Das große Miez-Verständnis - Claude Béata - E-Book

Das große Miez-Verständnis E-Book

Claude Béata

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Beschreibung

Das große Miez-Verständnis

Vom Mitbewohner zum Katzenversteher: So werden Mensch und Katze glücklich

Verschmust und sensibel, aber auch geheimnisvoll und unabhängig – so werden Katzen häufig beschrieben. Doch was für ein Tier ist eine Katze wirklich? Obwohl uns die Samtpfoten bereits seit Jahrtausenden begleiten, gibt es noch immer viele Missverständnisse zwischen ihnen und uns Menschen. Claude Béata, Tierarzt und Haustierpsychologe, klärt auf: Haben Katzen eine eigene Persönlichkeit? Warum führt jede Katze ein Doppelleben? Können Katzen tollpatschig sein? Und warum heißt »ich mag dich« nicht »du darfst mich streicheln«? Diese und viele weitere Fragen zu unserem beliebtesten Vierbeiner helfen uns, das Verhalten unserer Katzen endlich zu verstehen. So machen wir uns und unsere Katzen glücklich!

  • Psychologie statt Körpersprache als neue Perspektive auf das wahre Wesen der Katzen
  • Tierarzt und Tierpsychologe Claude Béata klärt auf, wie wir unsere Samtpfoten endlich richtig verstehen

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Zum Buch:

Vom Mitbewohner zum Katzenversteher: So werden Mensch und Katze glücklich.

Verschmust und sensibel, aber auch geheimnisvoll und unabhängig – so werden Katzen häufig beschrieben. Doch was für ein Tier ist eine Katze wirklich? Obwohl uns die Samtpfoten bereits seit Jahrtausenden begleiten, gibt es noch immer viele Missverständnisse zwischen ihnen und uns Menschen. Claude Béata, Tierarzt und Haustierpsychologe, klärt auf: Haben Katzen eine eigene Persönlichkeit? Warum führt jede Katze ein Doppelleben? Können Katzen tollpatschig sein? Und warum heißt »Ich mag dich« nicht »Du darfst mich streicheln«? Diese und viele weitere Fragen zu unserem beliebtesten Vierbeiner helfen uns, das Verhalten unserer Katzen endlich zu verstehen. So machen wir uns und unsere Katzen glücklich!

Zum Autor:

Claude Béata ist Tierarzt und Tierpsychologe. Schwerpunkt seiner Arbeit sind sowohl die Tierpsychologie als auch die Veterinärpsychiatrie. Als einer der gefragtesten Experten Frankreichs zum Thema Tierpsychologie und Verhalten von Haustieren lehrt Claude Béata ebenfalls als Dozent an französischen Universitäten.

CLAUDEBÉATA

DASGROSSE

MIEZ-

VERSTÄNDNIS

Das geheimnisvolle Wesen deiner Katze endlich richtig verstehen

Übersetzt aus dem Französischen von Bettina Seifried und Annika Tschöpe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel La Folie des chats bei Les Editions Odile Jacob SAS, Paris.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe 09/2023

© ODILEJACOB, 2022

© der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Claudia Haimerl

Illustration: Inka Hagen

Übersetzung aus dem Französischen: Bettina Seifried und Annika Tschöpe

Umschlaggestaltung: Wilhelm Typo Grafisch

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-30878-0V001

www.heyne.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Prolog

Kapitel 1Joker oder die Doppelnatur der Katze

Kapitel 2Revier und Territorium als Quelle des Leidens

Kapitel 3Bindungen – Haben oder Nichthaben?

Kapitel 4Eine Katze flog übers Kuckucksnest

Kapitel 5Ikone und Whistleblowerin

Epilog

Anmerkungen

Vorwort

Claude Béata berichtet wunderbar unterhaltsam aus seiner Praxis als Tierarzt und Verhaltensforscher und greift dabei immer wieder philosophische Fragen auf.

Im Zusammenleben mit dem Menschen hat sich das Verhalten von Katzen über die Zeit hinweg verändert. Ihre Jagdlust, der Impuls, alles, was sich bewegt, zu belauern und erbeuten zu wollen, sind davon zwar nicht betroffen, sie bleiben schnelle, elegante Räuber auf leisen Pfoten, die mit ihren spitzen Zähnen und scharfen Krallen auch um ein Dreifaches größere Beutetiere erlegen können. Doch die Tatsache, dass sie in der menschlichen Welt heimisch geworden sind, eingebunden in die immer rasanteren technologischen Entwicklungen, die den Rhythmus von Jagd- und Ruhezeiten, den Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit durchkreuzen, führt häufig zu biologischen und verhaltensbedingten Fehlentwicklungen, und das nicht nur beim Tier.

Die Lebenserwartung hängt eng mit zivilisatorischen Errungenschaften zusammen. Fernab menschlicher Lebensformen erreicht die Katze ein Alter von höchstens drei oder vier Jahren. In der durch technologischen Fortschritt geprägten Umgebung des Menschen kann sie mit denselben genetischen Voraussetzungen gut und gerne fünfzehn bis zwanzig Jahre alt werden. Herr und Frau Sapiens erreichten, so belegen Skelettfunde, vor der Blütezeit des Neolithikums kaum ihr dreißigstes Lebensjahr. Jedes zweite heute geborene Mädchen wird wohl hundert Jahre alt werden, Knaben im Schnitt gut neunzig.

Es sind also erstaunliche Parallelentwicklungen bei Mensch und Tier zu beobachten. Die vom Menschen geschaffene Welt hat einen enormen Einfluss auf die Genexpression der gesamten Arten. Ist die bis heute geltende Unterscheidung zwischen Mensch und Tier dann eher eine Glaubensfrage oder Wunschvorstellung, die empirisch klinische Beobachtungen und Befunde ignoriert?

Wir erfahren in diesem Buch, was der praktizierende Veterinär und klinische Forscher Claude Béata von den Katzen gelernt hat. Auch ein neugeborenes Kätzchen braucht Bindungsstrukturen und ein Bezugswesen, um zur Katze reifen zu können. Selbstwerdung ist ohne die oder den anderen nicht möglich. Fehlt diese Bindung völlig oder ist sie nur spärlich vorhanden, wird das Jungtier nur unter größten Schwierigkeiten erwachsen. Ein Mangel, aber auch ein Überfluss an stimulierenden Reizen in der Umgebung des Jungtiers in seinen ersten Wochen führt zu neuronalen und funktionalen Störungen im Gehirn mit schwerwiegenden Folgen für das spätere Verhalten des Tieres.

Im Idealfall lernen Kätzchen das Katzenhandwerk spielend, beim Balgen mit den Geschwistern oder dem neckischen Jagen von Mutters Schwanz. Die Rangeleien und das Angriffsverhalten sind weder feindselig noch aggressiv, doch je älter und kräftiger die Kleinen werden, desto spitzer werden auch die Zähne und umso schmerzhafter die Bisse. Dann beginnt die Katzenmutter, ihren Wurf zu erziehen und die Attacken zu bremsen, durch ein kurzes Fauchen, ein rasches Streifen durch die Barthaare der Racker, durch eine drohend erhobene Vorderpfote oder durch sanfte Klapse und kleine Nasenstüber. So lernen sie, sich aktiv zurückzunehmen, und entwickeln Selbsthemmungsmechanismen, was für die Interaktion mit anderen Lebewesen unabdingbar ist. Einem Findelkätzchen, vom Menschen mit der Flasche aufgezogen, fehlt die Möglichkeit, diese wichtigen Lektionen zu lernen. Es wird in der Folge enorme Probleme bei der Anbahnung von wechselseitigen Kontakten haben und sich nur unter größter Mühe sozialisieren können.

Claude Béata liefert uns anschauliche Beispiele dafür, wie rasch der geliebte Stubentiger zum Wildfang, mehr noch, zum Wildtier wird, wenn frühe Entwicklungsstörungen vorliegen. Die Katze wird uns fremd und unheimlich, und wir brauchen die Hilfe und das Wissen von Verhaltenstierärzt*innen. Ich lernte Claude kennen, als er sich nach Abschluss des Studiums für eine Zusatzausbildung in der Tierpsychiatrie entschied. Diesen Teilbereich der Veterinärmedizin deckt die klassische Ausbildung nicht ab, Tierärzte und Tierärztinnen müssen mit Verhaltensproblemen in ihrer späteren Praxis eher freihändig umgehen, weil ihnen das Studium hier keine systematischen Lösungsansätze vermittelt hat. Noch in den Achtzigerjahren gab es im französischsprachigen Raum nur zwei einschlägige Arbeiten dazu: Psychiatrie animale1 und Mémoire de singe et paroles d’hommes2. Sie warfen grundsätzliche Fragen auf: War der Mensch wirklich so außergewöhnlich, stand er über der Natur?3 Konnte er somit auch nichts von den Tieren lernen? Der französische Philosoph und Soziologe Edgar Morin schlug vor, die Disziplinen und Fragestellungen zu integrieren, anstatt sie gegeneinander auszuspielen und die »absurde Parzellierung« der wissenschaftlichen Erkenntnisse weiter voranzutreiben.4 Darwinistische Ansätze versuchten, das Rätsel des Lebens und des Humanen zu ergründen, stießen jedoch auf wenig Echo. Der damalige Zeitgeist sperrte sich gegen die »Herabsetzung des Menschen auf die Stufe des Tieres«, und an den Universitäten wurde streng zwischen biologistischen und psychoanalytischen Erklärungsmodellen getrennt. Es zeigte sich jedoch bald, dass auch Freud Biologie und Umwelt zusammendenkt und damit evolutionär-darwinistische Züge trägt.5 Doch erst mit Jacques Lacan verwies ein Psychoanalytiker ausdrücklich auf die Erkenntnisse aus der Tierverhaltensforschung, um die Struktur der menschlichen Psyche zu erklären.6 Die vorherrschenden gesellschaftlichen Glaubensüberzeugungen und Ansichten waren allerdings so übermächtig, dass solche integrativen Denkansätze, die Beobachtungen und Belege aus dem Reich der Tiere und klinisch-experimentelle Daten ernst nahmen, im kulturellen Klima der Zeit und an den Universitäten kaum Nachhall fanden.

Erst mit Claude Béata und einer Forschungsgruppe aus verschiedenen Veterinärmediziner*innen setzte eine verstärkte Hinwendung zur systematischen Erforschung der geteilten Lebenswelt von Mensch und Tier und zur Entwicklung eines gesamtheitlichen Ansatzes in Lehre und Forschung ein. Béata gelang es, einen bemerkenswerten neuen Studiengang in der Veterinärmedizin zu etablieren, der es angehenden Tierärzt*innen an der Universität von Toulouse ermöglicht, bereits während der Ausbildung im klinischen Setting zu arbeiten, um Kompetenzen in Verhaltensbeobachtung, Diagnostik, Ursachenforschung und Behandlung von Entwicklungsstörungen und damit einhergehende Angst- und Stresserkrankungen bei Tieren zu schärfen. Einige Forschungsergebnisse aus diesem Studiengang werden auf den folgenden Seiten vorgestellt.

Auch ich lud Claude immer mit Freude zu Vorträgen an die Universität von Toulon ein, weil ich bei ihm sicher sein durfte: Er würde sein umfangreiches Wissen auf unterhaltsame, anschauliche und überzeugende Weise an die Studierenden weitergeben. Mit Humor, Esprit und viel Sinn für methodische Klarheit hat er auch das vorliegende Buch konzipiert. Es nimmt uns mit auf eine Erkundungsreise in die Welt der Katzen, die so anders ist als die unsere. Und es verweist auf folgenreiche Missverständnisse, die zwischen den Arten, zwischen Mensch und Katze, aber auch zwischen Katze und Hund auftreten und zu schweren Beziehungsstörungen bis hin zu höchst aggressivem Verhalten führen können. Begreift man jedoch die genauen Ursachen im Einzelfall, ist der erste Schritt hin zur Verbesserung der Situation bereits getan. Claude Béata setzt sich zur präzisen Erfassung der Verhaltensauffälligkeiten auch für eine neue Nomenklatur ein. Bevor Claude sie einführte, war mir zum Beispiel die Bezeichnung »Schezipathie« (mit Bindungserfahrungen zusammenhängendes Leid) nicht geläufig. Der Begriff steht für die Abwesenheit beziehungsweise den fehlenden Erwerb von grundlegenden Fähigkeiten zur Etablierung einer Bindungsbeziehung, wenn das Tierkind in seiner frühesten Entwicklungsphase die Mutter als Lehrmeisterin entbehren musste. Verlassene oder ausgesetzte Findelkätzchen leiden unter schweren kognitiven und seelischen Beeinträchtigungen, die auch für menschliche Kleinkinder mit vergleichbarem Schicksal beschrieben wurden. Steht jedoch zu einem noch frühen Zeitpunkt ein emotionaler, affektiver Ersatz zur Verfügung, kann dies eine dauerhafte Beeinträchtigung durch Verstetigung der neuronalen Dysfunktion verhindern, und die Kätzchen können sich trotz des schlechten Starts erstaunlich gut entwickeln. Man spricht hier von einem Prozess der Resilienz.

Die klinischen Beobachtungen und Erfahrungen des praktizierenden Forschers Béata führen immer wieder zurück zu philosophischen Fragen: Können auch Tiere »verrückt« sein? Welcher Natur sind ihre Angststörungen, sind sie vergleichbar mit denen des Menschen? Als ich in den Sechzigerjahren begann, mich für solche und ähnliche Fragen zu interessieren, sprach man im Zusammenhang von Angstzuständen bei Tieren noch von »Neurosen«.7 In den internationalen Klassifikationssystemen taucht der Begriff heute nicht mehr auf. Und das Wort »verrückt« steht für alles Mögliche und wenig Konkretes. Wie also sollten Angstzustände bei Katzen bezeichnet werden? Ist der Begriff Psychose angemessen? Können Katzen psychotisch sein, im Sinne von »aus der Welt gefallen«, als Riss in der Verbindung mit ihrer Wirklichkeit? Meines Erachtens sind Verhaltensstörungen bei Katzen am ehesten als Beeinträchtigungen aufgrund fehlender oder fehlgeleiteter Entwicklungsprozesse zu erfassen. Diese Fehlentwicklungen lassen sich, so sie rasch erkannt werden, gut behandeln, etwa in Form einer »Beziehungs-Physiotherapie«. Die Reha für Katzen zeigt zum großen Glück aller Beteiligten fast immer erstaunlich gute Resultate.

In den Achtzigerjahren jedoch tobten ideologische, nahezu metaphysische Debatten um das Verhältnis von Mensch und Natur. Der Mensch stehe über der Natur, hieß es. Er beherrsche sie. Er sei der Herrscher über die Tiere, als Mann herrschte er über die Frauen, die Kinder, über die Schwachen. Auf diese Weise bildeten sich Aristokratien, wurden Grenzen gezogen, Religionen und Sprachen oktroyiert.

Herrschaft sollte Ordnung ins Chaos bringen, doch es war die Ordnung der Friedhöfe.

Und dann verbreitete sich das Virus, und die Welt hielt den Atem an. Produktions- und Lieferketten wurden weltweit unterbrochen, das Reisen rund um den Globus eingestellt, die Menschen in ihre Privatsphäre verbannt – und plötzlich war ganz offensichtlich, was man lange nicht wahrhaben wollte: Es gibt keine Trennung zwischen Mensch und Tier, beide sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten, der Mensch steht nicht über der Natur, sondern mittendrin. Er ist ein Lebewesen unter vielen anderen, er teilt die Welt mit den Tieren. Das Virus ist ein Produkt der menschlichen Zivilisation. Jede*r von uns wird von Millionen von Viren bevölkert, sie umgeben uns auf Schritt und Tritt, und viele davon sind nützlich, da sie an der Synthese von stimulierenden Neurotransmittern beteiligt sind und uns sogar in Hochstimmung versetzen können. Werden jedoch, um die Fleischerträge zu steigern, gigantische Viehzuchtanlagen gebaut und Pflanzen genetisch manipuliert, bilden sich in der DNA der Nutztiere bald Mutationen, die für den menschlichen Organismus gefährliche Risiken bergen. Unsere technischen Wunderwerke, die Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe, beschleunigen die Verbreitung der mutierten Varianten in alle Welt und tragen zu Millionen von Todesfällen bei.

Seit Tiere und Pflanzen vom Menschen »domestiziert« werden, kommt es zu Unfällen und Katastrophen dieser und ähnlicher Art, die nur eines verdeutlichen: Der Mensch steht nicht über der Natur, er ist ein Teil von ihr. Er ist einer von vielen, verwoben und eingebettet ins gemeinsam bewohnte Reich der Natur neben den Tieren, Pflanzen, Pilzen, dem Gestein und Gewässer. Siebzig Prozent aller Erkrankungen beim Menschen gehen auf Zoonosen zurück, sie werden vom Tier auf den Menschen übertragen. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Wenn wir Tiere schlecht behandeln, wenn wir sie krank machen und quälen, werden wir gemeinsam mit ihnen von der Bildfläche des Planeten verschwinden. Es liegt in unser aller Interesse, unsere tierischen Mitbewohner besser zu verstehen, ihnen gute Entwicklungsbedingungen zu ermöglichen, um noch viele Momente der Freude und Freundschaft mit ihnen zu teilen. Dies und mehr haben mich der seit Jahrzehnten bestehende kollegiale Austausch mit Claude Béata und die Katzen in diesem Buch gelehrt.

Boris Cyrulnikfranzösischer Neuropsychiater und Ethologe

Prolog

Da ist sie. Flach hingeduckt auf dem Teppichboden. Pechschwarz.

Ich bin ihr Gegner. Sie wirkt Furcht einflößend.

Wer sich je Auge in Auge mit einer angriffslustigen Katze befand, weiß, wovon ich rede. Mit den eng angelegten Ohren – sie versinken fast im Fell – ähnelt sie einem kleinen Samurai. Ihr Name ist First, und der intensive Blick, mit dem sie mich fixiert, verheißt nichts weniger als erbarmungslose Kampfbereitschaft. Sämtliche Muskeln sind aufs Äußerste gespannt, sie vibriert vor Kraft, jederzeit bereit zum Angriff. Ich hätte keine Chance, ihren spitzen Fangzähnen und scharfen Krallen zu entgehen. Da mir bange wird, ziehe ich mich ein wenig zurück, doch vollendete Kriegerin, die sie nun einmal ist, verändert auch sie kaum merklich ihre Position, ohne mich eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Es gibt kein Entrinnen.

Fünf Minuten früher hätte sie noch eine Berührung, womöglich sogar ein vorsichtiges Streicheln, zugelassen. Fast konnte ich ihr weiches Fell, ihren geschmeidigen Körper unter meiner ausgestreckten Hand spüren. Beinahe hätte sie sich auf diese stille Geste der Verbundenheit eingelassen – doch eine ungeschickte Bewegung meinerseits machte alles kaputt. Nun müssen wir wieder von vorne anfangen. Allerdings sieht sie in mir nun den Feind und misstraut mir. Jede noch so harmlose Geste von mir könnte für sie das Signal zum Angriff bedeuten, für den sie sich wappnet. Ich weiß, dass auch sie Angst hat. Denn obwohl ich deutlich schwerer bin als sie, und sie bringt einige Kilo auf die Waage, wäre der Ausgang unseres Zweikampfs mehr als ungewiss.

So verharrten wir also weiter Auge in Auge. Ich, der damals noch junge und unbedarfte Tierarzt, und sie, die stattliche Katzendame, die zu einer Routineuntersuchung in meine Praxis gekommen war. Sie hatte einen kurzen Moment der Unachtsamkeit genutzt, um aus der Transportbox zu türmen. Und nun wollte sie ihre Freiheit mit Zähnen und Klauen verteidigen. In ihrer wilden Entschlossenheit war sie unwiderstehlich. Ich ging in die Hocke, sprach beschwichtigend auf sie ein und gab mir größte Mühe, dabei weder Flucht- noch Angriffsreflexe auszulösen. Ich lobte ihren großen Mut und versicherte ihr, dass mich ihr unerschrockener Kampfeswille wirklich beeindrucke. Und dann erzählte ich ihr, dass ich meinen Beruf gewählt hätte, um für ihr Wohlergehen und ihre Gesundheit zu sorgen, damit sie ein schönes Leben führen könne. Ganz leicht spitzte sie die Ohren, doch ihr Blick verriet, dass ein steiniger Weg vor mir lag und ich noch einiges lernen musste, um mit ihr und ihren Artgenossen ins konstruktive Gespräch zu kommen. Ich entschuldigte mich für meine Unzulänglichkeit, doch all das schien nicht genug. Verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, war alles andere als einfach. Es dauerte noch eine geschlagene Viertelstunde, bis sich die Schöne einfangen ließ, ohne schlagkräftige Hiebe auszuteilen. Sie hatte mir eine erste Lektion erfolgreich erteilt.

Dieses Erlebnis liegt fünfunddreißig Jahre zurück, und damals habe ich ihr und mir versprochen, es in Zukunft besser zu machen. Ich bin zwar noch längst nicht am Ende meines Weges angelangt, aber mein Wissen über und meine Erfahrung mit Katzen haben sich deutlich vertieft. Neulich hatte ich einen Traum: Ich stand, wie meine Studierenden am Tag der Übergabe der Diplomurkunden, im Talar und mit Bommelhut vor einer Prüfungskommission, die nur aus Katzen bestand, darunter meine eigenen Katzen Minou, Chiquita, Al’mein Kumpel, Opium, Moustache, Flora, mit denen ich mein Leben geteilt hatte. Auch Katzen, die ich aus meiner Praxis kannte, waren mit von der Partie: etwa Nougatine, Hannibal und Nougat. Sie riefen mich aufs Podium, um mir mein Diplom als Dolmetscher der Sprache der Katzen zu überreichen, und die Vorsitzende der Kommission – es war natürlich keine andere als First, die Katzendame, der ich meine erste Lektion verdankte – sagte feierlich: »Wir Katzen, legendäre Herrschernaturen seit unvordenklichen Zeiten und nun auch Ikonen der neuen Netzwelt, werden als Gottheiten und Heilsbringer verehrt, und doch quält man uns, hängt uns auf an Scheunentoren und ächtet uns für vermeintliches Fehlverhalten. Wir fühlen uns noch immer sehr missverstanden.« Schließlich rang sie mir das Versprechen ab, endlich dieses Buch zu schreiben. »Du kannst uns helfen, das bist du uns schuldig. Erkläre den Menschen, wie einfach wir im Grunde zu verstehen sind, wenn man unser komplexes Verhalten entschlüsselt. Wir haben mehr verdient als schnöde fünfzehn Minuten Ruhm als niedlichste Wesen der Welt in den sozialen Netzwerken. Unsere Ausdrucks- und Verhaltensweisen sind vielschichtiger, und genau das ist unser wunder Punkt. Du, der seit vielen Jahrzehnten mit uns umgeht, bist der richtige Kandidat, um das Miez-Verständnis unserer Menschen zu vertiefen und unsere scheinbaren Verrücktheiten und seelischen Belastungen begreiflich zu machen. Unsere komplexe Psyche ist ebenso anpassungsfähig und gleichzeitig zerbrechlich wie die eure, und manchmal machen uns die Umstände, unter denen wir leben, schier verrückt.«

Ich habe das Versprechen eingelöst, das Ergebnis halten Sie nun in Ihren Händen. Ohne Zweifel noch immer unvollständig und lückenhaft, hoffe ich doch, mein in diesem Buch zusammengefasstes Wissen über das Verhalten von Katzen möge den schönen Kreaturen gerecht werden. Ich stelle mir vor, wie ich das seidige Fell meiner allerersten Patientin First berühren und streicheln darf, und ihr zufriedenes Schnurren macht die Unwissenheit, die bei aller Erfahrung bleibt, etwas erträglicher.

KAPITEL 1

Joker oder die Doppelnatur der Katze

»Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat.«

Victor Hugo

Wer schon einmal eine Katze beobachtet hat, wie sie ihrer Beute auflauert, um dann mit absoluter Präzision zuzuschlagen, oder erlebt hat, wie unerschrocken sie selbst riesige Hunde in die Flucht schlagen kann, oder wer einer zu allem entschlossenen Katze Auge in Auge gegenüberstand, weiß genau: Katzen sind die geborenen Kämpfer. Warum nur entscheiden wir uns immer wieder, mit diesen gefährlichen Kampfmaschinen zusammenleben zu wollen? Weil wir trotz allem wissen, dass die stolzen und unabhängigen Jägerinnen durchaus auch Bindungen eingehen können. Und diese Bindung an den Menschen ist kein Automatismus, sondern von der Katze freiwillig gewählt. Genau das macht ihren Wert für uns aus. Das Zusammenleben von Mensch und Katze entwickelte sich jedoch später als das von Mensch und Hund, und so sind Katzen ihrer ursprünglichen Natur noch näher und bringen immer ein Stück Wildheit ins Haus.

Nougat – mit bitterem Nachgeschmack

Der Tiger schlummert nur. Daran erinnerte mich die Begegnung mit dem noch sehr jungen Kater Nougat. Auch im Körper eines niedlichen Kätzchens schlummert ein Wildtier. Nougats Besitzerin Angèle hatte mich angerufen, und da sie auf den Rollstuhl angewiesen war, vereinbarten wir einen Hausbesuch. Es ist jedoch immer ein Abenteuer, eine Katze in ihrem eigenen Umfeld untersuchen zu wollen, bekommt man doch allzu oft das Tier erst gar nicht zu sehen. Während meiner Ausbildung wurde ich einmal gebeten, eine Katze zu Hause zu impfen, um ihr die Aufregung des Transports zu ersparen. »Glauben Sie mir, in ihrer gewohnten Umgebung ist sie ganz brav.« Mein Glaube hielt sich zwar in Grenzen, aber da ich mit dem Tier schon wüste Kämpfe in der Praxis erlebt hatte, ließ ich mich darauf ein. Kaum hatte ich die Klingel gedrückt, als ich ein Zischen hörte. Die Katzenhalterin öffnete und meinte entschuldigend: »Keine Ahnung, wieso, aber sie hat wohl geahnt, dass Sie es sind, und war blitzschnell da oben auf dem Schrank.« Und da war sie ziemlich sicher vor der ihr bevorstehenden Impfung. Bereit, ihre noch heile Haut mit Klauen und Zähnen zu verteidigen und uns nötigenfalls ins Gesicht zu springen, mussten wir einen neuen Termin vereinbaren, dann in meiner Praxis.

Davon berichtete ich Nougats Besitzerin, doch sie schwor Stein und Bein, der Kater würde sich nicht verstecken, ich könne ihn gar nicht übersehen. Als ich ankam, war auch Angèles Nachbarin Agnès anwesend, die oft im Haushalt half. Sie kannte Nougat, seit er da war, und ihr Urteil über ihn war vernichtend: »Ein kleiner Teufel.« Ich nahm am Esstisch Platz, um mir Notizen zu Angèles Beschreibung seines Verhaltens zu machen. Nougat sprang sofort auf meinen Schoß, dann auf den Tisch, schließlich landete er auf dem Fernseher (die waren damals noch nicht flach) und warf dabei eine Topfpflanze zu Boden. »So geht das ständig«, klagte Angèle. »Ich habe noch nie eine Katze erlebt, die sich derart ungeschickt anstellt.«

Nach heutigem Forschungsstand gilt eine solche Form der Tollpatschigkeit als Indikator für ein mögliches HsHa-Syndrom, ein Krankheitsbild, das noch nicht offiziell in der klinischen Diagnostik aufgeführt ist. HsHa steht als Kürzel für eine Hyperaktivitätsstörung. Normalerweise sind Katzen wahre Meister der Körperbeherrschung und Geschicklichkeit, selbst auf der schmalsten Kamineinfassung landen sie, ohne den Nippes umzuwerfen. Bewegt eine Katze sich derart unvorsichtig und unkoordiniert und geht ständig etwas zu Bruch, deutet dies auf mangelnde Körperbeherrschung und Impulskontrolle hin. Bei Katzen läuft die präzise Koordination der Bewegungsabläufe und des Beißreflexes automatisch ab, dazu gehört auch das kontrollierte Ausfahren der Krallen. Bei Hunden, und das ist klinisch belegt, sind Hyperaktivitätsstörungen keine Seltenheit. Und die Wahrscheinlichkeit, dass für Katzen das Gleiche gilt, ist hoch. Für eine Diagnose müssen die Form und das Gefahrenpotenzial der Fehlkoordination sehr genau betrachtet werden.

Bloß ein Tollpatsch?

Das Umwerfen von Gegenständen kann eine Form der Kommunikation sein. Viele Katzen stoßen ihren Napf um, wenn sie meinen, es sei an der Zeit, gefüttert zu werden. Allerdings gehen sie auch dabei sehr geschickt und koordiniert vor. Sie wollen uns eine Botschaft zukommen lassen: die nachdrückliche Aufforderung, ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Ein Anzeichen für eine Störung ist ein solches Verhalten zunächst nicht.Anders ist es, wenn die Katze sich durch ihr ungeschicktes Verhalten selbst gefährdet. Bei hyperaktiven Hunden erhöht sich das Unfallrisiko im häuslichen Umfeld signifikant. Auch Katzen mit HsHa-Syndrom sind stark unfallgefährdet, so etwa die »Fallschirmspringer«, die aufgrund mangelnder Körperbeherrschung vom Balkon heruntersegeln. Auch Tiere, die aus Gefräßigkeit versehentlich unverdauliche Gegenstände schlucken, gefährden sich selbst und müssen ärztlich behandelt werden. Veterinäre können solche Anomalien einordnen und adäquate Behandlungsmöglichkeiten anbieten.

Nougats Diagnose stand noch aus. Inzwischen thronte er auf dem Fernsehgerät und beobachtete mich. Als sich mein Stift beim Schreiben bewegte, kam er angeschossen wie der Blitz. Angèle warnte mich: »Passen Sie bloß auf, er wird zum Tiger, wenn er spielen will.« Voilà, da war sie wieder, die Wildtiernatur. Ich forderte seinen Spieltrieb heraus, indem ich eine Hand unter den Tisch gleiten ließ und von unten an der Platte kratzte, um dann eine Fingerkuppe über die Kante lugen zu lassen und blitzschnell zurückzuziehen. Ich imitierte also das Verhaltensschema eines Beutetiers, zum Beispiel einer kleinen Maus, die sich im Loch versteckt, aber ab und zu den Kopf herausstreckt, um zu prüfen, ob die Luft wieder rein ist. Nougat reagierte sofort. Mit ausgefahrenen Krallen stürzte er sich auf meine Hand und biss zu. Jeder Kontakt mit ihm hinterließ mehr oder weniger gravierende Blessuren. Selbst wenige Wochen alte Katzen sind normalerweise bereits in der Lage, ihre Krallen und Beißreflexe beim Spielen zu kontrollieren. Sie ahmen das Haschen nach Beute nach, ohne die Krallen auszufahren und den Spielgefährten zu verletzen. Doch der kleine Nougat verkrallte und verbiss sich in alles, was ihm unter die Pfoten kam, und dabei machte er keinerlei Unterschied zwischen Händen, Gesichtern und Gegenständen. Agnès und Angèle räumten ein, dass ihnen die Lust, mit ihm zu spielen, längst vergangen sei. So entstand ein Teufelskreis. Da keiner mit ihm spielte, musste der Kater sich selbst stimulieren und beschäftigen. Angèles vollgestellte Wohnung war so gesehen ein Paradies. Nougat fand viele Möglichkeiten, sich auf die Lauer zu legen, zu verstecken oder auf den Möbeln herumzuspringen. Er vollführte dabei auch vor meinen Augen irrwitzige Manöver: Erst sprang er in einen Karton (so weit, so normal: Katzen lieben die schützenden Wände von Kartons), dann zerrte und riss er mit ausgefahrenen Krallen an einem Geschenkband, bis es zerfetzt war, danach raste er wie angesengt in den Flur und kam dort wohl ins Schleudern, denn wir hörten erneut etwas zu Boden krachen. Sekunden später kam er ins Zimmer zurückgerannt und sprang auf meinen Schoß. Zaghaft versuchte ich, ihn zu streicheln. Zum Dank rammte er mir die Krallen seiner Hinterpfoten in die Hand und biss mich in den Finger. Gleichzeitig konnte ich aber keine Anzeichen von echter Aggressivität an ihm erkennen. Tatsächlich war für ihn alles nur ein Spiel, doch ihm fehlte jegliche Körper- und Selbstkontrolle. Um die Diagnose HsHa zu verifizieren, ahmte ich das Verhalten einer Katzenmutter nach. Dazu tippte ich mit den Fingerspitzen Nougat sanft auf seine kleine Schnauze. Wer schon einmal eine Kätzin mit ihren Welpen beobachtet hat, weiß, mit wie viel Ausdauer und Strenge sie ihre Kleinen in den ersten Wochen lehrt, die Krallen und Beißreflexe zu kontrollieren. Für eine TV-Sendung über die Entwicklung von Katzen- und Hundewelpen begleiteten wir die Nebelung-Katze Letti und ihren Wurf teils mit versteckter Kamera und wurden Zeugen, wie unermüdlich und hingebungsvoll Letti die Kätzchen zur Selbstkontrolle anhielt. Wenn ein Sprössling nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit bei der Sache war oder ausbüxen wollte, arretierte Letti ihn mit mütterlich strengem Griff für einige Sekunden zwischen ihren Vorderpfoten. Die Zurechtweisung, die auch in Form von kleinen Nasenstübern erfolgte, war zwar sanft, die Botschaft aber unmissverständlich. Die Kleinen lernten, sich still zu verhalten, bis die Mama den Griff lockerte oder das Antippen einstellte.

Doch Nougat reagierte anders. Als ich die Hand ausstreckte, um mit der Fingerkuppe sanft auf seine Schnauze zu tippen, schlug er mit grobem Tatzenhieb gegen meine Hand, bis sie blutete. Nur auf den ersten Blick wirkte diese unkontrolliert heftige Reaktion auf die Imitation mütterlicher Zurechtweisung aggressiv und böse, tatsächlich aber wollte er nur spielen.

Fehlende Impulskontrolle

»Verstehen Sie, was ich meine? So kann das nicht weitergehen. Er rast durch die Wohnung, springt überall hoch, beißt, kratzt und wird furchtbar grob, wenn man ihn berühren will. Ständig fließt Blut. Angèle sitzt im Rollstuhl, sie kann das nicht brauchen, das sehen Sie ja.« Agnès beklagte sich über Nougats »Attacken«, ich aber wollte ihnen beweisen, dass der kleine Kater lernfähig war, weshalb ich ein spezielles Verhaltenstraining vorschlug. Immer wenn er beim Spielen »grob« wurde, sollten sie die Interaktion mit ihm abbrechen, die Hände in die Luft heben und zum »Baum« erstarren, sich nicht mehr bewegen und den kleinen Grobian auch nicht ansehen. Agnès meldete sich freiwillig für eine Proberunde. Nougat turnte fröhlich auf ihr herum und biss sie dann in die Hand. Auf mein Zeichen hin verwandelte sich Agnès in einen »Baum« , hob die Hände über den Kopf und verhielt sich still. Etwas verwundert hielt auch Nougat kurz inne, um in null Komma nichts einen neuen Streich auszuhecken (Katzen sind viel einfallsreicher als Hunde), wie er Agnès aus ihrer Erstarrung »erlösen« könnte. Er zwickte sie einfach kräftig mit seinen spitzen Zähnchen in die Fessel. Agnès’ abrupte Bewegung setzte eine Kettenreaktion der Grobheiten in Gang. Das Spiel war nicht zu gewinnen. Und der aufgeweckte Stubentiger war damals noch klein und wog keine zwei Kilo.

Angesichts der Symptomatik diagnostizierte ich Nougat ein Hypersensibilitäts-Hyperaktivitätssyndrom der Stufe 2. Auch seine übermäßige Gefräßigkeit mit anschließendem Erbrechen (Bulimie) sowie die Tatsache, dass er häufig Dinge »stahl«, passten ins Bild. Er schlief kaum, war ständig in Bewegung und sprang wild in der Wohnung umher. Unser heutiges Wissen erlaubt uns eine wirksame Behandlung von hyperaktiven Katzen. Es gibt wirksame Verhaltenstherapien und Medikamente, die ein harmonisches Zusammenleben von Katze und Mensch möglich machen. Damals aber, als TV-Geräte noch tief genug waren, um Katzen als Landeplatz zu dienen, widerstrebte es mir, einer vier Monate alten Katze Psychopharmaka zu verschreiben.

Heute weiß man, dass Hyperaktivität ursächlich mit der mangelnden Regulation bestimmter Neurotransmitter, speziell Serotonin, zusammenhängt. Dies führt in frühen Entwicklungsphasen zu Störungen, denen mit der Gabe von Fluoxetin (bekannt als Prozac®) entgegengewirkt werden kann. Leider geriet das Medikament in der Vergangenheit etwas in Verruf, und offenbar kennt jeder irgendjemand, der oder die unter unerwünschten Folgen des Antidepressivums gelitten hat. Die Meinungen hierzu gehen auseinander. In der Veterinärmedizin jedenfalls wird Fluoxetin als wirksames Mittel zur verbesserten Impulskontrolle eingesetzt, und es hat – stets in Kombination mit einer Verhaltenstherapie – Zigtausenden von hyperaktiven Hunden und Katzen zu einem guten Leben verholfen. Die frühere Empfehlung, Fluoxetin keinesfalls vor dem sechsten bis achten Lebensmonat zu verabreichen, gilt heute nicht mehr. Doch was Nougat betraf, hatte ich seinerzeit noch Bedenken. Er bekam zwar eine Behandlung, doch die wirkte nicht ausreichend auf seine Selbstkontrollmechanismen. Angèle und Agnès wünschten sich ein Leben ohne unangenehme Kratz- und Bisswunden, die im Übrigen auch zu gefährlichen Entzündungen führen können. Sie gaben, wie ich später erfuhr, den Kater ab an eine Bekannte, die auf dem Land lebte. Ich kann das alles verstehen und verurteile niemanden. Aber glauben Sie mir, auch ein Leben auf dem Land macht es einer hyperaktiven Katze nicht einfacher. Ohne die Fähigkeit zur Impulskontrolle und Körperbeherrschung sind die Lebensqualität und die Überlebenschancen auch einer auf dem Land lebenden Katze eher begrenzt.

Nougats Geschichte liegt nun zehn Jahre zurück und ist mir nach wie vor eine Lehre. Ich habe viel mit Kolleginnen und Kollegen aus der Verhaltensmedizin diskutiert, und wir sind uns einig, dass ein Mindestalter bei der Gabe von Fluoxetin nicht mehr sinnvoll erscheint. Wenn sich die Diagnose HsHa erhärtet und die Umstände es erfordern, zögere ich heute nicht mehr, Fluoxetin auch vor dem vierten Lebensmonat zu verschreiben. Das Medikament erleichtert sowohl der Katze als auch ihren Halter*innen das Leben und macht es weniger gefährlich. Nougat hatte keine Schuld, seine Defizite waren begründet in einer höchst ungünstigen Mischung aus genetischer Disposition und schwierigsten Umständen in seinen ersten die Entwicklung prägenden Lebensmonaten, denn beim Erlernen von Selbstkontrolle spielt die Präsenz einer sorgenden, stabilisierenden Mutterkatze (wie Letti eine war) eine entscheidende Rolle.

Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass der wilde Urahn stets in unseren Hauskatzen schlummert. Und das hat Folgen. Auch eine weitere Mahnung sei hier gestattet: Unsere Katzen sind keine »kleinen Hunde«. Beide Tierarten sind aufgrund ihres Verhaltensrepertoires und ihrer Vorgeschichte grundverschieden.

Nougats Schicksal dauert mich immer noch. Es war mir eine bittere Lehre, die auch zeigt, wie schnell das Raubtier an die Oberfläche kommt, wenn die Psyche eines Tieres aus dem Lot gerät.

Felis 007 – die Spur führt in die Bronzezeit

Werfen wir einen Blick zurück: Zwanzigtausend Jahre nachdem Hund und Mensch zueinandergefunden hatten, beschloss ein weiterer Fleischfresser, das Leben mit uns zu teilen. Mensch und Hund waren bereits eng zusammengewachsen und pflegten eine für beide Seiten gedeihliche soziale Beziehung. Doch der neue Mitbewohner wurde mit einem klaren Auftrag eingeführt: Er kam als Killer. Das Angebot, das er nicht ausschlagen konnte, lautete: eine Bleibe am wärmenden Feuer, unsere Essensreste und die Milch unserer Kühe gegen die Eliminierung von Mäusen und Ratten, die sich regelmäßig über die Ernten hermachten. Und so trat die Katze in unser Leben, als sich ein radikaler Wandel in der Menschheitsgeschichte vollzog: Wir begannen sesshaft zu werden und den Boden zu kultivieren. Obgleich das Misstrauen auf beiden Seiten noch groß war, teilte der Mensch sein Leben nun mit einem jagdfreudigen Raubtier.

Versetzen wir uns in die Lage unserer Vorfahren in Asien, Afrika, aber auch hier in Frankreich, als wir noch in den Höhlen von Lascaux, Charvet und anderswo lebten. Damals gab es noch Säbelzahntiger, die im Übrigen viel später ausstarben, als wir lange Zeit dachten – tatsächlich erst vor etwa zehntausend Jahren. Und denken Sie an die Höhlenlöwen! Bis heute sind die Vorfahren unserer Raubkatzen der Inbegriff von tödlicher Gefahr, List und Tücke. Sie waren Einzelgänger, vorwiegend in der Dämmerung aktiv und mit sagenhaften Kräften und einer fatalen Kombination von Fangzähnen und Krallen ausgestattet, gegen die kein Beutetier eine Chance hatte. Diese atavistischen Bilder und Ängste wirken bis heute in uns nach und erklären die latente Panik, die uns beschleicht, wenn Minou oder Kitty plötzlich den inneren Tiger herauslassen.

Raubkatzen traten vor zwölf oder dreizehn Millionen Jahren auf, und die siebenunddreißig Mitglieder der Familie der Felidae sind sich noch heute sehr ähnlich. Auch Experten fällt es manchmal schwer, den Schädel eines Löwen von dem eines Tigers eindeutig zu unterscheiden. Es gibt drei Großgattungen: Panthera (alle Katzen, die brüllen können), Acinonyx, die Geparde, die als Einzige ihre Krallen nicht einziehen können, und schließlich die »Kleinkatzen« der Gattung Felis.

Kleinkatzen sind mittlerweile zum beliebtesten Haustier Europas avanciert, was allerdings nicht heißt, dass sie wirklich domestiziert wären (ein paar Rassekatzenarten ausgenommen). Domestizierung impliziert, dass Fortpflanzung und Aufzucht der Art vollständig vom Menschen abhängig ist, wodurch sich die Art morphologisch verändert und von ihren Ursprüngen als Wildtiere entfernt. In Sachen Reproduktion lassen sich die Katzenartigen jedoch trotz intensiver Bemühungen von Tierschutzorganisationen, Züchtern und Katzenhalter*innen bis heute nicht wirklich kontrollieren. Zur Frage der Reproduktion habe ich an anderer Stelle8 ausführlich Stellung genommen, daher fasse ich hier nur knapp zusammen: Massensterilisation und Kastration aller Hauskatzen ist meines Erachtens der falsche Weg, obwohl sich europäische Gesetzgeber dafür aussprechen, in Zukunft nur noch Würfe aus Züchtungen oder kastrierte Katzen aus dem Tierheim für Handel und Vermittlung zu erlauben.

Der reinste Irrsinn: Qualzucht und Hypertypen

Als Veterinär werde ich jeden Tag mit den aus einer extremen Betonung und Selektion von Besonderheiten bei Hunde- oder Katzenrassen resultierenden Defekten konfrontiert. Nach ästhetischen Kriterien hochgezüchtete »Hypertypen« stellen insofern ein Problem dar, als sie Leiden erzeugen und das Wohlergehen der Tiere ernsthaft gefährden. Auch deshalb halte ich nichts davon, die Zukunft unserer Katzen allein in die Hände von Züchtern und Zuchtverbänden zu legen. Das konkav geknautschte Gesicht der Perserkatze ist ein anatomischer Defekt, der auf Zuchtschauen prämiert wird. Die Nase der Tiere liegt tiefer als ihre Augen. Der Defekt führt zu furchtbaren, die Lebensqualität stark einschränkenden Atembeschwerden. Die Tiermedizin ist dem Wohl aller Tiere verpflichtet, doch in Rasse- und Zuchtverbänden haben wir kein Mitspracherecht, und unsere wohlbegründeten Einwände gegen die Züchtung von Hypertypen werden regelmäßig in den Wind geschlagen.  

Galinette, eine Sphynx, lebte einige Jahre in unserer Familie. Sie war verspielt, verschmust, einzigartig – eine echte Persönlichkeit. Wir haben sie sehr geliebt und nach ihrem frühen Tod viele Tränen vergossen. Doch ein normales Katzenleben konnte sie nie führen. Sie durfte wie alle unsere Katzen nach draußen, doch der Gang vor die Tür wurde für sie jedes Mal zu einer Tortur. Ihre schönen hellblauen Augen vertrugen das Sonnenlicht nicht, und ihre nackte Haut reagierte auf jeden Grashalm mit eitrigen, juckenden Pusteln. Kein Wunder also, dass sie freiwillig auf Auslauf und frische Luft verzichtete. Als geschickte Jägerin stand sie ihren felligen Artgenossen allerdings in nichts nach, wenn sie auf Beutefang ging, war sie in ihrem Element. Die Beute erlegte sie jedoch nicht in Wald und Flur, sondern am Bildschirm unseres iPad. Meine Kollegen und Kolleginnen amüsierten sich nicht schlecht, wenn ich ihnen Videoaufnahmen von Galinette zeigte, wie sie fünfzehn Minuten und länger hoch konzentriert mit »Game for Cats« per App auf Jagd ging. Zweitausend Punkte schaffte sie dabei locker.

Der Irrsinn der (Über-)Züchtung erzeugt Leiden, die Folgen für Gesundheit und Wohlergehen sind immens. Deshalb bin ich, und zum Glück viele andere Katzenfreund*innen auch, gegen eine vollständige Kontrolle der Reproduktion. Galinette war vom Tag ihrer Geburt bis zu ihrem Tod ein Opfer der Extremselektion und Qualzucht. Sie kam zu uns, weil ihr Züchter sie aufgrund einer Calicivirus-Infektion nicht verkaufen konnte. Im Alter von nur vier Jahren verstarb sie an der Katzenvariante von Morbus Charcot-Marie-Tooth, einer neurodegenerativen Muskelatrophie, die das Rückenmark schädigt und grauenvolle Schmerzen verursacht. Die Diagnose stellte ein Speziallabor im kalifornischen San Diego, und es kann nicht ausgeschlossen werden (auch wenn dies noch nicht wissenschaftlich belegt ist), dass auch diese Erkrankung eine Folge der extremen Selektion darstellt. Die Qualen der Tiere im Alltag sind ohnehin unbestritten und ursächlich auf die Überzüchtung zurückzuführen. Galinettes nackte Haut war hyperempfindlich und extrem fettend, auf ihren Ruhe- und Schlafplätzen hinterließ sie verschmutzte Textilien. Die Fettflecken bekamen wir nie wieder weg.

Doch trotz oder gerade wegen dieser Überempfindlichkeit liebten wir sie heiß und innig. Und ich glaube, dass auch sie bei uns glücklich war. Galinette war witzig, verspielt, immer auf eine Streicheleinheit aus und eine echte Persönlichkeit. Doch ihre überzüchtete Rasse kommt einem Anschlag auf die Würde der Katze gleich. Inzwischen gibt es Gesetzesinitiativen, die die Züchtung bestimmter Rassen bzw. Extremformen und -verformungen aus Gründen des Tierwohls unterbinden wollen. Bedauerlich bleibt dennoch, dass, weil der Appell an die Vernunft der Menschen offenbar nicht ausreicht, es dazu Zwang und neuer Gesetze bedarf. So werden weiterhin Grauzonen und illegale Handelswege bleiben, die das Tierwohl und den Respekt vor dem Leben leider nicht achten.

In Belgien hat der wallonische Rat 2021 ein sofortiges Zuchtverbot für vier Rassen verfügt. Das Verbot betrifft die Schottische Faltohrkatze (deren verstümmelte, nach vorn und unten gekrümmte Ohren offenbar viele Anhänger haben), die schwanzlose Manx, die Munchkin, die auf ihren verstümmelten Beinchen kaum laufen kann, und die Känguru-Katze, deren Vorderbeine extrem verkürzt, verkrümmt und verkümmert sind. Außerdem wurde eine Expertenkommission gebildet zur Klärung der Frage, ob Rassen wie Perser, Sphynx, Devon Rex und Exotic Shorthair ebenfalls eine Form von Qualzucht darstellen. Ein solcher Vorstoß auch in Frankreich hätte verhindert, dass eine im Wortsinn ab-artige Katze wie unsere blauäugige, hellhäutige, haarlose Galinette je in unser Leben tritt. Ich hätte auf die wunderbaren Jahre mit ihr verzichten können, wenn ihr dafür die alltäglichen Qualen der Überzüchtung erspart geblieben wären.

Das ist in Kurzfassung der Grund, warum ich es als unverantwortlich ansehe, die Zukunft der Katzen Züchtern und ihren Verbänden zu überlassen. Dennoch hege ich die Hoffnung, dass die »Vernarrtheit« der Menschen in ihre Katzen dazu führt, sich stärker für das Wohl von Rassekatzen zu engagieren, um den Auswüchsen und Qualen bei der Züchtung von Hypertypen ein Ende zu setzen.

Das lange Warten

Natürlich ist und bleibt es eine gute Idee, eine Katze aus dem Tierheim zu adoptieren! Auch wenn diese Tiere aus nachvollziehbaren Gründen etwas anfälliger für Verhaltensstörungen sind. Viele Tiere werden wegen Unsauberkeit oder angriffslustigem Verhalten abgegeben (auch in meiner Praxis machen beide Auffälligkeiten zusammen achtzig Prozent der Fälle aus). Darüber hinaus sind Tierheime nicht adäquat ausgestattet, um therapeutisch arbeiten zu können. Es fehlt an geschultem Personal, um Verhaltensstörungen zu erkennen und zu behandeln. Zudem verlangt auch Katzen ohne vorherige psychische Erkrankung das enge Zusammenleben in einem Tierheim sehr viel ab. Revierabgrenzung und die Möglichkeit, unterschiedliche Lebensbereiche zu markieren (siehe Kapitel 2), sind wichtige Voraussetzungen für die seelische Stabilität einer Katze, doch der begrenzte Platz im Tierheim macht dies so gut wie unmöglich.

Anzeichen von Depression

Wer ein Tierheim betritt, sieht sofort, wie viele Katzen sich einen überschaubaren Raum teilen müssen. Personal und Ehrenamtliche versichern zwar meistens, dass es selten Auseinandersetzungen zwischen den Tieren gebe, und ich kann dies nur bestätigen nach unzähligen Tierheimbesuchen. Allerdings stelle ich oft deutliche Anzeichen von Depression bei den Katzen fest. Auf den ersten Blick wirken sie ruhig und ausgeglichen, doch einem geschulten Blick kann ihr borstiges, struppiges Fell nicht entgehen – ein klarer Hinweis auf Vernachlässigung bei der Fellpflege. Der psychologische Begriff »erlernte Hilflosigkeit« umschreibt dabei ein Gefühl von Resignation und Ohnmacht. Für Hunde beschrieben Martin Seligman und Steven Maier9, auf deren leider fragwürdige Tierversuche wir hier nicht weiter eingehen wollen, dieses Symptom bereits in den 1960er-Jahren. Nichtsdestotrotz seien drei wichtige Aspekte der »erlernten Hilflosigkeit« oder Resignation kurz umrissen: 1.) fehlende Kontingenz (die Erfahrung, dass Handlungen keine Auswirkung auf die jeweilige Situation haben); 2.) Kognitionsfähigkeit (die Tiere müssen dies erkennen können); sowie 3.) eine daraus folgende Verhaltensreaktion. Wenn ein Tier (ein Lebewesen) sich in einer Situation befindet, in der sein Handeln keinerlei Auswirkungen auf die Situation hat (fehlende Kontingenz), und wenn das Tier in der Lage ist, dies zu erkennen, entwickelt es Verhaltensweisen, die sich von der Situation abkoppeln und völlig sinnlos erscheinen. Dissoziierende Verhaltensreaktionen sind etwa der Verzicht auf Fellpflege, Rückzug, Verhaltenshemmungen und gehemmt-autoaggressives Verhalten wie gesteigertes Putzverhalten. Durch die Brille der Psychopathologie sind solche auf eine Depression hindeutende Symptome leicht erkennbar. Das bedeutet aber auch, dass eine Katze aus dem Tierheim manchmal die Schwermut mit in ihr neues Zuhause mitbringt. Ob und in welchem Maß dies der Fall ist, hängt allerdings stark vom Charakter der Katze und der Dauer ihres Aufenthalts im Tierheim ab. Viele Menschen hegen die Hoffnung, dass sich das seelische Gleichgewicht in einem neuen artgerechten Umfeld rasch wieder einpendelt. Doch die Psyche der Katze ist komplex, und ganz so einfach liegen die Dinge leider nicht. Trotzdem plädiere ich dafür: Allez-y! Holen Sie eine Katze aus dem Tierheim! Seien Sie sich nur darüber im Klaren, dass die kleine Katzenpsyche vielleicht Schaden genommen hat und das Tier deshalb umso mehr Liebe und Zuwendung benötigt. Katzen mit gut ausgeprägter Resilienz blühen in einer neuen Umgebung tatsächlich auf, andere dagegen werden ihre psychischen Verletzungen leider nie mehr ganz los und können nur schwer Vertrauen fassen.

Sensibel, zurückgezogen, gehemmte Aktivität

Die Doppelnatur der Katze als Raubtier und Beute zugleich macht sie anfällig für zwei Formen von Angststörungen: Überängstlichkeit und Verhaltenshemmungen. Beides sind wichtige Schlüssel zum Verständnis von Fehlverhalten bei Katzen. Gehemmtheit hat viel mit Erstarrung zu tun, einer von drei Möglichkeiten, auf feindliche Stimuli zu reagieren. Das englische Triple-F-Schema flight, fight or freeze steht für das Verhaltensspektrum in solchen Situationen: Flucht, Kampf oder Erstarrung. Nichts davon ist per se pathologisch, im Gegenteil: um zu überleben, brauchen wir alle drei Optionen. Manchmal nimmt eine Form allerdings stark überhand und verweist als Stressindikator auf eine seelische Störung. Der Übergang von normalem zu krankhaftem Verhalten ist oft fließend und gerade bei Tieren schwer zu beurteilen. Doch drei Kriterien können als Maßstab dienen: 1.) fehlende Anpassungsfähigkeit, 2.) Unmöglichkeit spontaner Umkehrbarkeit, 3.) anhaltendes Leiden. Treten alle drei Kriterien zusammen auf, liegt der Verdacht einer Angststörung nahe. Anders ausgedrückt: Ist die Verhaltenshemmung und Auffälligkeit nicht über den Weg der natürlichen Anpassung des Tieres an seine Umgebung spontan umkehrbar, führt dies zu anhaltendem Leidensdruck und Stress, der den Alltag der Tiere beeinträchtigt.

Houdini gibt nicht auf

Viele Katzen reagieren resigniert in einer solchen Situation, doch das sollte niemand davon abhalten, ein Tier aus dem Tierheim zu holen. Manchmal liegt der Anreiz für eine Adoption sogar gerade im Wissen um ihre zerbrechliche Seele. Und auch kleine Wunder können geschehen, denn einigen Katzen gelingt es auch im Tierheim, einer Depression zu entgehen. Dabei muss ich unwillkürlich an den kleinen Houdini denken.