Der entführte Amor - Regine König - E-Book

Der entführte Amor E-Book

Regine König

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Daß wir diesen Tag noch erleben dürfen!« Zwei alte Mütterchen mit großen Kopftüchtern weinten. »Ein Märchenprinzeßchen heiratet einen Märchenprinzen!« »Eine richtige Märchenhochzeit!« stimmte ein blutjunges Mädchen ein und faltete die Hände, als sich jetzt hoch oben über dem blaugrünen Luganer See das Portal der Kapelle öffnete. Für einen Moment fiel die Sonne auf die wie ein Goldgespinst leuchtenden, schulterlangen Locken der fast noch kindlichen Braut, die den Blick genauso sittsam gesenkt hielt, wie es sich die beiden alten Mütterchen in Erinnerung an die eigene Jugendzeit vorstellten. Dann aber schlugen sich diese Augen groß auf zu dem schlanken dunkelhaarigen Mann an ihrer Seite. Ganz dunkelgrau waren diese Augen, ließen eher an den Norden mit Meer und Klippen denken als an den sich in Duft und Farbe verschwendenden Maitag im Süden. Seltsame und ganz außergewöhnliche Augen! durchfuhr es den hochgewachsenen Mann mit den breiten Schultern und dem festen, ein wenig gedrungenen Nacken, der an Bilder römischer Imperatoren erinnerte. Mario Marchese di Vanelli schaute über die neugierige Menge hinweg, die sich vor der Kapelle Santa Anna, einer Familienkapelle der Grafen Rossi, angesammelt hatte. Jeder wollte das Märchenbrautpaar des Jahres sehen, jeder dieses blondlockige blutjunge Geschöpf neben einem Mann, dessen Schläfen schon ein wenig grau waren, wie man es oft bei südländischen Typen schon in jungen Jahren findet. Mario di Vanelli aber schürzte spöttisch den Mund. Graue Haare, blonde Locken –, eine abgeschmackte Zusammenstellung! Aber diese alten Geschlechter waren arrogant und überheblich. Sie fügten meist Reichtum zu bereits vorhandenem Reichtum. In diesem Fall allerdings war es anders. Die blutjunge Komteß Pia Stampa war Vollwaise, völlig verarmt, bei einem schrulligen Onkel aufgewachsen, der froh sein mochte, das Mündel beizeiten unter die Haube gebracht zu haben. »Eine Liebesheirat!« flüsterte neben Mario di Vanelli jetzt eine junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm.

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Fürstenkinder – 48 –

Der entführte Amor

Zwei Kinder lenkten seine Liebespfeile

Regine König

»Daß wir diesen Tag noch erleben dürfen!«

Zwei alte Mütterchen mit großen Kopftüchtern weinten.

»Ein Märchenprinzeßchen heiratet einen Märchenprinzen!«

»Eine richtige Märchenhochzeit!« stimmte ein blutjunges Mädchen ein und faltete die Hände, als sich jetzt hoch oben über dem blaugrünen Luganer See das Portal der Kapelle öffnete.

Für einen Moment fiel die Sonne auf die wie ein Goldgespinst leuchtenden, schulterlangen Locken der fast noch kindlichen Braut, die den Blick genauso sittsam gesenkt hielt, wie es sich die beiden alten Mütterchen in Erinnerung an die eigene Jugendzeit vorstellten. Dann aber schlugen sich diese Augen groß auf zu dem schlanken dunkelhaarigen Mann an ihrer Seite.

Ganz dunkelgrau waren diese Augen, ließen eher an den Norden mit Meer und Klippen denken als an den sich in Duft und Farbe verschwendenden Maitag im Süden.

Seltsame und ganz außergewöhnliche Augen! durchfuhr es den hochgewachsenen Mann mit den breiten Schultern und dem festen, ein wenig gedrungenen Nacken, der an Bilder römischer Imperatoren erinnerte.

Mario Marchese di Vanelli schaute über die neugierige Menge hinweg, die sich vor der Kapelle Santa Anna, einer Familienkapelle der Grafen Rossi, angesammelt hatte.

Jeder wollte das Märchenbrautpaar des Jahres sehen, jeder dieses blondlockige blutjunge Geschöpf neben einem Mann, dessen Schläfen schon ein wenig grau waren, wie man es oft bei südländischen Typen schon in jungen Jahren findet.

Mario di Vanelli aber schürzte spöttisch den Mund. Graue Haare, blonde Locken –, eine abgeschmackte Zusammenstellung!

Aber diese alten Geschlechter waren arrogant und überheblich. Sie fügten meist Reichtum zu bereits vorhandenem Reichtum.

In diesem Fall allerdings war es anders.

Die blutjunge Komteß Pia Stampa war Vollwaise, völlig verarmt, bei einem schrulligen Onkel aufgewachsen, der froh sein mochte, das Mündel beizeiten unter die Haube gebracht zu haben.

»Eine Liebesheirat!« flüsterte neben Mario di Vanelli jetzt eine junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm. »Daß es so etwas noch gibt! Oh, welche Partien hätte Marchese Rossi machen können! Das hat ja immer in den Illustrierten gestanden.«

Ja, in denen hat gestanden, daß er ein Playboy ist, ein Tagedieb, der sich gern mit ausgezogenen und fragwürdigen Mädchen fotografieren läßt! fügte Vanelli innerlich zu. Und daher rühren auch seine grauen Schläfen.

»Der Marchese aber liebt die kleine Komteß!«

Die junge Frau hatte ausreichend Zuhörer, die sie anstarrten. »Eine arme, aber ach so schöne Komteß!« betonte sie.

Dem Mann war, als überliefe ihn eine Gänsehaut.

Mario di Vanelli kannte sich aus im Gesellschaftsleben der großen Welt.

Er wußte auch Bescheid um diese in der Kapelle geschlossene Ehe.

Ja, der junge Marchese sollte die kleine blondlockige Komteß Pia leidenschaftlich lieben, durchfuhr es den Mann, der jetzt langsam seine Kamera hob. Man munkelte, daß Lorenzo Rossi fraglos für Pia entflammt war, die Heirat aber mehr aus Trotz seiner Mutter gegenüber durchgesetzt hatte.

Ah, jetzt stand sie auch auf der Treppe, die vom Portal der Hauskapelle in das den Abhang hinab wogende bunte Blütenmeer führte: Marchesa Francesca di Rossi, klein, zierlich, aber mit einem energischen Gesicht, aus dem kühn die Nase vorsprang.

Unbesehen glaubte man ihr, daß sie die ganze Familie beherrschte, gewiß jedoch den einzigen Sohn.

In dieser Stunde aber schien das Antlitz der Marchesa wie verschlossen.

»Sie billigt die Heirat nicht!« flüsterte eine Stimme neben Vanelli. »Die kleine Komteß ist ihr nicht recht genug.«

Vanellis Kamera hielt die Gestalt der weißhaarigen Fürstin, die sich jetzt vor das Brautpaar schob, im Bild fest.

Francesca Marchesa Rossi! Sie hätte der Mann in der Familie sein müssen! durchfuhr es Vanelli.

Vielleicht hatte diese Frau nicht einmal so ganz unrecht, wenn sie die Wahl des einzigen Sohnes und Erben nicht billigte; denn diese Märchenprinzessin, deren grazile Gestalt fast zu zart schien, die schwere Schleppe des durch einen goldenen Gürtel gehaltenen Spitzenkleides zu tragen, war gewiß einem Mann wie dem Marchese Lorenzo nicht gewachsen. Playboy in St. Tropez, Playboy auf Hochseejachten, Gefährte flimmernder Filmstarlets…

Ja, das war er, der junge Ehemann dieser kindlichen Märchenprinzessin.

Vanelli stieß einen Ton des Mißbehagens aus. Und dies nicht nur, weil die Masse der Neugierigen sich jetzt nicht mehr zurückhalten ließ, die Treppenstufen völlig zu blockieren, und ihm den Blick versperrte.

Vanelli kannte die Welt, die große wie die kleine. Er kannte Wüsten und Weltmeere, Bergriesen und Dschungel.

Er prüfte langsam seine erhobene Kamera, die ihn seit Jahren überall dorthin begleitete, wo er seine Aktivität einsetzen konnte, die sich nicht damit begnügen mochte, seine unermeßlichen Besitzungen in Italien, der Schweiz und als Erbe einer deutschen Mutter auch in Deutschland zu verwalten. Dafür hatte er tüchtige und zuverlässige Angestellte, vor allem einen Jugendfreund.

»Nun, eines Tages wirst du dich doch mit der Verwaltung beschäftigen!« hatte Graf Edmondo geäußert. »Eine Frau macht es nicht mit, in der Tropenhitze zu schmoren oder sich in die Gefahren des Dschungels zu begeben.«

»Vorab gibt’s sowieso keine Frau!« hatte Vanelli behauptet.

Er liebte es, auf Safari zu gehen, er liebte jegliches Abenteuer, dem man keine Frau aussetzen konnte.

Er war ein Mann, von dem man überall sprach. Gewiß gab es auch ein paar Frauengeschichten. Mehr aber noch erzählte man sich von tollkühnen Bergbesteigungen, von seiner Fahrt mit einem Segelboot über den Ozean.

Archäologen suchten seine Gesellschaft als Fachmann. Keiner verstand sich auf die Elefanten wie er.

Und heute werde ich mir meine Sporen als Pressemitarbeiter verdienen!

Vanelli lachte plötzlich. Seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen konnten spöttisch dreinschauen, abweisend, interessiert. Aber sie besaßen auch den Ausdruck jener Großzügigkeit den Dingen des Lebens gegenüber, die sich nur Weltenbummler aneignen können.

»Hallo!« Er bahnte sich jetzt einen Weg durch die Menge. »Platz bitte!«

Er hatte den Auftrag, für ein internationales Herrenmagazin Fotos von dieser Märchenhochzeit des Jahres zu machen. Auf der Redaktion hatte man gelacht.

»Scherz beiseite, Vanelli!« hatte der mit ihm befreundete Redakteur gesagt. »So etwas eignet sich doch nicht für dich. Das ist etwas für Illustrierte. Schön in Farbe alles. Das herzige Bräutchen eingerahmt von duftenden Rosen. Süßer Kitsch.«

»Na und?« hatte Vanelli beinahe etwas gereizt gefragt. »Weshalb soll ich mich nicht auch mal an kitschiger Gesellschaftsreportage versuchen.«

»Hansdampf in allen Gassen!« hatte der Redakteur geknurrt, dem Freund dann aber den Auftrag gegeben, die Märchenhochzeit des Jahres zu fotografieren.

Und jetzt werden mir die Leute von Film und Tagespresse noch die Schau stehlen! dachte der Mann, während er sich kräftig durch die Menge der Neugierigen durchboxte.

Die Konkurrenz hatte fraglos eine bessere Ausgangsstellung gleich in der ersten Reihe. Etlichen war es sogar gelungen, die an sich gesperrten Stufen zum Eingang der Kapelle zu besetzen. Unmittelbar vor dem Brautpaar klickten die Auslöser.

Leute von der Wochenschau hatten sogar das Dach der Kapelle erstiegen, um neue Blickpunkte zu gewinnen.

Natürlich hatten sie vorher die berühmte Kapelle selber ins Bild gebannt. Sie gehörte zu den wenigen Kirchen im Tessin, die nicht katholisch waren, trotz ihrer künstlerischen Barockausgestaltung in einem Rausch aus Weiß und Gold und des berühmten pastellfarbenen Deckengemäldes, das den Himmel darstellte.

Die Rossis gehörten zu den wenigen großen Familien im Tessin, die durch verschiedene Einheiraten zur Reformationszeit sich noch heute zur reformierten Kirche bekannten.

»Hallo!«

Nun erhob sich Mario Vanellis Stimme so laut, daß er alles andere übertönte.

Ohne Widerstand zu finden, schob er sich jetzt an den günstigsten Platz, jenes Stück halb zerbrochener grauer Mauer auf halber Höhe der Eingangstreppen.

Er hob die Kamera, um das kindliche Gesicht der erst 17jährigen jungen Braut einzufangen, als ihre jetzt wieder erhobenen tiefgrauen Augen für die Länge eines Herzschlages den seinen begegneten.

In diesen grauen Augen stand trotz ihrer noch so unerfahrenen Jugend eine ganze Welt. Ja, mehr noch…

Mario Vanellis Hände mit der Kamera sanken herab. Liebe stand in diesen Augen, die große, einmalige Liebe, der ein Mann nur ein einziges Mal im Leben begegnet.

Liebe – zu wem?

Des Mannes Hände zitterten plötzlich. Eine ganz unmögliche Story! dachte er dann, während er sich bereits wieder mit der Kamera beschäftigte.

Armes Komteßchen heiratet reichen Playboy. Am Hochzeitstag verliebt sie sich in einen Pressefotografen!

Ja, so sah diese Story aus, die Vanelli an diesem verzauberten Maitag hoch über Lugano spann.

Das heißt, sie entsprach nicht den Tatsachen, denn die junge Braut verliebte sich nicht in den Pressefotografen, sondern dieser in sie.

Vanelli schalt sich einen alten Narren! Schließlich war er doch kein schwärmerisch veranlagter Jüngling mehr.

Aber soviel er auch über sich selbst spottete – er hatte sich verliebt, ja, viel mehr eigentlich.

Auf eine ihm selber unerklärliche Weise hatte ihn aus den tiefgrauen Augen der jungen Braut jenes Geheimnis getroffen, das man Liebe nennt, die einmalige große Liebe.

»Soll sie ihren Playboy ihr ganzes Leben lieben!« knurrte er wütend vor sich hin, während er sich einen neuen, noch günstigeren Platz suchte.

Plötzlich besaß er den Ehrgeiz, die besten Fotos von dieser Märchenhochzeit zu machen. Die Profis sollten vor Neid erblassen.

Murrten sie nicht schon? Empörten sie sich nicht?

»Haben Sie überhaupt eine Karte für einen Presseplatz?« erkundigte sich ein Carabinieri, den ein Reporter der Wochenschau auf die unliebsame Konkurrenz aufmerksam gemacht hatte.

Mario antwortete nicht. Er verließ die Steinstufen und schritt zu seinem schneeweißen Kabriolett.

Nichts, gar nichts kümmerte ihn mehr an diesem Tag, da über den grauen Steinen des Tessin die dunkelroten Rosen blühten, die Glyzinien wie Kaskaden von den Gartenmauern herabsprudelten, Flieder seinen betäubenden Duft verströmte.

Graue Augen, dunkelgraue Augen! Niemals würde er sie vergessen – sein ganzes Leben lang!

*

»Komisch! Habe ich wirklich solche Augen?« fragte Pia ein paar Wochen später.

Sie trug jetzt kein fließendes weißes Spitzenkleid mehr, sondern ein sehr schmal geschnittenes, im Empirestil hochgegürtetes Kleid, das ihre langen, etwas mageren Beine und einen Teil der Schenkel sehen ließ, wie die Mode es zur Zeit vorschrieb.

Sie wirkte wie ein Kind mit der im Nacken durch eine blaue Schleife zusammengehaltenen Lockenfülle.

Ein süßes Geschöpf! dachte der Marchese Lorenzo.

Ihre Hochzeitsreise hatte sie in die Ägäis geführt. Und immer war sie um ihn gewesen: Pia, dieses kinderjunge Geschöpf, dessen reine Keuschheit sich so seltsam und beinahe fremdartig abhob von all jenen Frauen, die Fürst Lorenzo schon gekannt hatte und an deren Gesellschaft er gewöhnt war.

Es war beinahe, als spräche man in diesem Kreis eine besondere Sprache, die Pia nicht kannte.

Fürst Lorenzo beugte sich hinab zu seiner jungen Frau, die alle Zeitungen und Zeitschriften durchblätterte, die das Ereignis ihrer Hochzeit in Wort und Bild gewürdigt hatten. Einige Wochen war es nun schon her.

Im Tessin blühten keine Azaleen mehr und keine Tulpen. Oleander hatte seine kleinen Blüten aufgesteckt, weiß, zartrosa und tiefrot. Sie hoben sich ab von dem azurblauen Himmel, der sich seidig blähte wie ein kostbares Tuch.

Schön war es hier am Luganer See. Ein Paradies! Pias dunkle graue Augen hoben sich jetzt von der Zeitschrift.

Sie war glücklich, oh, wie glücklich!

Der Marchese di Rossi sah in dieses süße Antlitz, das er damals so begehrt hatte, als er Pia erstmalig begegnet war. Es war auf einem Frühlingsfest gewesen. Internatsschülerinnen, die in die Gesellschaft eingeführt werden sollten, waren zu diesem Fest des Fürsten Gonzaga geladen. Und mitten zwischen den sehr unfertigen Gänschen, die sich täppisch und unbeholfen wie eben Internatsschülerinnen benahmen, bewegte sich dieses bezaubernde, grazile Geschöpf: Komteß Pia.

Ja, er verliebte sich auf den ersten Blick in sie. Seine Leidenschaft entbrannte. Er erfuhr, daß der Weg zu Pia di Stampa allein über die Ehe führte. Da machte er seinen Antrag bei Pias Onkel.

Zum erstenmal hatte Fürst Lorenzo gegen seine Mutter aufbegehrt.

»Ich bin verliebt in sie. Ich will sie zur Frau!« Das war alles gewesen, was er damals geäußert hatte.

Marchesa Francesca hatte die Augen fest zusammengekniffen. Sie wußte, daß sie in diesem Fall ihren Willen nicht durchsetzen konnte.

Nun gut, die Kleine war blendend erzogen, stellte keine Ansprüche, da sie mittellos war und in einem strengen Internat herangewachsen war, in dem ausschließlich arme Waisen der oberen Zehntausend darauf gedrillt wurden, einmal gehorsame Ehefrauen zu werden.

Das Geschlecht der Rossis würde in ihr eine annehmbare Stammutter finden. In dieser Idee gipfelten alle Wünsche der alten Marchesa Rossi, nachdem sie das Unvermeidliche geschluckt hatte.

Pia wußte von alldem nichts.

An diesem späten Septembertag, an dem der Marchese di Rossi sich beim Betrachten der Hochezitsberichte dicht über sie beugte, hörte sie allein die im Erdgeschoß schluchzenden Geigen, dann eine Combo.

Zur Rückkehr des jungen Paares veranstaltete man in der Villa Favorita eine Party, zu der alle geladen waren, die der Marchese kannte.

»Engel!« flüsterte der Mann mit der betörend dunklen Stimme. »Engel, leg die Zeitungen weg. Das Leben besteht nicht aus Zeitungsberichten und Fotos, so schön sie sein mögen. Das Leben…«

Pia aber hob die grauen Augen auf zu dem Mann, den sie so sehr liebte, denn man hatte sie gelehrt, daß der Mann, der sie zum Traualtar führte, die ganz große Liebe sein mußte.

Oh, und mußte man Lorenzo nicht lieben?

Pias Lippen bebten, während sie ihr zartes, sehr schmales und noch unfertiges Antlitz dem Mann entgegenhob.

»Weißt du, mir sind alle Illustrierten und Zeitungen gleich«, entgegnete sie. »Aber dies Bild hier ist so ganz anders. Kennst du den Reporter?«

Der Marchese neigte sich über die Schulter seiner jungen Frau über die Bildseite.

»Kein Name! Nein, mein Engel, ich kenne diesen Reporter nicht. Es bedeutet ja aber auch nichts.«

Die junge Marchesa di Rossi aber starrte noch immer ganz versunken auf dieses Foto, das sich von allen anderen Aufnahmen wesentlich unterschied.

Ja, war sie es überhaupt?

Sie hob den Blick und schaute in den goldgerahmten Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Und plötzlich begegnete sie auch hier ihren eigenen Augen.

Pia schrak zusammen. Wie jedes junge Mädchen hatte sie in den Spiegel gesehen, um das Haar zu ordnen, ein wenig Lippenstift aufzutragen.

Der Spiegel hatte ihr bestätigt, daß sie ein hübsches Mädchen sei – das Wort »schön« hatte sich bei ihr niemals eingeschlichen –, sie hatte sich darüber gefreut wie ein Kind.

Und nun sah sie in diese Augen, die denen des Bildes auf dem Magazin verwandt waren, Augen, wie sie ihr bisher unbekannt gewesen waren.

Sie kannte sich in diesem Blick selber nicht mehr aus. Sie wußte nur eins: der Reporter, der sie fotografiert hatte, hatte sie besser erkannt als sie sich selber.

»Lorenzo…« Sie zögerte, als wolle sie noch etwas hinzufügen.

Lorenzo Marchese Rossi aber wurde ungeduldig.

»Leg den ganzen Papierwust weg, mein Engel!« verlangte er. »Komm, küß mich!«

Pia aber hob ihren Mund nicht dem Mann entgegen.

War es nicht auf der ganzen Hochzeitsreise immer so gewesen, wenn sie nach etwas fragte, daß sie nie Auskunft erhalten hatte? Die Reise im Flugzeug, die Kreuzfahrt mit einer Jacht – alles glitt wie in einem Traum an ihr vorüber, die Gestade, die Meere, die Berge.

Wenn man glücklich ist, braucht man nicht zu wissen, wie die Ufer und Flüsse heißen! hatte Lorenzo gelacht.

Ja, und dann hatte er immer jenes kleine Lied vom Engel gesungen.

»Ein Engel fragt nicht, ein Engel kennt nur Liebe.«

Pia starrte noch immer in die Spiegel, in ihre eigenen Augen, die ihr plötzlich auf eine seltsame Weise bewußt wurden.

Lorenzo war ans Fenster getreten, nachdem sie ihn nicht geküßt hatte.

Er beobachtete die Auffahrt der Gäste, die heute hier am See in der Sommerresidenz der Rossis eine Party aus Anlaß der Rückkehr des jungen Paares feiern wollten.

»Oh, sieh nur mal, wie kurz Marfaldas Rock ist! Na, die ganze Bande aus St. Tropez hat sich allem Anschein nach eingestellt.«

Und plötzlich sang der Marchese Lorenzo dieses Liedchen vom Engel und der Liebe.

Pia aber war es, als meine er nicht sie mit dem Engel.

Ihr war, als sei eine Kluft zwischen ihr und dem Mann entstanden, den sie mit ihren siebzehn Jahren einfach anbetete.

Wer war schöner, reicher, weltgewandter als Lorenzo di Rossi?

Alle Freundinnen hatten sie beneidet. Und – Pia gestand es sich jetzt vor dem Spiegelbild ihrer grauen Augen ein – sie, die sonst immer zurückgesetzte Waise, hatte sich geschmeichelt gefühlt. Ihre Eitelkeit schien befriedigt.