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Eine Sammlung von Heinrich Manns schönsten Novellen über Liebe, gebrochene Herzen, Einsamkeit und Trauer: Sei es der Kampf gegen den "Feind" im Herzen, der eine Liebe zerbrechen lässt; eine Liebesprobe mit Folgen; eine Frau, die aufgrund falscher Anschuldigungen von ihrem Mann verstoßen wird oder der Versuch, einem Kind die nötige Liebe und Zuwendung zu schenken – von unterschiedlichen Seiten beleuchtet Heinrich Mann die Liebe und die damit verbundenen schmerzhaften Erfahrungen. -
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Seitenzahl: 89
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Heinrich Mann
Saga
Das Herz und andere Novellen
Coverbild/Illustration: pexels-arthouse-studio-4618564
Copyright © 1910, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726885262
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Der alte Cantalupi hatte ziemlich getrunken, auf dem Wege pfiff er und klatschte in die Hände; und als nun der Zug den Hügel, der Colbasso heißt, hinaufgelangte und vor dem Hof der Neuvermählten alle haltmachten, da rief er:
»So geht denn zu Bett, meine Kinder! Dies Feld hat mein Großvater bebaut. Auch mein Enkel soll es bebauen.«
Er ließ sich von seiner Tochter ein Glas Wein bringen, küßte sie und den Schwiegersohn und kehrte um. Einige der Älteren folgten ihm; die junge Welt aber verlangte zu trinken und daß alle hinter den Pfeifern her um das Haus gehen sollten. Die Mädchen spähten in das Schlafzimmer der Hochzeitsleute und stießen sich an. Eine warf eine Blume auf das Bett, darauf tat auch die nächste es, und schließlich rupften alle von der Erde, was da war, und schleuderten es ins Fenster. Der junge Ehemann kam und fragte, warum sie lachten und schrien, aber sie sagten: um gar nichts, und er kehrte zu den Burschen zurück. Gerade schickten sie die junge Frau wieder hinein, nach einem neuen Fiasko, und hinter ihr her riefen sie Scherze. Ihr Mann hörte, wie der Carlino von Montemurlo zu einem andern sagte:
»Mag sie hergeben, was da ist! Sie wird Geld haben, denn ein Liebhaber wie der Tancredi läßt keine arm zurück.«
Matteo stürzte sogleich vor, um den Carlino zu packen. Aber es überkam ihn, daß dann alle es erfahren würden und daß dies seine Hochzeitsnacht sei. So riß er sich, die Zähne auf der Faust, hinter den Wagenschuppen zurück. ›Wären jene erst fort‹, dachte er und stieg, schwankend vor Schmerz, die Wiese hinab, ›dann werden wir abrechnen Tonietta und ich!‹ Er ließ sich hinfallen und sagte, erschöpft durch seine Wut: »Vielleicht war es eine Lüge Carlinos.« Dann schien es ihm wieder wahr, und er schluchzte in die Hände. »So habe ich bei den Soldaten, die langen Jahre, ihr alle diese Briefe geschrieben, indes der Tancredi sie hatte!«
Wie er endlich zurückging, hielt er den Kopf gesenkt und die Fäuste geschlossen. Kaum aber daß er, am Zaun, vom Boden aufsah, zog schon sein Fuß sich zurück und legten seine Hände sich auf die Brust. Vor dem Madonnenbilde in der Mauer kniete Tonietta; vom Mond, der noch tief hinter den Ölbäumen war, drang ein dünner Strahl bis zu ihr und zerstäubte auf ihr; und die violetten und bestirnten Tiefen über ihr waren so still, als hörte der ganze Himmel nur sie. Matteo ließ sich, wo er stand, auf die Knie. Als Tonietta aufstand, erblickte sie ihn, und sie gingen sich entgegen.
»Alle sind fort, schon lange«, sagte Tonietta. »Ich habe dich erwartet.«
»Und du denkst an keinen, der nicht hier ist?« fragte er und streckte den Kopf vor. Sie legte ihren in den Nacken.
»Bist du nicht hier, o Matteo?«
Da schüttelte er sich, die Augen geschlossen, und wand den Arm um ihre Hüften. So gingen sie um das Haus. Von einer sehr fernen Straße, wohl schon bei Villa Cotagna, kam noch einmal der Ton des Pifferaro.
»Wie wir allein sind!« sagte Tonietta. »Waren je andere so allein?«
Matteo breitete wild die Arme aus.
»So sollte es bleiben!«
»So sollte es bleiben«, sagte auch sie. Wußte sie denn, was er dachte? Daß morgen, wenn er den Tancredi zur Rede stellte, vielleicht alles aus war?
»Denn wir sind glücklich«, sagte sie.
»Ja, glücklich!« – und er preßte sich an sie.
»Wie es duftet, Lieber! Es duftet aus unserem Zimmer. O sieh! Es ist voll Blumen. Unser Bett ist voll Blumen.«
»Das waren die Mädchen!« rief er. »Sie haben sich lustig gemacht über mich.«
»Warum lustig gemacht? Sie wollten uns Freude machen. Aber wir müssen die Blumen hinaustragen, sonst werden wir krank.«
»Und wenn wir stürben! Wäre es nicht das beste?«
»Warum? Wir, die so glücklich sind!«
»Das Glück ist kurz, o Tonietta. So glücklich wie diese Nacht werden wir vielleicht nie mehr sein. Könntest du nicht mit mir sterben?«
Sie verschloß ihre Augen an seiner Brust.
»Auch sterben könnte ich mit dir, o Matteo!«
Da atmete er tief auf und sah empor. Ihm war's, als ragte er in den Himmel wie die Zypresse dort, die mit ihrer Spitze an einen Stern stieß.
An seiner Hand und auf seiner Brust betrat Tonietta das Haus. Als sie aber wieder hervorkamen, schleifte Matteo sie hinter sich, und sie schrie: »Mitleid! Du bist wahnsinnig.«
Vom Anblick der Madonna bekam sie Kraft, sich loszureißen, und sie warf sich vor das Bild hin und bewegte die hinaufgestreckten Hände, als wände sie an einem Seil.
»O Madonna!« rief sie, »o meine Madonna! Auch du bist eine Frau, und du weißt wohl, daß ich unschuldig bin! Sage ihm, daß ich unschuldig bin!«
Er hielt sie schon wieder.
»Ich bin betrogen!« – und er griff sich nach der Kehle. »Du und dein Vater, ihr habt mich betrogen. Er muß dich zurücknehmen. Fort mit dir!«
Er schleifte sie weiter. Auf der Mitte des Hügels klammerte sie sich an eine große Wurzel und war nicht loszubringen.
»Bin ich nicht dein Weib?« schrie sie immer wieder. »Dein Weib, das dich liebt?«
Zuletzt zerschnitt er die Wurzel, und so mußte sie mit. Es ward Tag.
Im Dorf sahen es weder er noch sie, daß von ihrem Lärm die Leute an die Fenster kamen. Sie hatten das Blut in den Augen und waren wie blind.
Der alte Cantalupi stand schon auf seiner Schwelle, und kaum, daß er die Worte des Schwiegersohnes unterschieden hatte, rief er der Tochter entgegen:
»Du hast mir schöne Ehre gemacht! Jetzt sieh zu, wo Platz für dich ist!«
Und die Arme hielt er quer vor den Eingang. Tonietta wollte hindurch, aber sie waren so hart, daß es sie umwarf.
»Daß ich unschuldig bin!« – mit zwei Fingern, die sie hoch in die Luft schüttelte. »O Madonna, daß ich unschuldig bin!«
»Das mache mit deinem Mann ab!« sagte ihr Vater.
In dem Haufen von Burschen, der sich umherschob, kam ein Gemurmel auf. Die Frauen drüben verstanden es, und eine sagte laut:
»Der Conte: es ist wahr. Denn noch am Sonntag kam sie aus seinem Hause.«
»Du lügst!« – und Tonietta schnellte ihr an die Gurgel. Das Mädchen wälzte sie ab, die nächste stieß sie weiter, und immer schreiend: »Ihr lügt!« flog Tonietta von dieser zu jener, bis eine, die kleine Lorenzina, sie in den Armen behielt und leise sagte:
»Arme Tonietta!«
Da schlug Tonietta nicht mehr um sich und war still. Nur lang aufseufzen hörte man sie hinter ihren beiden Händen; und gebückt und strauchelnd gelangte sie durch den Haufen der Männer, der auseinanderwich, und an den Kindern vorbei, die pfiffen … Alle sahen ihr nach. Jetzt nahm sie die Hände vom Gesicht. Jetzt schleppten ihre nackten Füße nicht mehr im Staube. Jetzt war sie, eilend, am Ende des Dorfes und schlug sich, in der Morgensonne, den Rock über den Kopf wie eine Reisende.
»Sie will wohl einen weiten Weg machen«, sagte jemand.
Die Burschen drückten Matteo die Hand und bemitleideten ihn. Er erwiderte:
»Was tut mir's, da meine Ehre gerächt ist. Und mein Leben werde ich nun wieder als Schuster verdienen.«
Der alte Cantalupi aber sagte:
»Was, Schuster. Ich habe dir den Hof und die Tochter gegeben und nehme weder sie noch ihn zurück.«
So kehrte denn Matteo allein nach Colbasso um. Hinter dem Hügel stand die Sonne und blendete so sehr, daß er mit dem ersten Blick das Haus nicht fand und erschrak, als sei es fort. Das Gras wehte; er hielt still: ob das Wehen nicht zu hören sei. Nein, auch das war nicht zu hören. Und das Haus stand vorn und hinten offen; man sah ganz hindurch, ins Leere; und Matteo kam es vor wie ein Menschenleib, durch den ein Messer gefahren war.
Er lehnte sich gegen den Schuppen, und vor Müdigkeit rutschte er zu Boden. Da traf er in dem weiten Land, das schon blaute, auf die Straße, zog ihr gedankenlos blinzelnd nach und sah eine Gestalt sich bewegen. Bei dem großen schwarzen Stein, der das Grabmal des Nero war, blieb sie stehen, taumelte dagegen und glitt daran nieder, wie er selbst an seinem Schuppen. Plötzlich aber sprang Matteo auf und stieß mit der Faust nach ihr dort unten; denn auch sie hatte rückwärts den Arm geschüttelt.
Der Fuhrmann Giovaccone aus Calto erzählte eines Tages in der Schenke, zu Rom bei Piazza Montanara habe er die Tonietta gesehen. Er kannte sie genau, weil er seit zwanzig Jahren den Wein ihres Vaters abholte; und durch eine Gasse war sie gegangen mit einem Manne. Der Mann war ein Bauer, er konnte einer aus Storchio sein, Giovaccone wußte es nicht sicher. Diese Begegnung war schon vier Wochen her, aber da der Fuhrmann seitdem noch nicht im Dorf gewesen war, erfuhr man davon erst jetzt.
Als es dem Matteo berichtet ward, sagte er, es sei nicht wahr; und dem Biagio, Sohn des Gasparo, der dabei blieb, fuhr er zu Leibe. Die andern trennten sie und redeten ihm Vernunft zu: was die Tonietta ihn noch angehe. Er war blaß und wollte nicht mehr Boccia spielen, nahm seinen Rock und ging nach Haus.
Am Morgen darauf kam zu ihm sein Freund Michele Lattuga. Er kam auf seinem Karren geradewegs von Rom und sagte zu Matteo, er müsse ihn ernsthaft sprechen. Matteo legte seine Hacke nieder, nahm aus dem Strohsack am Pferde die Flasche und bot sie dem Freunde. Michele setzte sie an den Mund; darauf sagte er:
»Ich darf mit gutem Gewissen deinen Wein trinken, denn als in der Hauptstadt die Tonietta, deine Frau, sich mir anbot, habe ich unserer Freundschaft gedacht und sie ausgeschlagen. Du mußt wissen, daß nicht jeder so handelt wie ich und daß der Carlino aus Montemurlo …«
»O schweig!« rief Matteo, mit den Fäusten auf den Ohren … »Ich wollte sagen«, setzte er hinzu, »daß jetzt, da sie die Dirne macht, alles eins ist, und auch du hättest sie dir nehmen können.«
Michele stutzte und dann ergriff er Matteos Hand.
»Ich wollte es dir verheimlichen, Freund, und dich schonen; aber, die Wahrheit zu sagen, habe auch ich ihr nicht widerstehen können. Denn man muß zugeben, daß sie eine schöne Frau ist.«
Matteo war auf einmal dunkelrot und griff um sich.
»Was hast du?« fragte Michele.