Das Geheimnis der 13 Stufen - Frank Hajo Hauswald - E-Book

Das Geheimnis der 13 Stufen E-Book

Frank Hajo Hauswald

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Beschreibung

Das Geheimnis der 13 Stufen - Projekt Dora - Es ist der erste Tag der großen Ferien. Wunderbar! Nur Finn, Jule und Kalle sitzen mit hängenden Köpfen um den Dorfbrunnen herum - ihr bester Freund, der schrullige "Alte Fritz" ist nicht mehr da. »Passt mir auf mein Haus auf, und dass mir niemand auf den Dachboden geht!«, hatte er sie eine Woche vor seinem plötzlichen Ableben noch beschworen. Zu allem Übel taucht am Dorfbrunnen die berüchtigte Lemmerbande auf - es riecht nach Ärger! Aber was ist das? Kann der schwarze Vogel auf Babsies Schulter etwa jene "Dora" sein, von der der "Alte Fritz" erzählt hatte? Ein spannendes und unfassbares Abenteuer um ein Geheimnis aus einer anderen Welt beginnt ... Band 1 ist der Auftakt zu einer mehrteiligen Buchreihe, in der jeder Band in sich abgeschlossen ist. Lesealter: 8 - 11 Jahre Eine phantasievolle Geschichte über Mut, Freundschaft und Zusammenhalt. Mit Illustrationen vom Autor. Lesermeinungen: - "Ein mit viel Gefühl, Witz und Phantasie geschriebenes, berührendes Buch, mit einzigartigen Figuren, über Freundschaft, Zusammenhalt und einer Überraschung am Ende." - "Dora ist voll cool!"

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Seitenzahl: 159

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Dora

Jonathans Geburtstag

»Projekt Dora«

Die 26'ste Stufe

Das Testament

Das geheime Buch

Der verflixte Besuch

Auf dem Dachboden

Die erste Begegnung

Edward

Noch mehr Bewohner

Der nächste Morgen

Fips im Krankenhaus

Die Zeit wird knapp

In der Schule

Die Lemmers kreuzen auf

Carola

Jonathan

Beim Tierarzt

Die Rettung

Im Haus des Alten Fritz

Nachwort des Autors

Auf ins Abentener mit ...

... dem ruhigen Finn, der sich oft nicht traut und heimlich für Jule schwärmt …

… der aufgeweckten

Jule, die Tiere mag, …

außer natürlich

SPINNEN …

… dem witzigen Kalle, der Meister im Rülpsen ist …

… und Carola Siebenbein, die genau wie Finn, für Jule schwärmt!

Im Haus des Alten Fritz geht Seltsames vor!

In jeder Nacht – wenn alle schlafen – wandert ein leises Klack Klack Klack über die Dielen vom Dachboden. Mal klackt es nur kurz, dann wieder lang und mehrmals hintereinander. Es ist Carola Siebenbein, die ihre Runde macht …

Carola hat nur sieben Beine, das achte ist aus Holz. Immer sonntags sieht man sie mit Zipfelhut und nigelnagelneuen Schuhen übers Wohnzimmerparkett des "Alten Fritz" flanieren.

Das war nicht immer so!

Früher nahmen die Menschen Reiß aus bei ihrem Anblick. Kreischend sprangen sie auf Tische und Bänke und traurig zog sie sich dann in ihre Ecke zurück. Niemand erkannte ja das freundliche Gesicht mit den zwei glitzernden schwarzen Perlenaugen, das hinter der großen Lesebrille verborgen lag. Bis sie eines Tages auf Finn, Jule und Kalle traf – eine außergewöhnliche Freundschaft war geboren.

Gemeinsam stolperten sie in das wohl spannendste und unglaublichste Abenteuer ihres Lebens. Ein Abenteuer, das mit jedem Tag gefährlicher wurde, und das noch immer nicht zu Ende ist!

Aber fangen wir an der Stelle an, wo alles seinen Anfang nahm …

DORA

Angefangen hatte eigentlich alles mit Dora!

Als an diesem Morgen die Sonne über der kleinen Stadt Rönnewert aufging, lagen die meisten der schulpflichtigen Kinder noch in ihren Betten. Und das nicht ohne Grund. Denn es war der erste Tag der großen Ferien und statt Mathe und Diktat zu pauken, kuschelte man sich zufrieden in sein Bettzeug zurück. Ganz anders Finn, Jule und Kalle. Sie hatten ihren Wecker extra eine Stunde vorgestellt! Pünktlich um halb sechs rasselte das blecherne Monster los und wetteiferte mit dem stolzen Kikeriki von Bauer Hansens' Hahn. Raus aus dem Schlafanzug, rein in die Klamotten, schnell ein Toast rechts und links in die Backen geschoben, ein Glas Milch obendrauf und dann fix aufs Fahrrad geschwungen …

Die Luft war noch so kalt, dass man eine Entenpelle bekam, wenn man die steilen Gassen von Rönnewert ungebremst hinuntersauste. Dennoch war es ein Erfolg, dass man sich gegen den Willen seiner Mutter durchgesetzt hatte und nur ein dünnes T-Shirt trug. Ein Unterhemd oder gar eine Jacke hätten nur dazu geführt, dass man sich vor den anderen Kindern hätte rechtfertigen müssen … und das jetzt, wo doch schon Mitte Juni war!

Kalle, ein Scherzkeks mit strammen Waden und Sommersprossen, hatte da seine eigene Strategie entwickelt. Er trug eigentlich immer das, was die anderen Kinder gerade nicht trugen. Ob es den anderen egal war, oder ob sie sich damit abgefunden hatten – wer wusste das schon. Jedenfalls ließen sie ihn in Ruhe damit. Und wenn sein Freund Finn ihn mitleidig belächelte, weil er mitten im Sommer seine mit Lammfell ausgeschlagene Lieblings-Fliegermütze aufgesetzt hatte, oder Finn so laut über ihn lachte, dass man es im Nachbarort Trönsden hätte hören können, so war ihm auch das egal. Denn schließlich war Finn nicht nur sein Freund, sondern sein aller allerbester Freund …, und beste Freunde durften das! Genau wie Jule, die durfte das auch. Denn erstens war sie seine Zwillingsschwester und zweitens ein Mädchen.

Nach drei Runden um den Dorfbrunnen herum, lugten also unter Kalles Fell-Fliegermütze erste Schweißtropfen hervor – sein Kopf war von der aufgehenden knallroten Sonne kaum mehr zu unterscheiden gewesen. Ganz anders Finn und Jule. Ihre Zähne klapperten noch immer wie die von einem Gerippe. Sogar ihre Lippen schimmerten blau, geradeso wie die Schenkel tiefgefrorener Brathähnchen.

Die Kirchturmuhr schlug sechs Mal hintereinander und pünktlich kamen alle Drei zur ersten Tagesbesprechung am Brunnen zusammen.

Kalle, der eigentlich Karl-Heinz hieß – aber wer wollte schon Karl-Heinz heißen – lümmelte gelangweilt mit dem Po auf dem Gepäckträger seines Mountainbikes herum. Finn und Jule hockten auf den Stufen vor dem Brunnen, immer darauf bedacht, ausreichend Platz zwischen sich zu lassen. Zwar war die Sympathie, die sie füreinander hegten, für alle Kinder in Rönnewert kein Geheimnis mehr, aber Jule hatte für einen gerade zwölfjährigen Jungen einen entscheidenden Fehler: Sie war ein Mädchen! Mit ihren langen schwarzen Haaren und ihrem modischen Outfit bei den Jungen in seiner Klasse zwar durchaus in der engeren Wahl – aber eben ein Mädchen. Dennoch …, irgendwann würde er ihr sagen, dass er sie im roten Faltenrock richtig hübsch fand …

Finn, der zwar schmächtig, aber immerhin eine Handbreit größer als sein bester Freund Kalle war, saß mit dem Kopf in den Händen gestützt. Amüsiert betrachtete er den in der Fliegermütze steckenden knallroten Kopf. Kalle grinste nur und rutschte weiter auf dem Gepäckträger seines Fahrrads herum, als hätte er Ameisen in seinem Hintern.

»Boah, was schwitzt du!«, spitzelte Finn ihm zu.

»Echt?«, gab Kalle begeistert zurück. Dann folgte ein langgezogenes Cool, was er bei allen möglichen Gelegenheiten zu sagen pflegte.

Die kühle Morgenluft war wunderbar. Sie roch und schmeckte, so wie sie es eigentlich nur am ersten Tag der Ferien tat. Hier und da flitzten inzwischen auch andere Kinder auf ihren Rädern durch die engen Gassen Rönnewerts. Finn, Jule und Kalle waren also nicht die Einzigen, die sich für die zweite Möglichkeit entschieden und den Wecker vorgestellt hatten.

Wenn die Drei jetzt aber eines nicht gebrauchen konnten, dann waren das die Mitglieder der Lemmerbande. Lemmerbande deshalb, weil Fips und Babsie mit Nachnamen Lemmer hießen und neu in der Stadt waren. Sie kamen aus Berlin und waren es gewohnt, in kurzer Zeit eine ganze Armee um sich zu versammeln. Keiner wusste, ob sie besonders reich oder besonders arm, oder berühmt oder sonst irgendetwas Außergewöhnliches waren. Auch hatte sich noch niemand mit ihnen angelegt, dass man hätte beurteilen können, ob sie stark waren oder vielleicht Karate konnten. Jedenfalls waren sie innerhalb kürzester Zeit zu den Anführern einer Bande von Jungen und Mädchen geworden, mit denen man früher sogar selbst gespielt hatte.

Fips und Babsie fuhren in aufreizender Nähe und in immer enger werdenden Kreisen um den Brunnen herum. Ihre Nasen ragten dabei so weit in die Höhe, dass sich ihre Nasenlöcher wie Höhleneingänge gegen den Himmel abzeichneten.

»Ist die ausgestopft oder ist die echt?«, presste Jule so geschickt unauffällig durch ihre Lippen hindurch, wie es nur Mädchen konnten.

»Was? – Wer?«, stotterte Kalle und erntete sogleich einen vorwurfsvollen Blick von seiner Schwester, garniert mit ihrem Ellbogen zwischen seine Rippen.

»Na da …, der Vogel auf Babsies Schulter?«

Jetzt hatten auch Kalle und Finn das Tier auf Babsies Schulter entdeckt.

»Kann die nicht mehr fliegen?«, fragte Finn frei heraus; er hatte Mitleid mit dem Vogel.

Ein langgezogenes doooch war die Antwort, und die beiden schienen jeden einzelnen Buchstaben davon auszukosten. Man sah ihren verschmitzten Gesichtern förmlich an, dass sie ihr Ziel erreicht hatten und nun darauf drängten, den Ort des Geschehens ebenso aufreizend zu verlassen, wie sie gekommen waren. Sie hatten die Lunte gelegt und das Feuer entfacht. Alles andere würde sich schon von selbst ergeben.

So dachten sie jedenfalls!

Finn, Kalle und Jule nämlich sahen die Silhouette des schwarzen Vogels am Horizont verschwinden, und ein heiseres Kraaack Kraaack hallte aus der Ferne zurück …, so als würde es nach ihnen rufen.

Verwirrt starrten sie sich gegenseitig an.

»Dora?«, flüsterten sie einander zu …

Dora war schwarz, konnte fliegen und hatte zu ihnen "gesprochen"! Sollte dies etwa schon der Tag sein, von dem der Alte Fritz ihnen erzählt hatte?

Kalle sprang vom Fahrrad auf und ruckelte seinen Hintern in die Lücke zwischen seiner Schwester und Finn.

Jule rollte mit den Augen. Schnaubend wechselte sie den Platz auf den Stufen nach rechts … direkt neben Finn. Der Abstand zu ihm war jetzt deutlich geringer geworden. Zufrieden lächelte sie in sich hinein …

Der Alte Fritz gehörte zu dem Haus, das auf der Grenze zwischen Rönnewert und Trönsden stand und eigentlich zum Niemandsland gehörte. Jedermann wusste, dass er ganz allein dort wohnte und auch, dass sich niemand um ihn kümmerte. Aber niemanden störte das. Man erzählte sich die seltsamsten Dinge über ihn, aber auch das berührte eigentlich niemanden ernsthaft.

Manchmal, wenn sonntags die Leute in den Wäldern und Wiesen spazieren gingen, schauten sie zu seinem Haus hinüber und glaubten, ihn vor den Fenstern patrouillieren zu sehen. Manche sprachen ihm sogar eine Uniform mit Pickelhaube und blinkendem Säbel zu und nannten ihn fortan den "Alten Fritz".

Finn, Jule und Kalle aber … sie wussten es besser. Zwar hatte man ihnen geraten, sich vom besagten Haus fernzuhalten, regelrecht verboten hatte man es ihnen aber auch nicht.

Zumindest hatte Kalle eines Tages mit seiner Schleuder den Wetterhahn auf dem Dachfirst getroffen und dabei eine Taube aufgeschreckt, die sich just im Laken verfing, das vor dem Haus im Wind flatterte. Die nur provisorisch zwischen Dachrinne und einem umgekehrt in die Erde gesteckten Besen gespannte Wäscheleine krachte mit lautem Getöse ins Frühbeet mit den Tomaten. Der Lärm hatte den Alten Fritz aus seinem Mittagsschlaf aufgeschreckt. In blauer Uniform und mit Pickelhaube und Säbel ausgestattet, stand er plötzlich vor ihm. Kalle musste die Augen zusammenkneifen, weil sich die Sonne in den blankgeputzten Knöpfen spiegelte. Ein zaghaftes Cool wagte sich über seine Lippen.

Nun, das mit dem Wetterhahn lag nun schon zwei Jahre zurück, und der Alte Fritz war den Dreien nicht nur zum Freund, sondern zu einem Teil ihres Lebens geworden. Fast kein Tag war seitdem mehr vergangen, wo sie ihn nicht in seinem Haus besucht hatten. Hier waren die Räume so groß, dass man Fußball darin spielen konnte. Und beim Verstecken kam es nicht selten vor, dass man sich erst am nächsten Morgen wiedergefunden hatte.

Die Stufen zu den Zimmern im oberen Stock ächzten unter jedem Schritt, und wenn man sich einmal verzählt hatte, musste man wieder von ganz unten beginnen. Warum, fragt ihr? Ganz einfach, damit man sich nicht die Beine brach! Denn die fünfte, zwölfte und die einundzwanzigste Stufe waren lediglich aus Pappe gemacht und täuschend echt angemalt. Der Alte Fritz meinte, man könne nie vorsichtig genug sein. Mit ernster Miene und ausgestrecktem Zeigefinger deutete er dann auf die noch fehlenden Stufen hin, die bis ganz nach oben … auf den Dachboden führten. Niemand traute sich, die noch fehlenden dreizehn Stufen von Nummer siebenundundzwanzig bis zur Nummer neununddreißig zu betreten, denn wann immer einer auch nur in die Nähe der sechsundzwanzigsten Stufe kam, verfinsterte sich sein Gesicht, dass man direkt Angst bekommen konnte.

Am Brunnen rückten Finn, Jule und Kalle auf den Stufen am Brunnen noch näher zusammen. Unbewusst! Wer sie jetzt hätte sehen können, hätte nicht geglaubt, dass dies ihr erster Tag der großen Ferien war. Traurig waren sie, und das durften sie auch sein, weil sie wieder an den Alten Fritz erinnert worden waren.

Vor nicht einmal einer Woche hatte man ihn in aller Stille auf dem Friedhof von Rönnewert beerdigt, weil sein Herz zu schwach gewesen war. Nur die Drei wussten ja, was für ein netter und freundlicher Mensch in dem einsamen Haus zwischen Rönnewert und Trönsden gelebt hatte.

Jetzt aber, auf den Stufen am Brunnen, waren sie wieder allein. Keiner hatte rechte Lust, das Haus mit den vielen Verstecken und meterhohen Räumen noch einmal zu betreten. Aber … genau das … war ja das Problem!

»Passt mir auf das Haus auf«, hatte der Alte Fritz noch eine Woche vor seinem Tode zu ihnen gesagt. »Tragt Sorge dafür, dass meinem Wunsch entsprochen wird und das Haus in Ruhe gelassen wird! Aber haltet euch von den dreizehn Stufen fern! – Niemand geht mir auf den Dachboden! – Niemals! – Versprecht es mir!«

Dann hatte er seine Arme um sie gelegt und alle Drei beschworen: »Eines Tages wird sie zu euch kommen. Sie wird sich Dora nennen und ganz in schwarz gekleidet sein. Sie wird vorausfliegen und zu euch sprechen. Sie wird euch sagen, wo ihr das Buch finden könnt. Aber hütet euch davor, ohne sie zu gehen, und haltet euch vom Dachboden fern! Ihr würdet doch nichts verstehen!«

WOW! Das war ein Hammer! Wie sollten Kinder in ihrem Alter Sorge dafür tragen, dass ein bei Pfarrer Nolte hinterlegtes Testament auch tatsächlich beachtet wurde? Und was war mit dieser Dora? In schwarz gekleidet und vorausfliegend sollte sie ihnen verraten, wo das Buch zu finden sei? War sie vielleicht eine Hexe oder so etwas Ähnliches? Und was für ein Buch hatte der Alte Fritz gemeint?

Finn sprang von den Stufen auf, so als hätte eine Wespe ihn in den Po gestochen. Seine Arme wirbelten durcheinander, bis schließlich einer davon in Richtung Horizont zeigte:

»Wenn das nicht eben Dora war, dann will ich ab morgen zur Lemmerbande gehören!«, fuhr er seine Freunde an. »Sie war schwarz, konnte fliegen und hat zu uns gesprochen!«

»Du meinst dieses Kraaack Kraaack?«, fragte Kalle ungläubig, während er sich mit einer Hand im Nacken kratzte.

»Genau das meine ich. Sie hat gesprochen!«

»Du hast recht, Finn, sie ist Dora!«, pflichtete Jule ihm bei. Auch sie war jetzt von den Stufen aufgesprungen.

»Cool«, kam es aus der Fliegermütze.

Wollte man den Alten Fritz aber nicht enttäuschen, durfte nun keine Zeit mehr verplempert werden. Zunächst musste Dora aus den Fängen der Lemmerbande befreit, und dann das besagte Buch gefunden werden. Dies alles erforderte natürlich eine Planung, die auch winzigste Kleinigkeiten berücksichtigte und nicht mal so eben auf dem Fahrrad sitzend besprochen werden konnte. Man entschied sich, den Kriegsrat auf den Nachmittag zu vertagen, denn da war man zum Geburtstag bei Jonathan eingeladen. Jonathan gehörte zwar nicht zum engeren Kreise vom Projekt Dora – wie die Drei ihr Vorhaben ab sofort nannten – aber Jonathan beherrschte als einziger der Straße den Kickflip Mac Twist auf seinem Skateboard, und das mehrmals hintereinander, ohne hinzufallen! Es war also ganz gut – wenn man den Kickflip Mac Twist schon nicht selber konnte – wenigstens mit jemanden befreundet zu sein, der ihn beherrschte. Denn das zählte beinahe genau so viel!

Finn, Jule und Kalle flitzten zum zweiten Mal an diesem Morgen mit ihren Rädern durch die steilen Gassen von Rönnewert. Die Füße von den Pedalen genommen, die Beine abgespreizt, holten sie immer wieder neuen Schwung. Ihre Trauer über den Alten Fritz war für den Moment verflogen. Sie hatten wieder ein Ziel, welches es für Alten Fritz zu erreichen galt!

Die Sonne stieg höher und höher, und – anders, wie noch eine Stunde zuvor –, kühlte der Fahrtwind nun angenehm auf der Haut. Jetzt konnten die Ferien so richtig beginnen. Noch ahnten sie ja nicht, dass sie geradewegs in das spannendste und unglaublichste Abenteuer ihres Lebens hineinfuhren …

JONATHANS GEBURTSTAG

Ein Kindergeburtstag ist doch was Feines!

Erst recht, wenn er mit dem ersten Tag der großen Ferien zusammenfällt. Die vielen Torten mit Schokostreuseln und Sahnehäubchen oben drauf, Säften aus frischem Obst, eisgekühlt, und Cola und Eiscreme natürlich. Und das alles ohne Maßregelungen der Eltern. Und in solchen Mengen, dass einem ganz schwindlig werden konnte. Dann natürlich die platzenden Luftballons im Rücken der kreischenden Mädchen, und nicht zu vergessen … reichlich Pommes Frites. Rechts und links ein Stäbchen davon in die Nasenlöcher geschoben, und schon schnaubten und grunzten die Jungen wie tonnenschwere Walrösser um die Wette …

Im Hause der Meisers wusste man allerdings nie so genau, welche Verrücktheit einen erwartete, was weniger an deren Kindern Jonathan und Maja, als vielmehr an deren Vater lag – mit seinen fünfundvierzig Jahren spürte der noch immer den kindlichen Schalk im Nacken.

Jonathan lief im Wohnzimmer auf und ab. Schon den ganzen Tag war er aufgeregt gewesen, denn heute – an seinem zwölften Geburtstag – sollte er sein neues Skateboard bekommen. Nicht nur ein neues Board, sondern eines mit Originalunterschrift von Skateboard-Legende Titus, der unter Skatern quasi sowas wie der Papst für die Katholiken war.

Kaum, dass Finn geklingelt hatte, sorgte der Schriftzug – den eh keiner entziffern konnte – auch schon für ausreichend Gesprächsstoff. Das konnte ja lustig werden für all jene, die am "Skaten" weniger interessiert waren.

Im Hintergrund verriet ein langgezogenes Cool, dass Kalle auch bereits eingetroffen war. Finn blieb einen Moment im Türrahmen stehen. Unauffällig und geschickt wie eine Eule, drehte er seinen Kopf … nach rechts, nach links – Jule konnte nicht weit sein …

Unterdessen hatte Jonathans Vater in der Küche eine Schnur vom Regal mit dem Geschirr bis hin zur Kuckucksuhr gespannt. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er am dünnen Faden, schnalzte mit der Zunge und schien zufrieden. Dann rollte er Lakritz-Schnecken aus und zog sie in der Mitte noch einmal auseinander, sodass er die doppelte Länge an Lakritz-Schnüren erhielt. Er zelebrierte das, man musste direkt Angst haben, er würde sich ein Stück seiner Zunge abbeißen, so weit lugte sie zwischen seinen Lippen hervor. Dann wühlte er im Karton mit den Süßigkeiten und befestigte mal einen Schokoriegel, mal eine Waffel oder eine sonstige Leckerei mit Hilfe der eben hergestellten Lakritz-Schnüre daran.

»Was soll das werden?«, fragte Kalle neugierig geworden.

»Das Spiel nennt sich "Abbeißen" …«, verkündete Jonathans Vater stolz in den Halbkreis großer fiebernder Augen.

»… und stammt aus den späten Siebzigern«, vollendete Maja seinen Satz. Ihrem gelangweilten Gesichtsausdruck nach, hatte sie das Spiel schon öfters spielen müssen.

Kalle war der erste, der mit verbundenen Augen und mit auf den Rücken gefesselten Händen an den Schokoriegel herangeführt wurde. Schnaufend und mit heraushängender Zunge bearbeitete er das Objekt der Begierde, bis einer der Jungen brüllte : »He, sabber doch nicht an der Schokolade rum, beiß lieber die Lakritz-Schnur durch!«

Vater Meiser lehnte sich begeistert zurück und zog ein solch breites Grinsen auf, dass vier der besagten Riegel darin Platz gefunden hätten.

Kalles Zunge kriegte die Lakritz-Schnur zu fassen, und schließlich war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Schokoriegel ihm gehören würde.

Aber es kam anders!

Mit ohrenbetäubendem Gekreische kniete Kalle plötzlich unter der Schnur und ruderte wild mit den Armen. Seine Zahnspange hatte sich in der Schnur derart verfangen, dass es kein Entrinnen mehr gab.

»Halte aus, halte aus!«, schrie Herr Meiser durchs ganze Haus. »Ich hole Hilfe!«

Bis die Hilfe in Gestalt von Frau Meiser endlich eingetroffen war, hatte sich die Lage bereits von selbst entschärft. Kalle hockte mit blutendem Zahnfleisch zwischen den Süßigkeiten, die mittlerweile auf der Erde verstreut lagen. Was kein Wunder war, denn das Regal mit dem Geschirr hatte Kalles panischem Gezerre nicht länger standhalten können. Ebenso wie die Kuckucksuhr an der Wand gegenüber; Kuckuck, Kuckuck tönte es inmitten der verstreut liegenden Porzellanscherben.

»Cooles Spiel!«, brachte Kalle mit letzter Kraft hervor, während er Frau Meiser ins Bad folgte, um sich einen Druckverband anlegen zu lassen.