Das Haus in den Dünen - Robert L. Stevenson - E-Book

Das Haus in den Dünen E-Book

Robert L. Stevenson

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Beschreibung

Ganz zufällig gerät Frank Cassilis wieder in den öden, menschenleeren Landstrich an der schottischen Küste, wo er vor vielen Jahren bei seinem Studienfreund Northmour zu Gast war. Jetzt aber geschehen dort rätselhafte Dinge: Der Ort scheint zunächst verlassen, doch in stürmischer Nacht gehen geheimnisvolle Besucher an Land und verschanzen sich in Northmours Dünenhaus. Cassilis beobachtet die Vorgänge im einsamen Anwesen zunächst nur aus der Ferne, wird aber dann unweigerlich hineingesogen in eine Geschichte, die von Leidenschaften handelt: von Liebe und Eifersucht, Angst und Jähzorn, Betrug, Strafe und Rache.

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Robert L. Stevenson

Das Haus in den Dünen

Erzählung

Elsinor Verlag

INHALT

1. Kapitel: Ich schlage mein Lager im Strandwald bei Graden auf und erblicke ein Licht im Holzhaus

2. Kapitel: Die nächtliche Landung der Yacht

3. Kapitel: Ich mache die Bekanntschaft meiner späteren Frau

4. Kapitel: Ich stelle überrascht fest, dass ich im Strandwald von Graden nicht allein bin

5. Kapitel: Ein Gespräch zwischen Northmour, Clara und mir

6. Kapitel: Ich werde dem hochgewachsenen Herrn vorgestellt

7. Kapitel: Ein Wort wird zum Fenster hineingerufen

8. Kapitel: Huddlestones Ende

9. Kapitel: Wie Northmour seine Drohung wahr macht

Quellennachweis

Über den Autor

Über dieses Buch

Impressum

ERSTES KAPITEL

ICH SCHLAGE MEIN LAGER IM STRANDWALD BEI GRADEN AUF UND ERBLICKE EIN LICHT IM HOLZHAUS

Als junger Mann war ich ein wahrer Einzelgänger. Ich war ungemein stolz darauf, dass ich mich überall abseits hielt und mit meiner eigenen Gesellschaft vollauf zufrieden war, und ich darf wohl behaupten, dass ich weder Freunde noch Bekannte hatte, bis ich jene Freundin traf, die meine Ehefrau und die Mutter meiner Kinder werden sollte. Nur mit einem einzigen Mann hatte ich eine Zeitlang näheren Umgang, und das war R. Northmour, der Herr von Ost-Graden in Schottland. Wir hatten uns am College kennengelernt, und obwohl wir uns eigentlich gar nicht besonders mochten und keineswegs häufig miteinander zu tun hatten, waren wir uns doch zumindest ähnlich genug, um ganz gut miteinander auszukommen. Wir hielten uns für Menschenfeinde, doch bin ich später zu der Einsicht gelangt, dass wir im Grunde weiter nichts waren als ein Paar mürrische Burschen. Unser Verhältnis war eigentlich keine Kameradschaft, sondern ein Nebeneinanderleben in Ungeselligkeit. Northmours aufbrausendes Temperament machte es ihm nicht leicht, mit irgendeinem Menschen in Frieden zu leben, außer mit mir. Und da er mich in meinem stillen Wesen gewähren ließ, da ich kommen und gehen konnte, wie ich wollte, so war es mir möglich, das Zusammensein mit ihm ohne Widerwillen zu ertragen. Ich denke, wir nannten einander Freunde.

Als Northmour sein Examen machte und ich es vorzog, die Hochschule ohne Abschluss zu verlassen, lud er mich zu einem längeren Aufenthalt nach Ost-Graden ein; auf diese Weise lernte ich den Schauplatz meiner späteren Abenteuer kennen.

Das Herrenhaus von Graden stand in einer öden Heidelandschaft, etwa drei Meilen von der Küste der Nordsee entfernt. Es war so groß wie eine Kaserne, und da es aus weißem Sandstein erbaut war, der in der scharfen Seeluft leicht verwitterte, war es darin feucht und zugig, das Äußere aber war schon halb zur Ruine verfallen. Zu einem behaglichen Aufenthalt für zwei junge Leute taugte ein solcher alter Kasten nicht sonderlich. Doch im nördlichen Teil der Besitzung, in einer Wildnis aus Sand und verwehten Dünen und auf halbem Weg zwischen einem Gehölz und der See stand ein kleines Holzhaus, eine Art Pavillon oder Belvedere, eine moderne Anlage, die ganz und gar unseren Bedürfnissen entsprach.

In dieser Einsiedelei verbrachten Northmour und ich vier stürmische Wintermonate. Wir sprachen wenig, lasen viel und hielten uns nur selten außerhalb der Mahlzeiten an einem gemeinsamen Ort auf. Ich wäre vielleicht länger geblieben; aber in einer Märznacht entspann sich plötzlich ein Streit zwischen uns, der mich zur Abreise nötigte. Ich erinnere mich, dass Northmour zornige Worte gebrauchte, und ich habe ihm vermutlich eine scharfe Antwort darauf gegeben. Er sprang von seinem Stuhl auf und packte mich. Ich musste um mein Leben kämpfen – das ist keine Übertreibung –, und nur mit großer Mühe konnte ich ihn niederringen, denn er war beinahe ebenso kräftig wie ich und schien den Teufel im Leib zu haben. Am nächsten Morgen benahmen wir beide uns, als wenn nichts vorgefallen wäre, aber mein Taktgefühl ließ es mir ratsam erscheinen, sein Haus zu verlassen, und er unternahm auch keinen Versuch, mich von diesem Vorsatz abzubringen.

Es dauerte neun Jahre, bis ich wieder in diese Gegend kam. Ich zog damals mit einem schlichten Karren, einem Zelt und einem kleinen Kochherd über Land. Den ganzen Tag ging ich zu Fuß neben dem Wagen her, und nachts lagerte ich mich, wenn es möglich war, wie ein Zigeuner in einer Talmulde oder am Rande eines Waldes. Ich glaube, ich hatte auf diese Weise bereits die meisten wilden und öden Gegenden Englands und Schottlands durchquert. Da ich weder Freunde noch Verwandte hatte, plagte mich auch kein Briefwechsel, und ich hatte weiter nichts zu tun, als mir zweimal im Jahr aus der Kanzlei meiner Anwälte mein Einkommen schicken zu lassen. Ich genoss dieses Leben, und ich hatte damals ernstlich vor, als ein solcher Landstreicher alt zu werden und schließlich in einem Straßengraben zu sterben.

Meine einzige Beschäftigung bestand darin, weltentlegene Winkel ausfindig zu machen, an denen ich ungestört mein Lager aufschlagen konnte. Und als ich wieder einmal in diese Grafschaft geriet, kam mir plötzlich das Holzhaus in den Dünen in den Sinn. Keine große Landstraße führte näher als drei Meilen an dieses Haus heran. Die nächste Stadt – und auch diese war eigentlich nur ein Fischerdorf – lag sechs bis sieben Meilen entfernt. Diese Einöde zog sich als ein Streifen von bis zu drei Meilen Breite auf einer Länge von zehn Meilen an der See entlang. Der Strand, der den natürlichen Zugang bildete, war voll von Treibsandtrichtern. Deshalb gibt es wohl im gesamten Vereinigten Königreich kaum einen besseren Ort, um sich vor der Welt zu verbergen. Ich beschloss, eine Woche im Strandwald bei Ost-Graden zuzubringen; ich begab mich auf einen langen Tagesmarsch und traf an einem stürmischen Septembertag bei Sonnenuntergang dort ein.

Die Gegend bestand, wie ich schon erwähnte, vorwiegend aus Dünen. Die meisten der Dünen in diesem Landstrich waren zum Stillstand gekommen und mehr oder weniger fest mit Graswuchs bedeckt. Das Holzhaus stand auf einer ebenen Fläche. Nicht weit dahinter begann der Wald mit einer vom Wind zerzausten Holunderhecke; ein paar scharf gezackte Dünen trennten das Haus vom Meer. Felsgestein, das an dieser Stelle zutage trat, hatte einen Schutzwall gegen den Sand gebildet, so dass hier eine kleine Landzunge zwischen zwei seichten Buchten ins Meer vorsprang. Unmittelbar vor der Flutlinie trat der Fels wieder zutage und bildete eine zwar kleine, aber deutlich abgegrenzte Insel. Die Treibsandflächen waren bei Ebbe recht ausgedehnt und in der ganzen Gegend gefürchtet. Es hieß, dicht am Strand, zwischen der Insel und der Landzunge, werde ein Mensch in viereinhalb Minuten vom Treibsand geschluckt; es mag aber wohl sein, dass diese genaue Zeitbestimmung nur auf Gerüchten gründete.

In diesem Landstrich wimmelte es von Kaninchen, und unzählige Möwen flatterten und kreischten beständig um das Holzhaus herum. An Sommertagen hatte man eine schöne Aussicht, ja, die Gegend machte dann einen geradezu fröhlichen Eindruck, doch an einem Septemberabend mit heftigem Wind und einer schweren Brandung, die fast unmittelbar gegen die Dünen schäumte, konnte man an diesem Ort eigentlich nur an ertrunkene Seeleute und sinkende Schiffe denken. Ein Segelschiff, das im Wind vor dem Horizont kreuzte, und ein im Treibsand dicht unter mir halb versunkenes großes Wrack vervollständigten das eintönige Bild.

Das Holzhaus trug kaum Spuren seines Alters, obwohl es schon vom vorigen Besitzer, Northmours Onkel, einem törichten und verschwenderischen Kunstliebhaber, erbaut worden war. Es war zwei Stockwerke hoch und im italienischen Stil gehalten; drumherum lag ein kleines Gärtchen, worin nur einige Wildblumen gediehen. Mit seinen geschlossenen Fensterläden wirkte es nicht wie ein verlassenes Haus, sondern wie eines, das überhaupt noch niemals von Menschen bewohnt war.

Northmour war offenbar nicht zu Hause. Ob er nach seiner Gewohnheit verdrossen in der Kajüte seiner Segelyacht hockte oder einen seiner extravaganten Ausflüge in die gesellschaftliche Sphäre unternahm, wozu ihn zuweilen eine plötzliche Laune trieb – das konnte ich natürlich nicht wissen. Über dem Ort lag eine Einsamkeit, die selbst für einen Einzelgänger wie mich etwas Beängstigendes hatte. Der Wind heulte mit seltsam klagenden Lauten in den Schornsteinen, und mit einem Gefühl der Erleichterung, als kehrte ich endlich heim, wandte ich mich ab und schob meinen Karren bis zum Saum des Waldes.

Der Strandwald bei Graden war angepflanzt worden, um die landeinwärts gelegenen Äcker abzuschirmen und dem vordringenden Dünensand Einhalt zu gebieten. Wenn man ihn von der Küste her betrat, erblickte man hinter den Holundersträuchern andere anspruchslose Bäume; sie waren aber allesamt verkrüppelt und eigentlich nicht viel mehr als Strauchwerk. Sie hatten nämlich einen harten Kampf um ihr Dasein zu führen: In wilden Winterstürmen bogen sie sich ganze Nächte lang, und schon im Frühsommer wirbelte der Wind Blätter umher – als Zeichen eines verfrühten Herbstes. Nach dem Lande zu stieg der Boden zu einem kleinen Hügel an, der mit der Insel zusammen den Schiffern als Landmarke diente. Wenn der Hügel nach Norden zu neben der Insel hervortrat, mussten die Schiffe nach Osten hin halten, um an Graden Ness und Graden Bullers vorbeizukommen.

Wo der Hügel sich senkte, floss ein Bächlein zwischen den Bäumen hindurch. Das von ihm mitgeführte Erdreich und das tote Laub hatten hier und da Dämme gebildet, und der Bach war an vielen Stellen übergetreten, so dass sich Wasserlachen gebildet hatten. Ein paar zerfallene Hütten lagen in diesem Wald; wie Northmour mir erzählt hatte, handelte es sich dabei um Anlagen der Kirche, die früher frommen Eremiten als Behausungen gedient hatten.

Ich fand eine Höhle oder kleine Bodeneinsenkung mit einer frischen Quelle darin. Dort rodete ich das Brombeergestrüpp aus, schlug mein Zelt auf und entzündete ein Feuer, um mir mein Abendessen zu kochen. Mein Pferd pflockte ich etwas tiefer im Wald an, wo ein wenig Gras wuchs. Die Ränder der Höhle verbargen nicht nur den Schein meines Feuers, sondern schützten mich auch gegen den starken und kalten Wind.

Meine damalige genügsame Lebensweise hatte mich ausreichend abgehärtet. Ich trank nie etwas anderes als Wasser und aß selten eine bessere Speise als Hafermehl; und ich brauchte so wenig Schlaf, dass ich oftmals, obwohl ich schon mit der Morgendämmerung aufstand, lange Stunden im Dunkeln wach lag oder die Sterne am Nachthimmel betrachtete.

So ging es mir auch jetzt im Strandwald bei Graden. Obgleich ich schon um acht Uhr erleichtert eingeschlafen war, fühlte ich mich schon gegen elf Uhr wieder vollkommen wach, ohne die geringste Schläfrigkeit oder Übermüdung zu spüren. Ich erhob mich also und setzte mich ans Feuer, sah die Bäume im Sturm sich biegen und die Wolken am Himmel dahinjagen, und ich lauschte dem Wind und dem Brausen der Wogen am Strand, bis ich schließlich genug hatte von der Untätigkeit, meine Talmulde verließ und zum Saum des Waldes schlenderte. Ein junger Mond, in Nebel vergraben, lieh meinen Schritten ein schwaches Licht, und das Licht wurde heller, als ich auf die Dünen hinaustrat. Im gleichen Augenblick schlug der Wind, der vom Seewasser salzig schmeckte und Sandkörner mit sich führte, mich mit voller Gewalt ins Gesicht, so dass ich meinen Kopf senken musste.

Als ich ihn wieder hob, um mich umzusehen, bemerkte ich ein Licht im Holzhaus. Es verharrte nicht auf einer Stelle, sondern wanderte von einem Fenster zum anderen, so als ob irgendjemand die einzelnen Räume mit einer Lampe oder Kerze in Augenschein nahm. Sehr überrascht beobachtete ich dieses Licht einige Sekunden lang. Als ich am Nachmittag ankam, war das Haus offenbar verlassen; jetzt war es offenbar bewohnt. Im ersten Augenblick argwöhnte ich, dass vielleicht eine Diebesbande eingebrochen sei und gerade Northmours Schränke plünderte; es gab dort eine Menge Schränke, und sie waren nicht übel ausgestattet. Aber was konnte Diebe ausgerechnet nach Ost-Graden locken? Und dann – alle Fensterläden waren jetzt geöffnet, Diebe aber hätten sie vermutlich eher geschlossen. Ich verwarf also diese Annahme und entschied mich für eine andere: Northmour selbst musste eingetroffen sein und war jetzt dabei, sein Holzhaus zu lüften und zu inspizieren.

Ich habe bereits erwähnt, dass mich mit ihm keine wirkliche Zuneigung verband; doch selbst wenn ich ihn wie einen Bruder geliebt hätte, war meine Liebe zur Einsamkeit damals so groß, dass ich seine Gesellschaft trotzdem gemieden hätte. So machte ich also kehrt und eilte davon, so schnell ich konnte, und ich war sehr erleichtert, als ich wieder ruhig bei meinem Feuer saß. Ich war der Begegnung mit einem Bekannten entgangen – also hatte ich immerhin noch eine recht behagliche Nacht vor mir. Am Morgen konnte ich mich entweder davonstehlen, noch ehe Northmour auf den Beinen war, oder ich konnte ihm einen Besuch abstatten, der so kurz oder so lang zu sein hatte, wie es mir passte.

Als dann aber der Morgen anbrach, schienen mir die Umstände so unterhaltsam zu sein, dass ich meine Menschenscheu vergaß. Northmour war ja meiner Willkür preisgegeben. Ich traf meine Vorbereitungen zu einem hübschen Spaß, obgleich mir sehr wohl bewusst war, dass mein Nachbar nicht unbedingt der Mann war, mit dem man ohne weiteres seinen Spaß treiben konnte. Immerhin schmunzelte ich schon bei dem Gedanken an meinen Erfolg, und ich versteckte mich hinter den Holundersträuchern am Waldrand, von wo aus ich die Tür des Holzhauses stets im Auge hatte. Die Fensterläden waren allesamt wieder geschlossen, und dies kam mir, wie ich mich noch erinnere, ein wenig sonderbar vor; das Haus mit seinen weißen Wänden und den grünen Fensterläden leuchtete hübsch und wohnlich im Morgenlicht.