Das gleiche Schicksal - Kevin Vollenschaar - E-Book

Das gleiche Schicksal E-Book

Kevin Vollenschaar

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Beschreibung

Als der zehnjährige Dylan seine Eltern verliert stellt sich sein Leben komplett auf den Kopf. Erst landet er im Waisenhaus und kurz danach spitzt sich die Situation weiter zu. Von einer Gefahr in die nächste geworfen, lernt er das Handwerk seiner Eltern kennen. Auf seiner Reise lernt er das neun Jahre alte Mädchen Lila kennen, die ihn begleitet. Dylan schließt sie ins Herz und beide weichen sich Jahre lange nicht von der Seite. Doch bald wird er sich in der Bedrängnis sehen seine bisherigen Entscheidungen zu überdenken um das Ziel: den Mörder seiner Eltern zu finden, erreichen zu können.

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Seitenzahl: 240

Veröffentlichungsjahr: 2024

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DASGLEICHESCHICKSAL

KEVIN VOLLENSCHAAR

Vorwort

L

iebe Leserinnen und Leser, dieses Buch hat viele schwere Jahres meines Lebens in Anspruch genommen. Angefangen auf einer Bahnreise von Berlin in die Heimat und endend in meiner ersten eigenen Wohnung, kann ich ihnen mitteilen, dass dieses Buch eine Art für mich war, meine Gefühle und Erfahrungen zu verarbeiten und die Lücke der Einsamkeit zu füllen, die in mir herrschte. Die Idee für diese Geschichte kam mir, als ich noch in der Ausbildung war. Ich bekam damals den Auftrag, ein Hörspiel zu gestalten und bei dessen Ausarbeitung fiel mir die Geschichte zu diesem Buch ein. Erst war es nur ein Gedanke, doch daraus wurde mit jedem Tag mehr die Gewissheit, dass diese Geschichte ein eigenes Buch verdient hatte. An dieser Stelle möchte ich meiner damaligen Musiklehrerin persönlich dafür danken, dass sie diese Geschichte möglich gemacht hat. Hätte sie damals auf meine Frage, ob wir ein Hörspiel für Erwachsene machen dürften, regelkonform geantwortet, wäre es nie dazu gekommen, obgleich dies ein Buch für Jugendliche und junge Erwachsene geworden ist. Denn ich befand mich in der Erzieherausbildung und alle Themen, die wir ansprechen durften, mussten ausschließlich für Kinder geeignet sein. Als das Hörspiel geplant und ausgearbeitet war, überlegte ich mir erst eine Vorgeschichte und bald erwachte in mir die Neugier, wie es zu den Ereignissen aus dem Hörspiel gekommen war. Ich war selber interessiert, was ich mir ausdenken konnte, um diese zeitlich doch sehr stark voneinander getrennten Ereignisse aus dem Hörspiel und der Vorgeschichte zu verknüpfen. Es vergingen viele Jahre, um genau zu sein fünf, in denen ich diese Geschichte ausarbeitete und zur Vollendung gebracht hatte. An dem Zeitpunkt, als ich meine erste private Kopie in den Händen hielt, war mir klar, dass ich dieses Werk veröffentlichen wollte und so machte ich mich auf die Suche nach einem Verlag. Doch mir sollte schon bald klarwerden, dass dies die größte Hürde werden würde, die ich zu bewältigen hatte. Ich sendete einige Kopien an verschiedenste Verlage, die ich hier nicht genauer benennen möchte, und bekam Angebote, die meinen finanziellen Rahmen um mehrere tausend Euro übersteigen sollten. Auch in dem Moment, in dem ich das hier schreibe, habe ich mich noch nicht endgültig entschieden, wie ich dieses Buch an die Öffentlichkeit bringe. Wenn Sie das lesen, habe ich mich wohl entschieden und bin hoffentlich froh mit dieser Entscheidung. Einige der Charaktere in diesem Buch sind Personen, aus meinem eigenen Leben nachempfunden. Dennoch ist diese Geschichte frei der Fantasy entsprungen, weshalb sie in einer unbenannten Stadt und zu einer nicht definierten Zeit spielt.

ALS DAS LEBEN NOCH GUT WAR

D

as Geräusch eines klingelnden Telefons schallte durch das Haus. Es befand sich am Rande der Stadt, jedoch unweit vom Trubel des Einkaufsviertels entfernt.

Man konnte es innerhalb von zehn Minuten mühelos erreichen. Eine Frau nahm den Hörer ab. Sie war groß, hatte kurze braune Haare und war attraktiv, doch hätte man sie mühelos als Mann wahrnehmen können, wenn sie sich ein wenig anders kleiden würde. Sie hob den Hörer an ihr Ohr. Wortlos legte sie wenige Sekunden später wieder auf.

»Beeilst du dich? Wir wollen los.«, rief Carolyn zu ihrem zehnjährige Sohn Dylan. Der dünne Junge stand von seinem Bett auf, schnappte sich seinen Rucksack vom Schreibtischstuhl und verließ sein Zimmer. Sein Haar war so braun wie das seiner Mutter, doch hatte es einen blonden Stich an den Spitzen. Für sein Alter war er nicht besonders groß. Sie machten sich fertig, um sich mit einem Freund der Familie zu treffen. Dylan mochte ihn nicht, denn er regte sich immer sehr schnell über alle Kleinigkeiten auf.

»Ich komme!«, rief er und kam die Treppe runtergelaufen in die ordentliche Stube. In der Küche roch es noch nach dem heutigen Mittagessen. Man hörte einen Schlüssel klirren, ein paar Reißverschlüsse surren und ein paar Minuten später waren Dylan und Carolyn auf der nassen Straße.

»Du Mama?«, fragte Dylan und sah ihr von unten in das Gesicht, das von einer Kapuze bedeckt war. »Müssen wir wirklich zu dem Mann gehen? Ich mag ihn nicht.«

»Ja Dylan tut mir leid.«, erwiderte sie freundlich.

»Ich meine, warum regt er sich immer so schnell auf. Immer wenn ich ihn höre, bekomm ich ein wenig Angst und sein Hund erst.« Der Hund, den Dylan erwähnte, war ein, in seinen Augen, böse aussehender alte Rüde. Er begleitete den kleinen Mann immer auf Schritt und Tritt.

»Wir treffen uns mit ihm, weil wir etwas über die Arbeit besprechen müssen. Dabei kommt es manchmal zu Unstimmigkeiten.«

»Ist Papa deswegen schon losgegangen?«, fragte er. Seine Mutter tätschelte ihm den Kopf.

»Ja, genau deswegen ist er bereits dort. Mach dir keine Sorgen, Papa hat bereits dafür gesorgt, dass du dich nicht langweilen wirst. Du kannst dich dann beschäftigen, während wir Erwachsene über die Arbeit reden.« Dylan lächelte müde.

Er erinnerte sich nur zu gut an all die Abende, an denen er in einem Zimmer in dem alten Haus sitzen musste und spielte. Jetzt, da er zehn Jahre alt war, würde ihn dies bestimmt noch viel mehr langweilen, dachte er.

»Es ist doch langweilig immer nur mit irgendwas zu spielen. Ich möchte lieber mit bei euch sein und zuhören, was ihr über die Arbeit redet.«

Carolyn erschrak kaum merklich. Sie blieb stehen und Dylan stolperte deswegen beinahe in eine Pfütze. Sie beugte sich zu ihm herunter und begab sich auf Augenhöhe mit ihm.

»Hör mir zu, ich möchte nicht, dass du nach unten kommst, auch wenn dir langweilig ist. Hast du verstanden!«, sagte Carolyn und leichter Ärger machte sich in ihrer Stimme bemerkbar. Dylan war verwundert. Er hatte seine Mutter nur selten so erlebt. Sonst redete sie in diesem Ton mit ihm, wenn er etwas angestellt hatte. Hatte er etwas Falsches gesagt? Ohne es zu merken, hatte er bereits genickt und sie gingen gemeinsam die Straße entlang. Es war ein kurzer Weg bis zu der Wohnung des kleinen Mannes. Dylan merkte sich den Weg immer mit einem Spruch:

»Links, rechts, Geradeaus.

In die Gasse, wo keiner schaut, raus.«

Das Haus des kleinen Mannes lag abseits der Straßen, in einer Seitengasse und hatte keine Fenster zur Straßenseite. Er hatte nie genauer hinterfragt, warum das Haus so war. Vielleicht war der Mann arm und seine Eltern würden ihm helfen. Es hatte keine Hausnummer und sah von außen aus, als hätte es sein Besitzer schon vor vielen Jahren verlassen. Die Steinwände des Hauses waren mit Efeu überwachsen und der Müll der Straßen sammelte sich davor. Seine Mutter klopfte an der sperrigen Tür. Sie sprach ein paar Worte durch den Briefschlitz, die Dylan nie verstanden hatte, und die Tür ging auf. Dahinter öffnete sich ein langer, dunkler Gang, der in Dylans Augen immer länger und dunkler wurde. Bevor er mit seiner Mutter eintrat, sagte sie zu ihm in einem liebevollen Ton: »Geh nach oben und spiel ein wenig, ich rufe dich dann, wenn wir fertig sind.«, dann schaute sie Dylan mit einem ehrlichen und aufrichtigen Lächeln an. Da Dylan seiner Mutter nie widersprochen hätte, leistete er ihrem Befehl folge. Sie ergänzte das Übliche, er solle nicht runterkommen und nur auf sie und seinen Vater hören. Sein Vater, ein blonder Mann mit einem vollen, aber kurzen Bart und einem Bierbauch, stand nun im Flur hinter der Tür und trat an ihn heran.

»Hey Kumpel, ihr seid aber schnell hier. Seid ihr gerannt? Wenn ja, wer war schneller, deine Mutter oder du?« Dylan lächelte.

»Wir sind nicht gerannt. Aber zurück nach Hause fordere ich dich heraus, alter Mann.«

»Was?! Alter Mann? Dann bist du aber das Baby.« Beide lachten und sein Vater begann Dylan zu kitzeln.

»Ist er schon da?«, fragte Carolyn kühl und sein Vater hörte mit dem Kitzeln auf.

»Ja ist er, er sitzt in der Küche.« Dylan war verwundert. Seine Eltern wirkten plötzlich so ernst. Er schaute abwechselnd seine Mutter und seinen Vater an.

»Geh jetzt bitte hoch, wir rufen dich nachher.«, sagte seine Mutter. Dylan ging nach oben. Auf der Treppe aber stoppte er kurz und versuchte in die Küche zu schauen, in der der kleine Mann saß und rauchte. Aber wo war sein Hund? Er hatte immer einen Hund dabeigehabt, den er Gambo genannt hatte. Doch bevor er einen genaueren Blick erhaschen konnte, um seine Frage zu beantworten, war seine Mutter in der Tür stehen geblieben und schaute ihm ins Gesicht. Sie wies ihr mit einer Geste an, nach oben zu gehen. Jetzt sah sie gar nicht mehr so glücklich aus. Seine Eltern sorgten immer dafür, dass er niemanden sehen oder gar hören konnte. Obwohl meistens nur er, seine Mutter und der kleine Mann da waren. Hin und wieder waren auch andere Frauen und Männer dort gewesen, aber nur kurz und wenn sie Dylan sahen oder ihn ansprechen wollten, trat seine Mutter immer sofort dazwischen. Oben angekommen seufzte er. Dort, am Ende eines langen Korridors gab es einen Raum, dieser war kalt und staubig. Seine Spielsachen und eine Decke lagen auf dem Boden und ein paar Bücher aus der Wohnung waren aufgestapelt. Er nahm sich ein Buch und begann zu lesen.

Nach einiger Zeit wurde es ihm langweilig. Es war bereits eine Stunde vergangen, die ihm jedoch, wie eine Ewigkeit vorkam. Das Buch hatte er bereits vor zehn Minuten beendet und für sein Spielzeug war er zu alt. Dann kam in ihm Neugier auf. Es interessierte ihn, was seine Eltern und der kleine Mann dort unten immer besprachen.

»Was könnten sie wohl über die Arbeit besprechen?« fragte er in den leeren Raum hinein. Wenn er genau darüber nachdachte, wusste er nicht, was seine Eltern überhaupt arbeiteten. Er nahm die Klinke der Tür in die Hand, doch mit dem kalten Stahl der Türklinke kam in ihm die Erinnerung daran, was seine Mutter sagte:

»Hör mir zu, ich möchte nicht, dass du nach unten kommst, auch wenn dir langweilig ist. Hast du verstanden!« Diese Worte gingen ihm wie ein Echo durch den Kopf. Er hatte noch nie seiner Mutter widersprochen. Nach einiger Überlegung drückte er die Klinke herunter. Er erschrak etwas, bei dem wenigen Druck der nötig war, um die Tür zu öffnen. Ein Knarren hallte durch den Flur des Hauses, es war dunkel und staubig. Keine Möbel zierten den Flur, nur ein bisschen Müll und ein paar Holzbretter von der Decke lagen auf dem Boden. Er schlich auf den leisesten Sohlen, die er machen konnte, durch den Flur.

Wenn ich leise bin, bekomme ich keinen Ärger, kreiste immer wieder als Gedanke durch seinen Kopf, und er schlich langsam weiter. Nachdem der Gang sich wie eine gefühlte Meile durch das Haus gezogen hatte, kam die Treppe. Er schaute hinab und vernahm schon die vertrauten Stimmen seiner Mutter und seines Vaters. Ab und zu meckerte der kleine Mann dazwischen. Für ein klareres Verständnis der Worte musste er die Treppe zumindest zur Hälfte hinuntergehen, da man von dort direkt in das Zimmer schauen konnte, indem die drei Erwachsenen redeten. Bei der ersten Stufe gab die Treppe kein Laut von sich, bei der zweiten auch nicht, jedoch bei der dritten Stufe knacke die gesamte Treppe so laut, dass der kleine Mann aufschreckte und fragte: »Was war das?« Dylan hielt den Atem an. Kein Muskel zuckte in seinem Körper, und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Dann hörte er Schritte und sah seinen Vater zur Haustür schleichen. Er lief geduckt und auf leisen Sohlen. Dylan beobachtete, dass er durch den Türspion nach draußen schaute, kurz durchatmete und normal zurück in den Raum ging. Es lagen nun noch zwei weitere Treppenstufen vor ihm, sodass er in den Raum gucken konnte. Die erste Stufe nahm er mit äußerster Vorsicht, sie verursachte kein Geräusch.

Bei der letzten Stufe klopfte ihm sein Herz bis zum Hals, aber auch sie knackte nicht. Er schaute durch einen kleinen Spalt und erblickte den kleinen Mann. Er war sehr klein, hatte eine rundliche Statur und kaum Haare auf dem Kopf. Außerdem rauchte er an einer Pfeife. Die Stimmen der Drei waren nun kristallklar und Dylan begann zu lauschen.

»Da können wir nicht rein. Die Kameras an diesem Eingang sind besonders zahlreich. Wir sollten lieber übers Dach gehen, dann haben wir einen leichten Einstieg und können unbemerkt bis zum Tresorraum.«, sagte Paul, der Vater von Dylan. Der kleine Mann antwortete mit einem genervten Stöhnen. Irgendetwas an dieser Geste erinnerte Dylan an das Gesicht, dass seine Freunde immer machten, wenn er sie bei einem Spiel besiegte. Der Mann stand auf und lief um den Tisch herum, an dem sie saßen.

»Du willst mir also sagen, dass mein Plan nicht funktioniert?« Es wurde ruhig. Der Mann stand nun mit dem Rücken zum Tisch und schaute auf eine leere Wand. Paul und Carolyn schauten sich an. Sie nickte ihm zu und er antwortete mit einem kurzen, aber energischen: »Ja.« In diesem Moment drehte sich Piet um und schlug mit seinen Händen auf den Tisch.

»Was glaubt ihr eigentlich wer ihr seid!«, schrie er. Carolyn stand auf und stellte sich ihm entgegen. Sie war einen guten Kopf größer als er und brüstete sich vor ihm auf.

»Du hast auf das zu hören, was Paul dir sagt, sonst bist du raus, hast du verstanden.« Der Mann biss sich auf die Lippe bis sie leicht anfing zu bluten. Dann setzte er sich wieder hin und ließ Paul fortfahren.

»Wenn wir über das Dach gehen, gelangen wir über die Lüftung unbemerkt in das Gebäude. Währenddessen wirst du, Piet, vorne im Laden für ein Durcheinander sorgen, verstehst du was ich damit meine.«

»Ich soll reingehen und brüllen, dass dies ein Überfall ist, schon verstanden.«, sagte er, während er sich stolz aufstellte.

»Nein eben nicht!« Carolyn schaute ihn an: »Dann wissen sie doch bereits, dass sie überfallen werden. Du gehst hinein und lenkst die Leute ab. Du spielst einen Herzinfarkt vor. So haben wir genug Zeit den Tresor zu knacken und…« In diesem Moment ging ein lautes Klopfen durch das Haus. Alle erschraken. Dylan dachte für einen Moment, dass er das Klopfen verursacht hatte. Doch er war es nicht. Das Klopfen kam von der Tür des Hauses. Sein Herz blieb ihm stehen. Er rannte erneut die Treppe ein paar Schritte nach oben und wollte zurück in den Raum gehen, doch seine Neugier, wer da an der Tür war, siegte und er schaute zurück. Die Tür ging langsam auf und ein kleines Mädchen, etwa in Dylans Alter schaute mit dem Kopf hinein. Sie hatte schulterlanges, blondes Haar und zerrissene Kleidung. Einen kurzen Augenblick später erblickte es Dylan auf der Treppe und erschrak. Sie wollte gerade etwas sagen, als plötzlich Piet aus der Küche geeilt kam.

»Verschwinde! Du bist zu spät! Jetzt kannst du auch wegbleiben!«. Das Mädchen erschrak erneut.

»Aber ich sollte doch…«, weiter kam das Mädchen nicht, denn Piet schlug die Tür zu. Sie knallte laut und traf das Mädchen am Kopf. Man hörte durch die geschlossene Tür, wie es stürzte und gegen die Mülltonne vor dem Haus knallte. Paul und Carolyn kamen in die Flur geeilt. »Was ist los Piet? Wer war das?«, fragte Paul aufgeregt.

»Das war…« begann Piet, doch die Treppe, auf der Dylan stand, knackte plötzlich unter Dylan Gewicht. Piet erblickte ihn sofort, seine Augen blitzten bedrohlich. Zumindest kam Dylan dies so vor. Er lief karminrot an und ging energisch auf ihn zu.

»Du hast uns belauscht!«, schrie er wie von der Tarantel gestochen. Carolyn trat vor ihn, sodass Piet nicht an Dylan herankam.

»Piet beruhige dich, bei dem Lärm wird er sein Zimmer verlassen haben und wollte schauen was passiert ist, stimmt’s?« Dylan stand wie angewurzelt da. Sein Herz schlug, wie verrückt und er bekam keinen Ton heraus. Piet nahm eine Waffe heraus und richtete sie auf Dylan, doch in diesem Moment überwältigte ihn Paul von hinten und schleuderte die Pistole gegen eine Wand, wo sie laut schepperte. Carolyn stellte sich schützend vor Dylan. Beide sahen zu wie Paul und Piet kämpften. Piet griff Paul am Bein und versuchte ihn umzuwerfen, doch Paul schlug ihm heftig auf den Rücken und Piet fiel zu Boden. Er schnappte nach Luft.

»Das reicht, es ist alles besprochen, verschwinde jetzt!«, rief Paul wütend. Piet schaute ihn an. Wenige Sekunden später stand er auf und ging wütend heraus. Von draußen konnte man noch hören, wie er das kleine Mädchen anbrüllte, das noch immer dort vor der Türe lag und weinte. Die Worte gingen allerdings in den Stimmen seiner Eltern unter, sodass Dylan sie nicht verstand.

»Du solltest doch oben bleiben, bis wir dich rufen. Was hast du dir dabei gedacht?«, fragte Carolyn ihn hysterisch. Doch Dylan schwieg weiter und begann zu weinen. Seine Mutter nahm ihn in den Arm. Die wohltuende Wärme seiner Mutter beruhigte ihn ein wenig, doch zitterte er am ganzen Leib aus Angst vor Piet.

»Ich mag diesen Mann nicht.«, schluchzte er. Er war sich nicht mehr sicher, ob er diesen Mann kannte oder nicht.

»Er ist ein Arbeitskollege. Ich möchte nicht, dass du ihn jemals ansprichst oder anschaust, hast du verstanden.«, antwortete ihm seine Mutter mit ängstlichem Ton, der durch die Vorahnung bekräftigt wurde, dass Piet ihn umbringen könnte, sollte Dylan ihm noch einmal über den Weg laufen. An diesem Tag wurde Dylan klar, dass seine Eltern Verbrecher waren. Diese Erkenntnis verschwieg er seiner Mutter allerdings, um sie nicht noch weiter zu bekümmern. Am Abend legte Dylan sich mit gemischten Gefühlen zum Schlafen in sein Bett. Dass seine Eltern Verbrecher waren, machte ihm nichts aus, immerhin waren sie für ihn da, wenn er sie brauchte. Die Angst vor dem Mann, namens Piet allerdings, brachte sein Herz zum Rasen.

»Hätte er mich wirklich schlagen wollen?«, dachte er sich im Bett.

»Zum Glück waren Mama und Papa da, um mir zu helfen. Aber wer war dieses Mädchen?« Er erinnerte sich an das blasse Mädchen mit den schulterlangen, blonden Haaren. Was hatte es dort zu suchen und was hatte es mit diesem Piet am Hut. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf, bis er irgendwann einschlief.

AUF EINMAL ALLES ANDERS

D

er Wecker klingelte Dylan unsanft aus dem Schlaf. Er wachte auf. Mit einem Buch in der Hand lag er noch eine Weile wach im Bett, als plötzlich eine Stimme die Treppe hinaufrief:

»Dylan, Frühstück ist fertig!«

»Ich komme gleich!«, antwortete er seiner Mutter, legte das Buch beiseite und stand auf.

Er nahm sich die frisch, auf dem Stuhl seines Schreibtisches ablegte Wäsche, und zog sie an. Den Schlafanzug warf er auf das Bett zurück. Es waren bereits ein paar Wochen vergangen seit dem Vorfall mit Piet, und Dylan verschwendete keinen Gedanken mehr an die Sache. Er trat aus seinem Zimmer und ging die Treppe hinab. Der Tisch war reich gedeckt mit frischem Obst, aufgeschnittenem Brot und Dylans Lieblingshonig.

»Guten Morgen.«, entgegnete er seinen Eltern, die bereits am Tisch saßen und auf ihn warteten. Für gewöhnlich schwieg die Familie beim Frühstück, da sie morgens immer das Radioprogramm hörten. Doch heute war kein Radio angeschaltet.

»Ist irgendetwas?«, fragte Dylan, als er bereits am Tisch saß und die Musik aus dem Radio vermisste. Carolyn und Paul schauten sich an. Er nickte ihr zu, doch Carolyn schüttelte ihren Kopf.

»Hab ich etwas angestellt?«, fragte Dylan, obgleich ihm nicht einfallen wollte, was er gemacht haben könnte. Hatte er vielleicht die Wäsche nicht ordentlich weggelegt? Er erinnerte sich daran, wie er vorhin den Schlafanzug auf das Bett warf und ein leichtes Schuldgefühl machte sich in seinem Körper breit.

»Nein, wir müssen dir etwas sagen.«, antwortete Paul stotternd während Carolyn weiterhin mit dem Kopf schüttelte.

»Was denn?«, wunderte sich Dylan.

»Deine Mutter und ich haben für heute Abend jemanden bestellt, der auf dich aufpasst, weil wir zu einer Verabredung gehen.«, sagte Paul und in seiner Stimme klang leichtes Unbehagen.

»Ihr trefft euch doch nicht mit diesem Piet, oder?«, fragte Dylan besorgt und begann leicht zu zittern.

»Ich möchte nicht, dass ihr euch nochmal mit ihm trefft. Er macht mir Angst.«

»Du brauchst keine Angst zu haben Dylan. Du wirst diesen Mann nie wiedersehen müssen, dafür sorgen wir schon.«, beruhigte ihn seine Mutter. Allerdings beruhigten diese Worte Dylan gar nicht. Viel mehr riefen sie die Erlebnisse dieses einen Abend in ihm wach.

»Das habe ich auch nicht vor! Als er mich neulich erschießen wollte, musstet ihr eingreifen, und Papa hat immer noch dieses blaue Auge. Ich möchte nur nicht, dass er euch wehtut.«, antwortete Dylan und ließ dabei sein Brot auf den Teller sinken. Sein Vater strich ihm liebevoll über den Kopf.

»Du braucht dir keine Sorgen zu machen. Wir sind morgen früh wieder zu Hause und dann machen wir einen Ausflug.« Diese Nachricht weckte abermals Neugier in Dylan. Er fragte sich, wo es hingehen würde, und vergaß allmählich seine Angst.

Nach dem Essen setzte er sich in die Stube und schaute fern. Es lief ein Cartoon, den er gerne schaute. Sein Vater setzte sich neben ihn auf die Couch.

»Hast du Lust was zu spielen?«, fragte er und drehte einen Controller in der Hand.

»Nö.«, sagte Dylan desinteressiert und schaute weiterhin dem Cartoon zu. Sein Vater stand auf und stellte sich vor ihn, sodass er den Fernseher nicht sehen konnte.

»Hey was soll das?«

»Oh, siehst du den Fernseher nicht? Zu schade, dass ich mich nicht wegbewege, bis du mich in einem Spiel besiegt hast.« Er warf Dylan einen zweiten Controller auf den Schoß.

»Na gut, dann mach dich bereit für deinen Untergang!«, rief Dylan.

»Ihr spielt doch wohl keine Videospiele, oder?«, ertönte die ärgerliche Stimme seiner Mutter von oben.

»Nein.«, riefen beide verlegen.

»Ihr habt beide Spielverbot. Dylan, weil er neulich eine Vier in Mathe mit nach Hause gebracht hat und du Paul, weil du neulich unseren Hochzeitstag vergessen hast. Höre ich, dass ihr die Konsole anmacht, kriegt ihr beide Hausarrest.«, rief Carolyn verärgert.

»Ich bin ein erwachsener Mann. Du kannst mir keinen Hausarrest geben.«, rief Paul zurück.

»Du, mein Freund kommst auf den Stuhl in die Ecke. Die Konsole bleibt aus!« Dylan und Paul schauten sich an.

Und was nun?«, fragte Dylan.

»Karten?«, fragte sein Vater und zog ein Kartenset aus dem Schrank. Dylan lächelte und beide setzten sich an den Tisch.

»Wir spielen nur mit fünf Karten. Wir müssen ja gleich los und so dauert das Spiel nicht so lange.«, sagte sein Vater. Er teilte die Karten aus. Mist. Dylan zog die Karten Drei, Zehn, Fünf, Sieben und Neun und alles mit dem Symbol Pik. Was sein Vater gezogen hatte, wusste er nicht.

»Du fängst an.«, sagte sein Vater.

»Nein, du fängst an. Ich möchte sehen, was du für Karten hast.«

»Na gut, hier.« Er legte eine Karo Drei. Das war einfach. Dylan konterte mit der Pik Drei. Kurz überlegte sein Vater.

»Was ist los? Hast du kein Pik?«, fragte er.

»Spielen wir, dass man den Buben auf alles legen kann?«

»Ich dachte das wären die normalen Regeln?«

»Dann wünsch ich mir Pik.«

Sein Vater legte einen Herz Buben. Das war gut. Da Dylan nur Pik Karten auf der Hand hatte, war es nur die Frage, welche Zahl er ihm geben wollte. Sollte er die Sieben legen? Er müsste dann zwei Karten ziehen. Doch Dylan entschied sich stattdessen eine andere Karte zu legen, die Pik Zehn. Sein Vater legte einen Pik König auf den Stapel. Dylan seine Pik Fünf. Sein Vater konterte mit einer Karo Sieben.

»Du schummelst!«, sagte Dylan entsetzt.

»Stimmt gar nicht. Zieh Zwei los!«

»Das Spiel können wir auch zu zweit spielen.« Er legte seine Pik Sieben.

»Jetzt musst du vier ziehen alter Mann.«

»Gut gemacht Baby. Hast du nur Pik oder warum legst du keine anderen Karten.« Sein Vater zog vier Karten und Dylan beendete das Spiel.

»Mau-Mau!«, rief er und schmiss die Pik Neun auf den Stapel.

»Na warte!«, sein Vater stürzte auf ihn und kitzelte ihn so sehr, dass Dylans Augen anfingen zu tränen.

»Es ist Zeit Paul, wir müssen los.«, sagte Carolyn, die in der Tür zur Stube aufgetaucht war.

»Wo bleibt Frau Schulze? Sie wollte doch schon längst hier sein.«

»Mama schau, Papa hat, trotzdem er geschummelt hat, verloren.«

»Geschieht dir Recht, du großes Kind.«, sagte sie lachend. Paul schnappte nun auch sie und kitzelte sie. So wie alle drei auf der Couch saßen, sich kitzelten und lachten, klingelte es an der Tür.

»Das muss Frau Schulze sein, ich mach auf.«, sagte Dylan. Frau Schulze kam herein. Sie war eine rundliche alte Frau, bei der man nicht sicher sein konnte, ob sie nun freundlich oder streng aussah. Dylan war der festen Überzeugung, das würde von Minute zu Minute wechseln.

»Hallo Dylan, wo sind denn deine Eltern?«, fragte sie freundlich.

»In der Stube.«

»Tut mir leid Frau Schulze, aber wir müssen schon los.« sagte seine Mutter, die in den Flur gekommen war.

»Ihr müsst schon los. Aber ich habe für alle einen Kuchen mitgebracht.«

»Für mich auch?«, fragte Dylan neugierig. Frau Schulze lachte.

»Nein, für dich habe ich das hier.« Und sie nahm eine Schachtel in die Hand, in der mehrere Donuts waren. Dylan freute sich und streckte die Arme aus, um die Schachtel in die Hand zu kriegen.

»Ja Frau Schulze, tut uns leid, aber die Arbeit ruft. Wir sollten so gegen zwei oder drei Uhr morgens wieder zurück sein. Dylan geht wieder um acht Uhr ins Bett. Und lassen Sie ihn kein Fernsehen mehr schauen heute.«, sagte Carolyn und zog sich ihren Mantel über.

»Mama! Um acht Uhr schon und warum darf ich kein Fernsehen mehr schauen? Das ist unfair!«

»Das find ich auch Schatz. Lass ihn doch ein bisschen länger aufbleiben.«, sagte Paul.

»Du willst doch nur, dass er dir das Ergebnis vom Basketballspiel verraten kann, wenn wir nach Hause kommen.«, sagte sie lachend. Dylan und Paul verschränkten ihre Arme und stöhnten.

Frau Schulze und Carolyn lachten.

»Dylan kommst du und sagst auf Wiedersehen?«, sagte Carolyn. Dylan rannte zu ihr und umarmte sie und seinen Vater. Beide gaben ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Sei artig ja. Frau Schulze, wenn er nicht hört, schicken Sie ihn einfach früher ins Bett.«

»Mama!« Paul und Carolyn lachten und gingen zur Tür raus. Am Fenster winkte Dylan seinen Eltern hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Jetzt saßen er und Frau Schulze in der Stube und schauten sich an. »So Dylan, was wollen wir machen?«, fragte Sie.

»Wir könnten ein paar Videospiele spielen.«

»Deine Mutter hat mir gesagt, dass du ein Verbot hast. Netter Versuch.«

»Wollen wir dann Karten spielen? Irgendwie habe ich darauf gerade Lust.« Sie lächelte.

»Sehr gerne.«, sagte sie und beide spielten für ein paar Stunden Karten. Danach eine Partie Schach und nach und nach verging die Zeit.

»Es wird Zeit, dass ich dir Abendbrot mache. Was möchtest du denn gerne essen?«, fragte Frau Schulze, während sie aufstand und in Richtung Küche ging.

»Brot mit Nusscreme?«, fragte er, unsicher, ob Sie diesen Wunsch erfüllen würde, da seine Eltern ihn zu dieser Zeit nichts Süßes mehr essen ließen.

»Ein Brot mit Nusscreme? Kommt sofort!«, antwortete sie freudig und verschwand in der Küche. Dylan saß in der Stube und räumte das Schachbrett weg. Für gewöhnlich war jetzt die Zeit, zu der er Fernsehen mit seinen Eltern schaute. Welcher Film wohl laufen würde? Er ging zum Fernseher und drückte auf die Fernbedienung. Es lief ein Superheldenfilm, den Dylan schon Mal gesehen hatte. Doch besser als nichts, dachte er. Dann tauchte plötzlich der Nachrichtensprecher auf dem Bildschirm auf.

»Wir unterbrechen das Programm für eine Eilmeldung. Es gab einen Überfall auf die Bank in der Cherry Road. Unseren Informationen nach gibt es drei Räuber, die Geiseln genommen haben. Die Polizei ist bereits vor Ort. Wir halten Sie natürlich weiterhin auf dem Laufenden, wenn etwas passiert.« Wie ein Blitz sprintete Frau Schulze aus der Küche zum Fernseher und schaltete ihn ab.

»Was in Gottes Namen hast du vor Dylan? Haben deine Eltern nicht gesagt, kein Fernsehen mehr heute!« Dylan war erstarrt. Er erinnerte sich an das Gespräch zwischen seinen Eltern und diesem Piet. Waren sie das etwa gerade, die diese Bank ausraubten?

»Tut mir leid.«, sagte er in Gedanken versunken. »Wenn du artig bist, schauen wir gleich noch einen Film. Aber jetzt geh nach oben und zieh dir schon mal deinen Schlafanzug an.«, sagte sie und deutet nach oben. Er ging wortlos die Treppe hinauf. War Piet wieder ausgerastet und hatte seine Eltern in Gefahr gebracht? Die Erlebnisse des einen Abends gingen wie Raketen durch seinen Kopf. Er konnte einfach nicht aufhören, daran zu denken und langsam bekam er Angst. Was, wenn seinen Eltern etwas passiert ist. Wahrscheinlich waren sie auch gerade Geiseln in dieser Bank.

»Dylan bist du fertig?«, rief Frau Schulze und er ging die Treppe herunter. Die Zeit verging. Als die Uhr um Acht läutete, erschrak er.