Das kurze Leben des K. Rusinski – Ein Fall für Abel - Fred Breinersdorfer - E-Book

Das kurze Leben des K. Rusinski – Ein Fall für Abel E-Book

Fred Breinersdorfer

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Beschreibung

Jean Abel hat seien Job als Privatdetektiv aufgegeben. Kunden gab es nur selten, Honorare ebenso wenig. Da nimmt er lieber die Referendarstelle im Staatsdienst an und dann mal sehen. Und der erste Einsatz wartet bereits auf ihn. Staatsanwalt Luther hat es verständlicherweise vorgezogen, an seiner Stelle den Neuling Abel zur Obduktion zu schicken. Für einen Schreibtischmenschen ist die unmittelbare Konfrontation mit den facts of life nicht immer bekömmlich. Auch Abel ist ziemlich geschockt, aber Dienst ist Dienst …
Und jetzt identifiziert er einen bislang unbekannten Toten. Er kennt Ruski, wie er in Studentenkreisen hieß, aus seiner Tübinger Zeit. Dort war Ruski eine stadtbekannte Figur gewesen, kein Student, sondern Automechaniker, arbeitslos, vorbestraft. Er handelte mit allem und jedem. Mit schwarzem Afghan und Parolen der Chaoten. Aber jetzt hatte jemand dem Leben von K. Rusinski ein Ende bereitet. Mit einer Kugel. Und ihn dann an einem Feldrain abgeladen wie einen Müllsack.
Möglicherweise ein Fememord, vermutet man im LKA. Damit ist es ein Fall für die Terrorfahndung, und Staatsanwalt Luther ist selbstverständlich bereit, seinen Referendar »auszuleihen«, da Abel genau der richtige Typ ist, die Szene auszuleuchten.
Doch dann bekommt es Abel mit echten Profis zu tun.

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Fred Breinersdorfer

 

 

Das kurze Leben

des K. Rusinski

 

 

Ein Fall für Abel

 

 

Ein Kriminalroman

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Christian Dörge mit Bärenklau Exklusiv, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Das kurze Leben des K. Rusinski 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

Der Autor Fred Breinersdorfer 

Folgende Romane des Autors Fred Breinersdorfer sind ebenfalls erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

Jean Abel hat seien Job als Privatdetektiv aufgegeben. Kunden gab es nur selten, Honorare ebenso wenig. Da nimmt er lieber die Referendarstelle im Staatsdienst an und dann mal sehen. Und der erste Einsatz wartet bereits auf ihn. Staatsanwalt Luther hat es verständlicherweise vorgezogen, an seiner Stelle den Neuling Abel zur Obduktion zu schicken. Für einen Schreibtischmenschen ist die unmittelbare Konfrontation mit den facts of life nicht immer bekömmlich. Auch Abel ist ziemlich geschockt, aber Dienst ist Dienst…

Und jetzt identifiziert er einen bislang unbekannten Toten. Er kennt Ruski, wie er in Studentenkreisen hieß, aus seiner Tübinger Zeit. Dort war Ruski eine stadtbekannte Figur gewesen, kein Student, sondern Automechaniker, arbeitslos, vorbestraft. Er handelte mit allem und jedem. Mit schwarzem Afghan und Parolen der Chaoten. Aber jetzt hatte jemand dem Leben von K. Rusinski ein Ende bereitet. Mit einer Kugel. Und ihn dann an einem Feldrain abgeladen wie einen Müllsack.

Möglicherweise ein Fememord, vermutet man im LKA. Damit ist es ein Fall für die Terrorfahndung, und Staatsanwalt Luther ist selbstverständlich bereit, seinen Referendar »auszuleihen«, da Abel genau der richtige Typ ist, die Szene auszuleuchten.

Doch dann bekommt es Abel mit echten Profis zu tun.

 

*

 

Fred Breinersdorfer ist einer der renommiertesten deutschen Krimi- und Drehbuchautoren. Der Berliner Anwalt schuf die Abel-Reihe im ZDF, basierend auf seinen Romanen, die nun in digitaler Form vorliegen. Sie sind Klassiker des modernen deutschen Krimis. Er schrieb für die ARD über fünfzehn Tatort-Drehbücher.

 

 

***

 

 

Für Regine, Leonie und Julian F. B.

 

 

Das kurze Leben des K. Rusinski

 

 

1. Kapitel

 

 

An einem der wenigen heißen Tage im August 1979 betrat Abel das schmucklose Gebäude der Staatsanwaltschaft in der Neckarstraße in Stuttgart.

»Ausweis«, sagte ein Polizeibeamter hinter der grünlich schimmernden Panzerglasscheibe in dem kleinen Vorraum. Abel kramte in der Tasche und zog aus seinem Geldbeutel schließlich das konkav verbogene graue Pappstück und gab es durch den Schlitz unter dem Panzerglas. Der Polizist studierte die Legitimation umständlich, notierte Name, Geburtsdatum, Ausstellungsbehörde und Nummer, ehe er fragte, zu wem Abel wolle.

»Staatsanwalt Luther.«

Der Beamte wählte eine Nummer: »Erwarten Sie einen gewissen Abel?« Als dies bejaht wurde, drückte er einen Summer. Abel trat durch die massive Drehtür in einen kühlen Gang und suchte dann das Zimmer des Staatsanwalts, zu dem er bestellt war. Es war 9 Uhr 30. Er klopfte an eine der Türen.

»Herein!«

Abel öffnete und sah einen kleinen, korpulenten Mann von knapp Vierzig auf sich zukommen, der einen korrekten Anzug trug, mit Fliege und weißem Hemd, der Kragen war trotz der Hitze geschlossen.

»Luther.« Der Mann streckte die Hand aus. Abel hatte einen weichen Händedruck erwartet, doch Luther packte seine Finger weit vorne und quetschte sie zusammen. Abel stellte sich vor und wurde auf einen Stuhl komplimentiert, der mitten vor dem Schreibtisch stand und so aussah, als habe er schon einer kaum überschaubaren Zahl von Delinquenten beim Verhör gedient. Luther ließ sich auf seinem Sessel nieder. Hinter ihm schien die Morgensonne grell durch weiße Stores.

»Nä, dat man auch mal einen gestandenen Mann als Referendar hat.« Der Staatsanwalt lachte. Er war Westfale. »Ich freue mich, dass ich einen so bekannten Privatdedektiv a. D. ausbilden kann.« Luther sah dem Referendar gerade in die Augen.

»Bekannt?«, fragte Abel, der seinen neuen Ausbilder noch nicht einzuschätzen vermochte.

»Na ja, immerhin harn Se mal dem guten Schuster arg mitgespielt, das spricht sich rum.«

»Ach so.« Abel war geschmeichelt.

»Und jetzt bei Vattern Staat untergekrochen?«

»Es ist nur so etwas wie ein Versuch«, sagte Abel und zuckte die Achseln.

»Wieso?«

»War nichts, dieser Job als Privatdetektiv. Bei den Amis ist das besser. Die haben dort Lizenzen, Autorität. Nein, bei uns taugt das nichts. Da fällt nur ab und zu eine Ehegeschichte ab, schmieriger Kram, stundenlang vor Hotels im Auto rumhängen, bis man ein Foto schießen kann oder…«

»Oder für Querulanten über die Nachbarn etwas rauskriegen.« Luther lachte und knallte mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. »Nä, Mann, dat kenn ich alles aus den Akten hier.«

»Oder entlaufene Hunde suchen für einen Fünfziger – es war ein mieser Job.«

»Hamse denn nicht gut verdient?«

»Schulden hab ich, mächtig Schulden.«

»Aber dem Kommissar Schuster hamse ordentlich Schwierigkeiten gemacht«, wiederholte Luther hartnäckig.

Abel grinste. »Hätte ich mir einen Mord anhängen lassen sollen? Einfach so, einen Mord? Heute lacht man drüber, aber damals habe ich ganz schön geschwitzt, bis ich den Kopf aus der Schlinge hatte…«

»Und dem Schuster einen Mörder frei Haus geliefert.« Der Staatsanwalt schubste eine Akte über den Tisch. »Ich hab die Sache damals angeklagt, hier. Zehn Jahre hat er gekriegt, ganz schön wenig, auch für meinen Geschmack, wenn se mich fragen.«

Abel zog ein verächtliches Gesicht. »Und Schuster?«

»Hat einen aufn Deckel gekriegt, der Alte.« Luther lehnte sich zurück. »Und aus dem Privatdetektiv ist ein flotter Referendar geworden?«

Abel nickte skeptisch.

»Is auch besser so«, fuhr der Staatsanwalt fort, »wer ein Studium abgeschlossen hat, der soll auch weitermachen auf dem Weg, den er eingeschlagen hat. Ein Jurist ohne zweites Staatsexamen ist nun mal ein Dreck. Und vor das zweite hat der Gesetzgeber den Referendardienst gesetzt.«

Abel zuckte die Achseln.

»Immerhin kriegen Se fast fünfzehnhundert netto, und das für einen Halbtagsjob, nä, dat is besser, als so auf eigene Rechnung rumvegetieren.«

»Na ja«, sagte Abel. Und dann: »Fürs Leben reicht’s.«

»Sie sind gut.« Luther lachte. »Ich muss mit kaum dem Doppelten Frau, Kind und Hund durchbringen. Da reicht’s auch nur für ’n Opel und Urlaub mit Quelle.« Er zog eine Akte zu sich herüber. »Und hinterher?«, fragte er.

»Erst mal sehen, ob ich das zweite schaffe«, sagte Abel, der nicht verraten wollte, dass er sich kaum Sorgen um seine Zukunft machte. Dass das Gehalt als Beamter auf Widerruf für zwei Jahre Perspektive genug für ihn war, das, fürchtete er, würde der Staatsanwalt nicht verstehen.

»Anwalt?«, fragte Luther.

»Vielleicht.«

»Nä, dat war nix für mich.« Luther winkte ab. »Ich muss wissen, wieviel ich mit sechsundvierzig hab und wieviel mir bleibt, wenn ich zweiundsechzig bin, nä!« Er lachte wieder und schlug die Akte vor sich auf. Abel beugte sich vor, um besser sehen zu können. Er wusste, dass jetzt das begann, was man bei der Justiz für angehende Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsbeamte und Rechtsanwälte mit dem anspruchsvollen Wort »Ausbildung« belegte. Bringen wir’s hinter uns, dachte er und blinzelte in die Sonne.

»Der Indem-Satz«, sagte Luther und deutete auf ein Blatt in der Akte, »das haben wir schon im Einführungslehrgang gehabt.«

»Ja«, murmelte Abel teilnahmslos.

»Also«, fuhr der Staatsanwalt fort, »der Indem-Satz leitet sozusagen die konkrete Beschuldigung des Angeklagten im sogenannten Anklagesatz ein. Der Indem-Satz ist die hohe Schule der Formulierung einer Anklageschrift. Alles in einem Satz, im Konjunktiv, auch wenn das Ganze über mehrere Seiten geht, das zwingt zur Konzentration auf das Wesentliche.«

Abel nickte.

»Probieren Se mal«, sagte Luther und begann mit Abel einen einfachen Satz zu memorieren: »Gustav Gut wird angeschuldigt, er habe versucht einen Menschen zu töten, indem …« Sein Zeigefinger fuhr in die Luft »… indem er bewusst und gewollt auf den Norbert Nagel am Abend des … na sagen wir 3. August 1979 gegen 22 Uhr 30 mit einem stilettartigen, einseitig scharf geschliffenen Messer einstach und diesem mindestens drei Stichwunden beibrachte, und zwar die erste am Oberschenkel in der Leistengegend, die zweite in der Gegend des Brustbeins, wobei die Klinge abrutschte und eine bogenförmige Schnittwunde hinterließ – sowie die dritte in …«

Das Telefon läutete.

»Luther«, sagte der Staatsanwalt griesgrämig, denn er war gerade gut in Fahrt gekommen. »Au.« Er verzog das Gesicht und zupfte an seiner Fliege. »Baierle?«, fragte er. »Wo? … Aha, also auf den Fildern? Und wie lange liegt er dort?« Wieder eine Pause. »Bei dem Wetter?« Luther drehte sich herum und starrte durch die Vorhänge hinaus. »Wissen Se wie spät es ist?«, sagte er und sah auf seine Armbanduhr, als sei es schon halb sechs. »Also gut, und sagen Se Ihrem Baierle, er soll seine Leichen das nächste Mal… ja, is ja auch egal.« Er warf den Hörer auf die Gabel.

»Was gibt’s?«, fragte Abel, obwohl ihn das Ferngespräch nichts anging.

»Die haben eine Leiche gefunden.«

Die gute Laune des Staatsanwalts war verflogen. Ein weniger selbstsicherer Mensch als Abel hätte sich in diesem Augenblick vielleicht selbst für diesen Stimmungswandel verantwortlich gefühlt.

»Und jetzt?«

»Selbst nachlesen.« Luther schob den Strafprozessordnungskommentar von Kleinknecht über den Tisch. »Leichenfund«, brummte er, »Paragraf 159.«

Abel las nach und stellte fest, dass Polizei und Gesundheitsbehörde den Fund der Staatsanwaltschaft anzeigen müssen, und dass eine Beerdigung ohne schriftliche Genehmigung des Staatsanwalts nicht zulässig ist.

»Jetzt muss ich mir wieder den Kladdaradatsch angucken«, sagte Luther.

»Soll ich das für Sie machen?« Abel legte den Kommentar weg.

»Bäh, an einem solchen Tag eine Leiche, Sie wissen ja nicht, wie mir das …« Der Staatsanwalt schüttelte sich.

»Okay, dann …« Abel stand auf. Er wollte die Chance nicht vertun, an einem solch schönen, blanken Tag dem Nachsprechen von Indem-Sätzen zu entkommen.

»Wollen Se wirklich? Macht Ihnen dat denn nix aus?« Luther kramte in seiner Schreibtischschublade.

Abel schüttelte den Kopf.

»Ja, gut, also dann.« Luther hatte das Formular, das er brauchte, hervorgeholt. Er unterschrieb. »Da oben die Felder ausfüllen, fragen Se den Baierle, dat is der Kripomann, der soll Ihnen sagen, was da reinkommt. Und den Stempel holen Sie sich draußen bei Fräulein Koch.«

Abel nahm die Beschlagnahmeverfügung und faltete sie zusammen. Er erhielt von seinem Ausbilder noch den Kommentar als dienstliches Requisit und schließlich den Rat, nicht zu nahe an die Leiche heranzugehen.

»Ich bin ein Schreibtischmensch«, sagte Luther endlich und klopfte mit dem Kuli auf die Schreibunterlage. »Das da draußen an den Tatorten is nix für mich. Ich brauche meine feste Arbeitszeit und meine Ruhe, verstehn se, so zum Nachdenken und Analysieren, damit dat mit dem Indem-Satz immer klappt.« Jetzt grinste er wieder.

Abel war schon auf dem Weg zur Tür.

»Sie sind auch kein Schwabe?«

»Nein.«

»Gut so«, meinte der Staatsanwalt und holte sich eine neue Akte vom Aktenbock.

 

*

 

Abels alter Auto schaukelte bedrohlich über den ausgedörrten Feldweg, schüttelte sich und bockte in den Schlaglöchern. Mitten in den Kornfeldern und den Wiesen hockten zwei Streifenwagen wie grünweiße Schildkröten. Menschen standen in Gruppen etwas abseits in den Äckern, verharrten unbeweglich. Drei Polizisten in der Nähe achteten darauf, dass keiner den Tatort zertrampelte und Spuren vernichtete. 150 Meter davor wurde Abel von einem jungen Beamten in khakigrüner Uniform aufgehalten.

»Hier gibt’s nichts zu sehen«, behauptete er.

»Für mich doch.«

»Presse?«

»Nee, Staatsanwaltschaft.« Abel grinste, als er in dem Gesicht des Polizisten ungewohnten Respekt aufkeimen sah. Dann gab er die Blanko-Beschlagnahmeverfügung aus dem Wagenfenster, schließlich durfte er, kollegial eingewiesen, noch ein paar Meter weiterfahren und sein Fahrzeug in einer Ausweichbucht abstellen. Er ging zum Tatort. Die anderen Polizisten, die bei den Streifenwagen standen, ließen ihn passieren, weil sie gesehen hatten, dass ihr Kollege weiter vorne Abel mit besonderer Höflichkeit behandelt hatte.

»Staatsanwaltschaft«, sagte er trotzdem und bemerkte, wie man ihn verwundert ansah.

»Staatsanwälte sehen aber anders aus«, brummte ein Polizist, der mit verschränkten Armen am Streifenwagen lehnte.

Viele glauben, dass Staatsanwälte finster dreinblicken, korrekt gekleidet sind und Hornbrillen tragen. Nimmt man Abel dagegen, ewig grinsend, Mitte Dreißig, in staubigen Tennisschuhen, knallengen Jeans, unten umgeschlagen, das bunte Leinenhemd fast bis zum Nabel offen, ein dünnes Silberkettchen um den Hals, so entsprach er kaum der landläufigen Vorstellung vom Strafverfolger. Dennoch, Abel hätte längst selbst Staatsanwalt sein können, wäre er nicht im Studium einer der notorischsten Bummelanten gewesen. Im Vorbeigehen lachte er zu dem brummigen, schwitzenden Polizisten hinüber, er zwinkerte. Abels breites Gesicht mit feinen Lachfalten um die Augen strahlte.

Der Beamte ließ ihn weitergehen und sah dem bulligen jungen Mann mit seinen kurzen, in vielen Wirbeln widerborstig vom Kopf abstehenden Haaren nach, wie er auf einige Zivilisten zuschritt, die mit Maßband, auf Stativ montierten Fotoapparaten, Plastiktütchen und Schaufeln in einer Wiese hantierten. Hinter den Männern lag eine flache Hügelkuppe mit mehreren Reihen fett grüner Büsche, die wie Mauern in den blauen Himmel standen. Zwischen den Sträuchern wuchsen Mohn, Margeriten und Kornblumen. Es war eine friedliche Sommerlandschaft, in der die Menschen und ihre Geräte störten.

»He, was ischt denn da los!«, schrie einer der Zivilisten zu Abel herüber, ln einem weiten Bogen kam er eilig näher und winkte Abel mit ausladenden Armschwüngen aus der Zone, in der die anderen arbeiteten.

»Wer sind denn jetzt Sie?«, fragte der Mann, als er Abel erreicht hatte und kurzatmig stehen blieb.

»Abel, Staatsanwaltschaft.«

»Aha«, brummte der Zivilist, und nach einer Pause stellte er sich vor: »Baierle, Kripo.« Dann fragte er, warum denn nicht der Herr Luther komme, der doch wohl zuständig sei für diesen Fall, und Abel antwortete, dass er als dessen Vertreter da sei. Wieder zog er das Formular aus der Tasche.

»Neu?« Der Kriminalbeamte sah an Abel herunter.

»Ja, Referendar.«

»Jesses!« Der Kommissar griff sich an die Stirn. »Der hat wieder en Domma g’fonda, der Luther.« Er schüttelte den Kopf. »Na ja, vertreten Sie keine Spuren und bleiben Sie da hinten, dann füllen wir zusammen das Formblatt aus.«

Abel trollte sich und lehnte sich neben den uniformierten Polizisten an einen Streifenwagen. So nach und nach erfuhr er, dassder Mann, mit dem er gesprochen hatte, der Kommissar Baierle vom Landeskriminalamt war, der die Untersuchung leitete. »Man hat eine männliche Leiche am Morgen an einem Feldrain gefunden«, fuhr der Polizist fort, »und nun muss man die Spuren sichern. Viele gibt es nicht.«

»Ein langweiliger Job an einem so schönen Sommertag für eine Streifenwagenbesatzung.«

Er zuckte die Achseln. »Na ja, vielleicht auch besser, als auf der Standspur die Autobahn vor einem Stau die Alb hinauf zu sichern.«

Gegen Mittag schließlich hatten sich die wenigen Zuschauer verlaufen. Einer der Polizisten döste hinten im Auto bei offener Tür. Der Funk rauschte und quäkte. Zwei andere unterhielten sich leise und warfen Steinchen in einen Graben.

Die Männer auf dem Feld kamen langsam voran. Meter um Meter suchten sie das Gelände ab, markierten die Fundorte von alten Büchsen und sonstigem Müll, der nicht auf ein Feld gehört, fotografierten Gegenstand und Umgebung mit einer Stereokamera, um dann wieder schrittweise weiterzuarbeiten.

Es war fast ein Uhr, als Baierle winkte und Abel herbeirief. Abel ging vorsichtig durch das von den Suchtrupps niedergetretene Gras, als könne er noch Spuren vernichten. Der Kommissar führte ihn schweigend die letzten Meter bis zu einem flachen Graben, in dem die Leiche lag.

»Da liegt unser Kunde.« Baierle deutete auf den Boden.

In einem Graben, der zwei Äcker trennte, lag die Gestalt eines Mannes, das Gesicht nach unten, die Füße einwärts verdreht. Die rechte Hand war auf den Rücken gebogen, wie man es in Kurorten bei Spaziergängern beobachten kann. In den blonden Haaren des Toten krustete Blut. Eine Hummel tastete sich über die Schulter zum Kopf. Baierle bückte sich und schob mit seinem Kuli eine Haarsträhne zur Seite, um das Einschussloch zu zeigen. Abel sah hinauf zu den Büschen, um sich von dem Bild zu lösen.

»Es gibt schlimmere«, sagte der Kommissar nüchtern und erhob sich wieder.

Abel fühlte sich betroffen, weil der Mann neben dem Toten laut gesprochen hatte. Er räusperte sich und fragte mit fester Stimme:

»Was muss ich jetzt machen?«

»Ihr Formblatt ausfüllen.«

Die beiden gingen zurück zu den Streifenwagen und Abel trug nach Diktat die notwendigen Feststellungen in das Formular ein. Fundort, Fundzeit, mutmaßlicher Todeszeitpunkt, Geschlecht und erste Beschreibung des Toten sowie andere für die Akten der Gerichte und Staatsanwaltschaften wichtige Angaben. Inzwischen war ein grauer Leichenwagen mit geätzten Seitenscheiben eingetroffen. Die Männer unterhielten sich über die Hitze und hoben polternd einen wannenförmigen Zinkbehälter aus dem Laderaum, um den Toten abzuholen. Baierle, der sich eine Durchschrift der Beschlagnahmeverfügung abgerissen hatte, lud Abel ein, zuzusehen, wie man jetzt die Leiche umdrehen und weitere Spuren sichern werde. Doch der Referendar winkte ab und ging zu seinem Auto. Der Kommissar und einer der Polizisten sahen sich an.

Abel fuhr über den Feldweg davon und beeilte sich, durch den Mittagsverkehr über Vaihingen in eine Gartenwirtschaft zu kommen, um dort bei einer Vesper und einem Glas Most die Bilder von dem toten Mann im Feldrain abzuschütteln.

Erleichtert tauchte er am Ziel in das Stimmengewirr ein, das von den Tischen zum Parkplatz herüberdrang. Auf dem Spielplatz am Waldrand nebenan tobten Kinder. Ihr gellendes Geschrei war Abel bislang immer auf die Nerven gegangen. Jetzt setzte er sich in die Nähe der großen Schaukel und sah den Kindern zu, wie sie sich um einen Platz balgten und vor Vergnügen schrien, wenn sie sich, von anderen heftig angestoßen, weit hinauf unter die Blätter einer Linde tragen ließen.

 

*

 

»Sie haben einen Termin um elf«, sagte Luther, als Abel zwei Tage später zum Dienst kam.

Er setzte sich zuerst einmal. »Wo?«

»Im Gerichtsmedizinischen.« Luther blätterte in einer Akte.

»Was soll ich da?«

»Zugucken, wie man den Toten von vorgestern obduziert.«

»Muss das denn sein?« Abel verzog das Gesicht.

»Ja, einer muss für die Staatsanwaltschaft hingehen, machen Se das ruhig mal, das bereichert Ihre Erfahrung.«

Abel versuchte mit Ausreden von diesem Auftrag loszukommen, doch Luther blieb hart. Abel solle das auch mal mitmachen, damit er wisse, wie mies der Job beim Staat manchmal sei, für das Geld, das ein Staatsanwalt bekomme. Und weil Abel es nicht mit Luther verderben wollte, stimmte er schließlich widerwillig zu.

»Was weiß man bis jetzt in diesem Fall?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

»Nicht viel. Männliche Leiche, etwa siebenundzwanzig bis dreißig Jahre alt. Todeszeitpunkt zwischen null und drei Uhr, Irrtum vorbehalten. Fundort ist nicht mit dem Tatort identisch. Keine Spur von Tatwaffe oder Hülsen, Projektil noch im Schädel. Jetzt sind die Gerichtsmediziner an der Reihe.« Luther legte den schmalen Aktenordner zur Seite, aus dem er referiert hatte.

»Weiß man, wer der Mann ist?«

»Nein, unbekannter Toter.« Luther malte ein breites Kreuz auf einen Notizzettel. »Das ist alles.«

»So wie es in der Zeitung stand?«

»Ja, mehr weiß man nicht, unbekannter Toter.«

»Okay.« Abel stützte sich auf die Tischplatte und stand auf. »Muss ich wieder ein Formblatt mitnehmen?«

»Nein, das haben die dort.« Luther spitzte sorgfältig einen Bleistift. »Viel Vergnügen auch. Und wenn es Ihnen schlecht wird, dann nicht an was zu essen denken, sonst…«

Abel nickte und ging hinaus.

»He, halt die Akte!«, rief Luther hinterher.

Abel drehte sich noch einmal um, um sich das Dossier zu holen.

 

*

 

Abel musste sich zum Obduktionssaal durchfragen. Auf dem Gang davor stand ein Mann und rauchte, er sah zum Fenster hinaus, hinauf zu den Wolken, die in breiten weißen Bändern über den Mittagshimmel zogen. Abel lehnte sich mit dem Rücken an die Wand mit Ölfarbanstrich. In den Räumen hing ein süßlicher Geruch nach Formalin und Verwesung. Durch eine halb angelehnte Tür sah man Regale mit konservierten, grau rötlich schimmernden Orangen. Der Mann drehte sich um und schaute zu Abel herüber. Als er die Akte bemerkte, fragte er: »Sie kommen für die Staatsanwaltschaft?«

Abel nickte.

»Ich bin als Richter hier«, fuhr der Mann fort und sah auf seine Armbanduhr.

»Dauert das lange?«

»Nein, die kommen bestimmt in fünf Minuten.«

»Ich meine, ob die Obduktion lange dauert?«

»Vielleicht eineinhalb Stunden.« Der Richter lächelte. »Ist es das erste Mal?«

»Ja.«

»Na ja, das geht vorbei. Man gewöhnt sich zwar nie daran, mir geht’s jedenfalls so, aber es macht einem dann nicht mehr so viel aus wie am Anfang.«

»Hoffentlich«, sagte Abel. Er war schon jetzt fest entschlossen, einen zweiten Termin dieser Art nicht wahrzunehmen. Ein Mann in einem weißen Kittel lief vorbei und grüßte flüchtig.

»Aha«, murmelte der Richter und sah wieder auf seine Uhr. Abel begann auf und ab zu gehen. Seinen Kaugummi klebte er verstohlen in den Falz einer Tür.

Krachend fuhren die Flügel der Schwingtür auseinander. Sie klappten zurück an den Schrägen, den zwei Männer den Gang entlangschoben. Unter einem weißen Laken waren die Umrisse eines Körpers zu erkennen. Die beiden Pfleger unterhielten sich und lachten.

»Achtung«, sagte der eine und rammte den Wagen in die nächste Schwingtür, die wieder ächzend aufflog.

»Gehen wir.« Der Richter ging hinter dem Schrägen her, und Abel folgte, den zurückschlagenden Türflügel mit dem Arm abwehrend.

Sie kamen in einen großen Raum mit Milchglasscheiben. An der Decke brannten Neonröhren. In der Mitte waren zwei massive Tische mit grauschwarz gefleckten Kunststeinwannen, jeder fest installiert und mit einem Abfluss an der Seite. Vor dem Fenster standen ein weiß lackierter Blechschreibtisch und drei Stühle. An der Wand entlang waren Industrieregale angebracht, sie enthielten Werkzeuge wie Sägen, Hämmer, Bolzen und Messer in unterschiedlichen Größen. Dazu Löffel und Pfannen, Kellen und Töpfe. Abel hatte chirurgische Instrumente erwartet, doch das hier erinnerte alles viel eher an eine Werkstatt. Sterilität ist für die Toten überflüssig, die hier untersucht werden mussten. Die Helfer und die Ärzte arbeiteten mit weit hochgezogenen Gummihandschuhen, um sich nicht zu infizieren. Für die Gerätschaften genügte eine Behandlung mit Formaldehyd.

Abel folgte dem Richter in einem weiten Bogen um die Seziertische herum, weil die beiden Männer den Schrägen in den Zwischenraum geschoben hatten.

»So, das ist er«, sagte einer der Helfer und zog das Leichentuch fort.

Das Licht fiel dem Toten gerade aufs Gesicht. Die gebrochenen Augen waren halb geschlossen, der Kopf lag auf der Seite.

Ruski, zuckte es Abel durch den Kopf. Kein Zweifel, das war Kurt Rusinski, der da vor ihm lag. Nackt, tot, Objekt einer gerichtlichen Leichenschau. Die Helfer packten ihn gerade mit geübtem Griff und warfen seinen Körper auf den Seziertisch. Der eine Arm, der über den Rand hinaushing, wurde grob zurückgestoßen.

Abel kannte den bisher noch nicht identifizierten Toten aus Tübingen, wo er, Abel, Jura studiert hatte. Er trat einige Schritte näher an die Leiche heran und sah ihr starr ins Gesicht. Es war vom Sterben entstellt, doch es gab keinen Zweifel. Dies war Rusinski, Ruski, wie alle ihn früher genannt hatten.

Der Tote auf dem Seziertisch war vor Jahren in der alten Universitätsstadt eine bekannte Figur gewesen. Ruski hatte zwar selbst nie studiert, er war Automechaniker gewesen, aber er trieb sich Abend für Abend in den Studentenkneipen herum, kannte jeden, wusste alles und schwadronierte laut über sich und seine Fähigkeiten. Er ging damals keiner geregelten Tätigkeit nach, er handelte mit Autos und, wenn Bedarf bestand, mit Haschisch und Hennah. Er war der erste, der 1969 den schwarzen Afghan mit Sägemehl und Schuhcreme streckte.

Meist trieb er sich mit den Chaoten von der äußersten Linken herum, seltener prügelte er sich für Rechtsradikale oder Verbindungsstudenten – je nachdem, wo er mehr abstauben konnte. Er makelte Studentenbuden für einen Fünfziger und vermittelte Ferienjobs gegen Prozente; er war für alles gleich gut und gleich schlecht gewesen. Einer, der bei seinen Geschäften die naiven Erstsemester linkte und behütete höhere Töchter auf schmierige Partys von Handelsvertretern in Reutlingen schleppte, um sie sich für eine »Schutzgebühr«, wie er es nannte, ausspannen zu lassen. Abel hatte ihm einmal vor ein paar Jahren fast die Zähne eingeschlagen, weil Ruski in einer Kneipe an Abels Mädchen herumgetatscht hatte.

Ruski war tot. Irgendeiner hatte ihm vor zwei Tagen den Schädel eingeschossen und ihn dann wie einen Sack voll Dreck vor der Stadt in den Graben gekippt.

Abel empfand kein Mitleid mit Ruski, eher eine unfassbare Betroffenheit vor dem Tod, wie sie alle Menschen empfinden, die nicht gewerbsmäßig mit Leichen umgehen.

Zwei Ärzte kamen. Sie beachteten die Leiche nicht, sondern gaben Abel und dem Richter die Hand.

»Morgen«, sagte man sich gegenseitig.

»Ja, dann woll’n wir mal wieder«, brummte der eine Obduzent und ging an das Fußende der Leiche. An der großen Zehe baumelte ein Zettel, ähnlich solchen, die an Frachtgut befestigt werden.

»Unbekannt«, las der Mann laut und begann mit einem Zollstock den Körper auszumessen. Er gab die Daten lakonisch und regelmäßig an, während der andere Arzt die Werte auf einem Notizblatt niederschrieb, um dann in das Mikrofon eines Diktiergeräts den Befund zu diktieren: »Es liegt eine männliche Leiche zur Obduktion vor. Aus der Akte geht hervor …« Er blätterte in den Papieren »… dass sie noch nicht identifiziert ist. Man habe den Leichnam am Morgen des Tattages auf der Gemarkung Bernhausen, Filderstadt gegen 6 Uhr 30 gefunden. Der herbeigerufene Arzt habe am Fundort um 7 Uhr 28 den Tod festgestellt. Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten auf die polizeilichen Erhebungen verwiesen.«

Der Arzt machte eine Pause und suchte nach seinem Notizzettel. Dann diktierte er weiter:

»Der äußere Befund ergibt: Körperlänge 171 cm, Brustumfang 91 cm.« Es folgten in langer Reihe die Messergebnisse. Jetzt traten die beiden Ärzte an die Leiche heran und bogen die Arme, untersuchten Augen, Mund und Nase, Hände, Füße, Finger und Zehen. Dann wurden die Befunde im Protokoll festgehalten, dass die Leichenstarre nicht mehr feststellbar sei, dass der Tote über eine geringe Körperbehaarung verfüge, alle Glieder vorhanden und gut entwickelt seien, wo man Blut feststellte und dass am Hinterkopf ein Einschussloch sichtbar war, dass das Projektil aber nicht wieder vorn aus dem Kopf ausgetreten sei.

Abel lehnte an der Fensterbank. Er hatte die Arme eng verschränkt und sah den Ärzten bei ihrer Arbeit zu. Der Richter hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen und blätterte in einer Zeitung, die er mitgebracht hatte.

Schließlich begann einer der Helfer, den Körper vom Brustbein bis hinunter zur Scham mit einem spitzen Messer mit Holzgriff aufzuschneiden. Jetzt drang deutlich wahrnehmbarer Fäulnisgeruch durch den Raum. Abel hustete, um das Würgen niederzukämpfen, das in seiner Kehle hochstieg. Der Richter faltete die Zeitung zusammen und sah zu Abel hinauf.

»Halten Sie es durch«, sagte er, »in ein paar Minuten haben Sie sich daran gewöhnt.«

Die Helfer grinsten.

Man entnahm der Leiche die Organe, machte Schnitte und untersuchte Gefäße und Gewebe.

---ENDE DER LESEPROBE---