Das Kind ohne Lächeln - Regine König - E-Book

Das Kind ohne Lächeln E-Book

Regine König

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Warten Sie auf jemanden?« Schon seit einer guten Viertelstunde beobachtete der hochgewachsene Mann dies Mädchen, das immer rund um seinen Koffer trippelte, sich dann wieder auf die Zehen stellte, als könne es dann weiter schauen, und dann plötzlich den Kopf hängen ließ. Dabei sah sie gar nicht kopfhängerisch aus, hatte von Natur aus die lustigsten braunen Augen, die Jan Per von Moorlund je begegnet waren. An diesem Morgen hatte er auf der kleinen Station zu tun gehabt, auf der täglich nur zwei Züge hielten. Auf des Mannes Frage schaute das Mädchen jetzt auf. Der Mann wurde seltsam berührt. Mein Gott, welch zauberhaftes Gesichtchen, so jung, so unberührt! Unter dem kleinen roten Kopftuch wellte sich beinahe bubenhaft kurzgeschnittenes dunkles Haar. Und die braunen Augen lachten, obgleich ihrer Besitzerin allem Anschein nach nicht alles nach Wunsch ging. »Sie haben's erraten!« Das Mädchen nickte heftig. »Würden Sie nicht auch aufs Abgeholtwerden warten, wenn Sie in solch weltabgeschiedener Gegend mutterseelenallein herumständen? Nicht mal eine Taxi gibt's hier, hat mir der Bahnhofsvorsteher gesagt. Und mein Telegramm, mit dem ich meine Ankunft angemeldet habe, scheint nicht angekommen zu sein.« »Vielleicht ist es nur noch nicht bestellt!« tröstete der Mann mit Schalk in den Augen. »Der Posthalter ist seit ein paar Wochen krank.« »Ja, aber… er wird doch eine Vertretung haben?« Des Mädchens große braune Augen wurden beinahe riesenhaft. »Sie müssen sich daran gewöhnen, daß Sie in eine – nun – sagen wir mal romantisch abgelegene Gegend gekommen sind!«

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Fürstenkinder – 12 –

Das Kind ohne Lächeln

Ein junges Mädchen brachte Sonne in sein Leben

Regine König

»Warten Sie auf jemanden?«

Schon seit einer guten Viertelstunde beobachtete der hochgewachsene Mann dies Mädchen, das immer rund um seinen Koffer trippelte, sich dann wieder auf die Zehen stellte, als könne es dann weiter schauen, und dann plötzlich den Kopf hängen ließ.

Dabei sah sie gar nicht kopfhängerisch aus, hatte von Natur aus die lustigsten braunen Augen, die Jan Per von Moorlund je begegnet waren. An diesem Morgen hatte er auf der kleinen Station zu tun gehabt, auf der täglich nur zwei Züge hielten.

Auf des Mannes Frage schaute das Mädchen jetzt auf.

Der Mann wurde seltsam berührt.

Mein Gott, welch zauberhaftes Gesichtchen, so jung, so unberührt! Unter dem kleinen roten Kopftuch wellte sich beinahe bubenhaft kurzgeschnittenes dunkles Haar. Und die braunen Augen lachten, obgleich ihrer Besitzerin allem Anschein nach nicht alles nach Wunsch ging.

»Sie haben’s erraten!« Das Mädchen nickte heftig. »Würden Sie nicht auch aufs Abgeholtwerden warten, wenn Sie in solch weltabgeschiedener Gegend mutterseelenallein herumständen? Nicht mal eine Taxi gibt’s hier, hat mir der Bahnhofsvorsteher gesagt. Und mein Telegramm, mit dem ich meine Ankunft angemeldet habe, scheint nicht angekommen zu sein.«

»Vielleicht ist es nur noch nicht bestellt!« tröstete der Mann mit Schalk in den Augen. »Der Posthalter ist seit ein paar Wochen krank.«

»Ja, aber… er wird doch eine Vertretung haben?« Des Mädchens große braune Augen wurden beinahe riesenhaft.

»Sie müssen sich daran gewöhnen, daß Sie in eine – nun – sagen wir mal romantisch abgelegene Gegend gekommen sind!«

Jan Per von Moorlund beobachtete des Mädchens beinahe entsetzte Überraschung mit heimlichem Lachen.

»Hier hören Sie selten Telefonate oder Motorengeräusche. Auf der Flugstrecke liegen wir auch nicht. Dafür gibt’s das Geschrei der Möwen und das Brausen des Meeres.«

Lix von Wrangen streckte ihren Kopf einen Augenblick lachend vor. Ja, der Mann hatte recht. Die Luft war erfüllt von Meerbrausen. Und Vögel mußte es hier auch mehr geben, als sie von der Stadt her gewohnt war. Ihr Schreien, Lachen und Keckern klang ein wenig unheimlich. Des Mädchens große Augen schlossen sich für einen Herzschlag. Das Gesichtchen wurde blaß.

»Angst?« fragte der Mann.

Da schlug Lix die Augen schon wieder auf.

»Angst? I wo. Ich habe mich noch nie in meinem Leben gefürchtet!« Das klang sehr überzeugt. Und dann fügte sie hinzu: »Wie könnte man auch als Lehrerin Angst haben.«

Einen Augenblick war der Mann versucht zu lachen.

Lehrerin? Dies kleine, knabenhaft-zierliche Geschöpf mit den lachenden Augen eine Lehrerin?

»Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie hier irgendwo als Lehrerin angestellt sind?«

»Allerdings!« Lix nickte. »Bin ich. Erste Stelle. Ich wollte noch nicht sofort in den öffentlichen Schuldienst gehen. Deshalb habe ich eine private Stellung angenommen. Vorab für ein Jahr. Auf Schloß Haldersee.«

»Auf Haldersee?«

Nun schrak der Mann beinahe etwas zurück. Er betrachtete sein Gegenüber prüfend. So heiter war dies frische, junge Geschöpf, so von Leben erfüllt. Und dann auf Schloß Haldersee?

»Haben Sie«, seine Worte tasteten ganz vorsichtig, »haben Sie sich eigentlich vorher ausreichend nach dieser Stellung erkundigt?«

»Halten Sie mich für einfältig?« Lix reckte sich herausfordernd. »Schließlich stehe ich mitten im Leben!«

»Wer bestreitet es?« Der Mann lächelte jetzt jungenhaft übermütig, aber mit einem Beigeschmack von Mitleid. »Auf jeden Fall haben Sie sich kaum persönlich vorgestellt.«

»Eine Tante von mir hat mir die Stelle beschafft!« erklärte Lix. »Tante Klarissa meinte, mir täte Landluft nach dem Studium gut. Und sie kenne den Fürsten von Haldersee. Zudem ist es eine ungewöhnlich gut bezahlte Stellung.«

Des Mädchens Gesicht wurde plötzlich ein wenig rot. Ihr war, als hätte sie zuviel von sich preisgegeben. Schließlich brauchte sie diesem wildfremden Mann nicht mitzuteilen, daß sie Vollwaise war, die Eltern ihr keinen Pfennig Geld zurückgelassen hatten und sie ihr Studium nur mit Hilfe von einem Darlehen, das sie so bald wie möglich zurückzahlen mußte, finanziert hatte.

Jan Per von Moorlund schaute von seiner stattlichen Höhe beinahe nachdenklich auf das Mädchen herab.

»Ja, sicher gut bezahlt. Daran zweifle ich keinen Augenblick. Man erwartet ja auch etwas Besonderes von Ihnen.«

Lix nickte. »Der Junge soll sehr anfällig sein. Ich weiß. Ich habe aber auch kranke Kinder gern. Gerade ihnen sollte man helfen.«

»Vielleicht kann dem kleinen Gert keiner helfen!« murmelte der Mann vor sich hin.

Aber das hörte das Mädchen nicht. Es schaute jetzt noch einmal rund um sich.

»Ich werde zu Fuß gehen!« erklärte Lix entschlossen, als sich auch jetzt noch keiner zum Abholen zeigte. »Sie können mir vielleicht die Richtung angeben?«

Da lachte der Mann lauthals. Das Lachen tanzte förmlich über sein junges, wettergebräuntes Gesicht mit den leuchtendblauen Augen. »Wann gedenken Sie dann auf Haldersee einzutreffen, kleines Fräulein Lehrerin?«

»Nun, einmal wird es ja werden, wenn ich einen Schritt zulege. Nur eben der Koffer…« Lix schwankte zwischen Ärger und Hilflosigkeit, als sie dem Mann ins übermütige Gesicht schaute.

»Einen Schritt zulegen?« Jan Per von Moorlunds Lachen konnte sich gar nicht beruhigen. »Haldersee liegt fünfzehn Kilometer von hier entfernt, kleine Lehrerin. Ich an Ihrer Stelle hätte mich vor der Abreise einmal gründlich orientiert.«

»Ich… ich…« Lix wurde nun ein wenig unsicher. »Ich dachte, ich könnte mit Sicherheit aufs Abholen rechnen. Man hat es mir brieflich zugesagt.«

»Na, und nun stimmt das Exempel nicht!« stellte der Mann fest. »Aber wissen Sie was? Eine Taxe gibt’s zwar nicht. Aber wenn Sie mit einem Boot vorliebnehmen wollen… Meins liegt unmittelbar hinter der Station vertäut!«

»Hm!« Lix wich einen Schritt zurück. Ihre Augen suchten ungewiß am Boden.

»Angst?« erkundigte sich der Mann zum zweitenmal während ihres Gespräches.

»Angst, wovor?« Lix’ Augen blieben gesenkt.

»Vielleicht vor mir?« erklärte der Mann mit einer gewissen Bedächtigkeit, hinter der der Schalk lauerte. Er zog jetzt eine Pfeife aus der Hosentasche, zündete sie sich gemächlich an.

»Schließlich sehen Sie nicht nach einem Räuber und Mörder aus!« antwortete Lix und wußte genau, wie albern diese Worte klangen. Der Mann lachte auch, während er schon ihren Koffer aufhob.

»Man kann sich im Aussehen irren, kleines Fräulein Lehrerin. Hat Ihnen das noch niemand gesagt? Aber Ihrer Seelenruhe wegen: Ich heiße Jan Per von Moorlund und kann es durch meinen Paß erhärten, wenn Sie ihn sehen wollen.«

»Wir sind ja nicht bei der Paßkontrolle an einer Grenze!« Lix ärgerte sich über sich selbst.

»Es gibt vielerlei Grenzen!« meinte der Mann vieldeutig. »Manchmal sehen wir sie nicht einmal.«

»Ich sehe immer alles!« Lix steifte den Nacken sichtbar.

»Sie sind ja auch eine studierte Lehrerin!« neckte der Mann. »Aber nun kommen Sie wirklich. Hoffentlich sind Sie aber auch seefest. Ich bin heute nur mit einem Ruderboot hier.«

»Ruderboot?« Lix’ Gesicht verzog sich zweifelnd. In ihren Ohren klang das gewaltige Rauschen der unfernen Meeresbrandung. »Rudern auf dem Meer?«

»Bis jetzt bin ich noch nicht ertrunken und bin viele hundert Male auf dem Boot gerudert. Und wenn es Ihnen eine Beruhigung ist, Fräulein Landratte – ich bin ein erprobter Rettungsschwimmer.«

Da raffte das Mädchen sich zusammen. »Ich habe nie Angst!« verwahrte sie sich.

»Na also, Fräulein Lehrerin, dann wollen wir mal!«

»Ich heiße Lix von Wrangen!« Lix fühlte sich verpflichtet, sich nun auch vorzustellen.

»Also Fräulein von Wrangen, dann wollen wir uns beeilen. Wir müssen die Flut abpassen, um das Ufer bei Haldersee zu erreichen.«

»Grenzt Haldersee denn ans Meer?« Lix versuchte mit dem Mann Schritt zu halten.

Jan Per von Moorlund nickte. »Hier grenzt alles irgendwie ans Wasser.

An Wasser müssen Sie sich gewöhnen.«

Von der offengelegenen Bahnstation, die nicht einmal ein richtiges Bahnhofsgebäude besaß, waren es tatsächlich nur wenige hundert Meter bis ans Meer hinab.

Grün-grau schimmernd, mit tausend kleinen Schaumkrönchen übersät, schlug das Meer hier gegen die etwas steinige Küste.

»Kein Badestrand!« erklärte der Mann, der schon den Laufsteg hinunterging, an dem ein breites Boot sich sacht hin und her wiegte.

»Also, dann hopp!« Jan Per von Moorlund reichte Lix die Hand zum Einsteigen.

»Es schaukelt!« stellte Lix fest.

Der Mann antwortete auf diesen etwas ängstlichen Einwurf allein mit einer Rauchwolke aus seiner kurzen Schifferpfeife. Er löste das Boot jetzt, ergriff die Ruder. In wenigen Minuten schon trieb es auf dem Wasser.

Es war warm an diesem Mittag, und das Rudern nahm den ganzen Körper in Anspruch. Der Mann rollte die Ärmel seines Overalls auf. Kräftig spannten sich die Muskeln an den festen braunen Armen.

Diesen Armen konnte man sich gewiß anvertrauen. Lix beruhigte sich trotz des Schaukelns des Bootes.

Jan Per von Moorland sprach jetzt kein Wort mehr. Er hatte die Augen zusammengekniffen. In den Augenwinkeln zeigten sich trotz der sonst so jungen, straffen Haut ein paar Fältchen, wie bei Seeleuten, die viel über glitzerndes, blendendes Wasser geschaut haben.

»Sind Sie Kapitän?« fragte Lix plötzlich aus tiefem Nachdenken heraus.

»Kapitän?« Der Mann lachte. »Na, wie man’s nimmt. Ich steuere mein Lebensschifflein. Aber zu einem Patent vor dem Seeamt habe ich es noch nicht gebracht.«

Wer war dieser Mann?«

Lix strengte alle psychologischen Kenntnisse an, die man ihr während ihrer Ausbildung vermittelt hatte. Aber alles Erlernte versagte. Dieser Mann war außergewöhnlich.

Jetzt steuerte er Land an. Weicher, feiner Sand breitete sich meilenweit aus. Auf den Dünen im Hintergrund wiegten sich Strandhafer und Silberdisteln.

»So, wir haben es geschafft. Nochmals: hopp!« Jan Per von Moorland reichte Lix die Hand.

»Und nun lade ich Sie zu einem Kaffee ein, bevor ich Ihnen weiterhelfe.«

»Kaffee?« Das Mädchen schaute sich um.

»Keine Angst, nicht aus salzigem Meerwasser. Ein bißchen besser bin ich nun doch schon eingerichtet.«

Ja, er war wirklich für eine Tasse Kaffee eingerichtet. Oder vielmehr: für weit mehr. Denn das kleine Haus, das mit seinem tief heruntergezogenen Reetdach geschützt in den Dünen lag, war gemütlich wie kaum ein anderes Haus, das Lix je betreten hatte.

»Wohnen Sie hier« – sie räusperte sich – »wohnen Sie hier allein?« Sie konnte es nicht verhindern, daß eine leichte Röte in ihr Gesicht stieg.

»Schon wieder Angst?« spottete der Mann. Lachend stand er vor Lix, sein braungebrannter Hals und die fast bronzebraunen Arme stachen gegen das schneeige Weiß des Hemdes lebensvoll ab.

»Als junges Mädchen muß man vorsichtig sein!« lenkte Lix ein.

»Gut, wenn junge Mädchen dies selber ansprechen!« Der Mann lachte jetzt beinahe jungenhaft, ein wundervolles, ansteckendes Lachen.

»Wenn’s beruhigt –, meine Haushälterin kommt in absehbarer Zeit zurück.«

»Sie müssen nicht denken…«

»Ich denke auch nichts. Ich…«

»Sie malen?« fragte Lix in diesem Augenblick. Durch die geöffnete Tür des Wohnraumes schaute sie unmittelbar in ein Atelier.

»Ja, ich male. Was sollte ich sonst schon tun!«

Des Mannes vorher beinahe jungenhaft übermütige Stimmung schlug jäh um.

Lix schaute ihn an. Sie sah einen tiefen Ernst wie Wolkenschatten über des Mannes Gesicht wandern.

»Malen Sie denn nicht gern?« fragte sie vorsichtig.

»Natürlich!« Der Mann nickte. »Lieber aber noch täte ich etwas anderes. Aber ich habe das Pech gehabt, nur als zweiter Sohn auf die Welt gekommen zu sein. Dann muß man mit dem vorliebnehmen, was übrigbleibt.«

Das Mädchen schaute den Mann ein bißchen ungewiß an.

Jetzt versagten ihre psychologischen Kenntnisse nicht. Dieser Mann war über etwas in seinem Leben bekümmert.

»Ich helfe Ihnen beim Kaffeekochen!« anerbot sie sich, wie um ihm etwas Gutes zu tun.

Jan Per Moorlund spürte es.

»Gut, helfen Sie mir. Und bedauern Sie mich nicht. Sie sehen, ich lebe!« Als er des Mädchens bescheidenes Kleid betrachtete, dachte er, ich lebe wahrscheinlich sehr viel besser und leichter als du. Ich habe als Maler einen Namen. Dieses Haus in den Dünen gehört mir. Mein Bankkonto ist nicht uninteressant, da ich einen Teil meines Erbes bei Vaters Tod ausbezahlt bekam. Aber das tröstet mich nicht, ich habe Heimweh, Heimweh nach Moorlund, das nicht weit entfernt liegt und das mein älterer Bruder Alfred zugrunde wirtschaftet. Oder vielmehr bereits zugrunde gefeiert, getrunken hat. Wie sehen die Wiesen aus, die ich liebe, wie die Felder! Und wie die Ställe! Moorlund ist verschuldet, und da mein Bruder das Recht des Erstgeborenen besitzt, kann ich nicht einmal einen Pfennig von meinem Vermögen in das alte Vätererbe stecken, weil er mir auch dann keinen Einfluß einräumen, aber auch noch mein Vermögen verwirtschaften würde. Ich bin abgefunden, habe nichts zu sagen, darf nur mit verbundenen Augen zusehen, wie es mit Moorlund bergab geht.

Plötzlich aber verschwanden die Schatten über des Mannes Gesicht. Sein jungenhafter Übermut packte ihn wieder.

»Na, wie ist’s mit dem Kaffee?«

»Ich finde keine Milch!« Lix suchte in der Küche.

»Ich trinke nie Kaffee mit Milch!« rechtfertigte sich der Mann.

»Oh, ich auch nicht!« stimmte das Mädchen eifrig bei.

»Um noch schöner zu werden? Schwarzer Kaffee macht doch schön!« neckte Jan Per von Moorlund und legte wie ein großer Bruder den Arm um Lix’ Schultern. Aber als er dies Zarte und dennoch vibrierend Lebensvolle des jungen Körpers spürte, ließ er sie los. Beinahe ruckartig.

»Ist Ihnen etwas?« Lix’ große dunkle Augen schauten überrascht auf.

»Ja, ich glaube, ich habe eine Abkühlung nötig. Schwimmen Sie auch, Landratte?«

»Jede Lehrerin muß ihren Freischwimmer machen!« erklärte das Mädchen jetzt beinahe würdevoll.

»Na, wenn der Badeanzug im Koffer nicht fehlt…«

Er fehlte nicht. Und nach der Tasse Kaffee liefen sie nebeneinander zum Meer hinab. Weich und warm rieselte der Sand zwischen den Zehen. Lix war keine geübte Schwimmerin. Aber das Meerwasser trug herrlich. »Wenn ich erst mal so braun bin wie Sie!« meinte sie neidisch, als sie nach dem Schwimmen neben dem Mann im Sand lag, um zu trocknen.

Er erinnerte doch an einen wetterfesten Kapitän. Wenigstens an einen, wie ihn sich Lix’ Phantasie vorstellte. Bisher war sie noch keinem in Fleisch und Blut begegnet.

»Wenn Sie trocken sind, fahre ich Sie nach Haldersee!« Der Mann beobachtete schon eine Zeitlang das Mädchen, das sich aufrecht gesetzt hatte, den Sand durch die Finger gleiten ließ. Viele Muscheln gab es in dieser Gegend des Strandes. Weiße Muscheln, tiefschwarz gerillt und dann auch kleine zartrosa, die fast durchsichtig erschienen, wenn man sie gegen das Licht hielt.

Lix hob sie auf. Ihre zarten Hände erschienen transparent wie die Muscheln.

»Kleines Fräulein Muschel!« sagte in diesem Augenblick der Mann leise.

Das Mädchen wandte sich um, schaute gerade hinein in die blauen Augen des Mannes, aus dem ein Glanz leuchtete, wie ihn die Sonne auf dem nahen Meer hervorzauberte.

»Sind Sie nicht schön, die Muscheln?« Lix’ kleine Hände spielten mit den zarten Schalen. »Wenn Haldersee nicht zu weit entfernt ist, werde ich jeden Tag Muscheln suchen.«

»Das kannst du tun, kleines Fräulein Muschel!« Der Mann hatte jetzt zwei Muschelschalen in der Hand, die noch aneinanderhingen. »Siehst du«, sagte er und wußte selber nicht, daß er Lix duzte, »diese Schalen gehören zusammen, und sie umschließen, wenn sie im Meer sind, das Geheimnis des Lebens in einem Geschöpf der Natur.«

Lix’ Gesicht hatte sich im Eifer dicht zu dem Mann hinabgebeugt. Er spürte ihre zarten Wangen.

»Weißt du, Fräulein Muschel, was das Geheimnis des Lebens ist?« Jan Per von Moorlund schaute das Mädchen jetzt ganz tief an. »Liebe ist es. Aber das hat man euch in eurer Schulmeisterakademie wohl kaum beigebracht.«

Einen Augenblick hörte man nichts anderes als das Rieseln des trockenen Sandes in den Dünen und das immer ferner rauschende Meer, das sich vom Strand zurückzog. Auch der Mann und das Mädchen sprachen kein Wort mehr.

Fast schweigend zogen sie sich an.

*

»Alexandra von Wrangen?« fragte die müde Frauenstimme, als Lix leise die Tür hinter sich schloß.

Die Angeredete nickte nur. Es war ihr so ungewöhnlich, bei ihrem vollen Taufnahmen genannt zu werden, der nicht üblich in Deutschland war. Großmama war Russin gewesen, hatte immer noch von den Erzählungen ihrer Eltern geträumt, die in der großen russischen Revolution sich nur mit nackter Haut hatten retten können.

»Ein etwas ungewöhnlicher Name!« sagte auch die müde Frauenstimme jetzt.

»Ich werde immer Lix genannt, und« – nun blitzte der Schalk in des jungen Mädchens Augen – »ich bin ja erwachsen und habe noch einen Vatersnamen.«

Charlotte von Haldersee wies auf einen Stuhl. »Bitte, ich vergaß, Ihnen Platz anzubieten. Es ist so schwül heute. Ich leide unter starken Kopfschmerzen. Da vergißt man manchmal dies und jenes.«

Lix nickte eifrig. Vorsichtig nahm sie auf der Stuhlkante Platz. Dieses Zimmer bedrückte sie. Die Vorhänge waren zugezogen. Es war dämmrig, trotz des späten hellen Sonnennachmittages. Und diese Frau im Sessel wirkte so erschreckend hilfsbedürftig, Ja, und auch irgendwie geheimnisvoll.

»Es ist mir wenig daran gelegen, daß Sie für Gert eine Respektsperson sind!« fuhr die Frau im Sessel fort. »Sie wurden uns als heiter und jung geschildert, als ein Mensch – nun –, als ein Mensch mit Ausstrahlung.«

Lix glitt noch ein wenig weiter von der Stuhlkante. Du liebe Zeit, welch Ruf ging ihr voraus! Den konnte sie ja niemals rechtfertigen. Aber um der Frau im Sessel auch einmal ein Lächeln zu entlocken, nickte sie tapfer und meinte: »Ja, jung bin ich, und ich lache auch gern. Und spielen kann ich auch. Gert ist ja erst acht Jahre alt. Sehr viel Weisheit brauche ich ihm da ja noch nicht beizubringen.«

»Über den Schulunterricht wird mein Mann mit Ihnen sprechen, Fräulein von Wrangen. Er hat besondere Vorstellungen von einem solchen Unterricht.«

Lix nickte wieder. Plötzlich hob sie das Gesicht und sah die Frau mit ihrem strahlendsten Lächeln an. »Vielleicht erlauben Sie mir jetzt, Fürstin, Gert einmal kennenzulernen. Dann können wir uns gewiß noch heute abend aneinander gewöhnen. Ich habe Kinder lieb!« fügte sie hinzu, als sie das skeptische Gesicht der Fürstin bemerkte. »Und eigentlich bin ich noch mit allen Kindern gut ausgekommen.«

Charlotte von Haldersee erhob sich unvermutet. »Lix!« sagte sie leise, beinahe flüsternd. »Lix, werden Sie meinen Jungen liebhaben, werden Sie« – ihre Stimme brach beinahe – »werden Sie ihm… helfen?«

Eine seltsame Frage! Aber das Mädchen nickte. »Alles werde ich tun, Fürstin.«

»Gert ist im Garten, wahrscheinlich bei der Trauerweide!« sagte die Frau jetzt. »Lernen Sie ihn vorab einmal unbeeinflußt kennen.«

Sie zog jetzt die Vorhänge beiseite. Man hatte einen zauberhaften Blick auf den Park, der sich unendlich weit ausdehnte. Uralter Baumbestand wechselte mit bizarr geschnittenen Hecken und gepflegten Rasenflächen ab. Die Wege unmittelbar vor dem Schloß waren mit Silberkies bestreut, der wie in einem Märchen in der noch fast voll am Himmel stehenden Sonne glänzte.

»Dort hinten!« Charlotte von Haldersee streckte den Arm aus. »Dort sehen Sie die Weide!«

*