch er kannte sie auch anders. »Du hältst dich wirklich zurück und fährst nicht aus Zorn auf ihn deine Krallen aus, mein Kätzchen?«

Runhild lächelte. »Ich verspreche es dir.«

Die Kirchenglocke verkündete die elfte Stunde.

»Es wird höchste Zeit, loszugehen.« Grübelnd sah er in die Ecke, wo das Herdfeuer noch glomm. »Na schön, einverstanden. Doch wenn die Edlen dir verbieten, mitzukommen, gehst du zurück.«

»Danke.« Sie entwand sich seinem Griff und reichte ihm die Umhängetasche. »Zur Not bete ich in der Hospitalkirche.«

 

Kurz danach marschierten sie durch das Lahntor hinaus und über die Brücke. Nach einigen Höfen bogen sie rechts ab. Ein Wiehern aus dem nahen Wäldchen lenkte ihre Aufmerksamkeit dorthin.

»Da stehen sie.« Meinulf deutete auf den Platz unter zwei Eichen.

Ein halbes Dutzend Bewaffneter unterhielt sich mit ernster Miene. Sie saßen auf ihren Reittieren oder standen daneben und gehörten der Kleidung nach zum niederen Adel. Meinulf streckte sich. Sie sollten nicht sehen, wie angespannt seine Muskeln waren. Einzig Herrn Anselm begegnete er im letzten Jahr oft, den anderen hohen Herren nur bei Verurteilungen, die die Edlen betrafen. Heute würde er Seite an Seite mit ihnen stehen.

Was redete er sich ein? Die Wahrheit war vielmehr, dass die anderen in ihm nur den Henker sahen, auch wenn diese Urteilsvollstreckung äußerst sonderbar war. Nun, die hohen Adeligen und der hohe Klerus würden es sicher nicht wagen, gegen geltendes Recht zu verstoßen.

Auf einen Wink Herrn Anselms hin näherte er sich mit Runhild der Gruppe.

»Gut«, meinte ein Braunhaariger. »Ihr habt Euer Versprechen gehalten, Anselm von Marburg.«

Meinulfs früherer Herr nickte bedächtig, er erschien ihm ernst und merkwürdig bedrückt. Dann fiel Meinulfs Blick auf einen Ritter, dessen Wappen in der oberen Hälfte einen goldenen Löwen auf Blau zeigte. Ob sein damaliger Freund ihn erkannte? Zumindest trat dieser mit gerunzelter Stirn näher. »Das ist der Henker von Marburg?«

Meinulf zog seine Cotta straff und atmete tief ein. »Ich stehe hier für Recht und Gerechtigkeit, zudem für die Vergeltung derer, die unschuldig durch Konrad von Marburg den Tod erlangten.« So viel Würde wie möglich wollte er vor Gunthram, dem Sohn des Vogts, zeigen.

»Er braucht die Hilfe seines Weibs, um seiner Arbeit nachzugehen.« Den Wappenrock des Mannes, der sich lachend den anderen zuwandte, zierte ein goldenes Schild und Wellen auf blauem Grund. »Oder vermag sie ihre Neugier nicht zu zügeln?«

»Von Dernbach«, mischte Herr Anselm sich ein. »Auch wenn er durch Verleumdung seine Ehre verlor, solltet Ihr nicht über ihn spotten. Weshalb er hier ist, gereicht zu unser aller Wohle.«

»Natürlich gereicht es das. Doch verdächtigt Ihr den Geistlichen der Lüge? Dass niemand ihm beichtete, in der Marienkirche den Diebstahl beobachtet zu haben? Merkwürdig, dass Ihr selbst den Splitter des Kreuzes in der Truhe Eures Knappen entdeckt habt. Zum Zeugnis.«

Meinulf wandte sich abrupt ab, sodass nur Runhild seinen verkniffenen Gesichtsausdruck bemerken konnte. Er ballte die Fäuste. Seine Fingernägel drückten sich tief in die Haut. Ein jeder hätte die Reliquie dorthin getan haben können. Unter der Folter gestand jeder, was sein Ankläger hören wollte. Ihn selbst mahnte das große Brandmahl auf seinem Bauch daran.

Er bemerkte, wie Runhild Gunthram neugierig betrachtete. Die Ähnlichkeit mit dem Vogt, der genauso hieß, schien ihr aufzufallen. Der Sohn besaß inzwischen eine eigene Burg in Schweinsberg und besuchte Marburg selten.

Sein ehemaliger Kamerad schüttelte den Kopf. »Mein Vater beriet sich mit dem Bischof. Hochwürden meinte, bei niederen Wünschen könne einer seines Nächsten Teufel sein. Aber wir sind aus einem anderen Grund hier. Hoffen wir, dass der Kundschafter herausfindet, welchen Weg der Inquisitor nimmt.«

Damit beließen es die Herren und vertrieben sich die Zeit mit einem Mahl und Disputen. Später warfen sie sich scherzende Worte vornehm gesprochen zu, deren tieferen Sinn auch Meinulf verstand. Meist ging es um ihre Bauern. Meinulf saß mit seiner Gemahlin unter einer Buche einige Meter von den Adeligen entfernt und außerhalb deren Sicht.

»Du schaust so betrübt.« Runhild streichelte seinen Arm.

Er drückte sie an sich, versuchte zu lächeln. Damals hatte er mit seinen Freunden über dasselbe gelacht, über Dinge disputiert, die ihnen so wichtig erschienen waren. Diese Gemeinschaft von Gleichen fühlte sich gut an, wenn man ein Teil davon war.

Runhild neigte sich zu ihm. »Ich bete jeden Tag zur Heiligen Jungfrau. Du wirst in deinen Stand zurückkehren. Das meint auch Vater.«

Entschlossen verscheuchte er seine trüben Gedanken und streichelte ihre Wange. »Er glaubte schon immer an den Sieg des Guten, das scheinst du von ihm geerbt zu haben. Fallen ist einfach, viel schwerer ist es, wieder auf die Beine zu kommen.«

Runhild küsste ihn lange. Sie musste ihn sehr lieben, so oft, wie sie ihn ihre Gefühle auf diese Weise spüren ließ. Allein ihre Rettung war es wert gewesen, der Henker zu sein.

 

Endlich näherte sich aus der Ferne Hufschlag. Der Reiter hatte es eilig. Seine hellblaue Cotta über ungefärbten Beinlingen passte nicht zu dem edlen Ross. War es gestohlen? Die Männer beobachteten ihn aufmerksam. Gunthram stand auf und schlenderte ihm entgegen.

»Werte Herren«, rief der Kerl ihnen vom Rücken des Tieres zu, dann hielt er an und sprang ab. Tief verneigte er sich. »Zwei Mönche, der braunen Kutte nach Franziskaner, begleiten den Inquisitor weiterhin. Gegen Mittag kehrten sie in Wolfshausen ein. Das erfuhr ich von einem Pilger, der ihnen begegnete und sich segnen ließ.«

Gunthram, der Jüngere, nickte bedächtig. »Schätzungsweise brauchen sie dann noch zwei bis drei Stunden bis zum Hof Cappelle.«

Er reichte dem Boten eine Münze. Sorgfältig steckte der Mann sie ein, verbeugte sich und stieg aufs Pferd. Weitaus gemütlicher als zuvor ritt er gen Marburg davon.

 

»Meinulf, wir brechen auf«, wandte sich Anselm mit gebührendem Abstand an den Henker. »Nimm den Brauen, der neben meinem Pferd angebunden ist.«

Eilig sprangen beide auf und Runhild hängte sich den Beutel um. Dann konnte sie diesen und Meinulf sie selbst beim Reiten festhalten.

»Dein Weib kehrt in die Stadt zurück.«

»Aber …« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Es war doch nicht die erste Hinrichtung, die sie erlebte?

Streng musterte ihr Vater sie. »Keine Widerrede.« Er sah sich kurz nach den anderen um, die sich in genügender Entfernung bereits um ihre Pferde kümmerten, und senkte die Stimme. »Es ist besser, wenn du nicht dabei bist, mein Kind.«

Runhild schluckte. Übertrieben es die Edlen nicht mit ihrer Heimlichkeit? Auch wenn der Verurteilte verehrt und gefürchtet zugleich war?

Zärtlich legte Meinulf seinen Arm um ihre Hüfte. »Bete also in der Hospitalkirche für die armen Seelen.« Er nahm ihr den Beutel ab, küsste sie und schritt zu den Reittieren davon.

Mit etwas Abstand folgte der Henker kurz darauf den Herren die Straße entlang in südlicher Richtung. Runhild wartete, bis der Trupp zunächst die Felder hinter sich gelassen hatte und dann im nächsten Waldstück verschwand. Vielleicht ahnte ihr Vater Schlimmes, denn so leicht würde sich der Priester nicht dem Urteil ergeben. Es mochte zu üblen Worten oder gar einem Kampf kommen.

Sie erleichterte sich im Gebüsch, was sie sich in der Nähe der Männer nicht getraut hatte, und lief zurück über die Brücke. Doch statt zum Tor lenkte sie ihre Schritte nach rechts unterhalb der Stadt entlang zu dem Stück Land, das Elisabeth von Thüringen als Witwensitz erhalten hatte.

Direkt hinter der Kirchenpforte drückte sie sich in eine Ecke. So stieß sie auch nicht mit den Pilgern zusammen, die sich um das Grab der Fürstin drängten. Dürfte sie doch bis ganz zu ihr, aber sie musste schon froh sein, die Ruhestätte von Weitem betrachten zu können.

Ein Mann mit einem Jungen auf den Armen trat in die Kirche und reckte den Kopf.

Sein Weib zupfte an seinem Ärmel. »Meinst du, unserem Bub wird genauso geholfen wie der Adelheid?«

»Warum nicht? Die Landgräfin mochte Kinder doch ganz besonders. Und wenn die Nichte vom Pfarrer wieder laufen lernte, wird’s bei so gottesfürchtigen Leuten wie uns genauso sein.«

Tapfer lächelte die Mutter ihrem Sohn zu, wohl um seine Zweifel zu besänftigen. »Mag sein, dass sie so ihre Sehnsucht nach ihren drei Kindern stillte. Ihr Beichtvater verbot der Armen zuerst den Umgang mit ihren Freundinnen, dann nahm er ihr die Kinder weg. Wohl, damit sie sich ganz dem Leben hier widmen konnte.«

Zahllose Menschen hatten bei den bisherigen Anhörungen vor hohen Würdenträgern die Wunder an Elisabeths Grab bezeugt. Das an der Achtjährigen aus der Eschweger Gegend hatte sich auch in Marburg rasch verbreitet. Tief atmete Runhild durch, dann faltete sie die Hände und schloss die Augen. Nur in ihrem Herzen formte sie die Worte an die Selige.

 

Meinulf starrte auf den Weg vor sich. Wie konnte das geschehen? Und wie konnte sich Herr Anselm, den er so verehrte, auf so etwas einlassen? Er spuckte aus. Aber die Herren hatten sich das fein ausgedacht, und er konnte nur tun, was sie von ihm verlangten. Ehrlos und benutzt. Er näherte sich seiner Hütte. Auf der Bank davor fertigte seine Liebste Beutel, wartete sicher schon den ganzen Nachmittag auf ihn. Wie erwartungsvoll sie ihm entgegen schaute. Würde sich ihr Blick in Abscheu verwandeln, wenn sie die Wahrheit erfuhr? Er kam sich so schmutzig vor, wie bei den Opfern des Kutten-Konrad. Doch da konnte er sich zumindest herausreden. Ohne Runhild zu begrüßen, stapfte er an ihr vorbei durch die Tür. Sogleich folgte sie ihm.

»Erzähl mir, was passiert ist.« Sie hob den Beutel auf den Tisch, den er auf den Boden hatte fallen lassen.

»Besser nicht«, presste er hervor.

Er wandte sich zu dem Regal, in dem sich der Kräuterwein befand, doch Runhild stellte sich ihm in den Weg.

»Wir haben versprochen, uns alles zu erzählen, jedes Leid miteinander zu teilen.« Sie fasste seine Hände. »Ist der Kutten-Konrad einen anderen Weg gegangen?«

Er schüttelte den Kopf. »Aber ich wünschte, er hätte es getan.«

»Wieso? Warum sagst du das?«

»Erst brauch ich einen Schluck.«

Runhild ließ ihn gewähren und wartete auf der Bank an der Rückwand der Hütte, bis er neben ihr niedersackte. Zärtlich streichelte sie seinen zitternden Arm. Noch.

»Wir warteten bei Hof Cappelle auf ihn und die beiden Mönche. Von Dernbach entdeckte sie zuerst.« Er rieb sich übers Gesicht. »Gunth­ram stellte sich ihnen in den Weg und die anderen fünf umringten sie.«

»Dann konnte er genauso wenig entkommen wie die Menschen, die ihn vergeblich mit ihrer ganzen Kraft und weinend um Gnade anflehten.«

»Nein, das konnte er nicht. Und auch das Leben seiner Begleiter war verwirkt.«

Runhild schlug die Hand vor den Mund. »Aber nur er sollte doch verurteilt werden?«

Rau lachte Meinulf auf. »Verurteilt? Zumindest dein Vater gab ihm noch eine letzte Gelegenheit, seine Verblendung zu erkennen und künftig zurückgezogen zu leben.«

Runhild schüttelte verständnislos den Kopf.

»Ja, einige Mächtige, weltlich und kirchlich, vereinten sich gegen diesen Inquisitor und seinen Fanatismus. Sie beschlossen seinen Tod. Doch keiner von ihnen, allein der Papst oder der Kaiser ist ermächtigt, über ihn das Urteil zu fällen.«

»Mord?« Sie erbleichte. »Aber warum brauchten sie einen Henker?«

Seine Arme und sein Kopf fühlten sich schwer wie Blei an. »Damit sie und ihr Seelenheil sich nicht für den Totschlag verantworten müssen.«

Runhild sprang auf, sie keuchte. »Du hast dich von ihnen als Meuchler verdingen lassen?«

Zitternd streckte er ihr die Hand entgegen. »Was hätte ich denn tun sollen? Dein Vater weihte mich erst auf dem Weg dorthin ein, sagte, dass wir nur so Schlimmeres verhindern können.«

»Aber eine Bluttat? Wie konntest du nur so tief sinken? Haben die Kerle zugeschaut, während du den Inquisitor und seine Begleiter ermordet hast?« Ihre Augen glänzten schmerzlich.

»Sie schlugen selbst auf die Kleriker ein. Ja, auch dein Vater! Einer der Mönche fiel mit dem Kopf auf einen Stein. Zumindest an dem habe ich mich nicht versündigt.«

Er stöhnte auf und vergrub sein Gesicht in den Händen. Runhild, seine einzige Wonne, hielt sie zu ihm oder würde sie sich von ihm abwenden?

»Warum hast du dich nicht geweigert? Womit hätten sie dich dazu bringen können?«

Er sah auf seine Liebste, die die Lippen zusammengepresst mit verschränkten Armen vor ihm stand. »Ich musste tun, was sie verlangten. Dein Vater und Gunthram hätten mich nicht dazu gezwungen. Aber einer der anderen hielt sein Schwert an meine Kehle. Es wäre nicht bei der Drohung geblieben. Und wer kann dich beschützen, wenn ich tot bin? Als ehrlose Bastardtochter noch nicht einmal Herr Anselm.«

»Aber jetzt bist du ein gemeiner Mörder. Ein Sünder! Wie soll die Heilige Jungfrau meine Gebete erhören, wenn wir es nicht verdienen?«

»Hat sie es denn bislang getan? Warum sollte das, was ich für uns tat, daran etwas ändern?«

Runhild stieß einen Laut der Empörung aus. Jetzt brauchte er einen Schluck Kräuterwein, sonst konnte er es nicht mehr ertragen.

»Du hast diese Untat für uns getan? Wohl eher gegen.«

»Herr Anselm wusste, warum er dich nicht dabeihaben wollte. Und es fiel ihm auch schwer, dem Plan der anderen zuzustimmen.« Er streckte die Arme nach ihr aus und schniefte. Sein Blick verschwamm. »Lass es mich erklären.« Sein Adamsapfel glitt schwermütig hoch und runter. »Auf dem Sendgericht schmiedeten sie einen Plan«, hob er an. »Die Herren fühlten sich nicht mehr sicher in ihren eigenen Ländereien. Viele Weiber aus dem Volk beklagten den Tod ihrer Gatten oder Söhne durch die Aufstände, zu denen der Inquisitor sie anstiftete. Andere flehten ihren Pfarrer um Hilfe an, wenn der Priester die ihren willkürlich, nur weil ihm eine Nase nicht gefiel, verurteilte.«

Der Tratsch auf dem Marktplatz, den man glauben konnte oder nicht, er entsprach der Wahrheit. Endlich setzte sich Runhild neben ihn. Er bemerkte, dass sie zitterte.

Tief atmete er ein. »Der Graf von Sayn und der Erzbischof von Mainz erkannten, dass es nur einen Ausweg gab, damit wieder Frieden einkehrt.«

»Und nicht noch mehr durch und wegen ihm sterben.«

Sie sahen sich an. So sehr sie beide den Inquisitor hassten und fürchteten, mussten sie dennoch um ihr Seelenheil bangen.

»Dein Vater und der Vogt nutzten die Gelegenheit, um beim Erzbischof für unser Gnadengesuch vorzusprechen. Exzellenz meinte, dass sich ein Henker gut eignen würde, demjenigen ein Ende zu bereiten, der nach eigenem Gutdünken Menschen hinrichten ließ. Man könnte Konrad gleichfalls einen Mörder nennen, nur, dass er mich benutzt hat.«

»Er hat die päpstlichen Privilegien missbraucht. Warum lebt der Pontifex so weit weg? Hätte er zumindest einen Priester über den Inquisitor gestellt, der schnell genug Recht sprechen konnte, um Leben zu retten.« Sie rückte näher an ihn heran. »Du sagtest vorhin, du hättest es für uns getan?«

Meinulf nickte. »Der Erzbischof will sich persönlich unseres Gnadengesuchs annehmen und für unsere Seelen beten, wenn ich …« Er betrachtete seine Hände, als seien sie ihm fremd.

»Wie hast du es getan?«

»Genickbruch«, flüsterte er.

Runhild schniefte und griff nach dem Wein.

Auch Meinulf trank erneut. Sein Verstand meinte, dass der Alkohol das Durcheinander seiner Gedanken nicht entwirren konnte, doch sein Herz suchte nach Beruhigung. »Herr Anselm will den Wachen melden, dass er drei erschlagene Geistliche entdeckt habe, damit die sie mit einem Karren zum Hospital bringen. Die anderen verkünden dem Grafen, dass es vorbei ist.«

Runhild krampfte die Finger in ihren Rock. In ihrem Blick erkannte er die gleichen Fragen, die ihn quälten. Verdient hatte der Kutten-Konrad den Tod. Doch warum war ihm nicht beim Sendgericht Einhalt geboten worden? Gleichwohl seiner Rechte standen andere Kirchenfürsten über ihm. Wählten die Herren nur den für sie leichteren Weg?

Ihr Antlitz richtete sich auf das Bildnis der Heiligen Jungfrau auf dem Brett zwischen Tisch und Schlafplatz. »Du musst trotz der Zustimmung vom Erzbischof Buße tun. Schließlich hast du auch einen umgebracht, den der Priester nur mit seinem Wahn ansteckt hatte wie bei einer Krankheit. Und da es uns beide angeht, büße ich mit dir.«

Die Augen geschlossen, lehnte sich Meinulf gegen die Wand. »Wer will uns die Beichte abnehmen und uns die Sühne auferlegen?« Der einzige Pater, bei dem Meinulf heimlich sein Herz hatte ausschütten können, starb durch Konrads Befehl auf dem Scheiterhaufen. Es gab niemanden mehr, der ihnen geistlich beistand.

Runhild drehte sich wieder zu ihm um und griff seine Hände. »Um unsere Seelen zu läutern, können wir vielleicht bis zum nächsten Quatember wie die Nonnen und Mönche leben?«

Verständnislos runzelte er die Stirn.

»Ich meine nicht, dass wir ins Kloster gehen. Aber lass uns morgens, mittags und abends in der Kilianskapelle beten. Und für Almosen steht in der Kirche des Hospitals ein Kasten bereit.«

Meinulfs Antlitz hellte sich auf. »Die Hälfte meines Solds als Henker bringen wir jeden Kirchtag dorthin. Was ich als Totengräber oder für die Glücksbringer erhalte, ist mir ohnehin mehr wert. Du bist wirklich mein Licht in der Dunkelheit.«

»Noch etwas«, Runhild senkte ihr Haupt. »Während unserer Bußzeit sollten wir Keuschheit geloben. So sehr, wie wir uns lieben, zeigen wir dadurch wahre Reue.«

Ihr zuliebe nickte Meinulf ergeben. »Wir verzichten für die eineinhalb Monate auf unsere Vereinigung, doch in meine Arme schließen und küssen will ich dich weiterhin.«

Er legte eine Hand auf ihre Hüfte. Die Liebesspiele würden ihnen beiden bereits genug fehlen. Das andere gab ihnen jedoch die Kraft, die sie dringend brauchten. Sie rückte an ihn heran und vereinte ihre Lippen mit seinen.

 

Am nächsten Morgen meldete ein Laufbursche des Hospitals, dass die Dienste des Totengräbers gebraucht wurden. Es seien heute zwei Gruben. Runhild wechselte einen Blick mit ihrem Gemahl. Zwei? So wie sie die Gewohnheiten dort kennenlernen konnte, hätten die Schwestern am Abend nicht mehr mit den Waschungen begonnen und die Erschlagenen erst nach Sonnenaufgang für ihren letzten Weg vorbereitet. Und das Schaufeln der Gräber übernahm stets Meinulf. Wer waren diese beiden, wo doch das Fuhrwerk der Wache bei Hof Cappelle drei Tote holen sollte? Bald würden sie es wissen.

Meinulf marschierte in den Schuppen und sie gab dem alten Ab­decker Georg Bescheid. Der half immer bei so etwas, um seine Verdienste aufzubessern. Auch Runhild wollte diesmal wieder mitgehen, jedoch aus einem anderen Grund.

»Zwei sollen es sein, da habt ihr in der Hitze gut zu tun«, berichtete sie Georg. Beim Karren wartete Meinulf auf sie. Er hatte die Spaten bereits aufgeladen.

Wie üblich nahmen sie den westlichen Eingang und sahen sich nach der Nonne um, die ihnen den Ort für die neuen Grabstätten wies. Erleichtert atmete Runhild auf. Dort stand Schwester Irmgard, die ihr erlaubte, bei den Waschungen mitzuhelfen und sich dabei mit ihr unterhielt. Nur aufpassen musste sie, dass sie als Henkersweib die Schwester nicht berührte.

Sie zog ein Tuch aus ihrer umgehängten Tasche und pflückte sich Minze aus dem Beet neben der Kammer, in der die Hospitäler die Verstorbenen für ihren letzten Weg vorbereiteten. Das hatte ihr schon vor zwei Jahren gut gegen den Geruch geholfen, der niemals aus diesem Raum wich. Mit etwas Abstand folgte sie der Älteren hinein.

Auf dem breiten Tisch lagen Mönche, vermutlich die beiden, die den Inquisitor begleitet hatten. Das Blut um die Kopfwunde des einen war geronnen. Der zweite war demnach Meinulfs Opfer.

»Schwester Irmgard?« Runhild gab Wasser in eine Schüssel mit kleinen Seifenstücken, die sich daraufhin aufzulösen begannen. »Fand man nur die zwei an dem Ort, an dem man sie erschlug?«

Die Nonne hob die Brauen. »Weißt du mehr über ihr Schicksal?«

Wie sagte Runhild die Wahrheit, ohne ihr, die nur verborgen ihr Wohlwollen zeigte, zu viel zu verraten?

»Ich hörte, dass die Wachen drei Leichen hierherschaffen sollten.«

Runhild richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Kleriker mit dem gebrochenen Genick vor sich und fing an, ihn zu entkleiden.

»Der dritte im Bunde ist Magister Konrad von Marburg. Ihn wuschen wir jedoch bereits gestern und bahrten ihn in seinem Haus auf.« Sie seufzte. »Hätte er doch mehr sein Herz sprechen und sich nicht von seiner unbändigen Besessenheit antreiben lassen.«

Runhild lugte zu der anderen. Wie tief gefurcht war ihre Stirn. Noch einmal seufzte Irmgard schwer, dann zog sie dem zweiten Mönch die Kutte aus.

»Er hat sein Schicksal selbst gewählt«, versuchte Runhild sie zu trösten. »Und wenn ich daran denke, wie er die gütige Fürstin schlug«, setzte sie leiser hinzu.

»Das ist mir wohl bewusst. Dennoch wartet auf unsere Gemeinschaft eine schwierige Zeit.«

Runhilds Hand zuckte noch rechtzeitig zurück, um Irmgard nicht zu berühren, die gedankenverloren ihren Lappen in das Wasser tunkte.

»Das verstehe ich nicht. Er war doch ohnehin viel unterwegs.«

Nun tauchte sie ihr Tuch in das Nass und säuberte das Gesicht des Leblosen vor ihr.

Irmgard fuhr zärtlich mit ihrem Stück Stoff über die Blessuren des dickeren Mönchs. Nebenbei erzählte sie von dem Streit zwischen Konrad und den Landgrafen auf der einen und dem Orden der Johanniter auf der anderen Seite. Letzteren versprach Hoheit Elisabeth das Hospital im Falle ihres Ablebens. Die beiden Brüder ihres Gemahls gaben ihr dieses Land jedoch nur als Witwensitz.

»Magister Konrad erwirkte, dass unter seinem Vorsitz das Hospital seine Selbstständigkeit behält. Künftig entscheiden welche über uns, denen das Werk unserer gütigen Frouwe weniger kostbar ist.«

Runhild hielt im Waschen inne. »Aber so viele Pilger, die an ihrem Grab Heilung erfahren, können die Oberen nicht außer Acht lassen.«

Mit gesenktem Haupt fuhr Irmgard fort. »Nein, doch der Priester tat alles dafür, dass die Landgräfin kanonisiert wird. Wer weiß, was ihre Schwäger darüber denken.«

Hitze stieg in Runhilds Wangen. Vollbrachten die Ritter und Mei­nulf ihre Tat nicht nur zu Unrecht, sondern außerdem zu früh? Die Fürstin Elisabeth verdiente es mehr als andere, zur Heiligen ernannt zu werden. Sogar die höchsten Kreise zeigten sich zutiefst beeindruckt von ihrer Nächstenliebe, die sie noch aus ihrem Grab reichlich verschenkte. Andererseits hatte das Wirken des Inquisitors viele Leben gekostet, nicht nur das von denen, die er der Ketzerei angeklagt hatte. Runhild nickte sich selbst entschlossen zu. Unschuldige zu retten, wäre gewiss auch der gütigen Frouwe Elisabeth wichtiger gewesen, auch wenn der Weg sicher falsch war. Plötzlich horchte sie auf.

»… auch Fürstin Elisabeths Beichtvater. Deshalb kümmert sich der Steinmetz um sein Grab im Altarraum unweit unserer Herrin.«

Ausgerechnet dieser Priester hatte als Vorsteher des Hospitals ein Anrecht darauf, dort beigesetzt zu werden. Ob seine Seele die der Landgräfin in Ruhe ließ? Hoheit Elisabeth besaß ihren Platz im Himmel. Bei dem Großinquisitor war Runhild sich nicht sicher.

 

Kapitel 2

 

Wie jeden Freitagmorgen füllte Runhild die Pottasche des Buchenholzes in Leinenbeutel und gab diese in ihren größten Eimer. Zusätzlich mit dem Korb voller Schmutzwäsche unter dem Arm, marschierte sie kurz darauf mit Juliana, der Abdeckerin und eine ihrer wenigen Freundinnen, zu dem Platz neben der Brücke. Wie immer waren sie unter sich, denn die anderen Weiber wuschen samstags. Die Wäschekörbe ließen sie am Ufer auf das Gras sacken und die Eimer tauchten sie mitsamt den Beuteln ins Wasser. Langsam bildete die auflösende Asche eine glänzende Schicht. Bis die Lauge soweit war, blieb ihnen Zeit für ein gemütliches Schwätzchen.

Sie tauschten sich über die zunehmenden Pilgerströme aus, die auch geschäftstüchtige Betrüger anzogen. Einen davon musste Meinulf am Vortag auspeitschen. Der gab vor, ein Reliquienhändler zu sein. Ihm war im Übereifer ein dritter Daumen des Heiligen Franziskus aus der Tasche gefallen. Und das vor den Augen des Stadtpfarrers, der sich gebärdet haben solle wie ein Schankwirt bei einem Zechpreller.

»Der Hund vom Bäcker bekam die scheinheiligen Knochen und die Wachen den Schwindler.« Runhild lachte. Bei ihrem nächsten Gedanken verging es ihr. »Nächsten Sonntag wird schon die dritte Messe für den Kutten-Konrad gelesen.« Sie verschwieg selbst ihrer Freundin gegenüber Meinulfs Anteil an dessen Tod. Und gehört hatten sie vom Erzbischof auch noch nichts. Ob der sich an sein Versprechen hielt?

»Die Wochen vergehen so schnell, wie ein Vogel fliegt.« Juliana pflückte sich Sauerampfer und biss hinein. »Hinter der westlichen Stadtmauer bauen sie schon wieder ein Haus, das hat der Seifensieder meinem Georg erzählt. Bald müssen sie die Mauer ausbauen.« Mit der flachen Hand klatschte sie auf die Wasseroberfläche im Eimer. »Den Bläschen nach können wir anfangen. Das Plaudern war der vergnügliche Teil, jetzt geht es ans Walken und Rubbeln.«

Runhild stimmte ihrer Freundin zu. »Im Badehaus hab ich lieber die Weiber eingeseift statt die Wäsche. Die Aschelauge trocknet die Hände mächtig aus. Aber dagegen gibt’s Ringelblumensalbe.«

»Oh ja, als Tochter eines adeligen Herren muss des Henkers Weib natürlich zarte Finger haben, im Gegensatz zum arbeitenden Volk.« Juliana zwinkerte ihr grinsend zu und erntete von Runhild einen Wasserschwall.

»Du weißt genau, wie hart ich arbeite. Das macht mir auch nichts aus, wenn die Leute uns nur nicht verachten würden.«

Ihren Unmut ließ sie an der Wäsche aus, walkte mit aller Kraft die Stücke durch und rieb ungeduldig die fleckigen Stellen, bis in den aufgequollenen und mit Schaum bedeckten Fasern kein Schmutz mehr zu sehen war. Ihr Tun ließ sie ruhiger werden.

»Wenn wir fertig sind«, Runhild wischte sich über die Stirn, »können wir das, was wir jetzt tragen, gleich mitwaschen.« Sie streckte sich und bog den Rücken weit nach hinten.

Juliana lachte. »Von der Hitze her könnten wir rumlaufen, wie der Herrgott uns schuf. Und grad bei deinem Anblick würden sich die Mannsbilder nicht sattsehen.«

»Gott bewahre. Meinen bloßen Leib zeig ich nur Meinulf. Außerdem, wenn wir endlich Gnade erhalten, sollen uns die Leute auch mit Achtung behandeln.«

Die Abdeckerin kniete sich dicht ans Wasser, um das Wäschestück auszuwaschen. Kurz darauf tat Runhild es ihr gleich. Wäre der Weg ihres Gnadengesuchs doch an seinem hoffentlich guten Ende angekommen.

Hufschlag riss sie aus ihren Gedanken. Reiter ließen die Höfe auf der anderen Seite der Brücke hinter sich und trabten auf sie zu. Juliana schubste sie an.

»Das müssen ganz Vornehme sein. Tragen sogar Wappen.«

Die schwarzen Kreuze auf den Schildern, der Brust und auf der Herzseite des Umhangs traten auf dem weißen Untergrund schon von Weitem gut sichtbar hervor.

»Das sind Ritter vom Deutschorden.« Runhild wandte sich der Abdeckerin zu. »Der Ministeriale meines Vaters bringt mir auch einiges über Wappen bei, wenn Meinulf mit dem Schwert übt. Er nennt es Heraldik.«

Die Ordensleute überquerten gerade die Lahn auf ihren Streitrössern. Runhild kniff ihre Augen zusammen, denn auf den polierten Schildern und Helmen spiegelten sich die Sonnenstrahlen. Wo die drei wohl hinwollten?

Der Graubärtige unter ihnen zeigte auf die Büsche mit den Brombeeren und Himbeeren. »Die kommen uns gelegen. Es dauert schließlich noch eine Weile, bis wir am Tisch unseres Gastgebers sitzen.«

Dicht ritten die Fremden an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Runhild zog noch einmal die Bruche durchs Wasser und legte sie zum Trocken auf die Wiese. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass einer der Ritter schwerfällig vom Pferd stieg. Er setzte vorsichtig den linken Fuß auf und verzog schmerzlich sein Gesicht.

Runhild beugte sich zu Juliana. »Ich kann nicht untätig zusehen, wenn es jemandem schlecht geht.«

Sie stand auf und wischte sich im Gehen die Hände an ihrer Schürze trocken. Mit ein paar Schritten Abstand blieb sie vor den Ankömmlingen stehen.

»Verzeiht, werter Herr, dass ich Euch anspreche, doch ich sehe, dass Euch Euer Bein quält.«

»Was geht dich das an?« Die ersten grauen Strähnen in seinem dunklen Haar ließen ihn noch grimmiger wirken.

»Ich bin eine der hiesigen Heilkundigen.«

Er zog die Augenbrauen zusammen und drehte sich von ihr weg. Schon beim nächsten Schritt konnte er ein Aufstöhnen nicht unterdrücken.

»Bitte, hoher Herr, lasst mich Euch helfen. Ich zähle zwar erst zwanzig Lenze, doch Ihr könnt mir vertrauen. Mit den Gebeinen kenn ich mich gut aus.« Besonders durch die Pflege der Gefolterten und den Anblick derer, die von ihren Mördern übelst verprügelt oder in Stücke gehackt wurden. Inzwischen erwarb sie mehr Fertigkeiten, als ihr lieb war.

Der Leidende blickte sie an. »Du siehst mir aus wie ein Waschweib. Zudem jung und unerfahren. Wer war dein Lehrmeister?«

Einen Teil verschweigen, war nicht gelogen. »In unserem Dorf lernte ich einige Jahre von der Kräuterkundigen und half, wo ich konnte. Vor zwei Jahren kam ich nach Marburg und durfte mich zuerst im Hospital der Landgräfin Elisabeth um die Kranken kümmern. Kurz danach nahm ich eine Stellung bei dem Bader Johannes an. Er und die anderen Mägde brachten mir einiges bei.«

Er warf dem Jüngsten einen fragenden Blick zu. Dieser pflückte sich noch eine Beere und trat an seine Seite. Der gestutzte blonde Bart des Mannes war gut gepflegt, seine braunen Augen blitzten vergnügt.

»Herr Swidbert, Ihr stammt doch von hier. Was wisst Ihr über diesen Bader?«

»Nur Gutes. Sein Haus ist anständig, seine Fertigkeiten sind in höheren Kreisen sehr gefragt. Ich selbst ließ mich bis zum Ende meiner Knappenzeit von ihm und seinen Mägden behandeln.« Er legte seinem Kameraden die Hand auf die Schulter. »Herr von Horneck, schaden kann es nicht, Euch in die Hände dieses Weibes zu geben.«

Das sah wohl nun auch von Horneck ein. »Sobald ich es bewege, schmerzt es. Auch am Fußgelenk.« Er zeigte auf sein linkes Bein.

»Bitte setzt Euch auf den Boden, damit ich es besser untersuchen kann.«

Herr Swidbert half ihm, sich auf das Gras niederzulassen. Vorsichtig tastete Runhild das Bein zwischen Knie und Fuß ab. Das Bein sah geschwollen aus, war sehr warm und die Muskeln fühlten sich hart an. Sie zog den Beinling ein Stück hoch.

»Die Säfte in Eurem Bein fließen nicht mehr richtig, zudem treten einige Adern bereits unter Eurer Haut hervor. Und es ist kein Wunder, dass Euer Gelenk schmerzt. Ich behandle dieses eitrige Geschwür, ehe es noch größer wird.«

Der Graubärtige beobachtete ihr Tun. »Das junge Weib scheint sich tatsächlich auszukennen.«

Runhild nickte, doch wo sollte sie jetzt so schnell alles Notwendige hernehmen? Sie sah sich um. Erleichtert entdeckte sie einige Schritte entfernt eine Beinwell-Pflanze. Ihr Messer trug sie stets bei sich. »Dürfte ich die werten Herren bitten, ein kleines Feuer zu entzünden? Ich brauche es zum Reinigen der Klinge, da ich die Beule aufstechen muss.«

»Von Bosweil, Ihr seid der Geschickteste von uns mit dem Feuerstein.« Von Horneck nickte dem Graubärtigen zu.

»Ich verlasse Euch für einen Moment, um die richtige Wurzel zu holen.« Runhild ging zu dem Beinwell. Eilig begann sie, ihn mit ihrem Messer auszugraben. Musste die Erde so fest sein? Es staubte mehr, als dass sie vorwärtskam.

»Ich helfe dir.« Herr Swidbert zog seinen Dolch aus der Scheide und kniete sich neben sie. »Nur, damit es schneller geht.«

Meinulf half Runhild nie, die Pflanzen zu ernten, jedoch hatte sie auch normalerweise die richtigen Werkzeuge dabei. Der junge Herr schien nett zu sein.

»Ich danke Euch sehr, werter Herr Swidbert.« Sie langte nach der Wurzel und zog ein dickes Stück heraus.

»Es heißt Herr von Leimbach.« Lachend stand er auf.

»Verzeihung, Herr. Ich hörte nur, wie Euch Euer Freund anredete.« Sie erhob sich gleichfalls und hastete zum Wasser, um die Wurzel zu reinigen. Rasch tauschte sie einen Blick mit ihrer Freundin. Juliana beobachtete gespannt das Geschehen.

Ein großer flacher Stein am Übergang zwischen Fluss und Wiese eignete sich für Runhilds Vorhaben. Sie legte die Wurzel dort hin, um kräftig mit einem faustgroßen Kiesel auf die Pflanze zu drücken. Der Schleim des Beinwells quoll hervor, genug, dass es reichen dürfte. Sie trennte die Blätter ab und gab die Paste auf eines.

Der Erkrankte aß bei ihrer Rückkehr gerade Beeren, die ihm seine Kameraden gepflückt haben mussten. Auch den Beinling hatte er bereits bis übers Knie hochgezogen. Sie kniete sich vor ihn und verteilte die schleimigen Fasern auf dem Unterschenkel. Mit der erlernten Kunstfertigkeit massierte sie es, um die Säfte zum Fließen zu bringen. Von Hornecks Miene entspannte sich langsam, doch zusehends.

»Jung und fähig.« In seiner Stimme hörte sie keinen Grimm mehr. »Ich kann die Badestube dieses Johannes empfehlen.«

Runhild schluckte. »Hoher Herr, ich arbeite dort leider nicht mehr. Seit meiner Heirat.« Sie sandte ein Stoßgebet zur Heiligen Maria, dass die Edlen nicht nachhakten.

»Es ziemt sich auch nicht.« Von Bosweil verschränkte die Arme. »Ein Eheweib sollte man nicht verdächtigen können, gewisse Dienste in den Hinterstuben der Badehäuser auch anderen Männern zu erweisen.«

»Ich gebe mich nur meinem Gemahl hin. Schon früh betete ich zur Heiligen Jungfrau, damit sie mich vor anderen Kerlen schützt.« Dass diese es nicht getan hatte, verschwieg sie.

Von Bosweil rieb sich das Kinn. »Ein gottgefälliges Weib, gut.«

Runhild rieb mal kräftig, mal sanft über das Bein. Nach einiger Zeit war der heilende Saft in die Haut eingezogen und die Muskeln geschmeidiger.

»Nun kümmere ich mich um das andere. Hat einer der Herren vielleicht eine Schale für mich?«

Herr Swidbert lachte. »Sollte eine Heilkundige nicht alles dabeihaben, was sie braucht?«

»Das stimmt.« Runhilds Wangen glühten. »Doch beim Waschen trage ich bereits genug mit mir herum.«

Der junge Edle holte das Gewünschte aus der Satteltasche.

»Ich danke Euch.« Sie verbeugte sich.

Dicht am Ufer pflückte sie Blätter des Spitzwegerichs, deren Saft sie in den mit Wasser gefüllten Behälter tropfen ließ. Die Beinwellblätter und ein frisch gewaschenes Stück Verbandsstoff nahm sie mit zu dem Ordensmann. Von Bosweil hatte derweil einen kleinen Haufen trockener Zweige entzündet, sodass Runhild das abgewaschene Messer mit dem Feuer zusätzlich reinigen konnte. Es schien nicht das erste Mal für die Herren zu sein, bei einer solchen Behandlung zu helfen, denn sie hielten das Bein ihres Freundes mit aller Kraft fest. Runhilds kundiger Blick verriet ihr die richtige Stelle. Sie setzte die Klinge an und schnitt hinein. Von Horneck schrie auf, fluchte lauthals. Gelb und stinkend floss der Eiter aus dem zweieinhalb Finger breiten und vier Finger langen Geschwür.

»Die schlechten Säfte seid Ihr nun los. Ich säubere die Wunde mit dem Kräuterwasser, gebe die Blätter darauf und verbinde Euch dann.«

Endlich war Runhild fertig und streifte den Beinling hinunter.