Das Jahr des Dugong – Eine Geschichte für unsere Zeit - John Ironmonger - E-Book
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Das Jahr des Dugong – Eine Geschichte für unsere Zeit E-Book

John Ironmonger

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Beschreibung

Die bewegende Klima-Erzählung. Vom Autor des Platz-1-Bestsellers »Der Wal und das Ende der Welt«. »Der eindringliche Appell, den der britische Autor John Ironmonger verpackt hat, wirkt sehr lange nach – im Herz und im Kopf der Leserschaft.« NDR Kultur »Ein kleines und doch ganz massives Werk, das ich gerne an jeden, den ich kenne, weitergeben würde.« Shades of Paper Toby Markham, in seiner Freizeit leidenschaftlicher Reisender und Tierfotograf, erwacht in einem unbekannten Raum. Eben noch stand er voll im Leben, erfolgreich und angesehen, nun kann er sich kaum bewegen. Um ihn herum Menschen mit seltsamen Namen, die ihm nicht wohlgesinnt scheinen. Sie klagen ihn an: Toby soll an einer unvorstellbaren Katastrophe Schuld haben. Wo ist er bloß gelandet? Was kann er zu seiner Verteidigung vorbringen? Und was hat das Dugong damit zu tun – diese freundliche Seekuh, die wie so viele andere bedrohte Arten auf Rettung hofft? Spannend und berührend erzählt John Ironmonger in seiner neuen kurzen Geschichte von der Schönheit unserer Welt. Und stellt uns die Frage, wer die Verantwortung für sie trägt. Eine berührende Novelle für unsere Zeit, abenteuerlich und hoch aktuell. 

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Seitenzahl: 115

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John Ironmonger

Das Jahr des Dugong

Eine Geschichte für unsere Zeit

Erzählung

 

Aus dem Englischen von Tobias Schnettler

 

Über dieses Buch

 

 

Toby Markham erwacht in einem unbekannten Raum. Eben noch stand er voll im Leben, erfolgreich und angesehen, nun kann er sich kaum bewegen. Um ihn herum Menschen mit seltsamen Namen, die ihm nicht wohlgesinnt scheinen. Sie klagen ihn an: Toby soll Schuld haben an einer unvorstellbaren Katastrophe. Wo ist er bloß gelandet? Was kann er zu seiner Verteidigung vorbringen? Und was hat das Dugong damit zu tun?

 

Dugong (Dugong dugon), auch Gabelschwanz-Seekuh: bedrohte Meerestierart, Indischer Ozean, Westpazifik

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

John Ironmonger hat in seinem internationalen Erfolgsroman »Der Wal und das Ende der Welt« mit fast prophetischem Blick davon erzählt, wie ein kleines Dorf in Pandemie und Krise zusammensteht; nun schreibt er in seiner neuen Erzählung phantasievoll und bewegend über die Bedrohung der Tiere und unserer Welt durch den Klimawandel. John Ironmonger ist promovierter Zoologe, IT-Berater und Autor mehrerer Romane, die in viele Sprachen übersetzt wurden. Er wuchs in Cornwall auf und lebt heute mit seiner Familie in einem kleinen Ort in Cheshire nahe der Küste.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Inhalt

[Widmung]

[Motto]

[Motto]

1 Schmerzen

2 Val-d’Isère

3 Mark Ham

4 Ein langsamer Tod

5 Romily

6 Manis Javanica

7 Schätze im Himmel

8 Pangolin

9 Der Prozess

10 Die Jagd

11 Der Löwenbändiger

12 Extinction Rebellion

13 Urteil

14 Das Jahr des Schneeleoparden

Das Jahr des Dugong

Diese Geschichte widme ich den Tausenden Delegierten der UN-Klimakonferenz COP26 und all jenen, die sich dafür einsetzen, den Planeten vor einer Katastrophe zu bewahren. Bitte enttäuschen Sie uns nicht.

»Als ich zum ersten Mal vom Klimawandel hörte, war ich eine Klimaleugnerin. Ich glaubte einfach nicht, dass es passierte. Denn wenn wirklich eine so existenzielle Krise wie diese unsere Zivilisation bedrohte, würden wir uns auf nichts anderes mehr konzentrieren.«

Greta Thunberg

»Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken …«

David Wallace-Wells, Die unbewohnbare Erde

1Schmerzen

Es war ein Fehler, die Augen zu öffnen. Das Licht war zu grell. Er presste die Lider zusammen.

Da war ein Brummen in seinen Ohren. Es wurde lauter.

Dann nahm er die Schmerzen wahr. Seine Knöchel schmerzten. Seine Knie schmerzten. Sein Bauch. Sein Hals. Schmerzen wie eine Flüssigkeit, die von einem Körperteil zum nächsten floss, wie dunkelrote Farbe, die sich durch die Ströme seiner Adern in jeden noch so kleinen Seitenarm ergoss, bewaffnet mit Speeren und Flammenwerfern. Seine Ellbogen. Seine Hände. Seine Finger.

Seine Leistengegend.

»Das könnte ein bisschen weh tun«, sagte eine Stimme.

Nadeln in seinem Schädel. Explosionen von Schwarz.

Konnte sein, dass er schrie.

»Bitte versuchen Sie stillzuhalten.«

»Aaaaaaaaah!«

»Stillhalten.« Die Stimme klang kühl. »Wenn Sie sich bewegen, macht es das nur schlimmer.«

Seine Lunge brannte. Er konnte nicht atmen. Seine Zunge. Seine Kehle. Jeder Atemzug war wie Schwefel …

»Aaaah …«

Hände packten ihn. Er hörte weitere Stimmen.

»Kann sein, dass er das nicht verträgt«, sagte eine zweite Stimme. »Die Gewebeschäden sind …«

»Gib ihm zweihundertzwanzig.« Eine dritte.

»Das könnte ihn umbringen.«

»Willkommen in der Wüste der Wirklichkeit, Brillenpinguin.«

Noch mehr Hände. Noch mehr Stimmen. Noch mehr Schmerzen – falls das überhaupt möglich war.

Und dann eine graue Wolke und ein Treppenhaus, das immer tiefer hinabführte, immer dunkler, und die Stimmen immer weiter weg.

 

»Sind Sie Mark Ham?«, fragte eine Frauenstimme. Sehr viel später. Bei ihr klang sein Nachname, als bestünde er aus zwei Wörtern. Mark. Ham. »Sind Sie Mark Ham?«

Er brauchte eine Weile, um die Worte zu verstehen. Um überhaupt zu begreifen, dass jemand mit ihm sprach. Das Bewusstsein kam und ging, mit jedem Schlag seines Herzens.

»Mark? Ham? Sind Sie Mark Ham?«

»Wer sind Sie?« Er hatte Angst, seine Augen noch einmal zu öffnen. Seine Zunge fühlte sich nicht so an, als funktioniere sie richtig. Es war, als gehorche sie seinen Anweisungen nicht. »Weeeeasinnnnsieee?«

»Sind Sie …«

»Ja, bin iiii. Jaaa. Ja.« Er probierte es mit einem Auge. »Toby Markham.« Seine Stimme schien zurückzukehren. »Könnten Sie das Licht ein wenig herunterdrehen?«

»Das ist die Sonne«, sagte die Frau, leicht verächtlich.

»Könnten Sie einen Vorhang vorziehen?«

»Lautet Ihr Geburtsdatum zwei sieben eins neun fünf neun?«

»Eins neun …? Ah. Neunzehnhundertneunundfünfzig? Ja. Siebter Februar. Wenn Sie das meinen. Wo bin ich?«

»In einem Bett«, sagte die Frau, wenig hilfreich. Sie schien gerade Heftpflaster von seiner Haut zu ziehen. Rupf. Ruuuupf. »Alter?«

»Sechzig.«

Er versuchte, einen Arm zu heben, doch dann stellte er überrascht fest, wie kraftlos er war, als wäre der Arm so schwer wie ein kleines Kind. »Ich fühle mich … ich fühle mich so …«

»Ja?« Rupf. Rupf.

»Ich fühle mich schwach.«

»Gut«, sagte die Frau. Sie senkte die Stimme. »Hoffen wir, dass es so bleibt.«

Sollte er das hören? »Wo bin ich? Abgesehen davon, dass ich im Bett liege.«

»Das hier ist Cambridge«, sagte sie. Ruuupf. Das letzte Pflaster schien ihr besondere Genugtuung zu bereiten.

Er versuchte es wieder mit einem Auge. Immer noch absurd hell. Die Frau, die über ihn gebeugt stand, war ein Schatten vor dem grellen Licht. Er sah ihr Gesicht. Ein gewöhnliches Gesicht. Keines, das er in einer Menschenmenge wiedererkennen würde. Er versuchte es mit einem Lächeln. Ein Lächeln funktionierte immer. Niemand konnte einem Lächeln widerstehen.

Mit Ausnahme seiner Krankenschwester – wenn sie denn eine Krankenschwester war.

»Hatte ich … hatte ich einen Unfall?«

Schweigen. Sie ignorierte ihn.

Er würde dafür sorgen, dass er eine andere Krankenschwester bekam. Wo auch immer er hier war. Welches Krankenhaus oder welche Pflegeeinrichtung dies auch sein mochte. Niemand sollte so schroff behandelt werden. Natürlich war der staatliche Gesundheitsdienst NHS überlastet, das wusste jeder. Aber es gab gewisse Standards. Mindeststandards der Höflichkeit.

Und jetzt war er wieder einmal allein. Er schloss die Augen. Cambridge. Cambridge? War er in Cambridge gewesen? Oder irgendwo in der Nähe? War es möglich, dass er in Cambridge gewesen war und dort einen Unfall gehabt hatte? Er kannte einen Burschen, der in Cambridge studiert hatte. Ein alter Schulfreund. Urbil. Jeremy Urbil. Hatte ihn zuletzt in Kenia gesehen, auf einer Safari … vor … vier Jahren? Sechs? War es wirklich schon sechs Jahre her?

Und dann gab es da ein Unternehmen, mit dem er einmal zu tun gehabt hatte. Ein Typ im Blazer. Der kam aus Cambridge. Wer war das noch? Ein Investor des Markham Newborne Hedgefonds? Der vielleicht? Nein. Wer dann?

Wenn er es sich recht überlegte – war er überhaupt einmal in Cambridge gewesen? Jemals? Er versuchte, sich die Stadt vorzustellen. Junge Leute in Booten auf dem Fluss. Oder war das Oxford? Chorknaben? Die Fens?

Verdammt. Er war nicht oft in England. Er durfte pro Jahr nur fünfundvierzig Tage im Land sein, um seinen Steuerstatus als Nichtansässiger nicht zu gefährden, und wenn er da war, blieb er meist in London. Er unterhielt eine Wohnung in South Kensington – ein teurer Luxus, wie er fand: Es wäre deutlich günstiger gewesen, sich für die paar Tage im Jahr, die er in London verbrachte, ein Hotelzimmer zu nehmen. Doch es war mit Steuervergünstigungen verbunden, und die Wertsteigerung der Immobilie übertraf das, was ihm die Banken für sein Geld anbieten konnten, also …

… und jetzt war er offenbar in Cambridge. Der Krankenschwester nach. Falls sie eine Krankenschwester war.

War dies vielleicht Cambridge, Massachusetts? Dieser Gedanke amüsierte ihn zunächst, doch er war seit über einem Jahr nicht mehr in Boston gewesen, und falls dies ein amerikanisches Krankenhaus war, erwartete ihn eine saftige Rechnung. Das war ein unangenehmer Gedanke.

Cambridge. Hatte sie gesagt: »Das hier ist Cambridge«?

Mist. Er musste versuchen, sich aufzusetzen.

Was war das Letzte, an das er sich erinnern konnte?

Er kniff die Augen zusammen und versuchte, ganz ruhig zu atmen. Seine Erinnerungen waren ein einziges Chaos. Ein Nebel. Konnte er sich an gestern erinnern? An letzte Woche?

Helles Sonnenlicht.

Rotwein.

Kaminfeuer.

Schnee.

Val-d’Isère. Du lieber Gott, er war in Val-d’Isère gewesen. Jetzt erinnerte er sich. Eine Woche Weltwirtschaftsforum in Davos, dann ein kurzer Flug zum Altiport Courchevel und ein Chalet auf Firmenkosten, als Belohnung für die Hedgefonds-Broker. Sechzehn waren es. Viele fast noch Kinder, Anfang zwanzig. Sie konnten besser feiern als er. Und auf den Pisten waren sie noch viel besser.

Libby war dort gewesen. Libby mit den roten Haaren. Libby mit den Lippen. Er konnte sie sich ohne große Anstrengung nackt vorstellen. »Vorzüglich«, hatte er zu den Mitgliedern des Aufsichtsrates gesagt. »Aber ist sie auch gut in ihrem Job?«, hatte Geoffrey Chipwell lachend gefragt. »Spielt das eine Rolle?«, hatte er erwidert.

Hahaha!

Würde sie ihn im Krankenhaus besuchen? Bestimmt würde sie kommen.

Falls das hier ein Krankenhaus war.

Sie würde irgendwo in einem Wartezimmer sitzen und auf ihrem Smartphone Mah-Jongg spielen oder Freundinnen Nachrichten schreiben oder was auch immer junge Leute so taten. Bilder auf Social Media posten. Solche Sachen.

Er wurde schläfrig. War das ein gutes Zeichen? »Bleib wach!«, ermahnte er sich.

Doch der Nebel hüllte ihn ein.

 

»Mark Ham?«, verlangte eine Stimme zu wissen.

Verdammt. Wie viel Zeit war vergangen?

Wieder fiel es ihm schwer, seine Stimme zu finden. »M … M … Markham«, sagte er. »Toby Markham.«

»Das könnte jetzt weh tun. Ein bisschen. Bitte versuchen Sie stillzuhalten.«

»Fuck!«

»Kann man so sagen.« Die Stimme gehörte einem Mann unbestimmten Alters.

Er versuchte, die Augen zu öffnen. Es war immer noch ziemlich hell. »Wo bin ich?«, fragte er erneut. »Was ist passiert?«

Der Mann war ein malvenfarbener Schatten. Tobys Augen hatten die Fähigkeit verloren, scharf zu stellen. »Werde ich blind?«

»Bitte halten Sie still, Mr. Ham.«

»Markham.«

Der Schatten des Mannes nahm Gestalt an. Für Toby sah er asiatisch aus. Indischer Herkunft vielleicht. Er hatte dickes schwarzes Haar und einen Bart. Er hatte ein seltsames Tuch um den Kopf gebunden. Auf der Wange ein blasses Tattoo. Eine Art Vogel. »Wir müssen Ihre Muskeln testen«, sagte er.

»Ich fühle mich schwach.«

»Das ist noch gar nichts. Ich werde jetzt Ihre wichtigsten Muskelpartien stimulieren. Dabei kommen elektrische Schocks zum Einsatz. Es wird also nicht angenehm sein.«

Nicht angenehm. »Tut es weh?«

»Sehr sogar. Wir müssen es Stück für Stück steigern. Erst fünf Minuten. Dann eine Pause. Dann zehn Minuten. Dann zwanzig. Und so weiter.«

»Muss das wirklich sein?«

»Ihre Muskeln müssen wieder funktionieren. Wir machen das schon seit zwei Monaten, aber Sie waren nicht bei Bewusstsein, deshalb hat es Sie vermutlich nicht so sehr gestört.«

Zwei Monate? »Können Sie mich nicht wieder bewusstlos machen?«

»Haha.« Der Mann schien zu lachen. »Das würde Ihnen gefallen, was?«

»Ja.«

Etwas Spitzes wurde in seine Schulter gestoßen.

»Gott!!«

Noch ein Stich in den Arm.

»Wie heißen Sie?« Markham konnte seine eigene Stimme kaum hören.

»Ich bin Andy Kondor«, schien der Mann zu sagen.

»Andy?«

Doch dann kamen die Schmerzen, und die ganze Welt wurde rot, und sein Körper wurde von einem Dämon gepackt, der ihn hin und her warf und ihn durchschüttelte; und dann ging ihm die Luft aus, und alles war schwarz.

2Val-d’Isère

Ein klarer, schöner Tag. Fester Neuschnee.

Martin Toothill war die Strecke von Frankfurt in seinem – also Toby Markhams – zitronengelben Ferrari F430 hergefahren.

»Markers! Da bist du ja, Mann!«, rief er vom Parkplatz des Hotels und wedelte mit dem Autoschlüssel, als wäre er eine Trophäe.

»Hoffentlich hast du ihn nicht kaputt gekriegt.«

»Nur ein bisschen. Deutsche Autobahnen sind schon was Tolles. Weißt du überhaupt, wie schnell dieses Baby ist?«

 

Val-d’Isère. Im Südosten Frankreichs. Überall Skifahrer und Snowboarder. Die Bars waren voll. Libby betrank sich mit flambiertem Sambuca.

»Sie ist zu jung, um Ihre Freundin zu sein«, sagte eine der Frauen aus der Personalabteilung, es klang missbilligend.

»Wer sagt denn, dass sie meine Freundin ist?«, fragte Toby.

»Sie sehen sie an, als würden Sie sich wünschen, dass sie’s wäre.«

»Und? Sind Sie eifersüchtig?«

In der Bar spielte eine Rockband Klassiker aus den Achtzigern. Einer der Broker aus der Londoner Niederlassung hatte seinen neuen Ehemann mitgebracht. »Bessere Hälften streng verboten«, rief Toby, doch alle ignorierten ihn. Libby zwinkerte ihm zu.

Ein Deutscher versuchte, ihn in eine Unterhaltung über Rohstoffhandel zu verwickeln. »Wir sind eh bald raus aus der EU, mate«, rief einer der Londoner Broker streitlustig, und andere muhten zustimmend – irgendein Insiderwitz –, es klang fast so wie das Geschrei einer Meute bei einer Hinrichtung.

Libby kam mit einem halbleeren Glas an seinen Tisch. Ihre Wimperntusche war verschmiert. Sie sah aus, als hätte sie ein entzündetes Auge. »Wir wollen morgen die schwarze Piste fahren«, erklärte sie. Sie winkte schwankend mit ihrem Drink. »Bist du dabei?«

»Ich weiß nicht«, sagte er. Und fügte in Gedanken hinzu: Ich bin langsam zu alt, um mich irgendwelche Berge runterzustürzen. Doch das behielt er lieber für sich.

»Was soll man hier sonst machen?«, fragte sie und lachte.

Er hatte vorgehabt, einen frühmorgendlichen Besuch im Vanoise-Nationalpark vorzuschlagen. Da gab es Steinadler. Hatte er jedenfalls gehört. Er hatte sich vorgestellt, wie er sie fotografieren würde. Doch in der Après-Ski-Bar in Val-d’Isère fühlte sich eine solche Idee spießig an. Sie würden denken, er sei hundert Jahre alt. Also lachte auch er. »Ich bin bei allem dabei«, sagte er. Und hob sein Glas. »Noch mal zwei hiervon«, rief er einem Barmann in einer Lederschürze zu.

Und das war alles. An dieser Stelle endete seine Erinnerung.

»Noch mal zwei hiervon …«

3Mark Ham

»Ist das der Angeklagte?« Die Stimme einer Frau. Überraschend deutlich zu verstehen.

Seine Augen öffneten sich. Hatte er geschlafen?

»Mark Ham.« Eine zweite Stimme.

Jetzt sah er deutlicher. Es war nicht mehr ganz so hell. Ein Mann und eine Frau standen über ihn gebeugt. »Mark«, sagte die Frau. »Ich werde Ihre Anwältin sein.«

Warum war bloß alles so merkwürdig? »Ich habe schon einen Anwalt«, sagte er. »Und mein Name ist nicht Mark. Sondern Toby. Toby Markham.«