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Occoca, eine junge Göttin, lebt unbeschwert auf ihrem paradiesischen Planeten, bis eine erschütternde Nachricht alles verändert: Ihre Urgroßmutter hat ihr Bewusstsein verloren. Getrieben von Sorge begibt sich Occoca mit ihrer Zwillingsschwester auf eine gefährliche Mission, um die drohende Gefahr zu bannen. Doch an ihrem ersten Ziel kommen sie zu spät – der Feind hat bereits zugeschlagen und die Macht ihrer Urgroßmutter gestohlen. Unerschrocken setzt Occoca ihre Reise fort, knüpft eine unerwartete Freundschaft und blickt zum ersten Mal in die finsteren Abgründe des Universums. Der Feind entwischt ihr knapp, und als Wunden sie zeichnen, wird sie von ihrer ersten Liebe gerettet. Auf ihrer Suche enthüllt Occoca verborgene Geheimnisse der Vergangenheit, doch ein Krieg droht, der sie alles kosten könnte. Zerrissen zwischen Zweifeln und Entschlossenheit stellt sie sich dem Feind, um ihre Urgroßmutter und ihren Planeten zu retten. Wird Occoca den Mut finden, den Preis für den Sieg zu zahlen?
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Seitenzahl: 449
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhaltsverzeichnis
Prolog
Hämisches Lachen
Ausgerissene Blumen
Labyrinth
Saure Grimassen
Kanamander
Planet Yonicaik
Feuer
Regenbogen
Verschlingende Gefahr
Im Netz der Lügen
Sturzflug
Tiefe Wunden
Kashvis Küsse
Schuldgefühle
Heilung
Gezuckerte Tränen
Der Anfang vom Ende
Verirrt
Der letzte Atemzug
Böses Blut
Der Abschied
Bedrohung
Beziehungsbaum
Legende (Gegenstände, Essbares, neue Konzepte)
Danksagung
Werbung
Über die Autoren
Miviski & Laroski
Das geheimnisvolle Flüstern der Bedrohung
Fantasy
Impressum
Texte: © 2025 Copyright by Michelle Celine & Larina Aileen Lüthi
Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Miviski
Coverdesign: Miviski
Korrektorat: David Hollmer | www.derletzteSchliff.de
Inhalt:
Miviski & Laroski
Steingasse 31
4934 Madiswil
Herstellung: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Vor langer Zeit tanzten zwei Energiequellen einen Kampf des Gleichgewichts, um den Frieden zu wahren. Sie sind die Schöpfer dieses Universums. Die beiden Energiequellen nahmen eine Körpergestalt an und wurden zu den Urgöttern – den Mavaylys.
Sie waren bekannt als Kujakutai und Nishikigoishu.
Nach einer Ewigkeit war einer von ihnen es leid, diesen Kampf um die Harmonie zu tanzen.
Kujakutai strebte nach Freiheit, nicht mehr gebunden an Nishikigoishu. Er erschuf 47 Götter und teilte seine Kraft mit ihnen. Diese Götter sollten seine Aufgaben übernehmen und so das Gleichgewicht aufrechterhalten.
Nishikigoishu konnte dies nicht zulassen, sie musste handeln. Genauso wie er schuf sie 47 Götter und teilte mit ihnen ihre Macht. Kujakutai war gar nicht erfreut darüber, denn dadurch ist er gezwungen, seinen Platz wieder einzunehmen. Von Wut getrieben ließ er seine Energie in einige von Nishikigoishus Göttern einfließen. Er hoffte, so würde ihre Energie aus ihnen weichen.
Doch diese Götter trugen seither beide Energien in sich. Nishikigoishu spürte dies und tat dasselbe bei Kujakutais Göttern, um das Gleichgewicht zu wahren.
Nach jahrelangem Sabotieren des anderen erkannten die beiden, dass es nichts bringt, einander zu behindern. So beschlossen sie, die Harmonie und den Frieden zu erhalten und mit den Göttern gemeinsam das Universum zu verfeinern.
Zusammen teilten sie ihre Aufgaben den Göttern zu und schickten sie in das weite Universum, um weitere Planeten zu erschaffen. So erstrahlte das ganze Universum in voller Pracht.
Ein Zeitalter des Friedens kehrte ein und alle waren zufrieden.
Doch wie meist hielt dieser Frieden nicht lange an, der eigentliche Krieg wartete schon in den Schatten auf sie. Aus anderen Universen und Welten kamen zerstörerische Wesen in ihres, mit dem einzigen Ziel, es zu zerstören und ihre Energie zu stehlen. Die Urgötter und die Götter kämpften Seite an Seite, um ihre Welt vor diesem Unheil zu beschützen.
Zuerst boten sie den Kreaturen Frieden an, doch diese antworteten mit Tod und Verderben. Die Feinde waren gierig, grausam und zeigten keine Gnade. So wie jeder Krieg war auch dieser hart und blutig. Die Völker der Götter erlitten viele Verluste. Es schien aussichtslos: Immer wenn sie einen Kampf gewannen, kamen Millionen von neuen, schlimmeren Gegnern aus der Dunkelheit gekrochen.
Die Götter erkannten, dass es Zeit war zu handeln. Sie schlossen Allianzen untereinander, und daraus bildete sich eine neue, stärkere Generation von Göttern.
Die Stimmung unter den Göttern verfinsterte sich, doch trotzdem kämpften sie weiter und weiter.
Sie verloren nie das Vertrauen, da sie die Mavaylys auf ihrer Seite wussten.
Doch eines Tages verschwanden die Urgötter, und ein großer Schatten legte sich auf die Götter und das Volk.
Seit diesem Tag verloren sie die Hoffnung.
1
In der Abenddämmerung schreitet ein großer Mann durch die von den orangegelben Nuancen gefärbten Gefilde, zielstrebig auf den Tempel der Níanhas zu. Der lange Lendenschurz, den er um seine Hüfte band, zeigt seine kräftigen Beine. Seine Brust wird von einem lockeren Tuch bedeckt, das sanft im Wind weht.
Während die Sonne untergeht und die letzten Sonnenstrahlen über das Land ziehen, erblickt der Mann fünf Wächter, die aus dem Schatten des Dschungels treten.
Sie stellen sich dem frevelhaft lächelnden Mann entgegen und erheben bedrohlich ihre Speere.
„Bleib stehen! Du befindest dich auf unbefugtem Land. Kehre an den Ort zurück, von dem du kamst.“
Die Mienen der Wächter verziehen sich kein Stück, sie bleiben professionell und standhaft.
Obwohl der Fremde die Farben und Muster ihres Planeten trägt, sind sie skeptisch.
Abwertend schaut der Unbekannte auf die Speere herab und zeigt keine Anstalten, zurückzutreten.
Ein Wächter nähert sich dem Mann um einen Schritt. „Wir wiederholen es noch mal. Gehe zurück an den Ort, von dem du gekommen bist!“ Er erhöht die Lautstärke seiner Stimme drastisch und zieht die Augenbrauen zusammen.
Jetzt fängt der Unbekannte an, hämisch zu lachen.
Ein dunkles, kratziges Lachen.
Verwirrt erschrecken die Wächter und verfestigen den Griff um ihre Waffen. Mit Blicken verständigen sie sich – bereithalten.
Da hebt der Mann blitzartig seine Hände und formt eine kopfgroße Machtkugel, die in den Farben Orange, Violett und Pink strahlt.
Die Machtkugel über seinem Kopf feuert er nun auf die erschütterten Wächter ab.
Trotz des kläglichen Versuchs, auszuweichen, trifft es zwei von ihnen, die sogleich mehrere Meter weit weggeschleudert werden und sich an einer Palme wiederfinden. Entsetzt reißen die restlichen Wächter ihre Augen auf. In ihren Gesichtern bildet sich ein Fragezeichen, denn sie verstehen nicht, wieso einer ihresgleichen sie angreift. Schnell nehmen sie eine Verteidigungsposition ein. „Wer bist du und was willst du?“, fragt der eine.
Der Mann lacht heimtückisch auf.
„Euer Verderben.“
Vor sich erschafft er eine rauchartige Wand, die durchsichtig ist, und jagt sie durch die Wächter hindurch. Diese stehen jetzt unter einer Illusion und kämpfen gegeneinander. In ihrer Sicht steht der Fremde vor ihnen, doch es sind ihre eigenen Kameraden. Keiner von ihnen ahnt, dass, während sie miteinander kämpfen, ihr eigentlicher Feind seinen Weg ungehindert fortführt.
Bevor der Mann weitergeht, lacht er die unwissenden Wächter aus, die vor ihm im Dreck kämpfen. Dann wendet er sich ab und schreitet auf den Torbogen des Tempels zu. „Und so was sollen Wächter sein, wie lächerlich!“, spottet er, als er das Tempelinnere betritt.
Edel verzierte Wände mit gigantischen Säulen und ein von schwungvoll gemeißeltem Muster behafteter Steinboden füllen den Raum. In der Mitte steht ein Sockel, auf dem eine kopfgroße Kugel mit einem Symbol darauf schwebt. Die Farben Grün, Pink und Gelb umranden es – die Farbkombination des Planeten der Mäuse, mein Planet.
„Endlich habe ich dich gefunden, nach so langer Zeit. Deine Macht ist mein.“ Gierig schreitet er auf den Sockel zu, in seinem Gesicht zeichnet sich ein glückliches, aber dennoch fieses Lächeln ab.
Seine Hand nähert sich der Kugel, und schon beginnt das weiße Symbol heller zu strahlen. Mit einer einzigen Berührung schwebt es auf seine Brust zu und vereint sich mit ihm. Ein unvollständiger Teil eines Symbols bildet sich auf seinen Bauchmuskeln, als ein kräftiger Wind aufzieht und der Tempel sich verdunkelt.
Er atmet tief ein, dann aus, und fühlt die gewaltige Kraft meiner Uroma durch seinen Körper strömen.
„Zieht euch lieber zurück in eure Häuser, ich komme und bringe den Schatten der Zerstörung über euer geliebtes Land“, gibt er von sich, während er von seinem Bauch auf seine Hände schaut. Dann verlässt er eilig den Tempel, wo ihn schon die fünf Wächter, die sich aus der Illusion befreit haben, erwarten. Wieder richten sie ihre Speere auf den Mann, ihre Gesichter vom bloßen Entsetzen gezeichnet.
„Ergib dich und lege die Macht von Göttin Miaccela zurück!“
Der Fremde lacht hämisch auf und presst ein „Niemals“ zwischen seinen knirschenden Zähnen hervor. In seiner linken Hand lädt er eine Machtkugel, die etwa so groß ist wie ein Kürbis, und rennt gleichzeitig auf seine Gegner zu.
Die Wächter versuchen mit aller Kraft, den Mann aufzuhalten, doch sie wissen, dass dies ihr letzter Kampf sein wird.
2
Urgroßmutter steht inmitten eines blühenden Gartens. Ein langer Volantrock verdeckt ihre Beine und ein noch längerer Umhang fällt ihr über die Schultern. Auf ihrem Kopf thronen zwei Dutts mit drei weiteren, die hinter ihrem Gesicht nach unten fallen und ihr nicht einmal bis zum Schlüsselbein reichen. Kurze Fransen, die knapp bis zu ihren Augenbrauen wachsen, betonen ihre gelbgrünen Augen.
Eine runde Krone baut sich majestätisch zwischen den Dutts auf.
Zwei Stulpen umrahmen ihre Arme und geben ein königliches Erscheinungsbild frei.
Während sie sich ihrer Tochter zuwendet, meiner Oma, streicht sie über eine pinkgelbe Blume, die völlig in ihrer Blüte steht.
„Sind sie nicht atemberaubend?“
Großmutter richtet ihr königliches Gewand und die Krone, die etwas schief auf ihrem Kopf liegt. „Ja, du hast recht, Mutter. Sie gedeihen prächtig.“
Den Blick wieder den Krokussen vor sich zugewandt, kräuselt die Frau ihre Augenbrauen voller Schmerz. Ein hervorgepresstes Stöhnen lässt Oma zusammenzucken.
„Mutter?“, fragt sie besorgt.
„A-alles gut, A-Aceccia.“ Gefolgt von einem schmerzverzerrten Schrei stürzt sie zu Boden. Durch Reflex umklammert sie die Blume und reißt sie mit sich, während sie auf der Erde aufprallt. Ihr Körper flackert auf, so, als wäre sie ein Hologramm.
Durcheinander und voller Sorge um ihre Mutter kniet sich Großmutter neben sie. „Mama! Was hast du?!“ Schnell richtet sie sie auf und stützt sie mit ihrem Arm.
„Mein Machtanteil ... er wurde ... g-gestohlen“, erwidert sie mit zittriger Stimme, als sie langsam die Augen schließt und das Bewusstsein verliert.
Omas Augen füllen sich mit Tränen. „Mama? MAMA! HILFE! WIR BRAUCHEN HILFE!“
Wachen, die nicht weit weg von ihnen patrouillieren, hören ihre Schreie und eilen sofort herbei.
„Was ist los?“, fragt die Wache, die als Erste ankommt. Er trägt eine pinke Uniform mit gelbgrünen Mustern und weißen Symbolen auf den einzelnen Stoffen. Erschreckt schaut er auf die beiden herab.
„Mama, sie ...“ Sie vermag es nicht, weiterzusprechen.
Hinter dem Mann erscheinen die weiteren Wachen, alle mit derselben Reaktion – pure Panik.
„Göttin Miaccela? Was trödelt ihr denn? Bringt sie in ihr Zimmer!“, befiehlt der eine.
Kurze Zeit später sitzt Oma neben ihrer Mutter, ihre Wangen feucht, genauso wie ihre Augen. Mit ihren Händen bedeckt sie erschrocken ihren Mund.
„Sie wird nicht aufwachen ... Nicht jetzt zumindest, oder, Zelacjo?“
„Ich bezweifle es. Sagte sie etwas, bevor sie ... ihr Bewusstsein verlor?“, erwidert Zelacjo mit den Händen hinter dem Rücken und positioniert sich direkt neben Oma.
Sie überlegt kurz und hebt den Kopf. „Sie sagte, ein Machtanteil von ihr wurde gestohlen.“
Zelacjo streicht sich mit den Fingern über sein von Bartstoppeln übersätes Kinn, sein Blick starr auf Urgroßmutter gerichtet.
„Holt mir bitte meine Tochter und Enkel her!“, verordnet Oma den Wachen, die an der Tür stehen. Diese nicken und verlassen zügig den Raum.
„Mama ist in großer Gefahr.“ Sie nimmt die Hand ihrer Mutter und streichelt sie behutsam.
***
Ich stehe in meinem Zimmer mit einem Zettel in der rechten Hand. Zwei rosafarbene Strähnen fallen neben meinem Gesicht herab. Hinter mir sitzt meine Zwillingsschwester auf einem Sofa.
„Ach, Occoca. Du weißt schon, dass wir die Feier noch nicht planen müssen? Sie ist doch erst in ein paar Monaten.“ Sie schiebt sich genervt ein Jucciji-Bonbon in den Mund.
Seufzend drehe ich mich zu ihr um. „Klar weiß ich das, Iccaci. Weißt du, dass Mama uns dieses Mal aufgetragen hat, die Feier zu planen?“ Ich lege besondere Betonung auf die Wörter du und ich und wende mich wieder dem Zettel zu. „Das ist eine große Ehre, und ich möchte alles so stilvoll wie möglich gestalten. Deshalb müssen wir früh anfangen.“ Zerstreut laufe ich vor Iccaci hin und her.
Zu viele Ideen wurden auf dem Stück Papier schon sorgfältig vermerkt. Niemals könnten wir die alle planen und in das Fest einfügen.
Iccaci seufzt laut und lange. „Gut, wenn du darauf bestehst ... Hast du denn schon eine Idee?“
Erschöpft lasse ich mich neben ihr auf das grüne Sofa fallen. „Ja, leider habe ich zu viele Ideen. Es wird schwierig, sich für etwas zu entscheiden. Vor allem die Thematik ... Wir könnten die Krokusse in den Vordergrund stellen!“
Erfreut schaue ich zu Iccaci rüber, die genervt ihre Augen verdreht und aus dem Fenster sieht. „Weißt du, du dürftest mir ruhig etwas mehr helfen! Es soll doch für uns alle unvergesslich werden, oder?“
Iccaci verschränkt griesgrämig die Arme vor der Brust. „Habe ich denn überhaupt eine Wahl? Feste zu planen ist nun mal nicht meine größte Leidenschaft“, brummt sie.
„Als Götter ist es unsere Pflicht, allen eine denkwürdige Feier zu bieten“, sage ich großmütig und schaue wieder auf den Zettel.
Krokusse? Hm, ich weiß ja nicht. Vielleicht lieber die Mäuse? Nein, das ist auch schlecht.
„Ja, Schwester, ich habe es kapiert. Wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Iccaci dreht ihren Kopf mürrisch zur Seite und stützt ihn auf ihrer Hand ab.
Sie wird sich wohl nie ändern.
„Iccaci, du nimmst das etwas zu sehr auf die leichte Schulter. Wir müssen uns anstrengen, immerhin werden wir bald die Anführer sein!“ Ernst stehe ich auf und schaue auf meine Schwester hinab, die abrupt ebenfalls aufsteht und mir ebenso ernst in die Augen blickt.
„Keine Sorge, ich nehme das nicht auf die leichte
Schulter, ganz im Gegenteil sogar! Ich finde nur, wir sollten uns nicht so stress–“
Die Tür rechts von uns wird wuchtig aufgerissen und unterbricht so Iccaci. Mutter tritt in den Raum, ihr Blick von Sorgen erfüllt.
„Occoca! Iccaci! Kommt schnell, eurer Urgroßmutter geht es nicht gut!“
Sie ist völlig außer Atem und ihre Stimme zittert leicht.
Ist sie etwa hierher gerannt? So habe ich sie noch nie gesehen, es scheint ernst zu sein.
„Was?! Was ist denn passiert?“, fragt Iccaci verwundert und legt den Kopf zur Seite.
„Keine Zeit für Fragen. Ihr erfahrt es, wenn wir dort sind.“ Mutter dreht sich um und macht eine scharfe Kopfbewegung, die uns signalisiert, zu kommen. Dann läuft sie eilig voraus. Iccaci schaut zuerst mich an, ihr Blick verwirrt, und dann folgt sie Mutter.
Gedankenlos trotte ich Mutter hinterher, die durch die Gänge des Schlosses läuft, bis sie vor einer umfangreichen Tür stoppt und den silbernen Knauf berührt. Kurz hält sie inne, doch dann öffnet sie die Tür.
Vorsichtig übertrete ich die Schwelle.
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich noch nie in diesem Raum war. Großmutter verbot es uns. Wir sollen Uroma in Ruhe lassen, hieß es.
Die Tapete ist voll mit Krokussen und kleinen Mäusen und der Boden ist in einem dunkelgrünen Farbton getaucht. Auf ihm liegt ein gelber, flauschiger Teppich. Das Bett steht inmitten des Raumes, angelehnt an die Wand, nicht weit vom Fenster entfernt. Urgroßmutter liegt in ihm, so blass wie eine Leiche. Und neben ihr Großmutter, die bedrückt ihre Handknöchel streichelt.
Mutter stellt sich hinter Oma und legt die Hand auf ihre Schulter. „Es wird schon alles gut werden, Mama.“
Dankbar lächelnd legt Oma ihre Finger auf Mutters Hand. Von ihren Lippen entrinnt ein sanftes: „Danke, Schatz.“
Reglos stehe ich da, immer noch auf der Türschwelle, unfähig, mich zu bewegen. Bei diesem Anblick weicht die ganze Farbe aus meinem Gesicht.
„O-Oma? Was ist passiert?“ Stockend laufe ich auf das Bett zu und stütze meine Arme auf dem schwungvoll geformten Fußende ab, mein Blick fixiert auf Urgroßmutter.
Von nahem sieht sie noch schwächer aus.
Im Augenwinkel entdecke ich meine Zwillingsschwester, die sich auf die andere Bettseite gesetzt hat und besorgt auf Urgroßmutters Arm tippt.
Ihre Augen sind geschlossen, neben ihr auf der Kommode liegt ein hübscher, doch am Stiel etwas zerdrückter pinkgelber Krokus.
Oma beobachtet mich und antwortet mir dann endlich: „Wir waren zusammen im Garten und haben die Blumen betrachtet ... und dann ...“ Sie lässt deprimiert ihren Kopf hängen. „Dann ist sie zusammengebrochen und verlor ihr Bewusstsein. Sie meinte, eines ihrer Machtanteile wurde gestohlen.“
Verwirrt runzle ich die Stirn. „Wieso wird sie dann bewusstlos?“
„Sie hat vor vielen Jahren anderen Planeten in Not ein paar Teile ihrer Macht gegeben. Sie sollten ihnen Schutz bieten und sie vor der Unterdrückung ihrer Feinde befreien, doch jetzt hat jemand eines ihrer Machtanteile von einem der Planeten gestohlen und will es für Zerstörung verwenden. Deswegen ist sie bewusstlos ... Aber ich weiß nicht, warum sie so schnell ihr Bewusstsein verlor.“
„Wieso hat sie die Machtanteile nicht zurückgeholt?“, frage ich stutzig.
„Das weiß ich nicht. Sie hat mir das nie erzählt ... Ich weiß ja nicht mal, an welche Planeten sie einen Teil ihrer Macht gegeben hat. Das hätte sie niemals tun sollen, es ist zu gefährlich.“ Großmutters Stimme wird mit jedem Wort ernster und ihr Blick betrübter.
Iccaci räuspert sich. „Warum ist das so gefährlich?“
Oma richtet ihren Blick zu Iccaci. „Weil eure Urgroßmutter eine Göttin der ersten Generation ist. Alle Götter aus der ersten Generation tragen nur eine Machtquelle in sich. Das macht sie angreifbar, wenn sie ihre Kraft aufteilen. Götter mit mehreren Quellen, wie ich oder ihr, haben dadurch weniger Risiko ... Nur ist es trotzdem zu gefährlich.“
Iccaci verstummt und betrachtet Urgroßmutter besorgt.
Ich weiß genau, was ihr durch den Kopf geht. Wie können wir ihr helfen? Es muss doch einen Weg geben.
„Ihre Machtanteile ... wir müssen sie zurückholen“, murmle ich grübelnd.
Iccaci hebt begeistert ihren Kopf. „Ja! Das machen wir. Dann kann Oma bei Uroma bleiben und Mama kann sich weiter um Miacciaa kümmern.“
Miacciaa ... dieser Planet hier. Urgroßmutters Planet.
Mutter verzieht ihr Gesicht. „Auf gar keinen Fall! Ihr begebt euch sicher nicht in Gefahr!“ Ihr Tonfall klingt wie der eines Diktators.
Ich mache große Augen, die flehend zu ihr hinüberschauen.
„Mama, bitte. Wer sonst soll sich darum kümmern? Jemand muss die restlichen Machtanteile zurückholen! Womöglich können wir mit der Person, die sie gestohlen hat, reden und sie fragen, ob sie es zurückgibt.“
Mutter massiert angespannt ihre Augenbrauen und fixiert ihren Blick auf mich.
„Auf gar keinen Fall! Ihr seid gerade mal zwanzig Jahre alt. Das ist eine risikoreiche und heikle Situation. Ihr seid nicht so weit.“
Seufzend drehe ich meinen Kopf zur Seite.
Mir ist bewusst, dass dieses Alter für uns Götter noch sehr jung ist. Vor allem, wenn man bedenkt, dass wir nicht an Altersschwäche sterben können. Ich meine, zwanzig Jahre sind wie ein Wimpernschlag der Zeit für uns Götter ... Aber trotzdem, in ihren Augen werden wir nie so weit sein. Allerdings nehme ich es ihr nicht übel. Mit der vielen Macht, die wir in uns tragen, brauchen wir Jahre, um alles zu meistern. Jahrhunderte sogar.
Fieberhaft überlege ich, wie ich Mutter umstimmen kann, da meldet sich Großmutter zu Wort.
„Miuliccia, deine Töchter haben recht. Niemand sonst kann es tun. Miacciaa braucht deinen Schutz, und ich möchte Mama beschützen. Wir schicken sie, um alle weiteren Machtanteile zu holen. Danach kommen sie nach Hause, und wir kümmern uns um den Dieb.“
„Aber–“
„Kein Aber.“ Großmutter verzieht keine Miene, in ihrem Blick liegt eine ungewohnte Schärfe, die ich noch nie zuvor an ihr sah.
Ja, danke, Oma!
Erwartungsvoll beobachte ich Mutter. Sie schaut stirnrunzelnd zur Seite.
Ja! Das bedeutet, sie überlegt es sich.
„Na gut. Ihr beeilt euch und kommt dann sofort wieder nach Hause!“
Iccaci und ich springen freudig in die Luft und sagen gleichzeitig: „Danke, Mama!“
Doch dann stutze ich. „Wie sollen wir herausfinden, an welche Planeten sie die Machtanteile gegeben hat?“
Großmutter überlegt kurz. „Schaut doch in der Bibliothek nach. Ich bin mir sicher, dort werdet ihr Antworten finden.“
Ein aufgeregtes Lächeln huscht mir über die Lippen. „Gut, dann werden wir dort beginnen!“
Mutter verzieht ihr Gesicht ... schon wieder.
„Keine Sorge, wir passen auf uns auf.“
Sie läuft auf mich zu und drückt mich fest an sich. „Bitte versprecht mir, dass ihr sofort nach Hause kommt, wenn es zu gefährlich wird!“ In ihrer Stimme höre ich die gewohnte Strenge, doch heute liegt eine beunruhigende Besorgnis in ihr.
„Mama, wir versprechen, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun werden, um Uroma zu retten. Bitte vertraue uns, wir schaffen das.“
Ihr Gesichtsausdruck verspannt sich und ihr linkes Auge fängt an zu zucken.
„Und ja, wir kommen sofort nach Hause, wenn es zu gefährlich wird“, füge ich hinzu, damit Mutter sich beruhigt.
„Und ich? Bekomme ich keine Umarmung?“, beschwert sich Iccaci, während sie ihre Arme verschränkt und mürrisch zur Seite schaut.
Mama geht auf sie zu und drückt sie ganz fest.
Iccaci fängt an, wild herumzufuchteln, und befreit sich aus Mutters Umarmung.
„Lass das.“ Iccaci richtet ihre Kleidung, aber ein kurzes Grinsen verrät sie.
Belustigt verdrehe ich die Augen.
***
Auf dem Weg zur Bibliothek räuspert sich Iccaci.
„Was tun wir, wenn wir in der Bibliothek nichts finden?“
Einen Moment überlege ich. „Wenn wir nichts finden, dann beraten wir uns noch mal mit Oma. Sie weiß bestimmt, was zu tun ist.“ Mein Blick huscht über die riesenhaften Fenster direkt neben uns, durch die der Mond scheint, der vor einigen Minuten das Licht der Sonne verdrängte. „Wir werden wohl die ganze Nacht durchsuchen müssen“, stelle ich fest.
Iccaci stoppt und sieht mich perplex an. „Die Nacht durchsuchen?! Und wann schlafen wir?“
„Ach komm, das wird lustig. Außerdem ist es wichtig, für Uroma.“ Ein verspieltes Grinsen bildet sich auf meinen Lippen. „Du hast nur keine Lust, stundenlang Bücher durchzulesen, stimmt’s?“
Diese Frage kann sie aber gar nicht leiden, denn sie verschränkt beleidigt die Arme vor der Brust. Als wäre das nicht genug, verdreht sie jetzt auch noch die Augen.
„Gut, du hast mich erwischt, Bücher begeistern mich eben nicht.“
Fassungslos von ihrer Aussage sage ich: „Iccaci, Bücher müssen dich nicht begeistern. Wir tun das für unsere Uroma. Hast du etwa vergessen, dass sie unsere Hilfe braucht?“
Hoffentlich nimmt sie es jetzt endlich ernst.
Ihr Blick besänftigt sich und sie schaut beschämt zu Boden. Als sie an mir vorbeiläuft, gibt sie ein leises „Nein, habe ich nicht. Tut mir leid, wir sollten keine weitere Zeit verschwenden“ von sich.
Keine halbe Stunde später betreten wir die Bibliothek, die zu unserem Vorteil nicht sonderlich geräumig ist.
Wir Iacaccine schreiben nicht gerne Dinge auf, denn wir sind der Meinung, dass niedergeschriebene Worte ihren Wert verlieren.
Iacaccine, so nennen wir uns, das Volk und die Götter von Miacciaa.
Wir schauen uns in der Bibliothek um. Zahlreiche Bücherregale schweben in der Luft und kleine, runde Sessel stehen bequem in den Ecken.
Sie bestehen aus Maccijani, den weichsten Büschen, die man jemals finden wird.
Dass diese fliegen, wenn man sie einmal antippt, vergesse ich immer.
Ich laufe auf eines der schwebenden Regale zu. Um an die Bücher von dort oben zu gelangen, ziehe ich an einer der vom Bücherregal herabhängenden Schnüre. Es gleitet Richtung marmorartigem Boden und landet sanft.
Normalerweise fliegen wir nach oben, um ein Buch zu holen, doch es ist besser, unsere Kräfte zu schonen. Wer weiß, womöglich können wir ja sogar noch diese Nacht los!
Iccaci fängt an, die weiter entfernten Bücherregale sorgfältig zu durchsuchen, während ich ein Buch aus dem Regal nehme, das zuvor zu mir nach unten geglitten ist.
Die genaue Anleitung, wie man Ajaciacs zubereitet, lese ich auf dem Titelbild.
Nein, das ist es nicht, obwohl Ajaciacs jetzt schon lecker wären.
Ajaciacs ist eine Spezialität aus Miacciaa. Man macht sie aus einer kleinen, runden, salzigen Frucht, die man auswalzt. Danach wird sie geviertelt und angebraten. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich an ihren intensiven Geschmack denke. Würzig, knusprig und knackig.
Schnell lege ich das Buch zurück.
Ich darf jetzt nicht ans Essen denken!
Iccaci schlägt mürrisch einen Buchdeckel zu.
„Hier ist nichts, außer tausenden Rezepten.“ Mit diesen Worten ergreift sie das nächste Buch und liest es schnell.
Ein paar Bücherregale und Stunden später verliere auch ich die Hoffnung.
Was, wenn sie es nicht hier versteckt hat, sondern woanders? Millionen von Orten, die in Frage kommen, schießen mir in den Kopf.
Iccaci lässt sich währenddessen erschöpft auf einen Sessel fallen und legt ihren Kopf auf dessen Lehne. „Ich kann nicht mehr, hier ist nichts. Fragen wir Oma.“ Kurz bleibt es still, dann hebt Iccaci ihren Kopf. „Schwester? Was machst du da?“
Ich stehe wie angewurzelt da und starre auf ein breites Gemälde vor mir. Es zeigt Urgroßmutter, ein Lächeln auf ihren Lippen und die Krone, die funkelnd auf ihrem Kopf thront.
Dieses Gemälde ... Es kommt mir so bekannt vor, aber woher?
Da flitzt eine lang vergessene Erinnerung in meinen Kopf.
Ich sitze neben den runden Sesseln auf dem flauschigen Teppich und spiele mit Chisoaji, die ganz klein um mich herumrennt.
Zu dem Zeitpunkt war ich etwa ... fünf? Oder sechs? Wie auch immer, auf dem Sessel liegen zwei Kinderbücher, die Urgroßmutter mir vor wenigen Stunden vorlas.
Plötzlich schiebt sich ein Gemälde zur Seite und Uroma tritt aus ihm. Verdattert schaut sie zu mir.
„Occoca? Ich sagte dir doch, du sollst zu deiner Mutter gehen. Sie wartet schon auf dich.“ Unauffällig schiebt sie das Gemälde zu und schenkt mir ein breites Lächeln. „Na komm, wir gehen zusammen.“ Sie reicht mir die Hand.
Ach, wie ich diese Zeit vermisse ...
Bei dem Gedanken rast ein drückendes Gefühl in meine Brust. Uroma ... ich werde dich retten.
„Iccaci?“
„Was?“
„Komm mal her“, sage ich, während mein Blick keine Sekunde vom Gemälde weicht.
„Was ist denn?“ Ungeduldig trottet sie her und positioniert sich neben mich. Ihr langer, genervter Seufzer ist nicht zu überhören.
Miaccela Illichisa lese ich unten auf dem Rahmen, als ich das Bild abtaste.
„Was machst du da?“, fragt Iccaci verwundert.
„Warte ab“, erwidere ich, während meine Hände über die Fasern des Gemäldes gleiten. Unten rechts am Rahmen ragt eine der geschwungenen Verzierungen weiter heraus als die restlichen. Ich schiebe das Symbol in den Rahmen hinein, und das Bild fängt an zu leuchten, während es sich zur Seite schiebt. Dahinter kommt eine Tür zum Vorschein.
Voller Aufregung schaue ich zu meiner Schwester, die diese offensichtlich teilt.
Neugierig drücke ich den Knauf nach unten und öffne die Tür. Dahinter befindet sich ein Zimmer, das etwa so groß ist wie ein Büro.
An den Wänden hängen Gemälde von Urgroßmutter mit fremden Leuten. Auf einem erkenne ich unseren Urgroßvater. Beide lächeln überglücklich und stehen nah beieinander. Auf weiteren sind ich, Iccaci, Mutter und Großmutter abgebildet.
Mausstatuen sind prächtig im Raum aufgestellt und die verschiedensten Blumen wachsen auf ihnen. Zwei, drei Sessel stehen hinter einem Kaffeetisch, auf dem eine Tasse abgestellt worden ist. Vermischte Pflanzenarten hängen von der Decke herab und in der Mitte des Raumes steht ein hinreißend geschwungener Tisch mit einem dazu passenden Stuhl.
„Sieh mal.“ Während die Worte über meine Lippen gleiten, schreite ich auf den Tisch zu.
Iccaci, die die Statuen genauer unter die Lupe genommen hat, horcht auf und kommt zu mir.
„Was denn?“
Ich zeige auf das Buch, das geschlossen auf dem Tisch liegt.
„Ein Tagebuch?“ Verwundert stützt Iccaci die Hände auf ihre Hüften und beugt sich über den Tisch.
Vorsichtig blättere ich den Buchdeckel um.
„Sieht so aus. Hier, sie schreibt von Uropa.“
Iccaci setzt sich auf einen der Sessel, die beim Kaffeetisch stehen, und schaut erwartungsvoll in meine Richtung.
„Lies vor.“
Verdutzt sage ich: „Wir können doch nicht ihr Tagebuch lesen.“
„Doch, Uroma schwebt in Lebensgefahr. Nur so finden wir heraus, ob sie etwas über ihre Machtanteile geschrieben hat.“ Stolz verschränkt sie die Arme.
Eine Sekunde überlege ich und fange dann an vorzulesen.
«Heute ist ein schöner Tag. Nur bin ich nicht glücklich.
Akinitsivuk Qhaniaqna ist ... speziell. Es ist schon ein paar Monate her, seit wir ein Xikomichi wurden. Bald feiern wir die Laionarioma und bereiten uns danach auf die Xuxixalo vor.
Er hat mich von meiner großen Liebe weggerissen. Ich weiß nicht, ob ich Akinitsivuk jemals lieben lernen kann. Immer wenn ich ihn ansehe, dann macht sich so ein deprimierendes Gefühl in mir breit. Die Erinnerungen an mein früheres Leben kommen ans Tageslicht. Er wirkt immer so schlecht gelaunt und macht mir manchmal Angst. Dennoch werde ich mein Bestes geben. Für mein Volk und für mich selbst.»
Sie waren ein Xikomichi? Ist das nicht die Bindung der Emotion? Soweit ich weiß, ist das die erste Bindung, die man in einer romantischen Beziehung eingeht. Man einigt sich auf eine Liebesbeziehung. Diese verbindet die Familien nicht, nur die Herzen und die Gefühle.
Die Laionarioma ist die zweite Verbindung. In der werden die Körper und Familien miteinander verbunden.
In der dritten Stufe, der Xuxixalo, werden die Energien mit einem Band gebunden. Dort teilt man alles: die Mächte, die Planetenherkünfte und den Rest.
„Uroma hatte vor Uropa jemand anderes? Davon hat sie nie erzählt“, stelle ich überrascht fest.
Iccaci, ebenfalls verwirrt, aber doch neugierig, antwortet: „Ja, oder? Lies weiter.“
«Schon wieder wende ich meine Gedanken meinem lieben Buch zu.
Es ist Monate her, seit dem letzten Eintrag. Akinitsivuk besserte sein Verhalten deutlich. Er gibt sich große Mühe, mein Herz zu gewinnen. Erst gestern schenkte er mir eine wunderschöne Kette aus Vakiunuk, seinem Planeten. Ich liebe sie! Seine Stimmung hebt sich, sobald ich den Raum betrete, und ich sah schon, wie er rot wurde. Ich habe entschieden, mir genauso viel Mühe zu geben und unsere Streitereien hinter uns zu lassen. Womöglich kann hier doch Liebe entstehen ...»
„Ich wusste nicht, dass unsere Urgroßeltern so viele Probleme hatten“, denke ich laut.
Iccaci nickt stumm, während ich weiterlese. Seite für Seite. Es steht eine Vielzahl über Miacciaa und sonstige Sorgen von Urgroßmutter. Von Uropa oder ihrer ersten Liebe finde ich nichts Weiteres, nur ausgerissene Seiten.
Nach einer Weile stoßen wir auf einen hochinteressanten Eintrag.
«Das, was ich jetzt meinem Buch anvertraue, ist schon lange her. Es ist vor der Entstehung dieses Buches passiert. Nun liegt es mir auf dem Herzen und ich möchte es niederschreiben. Viele Götter waren zu der Zeit aufeinander angewiesen. Einige baten mich um Hilfe beim Kampf gegen ihre Feinde. Ich konnte nicht vor Ort helfen, also gab ich ihnen je ein Teil meiner Macht. Diese Götter waren: Itzamna, Göttin des Planeten Manítzí, Cyonika, Göttin des Planeten Yonicaik, Eyanithi, Gott des Planeten Nitheya, Caelael, Gott des Planeten Laelacel, und Laimanjua, Gott des Planeten Aimanju.»
Im Gegenzug für meine Hilfe verbündeten sich unsere Planeten. Sie versprachen mir, dass sie meine Machtanteile gut aufbewahren, während der Krieg wütet. Eines Tages werde ich sie zurückholen.»
Iccaci macht ganz große Augen und springt vom Sessel hoch.
„Jetzt wissen wir, wem sie die Machtanteile gab!“
Nickend notiere ich die genannten Götter und deren Planeten, während Iccaci schon zum Ausgang stürmt.
„Schnell, beeilen wir uns und holen Uromas Machtanteile zurück!“
Sie klingt aber euphorisch, scheint so, als ob sie fast eingeschlafen wäre während unserer Suche.
„Ja, ziehen wir uns um und packen alles, was wir für die Reise brauchen. Wir treffen uns vor dem Schlosstor“, schlage ich vor.
Voller Freude renne ich in mein Zimmer und reiße den Kleiderschrank auf. Die vielen Klamotten durchsuchend, entscheide ich mich für ein praktisches Outfit.
Das königliche Gewand ist nicht sonderlich praktikabel für diese Reise.
Ein langes grünes Oberteil mit langen Ärmeln, das mir über die Hüfte ragt, gefolgt von einem gelben Rock, der unter meinem Oberteil hervorragt, schmückt meinen Körper.
Meine Taille wird von einem entzückenden Gürtel mit einer Schleife, die alles zusammenhält, umrahmt.
Die Haare trage ich auf beiden Seiten zu zwei kurzen Pferdeschwänzen hochgesteckt. Pinke Stulpen umranden meine Beine.
Auf der Kommode liegen zwei rosafarbene Handschuhe, die ich anziehe. Die Stoffe tragen Muster aus Miacciaa auf ihnen.
Silberne Details und Perlen vervollständigen mein Erscheinungsbild.
Prüfend betrachte ich mich im Spiegel, der neben meinem weitläufigen Schrank steht. Alles sitzt perfekt. Dann eile ich aus dem Zimmer.
***
Beim Schlosstor angekommen, wartet Iccaci schon längst. Sie trägt jetzt ein entzückend gestyltes pinkgelbes Oberteil zu einer kurzen gelbpinken Hose. Zudem trägt sie einen silbernen Gürtel.
Ihre grünen Haare trägt sie halb offen und halb nach oben gesteckt. Grüne Stulpen umranden ihre Beine und ihre Hände bis zum Ellbogen.
„Jetzt kann es losgehen.“ Mit deutlich nervösem Tonfall kratze ich mich am Hals, an dem eine Perlenkette angebracht ist.
Iccaci stimmt mir mit einem zappeligen Kopfnicken zu, gefolgt von einem aufgeregten Kichern, in das ich miteinstimme.
„Also gut ... Occoca? Wo ist Chisoaji bitte? Sag mir nicht, du hast sie noch nicht gerufen?“
Erst jetzt fällt mir Ajinicci auf, die neben Iccaci schon bereitsteht. Sie ist eine große, kräftige Maus mit pinkem Fell und grüngelben Ohren und Füßen. Sie ist das Seelentier meiner Schwester.
„Nein, aber ich rufe sie jetzt.“
„Na gut, aber beeil dich“, schnaubt Iccaci genervt aus.
Chisoaji, komm her, rufe ich sie durch meine Gedanken.
Keine Minute vergeht, bis eine große weiße Maus mit pinkgelbgrünen Ohren und Füßen am Himmel mit ihren Flügeln flattert und direkt auf uns zurast. Ihre zwei Schwänze wehen im hektischen Wind.
„Chisoaji!“
Wild schmiegt sie sich an mich.
„Hast du mich so vermisst?“
Ja, du mich etwa nicht? antwortet sie mir in Gedanken. Klar, erwidere ich.
Freudig steige ich auf ihren Rücken, bereit loszufliegen.
„Fliegen wir los. Schwesterchen, komm jetzt.“
Iccaci sieht mich genervt an. „Ist ja gut.“ Dann steigt sie auf Ajinicci und wir heben ab in die Luft.
Der Planet Manítzí ist unser erstes Ziel.
Ich schaue auf mein Schloss zurück, das immer kleiner und kleiner wird.
3
Der kalte Wind bläst mir in mein sommersprossenbehaftetes Gesicht und ich zittere leicht bei seiner Berührung. Chisoaji scheint es genauso zu gehen, sie schüttelt sich kurz, während ich meine Beine an den Sattel schmiege.
Das wird eine frostige Reise zum Planeten der Chamäleons.
Die Sonne geht schon auf und blendet mich.
Mutig schaue ich in die Weiten des Weltraums vor mir.
Wir werden das schaffen! Urgroßmutter, halte durch, wir retten dich.
Da höre ich ein Zähneklappern hinter mir. Verwundert drehe ich mich um und grinse. Auf Iccacis von Sommersprossen bedeckter Haut bildet sich eine Gänsehaut.
Sie friert wohl. Würde ich sie jetzt darauf ansprechen, würde sie es verneinen.
„Schwesterchen? Ist alles in Ordnung? Ist dir kalt? Sollen wir eine Pause einlegen?“
Sie schüttelt den Kopf und reibt sich die Arme, den Blick starr nach vorn gerichtet.
„Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Aus ihrer winzigen Gürteltasche zieht sie einen kuscheligen Umhang hervor, den sie überwirft und dann näher an mich heranfliegt.
„Was tun wir, wenn sie uns nicht helfen wollen?“
Daran habe ich gar nicht gedacht.
„Sie werden uns sicher helfen, sie sind unsere Verbündeten. Das hat zumindest Uroma so geschrieben.“
Iccaci nickt beruhigt und fliegt ein Stück weiter weg, während ich Chisoajis Kopf behutsam streichle.
„Los, Chisoaji, beeile dich!“
Meine liebe Freundin legt sich richtig ins Zeug und fliegt umso schneller, genauso wie Ajinicci.
Wunderbar, so werden wir sicher bald ankommen.
Zu unserem Vorteil liegt der Planet Manítzí in der Nähe von Miacciaa, dennoch ist er ein ganzes Stück weit entfernt.
Mit jeder Stunde, die verstreicht, in der wir im Weltraum fliegen, spüre ich meine Nervosität in mir aufkommen.
Was, wenn wir es nicht schaffen, diese Person aufzuhalten? Was, wenn die Machtanteile nicht mehr da sind? Nein! So darf ich nicht denken!
Gedankenversunken schweifen meine Augen über eine Planetenkette, an der wir soeben vorbeifliegen.
„Occoca! Pass auf!“, ruft Iccaci panisch.
Erschrocken richte ich meinen Blick schlagartig nach vorn. Ein riesiger, eckiger Asteroid fliegt auf mich zu.
Chisoaji, meine treue Freundin, weicht im letzten Moment geschickt aus, als ob es das Einfachste der Welt gewesen wäre. Mein Herz pocht mir bis zum Hals vor Panik. Sanft streichle ich Chisoajis Kopf. „Danke.“
Iccaci fliegt voller Besorgnis auf mich zu. „Das war knapp. Ist alles in Ordnung?“
Das Pochen meines Herzens lässt langsam nach und mein Körper entspannt sich wieder. „Alles gut, danke. Es tut mir leid, ich war ein bisschen abgelenkt, ich passe besser auf.“
Iccaci seufzt erleichtert und schüttelt den Kopf. „Es ist ja alles noch mal gut ausgegangen. Konzentrier dich, Occoca.“
***
Weitere Stunden vergehen und die Sonne steht schon tief am Horizont, der heute in violettgelben Farbtönen gefärbt ist. Ein wahrlich idyllischer Anblick. In der Ferne erkennt man bereits die glänzenden Farben unseres Zielplaneten – Orange, Pink und Violett.
„Wir sind bald da! Siehst du den Planeten in der Ferne?“, rufe ich meiner Schwester zu.
„Ja! Das ist er! Na endlich, bald können wir landen.“
Nach einer mühsamen Weile kommen wir an.
Er ist gigantisch!
Riesige Dschungel ragen aus dem Boden empor und verdecken so die Sicht auf die Erde. Inmitten dieser Dschungel liegt das weite Reich.
Die letzten Sonnenstrahlen kitzeln mich auf der Nase, als wir vor dem Reich landen. Der Tag ist schon bald vorüber. Wir sind den gesamten Tag nur geflogen, ich kann es in meinen Knochen spüren.
Auf einem von zwei goldenen Chamäleons umrahmten Schild erblicke ich die Aufschrift: Xishtacashéz.
Das muss der Name dieses Reiches sein.
Hinter den Häusern sichten wir einen riesenhaften königlichen Tempel. Darin wohnen sicher die Götter dieses Planeten.
Sanft streichle ich Chisoaji über ihr stacheliges Fell. „Ich ziehe dich jetzt ein. So bald wie möglich lasse ich dich wieder frei.“
Chisoaji nickt unbekümmert, und dann tippe ich ihr auf die Stirn. Sie formt sich zu einer Perlenhalskette mit einem pinken Edelstein am Ende, in dem man, wenn es das Licht trifft, noch ihr Gesicht erkennen kann.
Auf diese Weise kann sie besser mit uns reisen. Manchmal ist es sinnvoll, unsere Tiere vor anderen zu verbergen. Es gibt Leute, die es störend oder gar respektlos finden, wenn fremde Tiere auf ihren Planeten frei herumlaufen. Außerdem sind sie so vor Feinden geschützt.
Iccaci kommt zu mir und blickt zweifelnd über die Umgebung. Ajinicci ist nirgends aufzufinden. Ich schätze, Iccaci hat sie ebenfalls eingezogen.
„Ich hoffe wirklich, dass sie uns helfen. Keine Ahnung, wie wir sonst das Machtanteil finden sollen“, meint Iccaci unsicher.
„Positiv bleiben, Schwesterchen. Los, laufen wir zum Tempel“, sage ich, während ich ihr auf die Schultern klopfe und dann an dem Schild vorbei in das prächtige Reich laufe.
Eine friedliche Atmosphäre liegt in der Luft, als Iccaci und ich durch die Straße neben den Häusern laufen. Die meisten Bewohner sind schon in ihren gut beleuchteten Häusern – verständlich, schließlich wird es bald dunkel.
Einige Wachen bemerken uns und nähern sich bedrohlich, mit ihren Speeren auf uns gerichtet.
Ich hebe meine Hände achtungsvoll. „Wir kommen in Frieden. Können wir mit Göttin Itzamna sprechen? Es ist dringend.“
Iccaci hebt ebenfalls ihre Hände. „Ja, jemand könnte sterben. Wir brauchen die Hilfe eurer Göttin.“
Die Wachen tauschen nachdenklich Blicke aus und flüstern daraufhin wild miteinander. Sie diskutieren heftig, bis eine von ihnen sich an uns wendet.
„Wir benötigen genauere Informationen. Wer stirbt? Und was hat das mit unserer Göttin zu tun? Wer seid ihr?“
Wie konnte ich nur vergessen, mich vorzustellen?
Ein beschämtes Lächeln huscht über mein Gesicht.
„Natürlich, tut mir leid. Wir heißen Occoca und Iccaci Illichisa und kommen vom Planeten Miacciaa. Unsere Uroma, Göttin Miaccela, hat vor vielen Jahren fünf Göttern ein Machtanteil von ihr geliehen, Göttin Itzamna eingeschlossen. Eines wurde kürzlich gestohlen und unsere Urgroßmutter verlor daraufhin ihr Bewusstsein. Ihr Zustand ist katastrophal. Niemand weiß, wann sie wieder aufwacht. Jetzt müssen wir alle restlichen Machtanteile einsammeln, um ihre Kraft wieder zu vervollständigen. Dazu benötigen wir eure Göttin“, erkläre ich angespannt.
Die Wachen hören aufmerksam zu. Ich kann genau sehen, dass sie die Situation abwägen. Eine kurze Stille liegt zwischen uns, während sie uns mustern und ein weiteres Mal flüsternd miteinander diskutieren.
„Wir haben entschieden, ihr seid keine Gefahr, also gestatten wir euch, mit Itzamna sprechen zu dürfen ... Folgt uns.“
Mit einem knappen Kopfnicken drehen die Männer sich um und laufen voran, Richtung ehrfurchtgebietendem Tempel.
Einen neuen Planeten zu sehen, erinnert mich an Miacciaa ... und meine restlichen Herkunftsplaneten. Ich blicke zurück auf die Zeit, als ich nicht auf Miacciaa war, sondern auf den anderen. Erst drei von sechs habe ich bis jetzt mit meinen eigenen Augen gesehen. Mutter meinte stets, es sei zu gefährlich auf ihnen, also solle ich auf Miacciaa bleiben ... Hatte sie recht oder ist sie nur zu ängstlich? Wie auch immer, dieses Gefühl, sie nicht zu kennen ... schmerzt irgendwie.
***
Vor dem riesenhaften Tempel angekommen, spricht einer der Wachen mit der Tempelwache vor dem Tor. Kein Wort verstehe ich, so leise reden sie miteinander. Die Tempelwache verschwindet kurze Zeit im Tempel und kommt mit einem Mann im Schlepptau zurück. Jetzt beraten sie sich mit ihm, wieder leise und undeutlich.
„Wir sollten die königlichen Gewänder wieder anlegen. Das gehört sich immerhin so in den Palästen, oder?“, fragt Iccaci, gelangweilt vom Warten.
„Ja, du hast recht.“ Mit diesen Worten strecke ich meine Arme aus und schließe fokussiert die Augen. Das Oberteil und der Rock an meinem Leib beginnen zu glühen. Keine Sekunden vergehen und meine vorherigen Klamotten sind ausgewechselt durch eine bauchfreie Carmenbluse mit Rüschenbesatz und Puffärmeln, die meinen Oberkörper schmückt. Der Unterkörper wird bekleidet durch einen langen Stufenrock mit Rüschenbesatz, der mir bis zu meinen Fußknöcheln reicht. Schleifen und Perlen verschönern mein Gewand. Handschuhe, die sich bis zum Anfang meiner Schultern ziehen, bedecken meine Arme. Genauso ist auch meine Frisur verändert, denn sie ist wie zwei Schleifen auf beiden Seiten hochgesteckt. Zu guter Letzt ziert eine runde Krone meinen Kopf.
Iccaci hingegen trägt ein bauchfreies Trägeroberteil und darunter einen kurzen Rock, aus dem ein langer Rock bis zum Boden reicht und ihre dünnen Beine zum Vorschein bringt. Socken, die sich bis kurz über ihre Knie ziehen, und Handschuhe, die knapp über ihre Ellbogen reichen, umrahmen ihre Arme und Beine. Wie bei mir verzieren Perlen und Schleifen ihr Gewand. Zwei Haarsträhnen und kurze Fransen fallen ihr ins Gesicht, die Hälfte ihrer Haare hat sie zu zwei Dutts hochgesteckt, während der Rest über ihre Schultern fällt. Direkt hinter ihren Fransen thront eine mächtige Krone, passend zu meiner.
Zum Glück ist es uns gegönnt, unsere Kleidung zu bändigen, so ist jedes Kleidungsstück in Sekunden gewechselt.
Nicht drei Minuten vergehen, bis der Mann vor dem Tor auf uns zukommt. Ein kritischer Blick und Augen voller Konzentration sind auf uns gerichtet.
„Wer seid ihr und was genau wollt ihr?“
Die Wachen hinter ihm schnauben genervt. „Kawiil, das sagten wir dir doch vorher!“
Übel gelaunt kehren die Männer, die uns hergeführt haben, in die Stadt zurück.
Kawiil lacht frech und schaut ihnen nach, dann dreht er den Kopf schlagartig zu uns, sodass wir erschrecken. Wieder prustet er los, als ob es kein Ende gäbe.
„Das war doch alles nur ein Witz. Ich weiß, wer ihr seid und wonach ihr sucht. Mein Name ist Kawiil, wie ihr schon mitbekommen habt. Ich führe euch zu Göttin Itzamna, folgt mir.“
Staunend drehe ich den Kopf von der einen Seite zur anderen, um alles zu betrachten.
Der Tempel ist, wie der Rest des Planeten, in tiefes Orangeviolett und Pink getaucht, schon nur der Eingang ist eindrucksvoll.
Kawiil führt uns in einen langen Gang, gefolgt von weiteren langen Fluren.
Seine Gangart ist schnell, fast schon zu schnell, denn Iccaci und ich haben Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
Mal biegen wir links ab, mal rechts, dann wieder geradeaus. Es ist verwirrend. Egal wie sehr ich versuche, mir den Weg einzuprägen, nach der fünften Abbiegung habe ich alles wieder vergessen.
Ich kann Iccacis Grinsen förmlich spüren.
„Das ist wie ein Labyrinth, auf irgendeine Art mysteriös.“
„Ja, ist wirklich wie ein Labyrinth“, gebe ich ihr recht.
Mir den Weg einzuprägen, habe ich aufgegeben. Ab jetzt vertraue ich auf meinen Instinkt.
Ich gehe ein paar Schritte näher auf Kawiil zu. „Man verirrt sich hier sicher schnell, vor allem, wenn man nicht auf diesem Planeten aufgewachsen ist, oder?“
Er nickt stumm. Wohl nicht so gesprächig, hm? Ich laufe zurück zu meiner Schwester und nach einer Weile stoppt Kawiil vor einer Tür. Wieder ein Grinsen im Gesicht.
„Wir sind da. Itzamna Ishtacasha ist hinter dieser Tür.“
„Ich hoffe, der spielt uns keinen Streich. Níanhas sind dafür bekannt“, flüstert Iccaci mir skeptisch zu.
Stimmt, Níanhas, das Volk von Manítzí, spielen gerne anderen Streiche.
Misstrauisch mustere ich den spitzbübisch grinsenden Kawiil.
„Ich denke nicht. Das hier ist eine dringliche Angelegenheit. Nicht einmal die Níanhas würden jetzt einen Streich spielen. Hoffe ich zumindest.“
Kawiil verliert die Geduld und schnaubt verkrampft aus.
„Wollt ihr sie jetzt sehen oder nicht?“
„Natürlich! Tut uns leid, öffne bitte die Tür, wir sind bereit.“
Seine Miene sieht so genervt aus, zum Glück habe ich reagiert.
Er macht eine Handbewegung vor der Tür und diese schiebt sich, wie von Geisterhand, an beiden Seiten auf.
Zügig betreten wir den Saal, der sich hinter der Tür befindet. Große und kleine goldene Statuen stehen stilvoll dekoriert im Raum. Verschiedene Steinbilder hängen an den Wänden und überall kauern Chamäleons und blicken auf uns herab. Exotische Pflanzen schmücken die Ecken und auf dem Boden schwebt ein sanfter Nebel, der vermutlich eine Täuschung ist.
Weiter vorn im Saal ist eine kleine Erhöhung positioniert, darauf steht ein mächtiger Thron.
Auf dem sitzt eine Frau, die voller Neugier in unsere Richtung blickt.
„Kawiil, was bringst du mir da Schönes?“
Er verneigt sich ehrwürdig vor ihr. „Verehrte Xiuhcoatl. Dies sind Occoca und Iccaci Illichisa von Miacciaa, dem Planeten der Mäuse. Sie sind hier, weil ihre Urgroßmutter in Lebensgefahr schwebt. Angeblich hat sie deiner geehrten Mutter Itzamna eines ihrer Machtanteile geliehen. Jemand hat eines schon gestohlen. So erbitten sie, mit deiner Mutter sprechen zu dürfen.“
Xiuhcoatl steht von ihrem prachtvollen Thron auf und schreitet die Treppe hinab zu uns. Ihr Gewand zieht sich über die Stufen, da es so lang ist.
„Eure Urgroßmutter schwebt in Lebensgefahr? Wie schrecklich! Meine Mutter hat sich leider schon in ihr Zimmer zurückgezogen. Heute war sie außergewöhnlich müde ... Aber ich werde sie trotzdem fragen. Wie wäre es, wenn ihr hier übernachtet?“ Sie beäugt uns sorgfältig von oben bis unten. „Ihr seht erschöpft aus.“
Iccaci nickt heftig vor Freude. „Wir nehmen dein Angebot gerne an. Vielen Dank“, sagt sie, während sie sich dankbar verbeugt. Respektvoll tue ich es ihr gleich.
Xiuhcoatl wendet sich an Kawiil.
„Kawiil, bringe sie zum Esszimmer. Meine Kinder sind sicher bereits dort, sie sollen sich um die beiden hier kümmern.“
Kawiil lächelt seine Göttin an und strahlt wie ein Sonnenschein. „Natürlich. Bitte folgt mir.“
Ich folge ihm mit Iccaci im Schlepptau und während wir den Saal verlassen, erhasche ich noch einen letzten Blick auf Xiuhcoatl, die soeben hinter einer anderen Tür verschwindet.
Ich bin froh, dass wir ernst genommen wurden. Xiuhcoatl sah besorgt aus. Ob sie unsere Urgroßmutter wohl kennt? Oder womöglich kennt sie unsere Mutter?
Kawiil läuft in Höchstgeschwindigkeit voraus und wieder führt er uns durch die vielen Gänge und Flure. Es scheint eine Ewigkeit zu dauern, bis wir im Esszimmer ankommen.
Seine Fröhlichkeit, die er zuvor noch strahlend auf seinem Gesicht präsentierte, nimmt mit jedem Schritt ab.
Er dreht sich abrupt zu uns um, seine Mundwinkel weit nach unten gerichtet.
„So, hier wären wir.“ Er macht eine Handbewegung und die Tür schiebt sich wieder von selbst auf. Dann läuft er hinein. „Ishtacashas, dies hier sind unsere Gäste. Eure Mutter wünscht, dass ihr euch um sie kümmert.“ Mit diesen Worten verschwindet er wieder in den Gängen und lässt uns in dem überaus großen Esszimmer zurück.
Dabei wollte ich mich noch bei ihm bedanken. Schnell rufe ich ein „Danke“ hinterher, vielleicht hört er es ja noch.
Der Tisch im Esszimmer ist mit lecker aussehendem Essen gedeckt.
Mmm, es riecht vorzüglich! Ich bin anscheinend hungriger, als mir bewusst war.
Auf den Stühlen sitzen die Kinder von Xiuhcoatl, die etwa in unserem Alter sind. Einige wahrscheinlich mehr, andere weniger. Denke ich zumindest.
Eine Frau meldet sich und zeigt auf zwei leere Stühle neben ihr.
„Hier, bitte setzt euch“, gibt sie in einem freundlichen Tonfall von sich.
Wir nicken höflich und setzen uns.
„Vielen Dank, wir sind Occoca und Iccaci Illichisa. Wir freuen uns, eure Bekanntschaft zu machen.“
„Freut mich, Occoca und Iccaci Illichisa. Ich heiße Xelhor Ishtacasha und bin die Älteste von uns. Nennt mich gerne nur Xelhor.“
Eine andere Frau, die gegenüber von uns sitzt, grinst uns breit an. „Ja, willkommen, Occoca und Iccaci Illichisa. Mein Name ist Zyanya Ishtacasha, aber mich könnt ihr gerne auch nur Zyanya nennen. Ich hoffe, euch schmeckt das Essen.“ Plötzlich sprudelt es aus ihr heraus: „Das ist so aufregend! Wir hatten schon lange keinen Besuch mehr! K–“
Xelhor unterbricht sie schnell. „Zyanya, lass sie ihr Essen genießen.“
Zyanya schnaubt aus und blickt auf ihren randvollen Teller.
Der Rest der Familie begrüßt uns ebenfalls höflich und richtet ihre neugierigen Blicke auf uns.
Iccaci lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, ihr Blick sagt einiges aus, aber eines ist eindeutig: Sie ist überfordert.
Entspannt nehme ich einen Schöpfer voll von dem vor Wärme dampfendem Essen, und auch Iccacis Überforderung verfliegt, nachdem sie die Speisen entdeckt hat.
„Mm, das riecht lecker!“ Sie mampft das Essen und schließt dabei genüsslich die Augen.
Eine zufriedene Schwester, was will man mehr?
Der Mann, der links neben mir sitzt, lehnt sich zu mir rüber.
„Ich bin Ixazaluoh Ishtacasha. Bist du Iccaci oder Occoca Illichisa?“ Mit großen Augen schaut er mich an.
„Grüß dich, Ixazaluoh Ishtacasha. Ich bin Occoca. Iccaci ist meine Zwillingsschwester hier.“
Ich zeige auf meine Schwester, die schon die zweite Portion schöpft und mich zufrieden angrinst.
Ixazaluoh Ishtacasha grinst und fasst sich an den Hinterkopf. „Ach so, ihr seht euch zum Verwechseln ähnlich. Und nenn mich bitte nur Ixazaluoh.“
Ein vergnügtes Lachen entrinnt meinen Lippen.
„Ja, das hören wir oft, Zwillinge eben. Bitte nenn mich auch Occoca.“
Ixazaluoh stimmt in mein Lachen ein und schöpft sich dann die zweite Portion Essen.
„Occoca, woher kommt ihr? Und was führt euch nach Xíshtacashéz?“
„Wir kommen von verschiedenen Planeten–“ versuche ich zu antworten, doch werde von meiner Schwester unterbrochen.
„Sechs, um genau zu sein.“
Ich drehe mich kurz zu ihr um und schaue sie entsetzt an. „Danke fürs Unterbrechen, Iccaci.“
Iccaci, die einen mit Essen vollgestopften Mund hat, macht große, unschuldige Augen. „Tut mir leid“, murmelt sie schuldbewusst, nachdem sie geschluckt hat.
Sechs Planeten ... Einer davon ist Miacciaa. Urgroßmutter erschuf Großmutter mit einem anderen Gott, meinem Urgroßvater, der genauso wie Uroma einen Planeten besitzt, für den er sorgen muss. So hatte Oma dann zwei Planeten, von denen sie herkommt. So ging es weiter mit Mama. Oma Aceccia erschuf sie mit Oma Iihicamina, die aus dem Volk stammt. Mutter kommt also von drei Planeten, bei zweien ist sie die Göttin und hat somit die Verantwortung für das Volk und die Erde unter deren Füßen. Iccaci und ich besitzen vier Planeten, bei denen wir die gesamte Verantwortung haben und alle dort beschützen müssen, da Mama sich mit Papa zusammengetan hat, um uns zu erschaffen. Vater kommt ebenfalls von drei Planeten, zwei davon aus der Götter-Blutlinie.
Ich wende mich wieder Ixazaluoh zu.
„Ja, genau, wie Iccaci sagte, kommen wir von sechs verschiedenen Planeten, doch diesmal brachen wir von Miacciaa auf. Wir brauchen die Hilfe deiner Oma, um unsere Uroma zu retten, denn sie schwebt in großer Gefahr“, erkläre ich.
Ixazaluoh hört mir aufmerksam zu und sieht mich dann mitfühlend an. „Das ist ja schrecklich! Darf ich fragen, wie es dazu kam?“
Eine Sekunde der Stille liegt in der Luft, bis ich ihm die ganze Geschichte erzähle.
Traurig starre ich auf meinen Teller, auf dem ein erbärmliches Stück Bohnensalsa liegt. Dann trinke ich einen Schluck aus dem Glas, in das ich vor einigen Minuten den violetten Saft, der in einem goldenen Krug auf dem Tisch steht, eingeschenkt habe. Mein Mund zieht sich zusammen. Sauer! Nach ein paar Sekunden wird es besser.
Ixazaluoh schaut nachdenklich auf seinen Teller, doch sobald er bemerkt, wie ich mit dem Trinken kämpfe, kann er nicht anders, als laut loszulachen.
„Tut mir leid. Deine Grimasse, die ist zu lustig. Meine Oma wird euch sicher weiterhelfen können. Nimm das nicht falsch auf, aber das Ganze klingt so aufregend!“ Wieder betrachtet er verträumt sein Essen.
Kurz lache ich auf. „Aufregend ist es ja, doch genauso beunruhigend. Ich mache mir Sorgen um meine Uroma und meine Oma. Sie ist meiner Uroma sehr nahe. Daher denke ich, falls ihr etwas zustößt–“ Ich beende den Satz nicht und starre ein zweites Mal auf meinen Teller.
Ixazaluoh legt aufmunternd seine Hand auf meinen oberen Rücken. „Deiner Urgroßmutter geht es sicher bald wieder gut. Dann musst du dir keine Sorgen um deine Großmutter mehr machen.“
Die Worte von ihm helfen, denn ich schöpfe neue Hoffnung durch sie.
„Danke, Ixazaluoh.“
Einen Moment ist es still, zumindest für mich, und ich starre in seine tief orangenen Augen, doch dann wende ich mich ab und schiebe den letzten Bissen Bohnensalsa in meinen Mund. Wie auch Ixazaluoh, der sich wieder ganz seinem Essen widmet.
Gerade als ich mit meinem Teller fertig werde, stürmt Xiuhcoatl in den Raum und reißt die Tür auf.
Xelhor steht sofort auf. Ein Fragezeichen bildet sich in ihrem Gesicht. „Ist alles in Ordnung, Mami? Du wirkst gestresst.“
Xiuhcoatl schenkt ihrer Tochter einen beruhigenden Blick. „Alles gut, mi hija. Occoca, Iccaci, bitte folgt mir.“
Iccaci und ich erheben uns, genauso wie Ixazaluoh zu meinem Erstaunen.
Zum dritten Mal laufen wir durch die zahlreichen Flure, bis wir eine Treppe erreichen. Oben angekommen, geht es weiter mit ... Gängen!
Diese Gänge gehen mir echt auf die Nerven!
So viele Flure ... Es wäre angenehmer, wären wir nicht in Eile.
Nach einer halben Ewigkeit stoppen wir vor einer breiten Tür, die mit goldenen Ornamenten und Chamäleons geschmückt ist. Xiuhcoatl öffnet sie hastig mit einer Handbewegung.
Während wir die Türschwelle übertreten, entdecke ich eine Frau, die auf einer Fensterbank vor einem offenen Fenster sitzt.
Habe ich sie nicht schon mal irgendwo gesehen? Stimmt, im Geheimraum von Urgroßmutter, dort war sie auf einem Bild zu sehen! Das muss Itzamna sein!
„Darf ich euch vorstellen: meine Mutter, Göttin Itzamna“, Xiuhcoatl streckt ihren Arm Richtung ihrer Mutter aus und lächelt vergnügt.
Ja! Ich lag richtig.
Iccaci und ich verbeugen uns respektvoll vor ihr.
„Ihr müsst euch nicht verbeugen. Die Urenkelinnen meiner alten Freundin Miaccela, Occoca und Iccaci. Schön, dass ihr mich mal besucht. Eure Urgroßmutter hat meinem Planeten damals sehr geholfen. Der Krieg war schwer und anstrengend. Ich vermochte die Angriffe unserer damaligen Feinde nicht immer abzuwehren, deswegen traf es oft Dörfer. Also beschloss ich, die Götter um Hilfe zu bitten, und eine hat geantwortet: Miaccela, eure Urgroßmutter. Ich habe ihren Machtanteil sicher, in einem Tempel außerhalb dieses Reiches, verwahrt. Miaccela sagte, ich soll ihn behalten, bis sie eines Tages Zeit hätte, ihn zurückzuholen.“
Unsere Urgroßmutter ist so hilfsbereit!
Iccaci zappelt ganz aufgeregt und läuft näher auf Itzamna zu. „Du bist mit unserer Uroma befreundet? Das ist so cool! Wie war Uroma so? Habt ihr euch oft getroffen nach all dem?“ Aus Iccaci sprudeln so viele Fragen heraus, dass Itzamna völlig überrumpelt wird.
Ich bemerke dies und ziehe mein Schwesterchen zurück. „Iccaci! Lass diese Fragerei! Das ist unhöflich.“
Verwundert sieht sie mich an. „Wieso? Ich frage doch nur.“
Itzamna räuspert sich. „Ich kann euch gerne alle Fragen beantworten, aber nicht jetzt. Morgen bringt euch Ixazaluoh zum Tempel. Dort sind Wächter positioniert, die sich verpflichtet haben, den Machtanteil zu beschützen. Sagt ihnen, dass ich euch schicke, dann lassen sie euch sicher zum Machtanteil.“