Das Heptameron - Margarete von Navarra - E-Book

Das Heptameron E-Book

Margarete von Navarra

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Beschreibung

Das Heptamérone wurde von Königin Margarete von Navarra nach dem Vorbild des Decamerone von Giovanni Boccacio als Rahmenerzählung gestaltet, die an 10 Tagen erzählt werden sollten. Von den geplanten 100 Novellen konnte die Königin 72 kurze Erzählungen fertigstellen. Das Heptamérone wurde lange aufgrund der teilweise doch recht derben Geschichten als sittenloses Machwerk abgetan. Heute zählen die Novellen als Zeitbild von hoher literarischer Qualität zur Weltliteratur.

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Seitenzahl: 798

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Inhalt

Vorwort

1.

Tag

1. Erzählung Eine Frau in Alençon hat zwei Liebhaber

2. Erzählung Bedauerlicher und ehrenvoller Tod der Frau

3. Erzählung Der König von Neapel und die Frau des Edelmannes

4. Erzählung Dreistes Unterfangen eines Edelmannes

5. Erzählung Eine Schifferin entkommt zwei Franziskanermönchen

6. Erzählung Schlauheit der Frau die den Liebhaber entwischen läßt

7. Erzählung Ein Kaufmann täuscht die Mutter seiner Geliebten

8. Erzählung Ein Mann kommt zu seiner Frau

9. Erzählung Bedauernswerther Tod eines Edelmanns

10. Erzählung Von der Liebe Amadours und Florindens

2.

Tag

11. Erzählung Von zweideutigen Redewendungen

12. Erzählung Ungebührliches, schamloses Betragen des Herzogs

13. Erzählung Handelt von einem Schiffskapitän

14. Erzählung Schlauheit eines Verliebten

15. Erzählung Eine Dame vom königlichen Hof wird vernachlässigt

16. Erzählung Eine Dame in Mailand prüft den Muth ihres Freundes

17. Erzählung Von der Großmut König Franz I.

18. Erzählung Eine schöne junge Dame hat ein Verhältnis

19. Erzählung Von zwei Liebenden

20. Erzählung Der Ritter von Ryant liebt eine Edeldame

3.

Tag

21. Erzählung Von der treuen und ehrbaren Liebe eines Mädchens

22. Erzählung Ein sehr frommer Prior wird im Alter genusssüchtig

23. Erzählung Ein Franziskanermönch hintergeht einen Edelmann

24. Erzählung Ein junger Edelmann liebte eine Königin

25. Erzählung Von der Schlauheit eines Prinzen

26. Erzählung Ein junger Prinz hat ein Verhältnis

27. Erzählung Ein einfältiger Sekretär wirbt um die Liebe der Frau

28. Erzählung Ein Sekretär glaubt einen seiner Bekannten

29. Erzählung Ein alter Bauer hat eine junge Frau

30. Erzählung Von der Schwäche der Menschen

4.

Tag

31. Erzählung Von der Grausamkeit eines Franziskanermönches

32. Erzählung Wie ein Mann seine ehebrecherische Frau bestraft

33. Erzählung Von einem blutschänderischen Priester

34. Erzählung Zwei Mönche lauschen an einer Wand

35. Erzählung Kluges Verfahren eines Mannes

36. Erzählung Ein Präsident von Grenoble wird unterrichtet

37. Erzählung Von der Klugheit einer Frau

38. Erzählung Von der beachtenswerten Güte einer Bürgersfrau

39. Erzählung Von einer guten Art

40. Erzählung Ein Edelmann bringt in Unwissenheit um

5.

Tag

41. Erzählung Absonderliche Sühne

42. Erzählung Von der Zurückhaltung eines jungen Mädchens

43. Erzählung Die Verstellung einer Hofdame

44. Erzählung Von zwei Liebenden

45. Erzählung Ein Ehemann gibt vor

46. Erzählung Von einem Franziskanermönch

47. Erzählung Ein Edelmann in Perche beargwöhnt mit Unrecht

48. Erzählung Zwei Franziskanermönche in einer Hochzeitsnacht

49. Erzählung Von der Schlauheit einer Gräfin

50. Erzählung Ein Verliebter, der todtkrank ist

6.

Tag

51. Erzählung Hinterlist und Grausamkeit eines Italieners.

52. Erzählung Von einem schmutzigen Frühstück

53. Erzählung Von der persönlichen Geschicklichkeit eines Prinzen

54. Erzählung Von einer gutgearteten Frau

55. Erzählung Von der Schlauheit einer Spanierin

56. Erzählung Ein Franziskanermönch verheiratet

57. Erzählung Lächerliche Geschichte von einem englischen Lord

58. Erzählung Eine Hofdame rächt sich auf gefällige Weise

59. Erzählung Ein Edelmann glaubt unbemerkt eine der Zofen

60. Erzählung Eine Pariserin verläßt ihren Mann

7.

Tag

61. Erzählung Wunderbare Hartnäckigkeit in einer frechen Liebe

62. Erzählung Eine Dame erzählt eine Liebesgeschichte von sich

63. Erzählung Von der beachtenswerten Keuschheit

64. Erzählung Ein Edelmann wird Mönch

65. Erzählung Von der Einfalt einer alten Frau

66. Erzählung Von einer vergnüglichen Geschichte

67. Erzählung Von der großen und ausdauernden Liebe

68. Erzählung Eine Frau gibt dem Mann spanische Fliegen zu essen

69. Erzählung Ein Italiener läßt sich vom Kammermädchen anführen

70. Erzählung Von der Pflichtvergessenheit einer Herzogin

8.

Tag

71. Erzählung Eine Frau, die in den letzten Zügen liegt

72. Erzählung Von der fortwährenden Reue einer Nonne

Vorwort.

In den ersten Tagen des September, wenn die Bäder in den Pyrenäen anfangen besucht zu werden, befanden sich in Cauterets mehrere Personen, sowohl aus Frankreich als aus Spanien und anderen Ländern; die Einen, um die Quellen zu trinken, die Anderen, um zu baden, und noch Andere, um den Moor zu gebrauchen, welcher so wundertätig ist, daß Kranke, die schon von den Ärzten aufgegeben sind, davon gesunden. Meine Absicht ist nicht, Euch die Lage oder die Eigenschaften der Bäder zu erklären, sondern nur zu erzählen, was zur Sache gehört. In diesen Bädern blieben alle Kranken über drei Wochen, bis sie sich gesund genug fühlten, um heimzukehren. Aber zur Zeit der Abreise fielen so schwere Regengüsse, daß es schien, als habe Gott sein Versprechen an Noah vergessen, die Welt nicht mehr durch Wasser zu zerstören; denn alle Hütten und Wohnungen von Cauterets waren so mit Wasser überschwemmt, daß es unmöglich wurde, dortzubleiben.

Diejenigen, welche aus Spanien gekommen waren, gingen, so gut es ging, über die Berge zurück; Alle, welche die Wege kannten, retteten sich. Aber die französischen Herren und Damen, welche meinten ebenso leicht nach Tarbes zurückkehren zu können, wie sie von da gekommen waren, fanden die kleinen Flüsse so angeschwollen, daß sie kaum an den seichten Stellen passierbar waren. Als sie aber zur bearnesischen Gave kamen, welche früher nur zwei Fuß Tiefe gehabt hatte, fanden sie diese so wild und reißend, daß sie die Brücken aufsuchen wollten; da aber diese nur aus Holz waren, hatte sie das Wasser fortgerissen. Einige, welche glaubten dem Strom widerstehen zu können, wurden so schnell fortgeschwemmt, daß die Übrigen die Lust verloren, ihnen zu folgen. Hierauf, teils wegen Meinungsverschiedenheiten, teils um neue Wege aufzusuchen, trennte sich die Gesellschaft.

Die Einen überstiegen die Berge, durchreisten Aragonien und kamen nach Roussillon und Narbonne; die Anderen gingen direkt nach Barcelona und von da über das Meer nach Marseille und Aigues-Mortes. Aber eine Witwe, namens Oisille, entschloss sich, ohne Furcht vor den schlechten Wegen bis nach Notre-Dame von Serrance zu reisen; sie war überzeugt, daß, wenn es überhaupt ein Mittel gebe, einer Gefahr zu entrinnen, die Mönche es sicherlich finden würden, und langte schließlich auch an, nachdem sie so schwierige und mühselige Pfade hatte übersteigen müssen, daß sie trotz ihres Alters und Gewichts den größten Teil davon zu Fuß zurücklegen musste. Es war ein Jammer, daß die meisten ihrer Diener und Pferde auf dem Wege umkamen, so daß sie in Serrance nur mit einem Knecht und einer Dienerin ankam; die Mönche empfingen sie daselbst höchst gastfreundlich.

Es befanden sich auch unter den Franzosen zwei Edelleute, welche mehr in die Bäder gereist waren, um die Damen, welchen sie dienten, zu begleiten, als weil sie selbst krank waren. Diese Herren sahen die Gesellschaft sich trennen und die Damen mit ihren Männern gehen und beschlossen, ihnen von fern zu folgen, ohne es Jemandem zu sagen.

Aber eines Abends, nachdem die beiden Gatten mit ihren Frauen Wohnung bei einem Menschen genommen hatten, welcher mehr Bandit als Bauer war, und nachdem sich die beiden jungen Edelleute in ein Haus daneben begeben hatten, hörten letztere gegen[4] Mitternacht einen großen Lärm; sie standen sogleich mit ihren Dienern auf und fragten ihren Wirth, was das zu bedeuten habe. Der arme Mann, welcher selbst Furcht hatte, sagte, es seien schlechte Kerle, welche wohl gekommen wären, um ihren Teil von der Beute seines Nachbars, des Banditen, zu holen. Darauf ergriffen die Edelleute ihre Waffen und eilten samt ihren Knappen den Damen zu Hülfe, da sie lieber gestorben wären, als diese zu überleben. Als sie hinein kamen, fanden sie die erste Thür erbrochen und die beiden Herren mit ihren Dienern in mutiger Verteidigung. Aber die Zahl der Banditen war zu groß, sie selbst waren verwundet, ein großer Teil der Diener gefallen, und so begannen sie zurückzuweichen.

Die beiden Edelleute sahen durch das Fenster die beiden Damen so sehr weinen und schreien, daß ihnen das Herz vor Mitleid und Liebe schwoll und sie sich wie zwei wütende Bären aus den Bergen auf die Banditen stürzten und so viele von ihnen töteten, daß die Übrigen weitere Schläge nicht abwarten wollten und die Flucht ergriffen. Nachdem die Edelleute diese Bösewichter und unter ihnen den Wirth getötet hatten, vernahmen sie, daß die Wirtin noch schlimmer als ihr Gatte sei, und so versetzten sie ihr einen Degenstich, welcher ihr die Seele ausblies.

Als sie in die niedrige Stube eintraten, fanden sie den einen Gatten sterbend; dem andern war nichts geschehen, außer daß sein Kleid ganz von Dolchstichen durchlöchert und sein Degen zerbrochen war. Der Edelmann dankte ihnen für die geleistete Hülfe, indem er sie umarmte, und bat sie, ihn nicht mehr zu verlassen, welchem Verlangen sie sehr gern entsprachen.

Hierauf begruben sie den toten Edelmann, trösteten seine Witwe, so gut sie es vermochten, und machten sich aufs Geratewohl auf den Weg.

Wenn Ihr wissen wollt, wie die drei Edelleute hießen, so war der Name des Verheirateten Hircan, der seiner Frau Parlamente und der der Witwe Longarine; die beiden jungen Edelleute hießen Dagoucin und Saffredant. Nachdem sie den ganzen Tag zu Pferd gewesen waren, ersahen sie gegen Abend einen Glockenturm; nach viel Arbeit und Mühe erreichten sie ein Kloster und wurden von[5] den Mönchen freundlich empfangen. Das Kloster hieß Saint-Savin. Der Abt, welcher aus sehr gutem Hause war, brachte sie aufs Beste unter und führte sie in seine Wohnung, um sie nach ihren Erlebnissen zu fragen. Nachdem er diese erfahren hatte, sagte er ihnen, daß es ihnen nicht allein so ergangen wäre, denn in einem anderen Zimmer befänden sich zwei Damen, welche einer ähnlichen Gefahr entgangen wären, oder vielmehr einer größeren, da sich bei den Menschen immer noch einige Barmherzigkeit fände, aber bei den Tieren nicht. Die beiden Damen waren auf halbem Wege von Pierrefite einem Bären in den Bergen begegnet und hatten vor diesem so eilig die Flucht ergriffen, daß die Pferde bei ihrer Ankunft Todt unter ihnen zusammenstürzten; zwei von ihren Frauen, welche lange nach ihnen ankamen, erzählten, daß der Bär alle ihre Diener getötet hätte. Die Damen und die drei Edelleute gingen darauf zu ihnen und fanden sie weinend; sie sahen, es waren Nomerfide und Emarsuitte. Sie umarmten sich und erzählten ihre Abenteuer; allmählich beruhigten sie sich und hörten auf die Trostworte des Abtes, daß sie sich ja nun wieder zusammengefunden hätten; am nächsten Morgen gingen sie zur Messe und lobten Gott, daß er sie aus der Gefahr errettet habe. Während sie noch alle in der Messe waren, trat in die Kirche ein Mann ein, welcher nur mit seinem Hemde bekleidet war und um Hülfe schrie, als wenn er verfolgt würde. Sogleich eilten Hircan und seine Genossen zu ihm und sahen zwei Männer mit gezogenem Degen hinter ihm, welche beim Anblick so vieler Leute die Flucht ergriffen. Aber Hircan und seine Begleiter verfolgten sie und schlugen sie nieder. Zurückkehrend fand Hircan, daß der Mann im Hemde einer seiner Gefährten namens Guebron sei, welcher ihnen erzählte, daß er in einem kleinen Bauernhause bei Pierrefite gewesen sei und daß ihn dort drei Männer überfallen hätten, während er noch im Bett lag. Den einen hätte er mit einem Schwertstreich zu Boden gestreckt; während die beiden andern sich mit ihrem gefallenen Kameraden zu schaffen machten, hätte er sich überlegt, daß er unbekleidet und ohne Waffen ihnen nur durch die Flucht entrinnen könne, dies aber umso mehr, als er ohne Kleider schneller wie sie laufen konnte; nun lobte er Gott und diejenigen, welche ihn gerettet hatten. Nachdem sie die Messe angehört und gespeist hatten, schickten sie einen Boten an die Gave, um zu sehen, ob sie schon passierbar sei; aber das war unmöglich, wodurch sie in nicht geringe Verlegenheit gerieten; sie nahmen deshalb das Obdach, welches ihnen der Abt für die Zeit, bis das Wasser sinken würde, anbot, fürs Erste mit Freuden an.

Am Abend langte ein alter Mönch an, welcher jedes Jahr im September nach Serrance kam; über seine Reise befragt, erzählte er, daß er wegen der Überschwemmung über die Berge und zwar auf den schlechtesten Wegen gekommen sei, welche er jemals gesehen, und daß er einen großen Jammer erlebt habe. Er hatte einen Edelmann, namens Simontault, gesehen, welcher ungeduldig über das langsame Sinken des Flusses, sich entschlossen hatte, den Übergang zu erzwingen. So verließ der Edelmann sich auf sein gutes Pferd und verteilte seine Diener um sich, um das Wasser zu dämmen. Aber mitten im Strom wurden die, welche schlecht beritten waren, vom Wasser fortgerissen, um nie wiederzukehren. Als sich der Edelmann allein sah, wollte er auf demselben Wege umkehren, auf dem er gekommen war, verlor aber die Richtung. Doch wollte Gott, daß er noch gerade so ans Ufer kam, daß er sich, allerdings nicht ohne viel Wasser zu schlucken, auf allen Vieren an das Land schleppen konnte und auf den harten Kieseln matt und haltlos niedersank; gegen Abend kam ein Schäfer, welcher seine Herde heimtrieb, vorbei und sah ihn zwischen den Steinen sitzen, nass und traurig über die Leute, welche er verloren hatte.

Der Schäfer, welcher wohl sah, was ihm vor Allem Not tat, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in sein ärmliches Haus, wo er schnell ein kleines Feuer anmachte und ihn, so gut es ging, trocknete. Und an demselben Abend führte ihm Gott diesen alten Mönch zu, welcher ihm den Weg nach Notre-Dame von Serrance wies, indem er ihm versicherte, daß er dort besser als sonst wo untergebracht sei und daselbst eine alte Witwe namens Oisille finden würde, welche eine Leidensgenossin von ihm sei. Als die ganze Gesellschaft ihn von der guten Dame Oisille und dem edlen Ritter Simontault reden hörte, war ihre Freude groß, und sie lobten den Schöpfer, welcher nur die Diener vernichtet, die Herren und Herrinnen aber gerettet hatte; und vor Allem lobte Parlamente Gott. Denn es hatte eine Zeit gegeben, wo sie diesem Ritter wohl gewogen war. Nachdem sie sich nach dem Weg gen Serrance erkundigt hatten, der ihnen zwar von dem guten Greis als schlimm genug beschrieben wurde, ließen sie sich dennoch nicht abhalten, ihn einzuschlagen; noch an demselben Tage machten sie sich auf den Weg in so guter Ordnung, daß es ihnen an nichts fehlte. Der Abt gab ihnen die besten Pferde, welche in Lavedan zu finden waren, gute bearnesische Rittermäntel, reichliche Lebensmittel und zuverlässige Begleiter, um sie sicher über die Berge zu führen. Sie überstiegen diese mehr zu Fuß als zu Pferde mit viel Schweiß und Arbeit und langten glücklich in Notre- Dame von Serrance an, wo der Abt (obgleich er sonst ein schlechter Mensch war) nicht wagte, ihnen das Obdach zu verweigern, und zwar aus Furcht vor dem Herrn von Béarn, von dem er wusste, daß er ihnen gewogen war; so machte er gute Miene zum bösen Spiel und führte sie zu der guten Dame Oisille und zu dem Ritter Simontault. Die Freude unter dieser so wunderbar versammelten Gesellschaft war so groß, daß die Nacht ihnen zu kurz erschien, um Gott für die Gnade zu loben, welche er ihnen erwiesen hatte. Nachdem sie gegen Morgen etwas Schlaf genossen hatten, hörten sie die Messe und empfingen das heilige Sakrament, in welchem alle Christen vereinigt sind, indem sie Gott baten, durch seine Güte sie ihre Reise zu seinem Ruhme vollenden zu lassen. Nach dem Essen ließen sie nachsehen, ob das Wasser sich verlaufen habe, doch fanden sie, daß es eher gewachsen sei, und beschlossen eine Brücke von einem Felsen zu einem andern zu schlagen, die sehr nahe einander gegenüberstehen; noch heute sind dort Planken für Fußgänger, welche von Oleron kommen und die Gave nicht durchwaten wollen. Der Abt, welcher sich über dieses Vorhaben freute, weil es die Zahl der Bauern und Pilger vermehren würde, gab ihnen Arbeiter, aber er legte keinen Heller zu, das verbot ihm sein Geiz. Da nun die Arbeiter sagten, daß sie die Brücke nicht unter zehn bis zwölf Tagen beenden könnten, fingen die Herren und Damen an, sich zu langweilen. Aber Parlamente, die Gemahlin Hircans, welche niemals müßig oder traurig war, bat ihren Mann um Erlaubnis zu reden und sagte dann zu der alten Dame Oisille: »Ich bin erstaunt, edle Frau, daß Ihr, die Ihr so viel Erfahrung habt und jetzt Mutterstelle an den Damen vertretet, nicht einen Zeitvertreib findet, um die Langeweile, welche wir während unseres langen Aufenthalts hier empfinden werden, abzuschwächen; denn wenn wir nicht eine vergnügliche und tugendhafte Beschäftigung haben, so laufen wir Gefahr, krank zu werden.« Die junge Witwe Longarine fügte darauf hinzu: »Was noch schlimmer ist, wir werden betrübt werden, was eine unheilbare Krankheit ist; denn es ist Niemand unter uns, welcher, wenn er seine Verluste betrachtet, nicht Ursache zu größter Traurigkeit hätte. « Emarsuitte antwortete ihr lachend: »Jede von uns hat aber nicht ihren Gatten verloren wie Ihr, und wegen des Verlustes von Dienstboten braucht man nicht zu verzweifeln, denn sie sind leicht zu ersetzen. Immerhin ist es ganz meine Meinung, eine angenehme Beschäftigung zu finden, um uns die Zeit so fröhlich wie möglich zu vertreiben. « Ihre Gefährtin Nomerfide sagte, das sei gut gesprochen, denn wenn sie an einem Tage ohne Zeitvertreib sei, so würde sie am nächsten Morgen Todt sein. Alle Edelleute stimmten ihr bei und baten die Dame Oisille, ihnen zu raten, was sie tun sollten. Diese antwortete: »Meine Kinder, Ihr fordert etwas Schwieriges; ich soll Euch einen Zeitvertreib nennen, der Euch vor Langeweile bewahrt; ich habe in meinem ganzen Leben nur ein solches Mittel gefunden, und das ist das Lesen der heiligen Bücher, in denen ich die wahre und vollkommene Geistesfreude finde, aus welcher die Ruhe und Gesundheit des Körpers entspringen. Und wenn Ihr mich fragt, welches Rezept mich so gesund in meinem Alter erhält, so ist es, daß ich, sobald ich aufgestanden bin, die Bibel lese und den Willen Gottes betrachte, welcher für uns seinen Sohn auf die Welt geschickt hat, um uns dieses heilige Wort zu verkünden, durch welches er uns Erlösung von allen Sünden und Vergebung durch die Gabe seiner Liebe, seines Leidens und Martyriums verspricht. Diese Betrachtung gibt mir so viel Freude, daß ich meinen Psalter nehme und so demütig wie ich kann mit Herz und Mund jene schönen Psalmen und Gesänge spreche, welche der Heilige Geist in das Herz Davids und der anderen Sänger gelegt hat. Und die Befriedigung, welche ich danach fühle, tut mir so wohl, daß ich alles Leid, welches mir täglich begegnen kann, als Segen ansehe, da ich in meinem Herzen gläubig denjenigen trage, welcher es mir schickt. Ebenso ziehe ich mich vor dem Abendbrot zurück, um meiner Seele solche Nahrung zu geben; und dann abends bedenke ich, was ich tagsüber getan habe, erflehe seine Verzeihung, danke ihm für seine Gnade und Liebe und schlafe dann friedlich ein, gewappnet gegen alles Übel. Hier also, meine Kinder, habt Ihr den Zeitvertreib, welchen ich gefunden, nachdem ich überall gesucht und doch keine Befriedigung für meinen Geist gefunden habe. Es ist wahrscheinlich, daß, wenn Ihr ebenfalls allmorgendlich eine Stunde lesen und dann ferner die Messe anhören wollt, Ihr in dieser Einöde alle Schönheit der Städte finden werdet; denn wer Gott kennt, findet alles schön in ihm und alles hässlich ohne ihn. Darum bitte ich Euch, nehmt meinen Rath an, wenn Ihr fröhlich leben wollt. « Hircan antwortete darauf: »Alle, edle Frau, welche die Bibel gelesen haben (und das, glaube ich, taten wir sämtlich) werden zugeben, daß Ihr wahr gesprochen habt; aber bedenkt auch, daß wir noch nicht so alt sind, um eine körperliche Übung entbehren zu können; denn zu Haus haben wir die Jagd und den Vogelfang, welche uns die törichten Gedanken vertreibt; und die Damen haben ihre Wirtschaft und Arbeit und zuweilen den Tanz, an welchem sie ehrbar teilnehmen. Darum, wenn wir auch morgens die Bibel lesen und die großen und wunderbaren Werke, welche der Herr Jesus Christus für uns getan hat, betrachten, müssen wir doch vom Mittagsbrot bis zur Vesper irgend einen Zeitvertreib wählen, welcher der Seele nichts schadet und dem Körper angenehm ist; so werden wir den Tag froh verbringen.« Die Dame Oisille antwortete, daß sie sich so viel Mühe gebe, alle Eitelkeiten zu vergessen, daß sie kaum einen solchen guten Zeitvertreib finden würde; aber man solle nun die Sache der Stimmenmehrheit überlassen; Hircan solle anfangen. »Was mich betrifft«, sagte dieser, »wenn ich wusste, daß der Zeitvertreib, welchen ich wählen möchte, Einer aus der Gesellschaft ebenso angenehm wäre, wie mir, so würde ich bald entschlossen sein; aber lasst uns vorläufig hören, was die andern meinen.« Seine Frau Parlamente errötete, weil sie diese Bemerkung auf sich bezog, und antwortete halb zornig und halb lachend: »Hircan, die, welche Ihr vielleicht für die Betrübteste über Eure Worte haltet, wusste wohl, womit sie Euch diese vergelten könnte, wenn sie nur wollte; aber sprechen wir nicht von einem Zeitvertreib, an dem nur zwei teilnehmen können, sondern von einem allgemeinen.« Hircan sagte nun, zu allen Damen gewandt: »Da meine Frau den Sinn meiner Rede so wohl verstanden hat und nichts davon wissen will, so wird am besten sie einen Vorschlag machen können, der allen gefällt; und von Stunde' an bin ich von vornherein ihrer Meinung.« Die ganze Gesellschaft stimmte dem bei. Parlamente, welche sah, daß das Loos auf sie gefallen war, sprach folgendermaßen: »Wenn ich mich fähig dazu hielte, so würde ich, wie die Alten die Künste, irgend ein neues Spiel erfinden, um mich meiner Aufgabe zu entledigen; aber da ich zu gut meine Kenntnisse und Kräfte kenne, welche kaum hinreichen, um die Dinge, welche von Anderen geleistet werden, wohl zu behalten, werde ich mich glücklich schätzen, denen nachzufolgen, welche ein dem Euren ähnliches Verlangen schon vor mir erfüllt haben. Jeder von Euch hat doch gewiss die hundert Novellen von Boccaccio gelesen, welche jüngst aus dem Italienischen ins Französische übersetzt worden sind, und von denen der sehr christliche König Franz, der Erste dieses Namens, der Dauphin und die Dauphine und Prinzess Margarethe so viel Wesens gemacht haben, daß Boccaccio, wenn er in seinem Grabe davon gehört hätte, von diesen Lobeserhebungen wieder auferstanden wäre. Damals hörte ich die beiden obengenannten Damen mit mehreren anderen vom Hofe davon sprechen, etwas Ähnliches zu schreiben, nur mit dem Unterschiede, daß alle diese Erzählungen wirklich wahr sein sollten. Zuerst beschlossen diese Damen und der Dauphin mit ihnen, sich zu Zehnen zusammen zu tun und ein jedes zehn solcher Geschichten zu schreiben, dazu aber nur solche Leute zu wählen, welche sie für dessen würdig hielten, ausgenommen Studierte und Gelehrte; denn der Dauphin wollte nicht, daß sie ihre Kunst und Rhetorik hineinmischen, aus Furcht, daß sie deswegen der Wahrheit der Erzählungen Abbruch tun könnten. Doch die großen Beschäftigungen, welche dem König inzwischen oblagen, der Friedensschluss zwischen ihm und dem Könige von England, sowie verschiedene andere wichtige Hofangelegenheiten und auch die Niederkunft der Dauphine ließen dieses Vorhaben in Vergessenheit geraten; wir aber könnten es während unserer Muße ausführen, bis unsere Brücke fertig ist. Wenn es Euch also recht ist, können wir von Mittag bis Vesper in diese schönen Gefilde längs der Gave gehen, wo die Bäume so blätterreich sind, daß die Sonne den Schatten nicht durchdringen und die Kühle nicht verscheuchen kann; dort wollen wir es uns bequem machen, und jeder wird eine Geschichte erzählen, welche er selbst erlebt oder von einem glaubwürdigen Menschen gehört hat; nach zehn Tagen werden wir das Hundert zusammen haben. Und wenn Gott will, daß unser Werk dann würdig ist, vor die Augen der oben genannten Herren und Damen zu kommen, so wollen wir ihnen ein Geschenk damit machen, wenn unsere Reise beendet ist; ich versichere Euch, es wird ihnen angenehm sein. Wenn indessen Einer von Euch einen besseren Zeitvertreib weiß, so bequeme ich mich ihm an. « Aber die ganze Gesellschaft antwortete, daß man unmöglich etwas Besseres finden könne und daß sie ungeduldig den nächsten Tag erwarteten, um anzufangen.

So verbrachten sie fröhlich diesen Tag, indem sie sich gegenseitig an Dinge erinnerten, welche sie erlebt hatten. Am nächsten Morgen gingen sie in das Gemach der Dame Oisille, welche sie schon bei der Andacht fanden, und nachdem sie eine gute Stunde ihre Vorlesung und dann die Messe angehört hatten, gingen sie um zehn Uhr speisen; danach zogen sich Alle in ihre Gemächer zurück und trafen sich mittags ihrer Verabredung gemäß auf der Wiese; es war dort so schön und anmutig, daß es eines Boccaccio bedürfte, um es richtig zu beschreiben; aber es wird Euch genügen zu hören, daß es nie vorher dergleichen gab. Als die Versammlung sich auf das Gras gesetzt hatte, welches so weich und zart war, daß sie weder Kissen noch Teppiche brauchten, begann Simontault zu reden: »Wer von uns wird die Leitung über die Anderen übernehmen? « Hircan antwortete: »Da Ihr angefangen habt zu reden, ist es nur recht und billig, wenn Ihr nun auch die Führerschaft übernehmt, denn im Spiel sind wir alle gleich unter einander.« »Ich wollte wirklich«, sagte Simontault, »daß ich nichts besseres mehr auf der Welt erlebte, als allen aus dieser Gesellschaft befehlen zu können. « Parlamente verstand den Sinn dieser Rede sehr wohl und fing an zu husten, damit Hircan die Rothe nicht bemerkte, welche ihr in die Wangen gestiegen war. Dieser sprach zu Simontault: »Erzählt uns nun eine hübsche Geschichte, wir werden Euch zuhören. « Simontault, von der ganzen Versammlung aufgefordert, sagte: »Meine Damen, ich bin für meine langen Liebesmühen so schlecht belohnt worden, daß ich, um mich an der zu rächen, welche so grausam gegen mich war, von schlimmen Streichen erzählen will, welche die Frauen den armen Männern gespielt haben, und ich will nichts als die lautere Wahrheit berichten.«

1. Tag

1. Erzählung

Eine Frau in Alençon hat zwei Liebhaber

Eine Frau in Alençon hat zwei Liebhaber, einen für das Vergnügen, den zweiten für den Gewinn; sie läßt denjenigen von beiden töten, der zuerst etwas von ihrem Betruge merkt, erhält dann Begnadigung für sich und ihren flüchtigen Gemahl, der aber später, um eine Summe Geldes zu retten, sich an einen Schwarzkünstler wendet, worauf ihr ganzes Treiben entdeckt und sie bestraft werden.

In Alençon lebte während der Regierung des Herzogs Karl, des letzten Herzogs, ein Prokurator, namens Saint-Aignan, welcher eine hübsche Frau aus jener Gegend geheiratet hatte, die sich aber mehr durch Schönheit als durch Sittenreinheit auszeichnete. Wegen ihrer Schönheit und Leichtfertigkeit wurde sie sehr von einem Prälaten verfolgt, dessen Namen ich aus Achtung vor dem Stande verschweigen will. Um an sein Ziel zu gelangen, fesselte dieser nicht nur den Ehemann so gut an sich, daß derselbe nichts von dem lasterhaften Umgang seiner Frau mit dem Prälaten merkte, sondern brachte es noch obendrein dahin, daß jener die Anhänglichkeit, welche er immer im Dienst seiner Landesherren und Fürstinnen bewiesen hatte, vergaß, so daß er aus einem ergebenen Diener das ganze Gegenteil wurde und schließlich zur Zauberei seine Zuflucht nahm, um der Herzogin den Tod zu bringen. Lange Zeit nun stand der Prälat in einem ehebrecherischen Verhältnis mit dieser beklagenswerten Frau, die ihm mehr aus Habsucht als aus Liebe zugetan war und auch deshalb, weil ihr Mann sie ersuchte, den Prälaten an sich zu ketten. In Alençon lebte aber auch ein junger Mann, ein Sohn des Stadtkommandanten, den sie so sehr liebte, daß sie ganz vernarrt in ihn war. Oft nun bediente sie sich des Prälaten, um ihrem Mann irgendeinen Auftrag geben zu lassen und währenddessen den Sohn des Kommandanten nach Gefallen sehen zu können. Dieses Doppelspiel ging eine lange Zeit ungestört fort, sie hielt sich den Prälaten für den Gewinn und den Sohn des Kommandanten für ihr Vergnügen und schwur diesem, daß ihr Entgegenkommen dem Prälaten gegenüber nur dazu diene, daß sie ihr Verhältnis umso ungestörter fortsetzen könnten; jener habe immer nur Versprechungen von ihr erhalten, und er könnte versichert sein, daß niemals ein anderer Mann außer ihm selbst etwas anderes von ihr erhalten würde. Als eines Tages ihr Mann zum Prälaten ging, bat sie ihn um die Erlaubnis, aufs Land gehen zu dürfen, indem sie vorgab, daß die Stadtluft ihr nicht zuträglich sei. Sobald sie aber auf ihrem Meierhofe angekommen war, schrieb sie an den Sohn des Kommandanten, er solle nur ja gegen zehn Uhr abends zu ihr kommen. Der arme junge Mann kam auch; am Thor fand er aber die Kammerzofe, die ihn gewöhnlich einließ und die ihm sagte: »Kehre nur wieder um, mein Lieber, Dein Platz ist besetzt. « Er dachte, der Mann sei angekommen, und fragte, wie denn das käme. Das gute Mädchen empfand Mitleid mit dem schönen jungen Mann, den sie so tief lieben und so wenig Gegenliebe erhalten sah, und erzählte ihm den Verrat ihrer Herrin, in der Meinung, wenn er das hörte, würde er sofort seine Liebe unterdrücken. Sie teilte ihm also mit, daß der Prälat eben angekommen sei, worauf sie nicht vorbereitet gewesen wäre, denn er hätte erst am andern Tage kommen sollen er habe aber ihren Mann bei sich zurückgehalten und sich noch des Nachts aufgemacht, sie zu sehen. Der Sohn des Stadtkommandanten war ganz verzweifelt und wollte gar nicht Alles glauben. Er versteckte sich deshalb in einem Nachbarhause und wartete bis drei Uhr morgens, bis er auch wirklich den Prälaten herauskommen sah, den er trotz seiner Verkleidung nur zu gut erkannte. Ganz verzweifelt begab er sich nach Alençon zurück, wohin bald auch seine verräterische Freundin zurückkehrte, und in der Absicht, ihn weiter wie bisher hinters Licht zu führen, als wäre nichts geschehen, ihn besuchte. Er aber sagte ihr, nachdem sie sich mit heiligen Personen eingelassen habe, sei sie selbst eine zu heilige Person, als daß sie zu einem Sünder, wie er sei, herniedersteigen könne, dessen Reue zudem auch so groß sei, daß er bald Vergebung seiner Sünde erhoffe. Als sie nun merkte, daß ihr Spiel entdeckt sei und weder Entschuldigungen noch Schwüre und Versprechungen, es nicht wieder zu tun, halfen, beklagte sie sich bei ihrem Prälaten. Nachdem sie weiter reiflich über die Angelegenheit nachgedacht hatte, ging sie zu ihrem Mann und sagte ihm, sie könne nicht länger in Alençon wohnen, weil der Sohn des Kommandanten, den sie gerade am meisten von allen Hausfreunden geachtet habe, unaufhörlich ihr nachstelle, und bat, sie möchten, um allen Verdächtigungen aus dem Wege zu gehen, nach Argentan übersiedeln. Ihr Mann, der sich ganz von ihr leiten ließ, gab ihr nach. Nicht lange aber nachdem sie in Argentan angekommen waren, schrieb sie dem Sohne des Kommandanten, er sei ein ganz ehrloser Mensch, sie habe in Erfahrung gebracht, daß er öffentlich Schlechtes von ihr und dem Prälaten gesprochen habe, dafür solle er ihr büßen. Der junge Mann hatte nun zu Niemandem von ihrem Verhältnis mit dem Prälaten gesprochen und da er bei letzterem in Ungnade zu fallen fürchtete, begab er sich mit zweien seiner Diener nach Argentan, wo er seine Geliebte beim Nachmittagsgottesdienst im Jakobinerkloster antraf. Er kniete neben ihr nieder und sagte: »Madame, ich bin hierhergekommen, um Euch vor Gott zu schwören, daß ich niemals zu irgendwem auf der Welt außer zu Euch selbst von Eurem Verhältnis gesprochen habe. Ihr habt mir einen so schlechten Streich gespielt, daß ich Euch nicht die Hälfte der beleidigenden Worte gesagt habe, die Ihr verdient, und wenn es einen Mann oder eine Frau gibt, die behaupten wollen, ich hätte von Euch öffentlich gesprochen, so will ich sie hier vor Euch Lügen strafen.« Da sie das viele Volk in der Kirche und seine beiden handfesten Diener sah, tat sie sich Zwang an und sprach mit ihm so liebenswürdig als sie konnte, versicherte, daß sie keinen Zweifel in die Wahrheit seiner Worte setze, daß sie ihn immer für einen zu anständigen Menschen gehalten habe, um Schlechtes von irgendjemandem zu sprechen, am allerwenigsten von ihr, die sie eine so große Freundschaft für ihn hege; ihr Mann aber habe einige übelwollende Bemerkungen gehört, und deshalb bitte sie ihn, er möchte ihrem Mann selbst versichern, daß er keine Gerüchte in Umlauf gesetzt habe und denselben auch keinen Glauben schenke. Er versprach ihr das gern, wollte sie nach ihrer Wohnung begleiten und bot ihr seine Begleitung an. Sie sagte ihm aber, daß es nicht gut wäre, wenn er mit ihr käme, weil ihr Mann denken würde, daß sie ihm seine Erklärung eingegeben habe, und indem sie einen seiner Diener am Rockärmel zurückhielt, fuhr sie fort: »Lasset diesen mit mir gehen, und so wie es Zeit ist, werde ich Euch durch ihn rufen lassen; inzwischen ruht Euch in Eurer Wohnung aus.« Er ging darauf ein, ohne ihren Plan zu erraten. Sie setzte dem Diener, den sie mitgenommen hatte, Speise und Getränke vor. Er fragte sie oft, ob es nicht Zeit sei, seinen Herrn zu holen, aber sie antwortete immer, er käme noch zurecht. Als es um Mitternacht war, schickte sie heimlich ihre Diener aus und ließ den jungen Mann rufen. Der ahnte nichts von der Falle, in die man ihn lockte, und ging ohne Scheu in das Haus des Saint-Aignan, wo seine Geliebte seinen einen Diener bewirtete, so daß er nur noch einen bei sich hatte. Als er nun an der Haustür war, teilte ihm der Diener, der ihn hergeführt hatte, mit, daß seine Herrin ihn gern noch vor ihrem Mann sprechen wollte und ihn in einem Zimmer erwarte, wo außer ihr nur noch der eine seiner Diener sei, so daß er gut täte, den andern durch die vordere Thür nach Haus zu schicken; was er auch tat. Dann stieg er eine kleine ziemlich dunkle Treppe hinauf, wo der Prokurator von Saint-Aignan Leute in einer Garderobe in den Hinterhalt gelegt hatte. Als dieser den Lärm hörte, fragte er nach der Ursache, und es wurde ihm geantwortet, daß ein Mann heimlich ins Haus eindringen wollte. Im selben Augenblicke stürzte ein gewisser Thomas Guérin, dessen Gewerbe darin bestand, Leute umzubringen, und der zu diesem Zweck vom Prokurator gedungen worden war, auf den jungen Mann los und versetzte ihm mehrere Säbelhiebe, so daß dieser trotz seiner Gegenwehr schließlich Todt zu ihren Füßen niedersank. Der Diener, der bei der Dame des Hauses war, sagte: »Ich höre meinen Herrn auf der Treppe sprechen, lasst mich zu ihm gehen. « Sie hielt ihn aber zurück mit den Worten: »Sorge Dich nicht, er wird schon gleich kommen. « Als er aber kurz darauf seinen Herrn laut rufen hörte: »Ich sterbe, ich empfehle Gott meine Seele«, wollte er ihm zu Hülfe eilen. Sie hielt ihn aber wieder zurück und sagte, »Sei doch ruhig, mein Mann züchtigt ihn nur wegen seines Übermutes, sehen wir selbst, was es ist. « Sie trat auf die oberste Treppenstufe hinaus und fragte ihren Mann: »Nun, ist es geschehen? « worauf dieser erwiderte: »Komm und sieh selbst, endlich habe ich Dich an dem gerächt, der Dir so viel Schande bereitet hat. « Während er dies sagte, stach er mit seinem Dolch noch zehn- oder zwölfmal in den Leib dessen, den er lebend nicht anzugreifen gewagt hatte. Nachdem der Mord begangen und die beiden Diener entflohen waren, um den armen Vater zu benachrichtigen, sagte sich Saint-Aignan, daß der ganze Handel nicht geheim gehalten werden könnte, und überlegte, daß die Diener des Ermordeten nicht als vollgültige Zeugen angesehen werden könnten und daß sonst, abgesehen von den Mördern, einer alten Kammerfrau und einem jungen Mädchen von fünfzehn Jahren Niemand im Haus von dem Verbrechen etwas gesehen habe. Deshalb wollte er sich der Alten bemächtigen; sie fand aber Gelegenheit, ihm zu entschlüpfen, und ging zu den Jakobinern und gab später das genaueste Zeugnis über den Mord ab. Das junge Mädchen blieb noch einige Tage in seinem Hause; aber er fand Mittel und Wege, sie von einem der Mörder verführen zu lassen, und brachte sie in ein Bordell, so daß sie auch nicht mehr als vollgültige Zeugin auftreten konnte. Im Übrigen ließ er, um die Mordtat zu verbergen, den Körper des Ermordeten verbrennen und die Knochen, die das Feuer nicht verzehrte, ließ er dort unter den Mörtel mischen, wo er augenblicklich an seinem Hause baute. Dann schickte er eiligst ein Gnadengesuch an den Hof, in welchem er angab, daß er mehrere Male einem Manne sein Haus verboten, den er im Verdacht habe, seiner Frau nachgestellt zu haben, daß dieser ungeachtet seines Verbotes nachts in sein Haus gedrungen sei, um zu ihr zu gelangen, und daß er ihn, als er ihn am Eingang zu ihrem Zimmer fand, im Zorn und seiner Sinne nicht mächtig, getötet habe. Aber bevor noch sein Brief in die Hände des Kanzlers kam, hatten der Herzog und die Herzogin schon durch den unglücklichen Vater Kenntnis von dem Vorfall erhalten, und diese benachrichtigten den Kanzler, um die Begnadigung zu verhindern. Als nun der Unglückliche sah, daß er nicht begnadigt werden würde, floh er mit seiner Frau und mehreren seiner Verwandten nach England. Bevor er aber abreiste, sagte er dem Mörder, der von ihm für das Verbrechen gedungen worden war, daß er einen speziellen Befehl des Königs habe, ihn festzunehmen und zum Tode zu verurteilen, wegen seiner ihm geleisteten Dienste wolle er ihm aber das Leben retten. Er gab ihm zehn Thaler, um außer Landes zu gehen, was dieser auch tat; seitdem ist er nicht mehr gesehen worden. Der Mord selbst wurde inzwischen so vollständig festgestellt, teils durch die Diener des Ermordeten und die Kammerfrau, die zu den Jakobinern geflüchtet war, teils auch, weil man die Knochen im Kalk fand, daß der Prozess auch in Abwesenheit des Saint-Aignan und seiner Frau angestrengt und zu Ende geführt wurde. Sie wurden beide in contumaciam zum Tode verurteilt, ihre Güter eingezogen und dem Vater als Buße 1500 Thaler zugesprochen. Als nun Saint-Aignan in England sah, daß er in Frankreich bürgerlich Todt sei, brachte er es durch Dienstleistungen bei mehreren hochgestellten Persönlichkeiten und durch die Fürsprache der Verwandten seiner Frau dahin, daß der König von England sich beim König von Frankreich wegen seiner Begnadigung und Wiedereinsetzung in Ämter und Güter verwandte. Als aber der König von dem schmutzigen und niederträchtigen Verbrechen gehört hatte, schickte er dem König von England die Alten mit der Bitte ein, den Fall daraufhin zu prüfen, ob er Gnade verdiene, und teilte ihm des Weiteren mit, daß in seiner Monarchie der Herzog von Alençon für den Umkreis seines Herzogtums allein das Recht der Begnadigung habe. Trotz aller dieser die Ablehnung erklärenden Gründe beruhigte sich der König von England nicht, vielmehr betrieb er die Angelegenheit so angelegentlich weiter, daß der Prokurator schließlich auf seine Verwendung hin begnadigt wurde und in seine Heimat zurückkehrte. Um aber seiner Schlechtigkeit die Krone aufzusetzen, ließ er sich mit einem Zauberer namens Gallery in einen verbotenen Umgang ein, weil er hoffte, durch die Zauberkünste desselben, von der Bezahlung der 1500 Thaler, die er dem Vater des Ermordeten schuldete, befreit zu werden. Zu diesem Zwecke begaben sich er und seine Frau in Verkleidung nach Paris. Als nun seine Frau inne wurde, daß er immer lange Zeit mit Gallery in einem Zimmer eingeschlossen blieb und ihr den Grund nicht angab, lauerte sie ihm eines Morgens auf und sah, daß ihm Gallery fünf Holzfiguren zeigte, von denen drei herunterhangende und zwei in die Höhe gehobene Arme hatten. Der Zauberer sagte dem Prokurator: »Wir müssen ganz gleiche Figuren aus Wachs herstellen, und die mit den herunterhängenden Armen müssen die sein, deren Tod wir wollen, und die mit den emporgehobenen Armen diejenigen, deren Gunst und Geneigtheit wir wünschen. « Darauf sagte der Prokurator: »Dann soll diese für den König sein, dessen Gnade ich will, und diese für Brinon, den Kanzler von Alençon. « Gallery fuhr fort: »Diese Bilder müssen unter den Altar gestellt werden, und dort muss ihnen eine Messe mit ganz bestimmten Worten gelesen werden, die ich Euch gleich mittheilen werde. « Von den mit den herunterhängenden Armen bestimmte der Prokurator eine Figur für Gilles du Mesnil, den Vater des Ermordeten; denn er wusste, daß dieser nicht aufhören würde, ihn zu verfolgen, so lange er lebte. Eine der Frauenfiguren mit herunterhängenden Armen bestimmte er für die Schwester des Königs, die Herzogin von Alençon, weil sie ihren alten, treuen Diener du Mesnil sehr liebte und in so vielen Beziehungen die Schlechtigkeit des Prokurators erkannt hatte, daß er vor ihrem Tode sein eigenes Leben nicht sicher wähnte. Die zweite Frauenfigur endlich bestimmte er für seine eigene Frau, weil sie die Ursache seines ganzen Unglücks war und er die Überzeugung hatte, daß sie ihr lasterhaftes Leben nicht ändern würde. Seine Frau sah Alles durch das Schlüsselloch und als sie vernahm, daß er sie mit auf die Lifte der Toten setzte, beschloss sie, daß ihm das selbst das Leben kosten sollte. Sie gab vor, von einem ihrer Onkel Geld leihen zu wollen, fuhr zu dem Requetenmeister des Herzogs von Alençon und erzählte ihm Alles, was sie von ihrem Mann gesehen und gehört hatte. Und da gerade an jenem Tage der Herzog und die Herzogin von Alençon nicht bei Hofe waren, berichtete der Kanzler den seltsamen Fall der Regentin, der Mutter des Königs und der Herzogin. Diese ließen sofort den Stadtschultheiß von Paris La Barre holen, der in aller Eile den Prokurator und seinen Helfershelfer Gallery festnehmen ließ. Sie gestanden ihr Verbrechen ohne weiteres Verhör ein, ohne daß es zur Folter kam, und es wurde ihnen der Prozess gemacht und darüber dem König berichtet. Einige wollten sie retten und sagten deshalb dem König, sie hätten ja nur seine Gunst durch ihre Zauberkünste erlangen wollen. Der König aber liebte das Leben seiner Schwester wie sein eigenes und bestimmte, daß das Urteil so gefällt würde, als hätten sie den Mordanschlag gegen sein eigenes Leben gemacht. Aber die Herzogin von Alençon selbst bat den König um das Leben des Prokurators und Umwandlung der Todesstrafe in irgendeine andere schwere Strafe. Der König schenkte ihr Gehör und er und Gallery wurden nach Marseille auf die Galeeren von Saint-Blanquart geschickt, wo sie ihr Leben in der Gefangenschaft beendeten und Muße hatten, die Schwere ihrer Sünden einzusehen. Die verworfene Frau aber setzte ihren verbrecherischen Lebenswandel in der Abwesenheit ihres Mannes schlimmer als früher fort und starb im Elend. »Nun bitte ich Euch, meine lieben Zuhörerinnen,« endigte Simontault, »seht einmal her, welches Unglück wegen dieser lasterhaften Frau entstanden ist, wie viele Mister ihr sündiges Leben im Gefolge hatte. Ihr werdet finden, daß, seitdem Eva Adam zu Fall brachte, alle Frauen nichts anderes im Schilde führen, als die Männer zu quälen, zu töten und in die Verdammnis zu stürzen. Ich selbst habe ihre Grausamkeit in so hohem Grade erfahren, daß mich die Verzweiflung, in die mich eine gestürzt hat, noch töten wird. Und dabei bin ich noch wahnsinnig genug, frei heraus zu sagen, daß die Hölle von ihrer Hand mir etwas Lieblicheres ist als das Paradies aus der Hand einer anderen. «

Parlamente tat, als verstände sie nicht, daß diese Worte nur ihr galten, und sagte:

»Da die Hölle Euch so lieblich erscheint, scheint Ihr die Teufelin, die Euch dorthin geschickt hat, nicht sonderlich zu fürchten? «

Er antwortete in erregtem Tone:

»Wenn meine Teufelin so schwarz von Angesicht würde, als sie grausam gegen mich gewesen ist, würde sie dieser ehrenwerten Gesellschaft wahrscheinlich ebenso viel Furcht einflößen, als es mir jetzt Vergnügen macht, sie zu betrachten. Aber die Glut der Liebe läßt die der Hölle vergessen. Und um selbst nichts weiter über diesen Punkt zu sagen, gebe ich Frau Oisille das Wort; denn ich weiß wohl, daß sie nur meine Ansicht bestätigen kann, wenn sie von den Frauen das, was sie alles weiß, erzählen wollte.«

Sogleich wandten sich alle Anwesenden nach ihr hin und baten sie um ihre Erzählung.

Sie war es zufrieden und begann lächelnd:

»Mir scheint, meine Damen, daß mein Vorredner von der wahrhaftigen Geschichte einer unglücklichen Frau ausgehend so viel Schlechtes von den Frauen gesagt hat, daß ich meine lange Erfahrung zu Hülfe nehmen muss, um eine ausfindig zu machen, deren Tugend seine schlechte Meinung Lügen strafen kann. Und da mir gerade eine Geschichte einfällt, die auch verdient, der Vergessenheit entrissen zu werden, will ich sie Euch erzählen. «

2. Erzählung

Bedauerlicher und ehrenvoller Tod der Frau]

Bedauerlicher und ehrenvoller Tod der Frau eines der Maultiertreiber der Königin von Navarra, welche ein Diener ihres Mannes in dessen Abwesenheit missbrauchen will.

In Amboise lebte ein Maultiertreiber in Diensten der Schwester des Königs Franz I., der Königin von Navarra, welche in Blois mit einem Sohne niedergekommen war. Zu dieser hatte sich der Maultiertreiber aufgemacht, um sich seinen Dienstlohn zu holen, während seine Frau in Amboise in ihrer Wohnung jenseits der Brücke zurückblieb. Lange schon liebte letztere ein Knecht ihres Mannes so heftig, daß er eines Tages nicht mehr an sich halten konnte, ihr von seiner Liebe zu sprechen. Sie war aber eine vollkommen ehrbare Frau und wies ihn kurz ab, bedrohte ihn auch damit, ihn von ihrem Mann bestrafen und wegjagen zu lassen. Seitdem hatte er sie nicht mehr mit seinen Reden belästigt, ließ sich auch nichts mehr anmerken; vielmehr bewahrte er die Glut seiner Liebe in seinem Herzen, bis sein Herr weggereist und seine Herrin eines Tages zur Messe nach der Schlosskirche Saint-Florentin, die sehr weit von ihrer Wohnung ablag, gegangen war. Wie er nun so allein zu Hause saß, kam ihm der Gedanke, daß er durch Gewalt erreichen könnte, was weder Bitten noch Ergebenheit ihn hatten erlangen lassen, und er brach aus der Wand zwischen dem Zimmer seiner Herrin und dem seinigen eine Bohle heraus.

Da nun auf der einen Seite der Wand der Bettvorhang vom Bett seiner Herrin und seines Herrn war, auf der anderen ebenfalls ein Vorhang von einem Bett der Dienerschaft, so blieb das Loch, das er gemacht hatte, unsichtbar, und seine Arglist wurde nicht bemerkt, bis seine Herrin mit einem kleinen zwölfjährigen Mädchen zu Bett gegangen war. Sobald die arme Frau im ersten Schlummer lag, drang er durch die Öffnung in ihr Zimmer und legte sich im Hemde, ein blankes Schwert in den Händen, in ihr Bett. Kaum aber spürte sie ihn neben sich, als sie aus dem Bett sprang und ihm alle Vorstellungen machte, wie sie nur eine anständige Frau machen kann. Seine Liebe war aber nur eine rein tierische, er hätte eher die Sprache der Maulesel verstanden, als vernünftige Gründe, und er zeigte sich tierischer als die Tiere, die sein gewöhnlicher Umgang waren; denn als er sah, daß sie immer um einen Tisch herumlief, so daß er sie nicht packen konnte, und sie auch so stark war, daß sie sich zweimal schon von ihm losgemacht hatte, gab er die Hoffnung auf, sie lebendig in seinen Besitz zu bringen, und versetzte ihr einen tiefen Hieb über die Hüften, damit der Schmerz fertig bringe, was Furcht und Gewalt nicht vermocht hatten.

Aber vergeblich; denn wie ein tüchtiger Kämpfer, wenn er erst sein Blut fließen sieht, nur noch hitziger losschlägt, um sich zu rächen und Ehre zu erwerben, so verdoppelte sich auch die Kraft ihres keuschen Herzens, und sie fuhr fort, im Zimmer umherzulaufen und den Händen ihres Angreifers zu entwischen, wobei sie ihm unausgesetzt Vorstellungen machte, um ihn zur Einsicht seines sündhaften Verlangens zu bringen. Aber er war so voller Begierde, daß gute Ratschläge nichts mehr bei ihm verschlugen; er versetzte ihr noch einige Degenhiebe, denen sie durch Herumlaufen zu entgehen suchte, so lange ihre Füße sie noch trugen. Als sie aber in Folge des starken Blutverlustes den Tod herannahen fühlte, erhob sie die Augen zum Himmel, faltete ihre Hände und empfahl Gott ihre Seele, indem sie ihm ihre Kraft und Tugend und Ausdauer und Keuschheit nannte und ihn anflehte, das Blut, das sie in Befolgung seiner Gesetze vergossen habe, im Namen seines göttlichen Sohnes, durch dessen Blut alle Sünden vor seinem göttlichen Zorn getilgt und gesühnt seien, gnädig anzunehmen. Dann mit den Worten: »Herr, nimm meine Seele zu dir, die durch deine Güte unbefleckt geblieben ist« fiel sie mit dem Gesicht zur Erde nieder, wo der Schamlose noch weiter auf sie einschlug. Nachdem sie ganz still geworden war, und er seine frevelhafte Begierde befriedigt hatte, floh er eiligst und konnte trotz aller Nachforschungen nicht ausfindig gemacht werden.

Das junge Mädchen, das mit der Frau zusammen in deren Bett gelegen hatte, war in ihrer Furcht unter das Bett gekrochen. Als sie nun sah, daß der Mann das Zimmer verlassen hatte, lief sie zu ihrer Herrin hin, und da diese sich nicht mehr bewegte, rief sie zum Fenster hinaus die Nachbarsleute zu Hülfe. Alle, die sie gern hatten und sie mehr als eine andere Frau der Stadt achteten, kamen unverzüglich herzu und brachten Ärzte mit sich. Diese konstatierten 25 tödliche Wunden an ihrem Körper, und alle ihre Bemühungen, ihr das Leben zu erhalten, blieben ohne Erfolg. Immerhin lebte sie noch eine Stunde, ohne sprechen zu können, versuchte aber mit den Augen und Händen sich noch verständlich zu machen. Von einem Priester um ihr Glaubensbekenntnis befragt, antwortete sie mit so klaren Zeichen, wie sie die Sprache nicht hätte besser geben können, daß ihre Zuversicht in Jesu Christo sei, den sie auf seinem himmlischen Thron zu sehen hoffe. Dann hauchte sie mit freudigem Blicke und mit zum Himmel gewandten Augen ihre Seele aus.

Als sie nun eingesargt und ihre Leiche in Erwartung der Leidtragenden an der Thür niedergestellt worden war, kehrte ihr armer Mann zurück und sah früher die Leiche seiner Frau vor der Tür, als er die Nachricht von ihrem Tode erhalten hatte. Als er gar die näheren Umstände erfahren hatte, verdoppelte sich seine Trauer, und er versank in so großen Kummer, daß es ihm beinahe selbst das Leben kostete.

Die Leiche dieser Märtyrerin der Keuschheit wurde in der Kirche Saint-Florentin beigesetzt; keine einzige der ehrbaren Frauen der Stadt verfehlte, sie zu begleiten und ihr die letzte Ehre zu erweisen, und alle schätzten sich glücklich, zu einer Stadt zu gehören, in der eine so tugendhafte Frau gelebt hatte. Als die Leichtfertigen die Ehre sahen, die man dieser Frau erwies, gingen sie in sich und änderten ihren Lebenswandel.

Hiermit endigte Oisille ihre Erzählung und fuhr dann fort:

»Hier, meine Damen, haben Sie eine wahre Geschichte, die uns wohl veranlassen kann, jene schöne Tugend der Keuschheit uns zu bewahren. Müssten wir, die wir von vornehmer Geburt sind, nicht vor Scham sterben, wenn wir in unserm Herzen eine Versuchung verspüren, der zu entfliehen eine arme Frau nicht anstand, in einen so grausamen Tod zu gehen? Ja, wie manche hält sich wohl für eine ehrbare Frau, der es nicht eingefallen ist, bis zum letzten Blutstropfen zu widerstehen, wie jene es tat. Deshalb demütigen wir uns; denn Gott schenkt den Menschen seine Gnade nicht nach ihrer Geburt oder ihrem Reichtum, sondern nach ihrem wohlgefälligen Leven; er nimmt nicht jedermann, sondern er sucht sich aus, wen er für berufen hält, denn wen er einmal erwählt hat, den ehrt er mit seiner Gnade und krönt ihn mit seinem Ruhm. Und oft wählt er sich Niedriggeborene aus, um diejenigen zu beschämen, die die Welt für hochstehend und achtbar hält, wie er selbst sagt: ›Setzen wir unsern Stolz nicht in unsere Vorzüge, sondern darin, wie wir im Buche des Lebens angeschrieben sind.‹«

In der ganzen Gesellschaft war nicht eine einzige Dame, die nicht Tränen des Mitleids um den heldenmütigen Tod dieser armen Frau in den Augen gehabt hätte. Eine jede nahm sich vor, sich, wenn gleiches Schicksal ihr begegnen sollte, zu bemühen, dem Beispiel jener zu folgen. Als nun Frau Oisille sah, daß unter den Lobeserhebungen der armen Toten die Zeit verstrich, sagte sie zu Saffredant: »Wenn Ihr nicht etwas erzählt, was die Gesellschaft zum Lachen bringt, wird mir keine unter uns den Fehlgriff verzeihen, sie zu Tränen gerührt zu haben. Deshalb gebe ich Euch das Wort. « Saffredant hätte wohl gewünscht, etwas Gutes zu erzählen was der Gesellschaft gefallen möchte, besonders einer der anwesenden Damen; er sagte aber, man täte Unrecht, ihn zu wählen, da viel Ältere und Erfahrenere zugegen wären, die man zuerst erzählen lassen müsse. Da aber das Loos einmal auf ihn gefallen sei, wolle er nur beginnen, denn je mehr vor ihm bessere Erzählungen machen würden, umso schlechter würde die seine befunden werden.

3. Geschichte

Der König von Neapel verführt die Frau eines Edelmannes

Der König von Neapel verführt die Frau eines Edelmannes und wird schließlich selbst betrogen.

Saffredant begann folgendermaßen: Ich habe mir, meine Damen, selbst oft gewünscht, Schicksalsgenosse desjenigen zu sein, dessen Geschichte ich Euch berichten will. In Neapel lebte nämlich zur Zeit des Königs Alphons, dessen wollüstiges Leben in seinem Reich den Zepter führte, ein so hochstehender, schöner und liebenswürdiger Edelmann, daß ein alter Graf ihm wegen seiner Vorzüge seine Tochter zur Frau gab, die an Schönheit und feiner Lebensart in nichts ihrem Manne nachstand. Die Freundschaft war groß zwischen diesen beiden, wenigstens bis zu einem gewissen Karneval, während dessen Dauer der König in einer Maske in die Häuser ging und Alle um die Wette sich anstrengten, ihn aufs Beste zu empfangen. So kam er auch in das Haus jenes Edelmanns, wo er besser bewirtet wurde, als in irgendeinem anderen, mit feinen Speisen und Gesängen, und wo ihn die schönste Frau unterhielt, die er noch gesehen hatte. Diese trug am Ende des Gastmahls mit ihrem Mann zusammen ein Lied vor, und zwar mit so großer Lieblichkeit, daß ihre Schönheit nur noch mehr hervortrat. Als nun der König so mannigfache Vorzüge in einer Person vereinigt sah, empfand er an dem harmonischen Verhältnis zwischen den beiden Gatten nicht etwa Wohlgefallen, vielmehr dachte er sofort daran, wie er dasselbe zerstören könnte. Die Schwierigkeit bestand aber eben in der großen Zuneigung zwischen jenen beiden. Deshalb verbarg er, so gut er konnte, seine Leidenschaft in seinem Herzen.

Um ihr aber wenigstens eine teilweise Befriedigung zu gewähren, gab er den Herren und Damm von Neapel große Festlichkeiten, bei denen der Edelmann und seine Frau nicht vergessen waren. Da nun der Mensch gern glaubt, was er sich zu sehen einredet, schien es ihm, daß die Augen dieser Dame ihm ein Glück verhießen, und daß nur die Gegenwart ihres Mannes das Hindernis sei. Um also zu erproben, ob er sich auch nicht irre, gab er ihrem Mann auf, auf zwei bis drei Wochen in Staatsgeschäften nach Rom zu reisen. Kaum aber hatte er die Stadt verlassen, als seine Frau, in deren Erinnerung sein Bild noch lebendig war, in große Trauer verfiel. So viel er konnte suchte sie der König durch freundliche Worte, Geschenke und Gunstbezeugungen zu trösten, so daß sie am Ende sich nicht nur wegen der Abwesenheit ihres Mannes ganz beruhigte, sondern ganz zufrieden damit war. Auf diese Weise waren die drei Wochen noch nicht verstrichen, und schon war sie so sehr in den König verliebt, daß die bevorstehende Rückkehr ihres Mannes ihr jetzt gerade so ungelegen erschien wie vorher seine Abreise. Um nun der ihr teuren Gegenwart des Königs nicht verlustig zu gehen, machten sie beide unter einander ab, daß sie, wenn ihr Mann auf seine Güter gehen würde, den König benachrichtigen wolle, damit er dann heimlich und ganz sicher vor ihrem Mann, den sie mehr fürchtete als ihr Gewissen, sie besuche.

In dieser Hoffnung wurde sie ganz lustig, und als ihr Mann zurückkehrte, empfing sie ihn so gut, daß er den Gerüchten über ein in seiner Abwesenheit zwischen dem König und seiner Frau entstandenes Liebesverhältnis keinen Glauben schenkte. Mit der Zeit aber konnte sie ihre Leidenschaft nicht mehr verbergen, so daß ihr Mann bald nicht mehr die Wahrheit jener Gerüchte bezweifeln konnte; auch passte er so gut auf, daß er bald volle Sicherheit erhielt. Aber da er, wenn er sich etwas anmerken ließ, befürchten musste, daß der König noch Schlimmeres gegen ihn unternehmen würde, als ihm nur seine Ehre rauben, entschloss er sich, sich zu verstellen, denn er wollte lieber mit einem Flecken auf seinem Namen leben, als sein Leben selbst wegen einer Frau in die Schanze schlagen, die keine Liebe für ihn hatte. Nichtsdestoweniger beschloss er in seinem Unmut, dem König wenn möglich die gleiche Schmach anzutun, und da er wusste, daß die Liebe am leichtesten ein liebeleeres Herz ergreift, nahm er sich eines Tages, als er bei Hofe war, die Kühnheit, der Königin zu sagen, es schmerze ihn tief, daß sie nicht andere Liebe erhielte, als ihr ihr königlicher Gemahl gebe.

Die Königin, welche von dem Verhältnis des Königs mit seiner Frau gehört hatte, antwortete ihm: »Ich kann nicht gleichzeitig die Ehre und den Genuss haben, ich weiß wohl, daß ich die Ehre habe und eine andere den Genuss, dafür hat sie aber auch nicht die Ehre, die ich habe. « Er verstand wohl, worauf sich diese Worte bezogen, und entgegnete: »Hoheit, die Ehre ist mit Euch geboren, denn Ihr seid aus so vornehmem Hause, daß Euer Adel nichts dadurch gewinnen konnte, ob Ihr Königin oder Kaiserin wurdet. Aber Eure Schönheit und Anmut verdient so sehr, die Freuden der Liebe zu genießen, daß diejenige, die Euch Euren Antheil daran raubt, mehr sich selbst als Euch schadet; denn der Ruhm, um dessentwillen sie Euch den Euch gebührenden Lebensgenuss entzieht, gereicht ihr nur zur Schande. Und ich wage Euch zu sagen, edle Frau, daß, wenn der König seine Krone nicht hätte, er nichts vor mir voraus hätte, ein liebendes Herz zu beglücken; ja, ich meine sogar, wollte er eine erlauchte Dame, wie Ihr seid, wahrhaft glücklich machen, er müsste mir gleichen.«

Die Königin antwortete lächelnd: »Mag auch der König von schwächerem Körperbau sein, als Ihr, immerhin befriedigt mich die Liebe, die er mir schenkt, so sehr, daß ich sie jeder anderen vorziehe. « »O Königin«, sagte der junge Edelmann, »wenn dem so wäre, würdet Ihr mir nicht Mitleid einflößen, denn ich weiß wohl, daß die keusche Liebe Eures Herzens Euch genug sein würde, wenn sie nur eine gleiche Gegenliebe beim König fände; aber Gott hat Euch davor bewahrt, daß Ihr aus ihm Euren Gott auf Erden macht, obwohl er Euch nicht geben kann, was Ihr verlangt.« »Aber ich sage Euch«, erwiderte die Königin, »daß die Liebe, die ich für ihn hege, so groß ist, daß kein anderes Herz mit dem meinigen verglichen werden kann. « »Verzeihet mir, Königin«, sagte der Edelmann, »aber Ihr habt die Liebe noch nicht bis in ihre letzten Tiefen erkannt, denn ich wage zu behaupten, daß ein Mann Euch mit so großer und verzehrender Liebe zugetan ist, daß die Eure sich neben der seinigen nicht sehen lassen kann, und je mehr er sieht, daß die Liebe zum König in Eurem Herzen noch wurzelt, umso mehr wächst und steigt die seine, so daß, wenn Ihr ihn nur erhören wolltet, er Euch für alle Eure verlorenen Tage entschädigen könnte.«

Sowohl aus seinen Worten wie aus seiner Haltung ersah die Königin bald, daß Alles, was er sagte, ihm aus dem Herzen kam. Ich entsinne mich auch, sagte Saffredant, daß er schon lange eifrig sich bemüht hatte, ihr zu Diensten zu sein, und zwar mit solcher Ergebenheit, daß er ganz trübsinnig wurde. Anfangs hatte sie gedacht, er sei es wegen seiner Frau, jetzt aber gewann sie die Überzeugung, daß es aus Liebe zu ihr sei. Auch die Innigkeit seiner Liebe, die man sehr wohl herausfühlt, wo nicht etwa Verstellung vorliegt, gab ihr Gewissheit über seine Gefühle, die im Übrigen vor der Welt verborgen blieben. Sie sah auch, daß der Edelmann viel liebenswürdiger als ihr Mann war und wie sie vom König, so er von seiner Frau verlassen. Zorn und Eifersucht wegen ihres Gemahls und die Liebe des Edelmanns wirkten in gleicher Weise auf sie ein, und eines Tages sagte sie mit Tränen in den Augen und unter Seufzen: »O mein Gott, soll Rachsucht über mich gewinnen, was die Liebe nicht zu Wege gebracht hat? « Der Edelmann aber, der diese Bemerkung gehört hatte, erwiderte: »O Königin, süß ist die Rache desjenigen, der, anstatt den Feind zu töten, den wahren Freund glücklich macht. Es scheint mir an der Zeit, daß die Erkenntnisse Euch die törichte Liebe für den, der Euch nicht mehr liebt, aus dem Herzen reiße und die wahre Liebe Euch alle Furcht, die in einem großen und tugendhaften Herzen nicht Platz haben sollte, nehme. Wohlan, Königin, legen wir Euren hohen Rang bei Seite und berücksichtigen wir nur, daß wir augenblicklich auf der ganzen Welt die beiden am meisten bespöttelten Menschen sind, und von denjenigen verraten, die wir am herzlichsten liebten. Rächen wir uns, nicht sowohl um ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten, als vielmehr um unsere eigene Liebe zu befriedigen, denn ich wenigstens kann mit der meinen so nicht weiter leben. Und Euer Herz müsste härter als ein Kieselstein oder ein Diamant sein, wenn Ihr nicht einen Funken von dem Feuer fühltet, das in mir verzehrend wächst, gerade je mehr ich mir Gewalt antue, es zu verbergen. Wenn Mitleid mit mir, der ich vor Liebe zu Euch sterbe. Euch nicht Liebe für mich einflößen kann, so muss Euch wenigstens der Gedanke darauf hinführen, daß Ihr, so vollkommen und rein, das liebevollste Herz Euer zu nennen verdient, gerade Ihr, die Ihr von dem schmählich verlassen seid, um dessentwillen Ihr alle anderen zurückgewiesen hattet.«