Perry Rhodan 161: DORIFER  (Silberband) - Ernst Vlcek - E-Book

Perry Rhodan 161: DORIFER (Silberband) E-Book

Ernst Vlcek

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Beschreibung

Die Gänger des Netzes, zu denen Perry Rhodan und einige andere Menschen gehören, kämpfen fu¨r Freiheit und Frieden. Ihre Gegner in den fernen Galaxien von ESTARTU nennen sich selbst die Ewigen Krieger.   Rhodans aktuelle Aktion bringt die Gänger des Netzes zu den Orphischen Labyrinthen: Eigentlich gelten diese als eine Welt der Wunder, doch zugleich sind sie ein Gefängnis voller Gefahren – und Rhodans Sohn Roi ist einer der Häftlinge.   Rhodan und seine Gefährten interessieren sich auch fu¨r DORIFER, ein kosmisches Objekt, das seit urdenklichen Zeiten existiert. In seiner Nähe materialisiert ein riesiges Raumschiff: der KLOTZ. Er stammt offenbar aus einem anderen Universum. Doch welche Gefahr geht tatsächlich von ihm aus?

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Nr. 161

DORIFER

Cover

Klappentext

1. Vergangenheit und Zukunft

2. Drei Netzgänger auf Abwegen

3. Huakaggachua

4. Sondierungen

5. Der Roboter und der Klotz

6. Schmerzhaftes Erwachen

7. Tostan, der Spieler

8. NARU

9. DORIFER

10. Si kitu

11. Erinnerungen an den Dunklen Himmel

12. Vorbereitungen

13. Jagdgeschichten

14. Netzgänger-Alarm

15. Testlauf

16. Die Jagd beginnt

17. Die Orphischen Labyrinthe

18. Die Kalydonische Jagd

19. Das Ende der Jagd

20. Konferenz der Krieger

21. Pläne und Gegenpläne

22. Böses Erwachen

Nachwort

Zeittafel

Leseprobe Atlantis 2 – 1 – Ben Calvin Hary – Das neue Utopia

Vorwort

Prolog: Perry Rhodan

1. Tyler

Gespannt darauf, wie es weitergeht?

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

Die Gänger des Netzes, zu denen Perry Rhodan und einige andere Menschen gehören, kämpfen fu¨r Freiheit und Frieden. Ihre Gegner in den fernen Galaxien von ESTARTU nennen sich selbst die Ewigen Krieger.

Rhodans aktuelle Aktion bringt die Gänger des Netzes zu den Orphischen Labyrinthen: Eigentlich gelten diese als eine Welt der Wunder, doch zugleich sind sie ein Gefängnis voller Gefahren – und Rhodans Sohn Roi ist einer der Häftlinge.

1. Vergangenheit und Zukunft

Er lag in seiner Ruhenische am Grund des Sees Talsamon und träumte mit wachem Geist. Nur an diesem Ort und während solcher Ruhephasen konnte er das Alleinsein, die Trennung von seinem Partner, ertragen. Aber je länger er ruhte, desto unerträglicher wurde dieser Zustand für ihn. Und er wusste, dass es seinem Symbionten dort draußen, in den Tiefen des Alls, nicht anders erging.

Sie gehörten zusammen, waren psionisch untrennbar miteinander verschmolzen, seit Kytoma sie zu ihrem vergeistigten Volk gebracht und sie sich für dieses Zusammenleben entschieden hatten.

Die Form des Zusammenseins war nicht von Anfang an gegeben gewesen, sie war erst durch einen allmählichen Reifeprozess entstanden. Dieser Prozess hatte vor fast 600 Jahren begonnen, sich indes in den letzten zwei Jahrzehnten progressiv entwickelt.

»Was befindet sich am Grund des Sees?«, hörte er Alaska Saedelaere sinngemäß fragen. Alaska hatte die Frage im Jahre 3444 gestellt. Er – Testare – war damals zwar zugegen gewesen, aber nur als namenloses Fragment in Alaskas Gesicht, verborgen hinter einer Plastikmaske. Ein stummer, ohnmächtiger Zeuge, der im Schlaf um eine Vormachtstellung im Gastkörper rang und von seinem Wirt vehement bekämpft wurde. Und er hörte Kytomas Antwort, als hätte sie sie an ihn persönlich gerichtet:

»Früher kamen die Angehörigen meines Volkes hierher, wenn sie sehr müde waren. Sie stiegen bis zum Boden des Sees hinab und badeten in den Wassern. Während dieser Zeit entstanden die Ruhenischen. Jede einzelne trägt noch den Persönlichkeitsabdruck ihres Benutzers.«

Nun, diese Nische besaß nicht mehr den Psi-Imprint ihres früheren Besitzers. Er war erloschen, nachdem Kytoma sie beide, Alaska und Testare, vor rund 18 Jahren hierhergebracht hatte. Mittlerweile trug die Nische den Abdruck von zwei Bewusstseinen, die eine Einheit bildeten, die aber dennoch ihre Individualität bewahrt hatten. Zwei individuelle Geister, die im psionischen Gleichtakt schwangen.

Zuvor hätte keiner von beiden geglaubt, dass so etwas möglich wäre. Damals, im Mai 427 NGZ, was nach der alten Zeitrechnung dem Jahre 4014 entsprach, als Kytoma Alaska Saedelaere zu ihrem vergeistigten Volk brachte, sah es noch so aus, als könnte Testare zusammen mit seinem Partner in dieses aufgehen.

Sie hatten sich ausgesöhnt. Alaska bekämpfte das Cappinfragment nicht mehr, und das Cappinfragment versuchte nicht mehr, die Vormachtstellung in Alaskas Körper zu erringen. Sie traten in einen Dialog miteinander, während sie Kytoma entlang des psionischen Netzes zu den Querionen folgten.

»Was wirst du tun, wenn du frei bist?«, hatte Alaska gefragt.

»Frei ... Ich bin kein Cappin mehr. Ich weiß nicht, was ich ohne dich sein werde. Und du?«

»Wir könnten uns vielleicht einigen.«

»Worauf und worüber?«

»Das weiß ich auch nicht. Ich weiß nur, dass ich ohne dich nichts bin. Ich brauche dich!«

Mit diesen Worten hatte Alaska den Anstoß für das spätere Arrangement gegeben. Noch vor Erreichung des angepeilten Zieles, jenes unverständlichen Bereichs, in dem die 36 Schwarmvölker unter dem Sammelbegriff Querionen als vergeistigte Entität lebten, hatte Testare Alaska angesprochen: »Du musst dich jetzt entscheiden. Ich werde bei dir bleiben, wenn du es wirklich willst.«

»Ich will es!«

Testare wollte auch, und er hatte es sich gewünscht, dass Alaska einer solchen Partnerschaft zustimmte. Und Testare fragte: »Hast du etwas dagegen, wenn ich an meinen gewohnten Platz zurückkehre?«

Das Cappinfragment, das Testare damals trotz allem noch gewesen war, kehrte an seinen Platz in Alaskas Gesicht zurück. Und Testare behielt diesen Bezugspunkt bei, auch dann noch, als sie in den Lebensbereich der Querionen einkehrten und Alaska seinen Körper aufgab. Das Phantom-Empfinden, in Alaskas Gesicht gegenwärtig zu sein, dieses Gefühl blieb auch im körperlosen Sein während ihres ganzen Aufenthalts bestehen.

Sie führten ein eigenartiges Zwitterdasein innerhalb der vergeistigten Wesenheit. Alaska konnte sein in exotischen Farben schillerndes, von verblüffenden Formenspielen geprägtes Gesicht wie in einem Spiegel sehen. Und Testare empfand Alaskas Zufriedenheit, wenn er sich in dessen Gesicht wohlig räkelte, sich ausdehnte und vor überschäumender Lust in Farbkaskaden explodierte.

Bist du glücklich?, wollte Testare wissen.

Ja.

Und du glaubst wirklich, dass es ewig so bleiben wird?

Wir werden zurückkehren. Nicht jetzt und heute, aber irgendwann – wenn man es uns erlaubt.

Das war nicht die Geisteshaltung, die ein körperloses Sein förderte. Es war nicht ein Ausdruck der Reife, die für eine Anpassung an die vergeistigten Querionen erforderlich war. Das war Ausdruck einer unstillbaren Sehnsucht nach einem körperlichen Sein.

Dieser Gedanke projizierte einen Phantom-Körper. Den Körper eines schlaksigen Humanoiden von zwei Meter Größe, der ein Gesicht wie ein buntes, leuchtendes, abstraktes Gemälde hatte. Und einer der beiden Geister, die dieser eigenwilligen Collage ihren Stempel aufdrückten, hatte ein Wunschbild.

Alaska trug das Bild eines zarten, fast geschlechtslosen Mädchens mit langem, dunklem Haar, das Bild eines ätherischen Geschöpfs in einem weißen, körperfernen Kleid in sich. Und dieses Bild projizierte er in diese wundersame Welt jenseits des Materiellen.

»Kytoma!« Alaska sprach den Namen seines Wunschbilds mit einer eigenen Betonung aus. In solchen Momenten kam sich Testare wie ein Fremdkörper vor. Er neidete Alaska die Gefährtin, und befürchtete, dass sie ihm den Symbiose-Partner entführen könnte. Gleichzeitig schämte sich Testare solcher Gefühle.

Kytoma war Alaskas Wegbegleiterin über viele Jahrhunderte – er dagegen war als Cappinfragment Alaskas Feind für die gleiche Dauer gewesen. Die Versöhnung konnte nichts daran ändern.

»Seid ihr glücklich?«, fragte Kytoma, die Testare mit Alaskas Augen als schwarzhaarige, in Weiß gekleidete Kindfrau sah.

»Über alle Maßen«, behauptete Alaska. »Wir werden es nie bereuen, dir zu deinem Volk gefolgt zu sein.«

»Sprichst du wirklich für euch beide, Alaska?«

»Das kann Alaska wohl«, antwortete Testare. »Denn für mich, der ich längst keinen Körper mehr besaß, kann nur die geistige Vervollkommnung erstrebenswert sein.«

»Ihr seid von geistiger Vollkommenheit so weit weg wie am ersten Tag«, erklärte Kytoma. »Und ich fürchte, dass ihr den letzten Schritt zur Vergeistigung nie tun könnt.«

»Du glaubst also, dass wir für das Leben bei deinem Volk nicht geeignet sind?«, fragte Alaska.

»Mit meinem Volk, Alaska«, berichtigte Kytoma sanft. »Ihr müsstet in meinem Volk aufgehen. Nur dies zählt als Beweis eurer Reife. Aber was gäbe es für einen deutlicheren Gegenbeweis als die Tatsache, dass du an deinem Körper festhältst, um den Bezugspunkt zum materiellen Sein nicht zu verlieren?«

»Und was ist mit dir?«, konterte Alaska. »Warum sehe ich dich in der ursprünglichen Gestalt?«

Kytoma senkte die Augen. Sie gab keine Antwort.

»Du meinst ...«, begann Alaska und unterbrach ängstlich diesen Gedankengang.

Testare war es, der Alaskas Gedanken aussprach: »Kytoma, du willst sagen, dass wir dich daran hindern, endgültig in deinem Volk aufzugehen!«

»Das wollte ich nicht«, sagte Alaska schuldbewusst. »Sag, Kytoma, was können wir tun?«

Kytoma schüttelte den Kopf, dass ihr schwarzes Haar ihr Gesicht umfächelte. Testare sah nun ganz klar, und auch Alaska wusste Bescheid: Kytoma hatte einst das Aussehen angenommen, das Alaska in sie projizierte, und sie kam davon nicht los. Zumindest so lange nicht, wie ihr der Terraner und sein Cappin-Symbiont im Weg standen.

»Es liegt an mir«, sagte Kytoma schließlich. »Ich muss etwas für euch tun. Und ich glaube, für euch beide einen gangbaren Weg gefunden zu haben. Ihr müsst nicht mehr zurück in den Trott eures früheren Daseinszustands. Alaska, du brauchst nicht wieder Maskenträger zu werden und du, Testare, nicht mehr das unwürdige Dasein hinter der Maske zu fristen. Wollt ihr das?«

Sie brauchten nicht zu antworten, Kytoma erfühlte ihre geheimsten Wünsche und Sehnsüchte.

Kytoma ging mit ihnen den Weg zurück. Sie waren lange genug bei den Querionen gewesen, um so weit die Absolute Bewegung zu beherrschen, dass sie Kytoma auf den vorgezeigten Bahnen folgen konnten. Die Welt der Wunder, in die sie nur einen knappen Blick hatten werfen können, blieb immer weiter hinter ihnen zurück.

»Es ist keine Schande, wenn man den Sprung auf die nächsthöhere Daseinsebene nicht schafft«, redete Kytoma ihnen zu. »Wer in der dritten Dimension gelebt hat, dem fehlt der Sinn für die höherdimensionalen Bereiche. Umgekehrt ist es ebenso. Ihr habt das am Beispiel der Kosmokraten gesehen, an Taurec und Vishna. Um im Standarduniversum auftreten und existieren zu können, mussten sie sich dieser unteren Existenzebene anpassen. Dabei unterlagen sie jedoch dem Transformsyndrom – sie konnten ihre Fähigkeiten nur in sehr begrenztem Maße anwenden. Ähnlich verhält es sich auch mit den Querionen. Als sich die sechsunddreißig Schwarmvölker zu einer geistigen Wesenheit vereinten, die sie in die Nähe einer Superintelligenz rückte, offenbarten sich ihnen viele bisher unverstandene kosmische Geheimnisse, aber das Verständnis für die alltäglichen Dinge des Lebens ging ihnen verloren. Die Querionen können euch so wenig begreifen, wie ihr sie.«

»Und du stehst dazwischen«, stellte Alaska fest.

»Ich stehe dazwischen«, bestätigte Kytoma. »Aber ich möchte den Schritt wagen.«

»Wird es ein endgültiger Schritt sein?«

»Nicht unbedingt«, sagte Kytoma, und Testare spürte, wie sich Alaskas Anspannung löste. Der Terraner schöpfte wieder Hoffnung, dass Kytoma nicht endgültig für ihn verloren war. Sie fuhr fort: »Es gibt ein Beispiel dafür, dass man auch den Schritt zurück tun kann. Das kostet viel Kraft und Selbstüberwindung, und es bedeutet großen Verzicht, aber es ist machbar. Dreizehn Querionen haben es geschafft und ihren Entschluss nicht bereut. Ich werde euch noch mehr darüber erzählen, wenn wir unser Ziel erreicht haben.«

»Wohin bringst du uns?«, wollte Alaska wissen.

»An einen Ort, an dem du schon einmal warst«, antwortete Kytoma. »Du hast ihn nicht in besonders guter Erinnerung. Aber nun wirst du ihn aus einer anderen Perspektive kennenlernen und ihn später vielleicht als Asyl schätzen lernen.«

Dieses Gespräch fand während des Abgangs aus der Welt der Querionen statt. Testare merkte, welche Verwandlung mit ihnen vor sich ging, je weiter sie sich von dem unerklärlichen Bereich entfernten. Alaskas Phantom-Körper bekam immer mehr Substanz, wiewohl er während der Reise entlang des psionischen Netzes eine fremdartige Konsistenz beibehielt. Alaska war immer noch nicht körperlich, nicht materiell im Sinn der Gesetze des Standarduniversums, aber er war körpergebunden.

Und doch war etwas anders. Testare war nicht in Alaskas Gesicht verankert. Er konnte sich, auch wenn er seine Phantasie noch so sehr bemühte, nicht als Farben sprühenden, zuckenden Klumpen sehen.

»Was wird aus mir?«, rief Testare in plötzlicher Panik. Bevor er mit Alaska in die Welt der Querionen gelangt und mit ihm die geistige Symbiose eingegangen war, war es seine Angst gewesen, sich zwischen den Dimensionen zu verlieren. Und diese Angst packte ihn erneut.

»Dir kann nichts passieren«, tröstete ihn Kytoma. »Du bist nur nicht mehr an Alaskas Körper gebunden. Eure Symbiose ist rein geistiger Natur. Empfindet ihr nicht das Gefühl der Zusammengehörigkeit? Das Gefühl, dass ihr eins seid und dennoch jeder seine Individualität behält?«

»Ja, das schon«, bestätigte Testare. »Aber – was ist danach?«

Statt einer Antwort sagte Kytoma: »Wir sind da. In einer Ruhenische am Grund des Sees Talsamon. Hier, wohin einst die Angehörigen meines Volkes kamen, um sich auszuruhen, sollt auch ihr einen Ruheplatz finden. Hier könnt ihr euch von den Strapazen des körperlichen Daseins und von den Entbehrungen während der Trennung erholen.«

»Testare hat doch keinen Körper«, warf Alaska ein.

»Er kann, wenn er es möchte, es so halten wie die Kosmokraten, Superintelligenzen und die Querionen, die sich einer freiwilligen Devolution unterzogen haben«, erklärte Kytoma lächelnd. »Er kann sich eines Projektionskörpers bedienen.«

»Das sagt sich so einfach.«

»Es ist so einfach.«

Die Ruhenische wirkte auf Testare wie ein Organ, das sie einhüllte, wie der Mutterleib den Embryo. Alaska fand den Vergleich passend, denn in gewisser Weise war es so, dass sie aus einem neuen Leben zum Ursprung zurückgekehrt waren. Kytoma erklärte die verzerrte Darstellung der Umgebung damit, dass sie sich innerhalb der Ruhenische immer noch im Bereich der psionischen Netzlinien befanden.

»Und wie können wir dieses Gefängnis wieder verlassen?«, wollte Alaska wissen.

»Auf dieselbe Art und Weise, wie wir hergekommen sind – aber es ist kein Gefängnis«, erwiderte Kytoma. »Ihr könnt von jenen, die diese Disziplin beherrschen, lernen, euren Geist zum Begehen des psionischen Netzes zu verwenden, wie ihr eure Beine zum Gehen gebraucht. Das psionische Netz ist universell.«

»Phantastisch!«, rief Testare und hoffte, den schwermütigen Alaska mit seiner Begeisterung anstecken zu können. »Bedeutet das, dass wir kraft unseres Geistes von einem Ende des Universums zum anderen gelangen können?«

»Nicht ganz«, schränkte Kytoma ein. »Diese Art der Fortbewegung wird euch nur innerhalb einer Grenze von fünfzig Millionen Lichtjahren möglich sein. In diesem Bereich hat vor vielen Tausend Jahren eine Veränderung der Psi-Konstante stattgefunden, die auch Wesen der unteren Ebenen die Fortbewegung entlang der psionischen Stränge ermöglicht. Aber nur jenen, die gewisse Voraussetzungen mit sich bringen. Ihr erfüllt diese Voraussetzungen. Ihr wäret ideale Gänger des Netzes.«

»Und was, bitte, soll man sich unter diesem Begriff vorstellen?«, wollte Testare wissen.

»Bis vor Kurzem wusste ich selbst noch nichts von dieser Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ohne Auftrag der Kosmokraten für das Funktionieren des Moralischen Codes zu sorgen. Erst als ich von den 13 Querionen erfuhr, die aus dem Geistesverband ausgeschieden waren, wurde mir klar, dass die Gänger des Netzes die Lösung eures Körperproblems wären ...«

»Ist es möglich, die Ruhenische zu verlassen?«, fiel Alaska ihr ins Wort. Testare konnte ganz deutlich die Beklemmung spüren, die seinen Symbiose-Partner befiel. Er führte das auf die lange Abstinenz des körperlichen Seins zurück. Für Alaska wurde die Körperlosigkeit mit einem Mal, da die Aussicht auf Rückkehr zu der früheren Norm bestand, unerträglich.

»Ich verstehe«, sagte Kytoma. »Ich führe euch in die Stadt der drei Existenzebenen. Auf einer davon könnt ihr körperlich werden.«

Für Testare war es wie eine Rückkehr an einen wohlvertrauten Ort. Er war mit Alaska schon einmal hier gewesen, allerdings als schlafendes, tobendes Cappinfragment. Er bezog sein Wissen über diese seltsame Stadt nur aus Alaskas Erinnerung und aus seinen Emotionen, die diese Erinnerungen weckten.

Alaska hatte schlechte Erfahrungen gemacht, doch wiederholten sich diese nicht. Diesmal stieß ihn die Seele der Stadt nicht ab. Die Stadt empfand ihn nicht als Fremdkörper. Und auch als Alaska unter Kytomas behutsamer Führung körperlich wurde, verwandelte sie sich nicht in den Albtraum, als den Alaska sie im Gedächtnis hatte.

Dafür wurde für Testare ein Albtraum wahr. Er verlor, je körperlicher Alaska wurde, immer mehr den geistigen Kontakt zu seinem Symbionten. Und dann war er auf einmal auf sich allein gestellt.

Testare hatte keinerlei Bezugspunkte mehr. Er war ein freier, ungebundener Geist, der nirgendwo Halt fand. Er war überzeugt, dass sein endgültiges Ende gekommen war.

Testare grollte niemandem, er verfluchte Kytoma auch nicht, die er für sein nahendes Ende verantwortlich machte. Er war nur traurig darüber, dass die Partnerschaft beendet werden sollte.

Dann aber schälten sich aus dem um sich greifenden Nichts Konturen, die zu Formen und Körpern wurden. Laute und Gedanken drangen zu ihm. Er hörte wie aus weiter Ferne Kytomas Gedankenstimme. Sie sprach auf Alaska ein, gab ihm Instruktionen. Sie sagte ihm, wie er den Materieprojektor zu handhaben hatte ... damit er den sich verflüchtigenden Geist einfangen konnte, aus den Psi-Imprints und psionischen Informationsquanten eine Matrize fertigen konnte ... eine Vorlage für eine adäquate Körperprojektion.

»Testare!« Alaska kam in voller Größe auf ihn zu und umarmte ihn. Und Testare spürte den Druck der Arme. Instinktiv erwiderte er den Druck und traute seinen Sinnen nicht, als sie ihm das Empfinden gaben, mit eigenen Händen den Körper des Freundes zu ertasten.

Alaska löste sich aus dem Griff, hielt Testare an den Schultern von sich. Auf dem schmalen, melancholischen Gesicht zeigte sich ein erfreutes Lachen. So hatte er Alaska vorher nie sehen können, und er sah ihn später auch nie wieder so.

»Das bist also du«, sagte Alaska. »Und wie fühlst du dich in einem eigenen Körper?«

Testare tastete sein Gesicht und seinen Körper ab. Er genoss es, mit den Händen den Widerstand des Fleisches zu spüren und gleichzeitig den Druck der eigenen Hände auf den verschiedenen Körperpartien.

»Es ist etwas anders, als sich einen Phantom-Körper einzubilden«, sagte Testare und lauschte dem Klang seiner Stimme. Ohne Verbitterung fügte er hinzu: »Und doch handelt es sich in gewisser Weise auch nur um einen Phantom-Körper.« Er blickte sich suchend nach Kytoma um, fand sie, als halbtransparente Mädchengestalt, links von sich. Er fragte sie: »Wie lange kann ich ihn behalten?«

»Ohne Zeitbegrenzung«, antwortete Kytoma. »Aber nur innerhalb der Reichweite des Materieprojektors. Innerhalb der Stadt.«

Testare wusste nicht zu sagen, wie lange er und Alaska sich so gegenüberstanden und das Wunder des Erstmals-einander-sehen-Könnens genossen. Dem Staunen folgte Betretenheit. Sie ertappten sich dabei, wie sie in ihrem Überschwang mit den Gedanken in eine mögliche Zukunft wanderten, die sie sich sehr naiv und realitätsfremd ausmalten.

»Ich bin euch noch eine Erklärung schuldig«, meldete sich Kytoma. Durch ihren Körper waren die dahinterliegenden, ineinander verschachtelten Formationen der Anlagen der Stadt zu sehen. Alles um sie wirkte wie eine Momentaufnahme. Als stünde die Zeit still. Die Seele der Stadt verharrte, die Welt hielt den Atem an.

Kytoma fuhr fort: »Ich möchte euch die Geschichte der dreizehn Querionen erzählen, die sich zurückentwickelten, um in die kosmische Entwicklung des Standarduniversums einzugreifen. Mein Volk, die Querionen, lebt auf einer Existenzebene, von der es die kosmische Entwicklung des Standarduniversums in seiner Gesamtheit überschauen kann. Die Querionen kümmern sich nicht um die Evolution, für die sie während ihrer früheren Existenz einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Sie verfolgen die Entwicklung des Standarduniversums anhand des Werdens und Sterbens von Sonnen, der Entstehung von Galaxien und der Bildung von Materiequellen.

Nun haben die Querionen vor etwa fünfzigtausend Jahren eurer Zeitrechnung erkannt, dass es in diesem Teil des Universums zu einer Anomalie gekommen ist. Als Urheber einer spontan veränderten Psi-Konstante in diesem Raumsektor mit fünfzig Millionen Lichtjahren Durchmesser haben sie das Kosmonukleotid DORIFER ausgemacht. Sie forschten nicht danach, was der Grund dieser Reaktion des Nukleotids war, noch versuchten sie, eine Wiederherstellung des Status quo zu erwirken. Sie registrierten lediglich das Ereignis und warteten ab. Alle, bis auf eine kleine Gruppe Gleichgesinnter, insgesamt dreizehn an der Zahl. Sie kamen zu der Ansicht, dass etwas unternommen werden musste, bevor DORIFER eine ernsthafte Gefahr für den Moralischen Code des Universums werden konnte. Wohl war ihnen klar, dass sie von ihrer Existenzebene aus nicht wirksam in die Entwicklung des Standarduniversums eingreifen konnten. Also mussten sie sich anpassen. Das wiederum bedeutete, dass sie aus dem Geisteskollektiv ausscheiden mussten. Das war ein schwerer Entschluss, aber schließlich rangen sie sich dazu durch. Sie unterzogen sich dieser gezielten Devolution, bis sie geistig so weit zurückentwickelt waren, dass sie nicht nur die Kosmologie, sondern auch die Evolution geistig in den Griff bekamen. Und damit eröffneten sich ihnen Geheimnisse, die sie längst schon vergessen hatten. Jetzt erkannten sie die Ursache für die Reaktion DORIFERS, erfuhren die Gründe, warum die Psi-Konstante im Bereich dieses Kosmonukleotids hochgeschraubt wurde. Und da sie sich weitestgehend angepasst hatten, konnten sie eingreifen.

Ihre wohl wichtigste Erkenntnis war, dass die Modifizierung der Psi-Konstante es Wesen der unteren Existenzebene, also den Bewohnern des Standarduniversums, ermöglichte, das psionische Netz zur Fortbewegung zu nutzen. Diese Entartung wurde von DORIFER bewirkt, als Gegenreaktion auf eine unbekannte Manipulation.

Die Querionen machten sich die neuen Gegebenheiten zunutze. Sie gründeten eine Organisation, die nicht mehr als fünfhundert Mitglieder haben sollte. Diese Mitglieder wurden aus Bewohnern des Standarduniversums rekrutiert, die gewisse Voraussetzungen mit sich brachten. Für die Eignung war keine besondere Schulung nötig, es waren keine glorreichen Taten zu setzen, keine Prüfungen abzulegen. Wer den Querionen als geeignet erschien, erhielt den Abdruck des Einverständnisses, einen psionischen Imprint, der es ihm erlaubte, das psionische Netz zur Fortbewegung zu nutzen. Die Mitglieder dieser Organisation wurden fortan Gänger des Netzes genannt. Die Querionen leisteten zudem technische Hilfestellung, indem sie Stützpunkte an Netzknotenpunkten und Raumschiffe zur Verfügung stellten.

Noch ein Wort zu den dreizehn Querionen, die diese Organisation begründet haben. Die Zahl und diese Konstellation hat sich nicht zufällig ergeben. Diese dreizehn hatten schon immer in Freundschaft zusammengehört, sie verband eine Kraft, die jener ähnlich ist, die auch Basis eurer Partnerschaft ist. Tornybred, Laymonen, Wybort und wie sie alle heißen – sie haben einst gemeinsam diese Stadt bewohnt. Als ich dich vor Jahrhunderten hierherführte, Alaska, war mir das noch nicht bekannt. Nenne es Zufall, eine glückliche Fügung, du kannst auch mutmaßen, Alaska, dass die dreizehn schon damals Schicksal gespielt haben und mich nach hier lockten ...«

Kytoma machte eine kurze Pause; sie war noch durchscheinender geworden.

»Wie auch immer, ihr könnt die Antworten von ihnen selbst erfragen. Sie werden euch kontaktieren, das versprechen sie. Für mich wird es jetzt Zeit. Leb wohl, Testare. Leb wohl, Alaska. Und viel Glück auf eurem weiteren gemeinsamen Weg – hoffentlich als Gänger des Netzes.«

Kytomas Erscheinung löste sich auf.

Alaska rief ihren Namen, aber er erhielt keine Antwort mehr.

Testare schreckte aus seinem Traum auf, der ihn in die Vergangenheit zurückgeführt hatte, und glitt über die unsichtbare Schwelle in die Realität zurück.

Alaska war zurückgekehrt.

»Hast du dich von dem Schock erholt, den dir die Attacke der Ephemeriden verursachte?«, fragte er.

»Schon längst«, antwortete Testare und ließ seinen Geist von dem flirrenden Schwarm psionischer Informationsquanten aufnehmen, zu dem Alaskas Körper innerhalb der Ruhenische am See Talsamon wurde. »Und was hast du herausgefunden, Alaska?«

Alaska öffnete seinen Geist, und Testare nahm die Informationsflut auf. Über die seltsamen Aktivitäten der Ephemeriden von Absantha-Gom hatte Alaska nichts erfahren, ebenso wenig über die Absichten des Kriegers Granjcar. Dafür hatte er eine Spur von Roi Danton und Ronald Tekener gefunden.

»Wirst du sofort wieder aufbrechen?«

»Nein, keineswegs«, beschwichtigte Alaska. »Ich habe Bedenkzeit bekommen, sodass wir eine Weile zusammenbleiben können. Aber ich möchte, dass du mich begleitest und auf der TALSAMON Posten beziehst. Ich weiß nämlich noch nicht, für wie lange ich in den Dunklen Himmel muss.«

Das hatte noch Zeit. Alaska musste dem Zwerg-Gavvron erst in zehn Tagen wieder zur Verfügung stehen. Zehn Tage ... doch sie vergingen wie ein Augenblick. Das Fatale an den Aufenthalten in der Ruhenische war, dass man die verstreichende Zeit nicht objektiv messen konnte. Wenn Testare allein war, erschien es ihm stets wie eine Ewigkeit, auch wenn im Standarduniversum nur Stunden vergingen. Wochen konnten dagegen zu Sekunden schrumpfen, wenn sein Symbiont hier war.

Alaska erklärte ihm seinen Plan.

»Ich werde die TALSAMON im Orbit von Eklitt zurücklassen, wenn ich mit dem Permitträger in den Dunklen Himmel fliege ... Ich muss das tun, Testare. Das bin ich Perry und seiner Tochter und natürlich auch meinen Freunden Roi und Tek schuldig. Du hast an Bord den Materieprojektor und kannst Gestalt annehmen. Langweilig wird dir bestimmt nicht werden, denn auf Eklitt tut sich immer etwas.«

»In Ordnung.«

»Außerdem könnte es sein, dass ich die TALSAMON kurzfristig an einem anderen Einsatzort benötige. Du müsstest auch wichtige Nachrichten aufzeichnen und an mich weiterleiten. Ich kann jetzt noch nicht übersehen, wie sich die Dinge entwickeln werden.«

»Ich bin einverstanden, sagte ich schon«, erwiderte Testare unwirsch. »Lassen wir die Angelegenheit erst einmal ruhen. Was unternehmen wir gemeinsam?«

»Ich möchte in die Stadt.«

»Nicht schon wieder, Alaska. Ich weiß, was du dort suchst. Aber das findest du nicht. Du weißt doch aus Erfahrung ...«

»Komm, Testare, machen wir den Vorstoß. Zum letzten Mal!«

»Es wird immer das letzte Mal sein, bis in alle Ewigkeit«, seufzte Testare. Aber er konnte den Partner verstehen und vermochte nicht, ihm diesen Wunsch abzuschlagen. Er hätte umgekehrt gewiss dasselbe Verlangen verspürt und ebenso gehandelt. Nur hatte Testare keine solchen geheimen Sehnsüchte als Motor für gewisse Handlungsweisen.

Und dieser feine Unterschied machte deutlich, deutlicher als alles andere, dass sie zwar psionische Symbionten waren, dass aber gleichzeitig jeder von ihnen seine Persönlichkeit bewahrt hatte.

Die Stadt verhielt sich wie bei seinem ersten Besuch, als ihn Kytoma in die fremdartige Architektur eingeführt hatte: abweisend, feindlich geradezu; sie entzog sich ihm, dann wieder stürzte sie mit ihrer ganzen Kraft auf ihn ein. Es war, als besäße er zwar einen Schlüssel für das Stadttor, aber kein Permit für den Zutritt.

Bis hierher, und nicht weiter!

Es war schon mal anders gewesen. Damals, als Kytoma ihn und Testare mit den 13 Querionen zusammengebracht hatte. Sie traten in menschlichen Körperprojektionen auf, als Männer jeden Alters, vom Kind bis zum Greis.

»Es passiert äußerst selten, dass wir gemeinsam auftreten«, sagte ein Halbwüchsiger mit einem blonden Bartflaum. Er hatte große braune Augen, eine kleine Nase und einen vollen Mund. »Aber dies scheint ein besonderer Anlass zu sein. Ihr seid also Alaska Testare, von denen uns Kytoma erzählt hat. Ich bin Lobad.«

Alaska stand den Querionen in seiner Gestalt gegenüber, Testare trat in der Körperprojektion auf.

»Kytoma hat uns die Mitgliedschaft in der Organisation der Gänger des Netzes angeboten«, sagte Alaska. Die Stadt um ihn schien zu schlafen. Er spürte ihre Seele, die jedoch von den 13 humanoiden Gestalten eingefangen schien. Ja, diese Männer verkörperten die Stadt.

Erst wenn sie weggehen würden, würde auch wieder Leben in die Stadt kommen.

»Wir sind einverstanden«, sagte der Querione, der in der Gestalt eines Greises auftrat. Er hatte ein zerknittertes Gesicht und schlohweißes Haar. Um seine Augen zeigte sich ein Netz von Lachfalten, und Alaska fragte sich, ob die Körperprojektionen auch Auskunft über die Mentalität und den Charakter des Querionen gaben, der dahintersteckte. In diesem Fall wäre der Älteste auch der Humorvollste gewesen. »Ich kann euch, wenn ihr bereit seid, sofort zu unserer Basiswelt bringen und euch den Abdruck des Einverständnisses geben. Mein Name ist übrigens Laymonen.«

Laymonen ... Alaska und Testare hatten ihn nur dieses eine Mal gesehen. Die Querionen waren auch den Gängern des Netzes gegenüber überaus zurückhaltend. Sie griffen nur ein, wenn es unbedingt nötig war. Ihnen, Alaska und Testare, wurde erst nachträglich bewusst, welche Ehre ihnen durch die Anwesenheit aller Gründungsmitglieder zuteilwurde. Das war ausschließlich Kytomas Fürsprache zuzuschreiben.

Laymonen lebte nicht mehr. Noch heute rätselte man innerhalb der Gänger des Netzes, wie es zu seinem Tod hatte kommen können, obwohl man die näheren Umstände kannte. Aber diese sagten nichts darüber aus, ob Laymonen nicht vielleicht absichtlich die Verantwortung abgelegt hatte. Es war das erste Mal, dass ein Querione zum Opfer eines Ewigen Kriegers wurde.

Laymonen hatte sich damals auf SHADINN-Station aufgehalten, in der Westside der Galaxis Siom Som gelegen, als der Ewige Krieger den betreffenden Raumsektor zu einer Kalmenzone gemacht hatte. Die Zerstörung des psionischen Netzes hatte für den Querionen eine Flucht per Absoluter Bewegung unmöglich gemacht. Er war dazu verdammt, in seiner Gestaltprojektion in dem Stützpunkt zu bleiben, der von Ijarkor fast völlig zerstört worden war.

Später hatten Ronald Tekener und seine Vironauten den wahnsinnigen Laymonen angetroffen und ihn von seinem erbarmungswürdigen Dasein erlöst. Dies schien zu beweisen, dass er den Freitod gewählt hatte. Warum? Ging er davon aus, dass sein Geist gar nicht in der Kalmenzone verwehen, sondern in das Geisteskollektiv seines Volkes zurückkehren würde?

»Ihr wollt uns ohne weitere Formalitäten in eure Organisation aufnehmen?«, fragte Testare. »Wie könnt ihr wissen, dass wir uns eignen? Was wären unsere Aufgaben?«

Alaska fand sich plötzlich in die Vergangenheit versetzt. Die Stadt narrte ihn. Sie brachte die verschiedenen Existenzebenen, Räume und Zeiten durcheinander und versuchte auf diese Weise, den Eindringling um den Verstand zu bringen.

Lass uns umkehren, Alaska! Laymonen soll für uns ein mahnendes Beispiel sein.

Die Ephemeriden von Absantha-Gom haben es noch schlimmer mit uns getrieben, und wir haben es überlebt, erwiderte Alaska in Gedanken.

Er stand mit Testare wieder den 13 Querionen gegenüber.

»Ihr bringt alle Voraussetzungen mit euch, die von Gängern des Netzes verlangt werden«, sagte ein Querione, der das Aussehen eines dunkelhaarigen Mannes in mittleren Jahren hatte und sich als Tornybred vorstellte. »Es bedarf daher keiner Formalitäten. Und was die Aufgaben eines Gängers des Netzes sind?«

Tornybred erzählte ihnen von den Ewigen Kriegern, die in den zwölf Galaxien der Mächtigkeitsballung ESTARTU die Macht ausübten, die ihnen anvertrauten Völker durch die Philosophie des Permanenten Konflikts, die den Krieg als Vater aller Dinge predigte, ins Verderben stürzten und darüber hinaus durch die Manipulation des psionischen Netzes das Kosmonukleotid DORIFER beeinflussten und so den Moralischen Code gefährdeten.

Damals fehlte Alaska und Testare das nötige Wissen, um die Zusammenhänge zu durchschauen. Aber ein Vergleich mit dem FROSTRUBIN und der Hinweis auf eine mögliche spontane Mutation DORIFERS ließen sie das Ausmaß der Gefahr erahnen.

Tornybred fuhr fort: »Die Aufgaben der Gänger des Netzes sind rasch erklärt. Zum Ersten beheben sie die Schäden im psionischen Netz, die von den Ewigen Kriegern verursacht worden sind. Das ist die am leichtesten zu bewerkstelligende Tätigkeit. Weit schwieriger ist schon die zweite Aufgabenstellung, nämlich bevorstehende Aktionen der Ewigen Krieger, die eine Beschädigung des psionischen Netzes zur Folge hätten, auszukundschaften und sie im Keim zu ersticken. Die dritte und wichtigste Zielsetzung der Gänger des Netzes schließlich ist es, die Lehre des Permanenten Konflikts zu bekämpfen und die Macht der Ewigen Krieger zu brechen. Bisher konnten wir zumindest verhindern, dass sich die Philosophie des Permanenten Konflikts über die Mächtigkeitsballung ESTARTU hinaus ausgebreitet hat, obwohl es etliche solcher Vorstöße gegeben hat. Der letzte galt Gruelfin, und der nächste schon könnte eurer Heimatgalaxis gelten.«

Tornybred konnte unmöglich gewusst haben, wie recht er mit dieser Prophezeiung haben würde, denn damals waren die TSUNAMIS, die Stalker den Weg in die Mächtigkeitsballung ES wiesen, noch nicht vom Krieger Kalmer aufgebracht worden. Der Querione warf einen Köder aus, und sowohl Alaska als auch Testare schluckten ihn.

»Was ist mit Gruelfin?«, wollte der Cappin wissen.

»Die Gefahr wurde ein für alle Mal gebannt, schon vor rund fünfzig Jahren«, erklärte Tornybred. »Dein Volk besitzt eine einmalige Gabe, die für Kodextreue tödlich ist. Ich selbst war es, der Ovaron die entsprechenden Hinweise gab, damit er sein Volk gegen bevorstehende Übergriffe der Ewigen Krieger wappnen konnte ...«

»Ovaron?«, staunte Testare. »Ovaron lebt?«

»Er lebt – so, wie du lebst, so, wie wir leben, in vergeistigter Form«, erklärte Tornybred. »Und er hatte die Kraft, sich seinem Volk mitzuteilen und es dazu zu bringen, sich gegen die Ewigen Krieger zu rüsten. Als sie den Sotho Gun Nliko mit seinem Animateur Kralsh nach Gruelfin schickten, wurde ihnen von deinem Volk ein heißer Empfang geboten. Der Sotho wurde vernichtet, und es wird gewiss kein zweiter Sotho mehr nach Gruelfin geschickt, um dort den Permanenten Konflikt zu verbreiten ...«

Die Stadt riss sie aus der Vergangenheit und stürzte sie in die Hölle einer anderen Existenzebene.

Lass es gut sein, Alaska. Kehren wir um!

Auf dem Persönlichen Sprung nach Eklitt machten sie in einem der Netzknotenstützpunkte einen Zwischenstopp. Alaska rief die neuesten Nachrichten ab, die der Syntron der Gorim-Station gespeichert hatte.

Man schrieb bereits den 13. Dezember 445 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Alaska stellte fest, dass Perry Rhodan seine Nachricht inzwischen entgegengenommen hatte; er bat, über die weiteren Nachforschungen, die Rois und Teks Schicksal betrafen, auf dem Laufenden gehalten zu werden.

Perry Rhodan hatte selbst eine dringende Meldung deponiert, die mit Alaskas Suche nichts zu tun zu haben schien.

DAS HAUS DER FÜNF STUFEN.

Unter diesem Aufhänger hatte Perry einen Bericht über seine Erlebnisse auf Bonfire gespeichert. Daraus ging hervor, dass unter dieser Bezeichnung eine Organisation gegründet worden war, die keine andere Aufgabe als die Jagd nach Gängern des Netzes zu haben schien. In Sothalk nannten sich diese Gorim-Jäger Hatuatano. Der Hatuatano hatte fünf Anführer, die als Hatuatani bezeichnet wurden. Ihnen stand ein zwergenhafter Humanoide vor, der den Namen Lainish trug. Ihm zur Seite standen zwei Somer, die eine nicht abgeschlossene Upanishad-Ausbildung hatten, ein nagathischer Droide und ein Nakk.

»Seit wann beteiligen sich Nakken an Kampfaktionen?«, wunderte sich Alaska. Aber diese Tatsache bereitete ihm weniger Kopfzerbrechen als eine andere, die aus dem Nachsatz hervorging, den Perry an seinen Erlebnisbericht angeschlossen hatte.

»Warnung an alle Gänger des Netzes: Das Haus der fünf Stufen ist eine Organisation, die uns allen noch große Schwierigkeiten bereiten könnte. Obwohl es sich bei dem Hatuatano um eine illegale Organisation zu handeln scheint, wird er von den Ewigen Kriegern, zumindest von einigen von ihnen, insgeheim unterstützt. Besonders gefährlich ist ihr Anführer Lainish, ein Zwerg-Gavvron, der an Skrupellosigkeit unübertroffen sein dürfte und ein Intrigant vom Schlage Stalkers ist.«

Als Alaska dies vom Syntron erfuhr, sah er Lainish förmlich vor sich, wie er von seinem Permit die Totenliste mit Rois und Teks Bildnissen abspielen ließ.

»Schau an«, sagte er und fügte hinzu: »Danke für die Warnung, Perry, aber ich muss sie leider ignorieren.«

Perry Rhodan hatte noch eine letzte Anmerkung gemacht, doch die nahm Alaska nur unbewusst wahr. Darin ging es um einen Ausspruch des Nakken, den Perry für eine Art syllogistisch verschlüsselte Botschaft hielt und an die er die Bitte an alle Netzgänger um Aufklärung schloss, falls jemand in der Lage war, eine Deutung zu geben.

Der Ausspruch lautete: »Es gibt kein Leben außer in Meekorah, denn Tarkan, die Schrumpfende, birgt nur den Tod.«

Die Worte gingen Alaska nicht tiefer.

»Auf zur TALSAMON, Testare!«, sagte er.

2. Drei Netzgänger auf Abwegen

Ein bisschen komisch bin ich den Netzgängern aus der fernen Milchstraße sicher immer vorgekommen. Aber das hat mich nie gestört. Ein Teil meines Körpers gleicht dem ihren verblüffend. Perry Rhodan hat sich darüber gewundert. Auch Atlan, der ja, wie ich inzwischen weiß, kein Terraner ist. Eirene hat sich nicht gewundert. Geoffry Abel Waringer, der Hyperphysiker, auch nicht. Aber bei dem ist das wohl normal, denn er ist kein Netzgänger. Und er will keiner werden.

Ich bin Netzgänger. Ich bin Friz Hedderle.

Icho Tolot, der die Flucht ergriffen hat, sagte einmal zu mir, dass selbst mein Name terranisch klingen würde. Ich musste nachfragen, um zu erfahren, was »terranisch« bedeutet.

Das Wissen nutzt mir nichts mehr, denn unsere Annäherung an den KLOTZ hat bewiesen, dass wir uns übernommen haben. Vielleicht kommen gerade dadurch diese Gedanken in meinen Sinn. Ich bin verzweifelt, denn ich sehe das Ende. Und den KLOTZ.

Mein Aussehen habe ich immer als normal empfunden. Ich habe mich nie darüber gewundert, dass andere Wesen (wie beispielsweise Ynk und Unk) ganz anders aussehen. Natürlich sind »Ynk« und »Unk« nur Namen, die aus meinem Sprachschatz stammen. Ich kenne ihre wirklichen Namen, aber die sind unaussprechlich.

Sie sind Netzgänger. Wie ich. Und so gut wie tot.

Geoffry Abel Waringers Superprodukte, die Strangeness-Schilde, sollten uns vor dem Unheimlichen und dem Unverständlichen des KLOTZES schützen.

Aber sie taugen nichts!

Das ist das Ende.

Ich bin Friz Hedderle. Ein Netzgänger. Ein Leichnam. Ein Angehöriger des Volkes der Frabumesser. Ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Es ist auch unwichtig. Der KLOTZ hat zugeschlagen. Die Strangeness-Schilde brechen zusammen. Ynk und Unk torkeln.

Nach den Gesprächen mit Geoffry Abel Waringer (und seinem Daniel, der von nichts eine Ahnung hat), weiß ich, dass ich »obenherum« wie ein biederer Terraner aussehe. Ich pflege meine Haare zu sehr. Ich trage eine Kleidung, die Geoffry akzeptiert (er hat wohl so ein paar traditionelle Macken), aber sonst keiner. Pullover und der Wille, sehr ordentlich zu wirken.

Das sind die Gedanken im Anblick des Todes. Merkwürdig, würde manch einer sagen, aber der KLOTZ hat zugeschlagen. Ich sehe das Ende. Und nun ärgere ich mich, weil ich mich zu brav gekämmt habe.

Widersinn? Nein. Im Moment der Vernichtung erlebt man Dinge, die unwichtig erscheinen, aber doch wichtig sind.

Ich habe meinen Unterleib nie gezeigt. Vielleicht ein Komplex meines Volkes, der Frabumesser. Es hat mir genügt, Netzgänger zu werden. Es hat mich innerlich erfüllt, diese Mission gegen den KLOTZ durchführen zu dürfen.

Ja, sie haben meinen Unterleib nie gesehen. Obwohl sich dort (hinter der Plastikhaut, der künstlichen Hülle) meine Sinne verbergen. Mein Gehörsinn, mein optischer Sinn, meine Sprechquaddel, mein Geruchsempfinder, meine Gedanken.

Ich sehe dort so fremdartig aus (für die terranischen Netzgänger), dass kein Vergleich zuträfe. Deshalb weigere ich mich, dies in der Stunde meines Todes in Gedanken zu fassen.

Sie haben es mir nie vorgehalten! Sie haben mich akzeptiert: Perry Rhodan, Eirene, Geoffry, Icho, der mich nie Frizos genannt hat (was mich schmerzt). Gesil, die besser lachen konnte als jeder andere. Sie sind auf der richtigen Seite.

Ohne Hilfe sind Ynk und Unk verloren. Ich habe mein Leben bereits beendet. Hat Unk nicht ein Hyperfunkgerät dabei? Ich weiß es nicht mehr. Der Wahnsinn greift nach mir.

Nein! Es gibt keinen Wahnsinn im Leben eines Friz Hedderle!

Mein Pullover sitzt ordentlich. Aber die Flüssigkeit in meinem Unterleib beginnt zu sieden.

Todesangst!

Icho Tolot hat zwei Lichtminuten geschafft.

Annäherung an den KLOTZ.

Ynk, Unk und ich haben eine Minute der Flugzeit der Lumin-Photonen erreicht. Wir haben gedacht, wir packen es. Wir haben uns geirrt, der KLOTZ schlägt zu. Mit seinem unbegreiflichen Rätsel, das Macht ist. Fremde Macht. Geoffry hat sich mit den Strangeness-Schilden und all seinen Gedanken über Hyperstrahlung und Fremdeffekte wahnsinnige Mühe gegeben – vergebens.

Ich sterbe.

Oder?

Ynk gleitet an mir vorbei. Er spricht in ein Gerät. Ich kann nicht erkennen, was das für ein Gerät ist.

Ich fühle mich plötzlich sehr wohl. Mein so terranisch-unterschiedlicher Unterleib ist vergessen. Mein terranisches treu-braves Männergesicht ist vergessen.

Vielleicht hat man in der Sekunde seines Todes Visionen. Meine heißen Ratbertostanposypoos.

Es ist sehr wohltuend, dass ich nicht mehr darüber nachdenken kann, welche Bedeutung Ratbertostanposypoos wohl hat.

Wenn ich im Heim der verstorbenen Frabumesser bin, werde ich mich nicht mehr daran erinnern können. Der Tod löscht die Gedanken. Und was dann bleibt, weiß ich nicht.

Ynk hält ein Ding fest. Es könnte ein Mikrofon sein. Was soll ich davon halten? Wahrscheinlich nur eins: Ich lebe noch.

Das ist unbegreiflich. Geoffrys Schilde haben doch versagt. Oder wir?

Ich lebe noch. Ich merke auch etwas.

Da ist eine Macht auf oder in dem KLOTZ.

Perry Rhodan hat den Namen geprägt.

Und wir Netzgänger, Ynk, Unk und ich, Friz Hedderle, holen die Kastanien für ihn und die verbliebenen Querionen aus dem Feuer. Feuer? Wahnsinn?

Der KLOTZ! Seine Hyperstrahlung. Sie killt Geoffrys Schilde. Auch meinen! Ich blicke auf das kleine Gerät, das Ynk, Unk und mich schützen soll. Der Schild, den dieses Gerät erzeugt hat, ist längst verschwunden. Aufgefressen vom KLOTZ!

Geoffry hat diese Miniaturkiste erst jüngst entwickelt und zusammengebaut. Ein kleiner Kasten von zwölf mal drei mal sieben Zentimetern. Er sollte Ynk und Unk und mich schützen. Den Kasten des Strangeness-Schildes kann man überall unterbringen. Am Gürtel, am Schulterriemen – oder sonst wo.

Schulterriemen: Hab ich nicht. Könnte ich vielleicht tragen.

Gürtel: Habe ich erst recht nicht.

Mein wässriger Unterleib erlaubt so etwas nicht.

Unser kleines Raumschiff wird hartnäckig vom KLOTZ angezogen.

Der Wahnsinn in meinem Kopf ist schlimmer geworden. Dafür werden aber auch die Erinnerungen besser.

Der Strangeness-Schild, eigentlich ein Kontra-Strangeness-Schild, ist ein energetisches Feld, das den Einfluss fremduniverseller Impulse verhindern soll. GAF, das ist meine persönliche Abkürzung für Geoffry Abel Waringer, irrt sich in diesem Punkt.

Wir (Ynk, Unk und ich) werden zwangsweise am KLOTZ angedockt.

Unk ist umgefallen. Ynk zappelt noch.

Er klammert sich ans Mikro. Er schreit nach Hilfe.

Der KLOTZ frisst uns auf.

Sein gieriges Maul ist unsichtbar und doch da. Ynk zappelt immer noch. Ich zapple auch. Tun kann ich schon lange nichts mehr.

Ein Knall! Berührung.

Berührung mit dem KLOTZ. Er frisst uns auf. Und wir gehen in eine ungewisse Zukunft, die der Wahnsinn des KLOTZES bestimmt.

Ist ein Hilferuf nach Sabhal aus unseren Funkgeräten gegangen? Ich weiß es nicht. Aber plötzlich merke ich, dass ich ununterbrochen gesprochen habe.

Auch Ynk und Unk haben ihre Eindrücke seit dem Auftauchen der unbegreiflichen Strahlung geschildert. Natürlich sprach Ynk in ein Mikrofon.

Ganz fremde Gedanken tauchen in meinem Kopf auf. Die meisten sind unverständlich. Bilder vermischen sich mit unhörbaren Worten, die in meinem Kopf explodieren. Ich sehe GAF, obwohl er bestimmt nicht hier sein kann. Seine Augen sind voller Trauer. Ich sehe Teile des KLOTZES in meiner unmittelbaren Nähe.

Der Wunsch, endlich die Besinnung zu verlieren, macht sich in mir breit. Aber diese Sehnsucht bleibt unerfüllt. Dafür geschieht etwas ganz Merkwürdiges. Ein Begriff formt sich mit großer Deutlichkeit in meinem Gehirn. Ich habe das Gefühl, dass mir jemand eine telepathische Botschaft zukommen lassen will. Vermutlich ist mein verkümmerter telepathischer Sinn unter dem Eindruck der Wahnsinnsstrahlung etwas aktiviert worden.

»Ratbertostanposypoos!«

Ich meine, dieses Wort schon einmal gehört zu haben. Oder sind es nur die Gefühlsschwingungen, die den Begriff begleiten? Ich will den Gedanken auftrennen, aber auch das gelingt nicht. Irgendeinen Sinn muss dieses Wort doch haben!

Ich taumele in etwas hinein. Vermutlich ist es der KLOTZ.

Endlich schalten sich meine Gedanken ab.

»Sie haben den Verstand verloren«, stellte Geoffry Abel Waringer entsetzt fest, als die Hyperfunkempfänger schwiegen. »Ich muss befürchten, dass wir diese drei Gänger des Netzes verloren haben. Die Prototypen der Strangeness-Schilde haben nicht gehalten, was ich von ihnen erhofft hatte.«

Gesil und Eirene, die im Hauptlabor des Wissenschaftlers weilten und die Geschehnisse verfolgt hatten, schwiegen betreten.

»Wenn Icho Tolot noch hier wäre«, sagte Perry Rhodans Tochter schließlich, »hätten wir noch eine Chance, die drei herauszuholen.«

»Ich bezweifle das«, widersprach Waringer. »Der Haluter hat damals eine Annäherung bis auf zwei Lichtminuten geschafft. Dann hat auch sein Metabolismus versagt ...«

Waringer überdachte seine Chancen und das Problem der drei Netzgänger. An sich war seine Idee von bestechender Einfachheit gewesen. Der Hyperphysiker konnte besser als jeder andere auf Sabhal beurteilen, welche physikalischen Konstanten in diesem Universum von Bedeutung waren. Eine davon drückte sich in dem Faktor aus, den er Strangeness nannte.

Es bedeutete Fremdheit. Oder das Andersartige.

Die Messergebnisse, die er aus den Strahlungen des KLOTZES gewonnen hatte, wiesen aus, dass dieser unförmige Brocken von seinem Strangeness-Wert nicht den bekannten Gegebenheiten entsprach. Waringer hatte daraus gefolgert, dass der KLOTZ fremduniversell sein musste.

Auf Icho Tolot konnte er nicht mehr zählen. Der Haluter hatte sich klammheimlich vor wenigen Tagen von Sabhal entfernt. Angeblich hatte er schon seit längerer Zeit einen inneren Drang in sich gespürt, dem er nachgeben wollte. Er hatte sich in Richtung Kugelgalaxis M 87 auf den Weg gemacht, um herauszufinden, was aus den Vorfahren der Haluter, den sogenannten Bestien, geworden war. Damit hatte er fraglos jene Wesen gemeint, die in der Gestalt der Pelewons bis zum heutigen Tag in M 87 existieren mussten. Die letzten Kontakte zu den Pelewons stammten aus dem Jahr 2436 der alten Zeitrechnung, war also fast 1600 Jahre her. Wann sie wieder von Tolot hören würden, stand im Sinne des Wortes in den Sternen.

Auch mit Perry Rhodan war im Moment nicht zu rechnen. Dieser hatte über Psi-Info von Alaska Saedelaere einen Hinweis über Roi Danton und Ronald Tekener erhalten, die seit rund 16 Jahren als verschollen galten. Es hieß, dass Rhodans Sohn und der Smiler vom Krieger Ijarkor in die Orphischen Labyrinthe von Trovenoor verbannt worden seien, in einen Labyrinth-Sektor, der mit dem Planeten Yagguzan identisch sein sollte. Die nächste Kalydonische Jagd, so Alaska, sollte im Lauf des nahenden März 446 beginnen – und er hege die Absicht, dieses Ereignis zu nutzen, die Verbannten zu finden.

Für Perry Rhodan war diese Information Grund genug, ebenfalls in die Orphischen Labyrinthe vorzudringen. Er hatte Waringer um Unterstützung gebeten – natürlich in technischer Hinsicht. Viel war über die Energieverhältnisse in den Orphischen Labyrinthen nicht bekannt, aber Waringer hatte ein Gerät entwickelt, das er Labyrinth-Taucher getauft hatte. Es sollte einem unbefugten Eindringling Schutz bieten. Natürlich hatte das Gerät nicht in der Praxis erprobt werden können. Da Perry Rhodan sich selbst zur Eile drängte, war er aufgebrochen, um mit Waringers Errungenschaft Erfahrungen zu sammeln.

Nicht viel anders sah es mit Atlan aus, der damit beschäftigt war, einen Vorstoß ins Innere DORIFERS vorzubereiten, um eine gründliche Untersuchung des Kosmonukleotids vorzunehmen. Da lag es auf der Hand, dass der Arkonide sich nicht ablenken lassen wollte.

Waringer musste sich also selbst um das Schicksal der drei Netzgänger kümmern.

Doch erst musste er die letzten Daten, die das Kleinraumschiff der drei wagemutigen Netzgänger übertragen hatte, auswerten. Davon erwartete er neue Erkenntnisse, die seine bisherigen Theorien untermauern und verbessern sollten. Seinem Lieblingsprojekt, der Vektorierung des Grigoroff-Projektors, würde er wohl weiterhin keine Zeit widmen können.

Zuerst musste er einen Weg finden, die Rettungsaktion ohne Beteiligung von Lebewesen durchführen zu können.

Auf die Strangeness-Schilde hatte Waringer große Hoffnungen gesetzt, denn sie sollten es einem organischen Wesen ermöglichen, sich dem KLOTZ bis auf weniger als vier Lichtminuten zu nähern. Diese Grenze schien eine gesetzte Größe zu sein. Ynk, Unk und der seltsame Friz Hedderle hatten darauf gedrängt, mit den Schilden einen Vorstoß zum KLOTZ zu wagen. Waringer hatte die drei gewarnt, denn er wusste am besten, dass die neuen Geräte noch im Experimentierstadium waren.

»Ich habe einen oder mehrere Faktoren falsch eingeschätzt«, murmelte Waringer, als er den Kontrollraum verließ, von dem aus das Kleinschiff der drei Netzgänger geführt worden war.

Er eilte in sein Hauptlabor, um die Auswertung der gewonnenen Daten in Angriff zu nehmen. Zu seiner Überraschung stellte er fest, dass die Bordeinrichtungen des Kleinschiffs noch immer übertrugen, allerdings verzerrt und teilweise verstümmelt. Sicher würden sich daraus noch Hinweise ergeben.

»Hallo, Chef«, sagte Daniel, aber Waringer beachtete den Roboter nicht, denn er war zu tief in seine Gedanken versunken.

Strangeness! Das war das Schlüsselwort und zugleich das Problem.

Zur Bestimmung eines definierten Ortes im Einstein-Raum wurden drei Koordinaten benötigt, die aus den räumlichen Angaben der Länge, der Breite und der Höhe hergeleitet werden konnten oder diesen direkt entsprachen. Um ein Ereignis im Einstein-Raum eindeutig festzulegen, musste eine vierte Koordinate hinzugefügt werden, die der Zeit. Diese einfache Erkenntnis war uralt.

Ganz anders sah die Sache bei der Definition eines Ereignisses im Hyperraum aus. Neben den vier erwähnten Koordinaten wurde hier eine weitere benötigt – die der Strangeness.

Nach den allgemein gültigen Vorstellungen waren in den Hyperraum nahezu unzählige Paralleluniversen eingebettet. Aus der Sicht eines Angehörigen des Einstein-Universums war jedes Paralleluniversum ein »Ereignis«. Und da zwei verschiedene Ereignisse nicht gleich sein konnten, musste jedes Paralleluniversum somit seinen eigenen messbaren Wert haben.

Der Strangeness-Wert eines Universums war grundsätzlich konstant. Daher pflegte Waringer von einer Strangeness-Konstanten zu sprechen, wenngleich sich diese Aussage immer nur auf sein Universum bezog.

Strangeness ließ sich nicht als absoluter Wert messen. Wohl war es aber möglich, die Unterschiede zwischen Strangeness-Werten zu bestimmen. Da gegenüber einem dem heimatlichen Universum entstammenden Messsystem jeder andere Strangeness-Wert nach einer Seite abwich, hatten sich die galaktischen Wissenschaftler schon vor vielen Jahren dem Vorschlag Waringers angeschlossen, der Strangeness des Standarduniversums den Wert null zuzuordnen.

Folglich waren andere Universen umso »fremder«, je mehr ihr Strangeness-Wert von null abwich.

Diese Messungen waren problematisch. Es galt, minimale Abweichungen in verschiedenen Naturkonstanten zu vermessen und zu bewerten. Wenn man zum Messobjekt, also einem anderen Universum, freien Zugang hatte, ließ sich dessen Strangeness-Wert über die Abweichungen der Vakuumlichtgeschwindigkeit, das Planck'sche Wirkungsquantum, die Avogadro'sche Konstante zur Bestimmung der elektrischen Elementarladung oder die Rybergkonstante für die atomare Kernmasse ermitteln. Auch die Vermessung der Boltzmannkonstante zur mittleren Energie eines Teilchens oder die der Faraday'schen Konstante konnte zum Ziel führen.

Alle diese Möglichkeiten fehlten Waringer beim KLOTZ, denn dieser erwies sich als praktisch unnahbar. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. Der Wissenschaftler war daher bei seinen Untersuchungen auf indirekte Messungen, telemetrische Studien oder auf die Daten von ausgeschickten Sonden angewiesen.

Allein aus der aufgefangenen Hyperstrahlung hatten sich geringe, aber von den bekannten Konstanten abweichende Werte ergeben. Damit war die dem KLOTZ innewohnende Strangeness mit gewissen Unsicherheiten bestimmt worden.

Eine geringe Strangeness, also ein Wert, der von null verschieden war, existierte. Dieser Wert war nicht stabil. Er wanderte auf null zu, also auf den Wert des Einstein-Universums.

Die Schlüsse aus dieser Tatsache waren nicht eindeutig.

Waringer war davon überzeugt, dass der KLOTZ einem Fremduniversum entstammte. Er ging davon aus, dass eine besonders heftige Energieentfaltung den KLOTZ aus seinem Stammuniversum in den Einstein-Raum geworfen hatte. Solche Vorgänge ließen sich berechnen. Ihre Wahrscheinlichkeit war sehr gering, aber diese Wahrscheinlichkeit ließ sich extrapolieren. Folglich war es für den Hyperphysiker wahrscheinlich, dass das Erscheinen des KLOTZES ein gezieltes Ereignis darstellte.

All diese Überlegungen schossen Waringer durch den Kopf, während er die Auswertung der Impulse des Kleinraumschiffs vornahm. Die Signale wurden immer schwächer und undeutlicher. Aber es war klar, dass das Schiff noch eine Reststrahlung der Projektoren der Strangeness-Schilde aufnahm. Die drei Netzgänger konnten noch am Leben sein!

Weiter wurde deutlich, dass das Kleinraumschiff keine Bewegung mehr durchführte. Die eingekehrte Ruhe des Schiffes weckte die Vermutung, dass es entweder in einem Fesselfeld gehalten wurde oder bereits an den KLOTZ angedockt worden war.

Zu Waringers Ärger ließ sich die Entfernung des Kleinraumschiffs zum KLOTZ nicht mehr bestimmen. Die letzte exakte Aussage darüber wies eine Distanz von gut 25 Millionen Kilometern aus, was weniger als eineinhalb Lichtminuten entsprach.

Auf Anruf reagierten weder die Schiffspositronik noch die drei vorwitzigen Netzgänger.

Da weitere Erkenntnisse nicht zu erlangen waren, fasste Waringer einen Entschluss. Die Netzgänger brauchten sofort Hilfe, auch wenn der Metabolismus von Ynk und Unk sich mit der Widerstandsfähigkeit Icho Tolots vergleichen ließ. Über Friz Hedderles Körperwerte wusste Waringer nicht Bescheid, weil der Frabumesser jede Auskunft darüber verweigert hatte.

»Rettungsplan 2!«, bestimmte Waringer. »Plan 3 vorbereiten.«

Seine Leute und die Roboter setzten sich in Bewegung. Nur Daniel rührte sich nicht.

Waringer wies die Zentralpositronik ein letztes Mal an, eine Befehlsfolge an das Kleinraumschiff auszustrahlen, um dieses zur Umkehr zu bewegen. Die Nachricht ging hinaus, aber es erfolgte weder eine Bestätigung noch eine andere erkennbare Reaktion.

»Plan 2 zur Ausführung bereit«, erklang eine Kunststimme.

»Start!«, befahl der Hyperphysiker.

Die Flotte von zwölf Raumschiffen, die sich in Größe und Form nur wenig vom Schiff der drei verschollenen Netzgänger unterschieden, jagte in den Himmel von Sabhal. An Bord eines jeden Schiffes der Typenklasse EMSE befanden sich vier modernste Hilfsroboter. Waringer hatte für diesen Rettungsversuch alles aufgeboten, was ihm zur Verfügung stand.

Plan 1 schied aus, da bei dessen Realisierung der Kontakt zu zumindest einem der Netzgänger oder zu ihrem Schiff unabdingbar erforderlich war.

Nun setzte Waringer auf diese Robotflotte.

Die EMSE-Raumer waren nur in der Lage, bis zur Vier-Lichtminuten-Grenze zu fliegen. Von dort aus mussten die Hilfsroboter ihren Weg nach einem programmierten Plan mit dem eigenen Antriebssystem fortsetzen. Die Kleinschiffe sollten in eine Warteposition in fünf Lichtminuten Entfernung des KLOTZES gehen, um gegebenenfalls nach Weisungen von Sabhal in das weitere Geschehen eingreifen zu können.

Eine weitere Aufgabe der Transportschiffe war, als Relais für die Hilfsroboter zu dienen. Waringer war davon überzeugt, alle Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben. Jetzt galt es abzuwarten.

Diese Zeit wollte der Wissenschaftler dazu nutzen, sich mit seinem Plan 3 zu befassen. Für eine Rettung der Gestrandeten war diese Maßnahme nur indirekt geeignet, denn hier ging es in erster Linie um die Realisierung des Projekts »vektorierbarer Grigoroff-Projektor«. Waringer verfügte bereits über 13 Sonden mit miniaturisierten Metagrav-Triebwerken. Auf die setzte er, um mehr über den KLOTZ oder seine Herkunft in Erfahrung zu bringen.

Der Grigoroff-Projektor war ein elementarer Bestandteil der Metagrav-Triebwerke. Er erzeugte eine Schirmhülle, die Grigoroff-Schicht, die ein Raumgefährt während des Fluges durch den Hyperraum so von jeglicher universellen Umgebung abschirmen konnte, dass es mitsamt dem erzeugten Mikrouniversum sich selbst transportierte.

Allerdings bestand während des Metagrav-Fluges eine Gefahr: Wenn der Grigoroff-Projektor versagte, brach die Grigoroff-Schicht zusammen. Zahlreiche Metagrav-Raumschiffe, die nie mehr ein Lebenszeichen von sich gegeben hatten, legten Zeugnis dieses Problems ab. Sie konnten theoretisch sogar in einem fremden Universum rematerialisieren. Bei den erlittenen Schäden war es wohl unmöglich, jemals wieder das Heimatuniversum zu erreichen.

Waringer dachte, dass ein solches Schicksal auch Fremden widerfahren sein konnte. Fremden, die den KLOTZ »überfordert« und damit in ein anderes Universum geschleudert hatten.

Der Anreiz bei dieser Idee lag auf einer einfachen Ebene. Die Strangeness-Konstante des KLOTZES war zwar nicht exakt bekannt, aber immerhin so gut, dass es gelingen könnte, die Sonden mit den miniaturisierten Metagravs eben in dieses Universum zu schicken, aus dem der KLOTZ kam.

Der technische Trick dabei lag darin, einen Raumkörper durch gezieltes Ausschalten der Grigoroff-Schicht dazu zu bringen, dass er in ein anderes Universum stürzte. Untersuchungen in dieser Richtung hatte Waringer schon in größerem Umfang durchgeführt. In der Theorie war das Problem gelöst. Der Grigoroff-Projektor musste nur vektorierbar sein.

Vektorierbar, das bedeutete, seine Strahlung nach der Größe und der Richtung gezielt regulieren zu können. Ein Vektor als mathematisch-physikalische Einheit beinhaltete die beiden Werte Richtung und Größe. Dazu kam dem Ausgangspunkt des Vektors Bedeutung zu. Letzterer war in den praktischen Versuchen mit Kleinsonden, die mit einem Metagrav ausgestattet waren, identisch mit dem vierdimensionalen Ort der Sonde. Und im Betrag und der Richtung des Vektors ließ sich ein bestimmter Strangeness-Wert ausdrücken. Normale Metagrav-Triebwerke für den Flug im Einstein-Universum waren so justiert, dass diese Werte der Strangeness null entsprachen. Kam es bei einer Fehljustierung oder ungewollten Veränderung dieser Ausgangswerte zu einem Metagrav-Flug, konnte der erwähnte Unglücksfall eintreten. Das Raumschiff verließ das angestammte Universum.

Diesen »Unglücksfall« wollte Waringer nutzen, um Übergänge zu anderen Universen zu finden. Er musste einen Grigoroff-Projektor entwickeln, der sich gezielt an- und abschalten ließ. Das System musste durch eine spezielle Positronik mit Empfangssensoren gesteuert werden, die eine Rückkehr aus dem Paralleluniversum möglich machen konnte, indem dort entsprechende Werte für den Rückkehr-Vektor bestimmt wurden.

Die 13 Sonden wurden in ihren Grigoroff-Projektoren so justiert, dass sie im Moment der Abschaltung Strangeness-Werte aus ihren Vektoren erzeugten, die allesamt um die Werte des KLOTZES lagen. Nach der Wahrscheinlichkeitsberechnung des Hyperphysikers mussten zumindest zehn Sonden ein anderes Universum erreichen und alle dasselbe und jenes, aus dem vermutlich der Klotz stammte.

Die Sonden waren mit Aufzeichnungsgeräten ausgestattet, die Bilder des Zieluniversums mitbringen sollten. Dazu enthielten die Sonden Messsysteme, die alle erreichbaren physikalischen und hyperphysikalischen Daten speichern würden, sodass später eine exakte Bestimmung der Strangeness-Werte des Zieluniversums möglich sein würde.

Die Aufenthaltsdauer in dem anderen Universum wurde mit zwei Stunden festgelegt. Damit sollte verhindert werden, dass die Raumkörper entdeckt und womöglich vernichtet werden konnten.

In einem Nebentrakt von Waringers Laborräumen lief zur selben Zeit die Produktion weiterer Raumsonden an, damit diese Reihe von Experimenten fortgesetzt werden konnte.

Drei Stunden nach dem Start der Rettungsroboter wurden die 13 Raumsonden in Marsch gesetzt. Fast zur selben Zeit trafen die ersten Informationen der Kleinraumschiffe an der Fünf-Lichtminuten-Position ein.

Der Kontakt zu den Rettungsrobotern war abgerissen. Und die Automatiksysteme der EMSE-Schiffe zeigten, dass die Rettungsroboter ziellos durch den Raum torkelten. Ihre Kontrollsysteme versagten trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.

Dann wurden die Streufelder einer harten Hyperstrahlung aufgenommen, die aus dem KLOTZ kam. Sie schien direkt auf die syntronischen Steuer- und Kontrollsysteme der Roboter zu wirken. Diese Maßnahme hatte für Waringer »etwas Gezieltes« an sich. Das hieß, sie konnte nicht rein zufällig oder natürlich sein. Dadurch entstand der Eindruck, dass es im KLOTZ eine Macht gab, die Neugierigen gegenüber feindlich gesinnt war.

Waringer schloss daraus, dass es womöglich im Innern dieses Riesenbrockens organisches Leben gab. Er räumte aber ein, dass robotische Systeme die Verursacher sein konnten.

Einen winzigen Teilerfolg erbrachte der Rettungsversuch dennoch. Ein gestörter Rettungsroboter nahm ein paar Bilder auf, die seine EMSE nach Sabhal weiterleiten konnte. Darauf entdeckte Waringer das Raumschiff der drei verschwundenen Netzgänger. Das kleine Gefährt war energetisch auf der Oberfläche des KLOTZES verankert. Von Unk, Ynk und Friz Hedderle gab es aber keine Spur.

3. Huakaggachua

Ich erwachte und wusste im gleichen Moment, dass ich eine sehr lange Phase der Desaktivierung hinter mir hatte. Aber sonst wusste ich fast nichts. Mein Gedächtnis war gelöscht worden. Mein Name war da.

Huakaggachua.

Sonst war da nichts.

Mich beunruhigte das wenig, denn mein Gefühl sagte mir, dass die Erinnerung zurückkehren würde, wenn der Schock abgeklungen war.

Meine Wurzeln krallten sich in warmen und steinigen Boden. Ich hatte Halt, aber kein Wasser. Und Wasser war das, was ich brauchte, um meine Lebensgeister voll entfalten zu können. Ohne Wasser besaß ich nicht einmal die Kraft für eine räumliche Versetzung.

Wohin sollte ich mich überhaupt versetzen? Ich empfing keine konkreten Eindrücke meiner Umgebung. Wahrscheinlich herrschte hier Dunkelheit. Also war es Nacht.

Ich neigte meine Knospe in verschiedene Richtungen. Da waren vage Impulse, die von Leben zeugten. Wahrscheinlich ruhten die Bewohner dieses Planeten gerade.

Meine Versuche, den Blütenkopf zum Leuchten zu bringen, scheiterten. Ich war zu schwach, zu verwirrt, zu unglücklich.

Als Nächstes erkannte ich den Grund für meine Verzweiflung. Ich war einsam. Mein Kopf war dunkel, innen wie außen. Die vier Blätter hingen schlaff am Stamm.

Ich versuchte, mich zu erinnern. Dabei setzte ich unbewusst den übergeordneten Wahrnehmungsmechanismus in Gang, der mir Bilder von anderen Orten, vom Gestern, vom Heute oder gar vom Morgen vermitteln konnte. Auch jetzt empfing ich nichts. Die Umgebung war stumpf. Die übergeordneten Bilder waren nur schwarze und inhaltslose Flecken.

Meine Trauer steigerte sich.

Dann erreichte mich ein Bild, das mich heftig verwirrte. Es konnte nur ein Bild der Vergangenheit sein, denn ich erkannte sogleich, dass es sich um Comanzatara handelte. Damit kehrte ein winziges Fragment der Erinnerung zurück. Comanzatara war vor Urzeiten verschwunden. Sie konnte nicht mehr existieren. Also handelte es sich um Bilder der Vergangenheit, sagte ich mir.

Langsam legte sich die Erinnerung an die verstorbene Artgenossin weiter frei. Das führte zu Widersprüchen mit dem Bild, das ich empfing. Ich kannte Comanzataras ganzes Leben bis zum Tag ihres Verschwindens. Und eine Szene wie diese gab es in diesem Leben nicht. Es hat sie weder früher gegeben noch könnte sie je danach Wirklichkeit geworden sein, selbst wenn Comanzatara noch leben würde.

Sie tötet gezielt ein anderes Lebewesen! Sie lässt dessen technisches Instrument mit der Kraft ihrer Gedanken explodieren! Eine unfassbare Geschichte!

Ich muss verrückt geworden sein, denn das sind unwahre Bilder.

Comanzataras Umgebung ist so fremdartig. Da sind andere Lebewesen.

Eines heißt Jizi Huzzel.

Ein anderes heißt Oliver Grueter. Es stirbt durch Comanzataras unvorstellbare Tat.

Endlich verblasste die irritierende Erscheinung. Ich fühlte mich wieder etwas besser und konzentrierte mich wieder auf meine nähere Umgebung.

Es herrschte eine natürliche Schwerkraft vor. Ich wusste, wo »oben« und »unten« waren. Eine natürliche Atmosphäre umgab mich. All das unterstrich meine erste Feststellung, dass ich mich auf einem Planeten befand. Es drangen jedoch keine Geräusche zu mir vor.

Ich erweiterte das Umfeld, aus dem ich Informationen gewinnen wollte. Nun spürte ich ein leises Vibrieren in meinen Wurzeln. Ein Stampfen und Rumoren drang in den Hörsinn. Es kam von weit her.

Ganz behutsam wendete ich den Blütenkopf. Zur gleichen Zeit spürte ich, dass meine Wurzeln eine Spur Feuchtigkeit in dem steinigen Boden gefunden hatten und diese gierig aufsogen. Jeder Tropfen Wasser konnte für mich wichtig sein. Nährstoffe waren allerdings nicht vorhanden. Ich musste mich mit den geringen Vorräten in den winzigen Wurzelknollen begnügen.

Ich ortete ein Lebewesen. Es kam mir bekannt und fremd zugleich vor. Sein Geist strahlte eine Art von Verwirrung aus, die erschreckend war.

Das Wesen hieß Molybdaen – oder so ähnlich. Es flatterte durch eine Höhle und versuchte zu landen. Aber sein Flugmechanismus schien nicht zu funktionieren.

In seiner Nähe kauerten Gestalten auf eisernem Boden. Sie waren in sich verkrümmt, aber sie gehörten zur gleichen Art wie dieser Molybdaen. Ich spürte, dass ich diese Wesen schon einmal erlebt hatte. Dass ich sie nicht identifizieren konnte, musste an dem Gedächtnisschwund liegen, den ich durch die Phase der Desaktivierung und den vermutlichen Schock erlitten hatte.

Ich gab einen Laut von mir und stellte zu meiner Überraschung ein vielfaches Echo fest, das von allen Seiten auf mich eindrang.

Das war ungewöhnlich. Ich erinnerte mich, etwas Ähnliches erlebt zu haben, aber ich konnte nicht erkennen, wann oder wo das gewesen war.

Den nächsten Laut gab ich in eine gezielte Richtung ab. Nun antwortete nur noch ein Reflektor. Ich setzte diese Versuche fort, bis ich aus den Echos ein ungefähres Bild meiner Umgebung zusammensetzen konnte. Als das geschehen war, wusste ich, dass ich mich nicht auf der Oberfläche eines Planeten befand.

Diese Umgebung war unnatürlich.

Ich befand mich in einem Raum oder einem Kasten. Die Abstände zu den Seitenwänden waren fast gleich groß, der zur Decke jedoch wesentlich größer. Aus einigen Richtungen waren die Echos verschwommen und überlagert.

Dort mussten Gegenstände sein. Deren Form konnte ich jedoch nicht bestimmen. So fein arbeitete dieser Sinn nicht.

Inzwischen hatte ich aus meinen Reserven Kraft gesammelt. Diese würde für eine Ortsversetzung ausreichen, aber ich konnte kein Ziel erkennen. Jenseits der Wände verspürte ich nur Chaos.