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Auf der Suche nach dem Paradis Der Dschungel ist wunderschön und voller Geheimnisse. Doch das Leben der Tiere dort ist auch gefährlich. Komm mit auf eine Reise in die grüne Wildnis! Weit, weit weg soll es ein unberührtes Paradies geben, in dem alle Tiere friedlich leben. Von diesem besonderen Ort hört auch die Capybara-Mutter und bricht mit ihren Jungtieren dorthin auf. Unterwegs nehmen die Capybaras liebevoll ein Tapir-Kind auf, das seine Mutter verloren hat und allein durch den Dschungel irrt. Auf ihrer waghalsigen und gefahrvollen Reise müssen sie von nun an fest zusammenhalten. Ob sie das Paradies finden werden? Der Dschungel ruft Erlebe erstaunliche Wunder der Natur und das aufregende Leben der Tiere – diese Kinderbuch-Reihe entführt Jungen und Mädchen ab 8 Jahren in die verschiedenen Lebensräume der Erde. Ob im tiefen Meer, im dichten Wald oder in der endlosen Arktis: In diesen Geschichten erleben Tiere wunderschöne und zugleich bewegende Abenteuer. Die Kinder tauchen in die Welt der Tiere ein, werden für die Vielfalt der Natur begeistert und lernen viel Neues auf den Wissensseiten. Mit berührenden und coolen Schwarz-Weiß-Illustrationen. Lehrreich wie ein Sachbuch und berührend wie ein Disney-Klassiker! Für Fans von Peter Wohlleben und Karsten Brensing. Die Titel sind auf Antolin gelistet. Alle Bände dieser Reihe: Band 1: Das geheime Leben der Tiere (Dschungel) - Freundschaft im Regenwald Band 2: Das geheime Leben der Tiere (Dschungel) - Die schwarze Tigerin Band 3: Das geheime Leben der Tiere (Dschungel) - Verloren im Urwald Band 4: Das geheime Leben der Tiere (Dschungel) - folgt
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Seitenzahl: 173
Veröffentlichungsjahr: 2024
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Glossar
„Du musst dich auf die Hinterbeine stellen und die Stängel mit den Vorderhufen knicken, so“, sagte er. „Am besten spreizt du alle vier Zehen. Dann bekommst du sie besser zu greifen.“
„Aha“, sagte sie. „Und wenn ich einfach einen gaaanz langen Hals mache? Dann komme ich auch an die Maiskolben.“
„Capybaras haben keine langen Hälse.“ Er kickte einen Maiskolben in ihre Richtung. Sie knabberte die Hülle ab und biss mit ihren schönen, scharfen Nagezähnen in das gelbe Fleisch. Es war sehr lecker.
Seit einer Weile kamen die beiden jeden Tag her. Das Feld war riesig. Die Menschen hatten es gepflanzt. Aber ganz bestimmt hatten sie nichts dagegen, wenn man sich ein bisschen Mais nahm? Sie brauchte Futter. Sie musste ihre Jungen säugen. Vor einer Woche hatte sie sie zur Welt gebracht und nun warteten sie in einem Gebüsch unten am Flussufer: vier wunderschöne, flauschige, hellbraune kleine Capybaras mit großen Knopfaugen und niedlichen runden Ohren. Sie war sehr stolz. Früher hatte sie sich Capy genannt, aber jetzt war sie Capymadre und sie liebte diesen Namen. Sie liebte den Namen und sie liebte Bara, den Vater der Jungen, der mit ihr Mais fraß. Und sie liebte ihr Leben, hier zwischen den Feldern und Weiden der Menschen. Sie war jung, erst zweimal hatte sie den Wechsel der Regen- und Trockenzeiten gesehen, und hier würde sie alt werden: Sie würde Mais und Gras fressen und im Fluss baden und Junge bekommen und im Schatten dösen und freundlich zu den anderen Tieren sein. Wie Capybaras es sind.
Nur vor den Raubvögeln musste man sich in Acht nehmen. Wenn die auftauchten, hüpfte man besser ins Wasser und hielt nur Nase, Augen und Ohren über der Oberfläche. Und wenn Krokodile oder Schlangen im Fluss auftauchten, hüpfte man aus dem Wasser und kroch in einen der blühenden Büsche am Ufer. Manchmal bekam man rosa Blütenblätter in die Nase, dann nieste man eben und die Blütenblätter hüpften wieder aus der Nase.
Alles war einfach und schön.
Nur dass der Fluss in letzter Zeit manchmal komisch schmeckte.
„Hier, nimm noch einen Maiskolben“, sagte Bara.
Da knallte auf einmal etwas. So laut, dass Capymadre die kleinen runden Ohren vor Schreck eng an den Kopf legte.
Ein Schwarm grüner Papageien stob aus den Bäumen beim Farmhaus auf.
„Was … Was war das?“, flüsterte Capymadre mit zitternden Schnurrhaaren.
Noch ein Knall.
Und jetzt waren da Stimmen, die Stimmen der Menschen von der Farm, wütend. Und raschelnde Schritte im Mais. Dann hörte Capymadre, was sie sagten. Sie hatte gelernt, die Menschen zu verstehen, schließlich hatte sie ihr ganzes Leben in der Nähe der Farm verbracht.
„… und deshalb müssen wir diese verflixten Wasserschweine endlich loswerden! Genau wie die Pakas! Sie vernichten die ganze Ernte! Wie sollen wir genug verkaufen, wenn sie unseren Mais fressen? Und das Zuckerrohr? Wenn die neue Straße hier ist und wir die Felder vergrößern, kommen noch mehr! Es ist eine Plage! Je mehr wir pflanzen, desto mehr fressen sie! Da! Da vorn sind welche!“
Capymadre sah Bara an. Er hatte es auch gehört.
„Wir müssen weg!“, flüsterte sie – ihr Flüstern war eine Serie winziger warnender Pfeiflaute zwischen den langen Nagezähnen hindurch. Und dann flohen sie zu zweit in gestrecktem Galopp durch das schützende Feld, während es noch einmal hinter ihnen knallte … Und erreichten das Haus, dieses große eckige Ding, in dem die Menschen wohnten. Es war da, seit Capymadre denken konnte – schon als sie selbst ein Kind in einem Wurf aus anderen Kindern gewesen war und Milch bei ihrer Mutter getrunken hatte, unten am Ufer. Genauso, wie die Menschen immer da gewesen waren und sie immer ihren Mais gefressen hatten. Und das Zuckerrohr auf dem anderen Feld. Warum waren die Menschen jetzt böse auf sie?
Capymadres Geschwister waren fortgezogen, den Fluss entlang, oder jedenfalls waren sie eines Tages nicht mehr da gewesen.
Etwas direkt neben ihr knirschte und sie erschrak noch mehr. Dann sah Capymadre es. Es war klein, braun und mit hübschen Längsstreifen aus einzelnen Punkten verziert: ein Paka. Die Pakas lebten auch vom Mais, sie waren kleiner und zierlicher als die Capybaras. Dieses Paka knirschte mit den Zähnen.
„Pssst!“, machte Capymadre. „Warum machst du das?“
„Ich verjage die Angreifer“, sagte das Paka stolz. „Wir machen das immer so. Wenn wir mit den Zähnen knirschen, bekommen die Angreifer Angst und hauen ab. Eigentlich sollten wir nachtaktiv sein … Aber wir hatten Hunger … Ich tue das für meine Liebste. Sie ist noch im Maisfeld und frisst. Wir haben uns vor Kurzem vermählt. Es war sehr romantisch. Du weißt ja, wir bleiben ein Leben lang zusammen … Wir haben uns gegenseitig mit unserem Duft eingesprüht und …“
„Die Menschen haben keine Angst vor dir, du Dummkopf!“, pfiff Capymadre. „Hör auf zu knirschen und flieh!“
Und jetzt pfiff Bara laut: „Komm! Hier rein!“
Mit ein paar Sätzen war Capymadre bei ihm, duckte sich ins kühle Dunkel einer umgefallenen Metalltonne. Sie roch giftig von innen. Es war eine Flüssigkeit darin gewesen, die nicht schmeckte, als sie davon probierte. Die Autos der Menschen rochen so. Vielleicht war es Futter für Autos. Ihre Mutter hatte sie damals vor den Autos gewarnt, sie waren große Raubtiere. Sie waren blind. Bisher hatte es nur zwei Autos auf der Farm gegeben.
„Sie kommen!“, pfiff Bara ganz leise. „Totstellen!“
Sie drängten sich eng aneinander in der Tonne, ihre Herzen klopften wie eines.
Es war gut, nicht allein zu sein. Capybaras sind nicht gern allein.
„Ja, ja, sie wollen euch loswerden!“, kreischte jemand von oben. Ein Vogel. Er musste ganz in der Nähe auf einem der uralten Bäume sitzen, die den Weg zum Farmhaus säumten.
„Sie wollen die Felder noch größer machen! Sie nehmen immer mehr Land. Es wird laut werden. Eine Straße soll kommen, aus Teer. Wenig Mais lohnt nicht, es muss viel sein! Die Leute zahlen nicht mehr so viel für den Mais. Jaja. Die mit den großen, großen, groooßen Riesenfeldern verkaufen ihn billiger! Ich hab die Menschen reden hören, ich komme viel rum.“
„Was bedeutet billiger?“, fragte Capymadre und steckte den Kopf aus der Metalltonne. In den Ästen über ihnen saß ein Tukan, schwarz, mit einem riesigen gelben Schnabel.
„Wie soll man einem Capybara billiger erklären?“, rief der Tukan und lachte. „Zu schwierig, zu schwierig. Capybaras sind dumm. Kennen kein Geld. Ich komme rum. Geld ist der Untergang der Welt, jaja! Die Menschen lieben es. Ein anderer Mensch hat die Farm aufgekauft. Für Geld. Und er will mehr Mais pflanzen, um noch mehr Geld zu verdienen! Mehr, mehr, mehr! Er hat den Bauern gesagt, sie müssen die Capybaras loswerden!“ Er lachte wieder. „Jaja!“
„Wir sind nicht dumm und man muss uns nicht loswerden“, sagte Capymadre ärgerlich. „Wo soll denn noch mehr Mais hin? Es ist gar kein Platz da. Da sind die Weiden und der Fluss und der Mais und dahinter wachsen Bäume. Wollen sie den Mais auf die Bäume pflanzen?“
„Nein, nein!“, kreischte der Tukan und schüttelte sich vor Lachen. „Sie sägen die Bäume ab, du Dummerchen!“
„Wir sind nicht dumm“, pfiff Bara wütend und Capymadre nickte und stellte ihre Ohren verärgert schräg.
„Wenn ihr hierbleibt, seid ihr dumm“, sagte der Tukan. „Wenn ich ihr wäre, würde ich weggehen. Weit weg.“
„Was ist weit weg?“, fragte Capymadre. „Ist es ein Haus? Oder ein Fluss?“
Der Tukan verdrehte auf seinem Ast die Augen.
„Es ist ein Fluss woanders. Ohne Haus. Man muss viele, viele Tage wandern. Immer stromaufwärts. Bis zu den Bergen. Den Anden, wo das Land den Himmel berührt.“
„Und wenn man angekommen ist in Weitweg? Was ist dort?“
„Wald, viel Wald“, sagte der Tukan. „Ich bin darüber geflogen. Wald ohne Straßen. Ohne Autos, die einen platt machen, wenn sie über einen rasen. Ohne Menschen. Es gibt Wald hier und Wald dort und sie sägen ihn hier ab und dort ab, aber über einen bin ich geflogen, da lassen sie die Bäume in Ruhe. Dort gibt es sogar Aufpasser. Menschen-Aufpasser. Sie schützen den Wald. Vor Sägen. Vor Jägern. Vor Gift. Es ist ein Ort für Tiere und Bäume. Für Capybaras und Tukane. Für Schmetterlinge und auch für Eidechsen. Ein Ort voller Wunder.“
Capymadre wollte fragen, wie oft die Sonne auf- und untergehen musste, ehe man dort ankam. Doch in diesem Moment sah sie die Menschen aus dem Feld auftauchen, sie kamen auf die Tonne zu und sie zog rasch den Kopf ein.
„Sie sind hier!“, sagte einer der Menschen. „Haben sich irgendwo versteckt! Blöde Riesenmeerschweinchen!“
„Totstellen, totstellen, totstellen!“, flüsterte Bara.
Doch dann war er es, der rannte. Er rannte in der Tonne und die Tonne rollte los. Capymadre fiel um, wurde einmal im Kreis geschleudert und begann ebenfalls zu rennen. Jetzt rannten sie zu zweit. Die Tonne rollte wie ein Rad.
„Die Tonne!“, brüllte der Mensch. „Wieso rollt die Tonne weg?“
„Hm – Hexerei?“, fragte der andere, jüngere Mensch.
„Hexerei, Hexerei, da sind die Tiere drin!“, schrie der ältere.
Er rannte hinter der Tonne her.
„Schneller! Schneller!“, keuchte Capymadre.
Sie rannten schneller, aber es war verwirrend, in einer Tonne zu rennen, und manchmal schlug einer von ihnen aus Versehen einen Purzelbaum.
Jetzt! Jetzt ging es abwärts! Zum Fluss, die Tonne rollte zum Fluss!
Und dann war sie im Wasser, zwischen den Schwimmblättern. Bara machte einen Satz hinaus, tauchte unter, war fort. Er schwamm stromaufwärts.
Capymadre landete ebenfalls im Wasser und tauchte weg. Hier sahen die Menschen sie nicht. Stromaufwärts! Sie sah Baras kräftige Hinterfüße, sie sah die runden weißen Blasen, die er beim Tauchen machte. Sie schwamm ihm nach.
Aber da zögerte sie ganz plötzlich.
Die Jungen! Ihre vier wunderschönen Jungen! Sie warteten auf sie in ihrem Gebüsch am Ufer, in ihrem Versteck. Sie konnten Gras fressen seit dem ersten Tag, aber sie brauchten auch Milch. Ihr Mutterherz zog sich unter ihrem hellbraunen Fell schmerzhaft zusammen. Und sie drehte um. Schwamm zurück. Nur ihre Ohren, Augen und Nasenlöcher befanden sich über der Oberfläche. Sie schwamm im Schutz der grünen Blätter, die auf dem Wasser trieben und ihre Stiele unter Wasser hatten.
Ich bin nicht da, dachte sie, ich bin nur ein schwimmender toter Ast …
Es klappte. Die Menschen sahen sie nicht. Sie standen am Ufer und blickten sich um, verwundert, mit ihren Knallstöcken in der Hand. Schließlich drehten sie sich um und gingen wütend davon.
Capymadre wartete noch einen Moment, kletterte dann aus dem Fluss und tauchte in das richtige Gestrüpp.
„Capymadre, Capymadre!“, piepsten ihre Jungen. Sie machten aufgeregte, freudige Klicklaute und drängten sich an sie. „Milch! Wir wollen Milch! Wo warst du?“
„Ich war Mais fressen“, flüsterte Capymadre und legte sich auf ihre Jungen, damit sie unter ihr sicher waren. „Aber wir werden nicht länger Mais fressen. Wir werden stromaufwärts wandern. Zu einem Ort, der Weitweg heißt. Da gibt es keine Menschen mit Knallstöcken. Es wird wunderbar sein. Grün und ruhig. Der Tukan hat das gesagt.“
„Wo ist unser Vater?“, piepsten die Jungen.
„Er ist aus der Tonne gesprungen und weggeschwommen.“ Capymadres Herz wurde wieder schwer. „Ich habe ihn verloren.“ Sie begann, ihre Vorderpfoten zu putzen. „Vielleicht sehen wir ihn wieder, wenn wir stromaufwärts wandern. Aber es wird lange dauern und eure Pfoten werden müde sein. Wollen wir es trotzdem tun?“
„Ja! Ja! Ja!“, piepsten die Jungen. „Ein Abenteuer!“
Capymadre nickte. „Ein Abenteuer. Trinkt eure Milch schön aus. Dann gehen wir los.“
Taps war an diesem Tag mit seiner Mutter unterwegs.
Es war noch nicht lange her, dass er das Lager im Wald zum ersten Mal verlassen hatte, und er war immer noch aufgeregt, wenn er mit ihr durch die Gegend streifte.
Es gab so viele Gerüche, so viele Geräusche, so viel zu sehen! Sein braunes Fell mit den hübschen weißen Streifen war perfekt, um ihn zu tarnen. Seine Mutter hatte gesagt, wenn er still saß, sah er aus wie ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen.
Trotzdem war Taps nervös. Wenn es im Gebüsch raschelte, stellte er ängstlich die ovalen Ohren auf. Da! Da saß ein komisches Insekt mit Flügeln, die Augen hatten. Auf einem Ast direkt vor Taps. Er stupste es mit seinem kurzen Rüssel an und plötzlich wurde das Insekt knallblau und flog weg. Taps machte vor Schreck einen Satz in die Luft.
Seine Mutter lachte.
„Das ist ein Morpho-Falter. Nur ein Schmetterling. Du bist ein Tapir. Schmetterlinge fressen keine Tapire.“
„Aber er hat mich so komisch angeguckt!“, sagte Taps. „Mit den Augen auf seinen Flügeln!“
„Das sind nur Flecken. Komm jetzt. Da drüben gibt es bessere Blätter. Frischer. Grüner. Aber wir müssen über das gefährliche Band.“
„Das gefährliche Band?“, fragte Taps und drängte sich eng an das dunkelgraue Fell seiner Mutter. „Ist es wie eine Schlange im Wald? Ringelt es sich und umschlingt einen und beißt einen?“
„Es tut gar nichts, es liegt nur da und man geht hinüber“, erwiderte seine Mutter. „Aber wenn man stehen bleibt, kommen schnelle Dinge angerannt, die können einen platt machen.“
„Ich möchte lieber nicht platt sein“, sagte Taps.
„Gut. Dann lauf über das gefährliche Band, so rasch deine Hufe dich tragen. Das gefährliche Band ist … wie ein Fluss, den man überqueren muss. Ein harter Fluss. Es ist ein Freund der Menschen.“
„Was sind Menschen?“, fragte Taps.
„Oh, das wirst du sehen“, sagte seine Mutter. „Früher dachte ich, sie wären Bäume, die laufen könnten, weil sie hoch in den Himmel ragen. Aber sie haben keine Blätter. Dann dachte ich, es wären Tiere, aber sie können nicht so gut riechen und hören und sehen wie Tiere. Also dachte ich, sie wären Geister, weil sie Sachen machen, die niemand versteht. Zum Beispiel bauen sie sich Felsen zum Wohnen, in denen es hell ist, wenn es draußen dunkel wird. Und manchmal reden sie mit kleinen flachen Hölzern. Und dann kommt eine Stimme aus dem Holz.“
„Haben die Menschen Rüssel? Und Hufe?“
Taps‘ Mutter schüttelte den Kopf. „Nein. Sie sind nicht besonders schön. Ihre Nasen sind ganz klein und schmal und sie können damit nicht greifen wie wir.“
Sie griff mit ihrem Rüssel eine Handvoll Blätter und schob sie sich in den Mund.
„Wirklich, die Blätter auf der anderen Seite von dem Band sind leckerer für Tapire. Komm!“
Taps trippelte ihr auf seinen kleinen Hufen nach und dann sah er das gefährliche Band. Es war aus platt getretener Erde und sah aus wie eine riesige Schlange. Seine Mutter hatte gerade einen Huf daraufgesetzt, da dröhnte etwas ohrenbetäubend Lautes heran. Etwas Riesengroßes. Ein Monster. Es spuckte graue Steine in einer Staubwolke aus. Kleine Steine, die irgendwie aneinanderklebten. Das ganze Band hinter dem Monster war schon mit Steinmasse bedeckt, die furchtbar stank und in der Sonne glänzte. Taps rümpfte seinen Rüssel und versuchte, seine großen Nasenlöcher zuzuklappen, aber das funktionierte nicht.
„Das ist Asphalt!“, rief Taps‘ Mutter gegen den Lärm an. „Sie machen das auf das gefährliche Band, damit es glatter wird.“
Aber sie machten das Band nicht nur glatt, Taps sah es auf Anhieb.
„Sie machen es auch breiter!“, rief er.
„Waaas?“, rief seine Mutter. Sie wedelte mit den hübschen grauen Ohren, doch es war einfach zu laut. Und dann kam das Laute auf sie zu. Taps‘ Mutter rannte los, überquerte das Band direkt vor der Maschine. Taps wollte ihr nachrennen, doch er konnte nicht. Das gefährliche Band war zu gefährlich und die Brüllmaschine zu brüllig. Er machte kehrt und duckte sich in ein Gebüsch. Dort kauerte er mit klopfendem Herzen, schloss die Augen und sagte zu sich selbst: „Ich bin ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen, ich bin ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen. Niemand kann mich sehen.“
Nach einer Ewigkeit war die Brüllmaschine weg.
Taps kam aus seinem Versteck. Das gefährliche Band war jetzt ganz glatt. Er wollte hinübergehen, aber als er einen Huf daraufsetzte, sank er in die klebrige Masse ein. Sie war noch nicht getrocknet. Rasch zog er den Huf zurück und sagte: „Igitt!“
Es stank wirklich fürchterlich.
„Mama?“, fragte er. Rief lauter: „Mamaaaaaa?“
Doch von der anderen Seite kam keine Antwort. Taps lief an dem gefährlichen Band entlang, aber da, wo es zu Ende war, stand noch immer die Brüllmaschine. Eine Menge Menschen hatten sich dort versammelt und sie machten Lärm.
Einer entdeckte Taps und zeigte auf ihn. Dann rannten zwei auf ihn zu.
Taps machte kehrt und raste zurück ins Unterholz, versteckte sich wieder, tief, tief im Grün und kniff die Augen zu. „Ich bin ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen …“
„Was erzählst du da für einen Mist?“, fragte jemand und da öffnete Taps die Augen wieder.
Über ihm, auf einem Ast, wippte ein großer schwarzer Vogel auf und ab. Sein Schnabel war gelb und riesig, wie eine überdimensionale Banane oder wie der Mond. „Ich bin ein Tukan“, sagte der Vogel stolz. „Und ich komme eine Menge rum. Was macht ein kleines Tapir-Kind allein hier draußen?“
„Ich bin ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen“, sagte Taps – zitternd, aber trotzig. „Und du kannst mich nicht fressen.“
„Ich fresse keine Tapire. Übrigens – die Menschen sind weg. Du kannst wieder rauskommen.“
Taps steckte nur seinen Kopf aus dem Gebüsch, mehr nicht. „Man weiß ja nie“, sagte er. „Ich bin zwar ein Stück Wald …“
„Sei froh, dass du kein Stück Wald bist“, sagte der Tukan. „Dieses Stück Wald hier wird morgen abgeholzt. Die Sonnenstrahlen werden nichts mehr haben, worin sie sich verstecken können.“
„Aber wo sollen wir dann wohnen?“, fragte Taps. „Es ist sowieso nicht viel davon da. Das bisschen können sie doch nicht wegnehmen.“
„Oh, sie können, sie können. Die Menschen sind mächtig. Und es sind so viele. Werden immer mehr! Da bleibt nichts mehr übrig für die Vögel und die Tapire.“
„Ich bin kein Tapir. Ich bin ein Stück Wald mit Sonnenstrahlen.“
„Kleiner Wald, du solltest dir lieber einen großen Wald suchen, in dem du dich verstecken kannst“, sagte der Tukan. „Flussaufwärts, weit weg, gibt es einen Wald, der ist groß und ganz. Den durchschneiden keine Menschenstraßen. Da gibt es noch genug Platz für alle Tiere. Da pflanzen sie keinen Mais und kein Zuckerrohr. Da wachsen nur Bäume.“
„Mit leckeren Blättern?“, wollte Taps wissen.
„Ja“, sagte der Tukan. „Du könntest hingehen. Aber ich weiß nicht, ob deine kleinen Hufe dich so weit tragen.“
„Ich gehe mit meiner Mutter hin. Kannst du hochfliegen und nachsehen, wo sie ist?“
Der Tukan breitete seine Flügel aus. Dann stieg er in den warmen Himmel auf und schließlich kehrte er zurück und schüttelte den Kopf.
„Da ist kein Tapir beim Farmhaus und auch nicht in den Feldern. Ich weiß nicht, wo deine Mutter ist. Es war alles sehr laut und chaotisch vorhin, mit den Maschinen. Vielleicht … ist sie … verloren gegangen.“
„Nein! Ich weiß, wo sie ist!“, rief Taps und hopste mit allen vier Hufen gleichzeitig hoch. „Sie ist flussaufwärts geschwommen! Sie hat sich auf den Weg gemacht zu dem Wald, in dem alles noch so ist, wie es sein soll! Von dem du erzählt hast! Da ist sie! Sie denkt sicher, ich folge ihr!“
„Ich weiß nicht …“ Der Tukan klang auf einmal traurig.
Aber Taps war kein bisschen traurig und für den Moment fühlte er sich nicht mal ängstlich oder nervös. „Ich werde sie stolz machen“, erklärte er entschlossen. „Ich gehe zum Fluss und schwimme los. Ich finde den Ort, an dem alles ist, wie es sein soll. Und wenn es tausend Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge dauert, ich hole meine Mama ein.“
„Ja, tu das“, sagte der Tukan. „Tu das nur, kleiner Wald. Und verlier nie deinen Mut und deine Sonnenstrahlen.“ Damit flog er auf und der kleine gestreifte Tapir hoppelte ganz allein in Richtung Fluss.
„Und wenn du ein paar dumme Capybaras siehst, dann pass auf sie auf!“, kreischte der Tukan. Doch das hörte Taps schon nicht mehr.
Am anderen Ufer des Flusses – ungesehen, ungehört und unbemerkt von allen Tapiren, Capybaras oder Tukanen – glitt ein schwärzlich grüner Schatten ins Wasser und schwamm ebenfalls stromaufwärts. Ein schwärzlich grüner Schatten mit einem langen, schuppigen Körper, einem kräftigen Schwanz und starken Krallen. Und mit einem Maul voll spitzer Zähne.
Eigentlich hätte der Schatten den Tag im Schatten verschlafen sollen, reglos, und erst nachts auf die Jagd gehen. Aber etwas war geschehen: Der Schatten hatte Dinge gehört, Dinge gesehen. Zum Beispiel ein paar flauschige Capybara-Kinder. Und einen kleinen braunen Tapir mit netten weißen Streifen und Flecken an den Beinen. Und so glitt der Schatten tiefer ins Wasser.
Voller Erwartungen.
Er hatte jetzt ein Ziel.
„Los jetzt! Kommt weiter!“
Capymadre drängelte schon eine ganze Weile.
„Aber wir spielen so schön!“, rief Ca. Er war zehn Minuten älter als sein Bruder Py, die Jüngsten waren Ba und Ra, zwei Mädchen. Ca, Py, Ba und Ra.
Capybaras sind nicht für ihren Einfallsreichtum bekannt, was Namen betrifft.
Im Moment saßen alle vier auf einem Ast, der über den Fluss hinausragte, und wippten darauf.
„Höher! Höher!“, rief Ra, die Jüngste und Kleinste. „Höher – uiiiiiii!“