Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein Kriminalroman der besonderen Art. Mehr Novelle als Roman. Natürlich mit den gebräuchlichen Zutaten und Umständen wie Tod, Nacht, Friedhof und weitere schaurige Sachen. Doch damit nicht genug. Die Nordsee war’s, die mit dem Unheil begann, indem sie eine verheerende Sturmflut, eine "Springflut", über die Hallig herfallen ließ, die sich ganz be-sonders auf der Kirchwarft austobte, den kleinen Friedhof verwüstete und vor den entsetzten Augen des Pastors sogar einen Sarg ans Tageslicht holte. Und der war leer, obwohl der Pastor den Verblichenen erst vor wenigen Wochen höchstpersönlich unter die Erde brachte. Das war ein Fall für Hauptwachtmeister Jasper Holthaus, der von seiner eher beschaulichen Dienstelle auf dem Festland losgeschickt wurde, um der mysteriösen Sache auf dem Grund zu gehen. Und der löste den rätselhaften Fall, doch er lernte dabei fürs Leben und kehrte anders zurück, als er hingefahren war. Was war geschehen? Hatte die See den Toten, immerhin ein früherer Seemann, zu sich geholt? Oder hatte überhaupt niemand im Sarg gelegen? Ein wahrer Albtraum für den Hallig-Pastor, dem Dinge widerfuhren, die ihn fast um den Verstand brachten. Vom großen Geheimnis, das die Vorgänge auf dem Hallig-Friedhof umgab, blieb am Ende ein kleines Geheimnis zurück, über das der junge Polizist beharrlich schwieg, denn es ging hierbei nicht um Schuld und Sühne, nicht um Recht und Gerechtigkeit. Auch nicht um Moral oder andere Seiten menschlichen Verhaltens. Sondern um Dinge, die sich zwischen Himmel und Erde durchaus ereignen können, wenn das Schicksal es so will und nicht danach fragt, ob es allen genehm ist.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Inge
Zu den in nordfriesischer bzw. norddeutscher Sprache — im Text vereinfachend als Dialekt bezeichnet — geführten Dialogen gibt es auf den Seiten 121 und 122 zu den wesentlichsten Wörtern und Begriffen eine Gegenüberstellung zu ihren hochdeutschen Entsprechungen. Der Autor ist zuversichtlich, daß sich auch dem nicht der nordischen Sprachen kundigen Leser im Kontext der Erzählung sowohl Inhalt als auch Atmosphäre der wörtlichen Reden ohne allzu große Mühe erschließen.
In diesem Jahr schlug das Wetter schon um, kaum daß der September vorbei war, der bereits ordentlich Regenwolken übers Land getrieben hatte. Kein Wunder, daß die Bauern auf den Marschhöfen, wenn man sie darauf ansprach, bedenklich mit den Köpfen wackelten, denn das verhieß meistens nichts Gutes für den Rest des Jahres. Und so kam es dann auch. Schon im Oktober wurden Flutstände abgelesen, wie sie in normalen Jahren sonst frühestens im Dezember auftraten.
Die erste Sturmflut rollte, was keinen mehr richtig wunderte, denn auch bereits eine Woche vor Ende Oktober auf die Küste zu und bescherte den Halligen das erste Landunter, ohne jedoch nennenswertes Unheil anzurichten. Was auffiel, war der viele Nebel, der zäh an den Festlandsdeichen hing, sich oft übers Watt bis zu den Inseln und Halligen hinzog und sich tagelang nicht lichten wollte. Die Sonne machte sich rar, tagsüber herrschte ein tristes gelbliches Licht, aus Nordwest jagten die Stürme, einer hinter dem anderen, über die See und das mit einer Hartnäckigkeit und Ausdauer, wie man das schon lange nicht mehr erlebt hatte und alle sich fragten, was davon zu halten sei.
Bei den Seeleuten heißt es, daß jede siebte Welle ein Stück höher ist als die sechs davor. Und wenn der Sturm nicht aufhört, sagen sie, wenn er über den ganzen Tag und die ganze Nacht anhält, dann ist ein Kaventsmann darunter, so eine besonders große Welle, so ein Ungetüm, wobei davon das Schiff nicht untergeht, manchmal schon, doch das ist eher selten, aber so ein Kaventsmann rüttelt den Kahn ordentlich durch, und jeder sollte sich vorsehen und nicht so einfach auf dem Deck herumlaufen bei schwerem Wetter.
Mit den Sturmfluten war das in diesem Jahr so ähnlich wie bei der siebten Welle, aber nur beinahe, denn es war die sechste in dem anstehenden Winter, die sich in die besonderen Register und Berichte über Katastrophenfluten zumindest nicht ganz hinten eintragen lassen wollte.
Gut, alle Zutaten für eine kräftigere Springflut waren angerührt, Neumond, Nordwest mit Orkanstärke, aber das war ja an sich nichts Neues, das wußte jedes Kind an der Küste. Das bißchen Verluste an Lahnungen und Buhnen, das Hochlecken des zu weißem Schaum geschlagenen Wassers an den Deichen bis zum letzten Höchstwasserstand beunruhigte die Leute nicht weiter. Und Landunter bei den Halligen gab's ja auch öfter, die Sommerdeiche kriegten dabei schon mal was ab, doch das regte dort keinen sonderlich auf, außer vielleicht die Handvoll Gäste, die es verpaßt hatten, beizeiten die Koffer zu packen und nun festsaßen und das Ganze zum ersten Mal miterlebten.
Aber so einfach war's dann auch wieder nicht, damit war es diesmal nicht getan, die Sache lief nicht wie üblich ab. Die sechste Sturmflut hatte weit Schlimmeres vor, jedenfalls mit den Halligen, ganz besonders aber mit Uthoog, denn die liegt sowieso gut einen halben Meter tiefer als die anderen Halligen. Und als ob das nicht schon kritisch genug war, hatte es mit den dringend notwendigen Aufwarftungen obendrein noch eine Menge Ärger gegeben, weil Material nicht rechtzeitig vom Festland rüberkam und das Deichamt zu wenige Männer schickte. In einer Woche reiste sogar nur die Hälfte von ihnen an, weil im Marschland die Grippe grassierte. Man war gehörig in Rückstand geraten und nun standen die schlechten Monate an, da war man nie vor Sturmfluten und Landunter sicher. Weiterarbeiten war völlig unmöglich, viel zu gefährlich auch, ein einziges Landunter, nicht mal ein schweres, konnte alle Arbeit im Nu zunichte machen. Nein, das war klar, erst im nächsten Frühjahr würde es weitergehen können.
Besonders die Kirchwarft, bei der überhaupt noch nichts gemacht worden war, verursachte große Sorgen, denn die zeigte an einer Stelle eine Absenkung in der Randzone, ganz hinten im Friedhofsbereich, hinter der Grabplatte, unter der einige der Uthooger Pastoren begraben lagen. Das mußte ganz plötzlich passiert sein, denn der Pastor hatte das erst vor ein paar Tagen mitgekriegt, weil er eher selten in den etwas düsteren Teil des Friedhofs ging. Der war mittlerweile ein bißchen verwildert, weil die letzten Beerdigungen in dieser Ecke ziemlich lange zurücklagen und nur selten einer nach den Gräbern dort schaute.
Vielleicht hätte es ja ein normales Landunter mit den normalen Schäden bewenden lassen, mit dem üblichen Kram eben, mit Flüchen und Verwünschungen beim Abwarten und Zusehen und mit der anschließenden Schufterei beim Leerlaufen der Hallig, die meistens dann doch noch so viel Zeit ließ, schnell schon mal Richtung Westdeich zu laufen und nach Strandgut zu sehen und für sich klarzumachen. Der ersten Hand, die das Zeug da draußen anfaßte, gehörte es ab dieser Sekunde, da gab's klare Regeln.
Doch es kam ganz anders, es gab nicht nur ein Landunter, sondern gleich drei oder vier nacheinander, weil der Nordwest einfach nicht schwächer werden wollte. Die Halligen liefen nicht mehr leer, nicht mal bei Ebbe, und schon war die nächste Flut da und drückte das gerade mal bis zur Hälfte abgelaufene Wasser wieder zurück, so daß tagelang kaum einer von seiner Warft runterkam. Auf Uthoog war's besonders arg. Selbst mit Wathose und Stecken war's da zu gefährlich, weil das Wasser einfach zu hoch stand und der Sturm die Wellen mit solcher Gewalt über die Hallig fegte, daß es auch dem kräftigsten Kerl die Beine weggerissen hätte. Und das wär's dann gewesen, niemand hätte helfen können.
Aber damit nicht genug, es kam noch dicker. Auf Uthoog geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte, auch die Alten nicht und die waren nun wirklich eine Menge gewöhnt.
Kaum daß es ein wenig heller wurde, ging bei Peter Jochimsen das Telefon. Der Uthooger Pastor war dran, Ole Wittensen. Sie kannten sich flüchtig, Wittensen kam aus einem Nachbardorf, war eine Portion jünger als Jochimsen, bei der freiwilligen Feuerwehr waren sie sich kurz über den Weg gelaufen. So richtig näher kannten sie sich nicht, aber Wittensen hatte wohl irgendwie seine Telefonnummer in die Finger bekommen und klang reichlich aufgedreht.
„Haben Sie schon gehört? Wir sind hier ziemlich übel dran.“
Jochimsen war noch nicht ganz wach. „Was ist los, Pastor? Warum rufen Sie mich am Sonntag in aller Herrgottsfrühe an und holen mich aus dem Bett? Wo brennt's?“
Zwar wußte er von den Sturmfluten der letzten Tage, auch jetzt heulte der Wind wieder ums Haus herum, doch bislang war nichts Außergewöhnliches passiert, also kein Grund, den Wilden zu spielen. Von der anderen Seite hörte er heftiges Atmen:
„Die Kirchwarft wurde überspült, ganz Uthoog, aber ich hier am meisten. Die Kirche steht unter Wasser.“ Pastor Wittensen schien nach Luft zu schnappen, um weiterreden zu können. Die Telefonverbindung schwankte, Jochimsen vernahm nur Wortfetzen.
„Kirche unter Wasser? Was sagen Sie da?“ Jochimsen sprach über das abgehackte Gestammel aus dem Hörer hinweg. „Was ist mit Ihrer Warft, was ist passiert?“ Noch immer war der Pastor nicht zu verstehen.
„Sind Sie in Lebensgefahr, Pastor? Ihre Familie, was ist damit? Und die anderen Warften, was ist mit denen? So reden Sie doch!“
Die Verbindung wurde besser. Und dann redete der Pastor. Die Kirchwarft hatte es voll erwischt, genau an der Stelle der Absenkung, hinter dem Pastorengrab. Zunächst ging's noch halbwegs gut, doch eine der nachfolgenden Fluten kam genau durch dieses Loch in der Warftkrone rein, riß die Lücke noch größer. Niemand konnte ihm beispringen, das Wasser stand selbst bei Niedrigwasser noch gut anderthalb Meter gegen die Warft an, dazu der anhaltende Sturm, das Schiff fuhr nicht mehr, bereits seit Tagen blieb der Anleger verwaist und die Regenwolken hingen dick und undurchdringlich über der Hallig. Kein Hubschrauber wagte da einen Anflug, und was sollte der in der Situation auch schon ausrichten.
Die nächste Sturmflut, sie lief nachmittags so gegen vier Uhr heran, die war's dann, die auf der Kirchwarft alles kurz und klein schlug. Es war tatsächlich die sechste vor dem Jahreswechsel, eine Springflut. Sie kam fast ungebremst in den Friedhof rein und tobte sich dann auf der Warft aus, zuerst zwischen den Gräbern, dann nahm sie sich auch die Gebäude vor. Eine entsetzlich lange Zeit überschlugen sich die Wellen, krachten gegen die Grabsteine, gegen die Kreuze, unterspülten die Steine, die umsanken wie das Korn unter der Sense, nahmen die Holzkreuze einfach mit, als ob's Streichhölzer wären.
Zwei Gräber bereiteten Pastor Wittensen besonders großen Kummer, eines lag im vorderen Bereich, seitlich der Kirchentür, vor knapp einem halben Jahr angelegt, darin die gute Rieke Bengtsen dem Herrgott anheimgegeben, doch richtige Schweißperlen trieb ihm das Grab von Hinnerk Rensing auf die Stirn, denn den hatte er vor gerade mal dreieinhalb Wochen erst begraben, vielleicht zwanzig Schritte vom Pastorengrab weg. Dort hatte sich die Erde überhaupt noch nicht gefestigt, konnte leicht weggespült werden. Bei den großen „Mandränken“ im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert hatte es Särge aus den Gräbern gerissen, das wußte er. Sollte sich das jetzt wiederholen? Trotz mehrfacher Aufwarftungen, trotz Sommerdeich? Er verdrängte die fürchterlichen Gedanken, wollte sich nicht vorstellen, daß die Totenruhe auf diese schreckliche Weise gestört werden könnte.
Aus dem ersten Stock des Pastorats hatte er dem Inferno hilflos zusehen müssen, war von einem Fenster zum anderen gerannt, während Frau und Kinder ganz oben unterm Dach ausharrten. Nichts blieb heil, nur die nackten Gebäude, das Pastoratshaus und die Kirche, ragten aus dem Wasser heraus. Doch ins tieferliegende Kirchenschiff strömte das Wasser rein, nahm seinen Weg durch die aus den Angeln geschlagene Tür, anfangs mit einer Geschwindigkeit wie bei einem geöffneten Sieltor. Wittensen konnte es durch die beschlagenen, regengepeitschten Fensterscheiben noch gut genug erkennen. Da war es wenig tröstlich für ihn, daß der Kirchenboden nicht befestigt war, keine Bretter, keine Steine, kein Beton, sondern nur Sand, purer Sand, manchmal fand sich sogar die eine oder andere Muschelschale darin, und das alles nur deswegen, damit das Wasser, wenn es denn käme, einfach versickern könnte. Doch so richtig hatte niemand mehr für möglich gehalten, daß eines Tages wirklich das Wasser wieder bis an die Kirche vorstieße. Zuletzt gab's das mal vor über zweihundert Jahren.
Doch jetzt war das Meer da, es war gekommen, das Wasser stand mindestens einen halben Meter hoch im Kirchenschiff. Das mit dem Versickern würde wohl ein Weilchen auf sich warten lassen, denn noch immer drückte das Wasser in die Kirche rein, und Pastor Wittensen betete, daß die See wenigstens die Mauern verschonte und das Gotteshaus nicht zum Einsturz brachte. Mit dem Wasser wollte er, wenn denn alles vorbei war, schon fertig werden.
Aber es war noch nicht alles vorbei, als er am Fenster gestanden hatte, die Flut führte noch Ärgeres im Schilde. Erneut schwankte die Telefonverbindung, doch Jochimsen hörte trotzdem, wie des Pastors Stimme einen seltsamen, hohen Ton annahm.
„Zwei Särge wurden freigelegt.“ Dann kam erst mal nichts mehr. Jochimsen lauschte in den Hörer. Anhaltendes Krächzen, dann wieder der Pastor: „Ein Sarg, der vom neuen Grab, wurde herausgespült. Es war ganz fürchterlich, es ist ganz schrecklich.“
Jochimsen begann sich zu ärgern. „Das ist schlimm, Pastor, klar, das ist nicht schön. Aber was kann ich da machen, wozu rufen Sie mich da an? Können Sie das nicht mit Ihren Leuten auf der Hallig regeln, ich meine, den Sarg wieder rein ins Grab und dann zuschaufeln, das andere Grab gleich mit, wenn die Warft wieder trockengefallen ist?“
Nachdem erneut aus dem Telefon nur Krächzen und Brummen zu vernehmen waren, wollte Jochimsen gerade auflegen, als er wieder die Stimme des Pastors hörte. Der hatte wohl mit wachsender Verzweiflung und immer lauter nach ihm gerufen.
„Wieder da, Pastor? Das ist ja eine hundsverdammte Telefonverbindung, man sollte ...“
Pastor Wittensen ließ Jochimsen nicht ausreden.
„Der herausgespülte Sarg war leer.“
Jochimsen traute seinen Ohren nicht, hörte, wie der Pastor sich räusperte und dann weiterredete:
„Ich habe es mit eigenen Augen genau gesehen. Der Sarg von Hinnerk Rensing war leer, er hat da nicht dringelegen. Es ist so schrecklich, so unfaßbar schrecklich.“
Und dann erfuhr Jochimsen, daß der Sarg wohl tatsächlich vom Wasser aus dem ziemlich frischen Grab herausgeschwemmt worden war, Richtung Westwand der Kirche trieb, auf dem Weg dorthin mehrfach ein paar Bäume rammte und zuletzt ein paarmal so heftig gegen den großen Ahorn, der an der Grenze zwischen Kirche und Pastoratshaus stand, geschmettert wurde, daß das Holz zersplitterte, der Sargdeckel sich an einer Seite hob und dann von der Wucht des Wassers völlig weggerissen wurde. In diesem furchtbaren Augenblick hätte er zufällig zum Friedhof geschaut, er hätte alles mitgekriegt, hätte genau beobachtet, daß der Sarg leer war, vollkommen leer, so wahr er Ole Wittensen heiße und Pastor von Uthoog sei. Er könne sich das alles nicht erklären, begreife das Ganze nicht, er sei nicht imstande, noch einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Er habe den alten Hinnerk Rensing doch selbst eingesegnet, habe ihn doch selbst beerdigt, es sei ein schöner Tag gewesen, daran erinnere er sich noch gut. Und jetzt das. Der Sarg leer, der Tote verschwunden. Wie könnte das sein, er begreife das alles nicht. Er sei doch nicht verrückt.
Jochimsen überlegte, ob der Pastor vielleicht doch ein bißchen daneben war mit den Nerven. Tagelanges Landunter, eingeschlossen auf einer Warft, so hatte er erfahren, legte rasch die Nerven blank, selbst bei Leuten, bei denen man das eigentlich nicht erwartete. Ein leerer Sarg? Auf Uthoog? Halligleute waren manchmal seltsam, erzählte man sich auf dem Festland. Andererseits, Wittensen war so furchtbar lange noch nicht auf Uthoog. Vielleicht sechs oder sieben Jahre. Aber immerhin.
„Könnte doch sein, daß der Tote von der See mitgerissen wurde, daß Sie das eben nicht mitgekriegt haben“, rief Jochimsen in den Hörer, „so könnte das doch passiert sein. Vielleicht wird der Körper an der nächsten Warft angetrieben, vielleicht...“
„Nein!“ schrie auf der anderen Seite der Pastor, „nein! Der Sarg war leer, als der Deckel abgerissen wurde. Ich schwör's bei allem, was mir heilig ist, er war leer, leer, leer!“
Fieberhaft überlegte Jochimsen, was jetzt zu tun war, wie er mit dem aufgeregten Pastor, der offenbar kurz davorstand, mächtig durchzudrehen, weiter verfahren sollte.
„Wo ist das Wasser jetzt bei Ihnen, Pastor, wie hoch steht es noch auf Ihrer Warft?“
„Wir haben Niedrigwasser“, ließ sich nach quälend langer Stille Pastor Wittensen vernehmen, er klang wieder etwas ruhiger, „ich kann raus, kann auf der Warft umherlaufen, mit Wathose und Stock, aber alles steht noch unter Wasser.“
Es hörte sich an, als ob er aufschluchzte. „Es ist alles so schrecklich, ganz furchtbar!“
„Und der Sarg, wo ist der beschädigte Sarg, in dem der Tote fehlt, wo ist der?“
„Der liegt auf der Treppe, auf der Außentreppe, ganz oben, ich habe ihn raufgezogen, da liegt er nun. Auch der Sargdeckel liegt dort, ich habe ihn gefunden, er hatte sich in Sträuchern verfangen. Ach, wie ist das schrecklich, wie furchtbar!“
„Und die anderen Warften, die Hallig, haben Sie immer noch Landunter, trotz Niedrigwasser?“
„Immer noch Landunter, nicht hoch, aber keiner geht raus, immer noch starke Strömung, zu gefährlich.“
Die Verbindung brach ab, blieb sekundenlang weg, dann war der Pastor wieder da.
„Was soll ich tun, Herr Jochimsen, was soll ich tun?“
„Haben Sie mit den anderen Warften Kontakt, haben Sie mit denen schon telefoniert?“
„Nein, das geht nicht, ich kann nur zum Festland anrufen, von den übrigen Warften bin ich abgeschnitten. Die anderen Warften sind weniger beschädigt als die Kirchwarft, soweit ich das mit dem Fernglas erkennen konnte.“