Das Himmelreich in mir - Doris Rein - E-Book

Das Himmelreich in mir E-Book

Doris Rein

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Beschreibung

Als mehrere Schicksalsschläge ihr Leben überschatten und keine der weltlichen Praktiken mehr helfen kann, gelangt Doris Rein auf einem steinigen Weg zu der Erkenntnis, dass Gott nicht nur mit uns, sondern auch in uns verweilt. Die beständige Hinwendung zu dieser Liebe lässt sie ihre Fehler und Schwächen annehmen und eine innere Wandlung erfahren. Hingebungsvoll erzählt sie von ihren Erfahrungen mit der wunderbaren Fürsorge des himmlischen Vaters und der Sanftheit und Barmherzigkeit Jesu, durch welche sie in der dunkelsten Zeit ihres Lebens Zuspruch und Linderung empfing. Manchmal braucht es das Erdulden und Bestehen von Lebenskrisen, bis wir begreifen, dass wir erst durch unsere bedingungslose Selbstliebe und das wiedergewonnene Urvertrauen das Himmelreich in uns selbst erschließen können.

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Seitenzahl: 341

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Doris Rein

Das Himmelreich in mir

Doris Rein

Das Himmelreich

in mir

Wer es mit ganzem Herzen sucht,

der wird es auch finden!

Impressum

1. Auflage 2019

© Spirit Rainbow Verlag

UG haftungsbeschränkt

www.spirit-rainbow-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Gestaltung, Druck und Vertrieb:

Druck- & Verlagshaus Mainz

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

www.verlag-mainz.de

Abbildungsnachweis (Umschlag):

Hintergrund: https://www.pexels.com/photo/atmosphere-blue-bright-cloudiness-412462, wolkenfreies Herz: https://torange.biz/ru/heart-22597

Print:

ISBN-10: 3- 948108-07-2

ISBN-13: 978-3- 948108-07-6

e-Book

ISBN-10: 3-948108-21-8

ISBN-13: 978-3-948108-21-2

»In jedem von uns existiert ein winziger Funke des Lichts,

der die Dunkelheit unseres Unterbewussten erhellt.

Es ist der göttliche Funke des Bewusstseins,

der unsere Verbindung zu Gott aufrechterhält.«1

Aus der Dunkelheit zum Licht

Da ich das Himmelreich nicht als etwas Fernes verstand, das außerhalb von mir läge, sondern als einen Ort in meinem Innersten, war es mein Ziel, so lange in mir danach zu suchen, bis ich es fände. Ich stellte mir vor, dass an diesem Ort weder Zweifel noch Misstrauen noch Ängste noch Sorgen ein Bleiberecht hätten. Aus diesem Grund war ich bemüht, diesem »Reich« in mir näherzukommen, indem ich negative Gedanken und Gefühle mithilfe verschiedenster Techniken aus meinem Leben zu entfernen versuchte. Leider musste ich feststellen, dass diese praktischen Versuche zum Scheitern verurteilt waren, sodass ich tiefe Verzweiflung und Ohnmacht empfand. In Zeiten der Hoffnungslosigkeit und Trauer hörte ich manchmal eine warmherzige innere Stimme, die mir besonders in trostlosen Nächten gut zuredete und mir beteuerte, ich wäre geliebt und gewollt.

Doch diese Stimme forderte mich auch zu äußerst fragwürdigen Aktivitäten auf, und indem ich tat, was sie mich zu tun anwies, erlebte ich so manches Abenteuer und durfte Zeugin unglaublicher Ereignisse werden. Primär lenkte ich meine Aufmerksamkeit allerdings auf Jesus Christus. Mit ihm führte ich eine sehr außergewöhnliche, offene »Beziehung«. Sein sanftmütiger Blick, der mich von einer Jesus-Ikone aus ansah, welche stets vor mir auf dem Tisch stand, ermöglichte es mir immer häufiger, alte Verletzungen in mir »anzuschauen« und dort Vergebung zu üben, wo sie notwendig war. Aufgrund seiner für mich spürbaren, einfühlsamen Art gelang mir eine intensive und ehrliche Selbstbetrachtung. Zunächst war ich geradezu bestürzt über so manche unliebsame Charaktereigenschaft. Ich wollte sie lange nicht wahrhaben, doch im Laufe der Zeit konnte ich meine quälenden Selbstzweifel weitgehend hinter mir lassen und mich bald immer beständiger liebend annehmen.

Dieser Wandel ermöglichte es mir, meine Gedanken und Gefühle nach und nach loszulassen und mich für Gottes Geist zu öffnen. Folglich konnte ich mich mehr und mehr mit meiner Vergangenheit aussöhnen. Jesus Christus half mir da­rüber hinaus, Gott wirklich »kennenzulernen«. Mit der inneren Gewissheit, Gottes geliebtes Kind zu sein, konnte ich mich nach mehreren Höhen und Tiefen immer beständiger in Gottes Arme fallen lassen. Ich nahm zudem wahr, dass meine Negativität mit dem Glauben an Gottes Güte nachließ. Außerdem wurde mir verständlich, dass es mir, trotz all meiner beharrlichen Versuche, nie möglich sein würde, Gottes Wirken zu ergründen. Mein Ringen darum, Gottes Tun nachvollziehen zu können, würde aussichtslos bleiben und mich zu viel Kraft kosten. Überdies wurde mir untrüglich klar, dass mir Gott stets freundlich gesinnt war. Mit dieser Erkenntnis wuchs nicht nur das Vertrauen in Gottes Hilfe in allen Lebenslagen, sondern auch die Zuversicht, mit seiner gnädigen Führung in meinem Leben rechnen zu können.

Mit der sich nun einstellenden wohlwollenden Gesinnung nahm ich einen deutlichen Rückgang meines seelischen und körperlichen Leidens wahr. Doch erst zwei kurz aufeinander folgende Schicksalsschläge ließen mich Christus wahrhaft in mir erleben. Gleichzeitig wurde mir das Wesen Gottes, seine Größe und Macht offenbart. Ich erkannte in diesem Moment, dem Himmelreich in mir nahe zu sein. Dieses Erleben verankerte sich tief in meinem Innersten.

Kindlicher Glaube

»(...) Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.« (Mt 18,3)

Ab und zu wundere ich mich heute noch, welchen Tagträumen ich als Kind nachgehangen habe. Zu meinem Erstaunen ist so manche meiner kindlichen Vorstellungen im Laufe meines späteren Lebens wahr geworden. Wenn es sich in meiner Realität erfüllt, dann erinnere ich mich deutlich daran, es als Kind bereits geträumt zu haben, ähnlich wie bei einem Déjà-vu. Es steigt herauf aus meinem Unterbewusstsein, wohin das Geträumte abgesackt war.

Bereits mit sieben Jahren verbrachte ich an sonnigen Wintertagen die Nachmittage im Freien liegend. Ich holte mir einen Liegestuhl aus dem Keller unseres Reihenhauses und stellte ihn auf die Terrasse. Dann zog ich mich warm an, hüllte mich in eine kuschelige Decke und lag stundenlang in der Sonne – das Gesicht ins Licht haltend.

Einer dieser Nachmittage musste es gewesen sein, als in mir der Wunsch aufkam, später Schriftstellerin zu werden. Dieser Beruf schien mir der für mich geeignetste zu sein. Schließlich könnte man schreiben, wann und wo man Lust hätte. Wäre es warm, legte man eine Pause ein, um einen Spaziergang zu machen oder in einem See eine Runde zu schwimmen. Wäre es dagegen kalt, regnerisch oder stürmisch, könnte man es sich zu Hause gemütlich machen. Man tränke eine Tasse Tee, schriebe und könnte seine Gedanken beim Blick aus dem Fenster schweifen lassen.

Ich hing damals dieser Träumerei nach, ohne darüber nachzudenken oder mir die Frage zu stellen, ob ich überhaupt die Voraussetzungen für diesen Beruf mitbringen würde. Wenn ich mich heute in diese Vorstellungen hineinversetze, hatte ich mich gewissermaßen damals schon entschieden, Schriftstellerin zu werden. Ich hatte die Freiheit und Unabhängigkeit, die dieser Beruf versprach, schon gespürt. Dann hatte ich es für lange Zeit vergessen. Erst als mein erstes Buch veröffentlicht wurde, erinnerte ich mich wieder daran. Hätte ich mir in der Zwischenzeit einen Kopf darüber gemacht, wie mein Traum in Erfüllung gehen könnte, hätte er sich eventuell nicht verwirklicht.

Vielleicht ist für so manches Gelingen in Wahrheit unser kindlicher Glaube, der keinen Zweifel kennt, die wichtigste Voraussetzung. Leider beginnen wir mit zunehmendem Alter, alles in »möglich« und »unmöglich« zu unterscheiden. Als Kind kennen wir derartige Unterscheidungen nicht, da uns Zweifel fremd sind. Genau genommen wissen wir gar nicht, was Zweifel sind.

»Wer das Reich Gottes nicht bejaht mit der Einfachheit der Kinder, wird nicht hineinkommen.«2 (Mk 10,14)

»Die Einfachheit der Kinder« – welch ausdrucksvolle Umschreibung der kindlichen Eigenschaft. Kinder sind in ihrer ganzen Art einfach, unkompliziert und arglos, und genau so ist ihr Glaube auch. »Ich bin klein, mein Herz ist rein (...)« – dieser Reim sagt ebenfalls aus, wie ein Kinderherz beschaffen ist: rein, unverfälscht, klar. Sind dies möglicherweise die notwendigen Eigenschaften für einen Glauben ohne Zweifel?

Ich war acht Jahre alt, als ich auf der Suche nach einer Lektüre war, dir mir helfen konnte, das Lesen zu lernen. Zu diesem Zeitpunkt war ich praktisch bereits auf mich allein gestellt. Meine Eltern waren selbstständig und hatten nur an Sonntagen frei. Sie gingen wochentags um sechs Uhr morgens aus dem Haus und kamen gegen sieben Uhr abends zurück. Meine Klassenkameraden konnten alle wesentlich besser lesen als ich, und so stöberte ich im Bücherregal meiner Eltern nach etwas Passendem für mich. Es sollte kein Roman sein, sondern eher etwas mit kurzen Sprüchen oder kleinen Geschichten. Mir fiel das »Gotteslob« – das katholische Gebet- und Gesangbuch – in die Hand. Es schien mir genau das Richtige zu sein. Das »Vaterunser«, das mir beim Durchblättern sofort in den Blick kam, kannte ich bereits, sodass es für mich leicht zu lesen war.

Bald las ich die kurzen Gebete und Lieder täglich. Das Gebet- und Gesang­buch wurde zu meinem ständigen Begleiter für einige Jahre. Jeden Abend vor dem Schlafengehen las ich darin einige Zeilen oder sang eines der Lieder. Vermutlich bis zu meinem zwölften Lebensjahr betete ich auf diese Weise fast jeden Tag zu Gott.

Ich denke oft an diese Zeit zurück und glaube heute, dass die tägliche Beschäftigung mit diesem Büchlein Wegbereitung für ein Leben war, das mich immer mehr in Gottes fürsorgliche Arme trieb.

Wunsch nach Weisheit

Es war etwa sechzehn Jahre her, dass ich das Gotteslob von meinem Nachttisch genommen hatte. Ich war bereits verheiratet und Mutter dreijähriger Zwillinge. Wie so viele Frauen suchte auch ich die Begegnung mit anderen Müttern, also beschloss ich, mich einer Mutter-Kind-Gruppe anzuschließen, die sich zufällig direkt im Gebäude neben unserem Wohnhaus traf. Sie gehörte zu einer christlichen Gemeinde, was zunächst aber unwesentlich für mich war, denn die unmittelbare Nähe schien mir wichtiger. Ich entschied allein aus praktischen Gründen, dort hinzugehen.

Die Gruppen-Vormittage folgten einem bestimmten Ablauf, der auch Zeiten des Bibel-Lesens und des gemeinsamen Singens von Lobpreis-Liedern beinhaltete. Für mich waren diese »frommen« Einschübe erst sehr befremdlich, doch bald gewöhnte ich mich daran. Ich fand sogar Gefallen an diesen besinnlichen Augenblicken, denn irgendwie wirkten die Bibeltexte beruhigend auf mich. So hörte ich den Vorleserinnen meist aufmerksam zu.

Kurze Zeit später wurden in dem Gemeindezentrum Bibeln zum Verkauf angeboten und ich kaufte mir ein Exemplar. Allerdings stellte ich es, ohne darin gelesen zu haben, zu Hause in den Schrank und vergaß es, bis ich knapp ein Jahr später wieder daran erinnert wurde:

Seit einigen Monaten war ich wieder berufstätig und musste deshalb frühmorgens um halb sechs aufstehen. Mein Mann kam zu dieser Zeit oft sehr spät in der Nacht oder gar erst in den frühen Morgenstunden nach Hause. Als Erklärung für sein Fernbleiben gab er an, er bräuchte Abstand und müsste über sich nachdenken. Eines Nachts konnte ich vor Sorge wieder einmal nicht einschlafen. Ich war niedergeschlagen, hatte ich doch noch kein Auge zugemacht und müsste in gut zweieinhalb Stunden wieder fit für den nächsten Tag sein. Da holte ich, einem Impuls folgend, die Bibel aus dem Schrank. Ich hoffte, das Lesen würde mir, wie damals in der Gruppe, den so dringend notwendigen Frieden bringen, um endlich schlafen zu können. Tatsächlich geschah das Außergewöhnliche: Innerhalb weniger Minuten spürte ich eine tiefe Ruhe in mir und schlief ein. Dieses kleine Wunder veranlasste mich dazu, in der folgenden Zeit häufiger in der Bibel zu lesen. Doch auch diesmal ebbte das Interesse schnell wieder ab, und die Bibel verschwand erneut im Schrank.

Erst viel später würde ich erfahren, dass in genau dieser Lebensphase einige meiner neuen Freundinnen aus der christlichen Mutter-Kind-Gruppe für mich beteten. Sie wollten, dass ich sozusagen »am Ball bleibe« und nahmen mich regelmäßig zu Gottesdiensten und christlichen Veranstaltungen mit. Ich ließ all das mehr oder weniger über mich ergehen. Das war untypisch für mich, weil ich normalerweise Dinge mit voller Überzeugung oder gar nicht tat. Doch in dieser Zeit machte ich intuitiv eine Ausnahme und gab den Anstößen der Frauen nach.

Irgendwie konnte ich jedoch mit dem mir vorgelebten christlichen Leben nichts anfangen, mich damit auch nicht identifizieren. So, wie es meine Freundinnen lebten, fühlte es sich für mich in gewisser Weise zu radikal an. Ich kehrte also nach einiger Zeit dem christlichen Glauben erneut den Rücken, und es sollten wieder einige Jahre ins Land gehen, bis ich eine Kirche besuchen würde – dieses Mal aus Eigeninitiative: Wie der Zufall es so wollte, fand an dem betreffenden Sonntag der katholische Gottesdienst in einem entfernteren Ortsteil statt. Da ich keine Möglichkeit hatte, rechtzeitig dort hinzukommen, ging ich kurz entschlossen in die nahe gelegene evangelische Kirche.

Während des Gottesdienstes wies der Pfarrer auf einen Glaubenskurs hin, der in den nächsten Wochen stattfinden würde. Ich nahm mir im Anschluss einen der ausliegenden Flyer und las ihn aufmerksam. In dem Kurs sollten Grundsatzfragen zum christlichen Glauben behandelt werden, beispielsweise: »Wer war Jesus Christus?« oder »Was ist der Heilige Geist?« Da diese Fragen mein Interesse weckten und ich mich von der Aufmachung des Flyers sehr angesprochen fühlte, überlegte ich, ob meine Freundin Andrea wohl Lust hätte, den Kurs mit mir zu besuchen. Ich rief sie an und sie sagte spontan zu.

In den nächsten Monaten trafen wir uns einmal pro Woche, um gemeinsam an dem Glaubenskurs teilzunehmen. Vieles von dem, wovon dort die Rede war, war neu für mich, manches sogar befremdlich. Besonders die zahlreichen Gespräche und Lieder, die sich um das Wirken des Heiligen Geistes drehten, wirkten auf mich teilweise abgehoben. Dagegen war die harmonische Atmosphäre so angenehm und wohltuend, dass ich vieles für mich Unverständliche und Diskrepanzen einfach ignorierte. Offensichtlich strahlte dieses Wohlbehagen von den Leitern des Kurses, einem Pfarrehepaar, aus und ergriff nicht nur mich, sondern auch alle anderen Teilnehmer.

Am letzten Abend des Kurses waren wir eingeladen, Menschen zu benennen, für die die Gruppe beten könnte. Mir fiel sofort meine Mutter ein. Sie litt schon seit Jahren unter mehr oder weniger starken Menstruationsblutungen, die fast ununterbrochen anhielten. Zwei Tage später würde sie mit meinem Vater nach Griechenland in den Urlaub fliegen und machte sich wegen der südlichen Hitze große Sorgen. Außerdem war sie traurig, weil es ihre gesundheitliche Verfassung nicht erlauben würde, im Meer zu schwimmen, obwohl sie es über alles liebte. Als ich an der Reihe war, nannte ich den Namen meiner Mutter, damit die Gruppe für sie beten könnte.

Am nächsten Tag erzählte mir meine Mutter etwas verblüfft am Telefon: »Doris, stell dir vor, in der letzten Nacht haben meine starken Blutungen ganz plötzlich aufgehört.« Einerseits nahm ich ihre Erleichterung darüber wahr, andererseits hörte ich ihre großen Bedenken. Sie hielt es kaum für möglich, dass es sich tatsächlich um eine dauerhafte Besserung handeln könnte. Ich erwähnte ihr gegenüber nichts von den Gebeten. Bis auf den heutigen Tag, zwanzig Jahre später, ist meine Mutter frei von Blutungen!

Diese so wunderbare und unerwartete Hilfe veranlasste mich dazu, mich nun doch intensiv mit dem christlichen Glauben zu befassen – gemäß meiner Devise: ganz oder gar nicht. Ich nahm diese Aufgabe sehr ernst. Ich kaufte mir, zusätzlich zu der neuen Bibel, umfangreiche christliche Literatur, unter anderem eine bebilderte Bibel, eine Konkordanz als Nachschlagewerk zu biblischen Begriffen und haufenweise Bücher von bekannten christlichen Theologen. Mit all diesem Lesestoff füllte ich mein Bücherregal. Trotz der Vielzahl christlicher Lektüre legte ich jedoch mein Hauptaugenmerk auf die Weisheitssprüche, die sogenannten »Sprüche« im Kanon des Alten Testaments. Sie fanden bei mir besonderen Anklang, da die behandelten Themen für mich besonders lebensnah waren.

»Wohl dem Menschen, der auf mich hört, Wohl denen, die meine Wege bewahren. (…) Denn wer mich findet, hat das Leben gefunden, und Wohlgefallen erlangt er bei dem Herrn.«3 (Spr 8, 34a–35)

Der Text berührte mich bereits beim ersten Lesen außerordentlich: Wohlgefallen bei Gott zu finden, schien mir sehr ratsam. Deshalb wünschte ich mir von dieser Minute an, weise zu werden. Die Weisheit, so stellte ich es mir jedenfalls vor, könnte mir dabei behilflich sein, auf andere Menschen mit Besonnenheit und Toleranz zuzugehen. Ich wollte nicht nur selbst davon profitieren, sondern auch meine ganze Umgebung sollte Nutzen daraus ziehen. Aufgrund dieser verständlichen Einsicht blieb meine Sehnsucht nach Weisheit stets gegenwärtig, und meine Gebete bezogen sich in den Folgejahren ausschließlich auf Weisheit.

So nahm ich die Bibel oft nur zur Hand, um im »Buch der Sprüche« zu lesen. Sie waren für mich gut verständlich und nachvollziehbar. Doch eines Tages erregte eine einzelne Textstelle sofort mein Gemüt: »Geh hinweg von einem törichten Manne und bei wem du nicht Lippen der Erkenntnis merkst.« (Spr 14,7). Dieser Vers riet im übertragenen Sinn, sich vor unklugen, unvernünftigen Menschen in Acht zu nehmen und mit ihnen keinen Kontakt zu pflegen. Ich war sehr ambivalent dieser Aussage gegenüber, war ich doch bisher der Meinung gewesen, es sei grundsätzlich gut und ein Zeichen von Offenheit, auf alle Menschen – ohne Ausnahme – zuzugehen. Ich war davon überzeugt, dass die Bibel Nächstenliebe lehrte. Wie konnte es da heißen, sich von jemandem – aus welchem Grund auch immer – abwenden zu sollen?

*

Wenn ich heute darüber nachdenke, wie meine erste Ehe verlaufen ist, bin ich froh, dass alles so kam, wie es kam! Eine der immer häufiger werdenden Auseinandersetzungen zwischen meinem Mann und mir eskalierte. Ich ging ins Schlafzimmer, setzte mich auf das Bett und schickte zum ersten Mal in meinem Leben ein Stoßgebet zum Himmel: »Ich will nicht mehr so weitermachen! Ich möchte nicht mein ganzes Leben in einer solchen Beziehung ausharren! Oh, Herr! Ich bin nicht der Mensch, der sich von seiner Ehe lossagt. Bitte, unternimm du etwas! Lass irgendetwas geschehen! Hilf mir!« So oder so ähnlich formulierte ich meine Verzweiflung. Und der Herr ließ etwas geschehen:

Einige Wochen später kam es unvermeidlich zum Bruch, und wir trennten uns! Aufgrund der zahlreichen negativen Ereignisse war ich nicht traurig darüber. Es ging mir nicht wirklich schlecht! Entweder verdrängte ich den Trennungsschmerz, oder ich war zu sehr mit den Konsequenzen beschäftigt. Das Wohlbefinden unserer Kinder lag mir mehr als alles andere am Herzen. Ich wünschte mir für sie einen liebevollen Papa, der stets für sie da wäre! Dies war mir in der damaligen Situation das Allerwichtigste!

Schon bald durfte ich erleben, wie für mich und die Kinder gesorgt wurde. Durch einen »Zufall« lernte ich meinen späteren, zweiten Ehemann kennen. Er erwies sich bald als der »Vater«, den ich mir so sehr von Herzen für die Kinder ersehnt hatte. Auch für mich war er ein hilfreicher und großzügiger Lebenspartner. Allerdings ging meine größte Sehnsucht mit ihm nicht in Erfüllung! Es war, so lange ich denken konnte, mein Wunsch gewesen, meinen Kindern eine beständig von Liebe getragene Beziehung vorzuleben. Ich wollte ihnen ein Paradebeispiel von gutem Zusammenleben präsentieren. Stets lag mir viel daran, für sie »das Vorbild« für eine gelungene Ehe zu sein. Meine Eltern waren für mich stets das beste Beispiel für eine derartige Partnerschaft gewesen. Sie waren, soweit ich dies beurteilen konnte, stets fürsorglich und füreinander da. Es grenzte an ein Wunder, dass ich sie niemals ein böses Wort gegeneinander aussprechen hörte, selbst in Auseinandersetzungen, wenngleich diese sehr selten vorkamen. Sie verloren nie das gegenseitige Wohlwollen. Aufgrund ihrer selbstständigen Tätigkeiten verbrachten sie nicht nur die Freizeit miteinander, sondern den gesamten Berufsalltag. Umso erstaunlicher schien es mir, dass sie trotz ihrer vielen Ehejahre fortwährend Zärtlichkeiten austauschten. Es würden noch viele Jahre vergehen, bis ich selbst dazu fähig wäre. Ich wusste noch nicht, dass nur Selbstliebe und Selbstannahme mich überhaupt erst für eine liebevolle Partnerschaft bereit machen könnten. Doch was ich zunächst immer häufiger erleben durfte, waren die kleinen Wunder, die so häufig auftraten, dass ich sie einfach nicht mehr als reine »Zufälle« abtun konnte ...

Wunderbare Geschenke

Meine Freundin Erika und ich mieteten im Sommer einen kleinen Bungalow auf einem Campingplatz am Gardasee. Es war perfekt für uns beide und für meine und ihre zwei Kinder. Abends, wenn die Kinder schliefen, machten wir es uns bei angenehm warmen Temperaturen auf der Terrasse gemütlich. Wir tranken Rotwein und aßen Oliven und frisches italienisches Brot. Währenddessen lasen wir uns abwechselnd Texte aus Büchern vor, die uns gerade beschäftigten. Da es am Bungalow jedoch keine Außenbeleuchtung gab, wurde das Vorlesen meist durch die einbrechende Dämmerung schwierig. Eines Abends beschlossen wir, im Supermarkt der Ferienanlage Kerzen zu kaufen. Am nächsten Tag mussten wir leider feststellen, dass die Kerzen derart überteuert waren, dass wir den Kauf um einen weiteren Tag verschoben, um unser Glück in der nahe gelegenen Stadt zu versuchen. Doch dazu kam es nicht mehr!

Am nächsten Morgen ging ich, wie jeden Tag, allein zum See, um die Stille zu genießen, während die anderen noch schliefen. Ich wollte dem leichten Plätschern der Wellen zuhören und die kleinen Fischerboote beobachten. Das war für mich der beste Start in den Tag.

Bei meinem kurzen Streifzug am Ufer traf ich auf eine Mole und ging auf ihr entlang. Ganz am Ende standen sechs große Teelichter auf dem Boden. Ich hatte sofort das Gefühl, dass sie für uns dort platziert waren – schließlich hatten wir noch exakt sechs Abende in der Ferienanlage vor uns. Ohne Zögern und voller Freude packte ich sie in meinen Rucksack, und bei meiner Rückkehr zeigte ich den anderen diese wunderbaren Geschenke.

Am folgenden Morgen lief ich wieder zum See hinunter. Diesmal hatte ich Lust, einen längeren Spaziergang am Ufer zu unternehmen. Als ich bereits einige Zeit unterwegs war, kam ich zu einem Ruderboot, das im Sand lag. Ich wollte mich etwas ausruhen und setzte mich hinein. Kurz darauf sah ich im Wasser etwas Buntes heranschwimmen. Ich wurde neugierig und wartete, bis es dicht genug am Ufer war, sodass ich es herausziehen konnte. Es war eine Bademütze, genau so, wie ich sie mir gewünscht hatte, denn im Schwimmbecken der Campinganlage war das Tragen einer solchen Kappe Pflicht und ich hatte keine dabei.

Derartig wundersame Erlebnisse hatte ich immer wieder. Einmal war ich beispielsweise allein wandern und hatte mich verlaufen. Es war heiß und mein Proviant sowie die Getränke waren bereits aufgebraucht. Da kam ich an einer Bank vorbei, auf der, fast wie bestellt, eine große Orange lag. Ich wusste sofort, dass sie für mich bestimmt war, und so ließ ich sie mir schmecken.

*

Ich nahm diese kleinen Wunder dankbar an, allerdings dachte ich damals überhaupt nicht darüber nach, ob sie eine tiefere Bedeutung haben könnten. Trotz des unaufhörlichen Beschenkt-Werdens konnte ich mich meist nur flüchtig freuen, da ich in mir selbst sehr unzufrieden war. So deutlich ich dieses tiefe Unbehagen auch verspürte, konnte ich mir doch nicht erklären, weshalb es mich »befallen« hatte. Sicher gab es ein paar Dinge in meinem Leben, die mir widerstrebten, doch im Großen und Ganzen hätte ich zufrieden sein können. Ich hatte einen herzlichen Mann, wunderbare Kinder, finanziell ging es uns hervorragend, und doch spürte ich in mir eine immer größer werdende Negativität aufsteigen. Ich war oft gereizt und fühlte mich leer – ohne zu wissen, weshalb.

Schließlich wandte ich mich aus einem inneren Impuls heraus noch einmal dem Buch aller Bücher zu – der Bibel. Ich dachte, es würde mir endlich Frieden und Freude schenken. Doch, ganz im Gegenteil, nahm die Unzufriedenheit immer mehr zu, sodass ich mich gegenüber meinen Mitmenschen immer mehr verschloss. Besonders für meinen zweiten Mann und meine Kinder, die meinen »frommen Kurs« völlig unvorbereitet so intensiv miterleben mussten, gestaltete sich unser Zusammenleben zunehmend schwieriger. Wenn ich heute über mein damaliges Verhalten nachdenke, glaube ich, dass meine »Nörgeleien« mir selbst galten. Ich war innerlich gespalten und versuchte mit aller Gewalt, meinem Leben eine Wende zu geben. Ich wollte mich selbst – zum Guten hin – verändern, bewirkte letzten Endes jedoch das Gegenteil. Immerhin veranlassten mich die ständige Unzufriedenheit und die damit einhergehende negative Lebenseinstellung dazu, meinen Wünschen intensiver nachzugehen. Ich hegte die Hoffnung, dass deren Erfüllung mir wieder mehr Lebensfreude schenken würde.

Freude am Schreiben

Als ich von einer Schreibwerkstatt in meiner Nachbargemeinde las, nahm ich mir vor, daran teilzunehmen. Ich erhoffte mir nicht nur etwas Ablenkung, sondern vor allen Dingen, zu einer etwas positiveren Gesinnung zu finden. Schon als Jugendliche hatte ich zu besonderen Anlässen kleine Gedichte verfasst. Jetzt, zirka zwanzig Jahre später, wollte ich meinem Anliegen, zu schreiben, erneut nachgehen. Die Autorengruppe – immerhin fünfzehn Schreiberlinge – bestand schon einige Jahre, und ich kam als absoluter Neuling dazu. Jeder trug einen Künstlernamen, sozusagen verpflichtend, um zu der »Gemeinschaft« zu gehören. Da stand ich nun und sollte mir innerhalb weniger Minuten ein solches Pseudonym ausdenken. Der Vorname war schnell gefunden. Mein Zweitname ist Franziska, also entschied ich mich für ihn. Für den Nachnamen kam mir die Natur zu Hilfe. Ein Sonnenstrahl traf auf mein Gesicht. Schon war er geboren: mein Künstlername »Franziska Sonnenschein«! Meine erste Schreibaufgabe bestand darin, über mich ein Gedicht zu verfassen:

Sie wohnt mir gegenüber.

Wie Franziska Sonnenschein zu sein,

wer wünscht sich das nicht!

Sie nimmt das Leben scheinbar leicht,

strahlt Wärme aus und Freundlichkeit.

Ihre Worte erwärmen die Gemüter.

Ihr Elan reißt alle mit.

In ihrer Gegenwart wird das Dunkel hell.

Kann es sein, dass sie ein auf Erden lebender Engel ist?

Die Krönung des Ganzen war die bevorstehende Hausaufgabe: Ich sollte Franziska Sonnenschein malen. Was ich auch tat! Zum Vorschein kam eine fröhliche Frau. Sie trug ein leichtes Sommerkleid, welches wegen des darunter befindlichen Petticoats etwas Beschwingendes hatte. Viele Jahre später sollte diese Zeichnung übrigens zur Vorlage für mein Hochzeitskleid werden!

Zunächst jedoch war die Schreibgruppe damit befasst, einen Gedichtband über den »Alten Kanal« zu schreiben, der praktisch durch den Ort verlief. Da ich nun Mitglied war, wurde mir aufgetragen, mich mit einem Gedicht zu beteiligen. Diese Aufgabe schien mir zunächst absurd! Schließlich schrieb ich bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich das, was mir gerade in den Sinn kam. Momentan hatte ich also überhaupt keine Idee zu einem Gedicht. Doch nach dem Treffen machte ich mich auf den Weg zum »Alten Kanal«, um mir eine Inspiration zu holen. Dort angekommen, fand ich zu meiner Überraschung eine riesige, wunderschöne Muschel, die im flachen Wasser lag. Ich fragte mich, wie sie hierhergekommen war. Schließlich war ich schon sehr oft hier am Ufer spazieren gegangen oder mit dem Fahrrad gefahren und hatte bis dato noch nie eine Muschel gesehen. Egal, der Grundstein für mein Gedicht war jedenfalls gelegt.

Gefunden

Ein Stück am Kanal entlang spazieren,

die Wärme der Sonnenstrahlen ganz in mich aufnehmen,

den Blick schweifen lassen.

Etwas funkelt im seichten Wasser.

Neugieriges Näherkommen,

vorsichtig danach tasten, ergreifen, herausholen.

Eine glitzernde Perlmuttmuschel!

Hier in unserer Gegend?

Erinnerungen erwachen

an lange, breite Strände in fernen Ländern.

Ein Jahr später brachten wir, die »Wendelsteiner Schreibwerkstatt«, ein weiteres Buch mit dem Titel »Hast a weng Zeit«4 auf den Markt. Nun war meine erste Geschichte gedruckt – eine Weihnachtsgeschichte. Sie handelte von der Begegnung meiner Tochter mit dem Christkind. Julia war nämlich, wie sie mir berichtet hatte, als Fünfjährige ganz sicher eines Nachts dem Christkind begegnet. An ihre begeisternde Erzählung erinnerte ich mich in diesen Tagen, und so schrieb ich sie nieder.

Danach war erst mal »Sendepause« in der Schreibwerkstatt. Ich hätte zwar gerne weitergeschrieben, aber mir fehlten die eigenen Ideen! Eines Nachts wachte ich jedoch auf und hatte eine wunderschöne Geschichte im Kopf. Ich nahm mir vor, sie am nächsten Morgen niederzuschreiben. Da drängte mich meine innere Stimme, dies sofort zu tun, und mit etwas Unwillen tat ich es. Diese Art Eingebungen hatte ich auch in den folgenden dreizehn Nächten, und folgsam schrieb ich sie nieder. Nachdem die nächtlichen Impulse ausblieben, las ich die vierzehn Geschichten einem kleinen Freundeskreis vor. Alle waren sich darin einig, dass sie veröffentlicht werden müssten! Gesagt, getan: Ich verschickte das Skript mit dem Titel »Der liebe Gott und die kleine Leidenschaft«5 an einige Verlage und hatte Glück! Bereits nach wenigen Tagen rief mich ein Mitarbeiter eines der angefragten Verlage zurück, um mir mitzuteilen, dass das Buch veröffentlicht würde. Das Cover, so wurde mir vorgeschlagen, dürfte ich selbst gestalten – was ich natürlich mit Freude tat!

Zwölf Monate danach erschien in Zusammenarbeit mit einem christlich-muslimischen Begegnungszentrum das nächste Buch. Es hieß: »Wir sind Brückenmenschen«6. Als einer der vielen Besucher des Begegnungszentrums für Menschen unterschiedlicher Nationen und Religionsgemeinschaften beschrieb ich, inwieweit meine Religiosität eine Rolle in meinem Leben spielte. Zudem kamen darin Autoren zu Wort, die beschrieben, wie die Begegnungen mit andersdenkenden und anders lebenden Menschen sie prägten und ihre Wahrnehmung veränderten.

Die Aufforderung

Bereits vor und auch während meiner schriftstellerischen Tätigkeit besuchte ich über Jahre hinweg unzählige Seminare und Vorträge zum Thema »Persönlichkeitsentwicklung«. Während dieser Veranstaltungen machte ich mir in großen Mengen Notizen. Dies tat ich stets aus dem Empfinden heraus, das Notierte irgendwann zu benötigen.

Seit einigen Jahren hatte ich in einer christlich-muslimischen Organisation bei Veranstaltungen die Kinderbetreuung übernommen. Die Arbeit mit Kindern, die in verschiedenen Religionen zu Hause waren, machte mich betroffen, denn ich erlebte, welche Schwierigkeiten damit verbunden waren, zwischen den verschiedenen Weltanschauungen zu leben. War es doch für viele ein riesiger Spagat zwischen dem religiösen Elternhaus, der Schule und den Freunden. Es bereitete ihnen Mühe, irgendwie eine Brücke zu bauen. Da mich das Schicksal dieser Kinder sehr anrührte, entschied ich mich, in der Kinder- und Jugend-Seelsorge eine Weiterbildung zu machen. In Karlsruhe begann ein Lehrgang, der nebenberuflich, also an den Wochenenden, stattfand – über ein knappes Jahr lang.

Mit Valeria, einer Teilnehmerin, die in meiner Umgebung wohnte, bildete ich eine Fahrgemeinschaft. Wir traten von nun an die Fahrten zu den Lehrgängen an den Wochenenden mit dem Auto gemeinsam an und befreundeten uns. Eines Tages fragte sie mich, was ich denn ständig während der Seminarzeiten akribisch mitschreiben würde – vor dem Hintergrund, dass wir doch stets ausführliches Material zum Nachlesen erhielten. So las ich ihr einige meiner Notizen vor. Verwundert schaute sie mich an und meinte, ich würde mit meinen Aufzeichnungen den Nagel auf den Kopf treffen. Außerdem würde ich aus dem Reden der Referentinnen vieles heraushören, was ihr selbst verschlossen bliebe. Sie wollte wissen, was ich mit diesen Aufzeichnungen machen würde, und ich antwortete ihr, dass ich schon seit einigen Jahren Seminare und Vorträge besuchen würde und mein Schreibtisch voll wäre mit derartigen Aufzeichnungen. »Darüber musst du ein Buch schreiben!«, rief sie spontan aus. Diese Äußerung ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Da ich gerade arbeitslos war, fing ich an, meine Notizen zu strukturieren.

Um das Schreiben dieses Buches zu ermöglichen, setzte ich jedoch drei Dinge voraus, die ich selbst nicht in der Hand hatte, die allerdings notwendig waren, damit ich mit dem Schreiben beginnen konnte: Die erste Bedingung war ein gebrauchter Laptop; ich war bereit, bis zu hundert Euro dafür zu zahlen. Bereits ein paar Tage später las ich in der Tageszeitung, dass jemand in der Nähe meines Wohnortes ein sehr gut erhaltenes Notebook für hundert Euro anböte. Ich kaufte es! Die zweite Bedingung, die ich stellte, war ein ruhiger Platz zum Schreiben. Auch diese Forderung wurde mir prompt erfüllt: Eines Tages kam mein Mann nach Hause und verkündete, im nächsten Monat gemeinsam mit seinem Cousin in der Stadt ein kleines Geschäft für seine Immobilienfirma zu eröffnen. Aus diesem Grund würde er sein Büro in unserer Wohnung räumen. Nun hatte ich einen eigenen Raum zum Schreiben! Die dritte Bedingung bestand darin, dass mein Sohn, der arbeitslos war, weil sein Ausbildungsbetrieb Konkurs angemeldet hatte, wieder einen Job fände. Zum Schreiben benötigte ich absolute Ruhe! Ich machte mir natürlich Sorgen um die berufliche Zukunft meines Sohnes. Er war zwar in praktischen Dingen sehr geschickt, doch seine Schulnoten, die meiner Meinung nach ausschlaggebend für einen Betrieb sein würden, ihn als Auszubildenden zu beschäftigen, ließen sehr zu wünschen übrig. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er noch einmal das Glück hätte, mit seinem eher mittelmäßigen Zeugnis einen Arbeitgeber zu finden. Außerdem schien er mit dem »passablen Taschengeld«, welches er monatlich vom Arbeitsamt erhielt, zunächst sehr zufrieden zu sein. Mit seinen fünfzehn Jahren reichte ihm dieses Auskommen, und ich hatte die Befürchtung, er würde dieses »dolce va niente« langfristig leben wollen. Immer wieder trieb ich ihn dazu an, sich doch endlich um einen Ausbildungsplatz zu bemühen, doch er reagierte nicht. Mein Mann forderte mich auf, einfach mal »einige Wochen ins Land gehen zu lassen«. Er meinte, ich sollte Antonio etwas Zeit lassen, er wäre sich sicher, meinem Sohn würde dieses Leben auf Dauer zu langweilig werden.

So war ich bestrebt, meinen Mund zu halten, was mir wirklich sehr schwerfiel. Im Grunde wusste ich ja aus meinen Erfahrungen, dass mein Reden stets eher das Gegenteil von dem bewirkte, was ich erreichen wollte. Mein Mann sollte recht behalten: Nach zirka zwei Wochen »mündlicher Abstinenz« hatte Antonio einen Ausbildungsvertrag bei einer großen Auto- und Industrie­lackiererei, ganz in der Nähe. Ich konnte durchstarten und war tatsächlich bereits ein Vierteljahr später mit meinem zweiten Werk fertig: »Lebe dein Leben«7. Es behandelte in der Hauptsache eine Aussage von Jean-Paul Sartre: »Der Mensch ist nichts anderes, als was er selbst aus sich macht.« Anhand von Beispielen zeigte ich auf, wie äußere Lebensumstände von unseren Gedanken und Gefühlen bestimmt werden und wie wir uns durch Achtsamkeit und Verantwortlichkeit zu mehr Glück und Zufriedenheit verhelfen können.

Die »Goldene Regel«

Nach all den vielen Inspirationen und schriftstellerischen Eingebungen trat jetzt eine Flaute ein. Es war, als wäre der Draht zu meinen intuitiven Ideen gekappt worden. Was mir in dieser trostlos erscheinenden Phase blieb, waren die Begegnungen mit Menschen der verschiedensten christlichen Glaubensgemeinschaften; meine Kontakte beschränkten sich fast ausnahmslos auf Menschen aus religiösen Kreisen. Ich wurde Mitglied eines Hauskreises, in dem sich einige Christen zum Bibel-Lesen und Singen trafen.

Allerdings ging das Eintauchen in die biblischen Texte auch diesmal mit einer eher negativen Entwicklung einher. Genau genommen fühlte ich mich umso schlechter, je öfter ich zur Bibel griff. Bestimmte Verse, wie beispielsweise: »(...) Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.« (Mt 5,39) oder »(…) Liebt eure Feinde (…)« (Mt 5,44), versuchte ich zwar, in meinem Leben umzusetzen, doch gerade deshalb lösten sie auch eine steigende Selbstkritik aus. Die geschilderten Geschichten und Gleichnisse versetzten mich in andauernde, große Bedrängnis. Immer mehr Selbstzweifel machten sich in mir breit, und ich betrachtete mich von Tag zu Tag kritischer. Ich stellte mir immer häufiger die Frage: Bin ich so, wie ich bin, überhaupt okay? Einerseits hatte ich damit zu kämpfen, wenn meine Umsetzungsversuche scheiterten, andererseits konnte ich beim besten Willen nicht nachvollziehen, weshalb es gut und richtig sein sollte, mich ohne Gegenwehr erst auf die rechte und dann noch auf die linke Wange schlagen zu lassen. Außerdem konnte ich mir einfach nicht vorstellen, jemals meine Feinde lieben zu können. In mir sträubte sich etwas gegen diese Grundregeln, und zwar gewaltig! Es konnte doch nicht der Sinn meines christlichen Glaubens und Lebens sein, mir widerstandslos alles gefallen zu lassen, was andere Menschen mir antaten!? Irgendetwas in mir wehrte sich rigoros gegen diese Haltung des Alles-über-sich-ergehen-Lassens. Schließlich hieß es ja auch: »(…) Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!« (Mt 19,19) Eine wehrlose, nur duldende Haltung hatte meiner Meinung nach nichts mit Eigenliebe zu tun, sondern lief auf Selbstverachtung und Entwürdigung hinaus.

Ich steckte in einem Zwiespalt: Einerseits war ich gewillt, mir das beispielhafte Verhalten Jesu zu eigen zu machen und seinen Empfehlungen zu folgen, andererseits haderte ich damit und hegte allergrößte Zweifel daran, dass mir das jemals gelingen würde. Wenn ich ehrlich war, konnte ich all diese »Anforderungen« nicht mit ganzem Herzen erfüllen. Doch mir war nicht klar, dass ich ein falsches Verständnis in Bezug auf Forderungen hatte. Aufgrund meines täglichen Nachsinnens über »Richtig« und »Falsch« wuchsen meine Zweifel zu einer tiefen inneren Zerrissenheit an, und das wiederum brachte eine große Lebenskrise in Gang.

Während ich unzählige Überlegungen über mein »richtiges Verhalten« anstellte, kam mir irgendwann die »Goldene Regel« in den Sinn: »Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu.« Diese ist eine logische Umkehr-Schlussfolgerung aus der Regel in Matthäus, Kapitel 7, Vers 12: »Alles, was ihr von den Mitmenschen an guten Taten erwartet, das tut ihnen.«8 Unsere Kinder hatten sie einige Jahre zuvor in unserer Familie eingeführt. Die Zwillinge waren acht Jahre alt gewesen, als von der evangelischen Kirche in unserem Wohnort eine einwöchige Kinder-Zelt-Freizeit angeboten wurde. Da sie solche Aktivitäten mochten, hatte ich sie angemeldet. Während sie im Zeltlager waren, hatten wir keinen Kontakt mit ihnen. Erst eine Woche später sahen mein Mann und ich sie zum Abschlussgottesdienst im Camp wieder. Die kurze Predigt bezog sich auf die »Goldene Regel«, und wir erfuhren unter anderem, dass dieser Leitsatz praktisch in jeder Weltreligion zu Hause wäre. Auf dem Nachhauseweg erzählten die Kinder von ihren Erlebnissen in der vergangenen Woche. Immer wieder tauchte dabei die »Goldene Regel« auf; sie schien sich tief in ihr kindliches Bewusstsein eingebrannt zu haben. Wochen, ja, Monate danach blieb sie Thema in unserem Haus, und so wurde unser Tun und Reden beständig unter dem Licht dieser »Goldenen Regel« betrachtet. Die Kinder kritisierten uns Eltern sofort, wenn sie der Meinung waren, wir würden gegen sie verstoßen.

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Ich weiß nicht mehr, wann das ständige Tadeln durch unsere Kinder aufgehört hatte. Doch diese Regel musste in mir offenbar Wurzeln geschlagen haben, denn jetzt, da ich so große Selbstzweifel hatte und mein Selbstwertgefühl auf dem Nullpunkt angekommen war, wurde sie wieder zum festen Bestandteil meines Denkens und Handelns. Nun fragte ich mich beinahe ununterbrochen, wie ich mich in den verschiedensten Situationen verhalten sollte. Das Allerschlimmste war jedoch, dass ich aufgrund meiner negativen Sicht auf mich selbst auch automatisch meine Umwelt und die Menschen in meiner Umgebung fortwährend als negativ betrachtete. Binnen kurzer Zeit hatte ich an so gut wie allem etwas zu kritisieren. Egal, wer mir begegnete oder wen ich auch nur beobachtete, ich fand stets Gründe, an der Person herumzunörgeln. Ich war zu einer »Richtenden« geworden – zu jemandem, der sich selbst und andere ausschließlich skeptisch und mit Ablehnung betrachtete. Ich war allmählich dazu übergegangen, alles in einem schlechten Licht zu sehen.

Mit dieser Verdrehung meiner inneren Haltung begann in meinem Leben eine große Leidenszeit. Letzten Endes würde sie zwar auch den Anstoß für eine umfassendere Wandlung geben, doch bis dahin versank ich erst einmal in große Betrübnis. Dieses bekümmerte Dasein war ausschlaggebend dafür, dass sich lange Zeit alles nur noch um mich drehte. Wie hätte es auch anders sein können, da ich nicht zu begreifen vermochte, was genau das Leid und die Traurigkeit in mir auslöste. Ich war durch und durch erfüllt von einer starken Trostlosigkeit. Mein Denken und Handeln rotierte unablässig und ausnahmslos um mich und mein Verhalten. Ich vergaß wirklich alles um mich herum und sorgte nur noch dafür, mir meine ständigen und drängenden Fragen wieder und wieder aufs Neue zu stellen: Was ist richtig? Was ist falsch? Was ist gut und was ist schlecht? Diese und viele andere Fragen bestimmten mein Leben vollkommen, und es schien keinen Ausweg aus diesem Teufelskreis zu geben.

Reisen in den Süden

So vergingen Jahre, in denen ich in einer beständigen Unzufriedenheit und immer stärker werdenden Negativität mir und anderen gegenüber verharrte. Tröstlich war nur, dass ich in dieser Zeit Gottes Fürsorge immer beständiger und auch in praktischer Hinsicht erleben durfte – die kleinen und großen Wunder, die ich als Ausdruck seiner Liebe zu mir erfuhr. Trotzdem forderten die negativen Gedanken und auch die damit einhergehenden negativen Gefühle ihren Tribut. Meine Beziehungen litten sehr unter meinem lang anhaltenden Stimmungstief, insbesondere meine Partnerschaft. Ich spürte deutlich, dass nun auch meine zweite Ehe kurz vor dem Aus stand, denn immer wieder sprachen wir von Trennung.

Mit Blick auf unseren baldigen zehnten Hochzeitstag wollte ich noch einmal versuchen, das Ruder herumzureißen; eine Reise in den Süden sollte die Wende bringen! Mein Mann und ich hatten vor Monaten einen Dokumentarfilm über das Leben auf Sizilien im Fernsehen gesehen: Strahlender Sonnenschein und blühende Zitronen- und Orangenbäume in den Monaten Februar und März hatten uns ins Schwärmen geraten lassen. In der Tageszeitung fand ich die Anzeige eines Tourismusanbieters für eine Rundreise, die ich spontan buchte, in der Hoffnung, dieser Aufenthalt im warmen Süden könnte unsere Herzen wieder füreinander erwärmen und unsere Ehe erneut in Schwung bringen.

Leider erwischten wir den kältesten März seit Jahrzehnten – wie uns zumindest berichtet wurde –, mit Temperaturen um die acht Grad, kaltem Wind und Schnee auf dem Ätna. Wir hatten uns auf Frühling eingestellt und erlebten überraschend einen italienischen Winter. Die Stimmung unter den Mitreisenden war dementsprechend getrübt. Obendrein regnete es während der täglichen Ausflüge in den Bus hinein, in dem auch die Heizung nicht funktionierte. Wir saßen stundenlang in Kälte und Feuchte; es war ein Albtraum! Die Reisebegleiterin des in Deutschland ansässigen Reiseunternehmens zeigte sich bald schon überfordert und unfähig, uns bei guter Stimmung zu halten und für einen anständigen Ersatzbus zu sorgen.

Da ich mich auf meine Art für die Verbesserung unserer Lage einsetzen wollte, nutzte ich meine wenigen Italienischkenntnisse und bat den Busfahrer, während der Fahrten CDs mit landestypischer Musik – möglichst schöne und fröhliche – für seine Gäste einzulegen. Er ließ sich gerne darauf ein, und so brachten wir an so manchem Tag gemeinsam mit »Marina, Marina, Marina …« und anderen bekannten italienischen Liedern den ganzen Bus in Stimmung. Ich stiftete den Reiseleiter dazu an, vor Ort gute Landweine zu besorgen für die Pausen. Bald ließen sich auch noch die mürrischsten Gäste von dem fröhlichen Gesang und der ausgelassenen Stimmung mitreißen.

Am Ende des Urlaubes bedankten sich viele Gäste für meinen Einsatz und meinten, ich würde eine gute Reisebegleiterin abgeben. Und ich bat sie, diese Empfehlung an das deutsche Reiseunternehmen weiterzusagen – ohne mir etwas Bestimmtes dabei zu denken. Doch ein paar Tage nach unserer Rückkehr aus Italien erhielt ich einen Anruf von der Chefin des Tourismusbüros. Sie hätte einige überaus angenehme Anrufe von Gästen erhalten, die mich – als »Reisebegleiterin« – hoch gelobt hätten. Sie lud mich spontan zu einem Vorstellungsgespräch ein, um mir ein Arbeitsangebot zu machen. Das eigentliche Anliegen dieser Reise, meine Ehe aufzupeppen, war zwar gescheitert, doch die Aussicht auf einen neuen Nebenjob brachte mir einen kleinen persönlichen Aufschwung. Der Job brachte mich buchstäblich mehrmals im Jahr ins europäische Ausland, und ich lernte viele verschiedene Menschen dabei kennen. Ich hatte großen Spaß an der Aufgabe. Glücklicherweise unterstütze mich mein Mann, indem er sich um die Kinder kümmerte, wenn ich abwesend war.

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