Das Klare Licht der Glückseligkeit - Geshe Kelsang Gyatso - E-Book

Das Klare Licht der Glückseligkeit E-Book

Geshe Kelsang Gyatso

0,0

Beschreibung

In uns allen liegt eine Quelle der grenzenlosen Glückseligkeit, der Klarheit, der Weisheit und des Mitgefühls für andere. In diesem einzigartigen und hochgelobten Buch, das auf Buddhas tantrischen Unterweisungen basiert, stellt der zeitgenössische buddhistische Meister Geshe Kelsang Gyatso authentische Methoden vor, wie wir selbst diesen inneren Reichtum entdecken können. In klarer und präziser Weise erklärt er Schritt für Schritt, wie wir einen zutiefst friedvollen und konzentrierten Geist erzeugen können, indem wir uns das subtile Energiesystem in unserem Körper zunutze machen. Mit diesem glückseligen Gewahrsein können wir unsere wahre Natur ergründen, Unwissenheit und Leid samt seiner Wurzel zerstören und schnell zu einer Quelle der Inspiration und des Nutzens für andere werden. Das Klare Licht der Glückseligkeit ist ein tantrisches Meditationshandbuch, das die tiefsten Geheimnisse der alten Yogis enthüllt und ihre glückselige Erfahrung der modernen Welt zugänglich macht. "Das höchste aller möglichen menschlichen Ziele ist die Erlangung der vollständigen Erleuchtung, eines endgültigen Zustandes des Friedens, in dem alle Behinderungen, die den Geist verdunkeln, entfernt worden sind und in dem alle guten Qualitäten wie Weisheit, Mitgefühl und geschickte Mittel voll entwickelt sind." Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 397

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Von Geshe Kelsang Gyatso sind folgende Bücher im Tharpa Verlag erschienen:

Allumfassendes Mitgefühl

Einführung in den Buddhismus

Das Meditationshandbuch

Herzjuwel

Das Herz der Weisheit

Den Geist verstehen

Freudvoller Weg

Sinnvoll zu betrachten

Acht Schritte zum Glück

Verwandle dein Leben

von Shantideva:

GESHE KELSANG GYATSO

Das Klare Licht der Glückseligkeit

DIE PRAXIS DES MAHAMUDRAS IM VAJRAYANA-BUDDHISMUS

Originaltitel: 

Clear Light of Bliss

© 2004 Deutsche Übersetzung

Geshe Kelsang Gyatso und Neue Kadampa-Tradition

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 

Jede Reproduktion ist unzulässig, außer zur Verwendung kurzer Passagen für privates Studium, Forschung und Buchbesprechungen.

Herausgeber:

Tharpa Verlag, Zürich 

Übersetzung: Dr. Hans Müller, Andrea Schumacher

Umschlagbild: Buddha Vajradhara von Chating Jamang Lama

Federzeichnungen: Gen Kelsang Wangmo

Foto Geshe Kelsang Gyatsos: Kathia Rabelo.

Satz: Tharpa Verlag 

ISBN 978-3-908543-19-3

ISBN ePub: 978-3-9xxxxx-xx-x

ISBN Kindle: 978-3-9xxxxx-xx-x

Inhaltsverzeichnis
Illustrationen
Vorwort
Danksagung
Vorwort des Autors
Einführung und Vorbereitungen
Eine Einführung in die allgemeinen Pfade
Die Quelle der Überlieferungslinie, aus der diese Anweisungen abgeleitet wurden
Die eigentliche Erklärung der Anweisungen, die diese Überlieferungslinie besitzen
Kanäle, Winde und Tropfen
Wie das Mahamudra praktiziert wird, das die Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit ist
Inneres Feuer
Wie über Inneres Feuer (Tummo) in acht Stufen meditiert wird
Klares Licht und die vier Freuden
Die neun Mischungen und die zwei Mudras
Eine Erklärung der Mischungen während des Wachzustandes
Eine Erklärung der Mischungen während des Schlafes
Eine Erklärung der Mischungen während des Todes
Die Durchdringung der genauen Punkte des Körpers von jemand anderem
Einführung in die Natur des Geistes
Wie eine direkte Realisation der Leerheit von Ruhigem Verweilen abhängt
Die außergewöhnliche Erklärung, wie man über Ruhiges Verweilen meditiert
Ruhiges Verweilen
Wie man sich mittels allgemeiner Achtsamkeit schult
Wie man sich mittels besonderer Achtsamkeiten schult
Wie man sich mittels der sechs Methoden, den Geist ruhig zu stellen, schult
Meditation über Leerheit
Wie man über die Selbstlosigkeit von Personen meditiert
Wie man über die Selbstlosigkeit von Phänomenen meditiert
Diejenigen, die ein fehlerloses Verständnis der endgültigen Sicht sowohl von Sutra als auch von Tantra wünschen, von der Notwendigkeit überzeugen, Nagarjunas Urtext über den Mittleren Weg und seine Kommentare anzuhören, darüber nachzudenken und zu meditieren
Illusorischer Körper
Klares Licht und Vereinigung
Eine Erklärung der Methode, es zu entwickeln
Wie es entwickelt wird, indem man sich auf diese Methode verläßt
Der Grund, warum dieses Klare Licht allein als direktes Gegenmittel sowohl gegen intellektuell gebildete als auch angeborene Verblendungen wirkt
Die eigentliche Erklärung des Mahamudras, das die Vereinigung der zwei Wahrheiten ist
Resultierendes Mahamudra
Der Ort, an dem Buddhaschaft erlangt wird
Die Grundlage, auf der Buddhaschaft erlangt wird
Die Art und Weise, wie Buddhaschaft erlangt wird
Die guten Qualitäten eines Buddhas
Eine Erklärung der Beziehungen der fortlaufenden und umgekehrten Folge
Die abschließenden Stufen
Widmung
Anhang I - Die Zusammenfassung der Bedeutung des Textes
Anhang II - Sadhanas
Bittgebete an die Gurus der Mahamudra-Überlieferungslinie
Der schnelle Pfad
Anhang III - Die visualisierten Buchstaben
Glossar
Bibliographie
Bücher
Sadhanas und andere Broschüren
Die Studienprogramme des Kadampa-Buddhismus
Allgemeines Programm
Grundlagenprogramm
Lehrerausbildungsprogramm

Illustrationen

Vajradhara

Manjushri

Je Tsongkhapa

Togdän Jampäl Gyatso

Baso Chökyi Gyaltsän

Drubchen Dharmavajra

Gyalwa Ensäpa

Khädrub Sangye Yeshe

Panchen Losang Chökyi Gyaltsän

Drubchen Gendun Gyaltsän

Drungpa Tsöndru Gyaltsän

Könchog Gyaltsän

Panchen Losang Yeshe

Losang Trinlay

Drubwang Losang Namgyal

Kachen Yeshe Gyaltsän

Phurchog Ngawang Jampa

Panchen Palden Yeshe

Khädrub Ngawang Dorje

Ngulchu Dharmabhadra

Yangchän Drubpay Dorje

Khädrub Tendzin Tsöndru

Dorjechang Phabongkha Trinlay Gyatso

Yongdzin Dorjechang Losang Yeshe

Vorwort

OM Glückseligkeit und Vorzüglichkeit

Mit großem Respekt und Hingabe verlasse ich mich auf Losang Dragpa,

Der allein die kostbaren Augen für zahllose Wandernde ist, 

Eine Manifestation der Weisheit zahlloser allwissender Buddhas, 

Und Halter von drei makellosen Gruppen von Gelübden.

Dieser ausgezeichnete Kommentar zum freudigen Mahamudra, 

Der abgeleitet wurde, indem die Essenz des Ozeans der tantrischen Schriften gewonnen wurde, 

Der dem Herzen dieses allerkostbarsten Spirituellen Meisters entsprungen ist,

Wird mit einem reinen Wunsch veröffentlicht, den Wandernden zu nützen.

Mögen durch die Veröffentlichung alle drei Welten 

Mit dem unendlichen Nutzen von Glück verschönert werden, 

Der durch die ausgezeichneten, makellosen Unterweisungen und Übungen von Losang Dragpa entsteht, 

Dessen schatzgleiche Tradition des Eroberers einem wunscherfüllenden Juwel gleicht.

Mögen alle Wesen und Gemeinschaften, die dem Buddhadharma folgen, für eine lange Zeit verbleiben und mögen ihre Aktivitäten wachsen;

Mögen alle Mitglieder des Sanghas reine Disziplin halten und ihre nützlichen Handlungen vermehren,

Mögen alle Krankheiten, Kriege, Hungersnöte und Leiden befriedet sein;

Und mögen alle in dieser Welt Glück und Freude genießen.

Mögen alle Wesen des ganzen Raumes in all ihren Leben

Niemals von kostbaren Spirituellen Meistern getrennt sein.

Möge alle Vorzüglichkeit wie der zunehmende Mond in Übereinstimmung mit dem Dharma anwachsen,

Und mögen alle schnell die endgültige Erleuchtung Vajradharas erlangen.

Es freut mich sehr zu erfahren, daß der Ehrwürdige Geshe Kelsang Gyatso ausführliche Unterweisungen über das Geheime Mantra gegeben hat, die auf den großartigen Abhandlungen des Beschützers Manjushri Je Tsongkhapa und auf anderen authentischen Kommentaren über Mahamudra, einschließlich des Urtextes des ersten Panchen Lama, basieren.

Mögen diese Unterweisungen, die ursprünglich im Manjushri-Zentrum in England gegeben wurden und jetzt in diesem Buch Das Klare Licht der Glückseligkeit verfügbar sind, eine Quelle großen Glücks und unermeßlichen Nutzens für alle Menschen dieser Welt sein.

Möge Tugend und Vorzüglichkeit anwachsen.

Yongdzin Ling Rinpoche

Danksagung

1980 gab Geshe Kelsang Gyatso Rinpoche den von Glück begünstigten Schülern des Manjushri-Zentrums in Ulverston, England, einen ausführlichen Kommentar zum Vajrayana-Mahamudra. Wir beten, daß wir auf bescheidene Weise beginnen können, die unermeßliche Güte unseres kostbarsten Spirituellen Meisters und Vajra-Meisters zu erwidern, indem wir diese nektargleichen Unterweisungen studieren und versuchen, sie aufrichtig in die Praxis umzusetzen.

Geshe Kelsang begnügte sich nicht nur damit, die Unterweisungen zu geben, sondern arbeitete in seiner unermeßlichen Güte eng mit seinem Übersetzer und einem Team von Herausgebern zusammen, um die Aufzeichnungen unter dem Titel Das Klare Licht der Glückseligkeit für die Veröffentlichung vorzubereiten. Für dieses unvergleichliche Buch - noch nie hat es etwas Ähnliches in dieser Welt gegeben - bringen wir dem Autor unsere tiefempfundene Dankbarkeit dar.

Unser Dank geht auch an all die engagierten und erfahrenen Dharma-Schüler, die dem Autor mit der Wiedergabe ins Englische geholfen und die das Manuskript für die Veröffentlichung vorbereitet haben.

Roy Tyson 

Administrativer Direktor Manjushri Centre 

Mai 1992

Vorwort des Autors

Ich habe dieses Buch in erster Linie für westliche Dharma-Praktizierende geschrieben, in der Hoffnung, daß es sich indirekt für alle Lebewesen als nützlich erweisen wird.

Ich habe es verfaßt, indem ich ihm meine geringe Erfahrung zugrunde legte, die ich durch die Güte meines heiligen Spirituellen Meisters gewonnen habe, von dem ich Unterweisungen über die Erzeugungsstufe und die Vollendungsstufe des Geheimen Mantras empfangen habe. Zusätzlich habe ich Material aus Je Tsongkhapas Lampe, die die fünf Stufen gründlich erhellt - die Quintessenz der tantrischen Unterweisungen Je Tsongkhapas - und auch aus Je Tsongkhapas Kommentar zu den sechs Yogas von Naropa benutzt. Ich habe außerdem den Urtext des ersten Panchen Lama über Mahamudra Der Hauptpfad der Eroberer und den Autokommentar dazu Lampe der Wiedererhellung sowie Mahamudra-Texte von Kachen Yeshe Gyaltsän und Keutsang sowie viele andere authentische Werke über das Geheime Mantra hinzugezogen. Weil ich die Unterweisungen solch großer Lehrer integriert habe, gibt es Grund zur Hoffnung, daß dieses gegenwärtige Buch von beträchtlichem Nutzen sein wird.

Um reine Realisationen des Mahamudras zu erlangen, reicht es nicht, diese Anweisungen nur zu lesen. Zuerst müssen wir uns in den Stufen des Pfades schulen, die sowohl Sutra als auch Tantra gemeinsam sind, indem wir uns auf Texte wie Freudvoller Weg verlassen, und wir müssen die verschiedenen Vorbereitungen praktizieren, um Hindernisse zu beseitigen und Verdienste anzusammeln. Haben wir einmal etwas Erfahrung in Entsagung, Bodhichitta und Leerheit realisierender Weisheit gewonnen, sollten wir eine Höchste Yoga-Tantra Ermächtigung von einem qualifizierten Spirituellen Meister empfangen und dann danach streben, unsere Gelübde und Verpflichtungen rein einzuhalten. Daraufhin sollten wir uns in den Übungen der Erzeugungsstufe schulen und sollten, haben wir einmal etwas Erfahrung auf diesem Gebiet, einen qualifizierten Vajra-Meister bitten, uns Anweisungen über Vajrayana-Mahamudra zu geben. Wenn wir dann diese Anweisungen mit Vertrauen und Weisheit in die Praxis umsetzen, werden wir mit Sicherheit die Realisation der Vereinigung des Mahamudras erreichen.

Die großen Meister aller Traditionen des tibetischen Buddhismus haben betont, wie wichtig es ist, diese vorbereitenden Übungen auszuführen und eine makellose Motivation zu erzeugen, ehe wir versuchen, Vajrayana-Mahamudra zu praktizieren. Es ist äußerst wichtig, daß wir diese Übungen nicht mit einer unreinen Motivation wie dem Wunsch nach persönlichem Gewinn, einem guten Ruf und ähnlichem ausüben. Denn wie der Eroberer Vajradhara in den Tantras warnte, werden die Konsequenzen solcher Handlungen nur Leiden sein - Krankheit zum Beispiel oder ein kurzes Leben, geistige Verdunkelung oder eine Wiedergeburt in den niederen Bereichen. Deshalb sollten wir von Anfang an eine reine Bodhichitta-Motivation erzeugen und die Übungen des Vajrayana-Mahamudras mit der Absicht ausführen, ein Buddha zum Wohle aller Lebewesen zu werden.

Geshe Kelsang Gyatso, 

Manjushri Centre 

1982

Einführung und Vorbereitungen

Es freut mich sehr, diese Gelegenheit zu haben, die Methode für die Praxis von Vajrayana Mahamudra gemäß der Mahayana-Tradition zu erklären. Diese Erklärung wird unter drei Hauptüberschriften gegeben:

1. Eine Einführung in die allgemeinen Pfade

2. Die Quelle der Überlieferungslinie, aus der diese Anweisungen abgeleitet wurden

3. Die eigentliche Erklärung der Anweisungen, die diese Überlieferungslinie besitzen

EINE EINFÜHRUNG IN DIE ALLGEMEINEN PFADE 

Im Leitfaden für die Lebensweise eines Bodhisattvas sagt Shantideva:

Indem wir uns auf diese bootsähnliche menschliche Form verlassen,

Können wie den großen Ozean des Leidens überqueren.

Da es schwierig sein wird, erneut ein solches Gefäß zu finden,

Ist dies nicht die Zeit zu schlafen, du Dummkopf!

Samsara ist wie ein weiter Ozean, denn so wie aus dem Ozean Wellen entstehen, entsteht Leiden aus der Wiedergeburt in Samsara. Im Moment besitzen wir einen wertvollen menschlichen Körper, der das beste Gefährt ist, um diesen gefährlichen Ozean Samsaras zu überqueren. Wenn wir dieses kostbare Leben verschwenden würden, ohne den vollen Nutzen daraus zu ziehen, wären wir sehr dumm. Wir wären wie der Abenteurer, der eine lange Zeit darauf warten mußte, ein Boot zu finden, das ihn auf eine Schatzinsel brachte, der aber, nachdem er schließlich ein Boot gefunden hatte, einschlief, anstatt sofortigen Nutzen daraus zu ziehen. Wie dumm muß er sich vorgekommen sein, als er aufwachte und entdeckte, daß das lang ersehnte Gefährt weggetrieben worden war und er immer noch keine Möglichkeit besaß, zur Insel zu gelangen! Zur Zeit haben wir einen menschlichen Körper, der uns zur Insel der vollen Erleuchtung oder Buddhaschaft bringen kann. Es wäre wirklich tragisch, wenn wir diesen Körper mit den bedeutungslosen Aktivitäten dieses Lebens verschwenden würden, anstatt Nutzen daraus zu ziehen. Es wird nicht leicht sein, in der Zukunft erneut eine Gelegenheit wie diese zu finden.

Das höchste aller möglichen menschlichen Ziele ist die Erlangung der vollständigen Erleuchtung, eines endgültigen Zustandes des Friedens, in dem alle Behinderungen, die den Geist verdunkeln, entfernt worden sind und in dem alle guten Qualitäten wie Weisheit, Mitgefühl und geschickte Mittel voll entwickelt sind. Dieses endgültige Ziel können wir jedoch nicht erreichen, indem wir bloß darauf warten; wir müssen die angemessenen Methoden anwenden, die uns dorthin bringen.

Welches sind die Methoden, mit denen man den Frieden der vollen Erleuchtung erlangt? Es sind die Pfade von Sutra und Geheimem Mantra; es gibt keine dritte Methode. Von diesen beiden sind die Techniken, die im Geheimen Mantra enthüllt werden, denjenigen überlegen, die in den Sutras enthüllt werden. Das Geheime Mantra ist nicht nur der höchste Pfad zur vollen Erleuchtung, es ist auch äußerst selten. Wie Je Tsongkhapa sagte, sind die Unterweisungen des Geheimen Mantras sogar seltener als die Buddhas, denn nur der vierte (Buddha Shakyamuni), der elfte und der letzte der tausend Gründer-Buddhas, die während dieses glücklichen Äons erscheinen werden, werden die Pfade des Geheimen Mantras lehren.

Im Moment haben wir eine großartige Gelegenheit, diese seltenen und nützlichen Unterweisungen zu praktizieren. Deshalb ist es wichtig, daß wir eine starke Absicht entwickeln, sie rein zu praktizieren. Wenn die Mahayana-Unterweisungen aus dieser Welt verschwinden würden, hätten wir keine Gelegenheit, ein Buddha zu werden. Deshalb sollten wir uns diesen kostbaren Unterweisungen gewissenhaft widmen und versuchen, etwas Erfahrung damit zu gewinnen, solange wir noch Zugang haben.

Die Etymologie von Geheimem Mantra ist wie folgt: «Geheim» weist darauf hin, daß diese Methoden diskret praktiziert werden sollten. Wenn wir unsere Übungen zur Schau stellen, werden wir viele Behinderungen und negative Kräfte anziehen. Wir wären wie jemand, der offen und unbesonnen über ein kostbares Juwel in seinem Besitz spricht und dadurch die Aufmerksamkeit von Dieben auf sich zieht. «Mantra» bedeutet «Schutz für den Geist». Die Funktion des Geheimen Mantras ist es, uns zu ermöglichen, schnell auf den Stufen des spirituellen Pfades voranzuschreiten, indem wir unseren Geist vor gewöhnlichen Erscheinungen und gewöhnlichen Vorstellungen schützen.

Die Übungen und die Schriften des Geheimen Mantras werden auch das «Vajrayana» genannt. Hier bedeutet «Vajra» unzerstörbar, und «yana» bedeutet Fahrzeug. In diesem Zusammenhang bezieht sich «Vajra» auf die Unteilbarkeit von Methode und Weisheit, wobei die Methode Spontane Große Glückseligkeit und die Weisheit das fehlerlose Verständnis von Leerheit ist. Die Methode ist die Ursache für den Formkörper eines Buddhas, und die Weisheit ist die Ursache für den Wahrheitskörper. Die Vereinigung von Methode und Weisheit, die die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Leerheit ist, gibt es nur im Geheimen Mantra. Sie ist der schnellste Weg, die zwei Körper eines Buddhas zu erlangen.

Je Tsongkhapa erklärte, daß eine authentische Praxis des Geheimen Mantras vier Merkmale besitzen muß, die als die «vier vollständigen Reinheiten» bekannt sind. Diese sind: vollständige Reinheit des Ortes, vollständige Reinheit des Körpers, vollständige Reinheit der Vergnügen und vollständige Reinheit der Taten. Die Praxis dieser vier vollständigen Reinheiten wird in den Sutra-Unterweisungen nicht enthüllt, sondern kann nur im Geheimen Mantra gefunden werden. Das Geheime Mantra unterscheidet sich von Sutra durch die Praxis, das zukünftige Resultat in den gegenwärtigen Pfad einzubringen. Obwohl wir noch nicht Erleuchtung erlangt haben, versuchen wir beispielsweise, wenn wir Geheimes Mantra praktizieren, gewöhnliche Erscheinungen und Vorstellungen zu vermeiden und statt dessen unsere Umgebung als das Mandala einer Gottheit zu visualisieren. Auf die gleiche Weise vermeiden wir die gewöhnliche Erscheinung unseres Körpers, unserer Vergnügen und unserer Taten und erzeugen uns an ihrer Stelle als Gottheit, visualisieren unsere Vergnügen als die eines Buddhas und praktizieren das Ausführen erleuchteter Taten. Durch solche Übungen können wir den resultierenden Zustand der Buddhaschaft sehr rasch erlangen. Diese vier Übungen sind sowohl für die Erzeugungsstufe als auch für die Vollendungsstufe des Geheimen Mantras wesentlich und bilden somit die Grundlage für die in diesem Buch dargelegten Unterweisungen, wie zum Beispiel die Anweisungen über Inneres Feuer (Tib. Tummo).

Das Geheime Mantra hat vier Ebenen: Handlungs-Tantra, Ausführungs-Tantra, Yoga-Tantra und Höchstes Yoga-Tantra. Handlungs-Tantra betont in erster Linie äußere Handlungen, Ausführungs-Tantra betont äußere und innere Handlungen gleich stark, Yoga-Tantra betont vor allem innere Handlungen und Höchstes Yoga-Tantra ist die höchste Klasse des Tantras.

Alle vier Ebenen des Geheimen Mantras wandeln große Glückseligkeit in den spirituellen Pfad um, aber die Methoden der Umwandlung unterscheiden sich jeweils gemäß der Ebene, die praktiziert wird. Im Handlungs-Tantra erzeugt der Meditierende Glückseligkeit, indem er eine visualisierte Göttin anschaut und dann diese Glückseligkeit in den Pfad umwandelt. Im Ausführungs-Tantra erzeugt der Meditierende Glückseligkeit, indem er selbst und die Göttin sich anlächeln, und im Yoga-Tantra, indem er ihre Hand hält und so fort. Im Höchsten Yoga-Tantra erzeugt der Meditierende Große Glückseligkeit, indem er sich die sexuelle Vereinigung mit einer Gefährtin vorstellt, und in fortgeschrittenen Stufen, indem er die tatsächliche Vereinigung ausführt, und dann wandelt er diese Glückseligkeit in den spirituellen Pfad um. Es sollte jedoch beachtet werden, daß es sehr schwierig ist, Große Glückseligkeit als Methode zu benutzen, um Erleuchtung zu erlangen, und wir haben, wenn wir dazu fähig sind, tatsächlich eine großartige Erlangung erzielt. Wie der große Mahasiddha Saraha sagte: «Alle finden die sexuelle Vereinigung erregend, aber sehr wenige können diese Glückseligkeit in den spirituellen Pfad umwandeln.»

Generell wird im Buddhismus gelehrt, daß Anhaftung eine Verblendung ist, die vermieden und schließlich aufgegeben werden sollte, aber im Geheimen Mantra gibt es eine Methode, Anhaftung in den spirituellen Pfad umzuwandeln. Um diese Methode jedoch praktizieren zu können, müssen wir sehr geschickt sein. In dieser Praxis benutzen wir Anhaftung, um Große Glückseligkeit zu erzeugen und benutzen dann diesen Geist der Großen Glückseligkeit, um über Leerheit zu meditieren. Nur wenn wir dies tun können, ist es eine Umwandlung von Anhaftung. Anhaftung allein kann nicht direkt als ein Pfad benutzt werden, weil sie eine Verblendung ist, und sogar im Geheimen Mantra muß sie schließlich aufgegeben werden. In der authentischen Praxis des Geheimen Mantras meditiert die durch Anhaftung erzeugte Glückseligkeit über Leerheit und überwindet dadurch alle Verblendungen, einschließlich der Anhaftung selbst. Dies ist mit einem Feuer vergleichbar, das durch Aneinanderreiben von zwei Holzstücken erzeugt wird und schließlich das Holz vernichtet, aus dem es entstanden ist.

Für diejenigen, die ungeschickt sind oder deren Geist nicht geschult ist, sind solche Transformationsübungen unmöglich. Aus diesem Grund sagten die Yogis und die großen Meditierenden der Vergangenheit, daß man, um die Realisationen des Geheimen Mantras zu erlangen, zuerst den Geist durch die Schulung in den Stufen des Pfades von Sutra unter Kontrolle bringen sollte. Ohne dieses feste Fundament errichtet zu haben, ist es absolut unmöglich, eine reine Erfahrung des Geheimen Mantras zu erlangen.

Es kann sowohl für den Spirituellen Meister als auch für den Schüler oder die Schülerin gefährlich sein, diese Anweisungen des Geheimen Mantras zu enthüllen, wenn entweder der eine oder der andere nicht qualifiziert ist. Zumindest sollten beide eine angemessene Motivation haben. Ein Lehrer oder eine Lehrerin sollte diese Methode nur aus der großen mitfühlenden Absicht heraus enthüllen, den heiligen Dharma zum Wohle anderer zu verbreiten. Diese Methoden aus Anhaftung an das Glück dieses Lebens zu enthüllen - dem Wunsch nach Ruhm, nach Geschenken und so fort - wäre eine Ursache für eine Wiedergeburt in der tiefsten Hölle.

Es wäre auch gefährlich für den Schüler oder die Schülerin, die Ermächtigung und die Anweisungen des Geheimen Mantras zu empfangen, wenn er oder sie nicht danach strebt, die Gelübde und Verpflichtungen einzuhalten, wenn er oder sie nur ein Anwachsen des Ruhmes, des Besitzes und so fort wünscht, oder wenn er oder sie bloß Informationen für akademische Zwecke sammeln will. Alle diese oder ähnliche Formen weltlicher Motivation würden zu nichts anderem als zukünftigem Leiden führen.

Es ist deshalb sehr wichtig, daß sowohl der Spirituelle Meister als auch der Schüler oder die Schülerin einen kontrollierten Geist und eine makellose Motivation haben. Selbst wenn wir uns Buddhisten nennen und jeden Tag Zuflucht zu den Drei Juwelen nehmen, sind diese Qualifikationen allein ungenügend für die Praxis des Geheimen Mantras. Wir müssen außerdem die höchstmögliche Motivation erzeugen - den kostbaren Geist des Bodhichittas - und uns ausschließlich dem Wohle anderer widmen. Deshalb sollten wir jedesmal, wenn wir über das Geheime Mantra meditieren, damit beginnen, Bodhichitta zu erzeugen, während wir das folgende Gebet rezitieren:

Zum Wohle aller fühlenden Wesen

Werde ich den Nektar dieser Anweisungen trinken,

Damit ich innerhalb dieses Lebens Buddhaschaft erlangen möge

Durch den tiefgründigen Pfad des Geheimen Mantras.

Es folgt nun eine Einführung in Mahamudra im allgemeinen und zu diesem Text im besonderen. Mahamudra ist ein Sanskrit-Begriff und besteht aus zwei Teilen; «maha» bedeutet «groß» und «mudra» bedeutet «Siegel». Im Mahamudra-System von Sutra bezieht sich großes Siegel auf Leerheit. Im Sutra König der Konzentration sagt Buddha:

«Die Natur aller Phänomene ist das große Siegel.»

Hier bezieht sich «Natur» auf die endgültige Natur aller Phänomene, und diese ist ihre Leerheit oder ihr Fehlen von inhärenter Existenz. Diese Leerheit wir das «große Siegel» genannt, weil sich Phänomene nie vom Zustand des Fehlens von inhärenter Existenz entfernen. Generell machen alle Buddhisten vier Sichtweisen geltend:

(1) Alles Erzeugte ist unbeständig

(2) Alle verunreinigten Dinge sind von der Natur des Leidens

(3) Alle Phänomene sind selbstlos

(4) Nur Nirvana ist Frieden

Weil diese Sichtweisen unwiderlegbar sind, werden sie die «vier Siegel» genannt. Das dritte dieser Siegel ist als das «große Siegel» bekannt. Da Leerheit die Natur aller Phänomene ist, wird sie ein «Siegel» genannt, und da eine direkte Realisation von Leerheit uns befähigt, das große Ziel zu erreichen - die vollständige Befreiung von den Leiden Samsaras - wird sie auch «groß» genannt.

Im vorliegenden Text wird die Mahamudra-Meditation nicht gemäß dem System von Sutra erklärt, sondern gemäß der Vollendungsstufe des Höchsten Yoga-Tantras. In diesem System bezieht sich «groß» auf Spontane Große Glückseligkeit und «Siegel» auf Leerheit. Deshalb ist im Geheimen Mantra Mahamudra die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Leerheit.

Gemäß dem Geheimen Mantra ist Mahamudra in zwei Stufen unterteilt: in Ursache-Zeit-Mahamudra und Ergebnis-Zeit-Mahamudra. Ursache-Zeit ist die Zeit, die auf dem Pfad, der zur vollen Erleuchtung führt, aufgewendet wird, und deshalb ist Ursache-Zeit-Mahamudra das Mahamudra, das vor dem Erlangen der Buddhaschaft praktiziert wird. Ergebnis-Zeit-Mahamudra ist die Vereinigung des Nicht-mehr-Lernens, und das ist der eigentliche Zustand der Buddhaschaft.

Ursache-Zeit-Mahamudra ist in zwei aufeinanderfolgende Stufen unterteilt: das Mahamudra, das die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Leerheit ist, und das Mahamudra, das die Vereinigung der zwei Wahrheiten ist. Die erste Vereinigung findet statt, wenn der Subjekt-Geist von Spontaner Großer Glückseligkeit Leerheit als sein Objekt realisiert. Das Objekt, Leerheit, ist das gleiche in Sutra und Tantra; was anders ist, ist der Geist, der diese Leerheit realisiert. Es ist der Subjekt-Geist der Spontanen Großen Glückseligkeit, der die Überlegenheit der Geheimen-Mantra-Meditation gegenüber der Sutra-Meditation ausmacht. Leerheit mit dem Geist Spontaner Großer Glückseligkeit zu realisieren ist die schnellste Methode, volle Erleuchtung zu erlangen.

Es sollte beachtet werden, daß die Spontane Große Glückseligkeit der Vollendungsstufe des Geheimen Mantras nicht das gleiche ist wie das gewöhnliche Vergnügen, das auf dem Höhepunkt der sexuellen Vereinigung erfahren wird. Spontane Große Glückseligkeit wird nur erfahren, wenn wir durch die Kraft der Meditation bewirken, daß die Winde in den Zentralkanal eintreten, dort verweilen und sich darin auflösen, und daß als Ergebnis der weiße Tropfen schmilzt und durch den Zentralkanal fließt. Das Benutzen Spontaner Großer Glückseligkeit für die Realisation von Leerheit war die essentielle Herzpraxis der großen Meister des Geheimen Mantras im alten Indien, wie zum Beispiel Saraha, Nagarjuna, Tilopa, Naropa und Maitripa, und auch der großen tibetischen Meister wie Marpa, Milarepa, Gampopa und Je Tsongkhapa. Es ist auch heute noch so wie früher: der höchste Pfad zur vollkommenen Erleuchtung des Meditierenden des Geheimen Mantras ist die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Leerheit.

Die zweite Stufe des Ursache-Zeit-Mahamudras ist das Mahamudra, das die Vereinigung der zwei Wahrheiten ist, der konventionellen und der endgültigen Wahrheit. In diesem Zusammenhang ist der reine Illusorische Körper als konventionelle Wahrheit und das Sinn-Klare-Licht als endgültige Wahrheit bekannt. Das gleichzeitige Zusammenfügen dieser zwei Wahrheiten im Geisteskontinuum einer Person ist als das Mahamudra bekannt, das die Vereinigung der zwei Wahrheiten ist. Dieses Mahamudra ist die gereifte Frucht des Mahamudras, das die Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit ist. Das Ursache-Zeit-Mahamudra enthält deshalb sowohl eine Ursache als auch ein Ergebnis. Durch die Kraft der Vollendung dieses zweistufigen Ursache-Zeit-Mahamudras werden wir das Ergebnis-Zeit-Mahamudra oder die eigentliche Buddhaschaft erlangen, die die sieben herausragenden Qualitäten der Umarmung besitzt. Dies beschließt die Erklärung der allgemeinen Pfade des Geheimen Mantras.

DIE QUELLE DER ÜBERLIEFERUNGSLINIE, AUS DER DIESE ANWEISUNGEN ABGELEITET WURDEN

Alle Meditationen, die im vorliegenden Text enthalten sind, stammen von Eroberer Vajradhara und den großen Meistern des Geheimen Mantras des alten Indiens. Diese Techniken wurden von den indischen Meistern an die tibetischen Meister überliefert, und wurden in einer ungebrochenen Überlieferungslinie an die gegenwärtigen Lehrer weitergegeben, vom spirituellen Vater zum spirituellen Sohn.

Obschon Mahamudra-Meditationen von den alten indischen Meistern praktiziert wurden, ist das besondere System des Mahamudras, das hier dargestellt wird, eine «nahe» Überlieferungslinie, die vom Eroberer Vajradhara an den Weisheits-Buddha Manjushri vermittelt wurde, der sie wiederum direkt an Je Tsongkhapa weitergab. Somit war Je Tsongkhapa der erste menschliche Meister in dieser besonderen Überlieferungslinie.

Die Gurus der nahen Überlieferungslinie des Vajrayana-Mahamudras sind die folgenden:

Vajradhara

Manjushri

Je Tsongkhapa

Togdän Jampäl Gyatso

Baso Chökyi Gyaltsän

Drubchen Dharmavajra

Gyalwa Ensäpa

Khädrub Sangye Yeshe

Panchen Losang Chökyi Gyaltsän

Drubchen Gendun Gyaltsän

Drungpa Tsöndru Gyaltsän

Könchog Gyaltsän

Panchen Losang Yeshe

Losang Trinlay

Drubwang Losang Namgyal

Kachen Yeshe Gyaltsän

Phurchog Ngawang Jampa

Panchen Palden Yeshe

Khädrub Ngawang Dorje

Ngulchu Dharmabhadra

Yangchän Drubpay Dorje

Khädrub Tendzin Tsöndru

Dorjechang Phabongkha Trinlay Gyatso

Yongdzin Dorjechang Losang Yeshe

Dorjechang Kelsang Gyatso Rinpoche

In jüngster Zeit wurde diese Überlieferungslinie von Trinlay Gyatso gehalten, der besser bekannt ist als Phabongkha Rinpoche, eine Ausstrahlung der tantrischen Gottheit Heruka. Dieser große Lama war wie die Sonne des Dharmas, der die verborgene Bedeutung sowohl von Sutra als auch von Geheimem Mantra beleuchtete. Er übergab die Mahamudra-Überlieferungslinie an seinen Herzenssohn, Yongdzin Trijang Dorjechang, und durch die Güte und Autorität dieses heiligen Spirituellen Meisters erscheint der gegenwärtige Text.

Die Bittgebete an die Gurus der Mahamudra-Überlieferungslinie können im Anhang II gefunden werden. Wenn wir aufrichtig daran interessiert sind, die in diesem Buch erklärten Meditationen zu studieren und zu praktizieren, sollten wir die Segnungen der Mahamudra-Überlieferungslinien-Gurus empfangen, indem wir ein Mandala darbringen und dieses Gebet rezitieren. Da die erfolgreiche Praxis in hohem Maße von den Segnungen und Inspirationen der Spirituellen Meister abhängt, wird der weise Schüler diesen Rat nicht vernachlässigen.

DIE EIGENTLICHE ERKLÄRUNG DER ANWEISUNGEN, DIE DIESE ÜBERLIEFERUNGSLINIE BESITZEN

Diese Anweisungen werden unter drei Überschriften gegeben:

1. Die vorbereitenden Übungen

2. Die eigentliche Praxis

3. Die abschließenden Stufen

DIE VORBEREITENDEN ÜBUNGEN

Um die Übungen des Mahamudras erfolgreich auszuführen, müssen wir zwei Arten von Vorbereitungen vollenden:

1. Die allgemeinen vorbereitenden Übungen

2. Die außergewöhnlichen vorbereitenden Übungen

DIE ALLGEMEINEN VORBEREITENDEN ÜBUNGEN

Diese Übungen bereiten uns auf die fortgeschritteneren Techniken des Geheimen Mantras vor. Sie reinigen die verschiedenen Hindernisse und Verunreinigungen von Körper, Rede und Geist und beseitigen dadurch Behinderungen, die eine erfolgreiche Praxis stören würden. Sie dienen weiter dazu, einen Vorrat an positiver Energie oder Verdiensten zu erzeugen, und dadurch ist es möglich, daß Realisationen der fortgeschritteneren Übungen in unserem Geist reifen.

Dieser Vorgang der Reinigung und des Ansammelns von Verdiensten kann mit der Art und Weise verglichen werden, wie ein Bauer ein Feld zur Bebauung vorbereitet: Zuerst entfernt er die Steine und das Unkraut, die das Wachstum behindern, und dann nährt er den Boden mit Wasser, Dünger und so fort. Genau wie diese Vorkehrungen eine erfolgreiche Ernte garantieren, so garantiert die richtige Praxis der Vorbereitungen eine erfolgreiche Meditation des Geheimen Mantras.

Es gibt vier allgemeine Vorbereitungen:

1. Der Führer der Zufluchtnahme und des Erzeugens von Bodhichitta, das Tor zum Buddhadharma und zum Mahayana

2. Der Führer der Mandala-Darbringungen, das Tor zur Ansammlung von Verdiensten

3. Der Führer der Meditation und Rezitation des Vajrasattva, das Tor zur Reinigung von Negativität und Übertretungen

4. Der Führer des Guru-Yogas, das Tor zum Empfangen von Segnungen

Es würde zu weit führen, diese vier Vorbereitungen an dieser Stelle zu erklären. Wer ernsthaft an der Mahamudra-Praxis interessiert ist, sollte authentische Erklärungen dieser Formen der Praxis beiziehen, wie sie zum Beispiel in Führer ins Dakiniland enthalten sind, und diese Anweisungen gewissenhaft anwenden.

DIE AUSSERGEWÖHNLICHEN VORBEREITENDEN ÜBUNGEN

Wie bereits erwähnt, besteht die Meditation des Höchsten Yoga-Tantras aus zwei Teilen: der Erzeugungsstufe und der Vollendungsstufe. Die Techniken des Geheimen-Mantra-Mahamudras gehören zur Vollendungsstufe. Dieser gehen die verschiedenen Yogas der Erzeugungsstufe voran, die die außergewöhnlichen Vorbereitungen sind. Zu jeder Gottheit des Höchsten Yoga-Tantras gehört eine Praxis der Erzeugungsstufe. Eine ausführliche Erklärung dazu ist in Je Tsongkhapas Große Darlegung der Stufen des Pfades des Geheimen Mantras und in Khädrubjes Ozean der Erlangungen zu finden.

Die Erzeugungsstufe des Geheimen Mantras besteht nicht nur darin, sich selbst als eine bestimmte Gottheit zu erzeugen. Damit eine Praxis eine wirkliche Praxis der Erzeugungsstufe ist, müssen wir uns selbst als Gottheit erzeugen in Verbindung mit dem Yoga, die drei Körper in den Pfad zu bringen. Wenn wir Geheimes-Mantra-Mahamudra praktizieren wollen, aber die oben erwähnten Texte, in denen diese Yogas ausführlich erklärt werden, nicht studieren können, sollten wir zumindest kurze Anweisungen über die Erzeugungsstufe von einem qualifizierten tantrischen Meister erhalten. Um solche Anweisungen zu bekommen und sie zu praktizieren, müssen wir zuerst eine entsprechende Höchste-Yoga-Tantra-Ermächtigung empfangen.

Wenn wir zum Beispiel die Ermächtigung von Heruka erhalten haben, sollten wir die Erzeugungsstufe des Heruka-Tantras praktizieren, bevor wir Mahamudra ausüben. Wenn möglich sollten wir versuchen, die Erzeugungsstufe von Heruka gemäß dem Kommentar zu praktizieren, indem wir einem Sadhana wie Der schnelle Pfad folgen, das im Anhang II zu finden ist. Wenn dies nicht möglich ist, sollten wir zumindest versuchen, gemäß der folgenden, stark zusammengefaßten Methode zu praktizieren.

Wir beginnen, indem wir uns auf unser Meditationskissen setzen und dreimal rezitieren:

Auf ewig werde ich Zuflucht nehmen 

Zu Buddha, Dharma und Sangha. 

Zum Wohle aller Lebewesen 

Werde ich Heruka werden.

Dann visualisieren wir:

Alle Welten und ihre Bewohner schmelzen zu blauem Licht, das sich dann in mich auflöst. Mein Körper schmilzt gleichzeitig von unten und oben allmählich zu Licht und wird schrittweise kleiner und kleiner, bis er sich in den blauen Buchstaben HUM bei meinem Herzen auflöst. Der Buchstabe HUM löst sich dann schrittweise von unten her in das Nada auf. Schließlich verschwindet sogar das Nada, indem es sich in Klares-Licht-Leerheit auflöst.

Zu diesem Zeitpunkt denken wir mit tiefer Überzeugung, daß unser Geist und Herukas Geist ununterscheidbar vermischt sind wie Wasser gemischt mit Wasser. Wir richten uns auf diesen Klares-Licht-Wahrheitskörper und erzeugen göttlichen Stolz, indem wir denken:

Das bin ich; ich bin der Wahrheitskörper.

Das ist die kurze Meditation, den Tod in den Pfad des Wahrheitskörpers zu bringen. Sie hat in erster Linie die Funktion, gewöhnliche Erscheinungen zu vermeiden, den gewöhnlichen Tod zu reinigen, das Reifen des Klaren Lichtes der Vollendungsstufe zu bewirken und den Samen zur Vollendung des eigentlichen Wahrheitskörpers eines Buddhas zu säen. 

Jetzt visualisieren wir:

Aus dem Zustand der Leerheit des Wahrheitskörpers wandelt sich mein Geist augenblicklich um in einen kleinen Strahl blauen Lichtes so hoch wie ein Vorderarm. Er steht auf einem Sonnenkissen im Zentrum eines achtblättrigen mehrfarbigen Lotos.

Wir denken:

Jetzt bin ich der Freudenkörper geworden,

und wir entwickeln den göttlichen Stolz, der Freudenkörper zu sein. Dies ist die kurze Meditation, den Zwischenzustand in den Pfad des Freudenkörpers zu bringen. Sie hat in erster Linie die Funktion, den gewöhnlichen Zwischenzustand zu reinigen, das Reifen des Illusorischen Körpers der Vollendungsstufe zu bewirken und den Samen zur Vollendung des eigentlichen Freudenkörpers eines Buddhas zu säen. 

Wir fahren fort:

Augenblicklich wandelt sich mein Geist, in der Form eines blauen Lichtstrahls, in Heruka von blauer Farbe mit einem Gesicht und zwei Händen um, die einen Vajra und eine Glocke halten und Vajravarahi umarmen.

Wir denken:

Jetzt bin ich der Ausstrahlungskörper geworden,

und wir entwickeln den göttlichen Stolz, der Ausstrahlungskörper zu sein. Das ist die kurze Meditation, die Wiedergeburt in den Pfad des Ausstrahlungskörpers zu bringen. Sie hat in erster Linie die Funktion, gewöhnliche Wiedergeburt zu reinigen, die Übungen der Vollendungsstufe der Mischungen des Ausstrahlungskörpers zur Reife zu bringen und den Samen zur Vollendung des eigentlichen Ausstrahlungskörpers eines Buddhas zu säen. An dieser Stelle können wir über den Körper Herukas meditieren, oder wir können sein Mantra rezitieren. Wenn wir letzteres wählen, richten wir uns auf den Buchstaben HUM bei unserem Herzen und visualisieren das Mantra darum herum, während wir rezitieren.

Es gibt keine kürzere Praxis der Erzeugungsstufe als diese. Wir sollten die folgenden Mahamudra-Meditationen nur versuchen, wenn wir zumindest diese Praxis zuvor ausgeführt haben. Wenn wir eine andere persönliche Gottheit haben, wie Vajrayogini oder Yamantaka, können wir diese zusammengefaßte Praxis der Erzeugungsstufe auch ausführen, indem wir die entsprechenden Änderungen in bezug auf die Gottheit, die Farben, die Insignien und so fort vornehmen.

Kanäle, Winde und Tropfen

DIE EIGENTLICHE PRAXIS

Wie in der Einführung in die allgemeinen Pfade des Geheimen Mantras erklärt wurde, enthält die Praxis des Mahamudras drei Teile:

1. Wie das Mahamudra praktiziert wird, das die Vereinigung von Glückseligkeit und Leerheit ist

2. Wie das Mahamudra praktiziert wird, das die Vereinigung der zwei Wahrheiten ist

3. Wie das Mahamudra vollendet wird, das die resultierende Vereinigung des Nicht-mehr-Lernens ist, der Zustand, der die sieben herausragenden Qualitäten der Umarmung besitzt

WIE DAS MAHAMUDRA PRAKTIZIERT WIRD, DAS DIE VEREINIGUNG VON GLÜCKSELIGKEIT UND LEERHEIT IST

Diese erste Übung des Ursache-Zeit-Mahamudras wird in zwei Teilen dargestellt:

1. Eine Erklärung der Methode, den Objekt-Besitzer, Spontane Große Glückseligkeit, zu erzeugen

2. Eine Erklärung der Methode, das Objekt, Leerheit, korrekt zu realisieren

EINE ERKLÄRUNG DER METHODE, DEN OBJEKT-BESITZER, SPONTANE GROSSE GLÜCKSELIGKEIT, ZU ERZEUGEN

An der Erzeugung Spontaner Großer Glückseligkeit sind zwei Methoden beteiligt:

1. Die Durchdringung der genauen Punkte des eigenen Körpers

2. Die Durchdringung der genauen Punkte des Körpers von jemand anderem

DIE DURCHDRINGUNG DER GENAUEN PUNKTE DES EIGENEN KÖRPERS

Dieses Thema ist in vier Teile gegliedert:

1. Die zehn Tore identifizieren, durch die die Winde in den Zentralkanal gelangen können

2. Der Grund, warum die Winde in den Zentralkanal gelangen können, indem die genauen Punkte durch diese Tore durchdrungen werden

3. Eine Erklärung ihrer verschiedenen Funktionen

4. Eine Erklärung der Stufen der Meditation über das Innere Feuer (Tummo) im besonderen

DIE ZEHN TORE IDENTIFIZIEREN, DURCH DIE DIE WINDE IN DEN ZENTRALKANAL GELANGEN KÖNNEN

Wir müssen die zehn Tore kennen, durch die die Winde in den Zentralkanal gelangen können, weil es unmöglich ist, Spontane Große Glückseligkeit zu erzeugen, ohne die Winde in den Zentralkanal zu bringen, und diese zehn Tore sind die einzigen Tore, durch die die Winde in den Zentralkanal eintreten können.

Außer zur Todeszeit und während des Schlafes gelangen die Winde gewöhnlich nicht in den Zentralkanal, es sei denn, wir führen die entsprechenden meditativen Übungen aus. Um mit einem Geist von Großer Glückseligkeit über Leerheit meditieren zu können, muß daher der oder die Praktizierende des Geheimen Mantras Spontane Große Glückseligkeit erzeugen, indem er oder sie die Winde absichtlich durch die Kraft einsgerichteter Konzentration durch irgendeines der zehn Tore in den Zentralkanal bringt.

Der Zentralkanal beginnt an der Stelle zwischen den Augenbrauen und zieht in einem Bogen zum Scheitel des Kopfes hinauf. Von dort geht er in gerader Linie zur Spitze des Geschlechtsorgans hinab. Die zehn Tore sind entlang dem Zentralkanal folgendermaßen angeordnet:

(1) Das obere Ende des Zentralkanals: die Stelle zwischen den Augenbrauen

(2) Das untere Ende: die Spitze des Geschlechtsorgans

(3) Das Zentrum des Scheitelkanalrades: am höchsten Punkt des Schädels gelegen

(4) Das Zentrum des Halskanalrades: nahe der Rückseite des Halses gelegen

(5) Das Zentrum des Herzkanalrades: zwischen den zwei Brüsten gelegen

(6) Das Zentrum des Nabelkanalrades

(7) Das Zentrum des Kanalrades der geheimen Stelle: vier Finger breit unterhalb des Nabels

(8) Das Zentrum des Juwelenkanalrades: im Zentrum des Geschlechtsorgans gelegen, in der Nähe seiner Spitze

(9) Das Rad des Windes: das Zentrum des Stirnkanalrades mit sechs Speichen

(10) Das Rad des Feuers: das Zentrum des Kanalrades, das in der Mitte zwischen Hals- und Herzkanalrad gelegen ist und drei Speichen hat

So wie wir ein Haus durch irgendeine der Türen, die von außen hineinführen, betreten können, so können die Winde durch irgendeines der zehn Tore in den Zentralkanal gelangen.

Um die genauen Punkte unseres eigenen Körpers zu durchdringen, müssen wir uns auf die Kanäle, die Winde und die weißen und roten Tropfen konzentrieren. In den tantrischen Schriften werden diese drei oft als der «Vajra-Körper» bezeichnet. Der eigentliche Vajra ist Spontane Große Glückseligkeit, die in Abhängigkeit von den Kanälen, Winden und Tropfen entsteht. Hier wird das zukünftige Resultat in die Gegenwart gebracht, indem der Name des Ergebnisses auf seine Ursachen zugeschrieben wird; daher der Name «Vajra-Körper». Wenn wir über den Vajra-Körper meditieren wollen, benötigen wir ein klares Verständnis der stationären Kanäle, der sich bewegenden Winde und der enthaltenen Tropfen. Diese werden jetzt im Detail erklärt.

DIE STATIONÄREN KANÄLE

Es gibt drei Hauptkanäle: der Zentralkanal, der rechte und der linke Kanal. Der Zentralkanal gleicht dem Stock eines Schirmes, der die Mitte jedes Kanalrades durchläuft; und der rechte und der linke Kanal verlaufen beidseitig des Zentralkanals. Der Zentralkanal ist hellblau und hat vier Merkmale: (1) er ist sehr gerade wie der Stamm eines Bananenbaumes; (2) innen ist er von ölig roter Farbe wie reines Blut; (3) er ist sehr klar und durchscheinend wie eine Kerzenflamme, und (4) er ist sehr weich und flexibel wie ein Lotosblütenblatt.

Der Zentralkanal befindet sich genau in der Mitte zwischen der rechten und linken Körperhälfte, liegt aber näher an der Hinterseite als an der Vorderseite. Unmittelbar vor der Wirbelsäule befindet sich der Lebenskanal, der ziemlich dick ist, und vor diesem befindet sich der Zentralkanal. Wie bereits erwähnt, beginnt er an der Stelle zwischen den Augenbrauen und zieht in einem Bogen zum Scheitel des Kopfes hinauf und geht in einer geraden Linie zur Spitze des Geschlechtsorgans hinab. Am geläufigsten ist der Name Zentralkanal, doch er ist auch als die «zwei Aufgaben» bekannt, weil das Sammeln der Winde in diesem Kanal bewirkt, daß die negative Aktivität aufgegeben wird, die mit den Winden des rechten und linken Kanals verbunden ist. Er ist zudem als «Geistkanal» und als «Rahu» bekannt.

Auf jeder Seite des Zentralkanals befinden sich ohne jeden Zwischenraum der rechte und der linke Kanal. Der rechte Kanal ist rot und der linke weiß. Der rechte Kanal beginnt vorne am rechten Nasenloch und der linke beginnt vorne am linken Nasenloch. Von dort verlaufen beide in einem Bogen neben dem Zentralkanal zum Scheitel des Kopfes hinauf. Vom Scheitel des Kopfes bis zum Nabel sind diese drei Kanäle gerade und verlaufen nebeneinander. Unterhalb des Nabels biegt der linke Kanal ein wenig nach rechts, trennt sich etwas vom Zentralkanal, und verbindet sich an der Spitze des Geschlechtsorgans wieder mit diesem. Dort hat er die Funktion, Sperma, Blut und Urin zu halten und auszuscheiden. Der rechte Kanal biegt unterhalb des Nabels ein wenig nach links und endet am Anus, wo er die Funktion hat, Fäkalien und so fort zu halten und auszuscheiden.

Andere Namen für den rechten Kanal sind der «Sonnenkanal», der «Sprachkanal» und der «Kanal des Subjekt-Halters». Der letzte Name weist darauf hin, daß die Winde, die durch diesen Kanal fließen, die Erzeugung von Vorstellungen bewirken, die unter dem Aspekt des Subjekt-Geistes entwickelt werden. Andere Namen für den linken Kanal sind der «Mondkanal», der «Körperkanal» und der «Kanal des gehaltenen Objektes», wobei der letzte Name darauf hinweist, daß die Winde, die durch diesen Kanal fließen, die Erzeugung von Vorstellungen bewirken, die unter dem Aspekt des Objekts entwickelt werden.

Der rechte und der linke Kanal schlingen sich an verschiedenen Stellen um den Zentralkanal herum und bilden dabei die sogenannten Kanalknoten. Die vier Stellen, an denen diese Knoten auftreten, sind in aufsteigender Reihenfolge das Nabelkanalrad, das Herzkanalrad, das Halskanalrad und das Scheitelkanalrad. Außer beim Herzen ist an allen diesen Stellen ein zweifacher Knoten, der durch eine einfache Windung des rechten und eine einfache Windung des linken Kanals gebildet wird. Während der rechte und der linke Kanal zu diesen Stellen aufsteigen, schlingen sie sich um den Zentralkanal herum, indem sie sich vorne kreuzen und sich dann um ihn winden. Dann gehen sie weiter aufwärts auf die Höhe des nächsten Knotens. Beim Herzen geschieht das gleiche, außer daß sich hier ein sechsfacher Knoten befindet, der durch drei sich überlappende Windungen von jedem der flankierenden Kanäle gebildet wird.

Die vier Stellen, an denen diese Knoten auftreten, sind vier der sechs Hauptkanalräder. Da es später wichtig sein wird, daß man diese Kanalräder deutlich visualisieren kann, werden sie hier kurz erklärt. Bei jedem der sechs Hauptkanalräder zweigt eine unterschiedliche Anzahl von Speichen oder Blütenblättern vom Zentralkanal ab, so wie die Rippen eines Schirmes vom zentralen Stock abzuzweigen scheinen. Somit sind am Scheitelkanalrad - man kennt es als das «Rad der Großen Glückseligkeit» - zweiunddreißig solche Blütenblätter oder Kanalspeichen, alle von weißer Farbe. Das Zentrum ist dreieckig und die Spitze weist nach vorne. (Von oben gesehen, bezieht sich dies auf die Form des geschlungenen Knotens, durch den die Speichen austreten.) Diese zweiunddreißig Speichen sind nach unten gebogen wie die Rippen eines aufrecht stehenden Schirmes. Eine Beschreibung des Scheitelkanalrades und der drei anderen Hauptkanalräder, wo Knoten auftreten, ist in Tabelle 1 zu finden.

Diese vier Kanalräder enthalten insgesamt hundertzwanzig Speichen. Von den verbleibenden zwei größeren Kanalrädern hat das Kanalrad an der geheimen Stelle zweiunddreißig rotfarbene Speichen, die sich abwärts biegen, und das Juwelenkanalrad hat acht weiße Speichen, die sich aufwärts biegen. Es sollte zudem beachtet werden, daß gemäß einigen Texten die Speichen am Scheitel, Nabel und an der geheimen Stelle mehrfarbig visualisiert werden können.

Da das Herzkanalrad besonders wichtig ist, wird es nun ausführlich beschrieben. Seine acht Speichen oder Blütenblätter sind in den Haupt- und Zwischenrichtungen angeordnet, wobei Osten vorne ist. In jeder Speiche fließt in erster Linie der tragende Wind eines speziellen Elementes, wie es in Tabelle 2 aufgeführt ist.

Von jedem dieser acht Blütenblätter oder Kanalspeichen des Herzens zweigen drei Kanäle ab, im ganzen sind es also vierundzwanzig Kanäle. Das sind die Kanäle der vierundzwanzig Stellen. Sie sind in drei Gruppen von je acht Kanälen eingeteilt: die Kanäle des Geistrades, die blau sind und hauptsächlich Winde enthalten; die Kanäle des Rederades, die rot sind und meistens rote Tropfen enthalten; und die Kanäle des Körperrades, die weiß sind und meistens weiße Tropfen enthalten. Jeder Kanal geht zu einer unterschiedlichen Stelle im Körper. Diese sind die vierundzwanzig inneren Stellen. Wenn wir das ausführliche Sadhana von Heruka praktizieren, visualisieren wir die Gottheiten des Körper-Mandalas an diesen Stellen.

Die äußeren Spitzen der acht Kanäle des Geistrades enden an: (1) Haaransatz, (2) Scheitel, (3) rechtem Ohr, (4) Nacken, (5) linkem Ohr, (6) Braue (der Stelle zwischen den Augenbrauen), (7) beiden Augen und (8) beiden Schultern. Diejenigen des Rederades enden an: (9) beiden Achselhöhlen, (10) beiden Brüsten, (11) Nabel, (12) Nasenspitze, (13) Mund, (14) Hals, (15) Herzen (dem Gebiet in der Mitte zwischen den zwei Brüsten), und (16) beiden Hoden oder beiden Seiten der Vagina. Schließlich enden diejenigen des Körperrades an: (17) der Spitze des Geschlechtsorgans, (18) Anus, (19) beiden Oberschenkeln, (20) beiden Waden, (21) den acht Fingern und acht kleinen Zehen, (22) den oberen Teilen der Füße, (23) beiden Daumen und beiden großen Zehen und (24) beiden Knien.

Jeder dieser vierundzwanzig Kanäle teilt sich in drei Äste, die sich durch die Hauptelemente - Winde, rote Tropfen und weiße Tropfen - unterscheiden, die durch sie fließen. Jeder dieser zweiundsiebzig Kanäle verzweigt sich dann weiter in tausend, womit es im ganzen zweiundsiebzigtausend Kanäle gibt. Es ist für einen Praktizierenden des Geheimen Mantras wichtig, mit der Anordnung der Kanäle vertraut zu sein, weil, wie später erklärt wird, durch den Gewinn der Kontrolle über die Winde und Tropfen, die durch diese Kanäle fließen, die Vereinigung von Spontaner Großer Glückseligkeit und Leerheit erreicht wird.

Die Winde im Körper einer gewöhnlichen Person fließen, mit Ausnahme des Zentralkanals, durch die meisten dieser Kanäle. Weil diese Winde unrein sind, sind die verschiedenen Geistesarten, die sie tragen, ebenfalls unrein, und solange diese Winde weiter durch die peripheren Kanäle fließen, werden sie fortfahren, die verschiedenen negativen Vorstellungen zu tragen, die uns in Samsara gefangen halten. Durch die Kraft der Meditation können diese Winde jedoch in den Zentralkanal gebracht werden, wo sie nicht länger die Entwicklung von groben Vorstellungen dualistischer Erscheinung tragen können. Mit einem von dualistischen Erscheinungen befreiten Geist können wir eine direkte Realisation der endgültigen Wahrheit, der Leerheit, gewinnen. Eine detailliertere Erklärung dieser Visualisation und der Mittel zur Kontrolle der Kanäle, Winde und Tropfen wird später gegeben.

Den vierundzwanzig inneren Stellen des Körper-Mandalas von Heruka entsprechen die «vierundzwanzig äußeren Stätten», die sich an verschiedenen Örtlichkeiten in dieser Welt befinden. Praktizierende mit reinem Karma können diese äußeren Orte von Heruka als Reine Länder sehen. Menschen mit unreinem Karma aber sehen bloß gewöhnliche Orte.

DIE SICH BEWEGENDEN WINDE

Im Gegensatz zu den stationären Kanälen sind die inneren Winde bekannt als die «sich bewegenden Winde», weil sie durch die Kanäle fließen. Es gibt Leute, die glauben, daß nur Flüssigkeiten wie Blut durch die Kanäle des Körpers fließen, aber dem ist nicht so. Tatsächlich sind diese Flüssigkeiten nur wegen der Bewegung der Winde in der Lage, im Körper zu zirkulieren. Wenn es die Bewegung der Winde nicht gäbe, könnten die anderen Zirkulationssysteme nicht funktionieren. Man sollte sich jedoch bewußt sein, daß diese inneren Winde viel subtiler sind als äußere Luft.

Es gibt fünf Ursprungs- und fünf Zweigwinde. Die Ursprungswinde sind:

(1) Der lebenserhaltende Wind

(2) Der nach unten entleerende Wind

(3) Der sich nach oben bewegende Wind

(4) Der gleichmäßig verweilende Wind

(5) Der durchdringende Wind

Die fünf Zweigwinde sind:

(6) Der sich bewegende Wind

(7) Der sich intensiv bewegende Wind

(8) Der sich vollkommen bewegende Wind

(9) Der sich kräftig bewegende Wind

(10) Der sich mit Sicherheit bewegende Wind

Jeder der fünf Ursprungswinde hat sechs Merkmale, durch die er erkannt werden kann: (1) seine Farbe, (2) seine mit ihm verbundene Buddha-Familie, (3) ein Element, für das er als Träger dient, (4) sein Hauptsitz oder grundsätzlicher Aufenthaltsort, (5) seine Funktion (6) und seine Richtung (wie er die Nasenlöcher während der Ausatmung verläßt). Diese sind in Tabelle 3 zusammengefaßt.

Wenn wir mit diesen Eigenschaften vertraut werden, werden wir erkennen können, welche Winde fließen. Diese Fähigkeit wird auf einer späteren Stufe der Meditation wichtig sein. Wie oben erwähnt, dient jeder Ursprungswind als Träger eines bestimmten Elementes. Der erste Wind, der auch der «Wind des Wasserelementes» genannt wird, ist verantwortlich für die Vermehrung von Blut, Sperma und anderen Körperflüssigkeiten. In ähnlicher Weise ist der zweite Wind, der «Wind des Erdelementes», verantwortlich für das Wachstum der Knochen, Zähne und Nägel; der dritte Wind, der «Wind des Feuerelementes», erhöht die Körperwärme; der vierte Wind, der «Wind des Windelementes», verstärkt den Fluß des Windelementes durch die Kanäle; und der fünfte Wind, der «Wind des Raumelementes», bewirkt eine Größenzunahme der inneren Räume und Höhlen des Körpers und ist deshalb mit dem Wachstum verbunden.

Die fünf Zweigwinde werden so bezeichnet, weil sie alle vom lebenserhaltenden Wind abzweigen, der sich im Herzzentrum aufhält. Sie fließen alle zum Tor einer bestimmten Sinneskraft und befähigen dadurch das Gewahrsein, das mit dieser Kraft verbunden ist, sich zu seinem entsprechenden Objekt zu bewegen. Die Farbe und die Funktion jedes Zweigwindes sind in Tabelle 4 zusammengefaßt.

Unter den zehn Ursprungs- und Zweigwinden ist der lebenserhaltende Wind der wichtigste für die Meditation des Geheimen Mantras. Dieser Wind hat drei Ebenen: grob, subtil und sehr subtil. Es ist der sehr subtile Wind, der von Leben zu Leben reist und der den sehr subtilen Geist trägt. Dieser sehr subtile Wind und der sehr subtile Geist trennen sich nie, und deshalb nennt man den sehr subtilen Wind «unzerstörbar». Der unzerstörbare Wind befindet sich in einer winzigen Vakuole innerhalb des Zentralkanals im Zentrum des Herzkanalrades. Er ist genau in der Mitte einer kleinen Kugel, dem unzerstörbaren Tropfen, eingeschlossen, der durch die sehr subtilen weißen und roten Tropfen gebildet wird.

Wir benötigen ein gründliches Wissen vom lebenserhaltenden Wind, weil er das Meditationsobjekt der Übungen der Vollendungsstufe ist, wie zum Beispiel der Vajra-Rezitation. Diese Praxis, die innerhalb des Herzkanalrades ausgeführt wird, ist eine Methode, die Knoten beim Herzen zu lockern. Damit unsere Mahamudra-Praxis erfolgreich ist, ist es unbedingt erforderlich, diese Knoten zu lösen.

DIE ENTHALTENEN TROPFEN

Es gibt zwei Arten von Tropfen im Körper: weiße Tropfen und rote Tropfen. Die weißen Tropfen sind die reine Essenz der weißen Samenflüssigkeit, und die roten Tropfen sind die reine Essenz des Blutes. Beide haben grobe und subtile Formen. Die weißen und roten Tropfen, die außerhalb des Zentralkanals fließen, sind grobe Tropfen. Der Zentralkanal enthält sowohl grobe als auch subtile Tropfen.

Der Hauptsitz des weißen Tropfens (auch weißer Bodhichitta genannt) ist das Scheitelkanalrad, und dort hat die weiße Samenflüssigkeit ihren Ursprung. Der Hauptsitz des roten Tropfens ist das Nabelkanalrad, und dort hat das Blut seinen Ursprung. Der rote Tropfen beim Nabel bildet zudem die Grundlage für die Körperwärme und ist die Basis für die Erlangung der Realisationen des Inneren Feuers oder Tummos. Wenn die Tropfen schmelzen und durch die Kanäle fließen, lassen sie eine Erfahrung von Glückseligkeit entstehen.

Für Praktizierende des Geheimen Mantras sind die Kanäle, Winde und Tropfen die Grundlage für die Erlangung von Spontaner Großer Glückseligkeit. Wesen, die nicht mit diesen drei ausgestattet sind, haben nicht die Möglichkeit, Höchstes Yoga-Tantra zu praktizieren. Daher ist der menschliche Körper das vollkommene Fahrzeug für die Meditationen des Geheimen Mantras, und deshalb wird er für so wertvoll gehalten. Um Höchstes Yoga-Tantra praktizieren zu können, muß man im allgemeinen ein aus einer Gebärmutter geborener Mensch sein, der sechs Elemente besitzt: Erde, Wasser, Feuer, Wind, Kanäle und Tropfen; oder gemäß einer anderen Art der Aufzählung: Knochen, Mark und weiße Tropfen vom Vater, und Fleisch, Haut und Blut von der Mutter.