Das kunstseidene Mädchen - Irmgard Keun - E-Book

Das kunstseidene Mädchen E-Book

Irmgard Keun

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Beschreibung

»Ich will ein Glanz werden« Doris ist Sekretärin bei einem zudringlichen Rechtsanwalt. Sie will nicht mehr tagaus, tagein lange Briefe tippen, sondern ein Star werden. Sie will hinaus in die große Welt, ins Berlin der Roaring Twenties. Irmgard Keun hat Doris' kunstseidene Abenteuer »naiv und brilliant, witzig und verzweifelt, volkstümlich und feurig« beschrieben (Hermann Kesten). Bunte Unterhaltung in Verbindung mit satirischer Zeitkritik - eine seltene Einheit und ein wahrer Klassiker der Literatur.

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Seitenzahl: 267

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Das Buch

Ihre Affären mit Männern aus »besseren Kreisen« sind kurzlebig, die erträumte Filmkarriere bleibt Illusion, der große Katzenjammer stellt sich ein. Doch Doris weiß sich zu trösten …

Die Autorin

Irmgard Keun, 1905 in Berlin geboren, hat mit ihren ersten beiden Romanen Gilgi – eine von uns und Das kunstseidene Mädchen (1931 und 1932) sensationelle Erfolge. 1933 beschlagnahmen die Nazis ihre Bücher. 1935 geht sie ins Exil. Joseph Roth wird ihr Lebensgefährte. 1940, nach der Trennung von Roth, kehrt sie mit falschen Papieren nach Deutschland zurück, wo sie unerkannt lebt. Im biederen Literaturbetrieb der Nachkriegszeit kann sie nicht mehr an ihre früheren Erfolge anknüpfen, bis ihre Romane Ende der siebziger Jahre von einem breiten Publikum wiederentdeckt werden. Irmgard Keun stirbt 1982.

Von Irmgard Keun sind in unserem Hause bereits erschienen:

Gilgi – eine von uns Kind aller Länder Nach Mitternacht

Irmgard Keun

Das kunstseidene Mädchen

Roman

Mit zwei Beiträgen von Annette Keck und Anna Barbara Hagin

Ullstein

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Die Erstveröffentlichung der beiden Beiträge erfolgte 2003 anläßlich der vom Kölner Stadt-Anzeiger und vom Literaturhaus Köln initiierten Aktion »Ein Buch für die Stadt«.

ISBN 978-3-8437-0792-3.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch 6. erweiterte Auflage 2004 15. Auflage 2017 © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2004 © 2003 by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG © 2000 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München © 1992 by Claassen Verlag, Hildesheim © 1979 by claassen Verlag, Düsseldorf Erstveröffentlichung 1932 © der Beiträge 2004 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: Arcangel / © MALGORZATA MAJ

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

eBook: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ERSTER TEIL

Ende des Sommers und die mittlere Stadt

Das war gestern abend so um zwölf, da fühlte ich, daß etwas Großartiges in mir vorging. Ich lag im Bett – eigentlich hatte ich mir noch die Füße waschen wollen, aber ich war zu müde wegen dem Abend vorher, und ich hatte doch gleich zu Therese gesagt: »Es kommt nichts bei raus, sich auf der Straße ansprechen zu lassen, und man muß immerhin auf sich halten.«

Außerdem kannte ich das Programm im Kaiserhof schon. Und dann immer weiter getrunken – und ich hatte große Not, heil nach Hause zu kommen, weil es mir doch ohnehin immer schwer fällt, nein zu sagen. Ich hab gesagt: »Bis übermorgen.« Aber ich denke natürlich gar nicht dran. So knubbelige Finger und immer nur Wein bestellt, der oben auf der Karte steht, und Zigaretten zu fünf – wenn einer so schon anfängt, wie will er da aufhören?

Im Büro war mir dann so übel, und der Alte hat’s auch nicht mehr dick und kann einen jeden Tag entlassen. Ich bin also gleich nach Hause gegangen gestern abend – und zu Bett ohne Füße waschen. Hals auch nicht. Und dann lag ich so und schlief schon am ganzen Körper, nur meine Augen waren noch auf – der Mond schien mir ganz weiß auf den Kopf – ich dachte noch, das müßte sich gut machen auf meinem schwarzen Haar, und schade, daß Hubert mich nicht sehen kann, der doch schließlich und endlich der einzige ist, den ich wirklich geliebt habe. Da fühlt ich wie eine Vision Hubert um mich, und der Mond schien, und von nebenan drang ein Grammophon zu mir, und da ging etwas Großartiges in mir vor – wie auch früher manchmal – aber da doch nie so sehr. Ich hatte ein Gefühl ein Gedicht zu machen, aber dann hätte es sich womöglich reimen müssen, und dazu war ich zu müde. Aber ich erkannte, daß etwas Besonderes in mir ist, was auch Hubert fand und Fräulein Vogelsang von der Mittelschule, der ich einen Erlkönig hinlegte, daß alles starr war. Und ich bin ganz verschieden von Therese und den anderen Mädchen auf dem Büro und so, in denen nie Großartiges vorgeht. Und dann spreche ich fast ohne Dialekt, was viel ausmacht und mir eine Note gibt, besonders da mein Vater und meine Mutter ein Dialekt sprechen, das mir geradezu beschämend ist.

Und ich denke, daß es gut ist, wenn ich alles beschreibe, weil ich ein ungewöhnlicher Mensch bin. Ich denke nicht an Tagebuch – das ist lächerlich für ein Mädchen von achtzehn und auch sonst auf der Höhe. Aber ich will schreiben wie Film, denn so ist mein Leben und wird noch mehr so sein. Und ich sehe aus wie Colleen Moore, wenn sie Dauerwellen hätte und die Nase mehr schick ein bißchen nach oben. Und wenn ich später lese, ist alles wie Kino – ich sehe mich in Bildern. Und jetzt sitze ich in meinem Zimmer im Nachthemd, das mir über meine anerkannte Schulter gerutscht ist, und alles ist erstklassig an mir – nur mein linkes Bein ist dicker als mein rechtes. Aber kaum. Es ist sehr kalt, aber im Nachthemd ist schöner – sonst würde ich den Mantel anziehn.

Und es wird mir eine Wohltat sein, mal für mich ohne Kommas zu schreiben und richtiges Deutsch – nicht alles so unnatürlich wie im Büro. Und für jedes Komma, was fehlt, muß ich der Hopfenstange von Rechtsanwalt – Pickel hat er auch und Haut wie meine alte gelbe Ledertasche ohne Reißverschluß – ich schäme mich, sie noch in anständiger Gesellschaft zu tragen – solche Haut hat er im Gesicht. Und überhaupt halte ich von Rechtsanwälten nichts – immer happig aufs Geld und reden wie’n Entenpopo und nichts dahinter. Ich laß mir nichts anmerken, denn mein Vater ist sowieso arbeitslos, und meine Mutter ist am Theater, was auch unsicher ist durch die Zeit. Aber ich war bei der Hopfenstange von Rechtsanwalt. Also – ich lege ihm die Briefe vor, und bei jedem Komma, was fehlt, schmeiß ich ihm einen sinnlichen Blick. Und den Krach seh ich kommen, denn ich hab keine Lust zu mehr. Aber vier Wochen kann ich sicher noch hinziehn, ich sag einfach immer, mein Vater wäre so streng, und ich müßte abends gleich nach Haus. Aber wenn ein Mann wild wird, dann gibt es keine Entschuldigung – man kennt das. Und er wird wild mit der Zeit wegen meinen sinnlichen Blicken bei fehlenden Kommas. Dabei hat richtige Bildung mit Kommas gar nichts zu tun. Aber fällt mir nicht ein mit ihm und so weiter. Denn ich sagte auch gestern zu Therese, die auch auf dem Büro und meine Freundin ist: »Etwas Liebe muß dabei sein, wo blieben sonst die Ideale?«

Und Therese sagte, sie wäre auch ideal, weil sie so mit Seele und Schmerz mit einem Verheirateten, der nichts hat und an Scheidung nicht denkt und nach Goslar gezogen ist – und sie ist dann ganz vertrocknet und 38 geworden letzten Sonntag und sagt 30 – und 40 sieht man ihr an – und alles wegen dem Laumann. Und so ideal bin ich wieder nicht. Denn das sehe ich nicht ein.

Und habe mir ein schwarzes, dickes Heft gekauft und ausgeschnittne weiße Tauben draufgeklebt und möchte einen Anfang schreiben: Ich heiße somit Doris und bin getauft und christlich und geboren. Wir leben im Jahre 1931. Morgen schreibe ich mehr.

Ich hatte einen angenehmen Tag, weil der Letzte ist und Geldkriegen einem mit an meisten gut tut, trotzdem ich von 120 – und Therese kriegt 20 mehr – 70 abgeben muß, was mein Vater doch nur versäuft, weil er jetzt arbeitslos ist und nichts andres zu tun hat. Aber von meinen 50Mark hatte ich mir gleich einen Hut mit Feder gekauft – dunkelgrün – das ist jetzt Modefarbe, und steht mir herrlich zu meinem erstklassigen rosa Teint. Und ist schief auf einer Seite zu tragen – kolossal fesch – und ich hatte mir bereits einen dunkelgrünen Mantel machen lassen – streng auf Taille und mit Fuchsbesatz – ein Geschenk von Käsemann, der mich durchaus beinahe heiraten wollte. Aber ich nicht. Weil ich doch auf die Dauer zu schade bin für kleine Dicke, die noch dazu Käsemann heißen. Und nach dem Fuchs hab ich Schluß gemacht. Aber ich bin jetzt komplett in Garderobe – eine große Hauptsache für ein Mädchen, das weiter will und Ehrgeiz hat.

Und nu sitz ich hier in einem Kaffee – Tasse Kaffee kann ich mir heute auf eigne Faust leisten. Die Musik spielt, was ich gern höre: Zigeunerbaron oder Aida – kommt ja nicht so drauf an. Neben mir ein Mann mit einem Mädchen. Er ist was Feineres – aber nicht sehr- und sie hat ein Gesicht wie eine Schildkröte und ist nicht mehr ganz jung und hat einen Busen wie ein Schwimmgürtel. Ich höre immer auf das Gespräch – so was interessiert mich immer, man kann nie wissen, ob man nicht lernt dabei. Natürlich hatte ich den richtigen Blick: eben kennengelernt. Und er bestellt Zigaretten zu acht, wo er sonst bestimmt nur zu vier raucht. Das Schwein. Wenn einer welche zu acht bestellt, weiß man ja Bescheid, was für Absichten er hat. Und wenn einer wirklich solide ist, raucht er zu sechs mit einer Dame, denn das ist anständig und nicht übertrieben, und der Umschwung später ist nicht so kraß. Mir hat ein Alter mal welche zu zehn bestellt – was soll ich sagen, der war Sadist, und was er genau gewollt hat, ist mir peinlich niederzuschreiben. Dabei kann ich keinen kleinsten Schmerz vertragen, und schon bei zu engen Strumpfbändern leide ich tiefste Qual. Seitdem bin ich mißtrauisch.

Jetzt muß ich mich aber baß wundern: die Schildkröte ißt Camembert. Nun frage ich mich – ist sie so unschuldig oder will sie nicht? Ich bin ein Mensch, der über alles nachdenken muß. Also denke ich: wenn sie nicht will, dann macht sie sich durch Camembertessen sicher vor sich selbst, indem sie sich Hemmungen macht. Und ich entsinne mich, wie ich mit Arthur Grönland das erstemal ausgehen sollte. Er war bildschön und hatte Kommant. Aber ich sagte mir: Doris, sei stark – gerade so einem mit Kommant imponiert letzten Endes was Solides, und ich brauchte eine Armbanduhr, und besser ist, es wenigstens drei Abende zu nichts kommen zu lassen. Aber ich kenne mich doch und wußte, Arthur Grönland bestellt Kupferberg naß – und dabei noch Musik! Ich also an Büstenhalter und Hemd insgesamt sieben rostige Sicherheitsnadeln gesteckt. Ich war mächtig blau – wie achtzig nackte Wilde – aber die rostigen Sicherheitsnadeln vergaß ich nicht. Und Arthur Grönland drängte. Ich nur: »Mein Herr, was denken Sie sich eigentlich von mir? Ich muß doch sehr bitten. Wofür halten Sie mich in etwa?« Und ich habe ihm mächtig imponiert. Erst war er natürlich wütend, aber dann sagte er mir als edel empfindender Mensch: das gefällt ihm – ein Mädchen, das sich auch im Schwips so fest in der Hand hat. Und er achtete meine hohe Moral.

Ich sagte nur ganz schlicht: »Das ist meine Natur, Herr Grönland.«

Und vor der Haustür küßte er mir die Hand. Ich sagte nur: »Jetzt weiß ich schon wieder nicht, wie spät es ist – meine Uhr ist schon so lange kaputt.« Und dachte, wenn er mir jetzt Geld geben will zum Reparieren, dann habe ich mich wieder einmal schmerzlich getäuscht.

Aber am nächsten Abend in Rix Diele kam er mit einer kleinen Goldenen. Ich staunte furchtbar: »Wie konnten Sie denn nur wissen, daß ich gerade eine Uhr brauche??? – aber Sie beleidigen mich zutiefst – ich kann sie doch nicht annehmen!«

Und er wurde ganz blaß, entschuldigte sich und tat die Uhr fort. Ich zitterte schon und dachte: jetzt bist du zu weit gegangen, Doris! Dann sagte ich so mit schwimmender Stimme, so’n bißchen tränenfeucht: »Herr Grönland, ich kann es nicht übers Herz bringen, Sie zu kränken – binden Sie sie mir bitte um.«

Daraufhin dankte er mir, und ich sagte: »Oh, bitte.« Und dann bedrängte er mich wieder, aber ich blieb stark. Und vor der Haustür sagte er: »Du reines, unschuldiges Geschöpf, verzeihe mir, wenn ich aufdringlich war.«

Ich sagte: »Ich verzeihe Ihnen, Herr Grönland.«

Aber heimlich hatte ich eine furchtbare Wut auf die Sicherheitsnadeln, denn er hatte süße schwarze Augen und einen tollen Kommant, und die kleine goldene Uhr tickte mir wunderbar am Arm. Aber letzten Endes habe ich viel zu viel Moral, um einen Mann erleben zu lassen, daß ich Wäsche mit sieben rostigen Sicherheitsnadeln trage. Später habe ich sie fortgelassen.

Jetzt denke ich eben, ich könnte eventuell auch Camembert essen, wenn ich es für richtig halte, mir Hemmungen zu verschaffen.

Und der Kerl drückt der Schildkröte unterm Tisch die Hand, und mich guckt er an mit Stielaugen – so sind die Männer. Und sie haben gar keine Ahnung, wie man sie mehr durchschaut als sie sich selber. Natürlich könnte ich nun – eben erzählt er von seinem wunderbaren Motorboot auf dem Rhein mit soundsoviel PS – ich schätze ihn höchstens auf besseres Faltboot. Aber ich merke genau, wie er laut redet, damit ich’s höre – Kunststück! – ich mit meinem schicken, neuen Hut und dem Mantel mit Fuchs – und daß ich jetzt anfange, in mein Taubenbuch zu schreiben, macht ohne allen Zweifel einen sehr interessanten Eindruck. Aber eben hat mir das Alligator einen freundlichen Blick zugeworfen, und so was macht mich immer weich, ich denke: du arme Schildkröte findest doch selten was, und wenn du auch heute Camembert ißt – vielleicht ißt du morgen keinen. Und ich bin viel zu anständig und auf Frauenbewegung eingestellt, um dir deinen zweifelhaften Faltbootinhaber mit Glatze abspenstig zu machen. Da es eine Kleinigkeit wäre, reizt es mich ohnehin nicht, und außerdem paßt Wassersportler und Mädchen mit Schwimmgürtelbusen so schön zusammen. Und vom Tisch drüben guckt immer einer mit fabelhaft markantem Gesicht und tollem Brillanten am kleinen Finger. Ein Gesicht wie Conrad Veidt, wie er noch mehr auf der Höhe war. Meistens steckt hinter solchen Gesichtern nicht viel, aber es interessiert mich.

Also ich fliege und bin so aufgeregt. Bin gerade nach Hause gekommen. Neben mir steht eine Pralineschachtel – ich esse daraus, aber die mit Cremefüllung beiße ich nur an, um zu sehen, ob eventuell Nuß drin ist, sonst mag ich sie nicht – und quetsche sie dann wieder zusammen, daß sie wie neu aussehn – und morgen schenke ich sie meiner Mutter und Therese. Die Schachtel ist von dem Conrad Veidt – Armin heißt er – eigentlich hasse ich diesen Namen, weil er in der Illustrierten mal als Reklame für ein Abführmittel gebraucht wurde.

Und immer, wenn er mal vom Tisch aufstand, mußte ich denken: Armin, hast du heute morgen auch Laxin genommen? und mußte idiotisch lachen, und er fragte: »Warum lachst du so silbern, du süßes Geschöpf?«

Und ich: »Ich lache, weil ich so glücklich bin.«

Gott sei Dank sind ja Männer viel zu eingebildet, um auf die Dauer zu glauben, man könnte sie auslachen. Und adlig wär’ er! Na, so dumm bin ich nun nicht – zu glauben, daß es lebendig herumlaufende Adlige gibt. Aber ich dachte: mach ihm die Freude und sagte, ich hätt’ ihm das doch gleich angesehn. Aber er hatte einen künstlerischen Einschlag, und wir hatten einen sehr anregenden Abend, wir haben ausgezeichnet getanzt und uns wirklich intelligent unterhalten. Man findet das selten. Erst sagte er allerdings, er wollte mich zum Film bringen – na, ich ging nachsichtig darüber weg. Sie können nun mal nichts dafür, die Männer. Es ist eine Krankheit von jedem, daß sie jedem Mädchen erzählen, sie wären Generaldirektor vom Film oder hätten wenigstens unerhörte Beziehungen. Ich frage mich nur, ob es noch Mädchen gibt, die darauf reinfallen?

Aber das ist alles nicht die Hauptsache – sondern daß ich Hubert gesehen habe, wie er gerade zur Tür rausging. Und ein ganzes Jahr war er fort – ach, ich bin furchtbar müde jetzt. Und Hubert war eigentlich sehr gemein, aber trotzdem wurde ich gleich reserviert mit dem Laxinmann, der ohnehin nur auf der Durchreise war. Sicher hat Hubert mich nicht gesehen, aber mir war es wie ein Stich – so der Rücken mit schwarzem Mantel und der Kopf ein bißchen schief auf der Seite und der blonde Hals – und mußte nur denken an den Ausflug in den Kuckuckswald, wo er lag – die Augen zu. Und die Sonne machte, daß der Boden summte und die Luft so zittrig – und ich setzte ihm Ameisen ins Gesicht, wie er schlief, weil ich nie müde bin mit einem Mann, in den ich verliebt bin – und setzte ihm Ameisen in die Ohren – und Huberts Gesicht war ein Gebirge mit Tälern und allem, und er schrumpfte die Nase so ulkig ein und hatte den Mund etwas halb offen – wie eine Wolke flog sein Atem raus – ich hielt einen Grashalm hin, der bewegte sich. Und er sah richtig ein bißchen blöde aus, aber für sein dummes Schlafgesicht liebte ich ihn mehr als für seine Küsse – und die waren schon sehr großartig. Und dann sagte er mir Eichhörnchen, weil ich so eine Art habe, die oberen Zähne vorzuschieben und die Lippe hoch – und tat das immer, weil er das zum Lachen fand und sich freute. Und er glaubte, ich wüßte gar nicht, wenn ich’s tu – und bei dem Glauben läßt man ja dann auch einen Mann.

Und bin jetzt so müde in den Knochen, daß ich am liebsten das Kleid nicht ausziehen würde – mit Gustav Mooskopf war ich mal so müde, daß ich bei ihm geschlafen habe – nur weil’s so weit war bis nach Haus und er mir die Schuhe ausziehen könnte und so – und da denken die Männer immer, es wäre Liebe oder Sinnlichkeit oder beides – oder weil sie so wunderbar sind und ein kolossales Fluidum haben, vor dem man schwach wird und wild in einem – und dabei gibt es Millionen Gründe für ein Mädchen, bei einem Mann zu schlafen. Und ist alles nicht so wichtig. Und schreibe schnell noch Worte über mein Erlebnis – eigentlich nur, weil ich zu faul bin, vom Stuhl mich zu erheben – Gott sei Dank hab ich Pumps an – die liegen jetzt schon unterm Tisch – ich müßte sie auf Leisten tun, weil Wildleder …

Ich schreibe auf dem Büro, denn das Pickelgesicht ist aufs Gericht. Die Mädchen wundern sich und fragen, was ich schreibe. Ich sage: Briefe – da denken sie, das hat mit Liebe zu tun, und das respektieren sie. Und Therese ißt meine Pralines und ist froh, daß ich wieder ein Erlebnis hatte. Sie ist so ein gutes altes Haus, und weil sie kein Schicksal mehr hat wegen ihrem Verheirateten, lebt sie sich fest an meinem Schicksal. Es macht mir furchtbar Spaß, ihr zu erzählen, weil sie eine unerhörte Art hat, sich zu verwundern – und eigentlich ist doch immer alles dasselbe – aber wenn ich ihr nicht erzählen könnte, hätte ich nicht so große Lust, fabelhafte Erlebnisse zu haben.

Ich habe mir überlegt, wo Hubert hier wohnt – ob bei seinen Verwandten, und daß es besser ist, ich sehe ihn gar nicht wieder. Denn mit sechzehn fing ich das Verhältnis an, und er war der erste und sehr schüchtern – trotzdem schon fast Ende zwanzig. Und erst wollte er nicht, aber nicht aus Edelmut und so, sondern einfach aus Feigheit, weil er dachte, das gibt Verpflichtungen, so ein ganz und gar unschuldiges Mädchen. Und das war ich. Aber natürlich glaubte er nicht, daß er einfach ein feiges Schwein war, sondern hielt sich für enorm edel und hätte alles mögliche getan außer dem einen. Ich fand nur, ein Mädchen verrückt machen ist dasselbe, wie was andres tun, und dann dachte ich, einmal muß es ja doch sein, und legte doch großen Wert auf richtige Erfahrung und war auch verliebt in ihn so mit Kopf und Mund und weiter abwärts. Und hab ihn dann richtig rumgekriegt. Aber er dachte, er hätte mich verführt, und riskierte riesiges Gerede von Gewissensbissen, aber im Grunde wollte er die haben und kam sich als kolossaler Kerl vor – und bei dem Glauben läßt man ja dann auch einen Mann. Und ein ganzes Jahr war ich mit ihm zusammen und nie mit einem ändern, denn dazu hatte ich keine Lust, weil ich doch nur an Hubert denken mußte. Und also war ich genau das, was man treu nennt. Aber dann hatte er seinen Doktor und war fertig studiert – Physik und so was. Und ging nach München, wo seine Eltern wohnten, da wollte er heiraten – eine aus seinen Kreisen und Tochter von einem Professor – sehr berühmt, aber nicht so wie Einstein, von dem man ja Photographien sieht in furchtbar viel Zeitungen und sich nicht viel darunter vorstellen kann. Und ich denke immer, wenn ich sein Bild sehe mit den vergnügten Augen und den Staubwedelhaaren, wenn ich ihn im Kaffee sehen würde und hätte gerade den Mantel mit Fuchs an und todschick von vorn bis hinten, dann würde er mir auch vielleicht erzählen, er wäre beim Film und hätte unerhörte Beziehungen. Und ich würde ihm ganz kühl hinwerfen: H20 ist Wasser – das habe ich gelernt von Hubert und würde ihn damit in größtes Erstaunen versetzen. Aber ich war bei Hubert. Also ich hatte nichts dagegen, daß er eine nehmen wollte mit Pinke und so – aus Ehrgeiz und wegen Weiterkommen, wofür ich immer Verständnis habe. Trotzdem mir damals olle vergammelte Ölsardinen mit Hubert auf seiner Bruchbude besser geschmeckt haben als todschickes Schnitzel toll garniert mit Käsemann in ausgesprochen feudalen Restaurants. Von mir aus hätte es auch bei Ölsardinen bleiben können. Aber ich habe mich, wie gesagt, auf Huberts Ehrgeiz hin umgestellt. Da kamen denn seine großen Gemeinheiten. Erstens, daß er drei Tage vor meinem Geburtstag abhauen wollte – und es ging mir dabei nicht um ein Geschenk, denn dazu hatte er ja sowieso nichts und hatte mir als äußerstes nur mal einen kleinen Laubfrosch geschenkt aus Zelluloid und aus Spaß, um im Bach schwimmen zu lassen. Und ich habe ihn lange an einem grünen Samtband um den Hals getragen unter der Bluse und aus Pietismus, trotzdem die Pfoten sich schmerzhaft in meinen Hals drückten, wo ich ohnehin so zarte Haut habe. Was ja andrerseits auch wieder ein Vorteil ist – bei Männern. Aber bei Sonnenbrand nicht. Und haute ab drei Tage vor meinem Geburtstag, ich mußte das als Roheit empfinden, denn ich hatte gespart für ein Tupfenkleid und wollte es diesen Tag zuerst anziehn – natürlich doch wegen Hubert. Und saß dann allein mit meinem Tupfenen und Therese in einem Lokal mit Musik. Und heulte Tränen in den Kaffee und mußte mir mit echt waschledernen Handschuhen immerzu die Nase wischen, weil ich gerade kein Taschentuch da hatte und Therese ihr’s voll Stockschnupfen war. Und heulte Tränen auf das neue Kleid – und hätte nur noch gefehlt, daß die Tupfen nicht waschecht waren und ausgingen und zu allem ändern mein lachsfarbenes Kombination mit verfärbte. Aber das wenigstens passierte nicht. Das war die eine Gemeinheit, und die andere bestand darin, daß er mir alles auf moralische Weise eröffnete. Wir saßen in einem Lokal, fängt er mir auf einmal von seiner Münchner Spinatwachtel an. Ich nicke nur und arbeite innerlich an meiner Umstellung und denke: schließlich hat er seine Gründe, aber lieben tut er nur dich.

Legt er auf einmal los – ganz rot und verlegen, weil ihn irgendwo sein Gewissen zwackte, und das machte ihn feindlich gegen mich: »Wenn ein Mann heiratet, will er eine unberührte Frau, und ich hoffe, meine kleine Doris …« und sprach so gesalbt, als wenn er eine ganze Dose Niveacreme aufgeleckt hätte: »Mein gutes Kind, ich hoffe, daß ein anständiges Mädchen aus dir wird, und als Mann rate ich dir, dich keinem Mann hinzugeben, bevor du verheiratet bist mit ihm …«

Was er noch sagen wollte, weiß ich nicht, denn es kam über mich, als er sich so aufspielte mit öliger Stimme und großer Moral und erschauerte vor sich selbst und hatte eine gequollene Haltung mit Brust raus und Schultern nach hinten gekugelt wie ein oberster General auf der Kanzel. Und das mir! – von einem, den ich nahezu dreihundertmal in Unterhosen gesehen habe und noch weniger an – mit einer Sommersprosse auf dem Bauch und Haare an den X-Beinen! Und hätte mir sagen können als guter Freund, daß er eine will mit Geld und darum mich nicht. Aber triefen vor Rührung über seine Fabelhaftigkeit, weil er mich nicht zu arm, sondern nicht anständig genug findet, weil ich mit ihm … also bei so was kann ich nicht mit, da setzt mein Verstand aus und es überkommt mich. Ich kann das nicht so erklären, was mir so Wut machte, jedenfalls langte ich ihm eine ganz offiziell, was ich meistens nur selten tue, und das knallte so, daß der Ober dachte, ich hätte ihm ein Zeichen zum Zahlen geben wollen.

Jetzt sitze ich hier in einem Lokal und habe furchtbar viel Leberwurst gegessen, trotzdem jeder Bissen mir im Hals würgte, aber ist dann doch runtergegangen, und hoffentlich schadet es mir nicht auf die entsetzliche Aufregung. Denn ich bin aus meiner Stellung entlassen und zittre in den Gliedern. Und nach Hause gehn habe ich geradezu Angst, ich kenne meinen Vater als ausgesprochen unangenehmen Mensch ohne Humor, wenn er zu Hause ist. Man kennt das – daß Männer, die am Stammtisch und in der Wirtschaft italienische Sonne markieren und immer die Schnauze vorneweg und alles unterhalten – daß die zu Haus in der Familie so sauer sind, daß man sie am Morgen nach einer versoffenen Nacht nur ansehn braucht und spart einen Rollmops.

Und alles kam so: ich hatte zu wenig Briefe geschrieben wegen an Hubert denken und mußte auf einmal mit Dampf loslegen, um noch was fertig zu kriegen – natürlich weit und breit kein Komma in den Briefen, was aber ein System von mir ist: denn lieber gar keine Kommas als falsche, weil welche reinstricheln unauffälliger geht als falsche fortmachen. Und hatte auch sonst Fehler in den Briefen und dunkle Ahnungen daraufhin. Und guck schon gleich beim Reinbringen wie Marlene Dietrich so mit Klappaugen-Marke: husch ins Bett. Und das Pickelgesicht sagt, alle könnten gehn, nur ich sollt noch bleiben und Briefe neu schreiben, was mich anekelt und wozu ich nie Lust habe, denn es waren Akten mit furchtbarem Quatsch von Blasewitz, dem ein Zahnarzt eine Goldkrone rausgemurkst hatte und richtig gestohlen und dann auf der Rechnung nochmal angerechnet – kein Schwein wird draus klug, und wochenlang schreib ich schon von Blasewitz seine Backzähne, was einem eines Tages auf die Nerven geht. Und geh zum Pickelgesicht ins Büro – alle sind fort – nur er und ich sind noch da. Und er sieht meine Briefe durch und macht Kommas mit Tinte – ich denke: was bleibt dir übrig! und lehne mich aus Versehen leicht an ihn. Und malt immer mehr Kommas und streicht und verbessert, und will auf einmal bei einem Brief sagen: der muß nochmal geschrieben werden. Aber bei »nochmal« gebe ich mit meinem Busen einen Druck gegen seine Schulter, und wie er aufguckt, zittre ich noch für alle Fälle wild mit den Nasenflügeln, weil ich doch fort wollte und nichts mehr von Blasewitz seine Backzähne schreiben und von der Frau Grumpel ihre Raten für das stinkige Milchlädchen auch nicht. Und mußte das Pickelgesicht darum ablenken und machte ein Nasenflügelbeben wie ein belgisches Riesenkaninchen beim Kohlfressen. Und will gerade sinnlich hauchen, daß ich so müde bin und mein armer alter Vater mit Rheumatismus wartet, daß ich ihm »Das Glück auf der Schwelle« vorlese – will ich gerade sagen, da passiert es, und ich merke zu spät, daß ich mit meinen Nasenflügeln zu weit gegangen bin. Springt doch der Kerl auf und umklammert mich und atmet wie eine Lokomotive kurz vor der Abfahrt. Ich sage nur: aber – und versuche, seine widerlichen langen Knochenfinger von mir loszumachen, und war wirklich verwirrt, denn ich hatte mit dem allen doch erst vier Wochen später gerechnet und sehe wieder, daß man nie auslernt. Und er sagt: »Kind, verstell dich doch nicht, ich weiß doch seit lange, wie es mit dir steht und wie dein Blut nach mir drängt.«

Also ich kann nur sagen, ich wunderte mich von neuem, wie ein Mann, der doch studiert hat und schlau wird aus Blasewitz seine Backzähne, derartig dumm sein kann. Und Hubert war schuld und mein leerer Magen und alles so plötzlich und die Pickel und daß er einen Mund machte wie ein Kletterfisch – war alles schuld, daß ich die Situation verlor. Und flüsterte so albernes Zeug – so das übliche – und will zu dem kalten Ledersofa mit mir – und noch nicht mal zu Abend gegessen und womöglich hinterher doch noch die Briefe neu schreiben – Zutrauen kann man so einem Rechtsanwalt alles – also das war mir zu dumm. Ich sag nur ganz ruhig: »Wie können Sie mein Kleid so zerknautschen, wo ich ohnehin nichts anzuziehen habe!« Und das war ein Wink und eine Prüfung, und von seiner Antwort hing es ab, ob ich ihn sanft und anständig abweisen würde oder gemein werden. Natürlich kam, was ich erwartet hatte: »Kind, wie kannst du jetzt an so was denken, und nackt ohne Kleider bist du mir am liebsten.«

Da blieb mir glatt der Verstand stehen. Ich trete ihn gegens Schienbein von wegen Loslassen und frage: »Nun sagen Sie mal, Sie blödsinniger Rechtsanwalt, was denken Sie sich eigentlich? Wie kann ein Studierter wie Sie so schafsdämlich sein und glauben, ein junges hübsches Mädchen wäre wild auf ihn. Haben Sie noch nie in den Spiegel gesehn? Ich frage Sie nur, was für Reize haben Sie?«

Es wäre mir interessant gewesen, eine logische Antwort zu kriegen, denn ein Mann muß doch schließlich was denken. Sagt er nur statt dessen: »Also so eine bist du!«

Und zieht das »so« wie ein Gummi-Arabicum. Ich nur: »So oder nicht so – es ist mir ein Naturereignis, zu sehen, wie Sie blau anlaufen vor Wut, und ich hätte nie gedacht, daß Sie noch mieser werden könnten, als Sie ohnehin schon sind – und haben eine Frau, was sich die Haare gelb färbt wie ein hartgekochtes Eidotter und für viel Geld Kosmetik macht und in einem Auto rumsaust und nichts tut den ganzen Tag an solider Arbeit – und ich soll mit Ihnen für nichts und wieder nichts – nur aus Liebe –« Und hau ihm den Brief mit Blasewitz Backzähnen in seine Pickel, denn wo nun schon alles verdorben war, wollte ich auch meinem Temperament mal ganz freie Bahn lassen. Natürlich kündigte er mir zum nächsten Ersten. Ich sag nur: »Ich hab’s auch satt bei Ihnen, und geben Sie mir noch ein Monatsgehalt, dann komme ich morgen schon nicht mehr wieder.«

Und ging keß mit Drohungen vor – daß die Männer bei Gericht nur seine miese Visage sehen brauchen und mir sofort glauben, daß ich nie sinnliche Blicke geworfen habe, und mir vollkommen recht geben würden – und ob es ihm lieb wäre, wenn ich morgen den Mädchen hier alles erzähle, wo er noch dazu so unanständige Worte gebraucht hat wie nackt und mein Blut drängte – und wenn mich was furchtbar aufgeregt hat, muß ich es leider erzählen. Und jetzt sitze ich hier mit 120 und überlege mir eine neue Existenz und warte auf Therese, der ich telephoniert habe, damit sie mich tröstet und beruhigt, denn schließlich habe ich eine Sensation durchgemacht.

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