Das Gift des Oleanders - Karin B. Redecker - E-Book

Das Gift des Oleanders E-Book

Karin B. Redecker

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Handlung spielt in Frankfurt am Main und in Cannero/Italien. Cannero Riviera wird auch gerne die „Perle des Lago Maggiore“ genannt. Und das zu Recht, denn es ist einer der schönsten, erholsamsten Plätze der Region rund um den See. In sonniger Südlage gelegen, geschützt durch die umliegenden Berge, wird er durch ein besonders mildes Klima verwöhnt, deshalb auch der Beiname „Riviera“. Inmitten dieses traumhaften Panoramas mit einer imponierenden mediterranen Pflanzenwelt, lebt oberhalb des Sees Laura Caldini in einer alten, italienischen Villa. Laura, die erfolgreiche italienische Geschäftsfrau hatte ihr Leben und ihre Liebhaber bisher kontrolliert im Griff. Bis zu dem Tag, an dem sie erfährt, dass deutsche Freunde aus ihrer Studienzeit in Frankfurt nicht mehr am Leben sind. Sie schreibt deshalb an die Tochter der Verstorbenen einen Brief und bittet sie um einen Besuch. Die Vergangenheit holt sie ein und lässt ihr keine Ruhe mehr. Alte Wunden brechen wieder auf und sie möchte nun ihr lang gehütetes Geheimnis lüften. Ihr bisher so ruhiges, luxuriöses Leben gerät dadurch etwas aus den Fugen und bildet den Hintergrund zu dieser Familiengeschichte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Impressum

©Copyright Karin B. Redecker

64625 Bensheim-Auerbach, Am Höllberg

Kontakt: [email protected]

https://twitter.com/KarinRedecker

www.facebook.com/pages/K.B.Redecker

Titel/Fotos/Layout: Karin B. Redecker

www.karin-redecker.de

 

 

 

 

Buchbeschreibung

Die Handlung spielt in Frankfurt am Main und in Cannero/Italien. Cannero Riviera wird auch gern die ›Perle des Lago Maggiore‹ genannt. Und das zu Recht, denn es ist einer der schönsten, erholsamsten Plätze der Region rund um den See.

Der Ort liegt auf dem Delta des Rio Cannero wie ein Halbmond im See. In sonniger Südlage gelegen, geschützt durch die umliegenden Berge, wird er durch ein besonders mildes Klima verwöhnt, deshalb auch der Beiname ›Riviera‹.

Inmitten dieses traumhaften Panoramas mit einer imponierenden mediterranen Pflanzenwelt, lebt oberhalb des Sees Laura Caldini in einer alten, italienischen Villa.

Laura, die erfolgreiche italienische Geschäftsfrau hatte ihr Leben und ihre Liebhaber bisher kontrolliert im Griff. Bis zu dem Tag, an dem sie erfährt, dass deutsche Freunde aus ihrer Studienzeit in Frankfurt nicht mehr am Leben sind. Sie schreibt deshalb an die Tochter der Verstorbenen einen Brief und bittet sie um einen Besuch. Die Vergangenheit holt sie ein und lässt ihr keine Ruhe mehr. Alte Wunden brechen wieder auf und sie möchte nun ihr lang gehütetes Geheimnis lüften. Ihr bisher so ruhiges, luxuriöses Leben gerät dadurch etwas aus den Fugen und bildet den Hintergrund zu dieser Familiengeschichte.

 

 

Die Personen und Handlungen in diesem Buch sind

frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen

Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen

Personen sind rein zufällig.

Susannes Büro

»Was für ein stressiger Tag heute«, stöhnte Susanne ins Telefon. Sie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück, dessen Lehne gefährlich ächzende Geräusche von sich gab und sie sogleich daran erinnerte, dass sie unbedingt beim Chef einen neuen Stuhl beantragen sollte. Überhaupt müsste das Büro wieder etwas überholt werden, dachte sie müde und abgespannt. Ein kurzer Blick in den gegenüberliegenden Spiegel signalisierte ihr, dass das Gleiche wohl heute auch auf sie zutraf.

»Ich brauche unbedingt Tapetenwechsel«, stöhnte sie ins Telefon und rieb sich dabei sanft die Schläfen.

»Ich freu‘ mich auf einen gemütlichen Abend mit dir Bella, wir können uns ja vom Thailänder wieder etwas kommen lassen, was meinst du?«

Am anderen Ende der Leitung war freudige Zustimmung zu hören.

Susanne dreht sich um und schaute lächelnd auf das liebevoll eingepackte Geschenk auf ihrem Aktenschrank.

»Ich bringe auch noch ein gutes Tröpfchen mit. Mein Chef hat mir gestern was spendiert. Wir machen uns dann wieder den üblich faulen Mädchenabend!« Dabei schnurrte sie genüsslich ins Telefon und legte nebenbei ihre Akten ordentlich aufeinander.

»Ich komme wie immer gegen neunzehn Uhr am Bahnhof an. Also, tschüss Bella, bis später!«

Susanne legt langsam den Hörer auf und schaute nachdenklich aus dem Fenster. Sie überlegte, wie sie der Freundin heute Abend schonend beibringen konnte, dass ihr so genannter ›Zukünftiger‹ schwul war. Das wird sie umhauen, dachte sie besorgt und packte in Gedanken versunken ihre Utensilien zusammen, da sie gleich Feierabend machen wollte. Sie schaute noch kurz bei ihrem Chef ins Zimmer.

»Ich geh‘ heute eine halbe Stunde früher, Chef. Ich treffe mich mit Bella. Da genießen wir gleich mal den guten Tropfen, den Sie mir gestern geschenkt haben.«

Dabei schwenkte sie eine Rotweinflasche, an der ein bunter Anhänger mit Schleife hing.

»Die Unterlagen für Merkel & Co. habe ich bereits fertig. Wir können morgen präsentieren.«

»In Ordnung, Susanne! Einen schönen Abend wünsche ich«, gab Max Milde zur Antwort und schaute wohlwollend lächelnd über seinen Brillenrand.

Er mochte diese aufgeweckte, attraktive Person, die mit ihrer Meinung nie hinter dem Berg hielt und immer eine kreative und zuverlässige Mitarbeiterin war.

Susanne kaufte noch am gegenüberliegenden Kiosk einige Magazine. Die musste sie aus beruflichen Gründen regelmäßig nach Konkurrenzanzeigen durchsehen. Sie war Kontakterin der Max Milde Werbeagentur GmbH und Konkurrenzbeobachtung gehörte zu ihrem Job.

Zu ihrer Wohnung war es nicht weit. Mit viel Glück und der notwendigen Zähigkeit war es ihr gelungen, in der Nähe der Agentur, eine hübsche Altbauwohnung mit Balkon zu ergattern. Die war zwar ziemlich teuer, aber ideal geschnitten. Was sie an Miete mehr als üblich bezahlte, sparte sie an Benzinkosten wieder ein.

Auf ein Auto hatte sie inzwischen ganz verzichtet, da es hier im Frankfurter Westend ohnehin keine Parkplätze gab und sie sich fast ausschließlich nur in Frankfurt aufhielt. Außerdem konnte sie, wenn nötig, ein Firmenfahrzeug bekommen. Ihr Chef war da sehr großzügig.

Beschwingt betrat sie ihre hübsch eingerichtete Wohnung, legte ihre Tasche und die Magazine auf den Tisch und warf auf dem Weg zur Dusche ein Kleidungsstück nach dem anderen auf den Fußboden. Sie wollte sich erst frisch machen und ihren neuen, teuren Hosenanzug anziehen, den sie sich vorgestern in der Fressgasse gekauft hatte. Er sah einfach umwerfend aus und betonte ihre schlanke Figur ganz besonders. Danach beabsichtigte sie, mit der S-Bahn zu Bella in den Taunus fahren, die sie dort wie üblich am Bahnhof abholen wollte.

 

 

Laura

»Diese verdammten Motorradfahrer!«, schimpfte Laura laut vor sich hin. Auf der nahen Uferstraße brausten wieder mehrere dieser Höllenmaschinen mit tosendem Lärm vorbei. Ausgerechnet in der Nähe ihrer Villa war die ansonsten kurvenreiche Strecke begradigt, sodass hier die meisten Motorradfreaks besonders stark den Gashahn aufdrehten. Zahlreiche Kreuze und hinterlegte Blumensträuße von trauernden Hinterbliebenen zeigten an, dass so mancher Raser auf dieser gefährlichen Straße sein Leben lassen musste. Die schrillen Sirenen der Ambulanz waren leider oft genug zu hören und die Gefährlichkeit dieser malerischen, aber kurvenreichen Straße, wurde nur allzu oft unterschätzt.

Laura atmete tief den Geruch des frisch gemähten Rasens ein, der sich mit dem Duft der leuchtend gelben Mimose vermischte. Sie schloss das Fenster zur überdachten Terrasse. Es war schon sehr warm für diese Jahreszeit, wodurch bereits die ersten Touristen angelockt wurden. Gerade jetzt zu Ostern kamen überwiegend Schweizer und Deutsche, die hier am Lago ein Ferienhaus oder eine Wohnung besaßen, um die ersten warmen Tage des Jahres zu genießen. Und weil es schon so herrlich warm war, hatten bereits viele Cabriofahrer ihre Verdecke geöffnet und genossen die herrlichen Blütendüfte, die ihnen aus den üppig bepflanzten Gärten entgegen wehten. Wer die Sonne jetzt ungeschützt und unbekümmert in vollen Zügen genoss, konnte sich schnell den ersten Sonnenbrand einfangen. Sie hatte um diese Zeit hier am Lago Maggiore schon enorm viel Kraft und war sehr intensiv. Ja selbst im Winter war es möglich, bei Sonnenschein auf der Terrasse zu liegen, die Schönheit des Sees und die meist schneebedeckten Berge zu genießen. Es war einfach ein wunderschönes Stückchen Erde hier rund um den See und Laura bedauerte keine Sekunde, ihre Wohnung in Milano aufgegeben zu haben. Wenn sie Lust hatte, das Stadtleben zu genießen, und das war in letzter Zeit sehr selten, setzte sie sich in ihren silberfarbenen Lancia. Wenn sie die Strecke über die Autobahn nahm, war sie in eineinhalb Stunden mitten in Milano zum Bummeln. Meistens besuchte sie dann einige alte Freunde, ging schick essen und war abends aber heilfroh, wenn sie dem Trubel der Großstadt wieder entfliehen und in ihr Refugium zurückkehren konnte. Spätestens dann, wenn sich das imposante schmiedeeiserne Tor zu ihrem Anwesen öffnete und sie durch ihren parkartigen Garten hoch zum Haus fuhr, fühlte sie sich glücklich und zufrieden. Sie war froh über ihre Entscheidung, von Milano hier aufs Land gezogen zu sein. Denn trotz aller Schickeria, die sich auch hier mittlerweile breitmachte, war es doch eine ländliche Umgebung mit meist einfachen Leuten, die vor dem Touristenstrom Bauern und Fischer gewesen waren.

Inzwischen hatten viele Einheimische ihr Land an Deutsche, Schweizer und natürlich an Milaneser verkauft, die sich hier Ferienhäuser und Villen gebaut hatten. Manch einer bereute diesen Schritt heute, da er selbst die Immobilienpreise für sich und seine Kinder nicht mehr bezahlen konnte.

Laura rief nach Maria, ihrer bodenständigen und liebenswerten Haushälterin. Sie lebte mit ihrem Mann im früheren Gärtnerhaus. Lauras Vater, der Maria vor über dreißig Jahren als Haushälterin eingestellt hatte, bot ihr nach ihrer Heirat mit Alfredo das Gärtnerhaus zum kostenlosen Bewohnen an. Sie und ihr Mann mussten dafür Haus und Garten pflegen und erhielten noch ein gutes monatliches Gehalt. Das besserte das geringe Einkommen von Alfredo auf, der in Intra als Bauarbeiter beschäftigt war.

Immer, wenn Laura und ihr Vater zum Lago kamen, wurde Maria kurz vorher telefonisch informiert. Sie bereitete dann alles vor, um ihnen einen angenehmen Aufenthalt zu gewährleisten.

Nachdem Laura letztes Jahr fest in die Villa umgezogen war, wurde dieser Rhythmus etwas verändert. Maria musste nun täglich das Frühstück vorbereiten und zur Mittagszeit einen leichten Imbiss servieren. Ansonsten kümmerte sie sich um den Haushalt, ging einkaufen und war überhaupt das Mädchen für alles. Erst abends gab es für Laura die eigentliche Hauptmahlzeit, es sei denn Laura hatte vor, zum Essen auszugehen.

Ihr Mann Alfredo erledigte die kleineren Ausbesserungsarbeiten und pflegte den Garten. Er war handwerklich sehr geschickt, aber für die etwas feineren gärtnerischen Belange nicht so gut zu gebrauchen. Dafür war er einfach zu unwissend in botanischen Angelegenheiten. Aber Bäume schneiden, Rasen mähen und hier und da mal etwas umpflanzen, dafür konnte man ihn gut einsetzen. Alles andere behielt sie sich selbst vor.

Gartenarbeit machte ihr Spaß und gerade jetzt im Frühling, wenn alles aus dem Winterschlaf erwachte, freute sie sich auf ihren täglichen Gartenrundgang nach dem Frühstück. Dann genoss sie den herrlichen Blütenduft, der ihr aus jedem Winkel des Gartens entgegen wehte. Sie betrachtete jede Pflanze ganz genau und wunderte sich, wie schnell und problemlos hier alles am Wachsen war.

Meist verließ sie ihr Bett nicht vor neun, halb zehn. Zuerst trödelte sie im Bad lange herum, machte etwas Gymnastik und nahm erst nach dem Anziehen ein leichtes Frühstück ein. Es bestand, wie in Italien üblich, aus Caffè lungo mit ein bis zwei Brioche – fertig.

Weil sie sich nun die neu gewonnene Freiheit nahm, lange zu schlafen, stellte ihr Maria das Frühstück stets abgedeckt vor die Schlafzimmertür.

Sie empfand es als Luxus, nicht mehr mit der Stoppuhr aufstehen zu müssen, nicht ins Büro zu hetzen und bereits um neun Uhr die ersten Termine zu haben. Deshalb wollte sie Maria um diese Zeit auch noch nicht um sich haben. Sie wollte keinerlei Zwänge mehr und zukünftig einfach nach Lust und Laune in den Tag leben und das Leben genießen.

Ihr morgendliches Frühstück nahm sie in ihrem sehr geräumigen Schlafzimmer im ersten Stockwerk ein. Von hier aus hatte sie einen exorbitanten Blick über den See und die Berge.

 

 

Bella

Bella räumte noch schnell ihre Küche auf. Hier stand noch das komplette Frühstücksgeschirr vom Morgen herum und auch sonst musste noch etwas Ordnung gemacht werden. Ihre Putzfrau, kam nur zweimal die Woche und heute war leider nicht ihr Tag. Aber Susanne war ja kein Staatsbesuch, sondern ihre beste Freundin. Da musste sie es mit dem Aufräumen nicht so genau nehmen.

Sie wollte ihr vorschlagen, heute bei ihr zu übernachten. So könnten sie – was meistens der Fall war – ruhig ein paar Gläser mehr trinken und mussten nicht immer an die verflixte Promillegrenze denken. Und morgen früh könnten sie gemeinsam nach Frankfurt rein fahren.

Nach dem Tod ihrer Mutter wohnte Bella wieder in dem hübschen Haus hier draußen am Rande des Taunus. Noch vor einem Jahr, während der schweren Krebserkrankung ihrer Mutter, pendelte sie ständig zwischen ihrem Frankfurter Appartement und ihrem Elternhaus hin und her.

Damals organisierte sie einen täglichen Pflegedienst und kümmerte sich rührend um sie. Sie wollte ihre Mutter in der schlimmen Zeit der Krankheit nicht allein lassen. All die Liebe und Fürsorge, die sie ihr in ihrer Kindheit zukommen ließ, wollte sie ihr zurückgeben und eine Stütze für sie sein.

Erst nach ihrem, dann doch plötzlichen Tod hatte sie ihre Frankfurter Wohnung aufgegeben und zog in die Taunuskleinstadt, in der sie aufgewachsen war. Sie wollte das schöne Haus nicht leer stehen lassen. Und ob sie es je verkaufen würde, war ihr noch unklar. Schließlich hatte sie hier ihre ganze Jugend verbracht und es gab so viele schöne Erinnerungen an das gemeinsame Leben mit ihren Eltern.

Finanziell hatte sie Gott sei Dank keine Probleme. Das Haus war schuldenfrei, sodass sie nur die Umlagekosten bezahlen musste. Das war wesentlich günstiger als ihre Miete in der Stadt und außerdem hatte sie ja auch noch das Geld aus der Lebensversicherung ihres Vaters. Ihre Mutter hatte ihr Erbe, bedingt durch die Krankheit, fast völlig verbraucht. Bella war noch heute ihrem Vater dankbar, dass er seine kleine Familie so umfassend abgesichert hatte. Sein früher Tod vor fast zwanzig Jahren war damals ein riesiger Schock und Verlust für die Familie. Er starb nach einem Zusammenprall mit einem Lastwagen auf der spiegelglatten Fahrbahn der A5. Verantwortungsvoll und vorausschauend hatte er für ihre Mutter und für sie je eine hohe Lebensversicherung abgeschlossen. So war die kleine Familie gut abgesichert und stürzte nicht ins finanzielle Chaos.

Ihre Mutter, Luise Bilten, konnte mit dem Geld der Lebensversicherung zum Glück das Haus abbezahlen. Der tägliche Lebensunterhalt für sie beide war ebenfalls gesichert, da Luise das Architekturbüro ihres Mannes weiterführte. Als es gesundheitlich weiter bergab ging, verkaufte sie an Oskar Bauer, einen ehemaligen Konkurrenten. Und Bella arbeitete dort nach ihrem Studium als Gartenbauarchitektin.

Bella erhielt ihr Erbe auf ein Sonderkonto, das nach der Verfügung ihres Vaters vorerst nur für ihre Ausbildung zur Verfügung stand. Erst nach ihrem dreißigsten Lebensjahr konnte sie voll über das Geld verfügen. Und das war vor zwei Jahren.

Sie war nun total unabhängig, und das war ein sehr gutes Gefühl. Von dem Geld hatte sie sich lediglich ihren kleinen roten Sportwagen gegönnt. Den Rest hatte sie solide angelegt. Da war sie übervorsichtig. Henry wollte sie zwar immer wieder überreden, in seine zukünftige Firma zu investieren, die ja nach ihrer Heirat auch ihr gehören sollte. Aber sie scheute bisher davor zurück und war sich überhaupt nicht sicher, ob Henry und sie das Traumpaar schlechthin waren. Ihr Verhältnis war ihr persönlich zu distanziert und reserviert. Henry war zwar sehr zuvorkommend und höflich, ganz Gentleman eben. Und er sah wirklich super aus. Sie wünschte aber, dass er sich ihr gegenüber mehr öffnen würde. Mehr ihre Nähe suchen und einfach mehr Zärtlichkeit und Gefühle zeigen würde. Ehrlich gesagt, wollte sie auch mehr Sex. Aber bis jetzt hatte sie eine ungestillte Sehnsucht in sich, die Henry scheinbar nicht erfüllen konnte oder wollte. Sie wartete noch immer auf ein Feuerwerk der Gefühle zwischen ihnen. Aber die wenigen Male, die sie miteinander geschlafen hatten, hinterließen bei ihr nicht die Befriedigung, die sie sich immer erhoffte. Henry war stets so cool und manchmal fast abweisend, obwohl er doch spüren musste, wie sehr sie sich nach mehr Nähe sehnte. Andererseits drängte er auf eine baldige Heirat.

Aber immer nur geben und nichts zurückbekommen, das ist nicht mein Ding. Noch sind wir nicht verheiratet und ich muss mir bald über diese Frage Klarheit verschaffen, dachte sie. Sie wollte am Abend mal ganz offen mit Susanne über dieses Thema reden und hören, was sie von ihrer Beziehung zu Henry hielt.

 

 

Lauras Kräutertinktur

Laura setzte sich gern für einen Moment auf ihren kleinen Balkon. Wenn dann die aus Richtung Lugano aufgehende Sonne eine glitzernde Seeoberfläche, wie mit Diamanten übersät, darbot, war das täglich aufs Neue ein Erlebnis für sie.

Das Leben war einfach herrlich. Durch den Verkauf der Druckerei war ihr eine schwere Last abgenommen worden, die sie viel Kraft und Zeit gekostet hatte. Davon konnte sie sich nun nach und nach erholen. Wenn nur nicht die kleineren gesundheitlichen Probleme wären, die ihr in letzter Zeit etwas zu schaffen machten. Auch heute hatte sie wieder starke Kopfschmerzen und eine leichte Übelkeit machte sich in ihr breit. Aber das sind sicher die Folgen der Anstrengungen der letzten Zeit, dachte sie und wollte sich nicht weiter damit beschäftigen.

Maria klopfte an, kam lachend und völlig außer Atem mit hochrotem Kopf herein.

»Signora, Pero hat mich wieder einmal durch den ganzen Garten gehetzt. Er hat mir aus der Küche ein Stück Käse gestohlen und ich musste fast bis zur großen Palmengruppe hinter ihm her rennen, bis er endlich stehen blieb – dieser Schlingel.«

Sie schüttelte sich vor Lachen und dabei blinkten ihre Goldkronen wie Sterne am Firmament.

Auch Laura lachte herzlich, weil Pero, ihr schwarzer Gordon-Setter, immer zu Späßen aufgelegt war und sich freute, wenn man hinter ihm her lief. Das war für ihren Hund ein beliebtes Spiel, das er besonders gern mit Handtüchern veranstaltete. Dann sollte man versuchen, ihn zu fangen und an den Enden ziehen. »Gib her, Pero, gib her!« Eine größere Freude konnte man ihm nicht machen. Wenn man Pech hatte, vergrub er anschließend seine Beute im Garten. Und hatte man nicht beobachtet, wo er den Gegenstand vergrub, war er für immer verloren. Gott sei Dank beschränkten sich seine Vorlieben meist auf Essbares, auf Handtücher und kleinere Gegenstände aus der Küche. Es war immer lustig, wenn bei Gartenarbeiten das eine oder andere Diebesgut wieder auftauchte.

»Was kann ich für Sie tun, Signora«, fragte Maria, als sie sich wieder beruhigt hatte.

»Maria, bitte bringen Sie mir doch meine Tabletten aus der Küche – oder noch besser, bringen Sie mir auch die Kräutertinktur, die Dottore Sautter letzte Woche dagelassen hat. Ich glaube, die bekommt mir ganz gut.«

»Meinen Sie das braune Fläschchen mit dem handgeschriebenen Etikett«, fragte Maria.

»Ja, das Wundermittel vom Dottore«, sagte Laura lachend. Maria verschwand umgehend, um in wenigen Minuten wieder mit dem Fläschchen und den Tabletten zurück zu sein. Nicht ohne ihr Bedauern über Lauras Unpässlichkeit auszudrücken.

Laura entnahm eine der Schmerztabletten, die ihr Marc, ihr Freund und Hausarzt aus Cannobio, bei seinem letzten Besuch dagelassen hatte.

Täglich maximal eine Tablette hatte er mit seiner krakeligen Handschrift auf die Verpackung geschrieben. Und daran wollte sie sich halten – hatte sie doch in letzter Zeit eine Menge an Spritzen und Medikamenten von ihm erhalten. Wenn sie hin und wieder die Beipackzettel las, wurde ihr schon davon ganz schlecht. Bis vor Kurzem war krank sein für sie ein Fremdwort, aber seit einiger Zeit litt sie etwas unter Schwindelgefühlen, Kopfschmerzen und Übelkeit. Marc meinte, dass sie mit Sicherheit nur überarbeitet sei, denn organisch sei sie völlig in Ordnung.

Aber – wie sagte ihr Vater in seiner schlichten Art immer: »Was kommt, das geht auch wieder.« Dieser Spruch begleitet sie von Kindheit an und verhinderte, dass sie jemals wehleidig war, und daran wollte sie sich auch in Zukunft halten.

Sie öffnete die kleine Flasche, auf der ein Zettel klebte. Auch hier hatte Marc seine Angaben vermerkt: Maximal täglich einen Teelöffel nach dem Essen, stand darauf. Es war ein homöopathisches Mittel aus Kräutern, das ihr Allgemeinbefinden verbessern sollte und rein pflanzlich hergestellt wurde. Es schmeckte fürchterlich bitter, sodass man es ganz schnell hinunterschlucken musste. Marc hatte es dem Apotheker nach seinen Angaben in Auftrag gegeben. Er war nicht nur als praktischer Arzt in Cannobio tätig, sondern gleichzeitig als Homöopath, der nach den Lehren von Hahnemann mit voller Überzeugung praktizierte. Das entsprach auch Lauras Ansichten und sie vertraute hier Marc und der Natur. Sie achtete ein Leben lang auf eine ausgewogene Ernährung, aß viel frisches Obst und Gemüse und bewegte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ausreichend. Sport konnte man das nicht unbedingt nennen. Aber der tägliche Rundgang durch den sehr großen Garten, etwas Gymnastik, die fast tägliche Gartenarbeit und – wenn das Wetter es erlaubte – das erfrischende Schwimmen im Lago Maggiore, waren ihrer Meinung nach genug an Fitness, um sich beweglich und gesund zu erhalten. Ihr Körper machte einen sportlichen Eindruck und mit ihren neunundfünfzig Jahren konnte sie sich durchaus sehen lassen. Ihre hochgewachsene, schlanke Figur und ihre immer noch dunkelbraunen, ja fast schwarzen, langen Haare, die sie meist hochgesteckt trug, ließen sie wesentlich jünger erscheinen. Sie war eine gut aussehende Frau in mittleren Jahren, der man ansah, dass sie einmal eine sehr schöne junge Frau gewesen sein musste, der auch heute die Männer noch bewundernd nachschauten.

Überhaupt die Männer! Sie konnte auf eine recht große ›Collezione‹ an Beziehungen zurückblicken. Aber keiner war dabei, für den sie ihre Freiheit und Eigenständigkeit aufgegeben hätte. Außer für Enrico, der damals für sie aber unerreichbar gewesen war und der ihre kurze Beziehung als reinen Ausrutscher gesehen hatte. Ihn hatte sie wirklich geliebt. Aber diese Liebe wurde leider nicht erwidert. Dieser schmerzende Stachel saß tief in ihrem Inneren fest und sie bemühte sich all die Jahre, diese dunkle Seite ihres Lebens aus ihrer Erinnerung zu streichen.

Und was Roberto anbelangte, musste sie verrückt gewesen sein, als sie sich nach dem letzten Gartenfest mit Freunden und Nachbarn mit ihm mehr als erlaubt einließ. Sie schämte sich sehr dafür. Wie konnte ihr das nur passieren? Sie wollte ihm gleich beim nächsten Besuch mitteilen, dass sie diese Nacht als nicht stattgefunden betrachtete und dass das Geschehene mit Sicherheit auf den reichlich geflossenen Prosecco an diesem Abend zurückzuführen sei. Dazu war sie fest entschlossen. Basta!

Aber dennoch musste sie sich heimlich eingestehen, dass es ein berauschendes Gefühl war, wieder begehrt zu werden und ihr Alter in diesem Moment gänzlich zu vergessen. Und dass sie noch solchen Spaß an Sex hatte, hatte sie doch etwas überrascht. Dieses Thema hatte sie in letzter Zeit beiseitegeschoben. Vielleicht auch nur aus Mangel an Gelegenheiten, dachte sie. Beschämt erinnerte sie sich daran, wie gut sich sein durchtrainierter, muskulöser Körper angefühlt und wie intensiv sie diese verbotene sexuelle Begegnung erlebt hatte. Aber wo war nur ihre Selbstbeherrschung in dieser Nacht geblieben? Sie erschauderte und wollte ihre Gedanken abschütteln, was ihr jedoch nur mäßig gelang.

Du musst nicht bei Sinnen gewesen sein, Laura, sagte sie zu sich selbst. Er könnte doch dein Sohn sein!

 

 

Der Diebstahl

Wie so oft in letzter Zeit ging Laura zu ihrem gut verborgenen Safe, den sie sich nach einem Einbruch hinter ihrem schweren, antiken Schrank im Arbeitszimmer hatte einbauen lassen. Es war ein – wie sie fand – geniales Versteck. Man konnte einen Teil der Rückwand des Schrankes zu Seite schieben und kam dann an einen kleinen Safe heran.

Der Einbruch ereignete sich vor einem halben Jahr. Maria und ihr Mann waren in Alfredos Heimat Kalabrien gereist und sie war an diesem Tag in Milano beim Shoppen.

Ihren gesamten Schmuck bewahrte sie in einer Schmuckschatulle in einer abgeschlossenen Schublade ihres Schreibtisches auf.

Der Dieb musste genau gewusst haben, wo er zu suchen hatte, denn es wurde gezielt nur dieser wertvolle Familienschmuck gestohlen. Darunter eine traumhafte Smaragdkette, die schon ihrer Großmutter gehört hatte. Und nur diese eine besagte Schublade wurde aufgebrochen. Ansonsten wurde nichts beschädigt oder durchwühlt.

Die Polizei schloss Beschaffungskriminalität von Drogensüchtigen aus. Hier waren fast immer schlimmste Verwüstungen die Folge. Sie meinten, dass vielleicht ein Handwerker Informationen an Dritte weitergegeben habe. Die Ermittlungen mussten jedoch leider nach einigen Wochen erfolglos eingestellt werden.

Was ihr übrig blieb, waren lediglich die Fotos der Schmuckstücke, die damals für die Versicherung angefertigt wurden.

Nach zähen Verhandlungen mit der Versicherung wurde ihr der Wert des Schmucks nur zu fünfzig Prozent ersetzt. Aber um das zu erreichen, musste sie sogar ihren Anwalt Dr. Ferro einschalten, da wie so oft in solchen Fällen, bei Schadenersatzforderungen die Versicherungen nicht bezahlen wollen.

Die Schmuckfotos, zusammen mit wichtigen Dokumenten, ein wenig Bargeld, ihre Wertpapiere sowie ein dicker Umschlag mit ihren geheimsten Aufzeichnungen, die sie wie einen Schatz hütete, bewahrte sie nach dem Einbruch im neuen Safe mit Zahlenkombination auf. Diesen Platz kannte außer ihr und Dr. Ferro niemand, auch nicht Maria und Alfredo, denen sie ansonsten total vertraute.

Sie entnahm ihrem Safe einen kleinen, silbernen Kasten. Sie stellte ihn auf den wertvollen Marmortisch, den sie aus der elterlichen Villa in Milano, zusammen mit anderen Kostbarkeiten, mit in ihr Zuhause am Lago Maggiore mitgenommen hatte.

In der Milaneser Villa lebten nun die neuen Besitzer, die nicht nur das Haus, sondern auch die traditionsreiche Firma ihrer Familie übernommen hatten. Und Gott sei Dank hatten sie auch alle Mitarbeiter gleich mit übernommen. Darunter einige, die schon seit über dreißig Jahren in der Firma beschäftigt waren und für die eine Kündigung ein harter Schicksalsschlag gewesen wäre.

Es bedrückte sie etwas, dass sie den Traum ihres Vaters, die Firma erfolgreich nach seinem Tod weiterzuführen, nicht erfüllen konnte. Sie war dem harten Konkurrenzdruck und dem Preiskampf im Druckereigewerbe einfach nicht mehr gewachsen. Die zumeist deutschen Verlage, für die ihre Druckerei seit vielen Jahren gearbeitet hatte, wurden immer weniger. Zudem fehlten ihr mehrere Millionen, die sie hätte investieren müssen, um maschinell auf dem neuesten Stand zu sein.

Deshalb hatte sie sich vor gut einem halben Jahr entschlossen, das Familienunternehmen an eine Großdruckerei aus Bergamo zu verkaufen. Die Milaneser Villa hatten sie für ihren Geschäftsführer gleich mit übernommen. So konnte sie beim Verkauf einige Millionen Euro verbuchen, mit denen sie der Zukunft gelassen entgegenblicken konnte.

Das große Anwesen am Lago in der Nähe von Cannero hatte schon ihr Urgroßvater einem Industriellen abgekauft. Es bestand aus einem zirka zweihundertjährigen herrschaftlichen Wohnhaus im traditionell italienischen Stil und einem kleinen Gärtnerhaus, in dem heute Maria und ihr Mann wohnten. Der große mediterrane Garten mit seinem alten Baumbestand hatte eine traumhafte Lage mit einem fantastischen Blick über den Lago Maggiore und die angrenzenden Berge.

Cannero lag auf der Westseite des Sees, gegenüber von Luino, in einer vor kalten Winden geschützten Bucht. Es war bekannt für sein sehr mildes Klima, das eine üppige mediterrane Pflanzenwelt erlaubte. Dieser entzückende Ort, mit den vorgelagerten sogenannten ›Räuber-Inseln‹, bot ein reizvolles Umfeld für die vielen Touristen.

Zum Privatstrand der Villa waren es nur wenige Meter und Laura ging in der warmen Jahreszeit fast täglich morgens hinunter zum Strand zum Schwimmen.

Sie liebte diese frühen Stunden am See. Meist setzte sie sich vor dem erfrischenden Bad auf den großen Felsbrocken, der, wie eigens für sie gemacht, am Ufer lag und sah den glitzernden seichten Wellen zu. Sie fühlte sich gestreichelt vom Wind, der meist sanft wehend ihre Haut berührte. Diese Minuten der inneren Einkehr machten ihr stets aufs Neue klar, wie gut es ihr ging und welches Glück sie hatte, hier am See leben zu dürfen. In dieser wunderschönen Villa mit dem paradiesisch schönen Garten. Dann schaute sie hinauf zum Himmel und sagte: »Schau Papa, wie gut es mir geht. Ich danke dir dafür.«

Das ganze Familienvermögen war ihr allein als Letzte der Familie Caldini zugefallen, weitere Erben waren nicht vorhanden. Deshalb fühlte sie sich stets in der Pflicht, ihren Vater zu Lebzeiten nach Leibeskräften zu unterstützen und ihm auch menschlich, nach dem frühen Tod der Mutter, zur Seite zu stehen.

Ihr bisheriges Leben galt nur ihrer Arbeit in der Druckerei und ihrem geliebten Vater, den sie bis zu seinem Tod betreut und zuletzt auch noch gepflegt hatte. Eine eigene Familie hatte darin keinen Platz, was sie heute doch sehr bedauerte.

Oft malte sie sich aus, wie schön es wäre, wenn das ganze Vermögen in den Händen der eigenen Familie bleiben könnte. Der Name Caldini würde weitergeführt und alle Werte, die ihre Familie in den vielen Jahren erwirtschaftet hatte, würden auf die eigenen Kinder übergehen. Aber diese Lebenschance war vertan und es bestand nur noch ein winziger Funke Hoffnung, dass sich hieran vielleicht etwas Entscheidendes ändern könnte.

Sie ging hinüber zu dem wunderschönen Murano-Spiegel, der in ihrem Schlafzimmer hing und schaute sich selbstkritisch an.

Ich bin nun schon neunundfünfzig Jahre alt. Du meine Güte! Und fühle mich nicht anders als mit dreißig, dachte sie und ging etwas näher heran. Sie betrachtete sich eingehend und strich sich prüfend über die Haut. Die kleinen Fältchen unter den Augen und die winzigen senkrechten Fältchen über der Oberlippe fielen nur bei ganz genauer Betrachtung auf, sobald sie etwas zurücktrat, waren sie fast nicht mehr zu sehen.

Du siehst eigentlich noch ganz gut aus Laura, dachte sie und begegnete ihrem Blick mit Genugtuung. Dabei strahlten sie ihre dunklen Augen mit einem Zwinkern keck aus dem Spiegel an.

 

 

Lorenz

Seit ihr Lorenz aus Frankfurt in Milano zufällig über den Weg gelaufen war, ließ Laura der Gedanke an den bereits geschriebenen Brief an Belinda Bilten nicht mehr los.

Es war nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel im Quadrilatero della Moda, dem schicken und teuren Modeviertel von Milano. Sie saß im Ristorante Savini in der Galleria Vittorio Emanuele, gegenüber dem weltberühmten Mailänder Dom, und aß eine köstliche lombardische Spezialität. Plötzlich klopfte ihr von hinten jemand auf die Schulter und sprach sie auf Deutsch an.

»Entschuldigen Sie, sind Sie nicht Laura Caldini?«

Erstaunt drehte sie sich um und erkannte sofort Lorenz Schneider, einen Mann aus ihrer, wie sie stets zu sagen pflegte, ›Collezione‹ von Verflossenen.

»Lorenz, das gibt’s doch nicht! Was machst du denn hier in Milano?«, fragte Laura spontan auf Deutsch.

Lorenz lachte und freute sich sichtlich, Laura wieder zu sehen. »So einen Zufall erlebt man nicht alle Tage«, sagte er, umarmte und küsste sie herzlich und setzte sich sogleich auf den freien Stuhl an ihrer Seite.

Trotz der vielen Jahre hatten sie sich sofort wiedererkannt und Laura war angenehm überrascht, wie gut Lorenz aussah. Die wenigen grauen Haare, sein gewinnendes Lächeln und seine sportliche Figur, ließen ihn sehr jugendlich erscheinen, obwohl er doch auch schon Anfang sechzig sein musste.

Er erzählte ihr, dass er gerade zum zweiten Mal frisch verheiratet sei und einen beruflichen Abstecher nach Milano gemacht habe, um einen Geschäftspartner zu treffen. Seine Frau warte auf ihn am Comer See. Dort wollten sie ein paar Tage Ferien machen.

»Du hast dich ja überhaupt nicht verändert«, sagte er. »Genauso schön wie früher! Alle Achtung Laura! Wie ist es dir denn in all den Jahren ergangen?«

Laura erzählte ihm, dass sie nach ihrem Aufenthalt in Deutschland sofort in die Firma ihres Vaters eingestiegen sei und als Juniorchefin speziell das Auslandsgeschäft übernommen habe. Dank ihrer guten Deutschkenntnisse betreute sie alle deutschsprachigen Kunden und hatte so den Kontakt zu Deutschland und der deutschen Sprache nie verloren. Sie erzählte ihm, dass ihr Vater vor einigen Jahren verstorben sei. Die Firma habe sie vor Kurzem verkauft, und sie privatisiere nun am Lago Maggiore.

»Erzähl, was machen denn Enrico und Gina. Wie ist es ihnen in all den Jahren ergangen?«, fragte Laura mit einem angespannten Gefühl.

»Hast du denn in all den Jahren keinen Kontakt zu ihnen gehabt?«, fragte Lorenz erstaunt.

»Nein, leider! Seit meiner Abreise damals nicht. Wie das Leben so spielt!«, sagte sie etwas verlegen.

»Dann kann ich dir nur Trauriges mitteilen«, sagte Lorenz mit einem bekümmerten Gesichtsausdruck. »Enrico und Gina - wie nur du sie immer genannt hast - leben leider beide nicht mehr. Enrico ist schon vor zwanzig Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen und Gina starb vor einem halben Jahr an Brustkrebs.«

Laura erschrak heftig und machte ein sehr betroffenes Gesicht. Unwillkürlich wurde ihr etwas schwindelig, sodass sie versuchte, tief durchzuatmen, wobei sie sich an der Tischkante festhalten musste.

»Und was ist aus ihrer Tochter geworden?«, fragte sie bewegt mit klopfendem Herzen.

»Belinda hat sehr unter dem Verlust gelitten. Sie lebt heute wieder im Haus der Eltern, hat Gartenbau studiert und arbeitet als Gartenbauarchitektin im ehemals väterlichen Architekturbüro. Außerdem schreibt sie als freie Redakteurin für Gartenfachzeitschriften. Ich habe sie zuletzt vor zirka zwei Jahren gesehen. Sie ist ein bildhübsches, liebenswertes Mädchen und soll sich in den letzten Krankheitsjahren rührend um Gina gekümmert haben. Ich glaube, sie ist mit dem Sohn des Architekten verlobt.«

Laura, die plötzlich ganz blass geworden war, verlangte beim Ober nach einem Glas Wasser.

»Kannst du mir die Adresse von Belinda geben?«, fragte sie nach einer Pause leise, »ich würde ihr gern einmal schreiben.«

»Gern!«

Lorenz schaute in seinem Adressbuch nach und Laura schrieb sich Telefonnummer und Adresse von Belinda in ihr Notizbuch.

Anschließend tauschten sie noch ihre Adressen aus und Lorenz versprach, Laura bestimmt bei seiner nächsten Italienreise zu besuchen. Laura schaute sich seine Visitenkarte etwas genauer an und las betont langsam vor: »Dr. Lorenz Schneider, Geschäftsführer, Intermed GmbH, Frankfurt. Hm – hast du doch keine eigene Praxis aufgemacht?«, fragte sie.

»Nein, ich habe einen tollen Job mit viel Freiraum und Freizeit, was ich als niedergelassener Arzt bestimmt nicht hätte. Außerdem stimmt die Kohle!«, antwortete Lorenz grinsend.

Laura lachte.

»Ganz der alte, liebe Lorenz! Immer ein bisschen schlauer als die anderen!«

Sie plauderten noch etwas über die alten Zeiten und hatten viel zu lachen, wenn ihnen eine Anekdote aus der gemeinsamen Frankfurter Zeit einfiel.

Schon bald darauf musste sich Lorenz verabschieden, da er seinen Geschäftspartner nicht warten lassen wollte.

»Wir werden unbedingt wieder miteinander telefonieren«, sagte er zum Abschied und küsste Laura herzlich auf beide Wangen.

»Wir dürfen auf keinen Fall wieder so lange Zeit verstreichen lassen, bis wir uns wiedersehen.«

»Auf keinen Fall, versprochen!«, sagte Laura und machte sich ebenfalls kurz danach, sehr nachdenklich und völlig aufgewühlt, auf den Nachhauseweg.

Dieses Zusammentreffen mit Lorenz ging Laura auch heute wieder durch den Kopf, als sie zu der silbernen Schatulle griff, den verriegelten Deckel öffnete und ihr einige Fotos entnahm. Sie zeigten eine lachende blonde Frau, Ende zwanzig, umarmt von einem gut aussehenden dunkelhaarigen Mann vor einem roten VW-Käfer mit deutschem Autokennzeichen.

»Enrico und Gina«, murmelte Laura leise vor sich hin und streichelte zärtlich über das Foto. Und schon war sie in Gedanken wieder über dreißig Jahre zurück in Frankfurt, in den herrlichen Jahren ihrer Volontariatszeit.

Ihr Vater hatte gute Verbindungen zu deutschen Geschäftspartnern und eine hohe Meinung von der deutschen Wirtschaft. Er wollte seiner Tochter nur die allerbeste Ausbildung als zukünftige Juniorchefin ermöglichen. Sie hatte ihr betriebswirtschaftliches Studium beendet, um dann in Frankfurt noch ein Volontariat in einem Großverlag mit großer Druckerei anzuhängen. Ein nützlicher Nebeneffekt war, dass sie zusätzlich gründlich die deutsche Sprache erlernen konnte, was sich später als sehr wertvoll erwies, da sie mit ihren deutschen Kunden so unproblematischer verhandeln konnte.

Sie kam Anfang der Siebzigerjahre nach Frankfurt und bezog zuerst einmal ein sehr kleines Einzimmer-Appartement in einem Zweifamilienhaus in einem Frankfurter Vorort. Relativ schnell hatte sie Kontakt zu Studenten gefunden, die im Zeitungsverlag in Freistunden jobbten, um das nötige Kleingeld für das tägliche Leben zu verdienen. Die Ansprüche waren damals nicht groß und Laura gefiel es, einmal ganz anders als zu Hause zu leben. Wohngemeinschaften waren en vogue und ihr kleines Appartement kam ihr ganz schnell ziemlich spießig vor.

Als sie Enrico und Gina im Verlag kennenlernte und diese ihr ein großes Zimmer in ihrer Altbauwohnung zu einem kleinen Preise anboten, überlegte sie nicht lange und zog mit ihren Habseligkeiten kurz entschlossen bei ihnen ein.

Beide waren richtige Italien-Fans und freuten sich darüber, dass Laura sie nicht mit Luise und Heinrich, sondern mit ihren italienischen Namen ›Enrico und Gina‹ ansprach. Überhaupt wurde sie in Deutschland sehr liebevoll aufgenommen. Italien war das Reiseland Nummer eins der Deutschen, die Italiener wegen ihres Temperamentes sehr beliebt und die italienische Küche war so richtig im Kommen. Vor allen Dingen Pizza und Spaghetti. Die italienischen Ristoranti schossen damals nur so aus dem Boden und wurden bevorzugt von jungen Leuten besucht.

Außer den beiden wohnte damals auch Lorenz für eine kleine Miete mit in der geräumigen Vierzimmerwohnung. Sie hatten ein gemeinsames großes Bad und ein gemeinsames Wohnzimmer. Die Putz- und Kochordnung wurde penibel festgelegt und Lauras Pasta-Kochkünste waren schnell ungemein beliebt. Es war eine unbeschwerte, lustige und interessante Zeit und vor allen Dingen standen politischen Diskussionen auf der Tagesordnung.

Lorenz und Enrico waren politisch sehr aktiv und an jeder nur denkbaren Demonstration beteiligt. Es war ganz selbstverständlich, dass auch Gina und Laura mitkamen, obwohl beide mehr oder weniger nur Mitläufer waren, die einfach nur dabei sein wollten.

Mit Lorenz hatte Laura ziemlich schnell eine Affäre, die aber keinen Bestand hatte, da die freie Liebe damals durch den Spruch ›Wer mehrmals mit der gleichen pennt, gehört schon zum Establishment‹ propagiert wurde und wechselnde Beziehungen für manche Studenten einfach ein Muss war. Heute musste sie sich eingestehen, dass sie damals etwas zu leichtfertig mit der Liebe umgegangen war und deshalb vielleicht die Liebe ihres Lebens versäumt hatte.

Anders war dies allerdings mit Enrico und Gina. Sie waren unheimlich verliebt ineinander und sehr aufeinander fixiert. In sexueller Hinsicht waren sie sehr konservativ und mussten sich deshalb im Freundeskreis einigen Spott gefallen lassen. Für beide stand fest, in eine gemeinsame Zukunft zu steuern. Enrico und Gina wollten ihr Studium der Architektur schon bald erfolgreich beenden, um dann so schnell wie möglich ein eigenes Architekturbüro aufzubauen. Und klar war für beide, dass sie heiraten und Kinder haben wollten.

Laura seufzte, so in Erinnerungen versunken, leise auf und entnahm der Schatulle eine Kopie des handgeschriebenen Briefes, den sie erst wenige Tage zuvor an Belinda Bilten geschrieben hatte. Nachdenklich hielt sie den Brief in den Händen. Man sah ihr an, dass ihr tausend Dinge durch den Kopf gingen und dass dieser Brief von ganz besonderer Bedeutung für sie war. Mit einem tiefen Atemzug und einem entschlossenen Gesichtsausdruck las sie sich den Text noch einmal leise vor.

 

»Liebe Belinda, ich hoffe, ich darf Sie so nennen.

Ich bin eine alte Freundin und Weggefährtin ihrer Eltern aus der Studienzeit und habe den Kontakt zu ihnen leider durch verschiedene Umstände verloren.

Durch einen Zufall traf ich in Milano einen alten Freund aus dieser Zeit, der mir mitteilte, dass Ihre beiden Eltern leider verstorben sind. Das hat mich sehr betroffen gemacht und ich möchte Ihnen – wenn auch so spät – mein aufrichtiges Beileid aussprechen.

Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie einmal persönlich kennen lernen könnte. Deshalb möchte ich Sie ganz herzlich einladen, mich am Lago Maggiore zu besuchen. Vielleicht hat es für Sie ja einen ganz besonderen Reiz hier Ferien zu machen, denn, wie ich gehört habe, sind Sie Gartenbauarchitektin. Da dürften die mediterranen Gärten hier am See – auch mein großer Garten bietet eine vielfältige Pflanzenauswahl – für Sie von besonderem Interesse sein. Mein Haus, mein Garten und ein schönes Gästezimmer erwarten Sie.

Ein Gespräch mit Ihnen wäre mir sehr wichtig. Ich glaube, dass ich Ihnen, auch für Ihr Leben, einige wichtigen Informationen mitteilen kann.

Ich freue mich schon heute auf Ihre Antwort und verbleibe mit den herzlichsten Grüßen, Ihre Laura Caldini«

 

Versunken faltete Laura den Brief langsam zusammen und griff sich dabei unwillkürlich ans Herz. Sie steckte den Brief in den Umschlag zurück, der schon mit der deutschen Adresse versehen war, steckte noch ein Foto, das die Villa mit Garten zeigte, dazu und legte ihn auf den Tisch. Dann nahm sie einen weiteren Brief aus dem Kästchen, adressiert an ihren Milanesischen Notar Dr. Ferro, und las sich auch diesen noch einmal leise vor.

 

»Lieber Dottore,

wie ich von Ihrer Sekretärin erfahren habe, befinden Sie sich auf einer längeren Schiffsreise in der Karibik. Damit Sie umgehend nach Ihrer Rückkehr einen Termin mit mir notieren, möchte ich schon heute in dieser Form eine Testamentsänderung mit Ihnen vereinbaren. Ich lege schon einmal vorab meine Neufassung diesem Schreiben bei und hoffe, dass Sie nicht allzu schockiert sind! Eine Kopie habe ich in meinem Safe deponiert. Bitte kontaktieren Sie mich, sobald Sie aus Ihrem Urlaub zurück sind.

Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Mühe. Mit freundlichen Grüßen, Laura Caldini«

 

Sie ging an ihr Kopiergerät, das in ihrem Arbeitszimmer stand, machte sich je eine Kopie von dem Schreiben an Dr. Ferro und der handgeschriebenen Testamentsänderung und legt alles zu ihren Dokumenten. Die Originale steckte sie zurück in den Umschlag und rief nach Maria, um sie zu bitten, die Briefe beim nächsten Einkauf in den Briefkasten zu werfen.

 

 

Susanne besucht Bella

Es war schon kurz vor neunzehn Uhr. Bella holte eilig ihren kleinen roten Sportwagen aus der Garage und fuhr zur S-Bahn-Station. Susanne stand bereits wartend am Gehweg und wedelte freudig mit einer Flasche Wein, als sie Bella entdeckte.

Sie sah todschick aus in ihrem neuen Hosenanzug und ihre langen blonden Haare wehten ihr verwegen ins Gesicht.

»Hi, Bella, heut‘ machen wir es uns mal wieder so richtig gemütlich«, sagte sie lächelnd, als sie in Bellas kleinen Flitzer schwungvoll einstieg. Bella pfiff leise durch die Zähne und äußerte sich bewundernd über Susannes Outfit. Diese freute sich sichtlich über das Kompliment.

Beim Eintreten in das moderne Architektenhaus, das Bellas Eltern vor fünfundzwanzig Jahren geplant und gebaut hatten, zog Susanne im Vorbeigehen einen Brief aus dem Briefkasten.

»Post, Bella – oh aus Bella Italia.« Dabei zog sie das Wort B e l l a ganz besonders in die Länge.

»Wer schreibt dir denn da?«

Sie lachten und Bella nahm den Brief an sich und schaute auf den Absender.

»Laura Caldini,« sagte sie gedehnt, »kenn‘ ich nicht! Wer das wohl ist?«

Bella öffnete im Gehen das angenehm duftende Kuvert und faltete das Schreiben auseinander. Dabei fiel ein Foto auf den Boden, das eine alte italienische Villa, umgeben von einem wunderschönen Garten zeigte. Auf dem Rasen lag malerisch ein großer schwarzer Hund. Verwundert hob sie das Foto auf und las aufmerksam den handgeschriebenen Brief und reichte ihn anschließend mit einem vielsagenden Lächeln an Susanne weiter, die beim Lesen leise durch die Zähne pfiff.

»Molto interessanto«, sagte sie feixend und schüttelte dabei in typisch italienischer Weise ihre Hand. »Das wäre doch auch mal was für uns beide! Meinen Urlaub für dieses Jahr habe ich noch nicht gebucht.«

Bella schaute sich noch einmal ganz genau das Foto an. »Tolle Villa, was. Das sollte man sich wirklich nicht entgehen lassen. Und am Lago Maggiore war ich auch noch nicht. Das muss ich mir doch wirklich mal durch den Kopf gehen lassen.« Dabei lächelte sie Susanne verschmitzt an.

»In den nächsten vier bis sechs Wochen geht leider überhaupt nichts, da muss ich noch die Planungen für den Neubau in Eschborn fertig stellen. Aber danach«, Bella wiegte mit dem Kopf hin und her und stockte, »... danach könnte ich eigentlich mal Urlaub machen und wenn du willst, kannst du sicher mitkommen. Lass uns das heute nach dem Essen noch genauer besprechen.«

»Wir könnten ja heute Abend gleich die Antwort verfassen, was meinst du?«, fragte Susanne ganz Feuer und Flamme.

»Aber zuerst bestellen wir mal was beim Thailänder. Ich sterbe vor Hunger und das dauert doch immer so lange, bis der endlich liefert.« Bella griff zum Telefon und gab die übliche Bestellung durch. »Lieferung in zwanzig Minuten«, sagte sie nach dem Auflegen des Hörers. »Wir können ja schon mal den Tisch decken.«

»Eigentlich sollten wir italienisches Essen bestellen, um uns schon magenmäßig einzustimmen«, meinte Susanne und lachte.

»Uff, ich bin pappsatt«, stöhnte Susanne, hielt sich die Hände vor den Bauch und schob ihren Teller zurück. Wie immer war das gelieferte Essen viel zu viel. Man hätte noch zwei weitere Gäste bewirten können. Aber auch wie immer, war der Appetit erst so groß, dass man sich total überschätzte.

»Jetzt wäre ein kleines Verdauungsschnäpschen nicht schlecht, was meinst du?«

»Keine schlechte Idee«, stimmte Bella zu und holte eine Schnapsflasche mit Gläsern auf den Tisch und schenkte ein.

»Salute«, sagte Susanne und erhob ihr Glas.

»Salute«, erwiderte Bella und ihre Gläser klirrten aneinander.

Der Abend verlief wie immer sehr lustig, aber Bella spürte dennoch den ganzen Abend, dass Susanne etwas auf dem Herzen hatte.

»Heraus damit«, sagte sie spontan, hast du ein Problem?«

Susanne fühlte sich ertappt. Sie wurde leicht rot und druckste herum.

»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, Bella. Aber wir sind doch schon so lange befreundet und haben uns immer alles erzählt. Ich muss es dir sagen, sonst platzte ich und ich glaube, du würdest es umgekehrt auch tun.«

»Was ist denn los, rede schon.« Bella beugte sich, nun neugierig geworden, nach vorn. »Ich bin ganz Ohr!«

»Also, ich war vorgestern mit einem Kollegen nach der Arbeit zum Abendessen in der Fressgasse. Anschließend habe ich mir noch diesen schönen, teuren Hosenanzug gekauft.«

»Der ist toll«, sagte Bella anerkennend.

»Du kennst den Laden, der ist fast vorn am Goetheplatz. Als ich aus der Boutique rauskomme, sehe ich zwei Männer, die eng umschlungen im Hauseingang stehen und sich küssen. Du weißt doch, dass dort dieses Schwulenlokal um die Ecke ist. Also, zuerst grinse ich mir eins, das sieht man schließlich nicht alle Tage. Aber da dreht sich der eine plötzlich um und ich erstarre sofort zur Salzsäule. Halt dich fest Bella, es tut mir wirklich sehr leid, aber ...«, Susanne machte eine verlegene Pause und stöhnte leicht auf. »Es war Henry!«

Nun war es heraus. Bella schaute Susanne fassungslos an.

»Wie bitte? Du willst mich veräppeln! Das ist doch nicht wahr! Das kann doch nicht wahr sein!«

»Doch Bella. Er hat mich auch erkannt, hat sich sofort umgedreht und ist im Hauseingang verschwunden. Ich wollte ihm nicht hinterher, da ich die Situation auch nicht besonders prickelnd fand.«

Bella fehlten die Worte. Sie lief hochrot an und schnappte nach Luft. »Ich Idiotin!«, rief sie nach Sekunden der absoluten Stille plötzlich wütend aus. »Ich Depp! Jetzt wird mir alles klar. Und d e r will mich heiraten. Der hat doch einen Riss in der Schüssel! Wahrscheinlich soll ich als seine Alibi-Ehefrau allen anderen die heile Welt vorspielen. Mein Geld will er auch! Das ist doch die Höhe! Das ist Betrug, der reinste Betrug! Den werde ich mir morgen gleich vorknöpfen, das ist mal sicher. Der kann mich mal! Komm, schenk’ mir noch ein Glas ein, sonst wird mir schlecht.«

Susanne verdrehte die Augen, kippte die Rotweinflasche um und rief »Flasche leer – ich bin fertig!«, sagte sie mit Anspielung auf Trappatoni. Jetzt mussten spontan beide lachen und Bella, die eben noch wütend und völlig außer sich war, entspannte sich sichtlich.

»Ich hole noch eine Flasche aus dem Keller, bin gleich wieder da«, rief sie Susanne zu und fühlte sich plötzlich wie befreit. Der Alkohol tat ein Übriges, dass sie sich immer besser fühlte. Die Zweifel, über die sie heute Mittag noch nachgedacht hatte, hatten sich auf einmal ganz von selbst aufgelöst. Henry war für sie erledigt! Er hatte sie wissentlich hintergangen, dieser Mistkerl!

Das konnte sie ihm nicht verzeihen. Ihr tat nur leid, dass sie die letzten zwei Jahre mit diesem Scheusal verplempert hatte. Schließlich war sie auch nicht mehr die Jüngste.

»Neue Liebe, neues Glück«, rief Susanne überschwänglich, als Bella aus dem Keller kam. Sie machte schon einen recht beschwipsten Eindruck und kicherte albern vor sich hin. Sie war froh und erleichtert, dass Bella die Neuigkeit des Abends nicht völlig umgehauen hatte. Sie machte eher einen befreiten Eindruck.

»So wie wir gebaut sind«, sagte sie und verbog ihren Körper wie ein Pin-up-Girl. »Bauch rein, Brust raus. Schick deinen Henry zum Teufel«, rief sie: »Andere Mütter haben auch schöne Söhne! Wie sagte Elsi aus dem Tennisklub doch immer so schön: ›Den kannst du mir solange um den Bauch binden, bis er abrostet!‹

Sie lachten und blödelten noch herum, bis Bella wieder an den Brief aus Italien dachte. Sie nahm ihren Terminkalender zur Hand und blätterte die nächsten Monate durch.

»Ob ich unter diesen Umständen bei Bauer bleibe, weiß ich noch nicht. Meine Honorare, die ich als freie Redakteurin verdiene, halten mich auch ganz gut über Wasser.« Mit dem Finger strich sie durch die Kalenderseiten.

»Hier könnte ich«, sagte sie und tippte auf die aufgeschlagene Seite. »Anfang Mai wäre bei mir möglich. Die Pläne für Eschborn muss ich noch fertig machen, das habe ich dem Bauleiter versprochen. Aber danach – ja, Mai wäre möglich. Und du, wie sieht es bei dir aus?«

Susanne holte ebenfalls ihren Terminkalender aus ihrer Handtasche und schlug den Mai auf. »Im Moment ist das bei mir noch möglich, aber das kann sich leider immer schnell wieder ändern. Aber okay, ich versuche, diesen Termin zu realisieren«. Sie trug Anfang Mai in großen Buchstaben ITALIEN!, fett unterstrichen in ihren Kalender ein.

Bella holte ihr hübsches Briefpapier, das sie als Weihnachtspräsent von einem Verlag erhalten hatte, nahm einen Füllhalter und schrieb:

 

»Liebe Frau Caldini, auch ich möchte Sie in dieser vertrauten Form ansprechen, da Sie offensichtlich meine Eltern gut gekannt haben. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und Ihr Mitgefühl.

Gern werde ich es möglich machen, Ihnen einen Besuch abzustatten, zumal ich den Lago Maggiore überhaupt nicht kenne. Ihr Garten und Ihr Haus auf dem Foto sind wundervoll und ich freue mich darauf, alles einmal besichtigen zu können. Gern würde ich meine beste Freundin auf diese Reise mitnehmen. Sollte dies in Ihrem Haus nicht möglich sein, kann sie auch gern in einem nahen Hotel übernachten. Eine kurzfristige Reise ist allerdings nicht möglich. Ich könnte erst Anfang Mai einen Besuch realisieren.

Ich freue mich darauf, Sie persönlich kennenzulernen, und grüße Sie aus dem fernen Taunus, Ihre Belinda Bilten (genannt Bella).«

 

»Prima!«, sagte Susanne, »den schicken wir gleich morgen ab.«

Bella holte einen Briefumschlag und adressierte ihn mit ihrer schönen gradlinigen Handschrift. »Villa Caldini – klingt toll, was! Jetzt müssen wir aber ab ins Bett, ich muss morgen frühzeitig auf der Baustelle sein. Du weißt doch, dass Bauarbeiter immer so früh dran sind.«

 

 

Dottore Sautter

»Der nächste bitte«, rief Dottore Marc Sautter ins Wartezimmer. Als niemand hereinkam, ging er hinaus und schaute nach. Es war leer.

Seit dem Tod seiner Frau führte er die Praxis allein und musste selbst seine Patienten aufrufen. Anfangs war das alles ein bisschen viel für ihn, aber da war das Wartezimmer auch noch voll. Doch seit einiger Zeit kamen einige seiner Patienten nicht mehr und konsultierten den neuen Dottore in Intra, der eine moderne Praxis mit viel Personal und den neuesten medizinischen Geräten hatte. Auch sonst hörte man nur Gutes über ihn und er war schon sehr beliebt. Leider auch bei einigen seiner ehemaligen Patienten.

Aber was soll‘s, dachte sich Marc. Seine Zeit als Arzt war bald abgelaufen. Er war sowieso in letzter Zeit so antriebsschwach und suchte nach einem Sinn im Leben ohne Gabriella. Außerdem wollte er ohnehin in Kürze seine Praxis aufgeben, schließlich war er bereits über sechzig. »Da kann ich mir ja erst einmal einen kleinen Grappa genehmigen«, sagte er laut zu sich selbst, ging an den kleinen Eckschrank und entnahm ihm eine kleine Glasflasche. Er schaute in den gegenüberliegenden Spiegel, hob die Flasche und prostete sich zu. Salute Marc! Gleich darauf nahm er einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche. Sein Spiegelbild schaute ihm entgegen und zeigte einen schlanken, gut aussehenden Mann in den sogenannt besten Jahren, mit grauen Schläfen und geröteten Augen, der sich wohl einige Tage nicht mehr rasiert hatte. Überhaupt machte seine Erscheinung insgesamt einen etwas ungepflegten Eindruck. Du sahst auch schon mal besser aus, sagte er zu seinem Spiegelbild und strich sich über seinen Drei-Tage-Bart.

Die Zahl seiner deutschsprachigen Patienten war in dieser Saison immer noch ausreichend gewesen, um die Praxis am Leben zu erhalten. Und da die meisten Touristen bar bezahlten, konnte er das Geld einfach einstecken, ohne es durch seine Bücher laufen zu lassen und musste dafür weniger Steuern zahlen. So lohnte sich das Ganze für ihn wenigstens noch etwas.

In der Ortsmitte war seit Jahren sein Schild angebracht, auf dem stand in Deutsch und Italienisch: ›Deutsch sprechender praktischer Arzt, Dr. Marc Sautter‹, danach seine Adresse mit Wegweiser und Telefonnummer. Das führte ihm in der Ferienzeit viele Touristen zu, die im Urlaub erkrankten. Die meisten hatten nur kleinere Beschwerden, wie Sonnenbrand oder Magenverstimmungen. Aber es kam auch schon mal vor, dass er in eines der vielen Ferienhäuser gerufen wurde, weil schwerwiegendere Erkrankungen vorlagen. Die schlimmeren Fälle überwies er ins nächste Krankenhaus nach Intra, der nächstgelegenen Kleinstadt.

Als seine Frau noch lebte, war alles viel leichter und geordneter für ihn. Sie war die gute Seele der Praxis und hatte für alle Patienten ein Lächeln übrig. Sie führte die Patientenkarteien, erstellte die Abrechnungen, gab Spritzen und koordinierte die Termine. So waren sie einfach ein gut eingespieltes Team und in Cannobio sehr bekannt und beliebt.

›Unser Dottore!‹, sagten die Leute damals mit betonter Anerkennung.

Der Liebe wegen war er als deutscher Arzt nach Cannobio gekommen. Als junger Medizinstudent lernte er Gabriella gleich im ersten Semester auf der Uni kennen und lieben.

Ihr Vater schickte sie zum Medizinstudium nach Deutschland, weil sie später einmal seine Allgemeinpraxis in Cannobio übernehmen sollte.

Aber wie so oft im Leben kam alles ganz anders. Gabriella war im achten Semester, als sie schwanger wurde. Marc und sie heirateten in Windeseile, denn für beide stand schon lange vorher fest, dass sie für immer zusammen bleiben wollten. Als der kleine Roberto geboren wurde, hatte Marc zum Glück bereits eine Stelle als Assistenzarzt in einem deutschen Krankenhaus und konnte die kleine Familie gerade so über Wasser halten. Gabriella hatte ihr Studium wegen des Babys erst einmal aufgegeben.

Als dann Gabriellas Vater plötzlich verstarb und seine Praxis verwaist war, packten sie kurz entschlossen ihre Habseligkeiten zusammen. Sie zogen ins Haus ihres Vaters und übernahmen nach kleinen Umbauarbeiten die alteingeführte Praxis. Marcs Italienisch vervollständigte sich im Laufe der Jahre, sodass er schon bald keine sprachlichen Probleme mit seinen italienischen Patienten mehr hatte.

Mit ihrem Sohn Roberto sprachen sie von Anfang an Deutsch und Italienisch, sodass es auch für ihn unproblematisch war, als er in Italien eingeschult wurde.

Gabriella war im Ort sehr beliebt. Viele kannten sie noch aus ihren Kindertagen und sprachen sie vertraut mit ihrem Vornamen an.

Es war ein erfülltes und glückliches Leben, das sie viele Jahre hier führten, bis zu jenem denkwürdigen Tag vor sechs Jahren als Gabriella beim Schwimmen im See ertrank.

Eigentlich war sie eine gute Schwimmerin. Aber an diesem Tag wagte sie sich etwas weiter hinaus als sonst. Ihre Freundin Silvana, die mit ihr zum Schwimmen gegangen war, spielte gerade mit ihrem Hund am Ufer und bemerkte zu spät, dass Gabriella nicht mehr zu sehen war. Die alarmierte Wasserschutzpolizei suchte nach ihr – ohne Erfolg. Sie befürchteten, dass die Suche aussichtslos sei. Der See war stellenweise immerhin fast vierhundert Meter tief und Gabriella wäre nicht der erste Mensch, der nicht mehr aufzufinden sei, sagte der Commissario.

Es mussten Taucher angefordert werden, die den See nach ihr absuchten. Viele Menschen aus der Umgebung standen aufgeregt am Strand herum oder halfen bei der Suche am Seeufer.

Erst nach einigen Stunden fand man ihre Leiche. Sie war durch die Strömung viele Meter in Richtung Cannero abgetrieben und vom dicken Ast eines Kampferbaumes, der in den See hinausragte, festgehalten worden. Bei der anschließenden Untersuchung stellte man fest, dass Herzversagen die Ursache des Ertrinkens war.

»Marc, es ist etwas Schreckliches passiert! Bitte, bleib ganz ruhig und reg dich nicht so auf! Du musst sofort zum Strand kommen. Gabriella ist wahrscheinlich ertrunken«, rief Silvana aufgeregt in ihr Handy. Marc war fassungslos und unfähig zu antworten. Er fuhr sofort zum Strand und musste das letzte Stück zu Fuß gehen, da die Straße einige Meter vorher endete. Kreidebleich kam er an den Strand gerannt. Atemlos und nach Luft ringend stand er am Ufer, als der herbeigerufene Notarzt nur noch Gabriellas Tod feststellen konnte.

»Gabriella, was ist mir dir«, schrie er. »Helft ihr doch, helft ihr doch.« Er war völlig aufgelöst, fing an zu weinen und bekam einen fürchterlichen Nervenzusammenbruch, der die Einweisung in die nächste Klinik erforderlich machte.

Sein damals zweiundzwanzigjähriger Sohn Roberto, den Silvana auch per Handy verständigt hatte, kam ebenfalls leichenblass zur Unglücksstelle. Er konnte sich aber soweit fassen, dass er für die nötigen Formalitäten der Polizei zur Verfügung stand.

Es sprach sich wie ein Lauffeuer im Ort herum, dass Gabriella im See ertrunken war und der Dottore sogar wegen eines Nervenzusammenbruches im Krankenhaus behandelt werden musste. Große Trauerplakate wurden als Todesanzeige überall in Cannobio angeschlagen, sodass bald auch noch der letzte Mitbürger im Ort wusste, was passiert war. Ganz Cannobio war auf den Beinen, als Gabriella beigesetzt wurde. Das Mitgefühl der Gemeinde mit ihrem Dottore war sehr groß und die Beileidsbekundungen nahmen kein Ende.

Für Marc war das nervlich alles viel zu viel. Er verkroch sich in seinem Haus und befand sich in einem jämmerlichen Zustand. Sein Glück war mit einem Schlag zerstört und er brauchte Monate, bis er wieder in der Lage war, seine Praxis zu öffnen.

In dieser schwierigen Phase besuchte ihn Laura oft, um Trost zu spenden. Sie war mit der Familie schon seit langem befreundet und Gabriellas Tod war auch für sie ein schwerer Schlag. Sie bot ihre Hilfe an, wo es nur möglich war, und lud Marc und Roberto des Öfteren zu sich nach Hause zum Essen ein.

»Du bist immer willkommen bei mir«, sagte Laura und lächelte Marc freundschaftlich an. »Wir kennen uns nun schon so lange, dass du dich nicht scheuen solltest, mich um etwas zu bitten. Versprichst du mir das Marc?«

»Das Gleiche gilt natürlich auch für dich, Roberto«, sagte sie dem jungen, attraktiven Mann zugewandt, der neben Marc am Esstisch saß. Dabei legte sie mütterlich ihre Hand auf die seine.

Wie gut er doch aussieht, dachte Laura, als sie ihn wohlwollend ansah. Er hatte viel Ähnlichkeit mit seiner verstorbenen Mutter, die eine schöne dunkelhaarige Frau gewesen war. Sein braun gebranntes Gesicht mit den fast schwarzen Haaren und den dunklen lang bewimperten Augen, machten ihn zu einem begehrten jungen Mann hier am Lago, dem es an Verehrerinnen nicht mangelte. Was natürlich seinem Ego äußerst schmeichelte. Leider war er sich seines guten Aussehens nur allzu bewusst, was ihm manchmal eine etwas arrogante Note verlieh.

Laura lernte die Familie nach einer Grippebehandlung ihres Vaters kennen. Marc musste damals ihren Vater zuhause konsultieren, da er Fieber hatte und das Bett nicht verlassen konnte. Als sie persönlich in die Praxis kam, um ein Medikament abzuholen, lernte sie auch Gabriella kennen, die ihr auf Anhieb sympathisch war. Und da dies offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte, war es fast selbstverständlich, dass Laura die Familie für das nächste Wochenende in die Villa zum Essen einlud. Hier traf sie den kleinen Roberto zum ersten Mal.

Ein lockiger, quirliger, damals siebenjähriger Junge. Überhaupt nicht scheu und zurückhaltend, wie so manche Kinder in seinem Alter, die nur am Rockzipfel der Mutter hingen.

Laura war entzückt von dem hübschen Jungen und lud ihn ein, sie sooft er Lust dazu hatte, zu besuchen.

Der riesige Garten war für ihn wie ein Abenteuerspielplatz und für die Fantasie eines Jungen in seinem Alter wie geschaffen.

Die vielen Eidechsen, die in einem großen Garten zu Hunderten herumtollten, machten ihm ganz besonders Freude. Er wollte die Tiere immer einfangen und rannte ihnen, wild in die Hände klatschend, hinterher.

Auch das verfallene Rustico, das sich im oberen Teil des Gartens befand und das bisher nur notdürftig instand gehalten wurde, war für den Spieltrieb eines Kindes wie geschaffen. Es war ein anregender Spielplatz für Kinderfantasien.

Lauras damaliger Hund Bea war ein weiterer Magnet für ihn, denn er wünschte sich so sehr einen eigenen vierbeinigen Freund.

Marc und Gabriella konnten und wollten ihm diesen Wunsch aber nicht erfüllen, da sie die meiste Zeit in der Praxis verbrachten. Außerdem lag ihr Haus mitten im Ort und verfügte nur über einen kleinen Garten. Ein Hund hätte nur eine zusätzliche Belastung für sie beide bedeutet.

Deshalb war es nicht verwunderlich, dass Roberto sehr oft und gern bei Laura zu Besuch war. Und dies fast ausschließlich an den Wochenenden, wenn keine Schule war. Dann durfte er auch häufig in der Villa übernachten.

Laura hatte deshalb extra das gelbe Zimmer herrichten lassen und einiges an Spielzeug für ihn gekauft.

»Ich werde ja schon ganz eifersüchtig«, hatte Gabriella häufig lachend zu ihr gesagt. Immer spricht er nur mit Begeisterung von dir, dem Garten und natürlich von Bea.« Aber auf der anderen Seite war sie froh, ihren Sohn gut aufgehoben zu wissen, wenn sie beide arbeiten mussten.

»Nenne mich einfach Laura und Du«, hatte sie gleich zu Beginn ihrer Freundschaft zu Roberto gesagt.

Auch ihr Vater war entzückt von dem kleinen Burschen und erlaubte ihm, ihn Onkel Caldini zu nennen.

»Schade Laura, dass Roberto nicht mein Enkelkind ist«, sagte er anfangs zu ihr mit einem leisen Bedauern im Gesicht.

Als er jedoch merkte, wie Laura den Blick senkte und nur ganz kurz »Ja, schade«, sagte, schnitt er dieses Thema nicht mehr weiter an. Er wollte sie nicht unnötig traurig machen und seine Hoffnung auf Enkelkinder hatte er bereits lange schon aufgegeben.

Ihm war klar, dass Laura ein anderes Leben gewählt hatte und er wollte keine unnötigen Diskussionen dieser Art mit ihr führen. Jetzt war es sowieso zu spät. Und ein bisschen hatte er auch ein schlechtes Gewissen, weil er Laura in die Firma geholt hatte und dadurch ihr Privatleben einfach zu kurz kam.

Für Laura waren die Wochenenden mit Roberto immer eine besondere Freude. Sie und ihr Vater fuhren meist schon Freitagnachmittag von Milano zur Villa am See. Niemals, ohne vorher noch ein kleines Geschenk für Roberto zu kaufen.

»Verwöhne uns den Jungen nicht so«, tadelte Gabriella. Und man konnte merken, dass es ihr ernst damit war. »Wie soll er denn sonst lernen, dass man im Leben nicht alles einfach geschenkt bekommt.«

Laura versprach dann jedes Mal sich zu bessern, konnte aber meistens der Versuchung nicht widerstehen, wenn sie ein schönes Kleidungsstück oder ein originelles Spielzeug sah. Sie musste es einfach für Roberto, ihren kleinen Liebling, kaufen.