Das kleine Buch der großen Parfums - Luca Turin - E-Book

Das kleine Buch der großen Parfums E-Book

Luca Turin

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Warum öffnet sich der Himmel über uns, wenn wir unser Lieblingsparfum auflegen? Was hat Glockengeläut am Ostermorgen mit einer Kreation von Estée Lauder zu tun? Und weshalb können wir manche Leute einfach nicht riechen? Das kleine Buch der großen Parfums präsentiert einhundert legendäre Klassiker und ist eine fundierte Einführung in die Welt der Parfümerie. Von Angel bis Vol de Nuit, vom scheuen Blumenduft über das männliche Urparfum bis hin zu den großen Düften der Geschichte, die im Versailler Parfummuseum lagern: Alles ist so sinnlich-nuanciert beschrieben, dass die Lektüre zum Erlebnis wird. Nach der Lektüre gibt es nur eins: auf zur nächsten Parfümerie!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 139

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Luca Turin und Tania Sanchez

DAS KLEINE BUCH DER

GROSSEN PARFUMS

DIE EINHUNDERT KLASSIKER

Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow, Frauke Czwikla und Christian Detoux

DÖRLEMANN

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel »The Little Book of Perfumes. The Hundred Classics« im Verlag Viking, New York. Für die Parfümeure eBook-Ausgabe 2023 Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten © Luca Turin, 2008, 2011 © 2013 by Dörlemann Verlag AG, Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN: 978-3-908778-39-4www.doerlemann.ch

VORBEMERKUNG DER AUTOREN

Parfumformeln sind Unternehmensgeheimnisse. Es ist kaum möglich, eine offizielle Auskunft darüber zu bekommen, ob und wie eine Formel geändert worden ist; man müsste schon eine gaschromatographische Massenspektrometrie durchführen. Gerüchte dagegen gibt es en masse. Es gibt auch viele allgemein zugängliche Informationen über behördliche Beschränkungen. Wir beurteilen Veränderungen hingegen nur auf Grundlage dessen, was wir bei Direktvergleichen zwischen Flaschen aus früheren Jahren und neuen Mustern, die idealerweise direkt vom Hersteller kommen, riechen.

VORWORT

von Tania Sanchez

Jeder Fan hat seine Liste: 100 Filme, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt; die drei besten Cheeseburger der nördlichen Hemisphäre; die zehn überberwertetsten Gemälde; die zwanzig dämlichsten Besprechungen in Perfumes: The A-Z Guide usw. Welche Empörung, wenn tatsächlich jemand Hellboy II höher einstuft als Casablanca, oder erklärt, dass Let It Be das bessere Album sei als Revolver! Der beste Grund, eine solche Liste aufzustellen, ist wohl die simple Befriedigung, so viele Leute mit derart geringem Aufwand zur Weißglut zu treiben.

Die in diesem Buch besprochenen Düfte sind nicht die besten aller Zeiten; es sind jene, die wir in Sachen Qualität, Originalität oder schlichter Schönheit über die Konkurrenz stellten, als wir für das Buch Perfumes: The A-Z Guide fast 1900 Düfte probierten und uns unter Missachtung von Werbung, Verpackung und den Gefühlen von Freunden und Nachbarn ausschließlich auf den Geruch konzentrierten. So schlossen wir auch Düfte aus, die jeder außer uns bewundert oder die im Zuge geänderter Zusammensetzungen gelitten haben. Stuft die vorherrschende Meinung etwa Tabac Blond höher ein als, sagen wir, Badgley Mischka, so berücksichtigten wir es trotzdem nicht, weil wir es nicht in seiner Bestform erlebten.

Auch Düfte, die wir nicht als wirklich überwältigend empfanden, tauchen in diesem schmalen und durchweg positiven Buch nicht auf. Das wird jene freuen, die der Meinung sind, dass man schweigen soll, wenn man nichts Gutes über jemanden zu sagen hat; und es wird jene ärgern, die es nicht ausstehen können, wenn jeder Bewerber einen Preis gewinnt. Wenn Sie also wissen wollen, was wir von Paris Hiltons Can Can halten, müssen Sie das große Buch konsultieren.

Um diesen willkürlichen und ahistorischen Ansatz auszugleichen und die Vorliebe von Verlegern für Zehnerlisten zu befriedigen, haben wir den 96 bestbewerteten Düften unseres letzten Buches vier kurze Artikel über längst verschwundene Parfums von historischer Bedeutung hinzugefügt. Unsere Eindrücke verdanken wir Rekonstruktionen, die wir, nach der Originalformel gemischt, in der Osmothèque fanden, einem Museum in Versailles, das der Geschichte der Parfümeurskunst gewidmet ist. Es ist kein Museum voller hübscher Kristallflakons, Werbeplakate und Mythen. Hier lagern Parfums in Kühlschränken, vor Licht und Fehlbehandlung geschützt, die darauf warten, auszuströmen und die Sinne zu wecken. Die vier Parfums sind François Cotys Emeraude, L’Origan und Chypre sowie Vincent Rouberts perfekt komponiertes Iris Gris. Die ersten drei tauchen, in verschiedenen Ausstattungen, oft bei Auktionen und Haushaltauflösungen auf; achten Sie bei solchen Gelegenheiten auf ältere Verpackungen, um billige Versionen jüngeren Datums zu vermeiden. Das Letztere dagegen lässt sich kaum noch irgendwo auftreiben, obwohl eine glückliche Dame aus unserem Bekanntenkreis auf einem Flohmarkt eine volle Flasche davon gefunden hat, mit der sie heute jeden aufzieht. Wenn Sie sich nicht auf solche Glückstreffer verlassen wollen, achten Sie auf die Veranstaltungen der Osmothèque in Versailles und ihres Ablegers in den USA.

Die Tatsache, dass diese Düfte nicht mehr ihrer ursprünglichen Intention gemäß erhältlich sind, führt zur viel diskutierten Frage der veränderten Formeln. Obwohl ich versprochen hatte, nur Gutes zu berichten, muss ich Sie warnen, denn viele unserer Lieblingsdüfte, die ihre Träger seit Jahrzehnten beglückten, haben sich in den letzten Jahren aufgrund strenger Allergievorschriften drastisch verändert. Darum haben wir uns die Mühe gemacht, bei vielen Parfums, die wir in der gegebenen Zeit noch einmal prüfen konnten, Notizen von Riechproben jüngeren Datums hinzuzufügen.

Ich gehöre selbst zu jenen Menschen, die auf alles Mögliche allergisch reagieren, die jucken und niesen, die schon als Kind dem Lehrer einen Zettel mit dem Hinweis auf die Erdnussallergie mitbringen mussten, die einen Inhalator und schnell wirkende Antihistaminika in der Handtasche tragen und für die es kein Shampoo zu geben scheint, das nicht die Kopfhaut in ein dermatologisches Schulbeispiel verwandelt. Und trotzdem wundere ich mich, wie skrupellos die Industrie sämtliche Allergene aus edlen Parfums eliminiert. Meine Allergie ist schließlich mein Problem. Ich würde ja auch nicht verlangen, dass andere Frauen keinen roten Lippenstift mehr benutzen, nur weil ich keinen vertrage, oder dass sie ihre Kleider nicht in enzymatischen Waschmitteln waschen, weil diese mich reizen könnten. Ich finde es befremdlich, dass entschieden wurde, dass ich nie wieder L’Heure Bleue tragen darf, nur weil irgendjemand irgendwo Quaddeln davon bekommen hat. Warum trägt sie nicht etwas anderes?

An nachrichtenarmen Tagen kommt es vor, dass Aktivisten Presseverlautbarungen in die Welt setzen, die behaupten, dass in Parfums enthaltene Chemikalien Krebs verursachen oder Jungen in Mädchen verwandeln, dass sie in der Muttermilch auftauchen, reizen, überempfindlich machen und so weiter. Solche Alarmrufe haben oft breit abgestützte Forderungen nach Parfumverboten zur Folge, selbst wenn die Nebenwirkungen nur bei Dosierungen auftreten, die weit höher liegen als bei jeder natürlichen Anwendung – also wenn man praktisch darin badet oder das Zeug unverdünnt trinkt. Parfums sind keine giftige, krebserregende Suppe, sondern streng reguliert, um Schäden an Mensch und Umwelt zu vermeiden. Also musste sich die IFRA, die International Fragrance Association, etwas anderes einfallen lassen, um der Welt zu beweisen, dass sie sich um unsere Gesundheit und Sicherheit kümmert. Sie setzte bedeutende Mittel ein, um das Risiko von Kontaktekzemen zu minimieren. Das ist der Grund, warum Sie ihr geliebtes Diorissimo nicht mehr haben dürfen, selbst wenn Ihre einzige Reaktion darauf ein Glücksgefühl war.

Erstes Opfer dieser Verbote und Einschränkungen waren jene Stoffe, die in großen Mengen verwendet worden waren, darunter solche, die schon immer eine wichtige Rolle spielten, etwa Hydroxycitronellal (der einzige überzeugende Maiglöckchenduft), Eichenmoos (das bittere, tintige Waldaroma, das sich in fast jedem klassischen Parfum findet), Birkenpech (Leder), Heliotropin (Silber-Akazie oder falsche Mimose), Jasmin (Jasmin!), Eugenol (adieu, Nelken und Glühwein), Bergamotte (die leckere Zitrus-Kopfnote z.B. in Shalimar) und andere. Es ist eine der großen Ironien der Parfumwelt, dass wohlmeinende Aktivisten aus Angst vor unbekannten Chemikalien unbeabsichtigt genau diese gefördert haben. So wurden bekannte Inhaltsstoffe verdrängt, die seit über hundert Jahren ohne erkennbaren Schaden verwendet worden waren.

Wir taten also unser Bestes, um frische, authentische Muster möglichst vieler unserer Lieblingsparfums noch einmal zu bewerten, denn in Sachen Compliance war 2010 ein wichtiges Jahr für die Industrie. Die Ergebnisse waren nicht nur schlecht, doch sie waren auch nicht nur gut. Auf solche Veränderungen weisen wir hin, und wo wir uns nicht für die aktuelle Version aussprechen können, sagen wir das auch. Einige Düfte konnten wir nicht rechtzeitig bekommen. In anderen Fällen hatten die Firmen kein Interesse daran, Parfums zu bewerben, die älter waren als fünf Jahre, und wieder andere schienen schlicht kein Interesse am eigenen Produkt zu haben. Doch diese Gleichgültigkeit mag sich sogar als Vorteil für Sie erweisen: Große Parfums, die nicht aggressiv vermarktet werden, finden sich möglicherweise noch in ihrer alten Zusammensetzung und in alter Verpackung am Lager einiger Parfümerien.

Alte Flaschen zu finden kann eine vergnügliche Beschäftigung sein, wenn man Spaß daran hat, ziellos durch Secondhandläden zu schlendern, bei eBay zu surfen oder die staubigen Schachteln im Hinterzimmer von Nullachtfünfzehn-Parfumdiscountern zu durchsuchen. Wenn Sie alle Parfums, die einst unser Lob erhielten, in ihrer Ursprungsform riechen könnten, wäre das ebenso lehrreich wie unterhaltsam. Die Bandbreite ist enorm: Kompakte Bouquets aus weißen Blüten, saure Kompositionen aus Kiefer und Salbei für eine Nacht in der Wüste, klassische Milch-Moschusdüfte, die von Nerzmänteln der Fünfzigerjahre verströmt worden sein mögen, moderne, durchsichtige Gerüche, die jeden Raum mit einer Ahnung von Kräutern oder Holzrauch füllen, aromatisches Zeug für Discotänzer mit Schnauzer und Haaren auf der Brust, arabische Rosen- und Weihrauchöle, opulente, bittersüße Balsame für gesittete Damen. Und mehr, möge es immer noch viel mehr geben. Wie Luca einmal sagte, ein Parfum ist eine Flaschenpost. Unsere Übersetzungen dessen, was uns diese Parfums in ihrer duftigen Sprache sagen, in banale Worte, mögen unterhaltsam sein. Doch erfolgreich war unsere Arbeit nur dann, wenn Sie die stillen Flaschengeister hinterher selbst entdecken, sie befreien, sie studieren und sich ihre Geheimnisse anvertrauen lassen wollen.

PARFUMS

PARFUMBESPRECHUNGEN

Preise

€€€€ teurer als 160 Euro

€€€ zwischen 81 und 160 Euro

€€ zwischen 41 und 80 Euro

€ unter 40 Euro

Unsere Angaben basieren auf den durchschnittlichen Ladenpreisen der jeweils kleinsten erhältlichen Standardgröße der geringsten Konzentration im regulären Verkauf. So berücksichtigen wir zwar ein einzeln verkauftes Eau de Toilette mit 30ml Inhalt, nicht aber ein Parfum mit 240ml, das nur in der Geschenkpackung verkauft wird. Außerdem berücksichtigen wir keine Konzentrationen, die geringer sind als die eines Eau de Toilette, keine Lotionen, Seifen usw. Weil Größen, Konzentrationen und Preise für Inhaltsstoffe stark variieren, sollen diese Angaben lediglich dazu dienen, Düfte innerhalb eines Preissegments zu vergleichen; sie drücken kein Preis-Leistungs-Verhältnis aus.

31 Rue Cambon (Chanel) blumig-ambrig   €€€

Ich weiß nicht, wann ich zuletzt, ja ob ich überhaupt schon mal beim ersten Schnuppern von der Schönheit eines Parfums derart hingerissen war. In 31 liegt etwas anrührend Sanftes und eine kaum fassbare zarte Anmut. Ein solch klassisches Meisterwerk steht per definitionem auf den Schultern von Riesen, und diese zu identifizieren, kann sehr spannend sein. Zuweilen erinnert 31 an das alte Chant d’Arômes, aus der Zeit, bevor sich Guerlain daran vergriff. Auch ist da ein Hauch des ersten Dioressence, dieser überreifen, saloppen, milchig-fruchtigen Note von Lactonen, die Gucci Rush auf die konsequente Spitze getrieben hat. Chant d’Arômes jedoch war keusch, Dioressence kokett und Rush einfarbig. Chanels 31 spielt nicht, will nicht verführen, macht nicht auf modern. Vielleicht ist sein wahrer Vorgänger jenes mit Makeln behaftete Meisterwerk Champagne von Yves Saint Laurent. Auch das war ein sanfter, fruchtiger Chypre-Duft, dessen ordinäre, polternde Spielart gleichwohl an den Niedergang eines Adelsgeschlechts gemahnte. 31 hingegen zeigt, dass in den höheren Sphären der Kunst die Zeit stillsteht. Einer der zehn zeitlosen Titanen sowie der kostbare Beweis, dass Parfümerie noch nicht tot ist. LT

In den Presseunterlagen zu 31 Rue Cambon rühmt sich Chanel, einen Chypre-Duft kreiert zu haben, der ohne seine Conditio sine qua non auskommt: Eichenmoos, eine filigrane Flechte, die aussieht wie Friséesalat und vorwiegend auf osteuropäischen Eichen wächst. Zum Halbprodukt eingekocht, verströmt das dickflüssige Harz ein mittelalterliches Märchenaroma aus Rauch, Tinte und Waldboden, das dem reichhaltigen, süßen Chypre sein bitteres Rückgrat verleiht. Was aber ist ein Chypre ohne Eichenmoos? Ein Schulbeispiel für eine Sinnestäuschung durch Andeutung. 31 Rue Cambon ruft einige der geläufigen Stichwörter ab und erinnert dadurch an andere, ältere und jüngere Düfte, die das fehlende Element evozieren. Die üppige Iris in der Kopfnote, die einen nasekitzelnden trockenen Pfeffer an die Stelle des Leders setzt, kündigt Chanels eigenes Cuir de Russie an; kaum fassbar ist die Jasmin-Herznote von Diorella, sprudelnd und hell wie kaltes 7UP; einen Moment lang riecht man Zitronenpudding, der einen unter anderem an Shalimar Light denken lässt; und jenes überwältigende, klingende Amber, kennen wir es nicht von Guerlains Guet-Apens? Der Duft wurde entworfen, um eine große Erbfolge zu behaupten, und reiht sich nahtlos ein ins Familienporträt. LT hat seine Schönheit einmal mit Grace Kellys Leuchten in Das Fenster zum Hof verglichen. Doch Kellys Schönheit fehlte die Substanz, verglichen mit der melancholischen Sinnlichkeit einer Rita Hayworth (bzw. Baghari), der mädchenhaften Wildheit von Bette Davis (Jolie Madame) oder der karnivoren Bedrohlichkeit von Ava Gardner (Tabac Blond). Zwar mag ich 31 Rue Cambon, doch es berührt mich nicht, weil es nichts Eigentümliches an sich hat. Vielleicht ist es auch einfach nicht stark genug. Ich musste mir das Handgelenk an die Nase pressen, während ich dies schrieb, um es überhaupt riechen zu können. Gerüchteweise soll Chanel an einem Parfum arbeiten; hoffentlich wird es reichhaltiger und eindeutiger. Ich vermute, dass sich dieses etwas unfertige Ding zu echter Größe entwickeln lässt. Bis es so weit ist, probieren Sie es auf Textilien, um den Film langsamer ablaufen zu lassen. TS

100% Love (S-Perfume) Schokoladenrose   €€

Sollte es den astronomischen Erfolgen großer Parfum-Impresarios wie Vera Strubi (Angel) und Chantal Roos (Opium) zum Trotz noch Zweifel geben, so haben Nischenfirmen unstrittig bewiesen, wie wichtig die künstlerische Leitung für das Gelingen eines Parfums ist. Ein kapitalkräftiger Parfumliebhaber mag begabte Parfümeure davon überzeugen können, für seine Firma zu komponieren, aber künstlerische Freiheit und ein großes Budget allein bringen selten bedeutende Parfums hervor, es sei denn, dem Komponisten wird eine Vision mitgegeben, der er den zuweilen schmerzhaften langen Überarbeitungsprozess hindurch verpflichtet wird. Nobi Shioya (sein Künstlername lautet Sacré Nobi), den ich gar nicht persönlich kenne, wirkt auf mich aufgrund seiner Arbeiten wie einer, der nach Ungewöhnlichem strebt und nicht ruht, bis er es erreicht. Ein typisches Beispiel dafür ist 100% Love. Die erste Ausführung war schön, aber ganz klar unzureichend. Die große, die Trismegista Sophia Grojsman komponierte es nach wenigen Jahren neu. Möglicherweise lege ich als Wissenschaftler zu großen Wert auf das Neue und Unerwartete, doch muss ich sagen, selten (genau genommen, seit 1992 nicht mehr) hat ein Duft mich in derartiges Erstaunen und freudige Verwirrung versetzt. Etwas Ausgefallenes zu kreieren, ist leicht – es gibt viele Akkorde, die noch niemand ausprobiert hat –, etwas Wohliges, Behagliches auch, vorausgesetzt, man hält sich an die Kuschelzutaten der Parfümerie: Rose, Vanille, Schokolade usw. Äußerste Ausgefallenheit und berauschendes Wohlbehagen zugleich zu erreichen ist allerdings schier genial. Sollte es ein Paralleluniversum geben, in dem Gerüche Theoreme sind, wäre 100% Love so etwas wie der Beweis der Riemannschen Vermutung. LT

1740 (Histoires de Parfums) Leder-Immortelle   €€€

Die Bekanntschaft mit zu vielen banalen Parfums kann einen irgendwann zum Duft-Libertin machen: zynisch, ungerührt und grausam pragmatisch. Jeder alte Lüstling aber trägt in sich eine unbeschädigte Erinnerung an den Jungen, der er einmal war, und verfällt bereitwillig dem erstbesten Wesen, das mit seiner Intelligenz sein tiefgefrorenes Herz wiederbelebt. Etwas regte sich in mir, als ich 1740 roch: Der schimmernde klassische Akkord aus Leder, Immortelle, Gewürz, schwerem Pfeifentabak und einer buttrig behaglichen Wärme ist einfach unwiderstehlich. Und warum widerstehen? LT

2011: Setzen Sie getrocknete Rosen und Rosinen an die Stelle von Pfeifen und Lederpantoffeln, um eine Art Kenzo Jungle zu bekommen, was freilich nicht das ist, in das wir uns einst verliebten. Hoffen wir, dass die Veränderung nur auf Probleme mit dem Nachschub, etwa von Sandelholz, zurückzuführen ist und daher von vorübergehender Natur. TS

L’Air du Désert Marocain (Tauer Perfumes) Weihrauch, orientalisch   €€

Der süße Geruch von Amber, Basis jedes klassischen orientalischen Parfums, wird schon lange mit Vanille und Sandelholz schwerer gemacht, mit Glühweingewürzen verziert und mit Moschus aufgepeppt, um ihm etwas Anzügliches zu verleihen, bereit für den Nahkontakt. Daran sind wir gewöhnt – doch wer weiß schon um Ambers Vorgeschichte. Dem Wortsinn nach bedeutet Parfum »durch Rauch« und verweist auf das Verbrennen wohlriechender Substanzen zur Reinigung der Luft und damit des Geistes. Falls es stimmt, dass der Engel Metatron seine Botschaften an die Welt von Rockgitarristen verbreiten lässt, wie Carlos Santana in seiner Grammy-Rede behauptete, dann liegt es nahe, dass der noch namenlose Engel des Parfums durch einen unscheinbaren Schweizer Chemiker aus Zürich mit Schnurrbart und weißem Hemd spricht. L’Air du Désert Marocain ist, nach dem schweren orientalischen Rosenduft Maroc pour Elle, der zweite Duft des talentierten Parfümeurs Andy Tauer. Eine Nase voll der endlosen Weiten von Désert und alle Nichtigkeit der Welt fällt von einem ab. Selbst eine amerikanische Protestantin aus den Vorstädten wie ich, die nie eine Messe besucht hat, empfindet das gewisse Etwas der alten Harzaromen (Benzoe, Weihrauch) schon im ersten Moment als ganz und gar heilig, schön und reinigend, hell erleuchtet von allen Seiten. Auch ohne seinen Namen als Stichwortgeber würde ich, wenn ich den Duft rieche, jenen Frieden spüren, den ich nur ein einziges Mal erlebt habe, als ich eines Morgens durch die Wüste des Südwestens fuhr: Tiefe Stille, keine menschliche Behausung weit und breit, das Firmament unendlich weit über mir, nur Salbei und hin und wieder eine Wachtel, die sich an die graue Erde duckten. Alles war seiner übervoll und musste bei der geringsten Berührung überlaufen. Wenn Sie diesen Duft tragen, spüren Sie den wolkenlosen Himmel hoch und weit über sich. TS

Amouage Gold (Amouage) opulent blumig   €€€€

Ich liebe den kühnen, hybriden Gedanken hinter Amouage. Die Firma wurde 1983 von einem führenden Mitglied der Königsfamilie von Oman gegründet, um die drei Jahrhunderte währende Parfumtradition des Landes wiederzubeleben. In jener Mischung aus Lokalpatriotismus und Fernweh, die einer uralten Seefahrernation gebührt, nannten sie sich Amouage, nach dem Arabischen amwaj (dt.