Das Geheimnis von Shambhala - James Redfield - E-Book

Das Geheimnis von Shambhala E-Book

James Redfield

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Beschreibung

Die spannende Fortsetzung von Redfields großem Kultbuch der Jahrtausenwende! In einem verborgenen Tal des Himalaja soll sich das mythische Reich Shambhala verbergen. Dort werden die höchsten spirituellen Geheimnisse der Menschheit gehütet, bis wir bereit sind für den Sprung auf eine neue Ebene der Existenz... Wieder einmal nimmt Redfields namenloser Protagonist die Leser mit auf eine abenteuerliche Entdeckungsreise, die auch ins eigene Innere führt. Verfolgt vom chinesischen Geheimdienst, gelingt es ihm immer wieder, in den Bergen Tibets Freunde und Helfer für seine Suche zu finden. Bis er erkennen muss, dass Shambhala nur zu finden ist, wenn er sein eigenes Bewusstsein verändert. Und mit dem Geheimnis Shambhalas enthüllt sich ihm schließlich auch seine eigene spirituelle Aufgabe in der Welt.

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Der Autor

James Redfield studierte Soziologie und arbeitete 15 Jahre lang als Therapeut in der Jugendarbeit. Seit über 10 Jahren leitet er Arbeitsgruppen, die sich mit der Veränderung des menschlichen Bewußtseins zu Beginn des nächsten Jahrtausends befassen. Aus dieser Arbeit entstand sein internationaler Bestseller „Die Prophezeiungen von Celestine“, der weltweit in über acht Millionen Exemplaren verkauft wurde. James Redfield lebt und arbeitet in Florida. Als Autor und Herausgeber der Monatszeitschrift Celestine Journal ist er weiter an der Formung der neuen spirituellen Kultur beteiligt.

Von James Redfield sind in unserem Haus erschienen:

Rückkehr nach Celestine (Allegria)Die Prophezeiungen von Celestine Die Prophezeiungen von Celestine (CD) Die Prophezeiungen von Celestine (DVD) Die Celestine Meditationen Die zwölfte Prophezeiung von Celestine Die zehnte Prophezeiung von Celestine Das Geheimnis von Shambhala

Die Vision von Celestine Die Erkenntnise von Celestine Das Handbuch der zehnten Prophezeiung von Celestine

Gott und die Evolution des Universum

James Redfield

Das Geheimnis von Shambhala

Das dritte Buch von Celestine

Aus dem Amerikanischen von Thomas Görden und Renate Schilling

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-taschenbuch.de Allegria im Ullstein Taschenbuch Herausgegeben von Michael Görden Aus dem Amerikanischen von Thomas Görden und Renate Schilling Titel des Originalausgabe THE SECRET OF SHAMBHALA Erschienen bei Warner Books, Inc., New York, NY

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigungen, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ullstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage August 2004 7. Auflage 2012 © der deutschen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004 © der deutschsprachigen Ausgabe 1999 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München © der Originalausgabe 1999 by James Redfield Umschlaggestaltung: FranklDesign, München Titelabbildung: Warner Books, New York E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-8437-0819-7

Widmung

Für Megan und Kelly, deren Generation sich bewusst entwickeln muss

Vorbemerkung des Autors

Als ich »Die Prophezeiungen von Celestine« und »Die zehnte Prophezeiung von Celestine« schrieb, war ich überzeugt davon, dass die menschliche Gesellschaft dabei ist, sich durch eine Reihe von Erkenntnissen über das Leben und die Spiritualität zu entwickeln, Erkenntnissen, die beschrieben und dokumentiert werden können. Alles, was seither geschehen ist, hat diese Überzeugung nur bestätigt und bestärkt.

Wir sind dabei, uns eines spirituellen Prozesses bewusst zu werden, der sich hinter unserem vordergründigen Leben abspielt. Dabei lassen wir die materialistische Weltsicht hinter uns, die das Leben auf eine Frage des Überlebens reduziert, Spiritualität auf Sonntagsandachten beschränkt und zahlreiche Ablenkungen oder Spielzeuge bereitstellt, um das wahre Wunder des Lebens vor uns zu verschleiern.

Worauf wir uns statt dessen zubewegen, ist ein Leben voller geheimnisvoller Fügungen und Intuitionen, die uns unseren besonderen Pfad in dieser Welt zeigen und uns zu bestimmten Informationen und Kenntnissen führen – so als würde ein uns vorbestimmtes Schicksal nach und nach ans Licht drängen. Diese Art von Leben ist wie ein Detektivroman mit uns selbst im Zentrum, und die Spuren und Hinweise führen uns schließlich zu einer Erkenntnis nach der anderen.

Wir entdecken, dass eine reale Erfahrung des Göttlichen in uns auf uns wartet, und wenn wir diese Verbindung gefunden haben, wird unser Leben noch klarer und unsere Intuition noch stärker. Wir haben mehr und mehr Visionen von unserer Bestimmung – der Mission, die wir erfüllen können, wenn wir unsere hinderlichen Muster ablegen, andere Menschen mit Achtung und Respekt behandeln und unserem Herzen treu bleiben.

Tatsächlich erweitert sich diese Perspektive mit der zehnten Erkenntnis noch stärker und schließt unsere gesamte Kultur und Geschichte mit ein. Auf irgendeiner Ebene wissen wir alle, dass wir von einem anderen Platz im Universum in diese irdische Dimension gekommen sind, um an einem einzigen umfassenden Ziel mitzuarbeiten: um langsam, Generation für Generation, eine vollkommene spirituelle Kultur auf diesem Planeten zu erschaffen.

Doch während uns diese Erkenntnis noch dämmert, taucht bereits eine weitere, die elfte, auf: Unsere Gedanken und Einstellungen bestimmen, ob unsere Träume wahr werden. Tatsächlich glaube ich, dass wir im Moment dabei sind, endlich zu verstehen, auf welche Weise unsere gedanklichen Absichten und Intentionen, unsere Erwartungen und Gebete und sogar unsere geheimsten Vorstellungen und Überzeugungen nicht nur unseren eigenen Erfolg im Leben, sondern auch den anderer beeinflussen.

Auf der Basis meiner eigenen Erfahrungen sowie dessen, was um uns herum geschieht, will dieses Buch diesen nächsten Schritt unserer Bewusstseinsreise illustrieren. Ich glaube, dass diese Erkenntnis bereits vorhanden ist, dass sie in Tausenden von tiefsinnigen spirituellen Diskussionen bereits herumschwirrt, verborgen unter der Angst und dem Hass, die unsere Zeit immer noch kennzeichnen. Wie immer ist es unsere Verantwortung, das zu leben, was wir im Innersten wissen, und uns dann nach außen zu wenden... und die Erkenntnis zu verbreiten.

James Redfield

1 Gedankenfelder

Ich blickte aus dem Fenster auf die Bäume und Wildblumen, in der Hoffnung, die leuchtenden Herbstfarben des Waldes könnten mich von meinen Grübeleien und meiner inneren Unzufriedenheit ablenken. Wie lange lag meine Reise nach Peru nun zurück? Damals hatte ich mich Hals über Kopf in ein verrücktes Abenteuer nach dem anderen gestürzt und war dabei doch wie von einer unsichtbaren Hand von Erkenntnis zu Erkenntnis geführt worden – zu den Neun Erkenntnissen. Ich erinnere mich noch an alles, was ich damals gelernt hatte, auch wenn der ganze Aufenthalt in Peru mir immer mehr vorkam wie ein ferner, verblassender Traum.

Ich hatte so viel gelernt – über den Wettkampf um Energie, der zwischen den Menschen herrscht und den wir nur überwinden können, indem wir uns selbst immer wieder mit spiritueller Energie aufladen. Darüber, wie man anderen Menschen Energie schicken kann, indem man sich auf die Schönheit in ihren Gesichtern konzentriert. Und über unsere höhere Bestimmung, die wir finden können, indem wir uns von den synchronistischen Fügungen in unserem Leben leiten lassen. Ich wusste, dass alle diese Methoden funktionierten. In der ersten Zeit nach meiner Rückkehr aus Peru hatte ich sie noch häufig praktiziert, doch letztlich war wohl die Macht der Routine stärker, die mich in alte, vertraute Muster zurückfallen ließ. Intellektuell hatte ich zweifellos begriffen, worum es in den Neun Erkenntnissen ging, aber in unserem heutigen Leben dauerhaft einen spirituellen, energetisierten Bewusstseinszustand aufrechtzuerhalten war ganz etwas anderes. Ich fühlte mich wie ein Versager.

Und was war mit der spirituellen Revolution, dem Auftauchen einer neuen Kultur, das der Menschheit bevorstand? Ich musste an meine zweite Abenteuerreise denken, in die Appalachen, die aufregenden Ereignisse dort, die mich geradewegs zur Zehnten Erkenntnis geführt hatten. Man muss seine Geburtsvision finden, sich daran erinnern, warum wir als Menschen hier auf diese Welt gekommen sind. Setzte ich dieses Wissen um? Ich seufzte und schüttelte den Kopf. Ich hatte keinerlei Kontakte mehr mit dem Jenseits gehabt. Es war mir nicht gelungen, eine klare Vorstellung von meiner eigenen Geburtsvision zu gewinnen – wie sollte ich da einen Beitrag zur spirituellen Evolution der Menschheit leisten? Und wenn ich die Fernsehnachrichten ansah, wurde mir nur zu bewusst, wie weit unsere Zivilisation noch von jener wahren Spiritualität entfernt war.

Wils Gesicht tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ich spürte, wie sehr ich ihn vermisste. In Peru und später dann in den Appalachen war er mein geheimnisvoller Lehrer und Führer gewesen – und hatte sich immer als echter Freund erwiesen. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass wir Menschen letztlich spirituelle Energiewesen sind, dann war Wil der lebendige Beweis – Wil mit seiner geradezu unheimlichen Fähigkeit, sich vor meinen Augen in nichts aufzulösen und dann ebenso unerwartet an anderer Stelle wieder aus dem Nichts aufzutauchen. Jetzt aber kam es mir so vor, als habe ihn das Nichts für immer verschluckt. Es schien mir eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt begegnet waren.

Das Telefon klingelte. Ich zögerte. Im Grunde wollte ich meine Ruhe haben, mich weiter in letztlich fruchtlosen Grübeleien ergehen. Wils Gesicht verschwand und machte den schemenhaften Umrissen einer Person Platz, die dringend mit mir sprechen musste. Es war nur ein flüchtiger Eindruck. Genau erkennen, um wen es sich handelte, konnte ich nicht. Nun griff ich doch zum Hörer und meldete mich.

»Hier ist Bill«, sagte eine vertraute Stimme. Bill war Landschaftsarchitekt und hatte mir bei der Gestaltung meines Gartens geholfen. Er wohnte nur wenige hundert Meter entfernt, weiter unten am Berg.

»Hören Sie, Bill«, sagte ich, »kann ich Sie später zurückrufen? Ich arbeite gerade an etwas, das dringend fertig werden muss.«

Das stimmte nur zum Teil.

»Kennen Sie eigentlich meine Tochter Natalie?«

»Bitte?« Keine Antwort. »Bill?«

»Sehen Sie«, sagte er schließlich, »meine Tochter möchte gerne mit Ihnen reden. Ich denke, dass es wichtig sein könnte. Ich weiß nicht genau, woher sie das hat, aber sie scheint mit Ihrer Arbeit bestens vertraut zu sein. Sie sagt, sie hätte Informationen über einen Ort, der Sie vielleicht interessieren könnte. Irgendwo im Norden Tibets. Sie sagt, die Leute dort hätten wichtige Informationen.«

»Wie alt ist sie?« fragte ich.

Bill lachte leise. »Sie ist erst vierzehn, aber sie hat in letzter Zeit einige sehr bemerkenswerte Dinge gesagt. Sie hofft, dass Sie noch heute nachmittag mit ihr sprechen, vor dem Fußballspiel. Wäre das möglich?«

Ich wollte ihn auf später vertrösten, doch dann nahm das geistige Bild, das ich zuvor schon vor Augen gehabt hatte, deutlicher Gestalt an. Ich glaubte zu sehen, wie das Mädchen und ich bei der großen Quelle oberhalb ihres Hauses miteinander sprachen.

»Also gut«, sagte ich. »Wie wäre es um 14 Uhr?«

»Das passt ausgezeichnet«, sagte Bill.

Auf dem Weg zu ihnen bemerkte ich ein neues Haus auf der anderen Seite des Tales. Jetzt sind es schon fast vierzig, dachte ich. Alle in den letzten zwei Jahren gebaut. Ich wusste, dass die Schönheit dieses wie eine Schale geformten Tales sich herumgesprochen hatte, aber ich machte mir keine ernsthaften Sorgen, dass dieser Ort übervölkert oder seine landschaftliche Schönheit zerstört werden könnte. Die nächste Stadt war fünfzehn Kilometer entfernt, und gleich hinter den Häusern begann ein riesiges Waldgebiet – den meisten Leuten war das zu abgelegen. Und die Familie, der das Land gehörte und die nun ausgewählte Baugrundstücke an den Berghängen verkaufte, schien entschlossen, den natürlichen Reiz des Ortes zu bewahren. Es wurde nur eine niedrige Bebauung zugelassen, so dass die Häuser unter den hoch in den Himmel ragenden Pinien und Platanen verborgen blieben.

Da beunruhigte mich die starke Zurückgezogenheit der Bewohner schon eher. So weit ich sagen konnte, handelte es sich bei ihnen durchweg um ungewöhnliche Naturen, Aussteiger aus unterschiedlichen Berufszweigen. Sie hatten sich ihre freiberuflichen Nischen geschaffen, die es ihnen ermöglichten, nach eigener Zeiteinteilung zu arbeiten – was unabdingbar war, wenn man so weit draußen in der Wildnis wohnte.

Das, was uns alle hier draußen zu verbinden schien, war ein beharrlicher Idealismus und der Wunsch, unsere jeweilige berufliche Tätigkeit mit einer spirituellen Vision zu verbinden – ganz im Sinne der Zehnten Erkenntnis von Celestine. Doch letztlich lebten die meisten hier in diesem Tal für sich allein, offenbar zufrieden damit, sich auf ihre persönlichen Aufgaben zu konzentrieren. Dem Gemeindeleben oder dem Aufbau einer verbindenden Vision wurde wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies galt besonders für die Angehörigen unterschiedlicher Religionen. Dieses Tal hatte aus irgendeinem Grund Menschen verschiedenster Glaubensrichtungen angezogen, darunter Buddhisten, Juden, katholische und evangelische Christen und Muslime. Zwar herrschte unter ihnen keinerlei Feindseligkeit, aber es gab auch kein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl.

Dieser Mangel an gemeinschaftlichem Leben beunruhigte mich, weil die Kinder so unter den gleichen Problemen litten wie in den Vororten der großen Städte: zu viel Zeit allein, zu viele Videos und zu wenig Rückhalt, um mit den Kränkungen und Rückschlägen in der Schule fertig zu werden. Offenbar mangelte es an familiärer Zuwendung und gemeinschaftlichen Aktivitäten, um den üblichen Problemen der Heranwachsenden die richtige Aufmerksamkeit zu schenken.

Vor mir verengte sich der Weg, und ich ging zwischen zwei großen Felsen hindurch, neben denen das Gelände steil abfiel. Dann hörte ich das Plätschern von Phillips' Spring. Diese Quelle verdankt ihren Namen einigen Trappern, die hier im siebzehnten Jahrhundert ihr Lager aufgeschlagen hatten. Das Wasser rinnt über mehrere Felsplatten in einen ruhigen, künstlich angelegten Teich. Ich ging zum Wasser und bückte mich, um etwas davon mit der Hand zu schöpfen. Dabei schob ich einen Stock aus dem Weg. Der Stock bewegte sich weiter, glitt über die Steine und verschwand in einem Loch.

»Ein Wassermokassin!« sagte ich laut, machte einen Schritt rückwärts und starrte auf das Loch, in dem die Giftschlange verschwunden war. Mit dem Leben draußen in der Wildnis waren noch immer Gefahren verbunden – wenn sie sich auch vielleicht nicht mehr mit jenen vergleichen ließen, denen der alte Trapper Phillips sich damals gegenübergesehen haben musste, als einem auf Schritt und Tritt ein großes Pumaweibchen begegnen konnte, das seine Jungen bewachte, oder, noch schlimmer, eine Horde Wildschweine mit zehn Zentimeter langen Hauern, die einem die Beine aufschlitzten, wenn man sich nicht schnell genug auf einen Baum flüchtete. Hatte man einen besonders schlechten Tag erwischt, geriet man möglicherweise gar an einen wütenden Cherokee oder Seminolen, der es leid war, schon wieder neue Siedler in seinen bevorzugten Jagdgründen vorzufinden... und der der Überzeugung war, das beste Mittel gegen den Ansturm der Bleichgesichter sei es, jedem Fremden, der ihm über den Weg lief, das Herz herauszuschneiden. Nein, die Menschen dieser früheren Generationen – amerikanische Ureinwohner und Europäer gleichermaßen – sahen sich weit mehr unmittelbaren Gefahren gegenüber, die Zähigkeit und Mut herausforderten.

Unsere Generation hat offensichtlich mit anderen Problemen zu kämpfen, Problemen, die mehr mit unserer Lebenseinstellung zu tun haben und dem ständigen Kampf zwischen Optimismus und Verzweiflung. Überall erheben sich pessimistische Stimmen, die verkünden, es gäbe klare Beweise dafür, dass der moderne westliche Lebensstil nicht aufrechterhalten werden kann, dass das Klima sich immer mehr erwärmt, dass die Waffenarsenale der Terroristen wachsen, die Wälder sterben und dass uns unsere Technologie außer Kontrolle geraten ist und eine virtuelle Welt hervorbringt, die unsere Kinder irritiert – und die uns immer mehr von unserer wahren Bestimmung ablenkt und in einen ziellosen Surrealismus verstrickt.

Dieser Sichtweise treten natürlich die Optimisten entgegen und weisen darauf hin, dass die Weltgeschichte immer schon reich an Untergangspropheten gewesen sei, dass alle unsere Probleme sich mit Hilfe derselben Technologie in den Griff bekommen ließen, die diese Gefahren hervorgebracht habe, und dass die menschliche Zivilisation gerade erst beginne, ihr wahres Potenzial zu entdecken.

Ich ließ den Blick über das Tal schweifen. Ich wusste, dass die Prophezeiungen von Celestine irgendwo zwischen diesen beiden Polen angesiedelt waren. Der Glaube an nachhaltiges Wachstum und eine humane Technik war ein fester Bestandteil dieser Vision, doch die Voraussetzung für diesen technologischen Fortschritt waren eine intuitive Einbeziehung des Heiligen in unseren Alltag und eine spirituelle Vision für die Zukunft unserer Welt.

Eines jedoch stand außer Zweifel: Wenn jene, die an die Macht der Vision glaubten, eine Veränderung bewirken wollten, dann mussten sie jetzt aktiv werden, wo das Geheimnis eines neuen Jahrtausends unmittelbar vor uns lag. Diese Aussicht erfüllte mich noch immer mit Ehrfurcht. Wie konnte es sein, dass uns das Glück zuteil wurde, den Beginn eines neuen Jahrtausends miterleben zu dürfen? Warum wir? Warum unsere Generation? Ich hatte das Gefühl, dass uns tief greifende neue Erkenntnisse erwarteten.

Ich schaute mich um, halb in der Erwartung, Natalie hier irgendwo bei der Quelle zu entdecken. Ich war sicher, dass dies der Ort war, den ich in meinem inneren Bild gesehen hatte. Sie hatte sich hier an der Quelle aufgehalten, und ich hatte sie durch eine Art geistiges Fenster gesehen. Das alles erschien mir sehr verwirrend.

Da ich sie nicht fand, ging ich weiter zu ihrem Haus. Ich klopfte an die Tür des dunkelbraunen Holzhauses, doch niemand öffnete. Ich blickte hinüber zu dem Steinweg, der zu Bills riesigem Gemüsegarten und dann zu einer kleinen Wiese über dem Haus führte. Etwas zog meine Aufmerksamkeit auf sich. War das Licht dort plötzlich anders?

Ich blickte zum Himmel auf und versuchte herauszufinden, was ich da wahrgenommen hatte. Irgendwie hatte sich das Licht über der kleinen Wiese verändert, als sei die Sonne hinter den Wolken verschwunden gewesen und nun plötzlich hervorgekommen, so dass ein Sonnenstrahl genau auf diese Stelle fiel. Doch der Himmel war völlig wolkenlos. Ich ging den Weg hinauf und sah das Mädchen oben am Rand der Wiese sitzen. Sie war groß und dunkelhaarig und trug ein blaues Fußballtrikot. Als ich mich ihr näherte, fuhr sie überrascht herum.

»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte ich.

Einen Moment wich sie mit der typischen Schüchternheit eines jungen Mädchens meinem Blick aus. Ich ging in die Hocke, um mit ihr auf Augenhöhe zu kommen.

Als ich mich ihr vorstellte, schaute sie mich wieder an, und ihre Augen wirkten plötzlich viel älter.

»Wir leben hier nicht nach den Erkenntnissen von Celestine«, sagte sie.

»Bitte?« sagte ich überrascht.

»Die Erkenntnisse. Wir setzen sie in unserem Leben nicht um.«

»Was meinst du damit?«

Sie schaute mich geradezu streng an. »Ich meine, wir haben noch nicht genug über sie herausgefunden. Es gibt noch eine Menge zu lernen.«

»Nun, das ist nicht so einfach...«

Ich verstummte. Ich fand es unglaublich, von einer Vierzehnjährigen mit derartigen Fragen konfrontiert zu werden. Was für eine seltsame Fügung, sie jene Gedanken aussprechen zu hören, die mich gerade beschäftigten. Natalie lächelte, kein großes Lächeln, nur zart in den Mundwinkeln angedeutet, aber es machte sie sympathisch. Ich entspannte mich und setzte mich ins Gras.

»Ich glaube, dass die Erkenntnisse real sind«, sagte ich. »Aber es ist nicht leicht, nach ihnen zu leben. Das braucht Zeit.«

Sie ließ nicht locker. »Es gibt aber Menschen, die schon jetzt voll und ganz danach leben.«

Ich schaute sie einen Moment an. »Und wo?«

»In Zentralasien, in den Kunlun-Bergen. Ich habe es auf einer Karte gesehen.« Sie klang aufgeregt. »Du musst dorthin reisen. Es ist wichtig. Es verändert sich etwas. Du musst jetzt gleich dorthin reisen und es dir anschauen.«

Als sie das sagte, wirkte ihr Gesicht erwachsen und strahlte die Autorität einer Vierzigjährigen aus. Ich kniff die Augen zusammen, konnte nicht glauben, was ich sah.

»Du musst dorthin reisen«, wiederholte sie.

»Natalie«, sagte ich. »Ich verstehe nicht ganz, was du meinst. Was für ein Ort ist das?«

Sie blickte weg.

»Du sagst, du hast ihn auf einer Karte gesehen. Kannst du ihn mir zeigen?«

Sie beachtete meine Frage nicht und wirkte abgelenkt.

»Wie... wie spät ist es?« sagte sie langsam, stockend.

»Viertel nach zwei.«

»Dann muss ich gehen.«

»Warte, Natalie, dieser Ort, von dem du mir erzählt hast, ich...«

»Ich muss zum Fußballspiel«, sagte sie. »Meine Mannschaft wartet. Ich will nicht zu spät kommen.« Sie stand auf und ging rasch davon.

Ich eilte hinter ihr her. »Dieser Ort in Zentralasien, erinnerst du dich nicht, wo genau das ist?«

Als sie sich zu mir umdrehte, war da nur noch der Gesichtsausdruck eines vierzehnjährigen Mädchens, das im Moment nichts als Fußball im Kopf hatte.

Völlig verwirrt kehrte ich nach Hause zurück. Was hatte das alles zu bedeuten? Ich setzte mich an den Schreibtisch, war aber unfähig, mich zu konzentrieren. Später unternahm ich einen langen Spaziergang und schwamm im Fluß. Danach beschloss ich, am nächsten Morgen Bill anzurufen und diesem Rätsel auf den Grund zu gehen. Ich legte mich früh ins Bett.

Nachts gegen drei wurde ich durch irgend etwas aufgeweckt. Im Zimmer war es fast völlig dunkel. Lediglich zwischen den Fensterläden drang etwas Licht herein. Ich lauschte angestrengt, hörte aber nur die üblichen Nachtgeräusche: den Gesang der Grillen, das gelegentliche Geschrei der Ochsenfrösche unten am Ruß und, weit entfernt, das tiefe Bellen eines Hundes.

Meine Augenlider wurden schwer, und ich überlegte, ob ich aufstehen und die Haustüren abschließen sollte, was ich nur sehr selten tue. Aber ich schob diesen Gedanken beiseite und wollte zufrieden wieder in den Schlaf sinken. Doch bei meinem letzten Blick durch das Zimmer bemerkte ich, dass sich am Fenster etwas verändert hatte. Draußen war mehr Licht als zuvor.

Ich setzte mich auf und sah genauer hin. Es kam eindeutig mehr Licht ins Zimmer. Ich streifte meine Hose über, ging zum Fenster und öffnete die Läden. Draußen schien alles normal zu sein. Woher war dieses Licht gekommen?

Plötzlich hörte ich hinter mir ein leises Knarren. Jemand war im Haus.

»Wer ist da?« fragte ich, ohne nachzudenken.

Keine Antwort.

Ich ging aus dem Schlafzimmer hinaus in die Diele und dachte daran, mein Schlangengewehr aus dem Bad zu holen. Aber dann fiel mir ein, dass der Schlüssel zum Gewehrschrank in meiner Nachttischschublade lag. Statt dessen schlich ich vorsichtig in Richtung Wohnzimmer.

Ohne Vorwarnung berührte eine Hand meine Schulter.

»Schsch. Ich bin es. Wil.«

Ich erkannte seine Stimme und sah schemenhaft sein Gesicht. Er war es tatsächlich. Am Morgen hatte ich intensiv an ihn gedacht, und nun kam es mir beinahe so vor, als hätten meine Gedanken ihn herbeigerufen. Als ich das Licht einschalten wollte, hielt er mich zurück, ging dann zum Fenster im Wohnzimmer. Es fiel mir auf, dass sich seit unserer letzten Begegnung etwas an ihm verändert hatte. Irgendwie wirkten seine Bewegungen weniger fließend, und sein Gesicht sah völlig normal aus. Dieses innere Leuchten, das ich bei früheren Begegnungen an ihm bemerkt hatte, schien verschwunden.

»Wonach suchst du?« fragte ich. »Was ist los? Du hast mich fast zu Tode erschreckt. Immer tauchst du so plötzlich und unerwartet auf!«

Er kam wieder zu mir. »Ich musste dich sehen. Alles hat sich verändert. Ich bin wieder da, wo ich angefangen habe.«

»Was meinst du damit?«

Er lächelte mich an. »Ich nehme an, dass die Dinge sich weiterhin in der richtigen Weise entwickeln, aber momentan kann ich mich nicht mehr wie früher in den anderen Dimensionen bewegen. Ich bin jetzt fest hier an diese Welt gebunden.« Offenbar meinte er damit, dass er sich nicht mehr dematerialisieren und an anderer Stelle wieder auftauchen konnte. Er wandte sich einen Moment ab. »Es scheint, dass das, was wir gemeinsam über die Zehnte Erkenntnis herausgefunden haben, nur ein Vorgeschmack war, ein Blick in die Zukunft wie bei einer Nahtoderfahrung. Aber nun ist es wieder vorbei. Was immer wir jetzt zu tun haben, wir müssen es hier auf der Erde tun.«

»Ich könnte so etwas ohnehin nicht noch einmal tun«, sagte ich.

Wil schaute mir in die Augen. »Weißt du, wir haben eine Menge Informationen über die menschliche Evolution erhalten, darüber, wie wir Achtsamkeit üben und uns von unserer Intuition und den schicksalhaften Fügungen leiten lassen können. Wir haben – jeder einzelne von uns – den Auftrag erhalten, einer neuen Vision zu folgen. Doch es gelingt uns immer noch nicht, diese Vision zu verwirklichen. Offenbar ist unser Wissen nicht vollständig.«

Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: »Ich weiß noch nicht genau, warum, aber wir müssen nach Asien reisen... irgendwo in die Nähe von Tibet. Dort geschieht etwas. Etwas, das wir uns anschauen sollten.«

Ich war verblüfft. Natalie hatte genau das gleiche gesagt!

Wil ging wieder ans Fenster und spähte hinaus.

»Warum siehst du ständig aus dem Fenster?« fragte ich. »Und wieso bist du heimlich in mein Haus geschlichen? Wieso hast du nicht einfach angeklopft? Was ist denn eigentlich los?«

»Vielleicht irre ich mich ja, und es besteht kein Grund zur Besorgnis«, entgegnete er. »Aber ich hatte das Gefühl, dass mir jemand folgt.«

Wieder kam er vom Fenster zu mir herüber. »Ich kann dir jetzt nicht alles erklären. Ich weiß selbst nicht genau, was vorgeht. Aber es gibt in Asien einen Ort, den wir finden müssen. Kannst du es einrichten, mich am Sechzehnten dieses Monats im Hotel Himalaja in Kathmandu zu treffen?«

»Moment mal! Wil, ich habe hier eine Menge Arbeit. Ich muss...«

Auf Wils Gesicht erschien dieser Ausdruck, den ich noch bei keinem anderen Menschen gesehen habe – eine unvergleichliche Mischung aus purer Abenteuerlust und wilder Entschlossenheit. »Kein Problem«, sagte er. »Wenn du am Sechzehnten nicht da bist, dann bist du eben nicht da. Aber wenn du kommst, solltest du unbedingt Augen und Ohren weit aufsperren, damit dir nichts entgeht. Es wird sich etwas Bedeutungsvolles ereignen.«

Dass er mir die freie Wahl ließ, meinte er völlig ernst, doch zugleich lächelte er breit.

Wenig amüsiert wich ich seinem Blick aus. Ich wollte mich keineswegs auf ein solches Abenteuer einlassen.

Am nächsten Morgen entschied ich, lediglich Charlene zu erzählen, wohin ich fliegen würde.

Charlene war damals diejenige gewesen, die mich dazu gebracht hatte, nach Peru zu fliegen und nach dem Manuskript von Celestine zu suchen. Das einzige Problem war, dass sie sich gerade auf einer Auslandsreise befand, so dass ich sie nicht persönlich erreichen konnte. Mir blieb nur, ihr ein E-mail zu schicken.

Ich setzte mich an den Computer und schickte die Nachricht ab, wobei ich mir, wie meistens, Gedanken über die Sicherheit des Internets machte. Hacker sind in der Lage, selbst in die am besten gesicherten Computer von Firmen und Behörden einzudringen. Musste es da nicht ein leichtes sein, E-mails aufzufangen... besonders wenn man bedachte, dass das Internet ursprünglich vom amerikanischen Geheimdienst eingerichtet worden war, um besseren Kontakt zu Informanten an den großen Universitäten halten zu können? Wurde das ganze Internet überwacht? Ich schob diese Befürchtung als unsinnig beiseite. Meine Nachricht war eine unter Millionen. Wer sollte sich dafür interessieren?

Per Computer buchte ich auch gleich meine Reise nach Nepal. Um am Sechzehnten in Kathmandu einzutreffen, musste ich bereits zwei Tage später fliegen. Das ließ mir kaum noch Zeit, die nötigen Vorbereitungen zu treffen.

Ich schüttelte den Kopf. Einerseits faszinierte mich der Gedanke, nach Tibet zu reisen, weil ich wusste, dass es eines der schönsten und geheimnisvollsten Länder der Erde war. Andererseits war die Herrschaft der chinesischen Regierung dort derart repressiv, dass der Aufenthalt sehr gefährlich werden konnte. Ich nahm mir daher vor, mich auf keinerlei unüberschaubare Risiken einzulassen. Nie wieder würde ich mich unüberlegt in ein Abenteuer stürzen, bei dem ich nicht mehr Herr der Situation war.

Wil hatte mein Haus so schnell wieder verlassen, wie er gekommen war, ohne mir mehr zu erzählen. Daher gingen mir eine Menge Fragen im Kopf herum. Was wusste er über diesen Ort in der Nähe von Tibet? Und warum hatte ein vierzehnjähriges Mädchen mir gesagt, dass ich dorthin reisen sollte? Wil hatte sich extrem vorsichtig verhalten. Wieso? Ich würde mich keinen Meter aus Kathmandu hinauswagen, ehe ich nicht genauere Informationen hatte.

Als der Reisetag kam, blieb ich während des langen Huges über Frankfurt und Neu-Delhi nach Kathmandu so achtsam wie möglich, doch es ereignete sich nichts Außergewöhnliches. Im Himalaja-Hotel checkte ich unter meinem eigenen Namen ein, brachte mein Gepäck aufs Zimmer, schaute mich anschließend um und landete schließlich an der Bar in der Hotelhalle. Dort saß ich in der Erwartung, dass jeden Moment Wil hereinspazieren würde, doch nichts dergleichen geschah. Nach einer halben Stunde kam mir der Gedanke, zum Hotel-Pool zu gehen.

Der Pool befand sich zwischen den L-förmigen Flügeln des Hotelgebäudes. Es war etwas kühl, aber die Sonne schien hell, und ich wusste, dass die frische Luft mir helfen würde, mich an die Höhe zu gewöhnen. In der Nähe des Pools saßen mehr Leute, als ich vermutet hatte, aber nur wenige unterhielten sich. Als ich mich an einen freien Tisch setzte, fiel mir auf, dass die Leute, die in meiner Nähe saßen – hauptsächlich Asiaten, nur einige wenige Europäer –, entweder sehr gestresst oder sehr heimwehkrank wirkten. Sie blickten finster, orderten in schroffem Ton Drinks und Zeitungen und vermieden jeden Blickkontakt.

Allmählich sank auch meine Stimmung. Hier sitze ich nun, dachte ich, in irgendeinem Hotel in einem fremden Teil der Welt, und weit und breit kein freundliches Gesicht. Ich atmete tief durch und erinnerte mich an Wils Ermahnung, achtsam zu bleiben. Er hatte damit wohl gemeint, dass ich offen für die subtilen Winke und Wendungen der Synchronizität bleiben sollte, jene geheimnisvollen Fügungen, die in Sekundenschnelle auftauchen und unserem Leben eine völlig neue Richtung geben können.

Um zum Kern wahrer Spiritualität vorzudringen, mussten wir uns, wie ich wusste, auf dieses mysteriöse Fließen der Ereignisse konzentrieren. Es stellte den unmittelbaren Beweis dafür dar, dass hinter den wechselnden Szenerien des menschlichen Dramas etwas Tiefergehendes am Werk war. Das Problem war jedoch stets die immer nur vorübergehende Natur dieser Art der Wahrnehmung gewesen; für eine Weile befinden wir uns in diesem besonders offenen Zustand, doch dann fallen wir wieder in unser altes Bewusstsein zurück.

Plötzlich fiel mein Blick auf einen großen dunkelhaarigen Mann, der aus der Hoteltür trat und genau auf mich zuging. Er trug eine braune Freizeithose und einen eleganten weißen Pullover. Unter seinen Arm hatte er eine gefaltete Zeitung geklemmt. Er setzte sich an einen Tisch gleich rechts neben mir. Während er seine Zeitung aufschlug, blickte er sich um und nickte mir mit einem strahlenden Lächeln zu. Dann rief er einen Kellner und bestellte ein Glas Wasser. Er hatte asiatische Gesichtszüge, sprach aber fließend Englisch, ohne erkennbaren Akzent.

Als das Wasser serviert wurde, unterschrieb er die Rechnung und begann zu lesen. Es ging eine auf Anhieb anziehende Wirkung von diesem Mann aus, ohne dass ich sagen konnte, woran das lag. Er strahlte offenbar einfach eine angenehme Energie aus. Immer wieder hielt er bei seiner Lektüre inne und schaute lächelnd umher. Einmal stellte er dabei Blickkontakt zu einem der mürrisch aussehenden Herren am Tisch vor mir her.

Ich erwartete schon, der missmutige Mann würde rasch wegschauen, doch statt dessen erwiderte er das Lächeln des dunkelhaarigen Mannes, und sie wechselten ein paar Worte, die nepalesisch klangen. Einmal fingen sie sogar laut an zu lachen. Ihre Heiterkeit schien auf einige andere Umsitzende überzuspringen. Jemand machte eine Bemerkung, und die ganze Runde lachte plötzlich vergnügt.

Ich beobachtete interessiert, was geschah. Es hat sich etwas verändert, dachte ich. Die Stimmung der Leute hat sich gebessert.

»Mein Gott«, stammelte der dunkelhaarige Mann und blickte in meine Richtung. »Haben Sie das schon gelesen?«

Ich drehte mich um. Alle anderen Leute hatten sich wieder ihren Zeitungen zugewendet, und er zeigte auf die von ihm aufgeschlagene Seite. Dann rückte er mit seinem Stuhl ein Stück näher zu mir.

»Es ist eine weitere Gebetsstudie veröffentlicht worden«, sagte er. »Die Ergebnisse sind faszinierend.«

»Was hat man herausgefunden?« fragte ich.

»Es wurde untersucht, welche Wirkungen Gebete auf Kranke haben, und man hat festgestellt, dass Patienten, für die regelmäßig gebetet wurde, seltener unter Komplikationen zu leiden hatten und rascher wieder gesund wurden, selbst dann, wenn sie von den Gebeten gar nichts wussten. Das ist ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass die Kraft des Gebets wirklich existiert. Aber man hat noch mehr herausgefunden. Am wirksamsten sind Gebete, wenn sie nicht als Bitte, sondern als Affirmation, als Bejahung, formuliert werden.«

»Was bedeutet das genau?« fragte ich.

Er schaute mich aus kristallblauen Augen an. »In der Studie wurde die Wirksamkeit von zwei unterschiedlichen Formen des Gebets untersucht. Bei der ersten Form wurde Gott, oder die göttliche Kraft, darum gebeten, einzugreifen und einer erkrankten Person zu helfen. Bei dem zweiten Gebet wurde einfach bejaht, mit tiefem Glauben, dass Gott jener Person helfen wird. Erkennen Sie den Unterschied?«

»Ich bin nicht sicher.«

»Wenn man in einem Gebet Gott bittet, einzugreifen, geht man davon aus, dass Gott nur hilft, wenn er sich entscheidet, unserer Bitte zu entsprechen. Unsere einzige Rolle besteht dann darin, Bittsteller zu sein. Bei der anderen Form des Gebetes geht man davon aus, dass Gott stets bereit und willens ist, uns zu helfen. Er hat aber die Gesetze des menschlichen Daseins so festgelegt, dass die Verwirklichung unseres Wunsches zum Teil davon abhängt, wie fest wir an seine Erfüllung glauben. Unser Gebet muss dann eine Affirmation sein, die diesen Glauben zum Ausdruck bringt. Bei der Studie erwies sich dies als die effektivste Art des Betens.«

Ich nickte. Allmählich fing ich an zu begreifen.

Der Mann schaute einen Moment weg, als müsse er nachdenken, dann fuhr er fort: »Alle großen Gebete in der Bibel sind keine Bitten, sondern Affirmationen. Denken Sie an das Vaterunser: ›Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib uns unsere Schuld...‹ Da heißt es nicht: Könnten wir bitte etwas zu essen bekommen, und auch nicht: Wir bitten dich um Vergebung. Es wird lediglich bejaht, dass diese Dinge jederzeit geschehen können, wenn wir selbst sie durch unseren Glauben möglich machen.«

Wieder verstummte er, als erwarte er eine Frage. Und er lächelte immer noch.

Ich musste lachen. Seine gute Laune war wirklich ansteckend.

»Manche Wissenschaftler vertreten die Theorie«, fuhr er fort, »dass diese Forschungsergebnisse auf etwas hinweisen, das für alle Menschen von tief greifender Bedeutung ist. Wenn die Wirksamkeit von Gebeten von unseren Erwartungen, unserem Glauben abhängt, dann strahlt jeder von uns ständig seine Gebetsenergie in die Welt aus, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Verstehen Sie, was das bedeutet?«

Er sprach weiter, ohne meine Antwort abzuwarten. »Wenn das Gebet eine Affirmation ist, die auf unseren Erwartungen, unserem Glauben basiert, dann besitzen alle unsere Erwartungen die gleiche Wirkung wie ein Gebet. Wir beten tatsächlich die ganze Zeit und beeinflussen damit unsere eigene Zukunft und die Zukunft anderer Menschen, aber wir sind uns dessen lediglich nicht voll bewusst.«

Er schaute mich an, als hätte er das Ei des Kolumbus gefunden.

»Stellen Sie sich vor!« rief er. »Die Wissenschaft bestätigt heute die esoterischsten, mystischsten Elemente jeder Religion. Die Mystiker haben immer schon gesagt, dass wir einen geistigen und spirituellen Einfluss auf das haben, was uns im Leben widerfährt. Denken Sie daran, dass es in der Bibel heißt, unser Glaube könne Berge versetzen. Was ist, wenn diese Fähigkeit das Geheimnis wahren Erfolgs ist und wenn sie es uns ermöglicht, wahrhaft in Gemeinschaft mit allen anderen zu leben?« In seinen Augen funkelte es, als wüsste er mehr, als er mir erzählte. »Wir alle müssen herausfinden, wie wirkliches Beten funktioniert. Es ist höchste Zeit dafür.«

Ich erwiderte sein Lächeln. Was er sagte, faszinierte mich, und immer noch verblüffte mich, wie sehr die Stimmung der Leute hier am Pool sich gewandelt hatte. Dann schaute ich instinktiv nach links, wie wir es tun, wenn wir das Gefühl haben, das uns jemand beobachtet. Ich sah, wie einer der Kellner mich von der Hoteltür aus anstarrte. Als sich unsere Blicke trafen, schaute er rasch weg und ging in Richtung des Aufzugs davon.

»Entschuldigung, Sir«, sagte eine Stimme hinter mir.

Ich drehte mich um und sah einen weiteren Kellner.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?« fragte er.

»Nein... danke«, entgegnete ich. »Später vielleicht.«

Ich schaute in Richtung des Aufzugs. Der andere Kellner war verschwunden. Als ich mich wieder zum Nebentisch umdrehte, sah ich, dass auch mein dunkelhaariger Gesprächspartner plötzlich gegangen war.

Ich stand auf und fragte den Mann am Tisch vor mir, ob er gesehen habe, wohin der dunkelhaarige Herr mit der Zeitung gegangen sei. Doch er schüttelte brüsk den Kopf und machte ein abweisendes Gesicht.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich in meinem Zimmer. Meine Erlebnisse am Pool erschienen mir ziemlich sonderbar. Wer war der Mann, der mit mir über das Beten gesprochen hatte? Besaßen diese Informationen für mich eine wichtige synchronistische Bedeutung? Und warum hatte dieser Hotelangestellte mich angestarrt? Und wo war Wil?

In der Abenddämmerung, nachdem ich längere Zeit geschlafen hatte, wagte ich mich wieder nach draußen und beschloss, zu einem Restaurant zu gehen, das einer der Hotelgäste erwähnt hatte. Es lag ein Stück die Straße hinunter.

»Das ist nicht weit. Und sehr sicher«, sagte der Portier, als ich ihn nach dem Weg fragte. »Kein Problem.«

Ich trat aus der Hotelhalle hinaus ins schwindende Licht und hielt dabei nach Wil Ausschau. Auf der Straße drängten sich die Menschen, so dass ich mir mühsam meinen Weg bahnen musste. Als ich an dem Restaurant eintraf, wurde ich zu einem kleinen Ecktisch geführt. Er stand gleich neben einem schmiedeeisernen Zaun, der die Restaurantterrasse von der Straße trennte. Über eine Stunde saß ich dort, aß etwas Leichtes zu Abend und las eine englische Zeitung.

Dann begann ich mich plötzlich unbehaglich zu fühlen. Es schien mir, dass mich wieder jemand beobachtete. Doch ich sah niemanden. Die Gäste an den anderen Tischen interessierten sich offensichtlich nicht für mich. Ich stand auf und warf über den Zaun einen Blick hinaus auf die Straße. Auch dort fiel mir nichts Besonderes auf. Ich versuchte, das Gefühl abzuschütteln, zahlte und ging zum Hotel zurück.

Als ich fast den Eingang erreicht hatte, fiel mir ein Mann auf, der neben ein paar Sträuchern stand, vielleicht sechs Meter von mir entfernt. Unsere Blicke trafen sich, und er machte einen Schritt auf mich zu. Ich schaute weg und steuerte auf das Hotel zu, als mir plötzlich klar wurde, dass es sich um den Hotelangestellten handelte, der mich bereits am Pool angestarrt hatte, nur dass er jetzt Jeans und ein einfaches blaues Hemd trug. Er schien um die Dreißig zu sein, mit sehr ernsten Augen. Ich ging eilig an ihm vorbei.

»Entschuldigung, Sir«, rief er.

Ich blieb nicht stehen.

»Bitte«, sagte er. »Ich muss mit Ihnen sprechen.«

Ich ging noch ein Stück, bis ich mich in Sichtweite des Türstehers und des Personals in der Hotelhalle befand, dann fragte ich: »Um was geht es denn?«

Er kam näher und deutete eine Verbeugung an. »Ich glaube, Sie sind derjenige, den ich hier treffen soll. Kennen Sie Mr. Wilson James?«

»Wil? Ja. Wo ist er?«

»Er kann leider nicht kommen. Er bat mich, Sie statt seiner zu treffen.« Er streckte mir die Hand entgegen, und ich nahm sie zögernd und nannte ihm meinen Namen.

»Ich bin Yin Doloe«, sagte er.

»Sind Sie hier im Hotel angestellt?« fragte ich.

»Nein, bedaure. Ein Freund arbeitet hier. Ich habe mir seine Jacke ausgeliehen, damit ich mich drinnen umschauen konnte. Ich wollte sehen, ob Sie bereits eingetroffen sind.«

Ich musterte ihn aufmerksam. Instinktiv spürte ich, dass er die Wahrheit sagte. Aber warum diese Heimlichtuerei? Warum hatte er mich nicht einfach vorhin am Pool angesprochen und nach meinem Namen gefragt?

»Wodurch wurde Wil aufgehalten?« fragte ich.

»Das weiß ich nicht genau. Er bat mich, Sie zu treffen und nach Lhasa zu begleiten. Ich vermute, er plant, sich dort mit uns zu treffen.«

Das Ganze gefiel mir überhaupt nicht. »Ich weiß nicht, ob ich mit Ihnen nach Lhasa komme. Warum setzt sich Wil nicht persönlich mit mir in Verbindung?«

»Dafür gibt es ganz sicher einen wichtigen Grund«, erwiderte Yin und kam einen Schritt näher. »Wil liegt offenbar sehr viel daran, dass ich Sie zu ihm bringe. Er braucht Sie.« Er schaute mich geradezu flehend an. »Können wir morgen gemeinsam abreisen?«

»Also gut«, sagte ich. »Aber warum kommen Sie nicht mit ins Hotel? Dann können wir bei einer Tasse Kaffee alles in Ruhe besprechen.«

Er blickte umher, als fürchte er sich vor irgend etwas. »Bitte, ich werde Sie morgen früh um acht hier abholen. Wil hat bereits ein Flugticket und ein Visum für Sie besorgt.« Er lächelte mich an und huschte davon, ehe ich protestieren konnte.

Um 7.55 Uhr verließ ich lediglich mit einem leichten Rucksack das Hotel. Man hatte sich bereit erklärt, meine übrigen Sachen bis zu meiner Rückkehr in Verwahrung zu nehmen. Ich plante, spätestens in einer Woche zurück zu sein, vorausgesetzt, dass bei dem Treffen mit Yin alles glatt ging.

Falls ich allerdings zu dem Schluss gelangte, dass an der Sache irgend etwas faul war, hatte ich mir fest vorgenommen, unverzüglich ins Hotel zurückzukehren.