Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In der Welt Rakomir herrscht seit Jahrzehnten Krieg. Um diesen Krieg zu gewinnen und den mysteriösen Nizedir Crime aufzuhalten, fehlt es den übrig gebliebenen Streitkräften allerdings an Mitteln. Als der Orden der magischen Octa vom Haus der Hölle erfährt, das aus dem Nichts erschienen sein soll, sehen die Magier ihre Möglichkeit, dieser Mittel habhaft zu werden. Was für eine Rolle spielt Jin Dooza bei dem Ganzen? Was für Überraschungen hält das Haus der Hölle für die Magier bereit? Und was hat es mit den seltsamen Geschehnissen um den Anführer der Octa, Richard Cliff, auf sich? Nur eines steht fest: Fettils sehen vielleicht süß aus, aber sie sind es ganz sicher nicht!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 231
Veröffentlichungsjahr: 2023
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
INSPIRIERT DURCH EIN PEN&PAPER-ABENTEUER
Einführung
Übersicht über die wichtigen Charaktere
Vorgeschichte
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
(Oder auch: „Das kleine Junker – Einmaleins“)
Liebe Leserin, lieber Leser,
Ihr werdet in eine magische, vielleicht schon klischeehafte Welt, genannt „Rakomir“, eintauchen, in eine Welt voll unterschiedlichster Wesen, Pflanzen und Absonderlichkeiten jeder Art. Magier und Götter bestimmen das Weltgeschehen, wobei die Götter für gewöhnlich bloß über ihre Diener handeln und aus dem Verborgenen heraus agieren. Sie sind, könnte man sagen, die Fädenzieher.
Die Magier beherrschen in der Regel eines von acht astralen Elementen und sind von aller Welt hoch angesehen. Manche unter ihnen werden Junker genannt und reisen durch das Land auf der Suche nach Monstern und magischen Artefakten. Die Junker haben geschworen, das Reich vor den Wesen der Finsternis zu beschützen und ihre Eigenarten zu erforschen – entsprechend hoch fällt ihre Reputation aus.
Eine Mehrheit der Monster ist von ärmlichem Verstand und in erster Linie auf Mord und Fortpflanzung aus, sodass Junker auch ungehindert auf Jagd gehen können, ohne irgendeine Anklage zu fürchten, soweit die Annahme der Allgemeinheit.
Doch was springt für den Monsterjäger dabei raus? Nun, das ist ganz einfach. Sobald ein Monster stirbt, tritt einer der beiden folgenden Fälle ein: Entweder fährt die Seele des Monsters an einen Ort, der „das Haus der Hölle“ genannt wird, oder sie manifestiert sich in einem Gegenstand und erscheint neben oder an Stelle der erlegten Bestie. Hierbei können die merkwürdigsten Dinge erscheinen: von leeren Gläsern Marmelade bis hin zu mörderischen Schwertern! Artefakte dieser Art sind selten und begehrt. Und sie sind machtvoll …
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen! Falls man die acht Octamagier, die man im Folgenden kennenlernen wird, nochmal genauer unter die Lupe nehmen möchte, dann kann man das im letzten Kapitel dieses Buches tun (Achtung, Spoiler-warnung ist gegeben)! Auch eine Landkarte findet sich dort.
In der Hoffnung, dass Euch das Buch gefallen wird, LAGUZ GEBO!
~Klaus M. Müller-Hoberg
Ordensmagier der Octa ersten Ranges
Richard Cliff: Ordensleiter, Leeremagier
Arnt Cliff: Naturmagier
El Artren: Lichtmagier
Erea Haruki: Finsternismagierin
Darvon Dorian: Windmagier
Ariagon Carduin: Erdmagier
Adria Baldar: Wassermagierin
Rebecka Faris: Feuermagierin
Ordensmagier der Octa zweiten Ranges
Meister Älos: Windmagier
Will Gray: Windmagier (Schüler)
Ritter des dunklen Bundes: Ritterorden, der vom bösen Herrscher Nizedir Crime in die Welt berufen wurde
Simba Sarios: Fürst Ny-Azh-Naduurs
Jin Dooza: Königin der Eulen, Finsternismagierin Iro: Schmied
„Früher als gedacht“, ärgert sich Iro, als einige Männer in schwarzen Rüstungen und mit Schwertern in seine Schmiede stürmen. Iros kastanienfarbenes Haar klebt an der schweißnassen Stirn. Er trägt bloß eine kurze und verschlissene Hose, die Lederschürze hat er vor Stunden schon über den Schemel in der anderen Ecke des Raumes geschmissen.
Die Glut strahlt fast weiß, lässt die Umgebung flirren und verströmt eine stickige Luft. Die Männer in den schwarzen Rüstungen müssen husten – Sie sind diese Trockenheit nicht gewohnt.
„Welch Drachenschlund einer Esse!“, klagt einer, dessen Mund Wüste geworden ist.
„Ist Euch ein Mann namens Iro bekannt?“, fragt ein anderer schwer atmend.
Der Gefragte legt seinen Hammer auf den Amboss, wendet sich von der Esse ab und spricht zu den Männern, das glühende Schwert noch in Händen haltend: „Wer will das wissen?“
„Kein Grund zur Sorge“, sagt der bärtige Mann, der ihm am nächsten steht. „Komm mit uns und du wirst nicht verletzt.“
Iro wirft einen genaueren Blick auf die schwarzen Rüstungen der Männer. Nie zuvor hat er Rüstungen wie diese gesehen.
„Was läuft hier?“, fragt er.
„Ihr dürft entscheiden: Die leichte oder die harte Tour“, droht der am grimmigsten dreinblickende unter ihnen.
„Ruhig Blut, Fred. Er wird uns folgen, dann passiert ihm auch nichts“, sagt der Bärtige. „Richtig, Iro?“
„Ich habe nichts verbrochen“, entgegnet Iro.
„Habwn wa nift bewhaupt“, nuschelt der, der zuerst sprach (und aufgrund mangelnder Spucke kaum noch zu verstehen ist). Er holt mit seiner Faust nach Iro aus. Die Faust trifft auf Iros massige Brust, drapiert sie quasi. Unbeeindruckt spießt Iro den Angreifer auf. Die glühende Spitze bohrt sich durch den Bauch und durchstößt die Rückenplatte.
„Auf ihn!“, brüllt der Bärtige, fällt zurück und lässt seine Schar die Arbeit verrichten: Die Eindringlinge stürmen auf Iro zu. Den ersten befördert er mit einem Fußtritt in die Esse. Die Haare des Angreifers sind in Sekundenschnelle verpufft. Er zieht seinen qualmenden Kopf schreiend aus der Glut. Mit Ruß in den Augen kämpft es sich nicht gut: Er stürmt durch die Tür, Hauptsache raus aus dem eruptiven Habitat.
Mit dem nächsten liefert sich Iro einen heftigen Schlagabtausch. Funken sprühen, als Iros glühende Klinge auf die des Angreifers trifft. Jedoch hat sich währenddessen ein dritter von hinten angeschlichen: Er schlägt mit der Kohleschaufel wuchtig auf Iros Hinterkopf ein. Iro sieht Sterne und dreht sich benommen um … aber noch steht er! Mit aller Kraft holt er mit seinem glühenden Schwert nach der Hand des Schaufelführers aus und trennt diese vom Rest des Arms.
„AARGH! Bei Wizzle!“
Erst der vierte versetzt Iro mit einem Schwertknaufhieb gegen die Schläfe ins Schlummerland.
„Nehmen wir ihn mit.“
Zwei der Männer fesseln Iro und ziehen ihn raus auf die Straße.
„Wo wurde sie das letzte Mal gesehen?“, fragt der bärtige Mann einen seiner Gefolgsleute. Er verbindet gerade seinen Armstummel.
„Jin Dooza, Kommandant Boris? Sie nutzt die Wälder, um sich zu verstecken. Zuletzt wurde sie gestern in den südlichen Wäldern, nahe Burg Rabensangs gesichtet, Komman… verflucht! Bring mir mal einer etwas Rum! Und Eis für meine Hand! Ich will sie mir wieder annähen lassen!“, entgegnet der Mann. Boris kratzt sich am Kinn.
„In welche Richtung war sie unterwegs?“, fragt er in die Runde.
„Süden“, sagt einer der anderen Männer. Da klart der Blick des Kommandanten auf.
„Sie will nach Lignum … ja, natürlich! Ihr beiden, sattelt die Pferde. Ihr kommt mit mir, wir werden sie abfangen. Ihr anderen, sucht in den Wäldern! Findet ihre Spuren! Den Schmied nehme ich mit. Bindet ihn an eines der Pferde!“, befiehlt der bärtige Boris aufgeregt. Dann teilt sich die Gruppe: Boris reitet Richtung Süden, begleitet von Fred und einem weiteren Mann namens Kevin. Die anderen begeben sich auf Spurensuche.
Nach einem halbtägigen Ritt sind sie an den Rand des Waldes gelangt. Sie steigen von den Pferden und binden sie an drei Eichen fest. Dann entzünden sie ein Feuer und rollen den nächstbesten Baumstamm heran, um sich daraufzusetzen.
„Ich hab‘ gehört, sie soll die Magie der Finsternis meisterlich beherrschen!“ Fred durchbricht die Stille, die beim Warten am Lagerfeuer entstanden ist.
„Alle anderen Pfade dieses Waldes werden schmaler und enden schließlich. Ich kenne diesen Wald wie meine Westentasche. Jin Dooza wird hier langkommen müssen. Ich bin mir sicher!“, überlegt Boris laut und stochert mit einem Zweig im Lagerfeuer.
„Finsternismagie?“, fragt Kevin und übergeht Boris‘ Überlegungen. „Ich habe gehört, sie soll die erste Schülerin des Gottes Wizzle höchstpersönlich gewesen sein!“
„Das ist doch Quatsch“, befindet Boris und nimmt einen Schluck Met aus seinem Trinkschlauch. „So etwas wie Götter gibt es nicht und Jin Dooza ist nichts weiter, als eine gewöhnliche Magierin.“
Die Männer ignorieren ihren bärtigen Befehlshaber, der sich nun auf den Rücken legt und die aufziehenden Sterne beobachtet.
„Man sagt auch, sie soll sich in eine riesige weiße Eule verwandeln können“, erzählt Kevin. Wie zum Abheben bereit, breitet er die Arme aus.
„Und nicht nur das, als Mensch soll sie sehr attraktiv sein!“, flüstert Fred.
„Wirklich?“
„Wenn ich es doch sage! Aber sie ist eine Rose … Hinter der Schönheit versteckt sich eine kämpferische Natur!“
Beide lachen und stoßen die Köpfe aneinander. Ein Brauch, der sich einbürgerte, nachdem sie bei einem Kopfnuss-Duell so lange die Köpfe gegeneinandergeschlagen hatten, dass sie gleichzeitig ohnmächtig von ihren Stühlen kippten. Man kann weder behaupten, dass die Schankmaid, die es zu beeindrucken galt, beeindruckt war, noch, dass sie daraus gelernt hätten.
„Na dann gut, dass wir die Besten sind“, grummelt Boris und schließt die Augen, um etwas Schlaf zu finden. Das Sternbild des Feuerdrachen verschwindet schon im Osten, als ein knackendes Geräusch im Dunkeln des Waldes ertönt …
Einer der Männer schreckt aus dem Schlaf: „Was war das?“
„Sie“, sagt Boris, springt auf und bindet Iro vom Pferd, der mittlerweile zu sich gekommen ist. Ihm brummt der Schädel. Kommandant Boris wirft ihn auf die Knie und hält ihm ein Schwert an den Hals.
„Ihr verdammten Hunde! Wehe ihr krümmt Jin auch nur ein Haar!“, brüllt Iro.
„Wir werden sehen … es kommt ganz darauf an, ob deine Freundin das tut, was wir wollen“, erklärt Boris. Er kneift die Augen zusammen, um etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
„Tötet ihn“, sagt Boris, ohne dass sich irgendein Grund dafür erkennen ließe. Er tritt zurück, sodass Fred ungehindert – wenn auch irritiert dreinblickend – sein Schwert ziehen und damit nach Iros Kopf ausholen kann.
Dann hört man eine wutverzerrte Stimme aus dem Dunkeln des Waldes ertönen: „Lasst ihn gehen!“
Boris lacht: „Du bist weicher als ich dachte … Jin Dooza.“
Eine Frau mit schwarzem Haar tritt aus dem Gebüsch hervor. Das Lagerfeuer wirft etwas Licht auf sie. Ein violetter Schimmer ihres Haares ist auszumachen: Wie ein Sonnenuntergang, der von der Nacht fast gänzlich verschlungen wurde. Auch ihre grünschwarzen Augen sind sehr einnehmend. Bloß die Kleider, die sie am Leib trägt, sind dreckig und eingerissen. Sie atmet schwer.
„Jin? Was ist passiert? Was machst du hier?“, fragt Iro.
„Sagte ich ja!“, meint Kevin. „Sie sieht echt bombig aus!“
„Pscht! Haltet jetzt die Schnauze!“, befiehlt Kommandant Boris und widmet sich wieder Jin Dooza.
„Das tun wir, doch dafür musst du uns eine Kleinigkeit geben.“
„Niemals!“
Doch ihre Hände zittern und ihr Blick zuckt zwischen Boris, Fred und Iro hin und her. Boris kann sich das breite Grinsen nicht verkneifen. Er befiehlt Fred mit einem Händewedeln beiseite zu treten. Dann schneidet er mit dem Schwert langsam an Iros Hals entlang, sodass etwas Blut hervortritt. Jin weicht einen Schritt zurück.
„Gib sie ihm nicht, gib sie ihm nicht!“, ruft Iro verzweifelt.
„Wenn du sie uns nicht gibst“, sagt Kommandant Boris und seine Augen weiten sich, „dann stirbt er.“
„Mein Leben ist es wert! Die Schriftrolle muss beschützt werden, das hast du mir doch immer gesagt, Jin!“, ermahnt Iro sie. Jin schließt die Augen und legt die Stirn in Falten. Dann greift sie unter ihren Mantel.
Sie zögert einen Moment. Ihr ganzer Körper steht unter Spannung. Ein Schweißtropfen läuft über ihre Stirn. Ihr Herz rast. Sie spürt das Pochen in jeder Faser ihres Körpers.
Schließlich löst sich die Spannung wie ein Knoten, der immer da war und nun reißt. Ein Gebot, das nie gebrochen wurde – bis jetzt. Sie holt eine Schriftrolle hervor.
„Hier ist sie, die Raelka-Schriftrolle“, sagt Jin. „Woher weiß ich, dass ihr ihn gehen lasst, wenn ich euch die Schriftrolle gebe?“
„Welche Wahl hast du denn?“, fragt der Kommandant mit hochgezogener Augenbraue. Kurz herrscht Stille und Jin Dooza blickt einem Ritter nach dem anderen tief in die Augen.
„Diese“, erwidert sie und streckt die Hand aus. Auf der Stelle färben sich die Augen der Männer schwarz und sie erblinden, wenn auch nur für die kurze Dauer dieses Zaubers.
„Verfluchte Höllenbrut!“, brüllt Boris und schlägt um sich, wobei er Iro im Gesicht erwischt. Der junge Schmied kippt um und landet mit dem Kopf im Matsch.
„Das habt ihr davon, wenn ihr Jin Dooza auflauert!“,
belehrt Jin die Ritter und kommt zu Iro gelaufen, nun, da sie glaubt, der Feind wäre abgelenkt. „Iro, geht es dir gut?“
Sie kniet neben ihm nieder und hilft ihm auf.
„Jin, Vorsicht!“, ruft Iro, als er seinen Blick hebt. Doch die Warnung kommt zu spät. Die Männer, die Jin Doozas Spuren verfolgen sollten, stürzen sich auf sie und legen ihr magiefeste Vollhandschellen an. Jins Zauber verfliegt noch in dem Moment, in dem sich die Handschellen um ihre Hände schließen. Die Schriftrolle fällt zu Boden.
„Reichlich spät, ich dachte schon, ihr kämt gar nicht mehr!“, fährt der bärtige Boris die Männer an.
„Ihr sagtet, dass ihr ihn freilassen würdet!“, klagt Jin.
Boris, der nun sein Augenlicht zurückerlangt hat, nähert sich Jin mit einem neuerlichen Grinsen und hebt die Schriftrolle auf.
„Aber nie wann und wo …“, erwidert er. Die anderen Ritter werfen Jin zu Boden und treten solange auf sie ein, bis sie bewusstlos ist.
„Nein, Jin!“, ruft Iro verzweifelt und versucht mit aller Kraft, sich aus den Fesseln zu befreien. Vergeblich.
„Lasst sie in Frieden!“
„Und du, du wirst unser Druckmittel bleiben!“, sagt Kevin und grinst blöd.
„Damit werdet ihr nicht durchkommen! Ihr handelt gegen den Willen des Gottes Wizzle!“, entgegnet Iro.
„Ihr Fanatiker, es gibt keine Götter. Es gibt nur Stärke und Schwäche“, sagt Boris und wendet Iro den Rücken zu.
„Was machen wir jetzt mit ihnen?“, fragt Kevin den Kommandanten.
„Wir bringen sie nach Azbalon … er wird sich ihrer annehmen!“, beschließt Boris und lacht heimtückisch.
30 Jahre später
Ich für meinen Teil glaube, dass man von einem Ort eine viel bessere Vorstellung gewinnt, wenn man nicht bloß von ihm selbst berichtet, sondern ihn durch die Umgebung Form annehmen lässt. So wachsen nördlich von Calabra prächtige Wälder, die Credo-Wälder, an deren östlichen Grenzen in der Nähe des Flusses Lenuel die Stadt Ny-Azh-Naduur liegt. Südlich von Calabra tobt das rastlose Westmeer, hinter dem sich, nach vielen Dutzend Meilen erst, das gebirgige Festland fortsetzt. Calabra selbst liegt an einer äußerst engen Meerpassage, auch der Pass von Calabra genannt, dem bereits viele Handelsschiffe zum Opfer fielen. Um über die See nach Calabra zu gelangen, benötigt man eine mehr als fähige Mannschaft und detaillierte Karten, insbesondere aufgrund des gigantischen Strudels, dessen Strömung bereits an der Küste im knietiefen Wasser spürbar wird. Somit ist es ratsam, die Passage zu meiden. Außerdem liegt Calabra recht abgelegen im Nord-Westen Rakomirs und der Weg über Land ist gefährlich.
Früher war Calabra eine Stadt, die vom Handel mit anderen Städten lebte, auch wenn das schwer zu glauben ist. Das war vor dem Erscheinen des Strudels und auch vor dem Erdbeben, das Netrak teilte ... Wie lange diese Zeit bereits zurückliegt! Wegelagerer, die für wenige Silberstücke auch schon mal das Messer zücken, sind seit einigen Jahren keine Seltenheit mehr.
Daran ist Calabra verkommen und zu einer Stadt voll zwielichtiger Gestalten geworden. Alleine der Orden der magischen Octa residiert unbeirrt weiter in der Stadt und hält diese am Leben. Dieser Orden setzt sich zusammen aus mehreren Magiern. Acht von ihnen bilden den inneren Zirkel, die Magier ersten Ranges.
Ein jeder der Magier ersten Ranges besitzt eine andere Ausprägung der Magie und hat diese studiert. Jedoch sind die meisten Mitglieder derzeit noch sehr jung und unerfahren und der Orden ist klein.
Die untergehende Sonne scheint durch das große, runde und bunt verzierte Fenster des Ordensgebäudes. Sie lässt den Saal, in dem sich die acht Ordensmitglieder des inneren Zirkels an einem großen runden Tisch versammelt haben, in vielen bunten Flecken erstrahlen.
Die Tafel ist aus massiver Eiche und mit acht Kelchen gedeckt, die in gleichen Abständen auf dieser stehen. In der Mitte ragen drei mächtige Kerzen, die unterschiedlich weit heruntergebrannt sind, in die Höhe.
Der Mann, der in der Leere sitzt, legt seine flache rechte Hand auf seine linke Brust. Die anderen tun es ihm nach. „Hiermit erkläre ich die Zweitausenddreihundertsechsundfünfzigste Ratssitzung des Ordens der magischen Octa für eröffnet“, sagt er und nimmt die Hand wieder herunter. Erneut folgen die anderen seinem Beispiel. Der Name dieses Magiers ist Richard Cliff. Er ist der Kopf der Octamagier. Die hellgrauen Augen wirken etwas leblos, sein weißes Haar leuchtet hingegen geradezu. Es sitzt zerzaust auf einem kantigen, aber gutaussehenden Gesicht. Seine durchaus absonderliches Aussehen rührt von den starken astralen Kräften her. Unter einem langen Rauledermantel mit vielen Taschen trägt er einen breiten Ledergürtel, an dem ein Langschwert aus Kristall in einer Scheide an seiner linken Hüfte ruht. Eine der zwanzig legendären Waffen.
„Weswegen genau haben wir uns heute hier versammelt?“, fragt Ariagon Carduin. Er sitzt auf einem Stuhl aus kantig geschlagenem Marmorgestein.
Seine braunen Haare sind schulterlang geschnitten und einige Strähnen hängen vor seinem Gesicht, die er ab und an mit der Hand aus diesem wegzuwischen pflegt.
Man muss dazu sagen, dass er riesige Hände hat, Pranken im Grunde. Ariagon ist nicht bloß groß, sondern auch sehr gut gebaut. Er trägt eine Rüstung, etwas eingedellt und nicht großartig verziert.
„Es geht um eine alte Legende, nein, es ist vielmehr eine Erzählung, der kaum Glauben zu schenken war.
Neulich jedoch kam ein Bote aus Ny-Azh-Naduur. Er ist zwei Tage und zwei Nächte fast pausenlos geritten und hat sein Pferd an den Rand des Todes geführt, um uns die Nachricht zu überbringen“, antwortet Richard Cliff.
„Wie lautet sie?“, fragt El Artren, der auf einem Thron aus leuchtendem Kristall sitzt. Er ist ein Halbalb vom Volke der Lichtalben. Ein Volk, das im Nordosten des Landes Rakomirs haust, versteckt in den Wäldern und vor der Welt. Seine Haare sind lang und blond. Er trägt einen weißen Mantel, der von goldgelben, geschwungenen Streifen durchzogen ist.
Der Magier, der in einem Stuhl aus Zweigen und Lianen sitzt, erhebt sich.
„Arnt?“, fragt El Artren den Magier, der sich gerade erhoben hat. Der ganze Name ist Arnt Cliff. Braunes, kräftiges Haar fällt in Locken über seine Schultern und grüne Augen lächeln in die Runde. Wie sein Bruder Richard trägt er einen langen Rauledermantel mit vielen Taschen. Auch er besitzt eine der sagenumwobenen legendären Waffen, den knöchernen Kampfstab.
„Die Erzählungen haben sich als Wahrheit entpuppt. Es existiert … das schwarze Haus“, eröffnet ihnen Arnt Cliff und stützt sich mit beiden Händen auf der Tischkante ab.
Die Ordensmitglieder schweigen. Sie hatten es insgeheim gewusst, ansonsten gäbe es in der verbotenen Abteilung ihrer Bibliothek keine Aufzeichnungen darüber.
„Es ist ein Haus des Grauens“, sagt Arnt.
„Ein Haus des Verderbens“, ergänzt El Artren.
„Das schwarze Haus …“, fügt Ariagon Carduin hinzu.
„Das Haus der Hölle“, vollendet Richard.
„Woher wissen wir, dass die Informationen vertrauenswürdig sind?“, merkt Rebecka Faris an. Sie sitzt in Flammen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Ihr Stuhl brennt! Ihre langen, roten Haare reichen ihr bis zur Hüfte und feuerrote Augen scheinen einen alleine mit dem Blick verbrennen zu können. Auch hier erklärt die starke Magie in den Adern der Familie Faris das Rot in ihren Augen. Über die Nase und Wangenknochen verteilt sind ein paar klitzekleine Sommersprossen zu erkennen. Unter ihren Haaren trägt sie ein rot-orangenes Stirnband. Die rot-orange-braun gefärbte Tunika ist mit Fuchsfell gefüttert, ein sehr seltenes und teures Gewand, das für Reisen gut geeignet ist und ebenso eine erstaunliche Bewegungsfreiheit im Kampf gewährleistet.
„Der Brief, den der Bote überbracht hat, trug das Siegel der Stadt Ny-Azh-Naduur“, antwortet Richard.
„Erreichte er uns ungeöffnet?“, fragt Rebecka. Richard nickt.
„Können wir den Brief sehen?“, fragt Adria Baldar. Ihr Stuhl besteht aus Wasser. Fragt mich nicht, wie man darauf sitzen kann. Adria trägt einen blaugrauen langen Mantel. Ihre Haare sind blond und reichen ihr bis zu den Ellbogen. Sie hat helle, seidenweiche Haut. Ihre Augen schimmern hellblau.
Richard verlässt kurz den Raum durch ein Holztor, das vermutlich in sein Arbeitszimmer führt. Als er zurückkommt, hält er einen beigefarbenen Umschlag mit einem roten, gebrochenen Siegel in Händen.
„Ich habe ihn vor einer Woche erhalten“, sagt Richard, „dies ist der Grund, weshalb ich euch allen eine Gedankenbotschaft zukommen ließ: Um zu besprechen, was unser nächster Schritt sein wird.“
Richard reicht Rebecka den Brief. Sie faltet ihn auseinander und liest.
„Es erschien ein Haus … mitten auf dem Weg, nahe der Minen …“, murmelt sie beim Lesen. Dann hält sie kurz inne. „Hört euch das mal bitte an: ein Haus aus schwarzem Holz. Die Fenster und Türen gehen von selber auf und zu und manchmal sieht man … Dinge durch die Luft fliegen? Mir sagt das irgendwie nicht zu.“
„Das muss es sein. Nur der Teil mit den Minen gefällt mir nicht“, befindet Darvon Dorian. Er fliegt/ hockt im Schneidersitz auf einem Windzug, wie man es eben nennen will. Er trägt ein weißes Hemd und hat einen wohlgenährten Bauch. Dieser Umstand und der, dass er durchaus behaart ist, bloß eben nicht am Kopf, lassen ihn deutlich älter erscheinen, als er eigentlich ist.
„Es ist das Haus, keine Frage. Alle Indizien deuten darauf hin“, sagt Rebecka und stützt ihr Kinn auf dem Handballen ab. „Außerdem scheint einiges mit den Schriftrollen der Bibliothek übereinzustimmen. Der Punkt mit den Minen bereitet mir jedoch auch Sorgen.
Keiner, der bei klarem Verstand ist, würde sich dort hinwagen.“
„Aber in das Haus schon? Wir dürfen nicht länger warten, ansonsten wechselt das Haus den Ort.
Außerdem werden sich die Trolle und Orks aus den Minen auch nicht nah an das Haus heranwagen. Keine Ahnung, was es da noch zu besprechen gibt. Los geht’s!“, verkündet Erea feurig. Sie war bis jetzt still, hat zugehört und sich unterdes die Nägel schwarz lackiert. Ihr schwarzer Umhang scheint mit der violettschwarzen Aura des Throns, in dem sie sitzt, zu verschmelzen. Sie trägt hohe schwarze Lederstiefel.
Schwarze, glatte Haare reichen ihr bis zu den Schultern.
„Ich vermute auch, dass die Orks und die Trolle das geringere Problem darstellen. Wenn wir uns nicht beeilen, geschieht es, wie es in den Schriftrollen der Bibliothek steht“, erklärt Darvon Dorian. „Das Haus erscheint und verschwindet nach Belieben.“
„Ich bin Ereas und Darvons Meinung, wir sollten keine Zeit verlieren!“, stimmt Arnt zu. Doch manche schauen weniger begeistert drein.
„Ich möchte euch nur nochmal daran erinnern, wovon wir hier reden. Es ist das Haus der Hölle. Niemand, der dort hinein ging, kam je lebendig wieder raus.
Ausgenommen weniger Erzmagier oder Paladine des abtrünnigen Zeitalters!“, merkt Ariagon Carduin an.
„Vielleicht sollten wir unsere Zeit dem eigentlichen Kampf gegen die Ritter des dunklen Bundes widmen und keinen Fantasien hinterherjagen an einem Ort, aus dem wir höchstwahrscheinlich nicht mehr lebend rauskommen!“
„Fantasien?“, wiederholt Arnt Cliff und schüttelt den Kopf. „Unser Orden besitzt drei der wenigen legendären Artefakte, deren Aufenthalt noch bekannt ist. Es gibt zwanzig, von denen die meisten bereits seit mehreren Jahrhunderten als verschollen gelten. Jetzt rückt ein weiteres, vielleicht sogar mehrere in greifbare Nähe! Viele dieser Artefakte werden im Haus der Hölle vermutet. Wir müssen die Gelegenheit doch ergreifen!“
„Ich bewundere deine Tapferkeit Bruder, aber Ariagons Bedenken sind nicht unbegründet. Wir könnten Glück haben und es mit unseren legendären Waffen alle unbeschadet hinausschaffen. Wir könnten aber genauso gut alle sterben. Wie nah diese Möglichkeiten beieinander liegen, ist beängstigend.“
„Wir sollten es uns wenigstens ansehen. Ich muss sowieso etwas abspecken“, überlegt Darvon laut, lacht und massiert sich seinen Bauch. Dann hält er inne.
„Ich bin für eine Abstimmung“, befindet er.
„Gut“, sagt Richard, „wer ist dafür zu gehen?“
Arnt, Darvon und Erea heben die Hände. Rebecka zögert, zeigt dann jedoch auch auf.
„Und wer ist dagegen?“, fragt Richard.
El Artren, Ariagon und Adria melden sich.
„Dann steht unser Entschluss …“
„Moment“, sagt El Artren zu Richard, „was ist mit dir?
Deine Stimme zählt doppelt.“
Richard blickt ratlos und in Gedanken versunken in die Tiefen seines Kelches.
„Die Artefakte und Waffen, die wir dort bekommen könnten, wären von unschätzbarem Wert für den Widerstand.“ Er klopft rhythmisch mit den Fingerspitzen auf der Tafel.
„Genau“, sagt Erea Haruki und blickt ernst über den Tisch in Richards Richtung.
„Jedoch bin ich der Ordensführer und als solcher muss ich die Entscheidung treffen, die für mein Volk am besten ist. Das schließt euch mit ein.“
„Richard, sei kein Narr!“, fällt ihm Arnt in die Rede, „wir riskieren und riskierten oft unser Leben in jedem Kampf, den wir kämpften, in jeder Schlacht, die wir schlugen. Wir alle haben bereits viele Gegner bezwungen und dennoch stehen wir hier vor dir. Als Anführer muss man auch Risiken eingehen und ab und zu etwas opfern für das Wohl der höheren Sache.“
El Artren entgegnet: „Es wäre dumm, dort hineinzugehen und unsere besten Magier mit ihren legendären Waffen zu verlieren.“
„Ja, wenn man stirbt, aber keiner von uns wird sterben.
Wir finden das Haus, suchen ein Monster, das eine legendäre Waffe hinterlässt, und gehen durch das Portal einfach wieder hinaus“, argumentiert Arnt und verschränkt die Arme.
„Einfach? Sei nicht töricht, nichts daran ist einfach!
Woher willst du wissen, dass …“, setzt Ariagon an, wird jedoch von Richard unterbrochen, der sich erhebt.
„Gebt mir bis morgen Zeit. Ich teile euch dann meinen Entschluss mit. Falls ich zustimme, brechen wir noch am selben Morgen auf. Packt zur Sicherheit schon mal eure Sachen“, sagt er.
„Richard …“, setzt Ariagon an.
Dieser hebt jedoch seine rechte Hand und legt sie auf seine linke Brust. Die anderen tun es ihm nach.
„Hiermit beende ich die Ratssitzung des Ordens.“
Er blickt einmal in die Runde und stellt bedauernd fest, dass sich unterschiedliche Reaktionen in den Gesichtern seiner Kameraden abzeichnen. Er will seinen Stuhl beiseiteschieben, entsinnt sich dann, dass er in der Leere saß, und geht in das Zimmer, in dem er vorhin verschwand, um den Brief zu holen. Die anderen bleiben noch eine Zeit lang an der Tafel sitzen.
„Oh man“, stöhnt Richard zu sich selbst, als er die Türe seines Arbeitszimmers hinter sich geschlossen hat. „Nie sind sie einer Meinung …“
Er setzt sich an seinen Schreibtisch, auf dem allerhand Schriftrollen, Tintenfässer und Wachsflecken vorzufinden sind.
„Und wieder liegt die Entscheidung bei mir.“
Während unsere Gruppe von Magiern sich im Ordensgebäude Calabras bespricht, befindet sich der Adel in Ny-Azh-Naduur, nordöstlich von Calabra, in hellster Aufregung.
Der Thronsaal wird von vielen Fackeln erleuchtet. Auf einer Estrade steht der Thron, hinter dem große blaue Banner mit dem Wappen der Stadt, ein Burgturm mit einem Horn und einem Schwert davor, an der Wand hängen.
„Wieso wurde ich erst so spät davon in Kenntnis gesetzt?“, tobt Fürst Sarios. „Mir hätte man sofort Bescheid geben müssen! Doch stattdessen berichtest du mir acht Tage später, dass du einen Boten zu dem Orden der Octa geschickt hast? Sprich, wie rechtfertigst du dich, Älos?“
Ein älterer Mann mit einem langen weißen Bart und ebenso langen und weißen Haaren auf dem Kopf räuspert sich. Er trägt einen braunen Umhang und stützt sich auf einen knorrigen Ast.
„Ich hielt es nicht für falsch, Euch Bescheid zu geben, Eure Hoheit. Jedoch hielt ich es für richtig, den Orden ebenfalls zu informieren. Immerhin gehören wir demselben Widerstand an“, erklärt Älos.
„Wir gehören demselben Widerstand an, das heißt nicht, dass wir freiwillig zusammen kämpfen! Wir haben dieselben Feinde, mehr nicht. Außerdem bist du meiner Frage ausgewichen, wieso hast du mir so etwas verheimlicht?“
„Ich … nun, ähm … ich wollte überdenken, wie und wann ich es Euch mitteile, da Ihr doch momentan mit allerlei Dingen beschäftigt seid. Ich dachte, ich übernehme einen Teil der Last, die auf euren Schultern liegt, damit Eure Hoheit sich auf das Wesentliche und Relevante konzentrieren kann!“, antwortet Älos.
„Du warst mir immer ein guter Berater, Älos. In letzter Zeit hast du mich jedoch enttäuscht. Wir dürfen uns Gelegenheiten dieser Art nicht vom Orden der magischen Octa vor der Nase wegschnappen lassen. Ich will dich morgen in aller Frühe wieder hier sehen.“
Sarios stützt sich mit den Ellbogen auf den Armlehnen des Throns ab und legt sein Kinn auf den Handrücken.
Er betrachtet Älos mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Geh nun bitte in dein Gemach.“
„Wie Ihr befiehlt“, reagiert Älos. Er dreht sich auf der Stelle und verlässt den Saal. Hinter ihm schließen zwei Wachen die Türen.
„Verflucht!“, flüstert Älos und rennt los, sobald er in den nächsten Flur abgebogen ist. Er hüpft eine steinerne Wendeltreppe hinunter. Mondlicht scheint durch die hohen Fenster des Treppenhauses und verwandelt die kahlen grauen Stufen in weißen Marmor. Am Ende der Treppe angekommen läuft er nach rechts in einen schmalen Seitengang, an dessen Ende sich eine kunstvoll geschnitzte Holztür befindet.