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Ferrara 1626. Der mysteriöse Mord an einem Kabbalisten ruft die Heilige Inquisition auf den Plan. Eine rituelle Tötung auf geweihter Erde? Der Dominikanerpater Girolamo Svampa wird als Sonderermittler in das nebelig-düstere Ferrara entsandt: Solomon Cordovero, ein Gelehrter der jüdischen Mystik, wurde auf klösterlichem Boden grausam ermordet. Schon bald stellt Svampa fest, dass weder der Generalinquisitor Ferraras noch der päpstliche Legat wirklich an einer Aufklärung interessiert sind. Auch in den jüdischen Gemeinden des Ghettos trifft der Ermittler auf eine Mauer des Schweigens. Eine geheime Obduktion des Mordopfers offenbart, dass ein bestimmter Knochen entfernt wurde. Hat das Verbrechen mit geheimen Riten oder dem Engel des Todes zu tun? Kann Svampa Licht in das Dunkel bringen?
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Seitenzahl: 295
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Solomon Cordovero, ein Gelehrter der jüdischen Mystik, wurde auf klösterlichem Boden grausam ermordet.
Der Dominikanerpater Girolamo Svampa wird als Sonderermittler in das nebelig-düstere Ferrara entsandt.
Schon bald stellt Svampa fest, dass weder der Generalinquisitor Ferraras noch der päpstliche Legat wirklich an einer Aufklärung interessiert sind. Auch in den jüdischen Gemeinden des Ghettos trifft der Ermittler auf eine Mauer des Schweigens. Eine geheime Obduktion des Mordopfers offenbart, dass ein bestimmter Knochen entfernt wurde.
Hat das Verbrechen mit geheimen Riten oder dem Engel des Todes zu tun? Kann Svampa Licht in das Dunkel bringen?
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich unter Verwendung von Motiven von © Shutterstock und © picture alliance / TopFoto | TopFoto
DER AUTOR
MARCELLO SIMONI, 1975 in Comacchio, der Kleinstadt im Po-Delta, geboren, holt sich nach dem Studium sein inhaltliches Rüstzeug in der Bibliothek des Erzbischöflichen Seminars von Ferrara. Dort katalogisiert er zehn Jahre lang Bücher. Mit seinem Debütroman Der Händler der verfluchten Bücher landet er einen Weltbestseller. Seine Bücher haben sich weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft.
DIE ÜBERSETZERIN
INGRID ICKLER wohnt und arbeitet in der Nähe von Frankfurt. Sie übersetzt aus dem Italienischen, Französischen und Englischen, ist Autorin und Moderatorin.
Marcello Simoni
Hauptpersonen
Girolamo Svampa:Inquisitor commissarius, wird nach Ferrara entsandt, um einen Mord in Ferrara aufzuklären.
Francesco Capiferro: Sekretär des Heiligen Offiziums und Svampas Gefährte bei den Ermittlungen.
Solomon Cordovero: Kabbalist.
Paolo de’ Francis: Generalinquisitor von Ferrara, kompromissloser Verfechter der Heiligen Inquisition.
Pinhas Navarro: Rabbi und Kabbalist, Kenner des Sefer Jetzira und der jüdischen Mystik.
Rahel: stumme Tochter von Rabbi Pinhas.
Margherita Basile: Opernsängerin und Svampas heimliche Liebe, die in Ferrara eigene Pläne verfolgt.
Weitere Personen
Jehuda Abravanel: Rabbi und Kabbalist, verfügt über großes Wissen über die jüdische Mystik.
Ippolito Maria Lanci ab Aqua Nigra: Generalbevollmächtigter des Heiligen Offiziums.
Cesare Borghese: Kardinal des Inquisitionskollegiums, offener Widersacher Svampas.
Cagnolo: Diener und Beschützer von Margherita Basile, eigentlich Diener Girolamo Svampas.
Gabriele da Saluzzo: Inquisitor, schuld am Tod von Svampas Vater.
Francesco Cennini de’ Salamandri: päpstlicher Legat Ferraras. Dolce Fano: Witwe, jüdische Bankiersfrau mit großem Einfluss im Ghetto von Ferrara und auch außerhalb.
Ezio Magrino: zeigt großes Interesse an den von der Inquisition verbotenen Büchern.
Piccarda: Begleiterin de’ Salamandris.
Monsignore Niccolὸ Ridolfi: päpstlicher Haustheologe, Beschützer Girolamo Svampas.
Yosef Zalman: jüdischer Gelehrter, Aschkenasi.
Giuseppe Zarfati: Konvertit.
u. v. a.
MARCELLO SIMONI
Historischer Thriller
Aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
So kennt sich der Heilige selbst, er sei gesegnet, und auch wieder nicht. Er ist tatsächlich die Seele der Seele, der Geist des Geistes, vor allen verborgen und geheim.
Doch durch diese Pforten, die die Pforten der Seele sind, gibt er sich zu erkennen.
Sohar (Kabbala), Das Buch des Glanzes, I-I03b
… Wasser, aus Geist (Luft), er zeichnet und hieb darin zweiundzwanzig Buchstaben aus Wüste, Leere, Schlamm und Lehm; er zeichnete die nach Art eines Beets, er bemeißelte sie nach Art eines Baues, er goss über sie Schnee und es wurde daraus Erde …
Sefer Jetzira
(https://sammlungen.ub.unifrankfurt.de/freimann/content/pageview/760665)
Das Ghetto in Ferrara, A. D. 1626
Prolog
Teil einsAngelus mortis Malach ha-mavet
Teil zweiImago mortis Hishtathut
Teil dreiConceptio mortis Met
Teil vierIdolum mortis Golem
Teil fünfOsculum mortis Bi-nešiqah
Epilog
Nachbemerkung des Autors
Ferrara,
12. Oktober 1626
Solomon Cordovero hob zum dritten Mal die Laterne und versuchte, durch den dichten Nebel das Straßenpflaster zu erkennen. Obwohl er sich sicher war, in die richtige Richtung zu gehen, fürchtete er den Eingang zum alten Friedhof zu verfehlen, selbst wenn er direkt davorstehen würde. Die Finsternis und der Dunst schienen bei jedem Schritt dichter zu werden, als ob die Dämonen, die Schedim, dafür sorgen wollten, dass er sich im Labyrinth der Gassen verlor. Diesen Gedanken versuchte Cordovero zu verscheuchen und blickte zum Himmel, in der Hoffnung, die Sterne zu sehen und darin Trost zu finden. Genau wie er es als Kind in Safed getan hatte, vor der Lehmhütte, in der er geboren wurde.
Aber das, was er über den Dächern erkennen konnte, war nicht der safrangelbe Himmel Galiläas, sondern ein undurchsichtiges Leichentuch, das sich über den Abgrund der Welt legte, der stumpfe Blick eines blinden Engels.
„Shomrèni, El, ki chasíti vakh“*, deklamierte er kaum hörbar, um sich daran zu erinnern, weshalb er nach Einbruch der Dämmerung das Ghetto verlassen hatte.
Ein Grund, der ihm selbst verrückt erschienen wäre, wenn er nicht genügend gesehen, gehört und verstanden hätte, um die Zeichen des Bösen zu erahnen, genug jedenfalls, um sich selbst einem hohen Risiko auszusetzen, auch wenn er sich dabei des Yihud bedienen musste, des Ritus, um Geister zu beschwören, wie er vom Kabbalisten Ramak überliefert worden war, einem seiner geschätzten und verehrten Vorgänger.
Wenn wenigstens du mich führen würdest!, dachte er an die Seele des ehrwürdigen Meisters gerichtet. Wenn dir Jahwe in seiner unendlichen Güte gestatten würde, meinen Weg zu erhellen! Doch die Antwort auf seine Gebete kam nicht aus dem Licht. Wie ein Riese tauchte aus der Nebelwand plötzlich ein dunkler, mit Türmen bewehrter Umriss vor ihm auf. Cordovero überwand seine Angst und verfluchte die Täuschungen der Schedim, die ihm einen Moment lang vorgegaukelt hatten, den Golem vor sich zu haben … Dann widmete er sich der Backsteinmauer, die er jetzt erreicht hatte, und erkannte die Einfriedung des Klosters San Girolamo.
Es war ganz in der Nähe, viel näher, als er vermutet hatte!
Mit neuem Mut schritt er die Mauer entlang, bis er ein mit Unkraut überwuchertes Feld erreichte.
Genau wie sie gesagt hatten, dachte er. Ein verlassener Ort, der versteckt hinter dem Kloster lag. Doch erst als er einen gemauerten Torbogen, in dem ein sechszackiger Stern eingemeißelt war, durch die Nebelschwaden erkennen konnte, war er sich sicher.
Der Davidstern, das Symbol seines Volkes.
Aus Sorge, den Ort zu entweihen, durchschritt Cordovero den Torbogen mit äußerster Vorsicht und erreichte den ältesten Teil des Friedhofs. Dann setzte er seinen Weg durch den grauen Atem der Nacht fort, bis der zitternde Schein der Laterne auf eine hohe, in sich verdrehte Silhouette fiel.
„Adonai, schütze mich“, murmelte er.
Der knotige Wächter der Gräber sah nicht wie ein Baum aus, sondern vielmehr wie eine von den Martyrien der Hölle gezeichnete Kreatur.
Nicht das verkrüppelte Erscheinungsbild ließ ihn jedoch erschauern, sondern die Gewissheit, am Ziel seiner Suche angekommen zu sein.
Er stellte die Laterne zwischen dem Wurzelwerk ab, kniete sich vor dem Baum nieder, vergrub die Finger in der Erde und begann zu graben.
„Brunnen der Seelen“ hatte Ramak ihn genannt.
Cordovero hätte den Brunnen öffnen und in seine tiefsten Tiefen eintauchen, sich dem Yihud hingeben und eins mit dem göttlichen Atem werden sollen, der durch die Welt der Lebenden und die der Toten weht.
In diese Gedanken versunken, hin- und hergerissen zwischen mystischer Ekstase und dem Gestank der Erde, der ihm in die Nase kroch, fuhr ihm die grausamste aller Liebkosungen über den Rücken.
Kein Klagelaut drang aus seinem Mund.
Nur der Ausdruck blanken Entsetzens eines Menschen, der vom Unerkennbaren überwältigt worden ist.
Denn vor dem Schmerz, bevor seine Wirbel knackend barsten wie Samen einer reifen Frucht, hatte er die Gegenwart des Malach ha-mavet gespürt.
Des Todesengels.
*Hebräische Bibel, Psalm I6,I5: „Bewahre mich, Gott, denn bei dir finde ich Zuflucht.“
1.
Vatikan, Sitz des Heiligen Offiziums,
19. Oktober 1626
Girolamo Svampa musterte das abstoßende, in sich zusammengesunkene Stoffbündel auf der Anklagebank, dann wandte er sich an die Schar schwarz gekleideter Würdenträger, die sich darum herum gruppierten. „Schuldig!“, verkündete er. „Bruder Gabriele da Saluzzo ist schuldig!“
„Es stets aufs Neue zu wiederholen, macht Eure Aussage nicht glaubhafter“, unterbrach ihn eine Stimme aus dem Auditorium.
Svampa musste ihm nicht ins Gesicht sehen, um zu wissen, dass es sich dabei um Cesare Borghese handelte, einen hochverehrten Kardinal des Inquisitionskollegiums. Bereits vor einem Jahr hatte sich dieser vor Hochmut strotzende Geistliche einen Spaß daraus gemacht, ihn vor den Würdenträgern des Heiligen Offiziums lächerlich zu machen.
„Stützt Euch nicht allein auf meine Worte, sondern auf die Tatsachen!“, hielt er entschlossen dagegen. „Tatsachen, die, ich darf Euch daran erinnern, vom Generalbevollmächtigten des Klosters Santa Maria delle Grazie bezeugt wurden und …“
„Seit wann lasst Ihr die Aussagen anderer gelten?“, warf der verhasste Spötter ein. „Wenn ich mich nicht täusche, wart doch Ihr es, der die Menschheit als einen Haufen Idioten bezeichnet hat, sogar unfähig, die eigenen Sinneseindrücke richtig zu deuten?“
Eine Auffassung, die durch jedes einzelne Wort aus Eurem Mund bestätigt wird, war Svampa versucht zu antworten. Er zwang sich zur Ruhe und wartete, bis das Gelächter, das der Mann ausgelöst hatte, wie eine ausrollende Welle verebbte. Er würde es nicht zulassen, dass jemand seine Rachepläne durchkreuzte. Er würde bis zum Ende kämpfen, auch auf die Gefahr hin, sich mit der gesamten Kurie zu überwerfen, angefangen vom Papst bis hinunter zum jüngsten Messdiener.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, erhob sich ein massiger Mann von seiner erhöhten Sitzposition. „Die Beweise, die Bruder Girolamo gesammelt hat, sind unanfechtbar“, verkündete er, wobei er mit den Armen durch die Luft fuchtelte. „Padre Gabriele da Saluzzo hat sich nicht nur des Verbrechens der Alchemie und der Geisterbeschwörung schuldig gemacht, sondern auch einen Anschlag auf das Leben eines Mitbruders verübt!“
„Andererseits“, widersprach der Kardinal mit dem kantigen Gesicht, der neben ihm saß, „stammen die Beweise nicht aus einer offiziellen Untersuchung. Bruder Girolamo hat sie eigenmächtig zusammengetragen und sich damit den Anweisungen dieses ehrwürdigen Kollegiums widersetzt. Wer kann da ihre Verlässlichkeit garantieren?“
Die Einwürfe waren von Niccolò Ridolfi, dem päpstlichen Haustheologen, und dem nicht minder gefürchteten Ippolito Maria Lanci ab Aqua Nigra, dem Generalbevollmächtigten des Heiligen Offiziums, gekommen. Die beiden waren die wichtigsten Stützpfeiler, auf denen die kirchliche Ordnung Papst Urbans VIII. ruhte, wenn nicht sogar die gefährlichsten Männer, die hinter den Mauern des Vatikans lebten und wirkten.
„Ich verstehe Eure Verblüffung, hochverehrter Kardinal“, Monsignore Ridolfi blieb unbeirrt. Hinter seiner wuchtigen Erscheinung verbarg sich ein geschickter Diplomat. „Aber wenn Ihr die Güte hättet, diese Beweise näher zu untersuchen, würdet Ihr bemerken, dass sie zu erdrückend sind, um nicht zugelassen zu werden …“
„Ihr unterstützt eine unbotmäßige Handlung?“, Aqua Nigra warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Grabeskälte breitete sich unter den Anwesenden aus.
Sie war so durchdringend, dass selbst Svampa, der sonst kein Verständnis für die Gefühle anderer aufbrachte, spürte, wie sie durch die Falten seiner Dominikanerkutte kroch.
„Es ist nicht nötig, dass der Haustheologe mir beispringt“, erwiderte er geistesgegenwärtig, „ich werde die entsprechende Buße für mein Verhalten gerne annehmen. Aber zu gegebener Zeit! Jetzt ruht der prüfende Blick des Heiligen Offiziums auf einem anderen“, er blickte wieder auf die makabre, von Stoff verhüllte Gestalt. „Gabriele da Saluzzo ist nicht würdig, die Mönchskutte zu tragen, er ist ein Verbrecher, der seine Privilegien als Inquisitor für seine Schandtaten missbraucht hat und die Blindheit, wenn nicht gar die Mitwisserschaft dieses Kollegiums ausgenutzt hat!“
„Mäßigt Euren Ton, Bruder Girolamo“, warnte ihn Aqua Nigra, der immer noch wütend auf den Haustheologen war, „weniger tolerante Ohren als die meinen könnten Eure verleumderischen Unterstellungen nicht gutheißen.“
„Das sind keine Unterstellungen, Eure Eminenz!“, widersprach eine entschlossene Stimme aus der obersten Reihe des Auditoriums.
Schlagartig wanderten alle Bicke zu dem Mann mit dem verwegenen Lächeln unter dem schwarzen, an den Seiten gezwirbelten Schnauzbart.
Padre Francesco Capiferro, Sekretär des Heiligen Offiziums sowie Gefährte bei Svampas Ermittlungen, nutzte die allgemeine Verblüffung, die sein Zwischenruf ausgelöst hatte, nahm einen Zug aus seiner neuen Pfeife und erhob sich. Mit der Verve eines Theaterschauspielers sprach er weiter: „Unter den Dokumenten, die Bruder Girolamo und ich in Gabriele da Saluzzos Versteck in Mailand sichergestellt haben …“, er betonte jedes Wort, „befanden sich mehrere Briefe, die eine … wie soll ich sagen … peinliche Verbindung zwischen ebenjenem Saluzzo und einigen Mitgliedern dieser hochverehrten Versammlung bezeugen.“
„Und warum wurde ich davon nicht schon vorher in Kenntnis gesetzt?“, wütete Aqua Nigra.
„Weil, wertgeschätzter Herr Generalbevollmächtigter“, Capiferro richtete sich kerzengerade auf, „einige Personen, auf die ich anspiele, zu Eurem engsten Kreis gehören.“
Der knochige Geistliche umklammerte die Armlehnen seines Stuhls. „Seid Ihr Euch dieser Behauptungen vollkommen sicher?“ „Ja, aber wäre es unter diesen Umständen nicht angezeigt, die Angelegenheit an dieser Stelle auf sich beruhen zu lassen?“
„Wagt es nicht, meinen Fragen auszuweichen!“, polterte Aqua Nigra, während seine stechenden Augen Capiferro zu durchbohren schienen. „Ich verlange, dass mir diese Briefe unverzüglich ausgehändigt werden! Habt Ihr verstanden? Unverzüglich!“
„Sollten wir demnach annehmen“, schaltete sich Niccolò Ridolfi ein, mit dem offensichtlichen Ziel, die Gemüter zu beruhigen, „dass der ehrwürdige Generalbevollmächtigte seine Haltung korrigiert und nach reiflicher Überlegung entschieden hat, die Beweise als stichhaltig zu betrachten?“
„Unterlasst dieses selbstzufriedene Grinsen“, maßregelte ihn Aqua Nigra, während sein Körper in der schwarzen Kutte erbebte, „Ihr steckt mit diesen beiden Unruhestiftern unter einer Decke, nicht wahr?“ Er warf Svampa und Capiferro einen vernichtenden Blick zu. „Das alles ist hinter meinem Rücken ausgetüftelt worden, bis ins kleinste Detail, um mich vor vollendete Tatsachen zu stellen! Genau so muss es gewesen sein, das liegt auf der Hand! Aber wehe Euch, wenn Ihr glaubt, mich mit Euren Winkelzügen hinters Licht führen zu können …“
„Welche Winkelzüge?“, fragte Svampa, der die Auseinandersetzung von seiner Position in der Mitte des Raumes verfolgt hatte. „Entweder sind die vorgelegten Beweise valide oder sie sind es nicht. Das ist Eure Entscheidung, ehrwürdiger Commissario! Dessen ungeachtet: Wenn Ihr Euch der Briefe bedienen wollt, von denen mein Mitbruder gerade gesprochen hat, habt Ihr die moralische Pflicht, ihre Glaubwürdigkeit anzuerkennen und folglich meine Anschuldigungen gegen Bruder Gabriele da Saluzzo zu bestätigen.“
„Warum, in Gottes Namen?“, mischte sich Cesare Borghese mit nervösem Lachen ein. „Gabriele da Saluzzo ist tot! Seit Monaten schon! Warum verbeißt Ihr Euch dermaßen in seine Person?“
Einen Augenblick lang wähnte sich Girolamo Svampa wieder im Nebel Mailands, er stand vor dem Leichnam des alten Mönchs, der aus dem obersten Geschoss der Basilika Santa Maria delle Grazie gestürzt war. Die Gliedmaßen verdreht wie bei einer zerbrochenen Puppe; von seinen Pupillen schien noch im Tod ein heimtückisches Leuchten auszugehen.
Instinktiv griff er sich an den Hals, strich mit den Fingerspitzen über das Mal, das man ihm ins Fleisch gebrannt hatte, und musterte den Kardinal. „Das ist kein Verbeißen, es ist meine Pflicht, denn ein Prozess muss geführt werden. Dabei geht es weniger um das Urteil als um die Notwendigkeit, die verbrecherischen Machenschaften eines Menschen aufzudecken, als Mahnung für all diejenigen, die Ähnliches planen.“
„Welche Arroganz! Welch ein Wahnsinn!“, attackierte ihn ein anderes Mitglied des Auditoriums. „Gott, der Allmächtige, wird über Saluzzos Seele richten! Oder wollt Ihr etwa das göttliche Urteil durch Eures ersetzen?“
Bevor er antwortete, spürte Svampa den besorgten Blick Ridolfis auf sich ruhen.
Vorsicht!, schien der Haustheologe damit ausdrücken zu wollen. Achtet auf das, was Ihr jetzt sagt, denn ab jetzt werde ich Euch nicht mehr verteidigen können!
Doch für Girolamo Svampa war alles vorhergesehen. Der Prozess, Saluzzos Damnatio memoriae, sogar die Strafe, der er selbst entgegensehen würde, jeder einzelne Schritt dieser Angelegenheit hatte sich in seinen Gedanken zu einem Ganzen verbunden, gleich einem Kreis, der sich schloss. Von dem Moment an, als er gesehen hatte, wie sein Vater ermordet worden war, bis zum Augenblick der Rache, als er den Verantwortlichen endlich zur Rechenschaft ziehen konnte, auch wenn er dafür dessen Seele der Hölle entreißen musste.
„Manchmal reicht die göttliche Gerechtigkeit nicht aus!“, erwiderte er. „Manchmal muss man selbst in den Kampf ziehen und sich auf die Vernunft verlassen, um dem Chaos zu begegnen, das uns umgibt. Auf die Vernunft, die Gott uns geschenkt hat, um uns zu seinem Instrument zu machen!“
„Und was habt Ihr nun vor?“, fragte Cesare Borghese in scharfem Ton. „Wollt Ihr den armen Gabriele da Saluzzo aus dem Grab holen?“
„Merkwürdig, dass gerade Ihr dieses Thema aufbringt, Eure Eminenz!“, schaltete sich Capiferro ein, der raschen Schrittes auf die verhüllte Gestalt auf der Anklagebank zuging. „Gerade Ihr, der Ihr im letzten Jahr Bruder Girolamo aufgefordert habt, der Puppe des verschwundenen Saluzzo den Prozess zu machen, als dieser selbst unauffindbar war!“
„Und?“, fragte der Prälat herausfordernd, seine Haltung war nun offen feindselig. „Wäre eine Puppe nicht auch jetzt hilfreich, um dieses unwürdige Schauspiel zu rechtfertigen?“
„Eine Puppe haben wir zwar nicht“, erwiderte Capiferro prompt, „aber ich garantiere Euch, dass Ihr nicht enttäuscht sein werdet.“ Dann griff er nach einer Ecke der Stoffbahn, hob sie ruckartig an und enthüllte zum Entsetzen der Anwesenden einen mumifizierten Leichnam, der zusammengesackt auf dem Stuhl kauerte.
„Man möge zu den Akten nehmen“, verkündete Svampa, während er sich vor dem Verwesungsgestank zu schützen versuchte und auf die Augenhöhlen seines ärgsten Feindes starrte, in denen es vor Fliegen nur so wimmelte, „dass Gabriele da Saluzzo, Teil der Heiligen Inquisition und ehemaliges Mitglied dieses geschätzten Kreises, post mortem bei der Verkündung der Anklage gegen ihn anwesend ist!“
2.
„Im Namen des heiligen Petrus“, ereiferte sich Monsignor Ridolfi, „wie konntet Ihr Euch eine solche Ungeheuerlichkeit erlauben?“
Statt zu antworten, betrachtete Girolamo Svampa die feinen Linien des weißen Marmors am Boden. Nach Ende des Prozesses hatte er sich mit Ridolfi unverzüglich in den abgelegenen Raum ganz oben in den Torre dei Venti zurückgezogen, einen der friedlichsten Plätze des Vatikans. Ein allerdings nur auf den ersten Blick sicherer Zufluchtsort, denn Aqua Nigras Empörung und die entsetzten Rufe des Inquisitionskollegiums schienen ihn auch hier zu verfolgen.
„Hört Ihr mir überhaupt zu? Dieser Leichnam … dieser verdammte stinkende Kadaver … Wo zum Teufel habt Ihr ihn her?“
„Na ja“, erwiderte Capiferro, der das Trio komplett machte, wie üblich mit der Pfeife im Mund, „ist das nicht offensichtlich?“
„Ihr wartet mit dem Sprechen, bis Ihr dran seid, Gauner!“, gebot ihm Ridolfi Einhalt, der langsam die Geduld verlor. „Nun? Wenn ich mich nicht irre, dann hätte es unter diesem Umhang Beweise oder zumindest Indizien geben müssen, Dokumente, die Eure Anschuldigungen stützen … So hatten wir es ausgemacht! Das habt Ihr und Euer ehrenwerter Gefährte mir zugesichert!“
„Die gibt es tatsächlich“, erwiderte Girolamo, zog ein Bündel Papiere hervor und übergab sie Ridolfi.
„Hier sind sie! Allerdings hätten diese Schriftstücke das Gewissen meiner Feinde niemals so erschüttert wie Saluzzos Leiche.“
„Eure Feinde?“, Ridolfi sah ihn ungläubig an, während er die Dokumente unter seinem Talar verschwinden ließ. „Ist Euch klar, welche Anschuldigungen über Eure Lippen kommen? Ihr sprecht von Euren Mitbrüdern in Christus! Hochgeschätzte Männer der Kirche, die sich genau wie Ihr dem Kampf gegen die Häresie, den Götzendienst und die Hexerei verschrieben haben!“
„Und doch ist das Einzige, das für sie zählt, sich bei Banketten den Bauch vollzustopfen oder mit mächtigen Freunden auf die Jagd zu gehen.“
„Ihr wollt einfach nicht verstehen und folgt einer Idealvorstellung, einer Perfektion, die unerreichbar ist“, seufzte der Prälat, „diese Männer sind Mittel zum Zweck! Sie werden benutzt, um ein Ziel zu erreichen, sie werden manipuliert!“
„Und ich soll der Gauner sein?“, platzte Capiferro dazwischen.
Ridolfi brachte ihn mit einem strafenden Blick zum Schweigen.
„Mit anderen Worten“, Girolamos Stimme klang jetzt hart, „sollte ich also Saluzzos Beispiel folgen? Der Intrige den Vorzug vor der Vernunft geben? Der Schmeichelei vor einem gerechten Urteil?“
„Gerechtes Urteil? Nach einer Anklage, bei der Ihr dem Kardinalskollegium einen halbverwesten Leichnam präsentiert habt?“, fragte Ridolfi. „Bei allen Heiligen, Bruder Girolamo, gebt es doch zu! Ihr habt den Bogen überspannt! So etwas hat es noch nie gegeben!“
„Oh doch“, widersprach Capiferro mit der Andeutung eines Lächelns. „In Rom im Jahr 897, während des ‚Synodus horrenda‘, der Leichensynode. Papst Formosus wurde ein Jahr nach seinem Tod exhumiert, um in den Lateran gebracht und einem postumen Prozess unterworfen zu werden.“
„Und Ihr konntet es Euch nicht verkneifen, mir das unter die Nase zu reiben, damit ich mir wie ein Idiot vorkomme, oder?“ Ridolfi blitzte ihn vorwurfsvoll an.
Capiferro gab sich unbeteiligt und widmete sich dem Pfeifenkopf. „Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich …“
„Ich habe es Euch schon einmal gesagt, schweigt und wartet ab, bis Ihr an der Reihe seid!“
„Ich verstehe das nicht“, schaltete sich Svampa ein, „der Prozess hatte doch einen guten Ausgang. Der Generalbevollmächtigte musste seine Einwände zurücknehmen und die Schuld Gabriele da Saluzzos anerkennen. Warum also diese Vorwürfe?“
„Ist Euch das wirklich nicht klar?“ Ridolfis finsterer Blick verriet eine gewisse Sorge. „Sich auf solch rücksichtslose Art und Weise gegenüber einem verstorbenen Mitbruder zu verhalten … Und dann dieser ungeheuerliche Verdacht, einige Mitglieder des Heiligen Offiziums könnten dazu beigetragen haben, seine kriminellen Machenschaften zu verschleiern!“
„Das ist nicht nur ein Verdacht“, unterbrach ihn Svampa, „die Beweise für ihre Komplizenschaft sind unstrittig.“
„Sie auf solch unbesonnene Weise bloßgestellt zu haben, hat Euch in eine missliche Lage gebracht.“
„Das kümmert mich nicht“, winkte Svampa ab, „um mich der Verleumdung zu bezichtigen, fehlen stichhaltige Beweise.“
„So offensichtlich würde Aqua Nigra niemals vorgehen. Und wenn Ihr wirklich glaubt, dass er nichts über die Komplizenschaft zwischen ihm nahestehenden Mitgliedern des Kollegiums und Gabriele da Saluzzo wusste, dann seid Ihr ein gutgläubiger Dummkopf.“
Der Prälat gab ihm Zeit, über seine Worte nachzudenken, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging auf eine Brüstung zu, von der aus man den grauen Himmel über Rom sehen konnte. „Habt Ihr es immer noch nicht begriffen?“, fügte er hinzu, ohne den Blick von den Wolken abzuwenden. „Aqua Nigra will diese Briefe nicht, um Gerechtigkeit zu üben, sondern um sie zu vernichten! Mit anderen Worten, um die Verbindung des Heiligen Offiziums, das seine Person repräsentiert, zu einem Vollstrecker der Inquisition, dessen Fehlverhalten nicht mehr zu leugnen ist, zu vertuschen.“
Svampa wollte etwas erwidern, aber dann siegte der Respekt, den er vor diesem Mann hatte, der für ihn seit vielen Jahren wie ein Vater war. Er stellte sich neben ihn an die Brüstung und wechselte das Thema.
„Eurer Meinung nach bin ich also in Gefahr. In welcher Weise?“
„In einer Weise, die Ihr Euch nicht einmal vorstellen könnt, mein Sohn“, antwortete Ridolfi, seine Stimme klang jetzt weicher, seine Finger umklammerten die granitene Brüstung. „Wenn ich Generalbevollmächtigter wäre, würde ich mich nicht damit zufriedengeben, die Briefe verschwinden zu lassen. Zur Sicherheit würde ich meine Aufmerksamkeit auch auf denjenigen richten, der sie gefunden hat.“
„Was schlagt Ihr vor?“
„Ihr müsst Rom verlassen, zu Eurem eigenen Besten.“
Auch wenn er die Vorstellung verabscheute, vor einer potenziellen Bedrohung fliehen zu müssen, war Girolamo Svampa klar, dass er keine andere Wahl hatte. „Ich dachte ohnehin daran, ins Kloster San Miniato im Großherzogtum Toskana zurückzukehren.“
„Das reicht nicht“, erwiderte der Prälat, „es muss etwas … Wirkungsvolleres sein.“
„Und das bedeutet?“
„Ein offizieller Auftrag.“
„Eine Untersuchung im Namen des Heiligen Offiziums?“, entgegnete Svampa ungläubig, „beauftragt von ebenjenem Kollegium, vor dem Ihr mich gerade gewarnt habt?“
„Welche Strategie könnte besser sein, um Euch vor ihren Angriffen zu schützen?“, gab Ridolfi zu bedenken. „Aqua Nigra kann Euch kein Haar krümmen, wenn Ihr vor den Augen aller in seinem Auftrag handelt!“ Ridolfi lächelte nun tiefgründig. „Es ist so entschieden! Ihr werdet wieder die Aufgabe eines Inquisitor commissarius übernehmen, damit Ihr mit der Vollmacht des Heiligen Offiziums Ermittlungen außerhalb der Mauern Roms anstellen könnt.“
„Ich dachte, dieser Titel sei mir auf ewig entzogen“, erwiderte Girolamo, der versuchte, sich mit der veränderten Situation vertraut zu machen. „Und ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob Euer Einfluss ausreicht, die Verbote zu übergehen, die damit einhergehen.“
Der Haustheologe schüttelte den Kopf. „Unsinn, Ihr werdet Rom noch heute verlassen!“ Als wäre die Sache bereits beschlossen. „Außerdem wird Euch der Kardinal begleiten, der ebenjener Stadt vorsteht, in der Euer Eingreifen erforderlich ist.“
Girolamo Svampa war jetzt noch verwirrter und warf Capiferro einen fragenden Blick zu, der jedoch einen ebenso erstaunten Eindruck machte.
Er wandte sich daher erneut Ridolfi zu. „Um welche Stadt handelt es sich?“
„Um das Herzogtum Ferrara“, antwortete der Prälat, „vor einigen Tagen kam es dort zu einigen … beunruhigenden Zwischenfällen. Wie bestellt für Euer Eingreifen, könnte man fast sagen. Etwas, das zu Euch passt.“
„Geht es um das Wiederaufleben der lutherischen Häresie?“, wollte Capiferro wissen, Ridolfis Andeutungen hatten ihn neugierig gemacht. „Um einen Fall von Hexerei? Um die Verbreitung einer verbotenen Schrift?“
„Es geht um Mord“, präzisierte eine Stimme hinter ihnen.
Alle drehten sich zur Tür.
Ein Mann mit mephistophelischem Bart und schneeweißem Umhang stand auf der Schwelle und sah sie durchdringend an.
„Ein Mord“, wiederholte Kardinal Ludovico Ludovisi, der lautlos wie eine Katze vor dem Mauseloch den Raum betrat, „der grausame Mord an einem Kabbalisten.“
3.
Girolamo Svampa starrte Monsignor Ludovisi an, als sei ihm der Teufel persönlich erschienen.
Der Kardinalnepot, Superintendent des Kirchenstaats und Präfekt der Apostolischen Signatur und der Glaubenskongregation war nicht nur einer der reichsten Männer Roms, ihm eilte auch der Ruf voraus, Mitglied der geheimen Sekte der Rosenkreuzer zu sein.
Doch Svampas Unbehagen hatte nichts mit Befangenheit zu tun, sondern mit seiner Ohnmacht, die Absichten dieses geheimnisvollen Mannes zu erkennen.
„Ein Kabbalist?“, durchbrach Capiferro die Stille, die sich im Saal ausgebreitet hatte. „Das heißt, er war ein Magus, ein jüdischer Geisterbeschwörer!“
Auf dem olivfarbenen Gesicht des Kardinalnepoten zeigte sich der Hauch eines Lächelns. „Sein Name“, sagte er, nachdem er mit Ridolfi einen Blick getauscht hatte, „war Solomon Cordovero.“
„Ein sephardischer Name“, bemerkte Capiferro.
„Tatsächlich wurde er in Safed in Galiläa geboren“, erwiderte Ludovisi, „aber was uns mehr interessieren sollte …“
„Einen Augenblick“, unterbrach ihn Svampa und wandte sich an Ridolfi, „all das war schon geplant, oder? Noch vor dem Prozess gegen Saluzzo! Und vor Aqua Nigras Reaktion! Ihr hattet Euch bereits mit ihm zusammengetan“, er deutete auf Ludovisi, „um mich aus Rom zu entfernen!“
„Weder der Kardinalnepot noch ich haben hinter Eurem Rücken konspiriert, wenn Ihr darauf anspielt“, verteidigte sich Ridolfi, „doch da ich nach dem Prozess Schlimmes befürchtete, habe ich es als ratsam erachtet, mit Euren Gnaden zu beraten, um Euren … sagen wir, Euren eleganten Abgang zu planen.“
„Ihr hättet mich informieren müssen“, bedrängte ihn Svampa. „Ihr wisst genau, dass ich es hasse, wie eine Spielfigur hin- und hergeschoben zu werden.“
„Niemand hält Euch für eine Spielfigur“, versicherte Ludovisi, „wir haben nur in Eurem Interesse gehandelt.“
„In meinem Interesse?“, ereiferte sich Girolamo. „Seit ich Euch kenne, scheint es Euer Anliegen zu sein, mir bei meiner Arbeit Steine in den Weg zu legen, statt mich zu unterstützen. Aber ich warne Euch! Wenn sich herausstellen sollte, dass der Auftrag in Ferrara ein Versuch ist, mich zu manipulieren …“
Der Kardinalnepot lachte schallend. „Wenn ich tatsächlich versucht wäre, Euch zu manipulieren, mein lieber Bruder, dann würdet Ihr längst wie eine Marionette tanzen, ohne es überhaupt zu bemerken.“ Dann fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, das wieder so ausdruckslos wirkte wie immer. „Wenden wir uns jetzt den Einzelheiten des Verbrechens zu.“
„Tatsächlich wissen wir nur wenig“, sagte Ridolfi und gab Svampa mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er zu schweigen hatte.
„Es gibt nur spärliche Informationen, das stimmt, aber aussagekräftige“, präzisierte Ludovisi, „Solomon Cordovero, der Kabbalist, wurde letzte Woche innerhalb der Stadtmauer Ferraras tot aufgefunden. Die Person, die ihn gefunden hat, sagte aus, dass sein Rücken vom Nacken bis zum Kreuzbein aufgeschlitzt war.“
„Ein Säbelhieb von hinten?“ Capiferro war elektrisiert.
Der Prälat verzog das Gesicht. „Meinen Informanten nach eher das Werk eines Anatomen.“
„Hochspannend!“, verkündete der Sekretär.
„Anatom oder Meuchelmörder, das macht keinen Unterschied“, wandte Svampa ein, „den Mord an einem Juden zu untersuchen, egal, ob Zauberer oder Kabbalist, gehört nicht zu den Aufgaben eines Inquisitors des Heiligen Offiziums. Eine Einmischung würde nur zu Ärger mit den weltlichen Autoritäten und dem Rabbinischen Gericht der Synagoge führen, der das Opfer angehört.“
„In diesem Fall nicht“, widersprach Ludovisi.
„Und warum nicht?“
„Weil Solomon Cordoveros Leiche außerhalb des Ghettos gefunden wurde, nur wenige Schritte von den Mauern eines Jesuatenklosters entfernt, auf einem freien Feld, das zu ebenjenem Kloster gehört.“
„Um das klarzustellen“, ergänzte Ridolfi, „Bruder Girolamo sollte dies als einen Akt der Blasphemie gegen den christlichen Glauben betrachten.“
„Voreilige Schlüsse zu ziehen ist wenig sinnvoll“, wandte Svampa ein, als würde er einen Schüler zurechtweisen. „Aber wenn die Schlussfolgerung des Kardinalnepoten zutrifft“, fuhr er fort, „sehe ich andererseits nichts, was dem Vollzug einer offiziellen Mission entgegenstehen würde.“ Dann fügte er hinzu: „Die Ermordung eines Juden in unmittelbarer Nähe eines christlichen Klosters erlaubt es uns, die Tatumstände und die Legitimität der Beziehungen zwischen der jüdischen Glaubensgemeinschaft Ferraras und dem Kloster zu untersuchen.“
„Sehr gut“, erklärte Ludovisi, dann blickte er sich suchend um, als ob ihn plötzlich etwas an diesem Ort stören würde. „Ich überlasse es dem Haustheologen, die Details mit Euch zu besprechen.“ Er ging in Richtung Tür. „Man fragt sich bestimmt, wo ich bleibe. Es ist besser für uns alle, wenn ich nicht mit Euch gesehen werde.“
„Nicht so schnell!“, hielt ihn Svampa zurück, auch auf die Gefahr hin, respektlos zu wirken. „Bevor Ihr Euch verabschiedet, Eminenz, habt doch bitte die Güte, uns zu sagen, worin Euer Interesse bei dieser Angelegenheit liegt?“
Der Kardinalnepot musterte ihn verstohlen. „Meint Ihr den Mord an dem Kabbalisten?“
Girolamo nickte. „Das ist gewiss nicht der einzige ungelöste Fall, mit dem Ihr und Monsignor Ridolfi mich hättet betrauen können. Warum ausgerechnet dieser?“, fragte er mit einem wissenden Lächeln.
„Wie ich Euch bereits erklärt habe, ist es nicht Solomon Cordoveros tragischer Tod an sich, der mein Interesse geweckt hat, sondern die Tatsache, dass dieser Kabbalist ein Schüler seines Onkels Moshe war, den man unter dem Namen Ramak kennt.“
„Ramak, der Beschwörer?“ Capiferro schreckte auf.
„Sehr gut, wie ich sehe, ist der Sekretär gut informiert“, lobte Ludovisi, „dann wird er Euch alles Weitere erklären.“ Dann nickte er und verließ den Raum.
Doch Svampa hatte nicht vor, ihn so einfach gehen zu lassen, und setzte gerade zu einem weiteren Einwand an, als sich Ridolfi einschaltete und zwischen sie trat.
„Ihr beeilt Euch besser, die Kutsche steht in einer Stunde im Hof des Belvedere bereit, zum Packen bleibt nur wenig Zeit.“
„Wie zuvorkommend!“, bemerkte der frisch ernannte Inquisitor mit beißendem Spott. „Welch Hingabe an die Sache!“ Und als der Kardinalnepot außer Hörweite war, fügte er bitter hinzu: „Ich wusste nicht, dass auch Ihr zu seiner Gefolgschaft gehört.“
„Redet keinen Unsinn“, widersprach Ridolfi und warf einen besorgten Blick nach draußen, als ob in den Gärten des Vatikans eine feindliche Armee bereitstünde, um den Turm zu erstürmen. „Ihr seid wirklich in Gefahr. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für Spiegelfechtereien.“
„Wenn wenigstens …“, maulte Capiferro, während er auf das Mundstück seiner Pfeife biss, „wenn wenigstens der Kardinalnepot noch etwas mehr über Ramak gesagt hätte …“
„Darf man erfahren, wer zum Teufel dieser Ramak überhaupt ist?“, wollte Girolamo wissen.
„Ramak, der Beschwörer, der Theurg … der Kabbalist …“, murmelte Capiferro vor sich hin, dabei kniff er die Augen zusammen und streckte den Zeigefinger nach einer imaginären Buchseite aus.
Svampa kannte diese Geste, sein Mitbruder war offensichtlich dabei, eines der Bücher in seiner im Kopf gespeicherten Bibliothek durchzublättern. Sein phänomenales Gedächtnis wurde von einigen Mitgliedern der Kurie, aus Misstrauen oder wegen ihrer begrenzten Vorstellungskraft, als Scharlatanerie eines anmaßenden Mönchs abgetan. Andere beneideten ihn darum und hassten ihn deshalb abgrundtief.
Doch der Sekretär konnte sein übermenschliches Gedächtnis in diesem Fall nicht beweisen, denn Ridolfi packte ihn am Arm.
„Wohl denn, frisch ans Werk, Eure Besserwisserei spart Ihr Euch für eine andere Gelegenheit auf.“
„Und zwar welche?“, fragte Capiferro scharf. „Wenn ich meinen Mitbruder jetzt nicht warne, wann dann?“
„Ihr habt während der Reise genug Zeit dazu“, brachte ihn Ridolfi zum Schweigen.
„Während der … Reise? Was bedeutet das, um Himmels willen?“
„Habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt warten, bis Ihr dran seid?“ Ridolfi packte ihn wie einen Straßenräuber an der Kapuze und zog ihn in Richtung Ausgang. „Los jetzt, Beeilung! Mit Bruder Girolamo in einer Kutsche zu reisen, ist die angezeigte Strafe für Eure Aufsässigkeit!“
Einen Moment lang war Svampa versucht einzugreifen. Doch dann bemerkte er, dass Capiferro, trotz Ridolfis Unhöflichkeit, nicht protestierte, er lachte.
Wie ein kleiner Junge auf dem Weg ins Schlaraffenland.
4.
„Gauner!“, schimpfte Capiferro. „Er hat mich einen Gauner genannt, stellt Euch das vor!“
Als Svampa mit der Antwort zögerte, begann der Sekretär mit der Silberdose zu spielen, die er aus der Tasche gezogen hatte. „Und Euch, das schwarze Schaf …“, fuhr er fort, während er eine großzügige Prise Tabak herausnahm, „hat er ‚mein Sohn‘ genannt, findet Ihr das gerecht?“
Seit inzwischen vier Tagen saßen sie in der schwankenden Kutsche, zusammen mit einem Kardinal mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck und einer jungen Frau im Nonnenhabit. Bei dem Geistlichen handelte es sich um Francesco Cennini de’ Salamandri, der im dritten Jahr in Folge zum päpstlichen Legaten Ferraras ernannt worden war. Seine Begleiterin nannte sich Piccarda. Um einen Skandal zu vermeiden, gab sie sich als Oblatin des Klosters Santa Francesca Romana aus. Sie ließ Bruder Girolamo nicht aus den Augen.
„Stimmt es, was man sich über Euch erzählt?“, hatte sie ihn irgendwann mit provokantem Augenaufschlag gefragt.
„Und das wäre?“, hatte der Inquisitor gemurmelt, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden, die man durch das Gitterfenster erkennen konnte.
„Dass Ihr eine Geliebte habt.“
„Dann sind die Gerüchte also bis in Euer Kloster gedrungen?“
„Eine Opernsängerin. Stimmt es?“, hatte sie hartnäckig weitergebohrt.
„Meine Liebe!“, hatte sich Salamandri eingeschaltet, den die offenkundige Aufmerksamkeit seiner Begleiterin für einen jüngeren und attraktiveren Mann eifersüchtig machte. „Ist das ein angemessenes Thema für eine Frau, die sich dem Glauben hingegeben hat?“
Aber Piccarda, die unter Hingabe etwas ganz anderes verstand, hatte nicht aufgegeben und als der betagte Kardinal eingeschlafen war, hatte sie Girolamo anvertraut: „Ich verstehe zwar nichts von der Oper, aber …“, sie hatte sich zu ihm gebeugt und seine Hand berührt.
„In diesem Fall“, hatte er sie abgewiesen, „solltet Ihr Euer Interesse besser etwas anderem zuwenden.“
Doch trotz seiner zur Schau gestellten Gleichgültigkeit war es ihm schwergefallen, sich von den Erinnerungen zu lösen, die Salamandris Konkubine in ihm geweckt hatte. Er hatte an Margherita Basile denken müssen, die strahlend schöne Sopranistin mit den flammend roten Haaren und dem scharf geschnittenen Kinn. Die einzige Frau, die jemals sein Interesse geweckt hatte, die einzige, die jemals seine harte Schale durchbrochen und ihn in Versuchung geführt hatte, sein Keuschheitsgelübde als Dominikanermönch zu brechen.
Nach Meinung mancher Glaubensbrüder eine lässliche Sünde, wie ein leicht zu tilgender Fleck auf einer Leinentunika. Aber es war nicht diese Scheinheiligkeit, die Svampa beunruhigte, und auch nicht die Fleischeslust, die so vielen seiner Mitbrüder den Schlaf raubte, sondern das Gefühl, nicht mehr nur sich allein zu gehören. Das Bewusstsein, einem anderen Menschen seine innere Zerrissenheit offenbart zu haben, einer Fremden, und sich von den sicheren Ufern der Einsamkeit entfernt zu haben, die sein bisheriges Leben bestimmt hatten.
Zum Glück hielten ihn andere Überlegungen auf der Reise beschäftigt: das unerklärliche Interesse Ludovico Ludovisis an einem Mord, der weit weg von Rom verübt worden war, und insbesondere die rätselhafte Anspielung auf Ramak.
„Ramak war ein jüdischer Mystiker, ein Gelehrter der sogenannten Kabbala, der vor etwa fünfzig Jahren gestorben ist“, erklärte Capiferro, als sie endlich unter sich waren. „Der Name Ramak ist ein Spiel mit Buchstaben und Silben, bestimmt steckt irgendeine blasphemische Teufelei dahinter. Vor allem, wenn ich daran denke, was ein gewisser Avraham Azulai in einer Abhandlung mit einem unaussprechlichen Titel über ihn geschrieben hat. Vor einiger Zeit habe ich die Übersetzung dieses Textes gelesen: Ramak war Geisterbeschwörer, Dämonenaustreiber und Exorzist.“
„Wenn ich mich recht erinnere“, erwiderte Svampa, „hat Ludovisi ihn als nahen Verwandten unseres Opfers Solomon Cordovero beschrieben.“
Sie saßen sich in einer düsteren Spelunke in der Garfagnana gegenüber und warteten darauf, dass der Kutscher ein Rad ihrer Kutsche reparierte. Capiferro hielt die silberne Tabakdose zwischen den Fingern und Svampa löffelte eine ekelhafte Brühe aus einer Terrakottaschale, während Salamandri und Piccarda sich in ihr Zimmer im Obergeschoss zurückgezogen hatten und zu Bett gegangen waren. Der Kardinal hatte die vorgerückte Stunde und die unangenehme Zugluft als Entschuldigung vorgeschoben.
„Naher Verwandter und Lehrer