1,99 €
Jonathan gab einen zischenden Laut von sich. »Leise, Coco! Das müssen die Menschenfänger sein.«
Aus dem Nebel tauchten zwei Reiter auf. Der erste hatte den kantigen Reptilkopf weit über den Hals des Pferdes gereckt, und das einzelne Auge auf der Stirn leuchtete in roter Glut. Mit den Klauen seiner Tentakel krallte er sich in die Mähne des Pferdes. Auf dem zweiten Pferd saß ein weibliches Gegenstück. Trotz des geschuppten Unterleibes und der krallenbewehrten Tentakel erschien mir die Nereide wie der Inbegriff von Anmut und Grazie.
Die beiden Reiter verschwanden wieder wie ein Spuk im Nebel, und Jonathan entspannte sich. "Wir haben Glück gehabt. Wer den Menschenjägern in die Hände fällt, erleidet ein viel schlimmeres Schicksal als den Tod!«
Cocos Aufenthalt in Mettlingen gerät zum Spießrutenlauf. Fast alle Bewohner scheinen dem Bösen verfallen, und überall lauern Zadkiels Kreaturen! Aber was ihr Gegner wirklich vorhat, erkennt Coco erst, als sie selbst unter den Einfluss des orphischen Eis gerät ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 128
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Was bisher geschah
DAS ORPHISCHE EI
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Coco Zamis ist das jüngste von insgesamt sieben Kindern der Eltern Michael und Thekla Zamis, die in einer Villa im mondänen Wiener Stadtteil Hietzing leben. Schon früh spürt Coco, dass dem Einfluss und der hohen gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie ein dunkles Geheimnis zugrunde liegt. Die Zamis sind Teil der sogenannten Schwarzen Familie, eines Zusammenschlusses von Vampiren, Werwölfen, Ghoulen und anderen unheimlichen Geschöpfen, die zumeist in Tarngestalt unter den Menschen leben und nur im Schutz der Dunkelheit und ausschließlich, wenn sie unter sich sind, ihren finsteren Gelüsten frönen.
Der Hexer Michael Zamis wanderte einst aus Russland nach Wien ein. Die Ehe mit Thekla Zamis, einer Tochter des Teufels, ist standesgemäß, auch wenn es um Theklas magische Fähigkeiten eher schlecht bestellt ist. Umso talentierter gerieten die Kinder, allen voran der älteste Bruder Georg und – Coco, die außerhalb der Sippe allerdings eher als unscheinbares Nesthäkchen wahrgenommen wird. Zudem kann sie dem Treiben und den »Werten«, für die ihre Sippe steht, wenig abgewinnen und fühlt sich stattdessen zu den Menschen hingezogen.
Während ihrer Hexenausbildung auf dem Schloss ihres Patenonkels lernt Coco ihre erste große Liebe Rupert Schwinger kennen. Als ihr schließlich zu einem vollwertigen Mitglied der Schwarzen Familie nur noch die Hexenweihe fehlt, meldet sich zum Sabbat auch Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie, an und erhebt Anspruch auf die erste Nacht mit Coco. Als sie sich weigert, wird Rupert Schwinger in den »Hüter des Hauses« verwandelt, ein untotes Geschöpf mit einem von Würmern zerfressenen Gesicht, das fortan ohne Erinnerung an sein früheres Leben über Coco wachen soll.
Cocos Verfehlung hat Konsequenzen. Die Stellung der Zamis in Wien wird angefochten. Nur Coco ist es zu verdanken, dass sie über ihre Herausforderer aus der Sippe der Winkler-Forcas triumphieren. Auch Asmodi hat die Schmach, die Coco ihm zugefügt hat, nicht vergessen. Jedoch verzichtet er scheinbar großzügig auf weitere Maßnahmen, als es Coco gelingt, einen seiner Herausforderer zu vernichten – durch die Beschwörung des uralten Magiers Merlin, der sich auf Cocos Seite stellt.
Der Hilferuf ihres Bruders Georg führt Coco bald darauf in die Burg des Dämons Gorshat – und in eine Falle, die Asmodi und der dämonische Archivar Zakum ihr stellen. Coco dreht den Spieß um und entwendet den Signatstern aus Zakums Archiv – das erste von sieben Siegeln, die sie benötigt, um den Magier Merlin aus seinem Gefängnis im centro terrae, dem Mittelpunkt der Erde, zu befreien. Fast zu einfach erbeutet sie in der Folge auch die nächsten drei Siegel, einen Armreif, einen Ring und das magische Vlies, das sie unverwundbar macht. Doch die Zentrumsdämonen schlagen zurück und versetzen das Dorf Mettlingen auf magische Weise zurück in das finsterste Mittelalter, sodass die Suche nach dem fünften Siegel für Coco zum Spießrutenlauf wird ...
DAS ORPHISCHE EI
von Ernst Vlcek und Ralf Schuder
Nach dem letzten Wegweiser waren es noch 666 Schritte bis nach Mettlingen – jenem Ort, der unter einem dämonischen Bann stand und offenbar in eine mittelalterliche Epoche zurückversetzt worden war.
Ich war noch nicht lange unterwegs, als ich vor mir im Nebel die Silhouette eines Autos auftauchen sah. Es war ein zitronengelber Golf – und er stand mitten in einem Acker. Daneben tauchte ein korpulenter Mann auf, der mir keuchend entgegenkam und wie verrückt mit den Armen winkte.
»He, Sie da!«, rief er atemlos. »Junge Frau, warten Sie. Können Sie mir helfen? Ich habe eine Panne und scheine mich verirrt zu haben. Mein Wagen will nicht mehr. Können Sie mir sagen, wo ich hier eine Werkstatt finde?«
Ich blieb stehen und meinte: »Sie scheinen fremd zu sein und nicht zu wissen, was hier eigentlich gespielt wird. Ich glaube kaum, dass es hier irgendjemanden gibt, der Ihr Auto wieder reparieren könnte.«
»Wollen sie mich auf den Arm nehmen, Fräulein?«, fragte er unwirsch. »Ich komme doch jede Woche einmal hier durch und weiß, dass es hier ganz in der Nähe eine Tankstelle geben muss. Ich habe in diesem verdammten Nebel nur die Orientierung verloren.«
»Sagen Sie mir erst einmal, wie Sie in diese Lage gekommen sind«, meinte ich. »Vielleicht kann ich Ihnen dann helfen.«
»Was weiß ich.« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Ich fuhr auf der Uferstraße – und auf einmal war ich mitten in dieser Nebelsuppe. Ehe ich mich's versah, rumpelte ich über diesen Acker. Der Motor setzte aus und sprang nicht wieder an. Ich bin herumgeirrt, muss aber im Kreis gelaufen sein, denn ich konnte nicht mehr zurück auf die Uferstraße finden. Vorhin ist ein Pferdefuhrwerk an mir vorbeigefahren, und der Kutscher hat ein Gesicht gemacht, als sei der Teufel hinter seiner Seele her.«
»Und sonst ist Ihnen nichts an dem Wagen aufgefallen?«, fragte ich.
»Doch – aber ich muss mich getäuscht haben. Ich bildete mir nämlich ein, dass die Räder eckig seien.« Er lachte gekünstelt. »Aber das ist ja Unsinn.«
»Sagen Sie das nicht. Es würde mich nicht wundern, wenn in Mettlingen auch die Hüte zwölf Ecken hätten.«
Er lachte über diesen vermeintlichen Scherz.
»Dann sind Sie also auch fremd hier? Hatten Sie auch eine Autopanne?«
»Nein, sondern eine Panne anderer Art.«
»Wenn Sie nach Mettlingen wollen, dann begleite ich Sie. In ihrer Gesellschaft komme ich mir wenigstens nicht so verloren vor.«
Ich deutete auf sein Gewand. Er trug einen Trenchcoat, der vorn offen war und darunter einen Zweireiher mit Nadelstreifen sehen ließ. Dazu trug er eine bunte Krawatte.
»Ich würde Ihnen raten, sich andere Kleidung zuzulegen, bevor Sie sich nach Mettlingen wagen«, sagte ich. »Die Leute dürften dort sehr rückschrittlich sein, was Kleidung und Sitten anbelangt.«
»Ich kenne die Mettlinger und weiß, dass sie am liebsten die Inquisition wiederaufleben lassen würden«, meinte er lachend. »Aber ich bin immer noch ganz gut mit ihnen zurechtgekommen. Ich werde schon einen Bauern dazu überreden können, meinen Wagen mit dem Traktor bis zur nächsten Tankstelle zu schleppen. Übrigens, ich heiße Guido Neuberg und stamme aus Radolfzell. Ich bin Handlungsreisender in Mode. In meinem Wagen habe ich eine Kollektion dufter Damensachen. Wenn Sie wollen, können Sie sich zum Selbstkostenpreis auf der Stelle einkleiden. Dieser Kaftan, den Sie tragen, ist nicht gerade sehr vorteilhaft für Sie.«
»Es ist mein Tarnmantel«, erwiderte ich. »Kommen Sie, wenn Sie unbedingt nach Mettlingen wollen. Ich möchte auf freiem Feld lieber nicht von der Nacht überrascht werden.«
Guido Neuberg folgte mir schnaufend zur Straße und schimpfte über deren schlechten Zustand. Er redete überhaupt unaufhörlich und konnte nicht aufhören, sich über sein Missgeschick zu wundern.
Ich hätte ihm erklären können,was mit ihm passiert war, aber da er es mir nicht geglaubt hätte, schwieg ich lieber.
»Da, das muss Mettlingen sein!«, rief mein Begleiter aus und deutete nach vorn, wo im Nebel die ersten Häuser auftauchten.
Bevor wir sie jedoch noch erreichten, verstellten uns drei Gestalten den Weg, die wie aus dem Boden gewachsen schienen. Im ersten Moment dachte ich an Wegelagerer, doch dann stellte ich fest, dass es noch halbe Kinder waren. Zumindest zwei davon waren noch ziemlich jung. Es handelte sich um Mädchen in Kitteln aus grobem Gewebe, und über dem Oberkörper trugen sie dicke Fellwamse. Das Haar hatten sie durch Kopftücher geschützt. Bei der dritten Gestalt handelte es sich um einen großgewachsenen jungen Mann, der mir sogleich bekannt vorkam.
»Verschwindet von der Straße!«, rief er uns in befehlendem Ton zu. »Die Menschenfänger sind unterwegs. Wenn sie den mit dem Narrenkostüm sehen,schnappen sie ihn – und ab mit ihm auf die Galeere.«
»Huch!«, machte Guido Neuberg betroffen.
Die Mädchen erreichten uns und drängten uns von der Straße und in Richtung einer Scheune.
»Eva! Maria!«, rief ich überrascht aus, als ich die beiden Mädchen erkannte. Sie wirkten jünger, als ich sie in Erinnerung hatte, aber sie waren es, zweifellos.
»Du kennst uns?«, fragte Maria verwundert. »Sind wir uns schon mal begegnet? Du stammst doch nicht von hier.«
»Ich bin Coco Zamis«, erklärte ich in der Hoffnung, dass sich die beiden Mädchen an unsere Begegnung erinnern würden. »Wir haben uns in Lindau kennengelernt und sind mit dem Motorboot über den Bodensee in euren Heimatort gefahren.«
»Quatsch«, sagte der junge Mann. »Diese Verrückte redet lauter Unsinn. Daran erkennt man, dass sie nicht aus unserer Welt ist. Da nützt auch die Verkleidung nichts. Rein in die Scheune und Mund gehalten!«
Der Handelsreisende und ich wurden von dem kräftigen Burschen durch das Tor in die Scheune geschubst.
»Hier seid ihr erst einmal in Sicherheit«, sagte Eva. »Wenn es dunkel wird, bringen wir euch in den Ort und in ein besseres Versteck. Jonathan wird euch helfen, er hat schon viele Fremde vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.«
»Jonathan, Marias jüngerer Bruder?«, fragte ich erstaunt und sah mir den jungen Mann genauer an. Als ich ihn unter ganz anderen Voraussetzungen kennengelernt hatte, war er dreizehn Jahre alt gewesen, ein Kind noch. Jetzt sah er wie zwanzig und um gut fünf Jahre älter als seine Schwester Maria aus.
»Wie, sagtest du, heißt du?«, fragte mich Jonathan.
»Coco Zamis.«
Er schüttelte den Kopf.
»Noch nie gehört.«
»Ich bin Guido Neuberg«, stellte sich der Handlungsreisende vor. »Ich mache in modischer Damenkonfektion. Vielleicht kämen wir auf einen grünen Zweig, wenn ihr zur Abwechslung mal vernünftig reden wolltet und uns sagen würdet, was das alles zu bedeuten hat. Ich bin für jede Hilfe dankbar, aber mir würde es schon genügen, wenn ihr mich zu einer Tankstelle führtet.«
»Schweig!«, schnauzte Jonathan ihn an. »Keine verrückten Reden mehr, oder wir jagen euch davon. Besser, ihr macht den Mund überhaupt nicht mehr auf. Denn wenn euch jemand so hört, dann hetzt er euch die Menschenfänger auf den Hals. Es gibt überall Denunzianten, die sich auf diese Weise einen Platz in der Hölle sichern wollen. Zuallererst musst du andere Kleider anlegen, Guido.«
Jonathan holte hinter einem Heuballen ein Bündel hervor und warf es dem Handlungsreisenden zu.
»Da, und beeile dich«, sagte er dabei. »Dein Narrenkostüm werden wir nachher verbrennen.«
»Aber Anzug und Mantel sind von Daniel Hechter, Paris, und haben mich eine Stange Geld gekostet«, begehrte Guido auf.
»Wie viel ist dir dein Kopf wert?«, fragte Jonathan.
Guido Neuberg schluckte und begann dann, mir hilfesuchende Blicke zuzuwerfen. Dabei bot er einen so komischen Anblick, dass ich unwillkürlich grinsen musste. Maria und Eva kicherten, als Guido sich auszog, und wandten sich tuschelnd ab.
»Soweit ich es bisher beurteilen kann, scheint Zadkiel diesen Ort fest in der Hand zu haben«, sagte ich zu Jonathan. »Wie kommt es, dass ihr euch dem Dämonenkult nicht untergeordnet habt? Warum setzt ihr euer Leben aufs Spiel, um Fremde, die sich hierher verirren, vor den Anhängern des Teufelskults zu retten?«
»Du redest fast wie eine von hier, Coco«,stellte Jonathan stirnrunzelnd fest. »Aber du musst eine Fremde sein, denn ich habe dich noch nie vorher gesehen. Das heißt, irgendwie kommst du mir bekannt vor ... Aber du bist nicht aus Mettlingen.«
»Ich durchschaue die Zusammenhänge, weil ich die Gesetze der Magie kenne«, erwiderte ich. »Würdest du mir glauben, wenn ich behaupte, dass wir uns schon einmal auf einer anderen Wahrscheinlichkeitsebene begegnet sind?«
Jonathan schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht, was du meinst. Aber vielleicht würde Ralf etwas damit anfangen können.«
»Ralf Winter?«, platzte ich heraus.
»Du kennst ihn?«
»Er ist ein guter Freund von mir.«
Jonathan betrachtete mich misstrauisch. »Wenn das wahr ist ...«, begann er und unterbrach sich. »Das wird sich noch in dieser Nacht herausstellen. Ich bringe euch zu ihm.«
»Wo ist Ralf?«
»Das erfährst du noch früh genug, Coco. Er muss sich verstecken. Mehr brauchst du im Augenblick nicht zu wissen.«
Guido räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen.
»Gefalle ich euch so besser?«, fragte er. Ich musste bei seinem Anblick schallend lachen, denn er sah in der hautengen Hose, dem bis über die Hüften reichenden roten Überwurf mit Nestelverschlüssen und der mit Fransen versehenen und über das linke Ohr herabgezogenen Mütze doch zu komisch aus.
Jonathan blieb ernst. Er griff wieder ins Heu und förderte eine mit einem Ledergurt versehene Trommel zutage.
»Du bist von nun an ein Musikant, Guido«, sagte er, während er dem Vertreter die Trommel überreichte. Dann wandte er sich wieder mir zu. »Wie ich sehe, trägst du dein Gewand in einem Bündel und hast nichts unter dem Umhang an. Was ist der Grund dafür?«
»Das ist das Gewand der Köhlersfrau Sieglinde«, antwortete ich wahrheitsgetreu. »Ich habe beobachtet, wie Alex sie auf dem Scheiterhaufen verbrannte, und nahm die Kleider an mich, weil Sieglinde sie ohnehin nicht mehr benötigt.«
Maria und Eva stießen einen spitzen Schrei aus und pressten die Hände auf den Mund.
»Die Hexe soll tot sein?«, fragte Jonathan ungläubig. »Wenn das wahr ist,dann hast du uns die erfreulichste Nachricht seit langer Zeit überbracht. Ralf wird sich freuen, das zu hören.«
»Ich muss doch hoffentlich nicht trommeln«,warf Guido zwischendurch ein. »Ich bin nämlich völlig unmusikalisch. Könnt ihr mich nicht wenigstens als fahrenden Händler ausgeben, wenn ich mich schon tarnen muss?«
»Wir haben keine passenden Händlerkleider«, sagte Jonathan barsch. Er wollte noch etwas hinzufügen, kam aber nicht mehr dazu. Von draußen war Hufgeklapper zu hören. Jonathan gab einen zischenden Laut von sich und gebot: »Keinen Laut! Das müssen die Menschenfänger sein.«
Er glitt lautlos zu einem kleinen Fenster und blickte in die nebelige Landschaft hinaus. Guido und ich folgten ihm und sahen ihm über die Schulter. Im Hintergrund der Scheune drückten sich Maria und Eva schutzsuchend aneinander.
Das Hufgeklapper wurde rasch lauter, und dann tauchten aus dem Nebel zwei Reiter auf. Bei den Reittieren handelte es sich um normal aussehende Pferde. Die Reiter waren dagegen recht ungewöhnlich, wenngleich sie mir einen durchaus vertrauten Anblick boten.
Auf dem einen Pferd saß ein Schlangendämon, der ein Ebenbild von Triton zu sein schien. Er hatte den kantigen Reptilkopf weit über den Hals des Pferdes gereckt, und das einzelne Auge auf der Stirn leuchtete in roter Glut aus dem Nebel. Mit den Klauen seiner oberen Tentakel krallte er sich in die Mähne des Pferdes, die Tentakelbeine hatte er fest um seinen Rumpf geschlungen.
Auf dem zweiten Pferd saß ein weibliches Gegenstück zu dem Tritonen. Das schöne menschliche Antlitz wurde von den beiden Fangzähnen entstellt, die festen Brüste wippten im Rhythmus des Hufschlages. Trotz des geschuppten Unterleibes und der krallenbewehrten Tentakel erschien mir die Nereide als ein Wesen, das der Inbegriff von Anmut und Grazie war. Eine mörderische Sirene, aber die personifizierte Verlockung.
Die beiden Reiter verschwanden wieder wie ein Spuk im Nebel.
»Was – was war das?«, fragte Guido zähneklappernd. Er war auf einmal ganz käsig im Gesicht, und sein Körper zuckte wie unter Schluckauf.
»Menschenjäger«, antwortete Jonathan. »Wer ihnen in die Hände fällt, erleidet ein viel schlimmeres Schicksal als den Tod.«
Guido röchelte auf einmal, er blähte die Backen und presste seine Wurstfinger auf den Mund. Er schaffte es gerade noch, sich zur Seite abzuwenden, bevor er sich übergab. Ich zog mich mit Jonathan von ihm zurück.
»Wie viele dieser Scheusale gibt es in eurer Welt?«, fragte ich.
»Nur eine Handvoll – aber um diese Handvoll zu viel«, erklärte er. »Zadkiel hat als Jupiterdämon zwölf solcher Diener, aber man sagt, dass drei von ihnen getötet worden sind. Ich kann das nicht glauben, weil diese Bestien unverwundbar sind.«
»Dieses Gerücht stimmt«,erwiderte ich. »Ich weiß es ganz genau, denn ich war es, die drei dieser Dämonendiener zur Strecke gebracht hat. Nur war das in einer anderen Welt.«
»Das soll ich dir glauben?«, meinte Jonathan.