Hurenspiel – Ein Fall für Abel - Fred Breinersdorfer - E-Book

Hurenspiel – Ein Fall für Abel E-Book

Fred Breinersdorfer

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Beschreibung

Wieder steht ein Zuhälter vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, Natascha zur Prostitution gezwungen, misshandelt und mit einer Rasierklinge bedroht zu haben. Abels Antrag auf Zeugenschutzprogramm wird abgelehnt, und Natascha muss ihrem vermeintlichen Peiniger im Gerichtssaal direkt unter die Augen treten. Da organisieren Abel und sein Team ihr eigenes Programm um das Mädchen während des Prozesses zu schützen, doch reicht das? Können sie das Leben des Mädchens, das gegen einen groß angelegten Ring aus Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel aussagen soll, wirklich schützen? Abel, der das Mädchen vertritt, setzt alles daran. Doch Oberstaatsanwalt Billmair scheint in diesem Prozess andere Interessen als die der Wahrheit zu vertreten, denn für ihn sind Nutten nichts weiter als „menschlicher Müll am Straßenrand“. Was für ein Spiel spielt dieser Mann? Steht er am Ende auf der anderen Seite des Gesetzes?

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Léonie-Claire und Fred Breinersdorfer

 

 

Hurenspiel

 

 

Ein Fall für Abel

 

 

Ein Kriminalroman

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv

Cover: © by Christian Dörge mit Bärenklau Exklusiv, 2023

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Hurenspiel 

Montag, 13. Juli 

Dienstag, 14. Juli 

Mittwoch, 15. Juli 

Donnerstag, 16. Juli 

Montag, 20. Juli 

Dienstag, 22. Juli 

Mittwoch, 11. November 

Donnerstag, 12. November 

Freitag, 13. November 

Mittwoch, 2. Dezember 

Nachwort 

Der Autor Fred Breinersdorfer 

Folgende Romane des Autors Fred Breinersdorfer sind ebenfalls erhältlich oder befinden sich in Vorbereitung 

 

Das Buch

 

 

 

Wieder steht ein Zuhälter vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, Natascha zur Prostitution gezwungen, misshandelt und mit einer Rasierklinge bedroht zu haben. Abels Antrag auf Zeugenschutzprogramm wird abgelehnt, und Natascha muss ihrem vermeintlichen Peiniger im Gerichtssaal direkt unter die Augen treten. Da organisieren Abel und sein Team ihr eigenes Programm um das Mädchen während des Prozesses zu schützen, doch reicht das? Können sie das Leben des Mädchens, das gegen einen groß angelegten Ring aus Zwangsprostitution, Zuhälterei und Menschenhandel aussagen soll, wirklich schützen? Abel, der das Mädchen vertritt, setzt alles daran. Doch Oberstaatsanwalt Billmair scheint in diesem Prozess andere Interessen als die der Wahrheit zu vertreten, denn für ihn sind Nutten nichts weiter als »menschlicher Müll am Straßenrand«. Was für ein Spiel spielt dieser Mann? Steht er am Ende auf der anderen Seite des Gesetzes?

 

*

 

Fred Breinersdorfer ist einer der renommiertesten deutschen Krimi- und Drehbuchautoren. Der Berliner Anwalt schuf die Abel-Reihe im ZDF, basierend auf seinen Romanen, die nun in digitaler Form vorliegen. Sie sind Klassiker des modernen deutschen Krimis. Er schrieb für die ARD über zahlreiche Tatort-Drehbücher.

 

*

 

Seine Tochter Léonie-Claire trat in seine Fußstapfen, sie ist Anwältin und arbeitet als Drehbuchautorin u.a. für verschiedene Krimiformate (»Soko«). Zusammen mit ihrem Vater entwarf sie ein »Tatort«-Format, schrieb unter anderem den Zweiteiler »Der Chinese« (eine Mankell-Adaption) und den 2015 erscheinenden Kinofilm über den Hitler- Attentäter Georg Elser.

 

 

***

 

 

Hurenspiel

 

 

Montag, 13. Juli

 

 

Es war ein seltsamer Tag. Drückend und schwül. Die Sonne hinter einer dicken Schicht Wolken vergraben. Wie im November tief liegender Hochnebel. Die Hitze kroch in jeden Knochen und raubte den Atem. Selbst die Vögel, die sich sonst immer im Hof des Gerichts um die herumliegenden Krumen stritten, waren heute still. Alles lag gelähmt unter dem bleiernen Himmel, der sich mit Müdigkeit für den nicht so fernen Herbst auflud. Die Fenster von Saal 003 waren geöffnet. Wer wollte, konnte jedes Wort mithören.

Abel war gerade dabei, sich mit dem Richter und der Verteidigerin einen Schlagabtausch zu liefern. »Ich protestiere, Hohes Gericht. Meine Mandantin ist eine wichtige Zeugin. Wenn sie gegen den Angeklagten aussagt und ihre Identität preisgibt, wird ihre Lage noch gefährlicher. Ich beantrage zumindest einen Sichtschutz.«

Frau Seeborn, eine bekannte Rechtsanwältin in mittleren Jahren, hatte während der ganzen Zeit mit dem Angeklagten getuschelt. Nun erhob sie sich.

»Herr Richter, der Zeugenschutz wurde beantragt, geprüft und abgelehnt. Der Herr Kollege kann sich hier vor Gericht keine Sonderbehandlung rausnehmen.«

Abel hatte langsam genug von der Überheblichkeit der Verteidigerin.

»Frau Seeborn, ich vertrete hier die Rechte meiner Mandantin. Allein darum geht es und nicht um eine Sonderbehandlung für mich.«

Er sah sie herausfordernd an. Wie oft hatte er sich schon mit dieser Frau vor Gericht auseinandergesetzt! Bei ihr drehte sich alles nur ums Geld. Aus wohlhabender Familie stammend, hatte sie schon in Studientagen mit den jeweils neuesten Sportwagen für Furore gesorgt. Nach kurzer, wilder Zeit hatte sie einen noch wohlhabenderen Münchner Anwalt geheiratet. Kaum hatte sie ihr Studium mit Auszeichnungen bestanden, war sie in die alteingesessene Kanzlei seiner Familie eingetreten. Frau Dr. Seeborn, auf das Frau Dr. legte sie großen Wert, was Abel geflissentlich ignorierte, verteidigte jeden, ohne moralische Skrupel, solange er ihre überhöhten Rechnungen bezahlte. Richter und Anwälte spotteten in der Kantine, ihrem Mann und ihr gehöre schon die halbe Maximilianstraße. Und dennoch ging sie keinen Abend vor 22 Uhr aus dem Büro.

Richter Bertrams Stimme riss Abel aus seinen Gedanken.

»Herr Abel, das Zeugenschutzprogramm für Ihre Mandantin wurde abgelehnt. Daher hat sie auch keinen Anspruch auf einen Sichtschutz im Prozess. Wachtmeister, rufen sie die Zeugin Natascha Kruwkova auf.«

Abel ließ sich wütend auf seinen Stuhl fallen. Er wusste, was das für seine Mandantin bedeutete. Während er hörte, wie sie ausgerufen wurde, begegnete er dem Blick des Angeklagten. Herausfordernd schaute der Mann Abel in die Augen. Seine schwarze Designerbrille funkelte, als er triumphierend lächelte und sich seiner Verteidigerin zuwandte, die ihre Unterlagen sortierte. Abel konnte diese Sorte Mann nicht ausstehen. Immer angetan mit der neuesten Anzugkollektion, heute war es Aubergine mit einer schwarzen Krawatte, mit keck nach oben gegeltem Pony und sich keiner Schuld bewusst. Da waren Abel noch die Heuchler lieber, die vor Gericht vor Zerknirschung zu zerfließen schienen. Der vorangegangene Zeuge hatte den Angeklagten so beschrieben: »Er behandelt Frauen wie den letzten Dreck; wie Ware, mit denen er sein Geld verdient, um dann seinen Freunden aus der Werbebranche Champagner zu spendieren und ihnen von waghalsigen Aktiengeschäften zu fabulieren.« Der Zeuge war voller Hochachtung für den Angeklagten gewesen.

Unruhe entstand im Gericht, als Natascha hereingeführt wurde. Als sie sich dem Angeklagten direkt gegenübersah, wurde sie bleich, drückte sich an den Gerichtsdiener, wie um hinter ihm zu verschwinden und sah sich Hilfe suchend nach Abel um. Abel versuchte sie mit einem aufmunternden Lächeln zu ermutigen, als sie sich auf die Zeugenbank setzte, obwohl er wusste, dass es schwierig werden würde.

 

Jane bog um die Ecke, sie wirkte gehetzt. Trotz des Wetters war sie wie aus dem Ei gepellt. Sie hatte das blonde Haar zurückgesteckt und ein unaufdringliches Sommerkostüm an. Unter den von der Trockenheit schon viel zu früh braun gefärbten Kastanien lief sie eilig auf den Eingang des Justizpalastes zu. Kein Mensch begegnete ihr.

Stimmen, die sie durch die offenen Fenster bis auf den Hof hinaus vernahm, ließen sie aufhorchen. Sie blieb aufmerksam stehen. Eine Frau wurde im Zeugenstand vernommen. Es war ein schnelles, engagiertes Verhör.

Jane erkannte die Stimme von Frau Seeborn. Hart klingend, Sätze wie Messerschnitte. Die Anwältin drang auf Natascha ein, wollte sie zum Reden bringen. Selbst hier draußen hörte Jane, wie verängstigt die Zeugin war, wie sie sich durch das drängende Verhör zunehmend verunsichern ließ. Als sie zögerte, fuhr Seeborn sie an: »Nicht? – Wieso, erinnern Sie sich nicht? Nennen Sie mir einen Grund!«

Abel fiel ihr wütend ins Wort, nahm seine Mandantin in Schutz: »Lassen Sie sie ausreden. Wenn sie den Angeklagten sieht, … die Erinnerung, sie muss sich fast übergeben, können Sie denn nicht sehen, wie schwer es ihr fällt, wieder daran zu denken?«

Der Staatsanwalt neben Abel auf der Bank schwieg und mischte sich nicht ein. Abel warf ihm gelegentlich böse Blicke zu. Keine Reaktion. Der Ankläger ließ Abel alleine kämpfen.

Jane lief weiter, inzwischen rannte sie fast. Auf dem alten Kopfsteinpflaster rutschte sie immer wieder mit ihren Absätzen aus. Dann öffnete sie die große Tür. Die Klinke war über Brusthöhe angebracht. Eine modrige Kühle empfing sie. Es war seltsam still in dem Gewölbe aus der Gründerzeit. Man merkte der Stadt an, dass die Schulferien begonnen hatten, und wer nicht wegfahren konnte, war in die Biergärten oder an die Isar geflüchtet. Jane eilte den Gang entlang zum Gerichtssaal, wo sie an der Tür lauschte, ohne einzutreten. Nun hörte sie wieder Seeborns unveränderte Messerstimme: »Schauen Sie den Angeklagten an, Frau Zeugin. Dieser Mann hier sagt, er hätte Sie nie zu irgendetwas überredet, geschweige denn gezwungen. Er sagt, Sie sind von sich aus auf die Idee gekommen, sich zu prostituieren. Sie brauchten Geld.«

Wieder ein Zwischenruf von Abel: »Die Zeugin hat bei der Polizei klar ausgesagt …«

Jane hörte, wie ihm die sonore Stimme des Richters Bertram ins Wort fiel: »Nur was die Zeugin hier sagt, ist von Bedeutung. Deswegen ist sie ja vorgeladen worden.«

Abel hielt dagegen: »Aber die Aussage vor der Polizei ist ein wichtiger Vorhalt!«

Bertram seufzte und wandte sich an die Zeugin: »Hat Sie dieser Mann hier, wie Sie bei der Polizei ausgesagt haben, zur Prostitution gezwungen und mit einem Rasiermesser bedroht?«

Jane blieb weiter vor der Saaltür stehen, sah den Flur auf und ab, als sei sie kurz davor, einen Einbruch zu begehen und lauschte unruhig dem Fortgang der Verhandlung. Sie spürte förmlich die Bedrängnis von Natascha, wie die junge Frau mit sich rang. Mit erstickter Stimme stammelte sie endlich: »Ich kann doch … es war …«

Wieder fuhr die Verteidigerin dazwischen: »Falschaussage ist strafbar!«

Abel: »Das weiß die Zeugin.«

Nach kurzem Zögern stieß Natascha hervor: »Ich glaube, … ich weiß nicht.«

Dann brach sie ab. Jane hörte ihr unterdrücktes Schluchzen.

Der Richter fragte nach: »Also eine Bedrohung mit dem Rasiermesser … daran erinnert sich doch jeder. – Ja oder nein?«

Natascha sah nicht zu ihrem Anwalt hinüber. Sie schwieg. Abel suchte Blickkontakt, um sie zu ermutigen.

»Wenn Sie uns nun endlich mal klar sagen würden …«, drängte die Verteidigerin. Und der Angeklagte beugte sich gespannt vor.

»Sie braucht Zeit, sich zu fassen, es ist unzulässig, die Zeugin derartig unter Druck zu setzen!« Abel war wütend.

Nach langem Zögern kam ein kaum hörbares »Nein«.

Im Gerichtsaal entstand Gemurmel, Füße scharrten. Jane, vor der Tür, seufzte und schüttelte den Kopf.

Der Richter wollte die Zeugin entlassen, doch Abel ging dazwischen: »Nein, die Aussage ist nicht eindeutig.«

»Und wie eindeutig sie ist«, triumphierte die Verteidigerin. »Ich brauche die Zeugin nicht mehr. Wer wirklich mit einem Rasiermesser bedroht worden ist, der sagt das klipp und klar, wie das Hohe Gericht schon festgestellt hat. Diese Dame will meinem Mandanten eine reinwürgen. So sieht es nämlich aus! Er hat sich um sie gekümmert. Sie hat angefangen, zu verdienen. Aber sie hat immer mehr Geld verlangt, weil sie sich etwas auf ihre hübsche Figur und ihr Gesicht einbildet. Und als das nicht funktionierte, hat sie sich mit einer Anzeige gerächt und die Staatsanwaltschaft und der Kollege Abel sorgen dafür, dass hier ein derartiger Wirbel um nichts gemacht wird!« Das klang höhnisch und siegessicher.

Abel beherrschte sich und unterbrach so ruhig wie möglich: »Schauen Sie sich doch den Angeklagten an und dann die Zeugin. Wer setzt da wen unter Druck?«

Frau Seeborn fügte ungerührt hinzu: »Es ist zwar heutzutage politisch korrekt, jedem Mann, der im Milieu arbeitet, locker mal zu unterstellen, dass er die Frauen zur Prostitution zwingt. Aber das Milieu ist inzwischen ein ganz normales Business, in dem Frauen ihr Geld …«

Richter Bertram war erfahren genug, um die Verhältnisse zwischen Natascha und dem Angeklagten richtig einzuschätzen.

»Keine Plädoyers bitte. – Die Zeugin wird entlassen. Die Situation ist schon schwierig genug für sie.«

Jane schaute sich nervös um, ging an das Ende des Flurs und blickte prüfend die Treppen hinab. Jetzt war sie froh, dass das Gericht wie ausgestorben in der Hitze brütete. Kurze Zeit später öffnete sich vorsichtig eine Seitentür des Gerichtssaals.

Aus der Tür trat Annabelle Bartosch, die als Hauptkommissarin bei der Münchner Kripo in der Ettstraße im Dezernat »Kapitalverbrechen« arbeitete. Jane hatte Annabelle anfangs nicht gemocht, da die Polizistin vor einigen Jahren eine kurze Affäre mit Abel hatte und Jane prinzipiell Abels Affären nicht mochte. Inzwischen bewunderte sie aber Annabelles Arbeit. Sie war unter anderem zuständig für den Schutz von Prostituierten, die sich dazu bereit erklärt hatten, gegen ihre Zuhälter auszusagen, meistens junge Frauen aus Osteuropa, die in ihrer Heimat mit falschen Versprechungen angeheuert und dann in Deutschland auf den Strich geschickt wurden. Ohne Familie und Freunde, ohne Pässe – die wurden ihnen als Erstes abgenommen – und Geld, ihrer Selbständigkeit beraubt, waren sie hilflos den Misshandlungen der Menschenhändler ausgesetzt. Wer sich dagegen wehrte oder sich sogar zu einer Anzeige durchrang, begab sich in Lebensgefahr. Wenn irgend möglich, versuchte Annabelle diese Frauen im Zeugenschutzprogramm unterzubringen.

Annabelle schaute sich vorsichtig nach Jane um, die ihr von ihrer Position am Ende des Flurs zuwinkte. Annabelle griff hinter sich und zog Natascha hastig aus dem Gerichtssaal. Die junge Frau klammerte sich völlig verängstigt an sie und musste fast getragen werden. Annabelle versuchte sie zu beruhigen, redete sanft auf sie ein.

»Natascha, hier ist keiner und Jane wartet da vorne auf dich.«

Natascha schluchzte mit ihrem starken osteuropäischen Akzent: »Warum Leute in Gericht sehe in meine Gesicht? Warum ich nicht hinter Wand wie andere Zeuge?«

Annabelle konnte sich auf diese Diskussion jetzt nicht einlassen. Sie musste Natascha so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone Gericht bringen. Sie eilte den Flur entlang, zerrte Natascha hinter sich her. An der Treppe übernahm Jane das Mädchen und hastete mit ihr in einen Nebenflur. Mit steinerner Miene ging Annabelle zurück in die Sitzung.

 

An der Seite des Gerichtssaals, an der sonst der Zeugenstand aufgebaut war, stand nun doch ein breiter schwarzer Sichtschirm. In dem alten ehrwürdigen Raum wirkte er deplatziert. Als ob sich eine riesige Fledermaus vor die Richterbank gesetzt hätte. Unwillkürlich musste Annabelle bei diesem Gedanken lächeln, obwohl ihr momentan alles andere als fröhlich zumute war.

Als Nächstes wurde ein V-Mann aufgerufen. Er war von der Staatsanwaltschaft in den Menschenhändlerring eingeschleust worden. Ihn durften nicht einmal die Richter oder Nebenkläger sehen, damit seine Tarnung nicht aufflog. Abels Blick traf den der Kommissarin. Er schüttelte verärgert den Kopf. Annabelle zuckte mit den Schultern.

 

Abel vertrat in dieser Sache Natascha als Nebenklägerin. Sein Mitstreiter als Vertreter der Anklage war ein gewisser Dr. Billmair, ein ehrgeiziger Mittvierziger, der ohne Rücksicht gegen sich und andere die Karriereleiter hinaufgestiegen war. Er stand kurz vor seiner Beförderung zum Leitenden Oberstaatsanwalt. Abel und viele seiner Verteidigerkollegen freuten sich auf den Karrieresprung. Denn dann würde er nicht mehr in Verhandlungen auftreten. Der »Leitende« war ein Bürojob. Wenn Abel als Verteidiger gegen Billmair auftrat, fürchtete er ihn. Als Nebenkläger hatte er nichts gegen eine scharfe Gangart, zumal in diesem widerwärtigen Verfahren. Die Stellung prägt die Perspektive, nicht nur bei Anwälten.

Billmair hatte ein gepflegtes Äußeres. Es gab Frauen, die fanden, dass er in seinen strengen Anzügen gar nicht schlecht aussah. Um den schmalen Mund spielte gerne ein verbindliches Lächeln, selbst wenn er die Angeklagten und Zeugen mit seinen Worten sezierte. Das früh ergraute, leicht schüttere Haar war zu einer schwungvollen Cäsarenfrisur geschnitten, für einen Mann in seiner Position ein bisschen zu gefönt. Wenn er Zeugen befragte, hatte er die Angewohnheit seine randlose Brille abzusetzen und sie säuberlich zu putzen, während der Zeuge seinen Worten nachlauschte und immer nervöser wurde. Seine Überrumpelungen kamen wohl vorbereitet und hatten oft Erfolg. Die Strafanträge nach seinen Plädoyers lagen immer am oberen Rand des Vertretbaren.

Abel wusste, Annabelle konnte den Staatsanwalt nicht leiden, musste aber direkt mit ihm zusammenarbeiten. Sie hielt ihn für unflexibel und stur und hatte den Spitznamen »Paragrafenrambo« für ihn erfunden. Erstaunlicherweise kam Billmair seinerseits mit Annabelle wegen deren burschikoser Art relativ gut klar. Abel war sich bei Billmair nicht so sicher. Er wusste nicht, wie er den aalglatten Staatsanwalt einschätzen sollte. Billmair schätzte Abel, ließ das aber sehr selten durchblicken. Beispielsweise jetzt, als er mit einer kleinen Geste an Abel erneut das Fragerecht an die Nebenklage abtrat.

Abel begann mit der Vernehmung des V-Manns. Es war irritierend, in einem Gericht nur die Stimme zu hören, ohne den Zeugen von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Jeder im Raum musste sich automatisch genauer auf das Gesagte konzentrieren. Abel lauschte den Antworten des Zeugen überaus aufmerksam. Der Mann sprach hochdeutsch, mit einem sanften Akzent, den Abel nicht einordnen konnte. Er bemerkte, wie sich der Angeklagte aufmerksam vorbeugte, beim Versuch zu erkennen, wer ihn da verriet.

Abel brachte den Zeugen dazu, die Namen der Zuhälter aufzuzählen, die die Mädchen »verwalteten«, sobald sie in München eintrafen »… ein Türke namens Özer Osman und ein Deutscher aus Düsseldorf namens Lauch. Den Vornamen weiß ich nicht, weil er immer nur bei seinem Spitznamen genannt wird.«

Der Vorsitzende Richter wollte wissen: »Welcher?«

»Schnittlauch.«

Schmunzeln und vereinzelt Gelächter im Saal.

Abel hakte nach, um von der allgemeinen Erheiterung wieder auf die Vernehmung zu lenken:

»Wie steht der Herr Lauch zu Frau Kruwkova?«

»Na, sie war sein Pferdchen.«

»Können Sie ausführen, wie Herr Lauch mit seinen Mädchen umgegangen ist. Wenn’s geht, etwas genauer.«

Der V-Mann zögerte. Nach kurzem Räuspern fuhr er fort. »Na ja, besonders zimperlich war’s nicht. Selten ist er aufgetaucht, aber dann ging’s richtig zur Sache. Die Mädchen wurden unter Druck gesetzt. Und wenn sie nicht gespurt haben, dann gab’s auch das eine oder andere blaue Auge.«

Jetzt wurde es interessant. Abel bohrte weiter. »Und wie war das Verhältnis von Herrn Lauch zu dem Angeklagten?«

Frau Seeborn fuhr auf. »Hohes Gericht, ich protestiere. Hier wird meinem Mandanten ein Zeuge vorgesetzt, den er nicht einmal identifizieren kann, und dann soll der sein Verhältnis zu meinem Mandanten näher erläutern. Das kann so nicht angehen.«

Der Richter überlegte kurz: »Herr Abel. Da es sich bei dem Zeugen um einen V-Mann der Kripo handelt, kann er sein Verhältnis zu dem Angeklagten nicht näher erläutern, da sonst seine Identität nachzuvollziehen wäre.«

Seine Finte war nicht aufgegangen, aber Abel ließ sich nicht beirren: »Wie viel Geld bringt ein Mädchen in einer Nacht ein, würden Sie das dem Gericht einmal sagen?«

Sofort antwortete der Zeuge hinter dem Schirm: »Zwischen 600 und 1000 Euro, wenn sie pariert und einigermaßen ausschaut.«

Abel stand auf, überschlug die Summen kurz im Kopf: »Das wären bei fünf Mädchen pro Monat ungefähr 100.000 Euro.«

»Ungefähr, ja.«

Abel wandte sich dem Richter zu: »Bei solchen Summen spielt ein Menschenleben keine große Rolle. Da sind Vergewaltigung und Erpressung an der Tagesordnung. Menschenhandel ist ein lukratives Geschäft in Deutschland.«

Von der Verteidigerbank erscholl zynisches Gelächter. Abel drehte sich nach seiner Kollegin um, die spottete: »So stellt sich der Kollege Abel die Welt des Bösen vor.«

Er starrte sie verständnislos an. Klar, sie musste sich vor ihren Mandanten stellen, aber als Frau musste sie doch zumindest innerlich eine gewisse Distanz zu Männern wie dem Angeklagten haben.

Abel wandte sich wieder Richter Bertram zu: »Hohes Gericht, da bleiben mir keine Fragen mehr.«

Der Zeuge wurde entlassen. Hinter dem Schirm konnte man hören, wie der Stuhl zurückgeschoben und die Tür geöffnet wurde. Anschließend wurde die Verhandlung vertagt.

 

Ärgerlich räumte Abel seine Notizen zusammen und verstaute sein abgerissenes Gesetzbuch in seiner Aktentasche, in das Jane liebevoll erst vor Kurzem die Nachlieferungen mit den Gesetzesänderungen einsortiert hatte. Annabelle trat an seinen Tisch. Sie raunte ihm zu, dass Jane Natascha in Empfang genommen und in ein billiges Pensionszimmer in der Sendlinger Straße gebracht habe.

»Morgen bringen wir sie raus nach Ebersberg in einen Gasthof. Jane hat ein Zimmer auf den Mädchennamen ihrer Mutter reserviert. Das Zimmer kann man von außen nicht einsehen und es gibt zwei Fluchtwege.«

»Okay. – Aber warum bringt ihr sie nicht heute noch da raus? In der Sendlinger Straße treibt sich viel zu viel Gesindel rum«, knurrte Abel.

»Wenn du Zeit hast?«

»Es ist nicht mein Job.«

Dafür kassierte Abel einen schrägen Blick der Kommissarin. »Passiert schon nichts …«, sagte Annabelle. Sie legte ihre Hand beruhigend auf Abels Oberarm und lächelte ihn an. »Wir haben alles unter Kontrolle. Zumindest so lange, bis der Fall vor Gericht abgeschlossen ist.«

Abel bemerkte mürrisch: »Bei den Methoden von Frau Seeborn kann das noch dauern, die hat vor, den Prozess noch ein paar Wochen zu verschleppen.« Er rieb mit verächtlicher Miene Daumen und Zeigefinger aneinander. »Money, Money.«

 

In einer kleinen, karg eingerichteten Dachkammer, die mit rosafarbenen Plastikschläuchen erleuchtet war, in denen kleine Lichtchen blinkten, saß Lena Ulmanis auf einem unbezogenen schäbigen Bett. Das Gewitter, das sich in den letzten Stunden entladen hatte, war in starken Regen übergegangen, der jetzt auf das Dach prasselte. Auf der dreckigen Matratze lag ein Stapel schmuddelige Bettwäsche und ausgefranste Handtücher. Nichts davon hatte sie angerührt.

Lena stammte aus Lettland. Sie war ein hübsches schlankes Mädchen mit ausgeprägten Wangenknochen und blondem langem Haar. Zu Hause, in Riga, hatte sie es als Tochter eines Arbeiters im örtlichen Fischkombinat mit eisernem Willen und Ehrgeiz geschafft, eine Handelsakademie zu besuchen und dort ihren Abschluss zu machen. Sie hatte Buchhaltung, Englisch und Deutsch, Jura und Marketing gebüffelt. Doch danach hatte sie, trotz guter Noten, keine Anstellung gefunden. Auch nicht außerhalb von Riga.

Lena trug Jeans und einen ausgeleierten alten Pullover. Ihr Gesicht war völlig ungeschminkt. Sie hörte mit geschlossenen Augen laut Musik aus ihrem I-Pod, dem einzigen wertvolleren Besitz, den sie noch hatte. Durch die billigen Ohrstöpsel drangen ungefiltert die Bässe. Die Musik half ihr, sich in eine andere Welt zu träumen. Kurz konnte sie die schäbige Umgebung und ihre Lage vergessen. Sie dachte an zu Hause. Zwar war sie arm gewesen, aber sie hatte etwas erreicht, war von ihrer Familie und ihren Freunden bewundert worden, dass sie etwas gelernt hatte. Die Erste in der Familie mit einem höheren Schulabschluss!

Sie hörte nicht, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte, war immer noch in die Musik vertieft.

Plötzlich stand ein Mann im Zimmer. Lena öffnete die Augen und erschrak, sofort war sie wieder zurück in der Realität. Sie wappnete sich und setzte eine trotzige Miene auf. Sie ahnte, was jetzt kommen würde.

Jaro Prohaska, ein junger athletischer Mann, war ein als skrupellos bekannter Zuhälter in München. Er hatte sein Studium an der Universität Pilsen aufgegeben, als er entdeckte, dass er mit der Vermittlung von Mädchen an deutsche Reisende und LKW-Fahrer am Rande der Autobahn nach Prag schneller und einfacher zu Geld kommen konnte. Er trug schwarze Lederhosen und eine Lederjacke mit Fransen an den Ärmeln. Sein langes Haar war am Oberkopf kurz geschnitten und sein Gesicht wurde durch einen schmalen Schnurrbart und einen akkurat ausrasierten Backenbart verunstaltet. Kurz, Jaro sah aus wie die Karikatur eines Zuhälters. Er pflegte dieses Image.

Da Lena ihn nur reaktionslos anstarrte, sagte er mit drohendem Unterton: »Es ist Zeit, Lena.«

Hinter ihm drängte Max Laiwand durch die Tür.

Jaro deutete auf seinen Begleiter und grinste. »Hoher Besuch, heute.«

Lena kannte Laiwand gut, er war deutlich älter als Prohaska und stammte aus einem Wiener Gemeindebau. Früher Arbeitermilieu, heute kriminalisiert. Seinen starken Wiener Dialekt hatte er, obwohl er schon seit Jahren in Deutschland lebte, noch immer nicht abgelegt. Er war erst vor Kurzem nach München gekommen, hatte sich aber schnell in der Szene Respekt und einen Namen verschafft. Laiwand war korpulent, aber äußerst gepflegt, er bevorzugte Maßanzüge. Starke Kurzatmigkeit quälte ihn, wozu nicht nur seine Leibesfülle, sondern auch sein nicht unerheblicher Zigarettenkonsum beitrug.

Lena starrte ihn an. »Schau, schau, unser Augenstern! Wos machst denn so, Maderl? Brav warst nicht, wie man hört …« Lena wandte sich ab. Sie konnte seine aufgesetzte Fröhlichkeit nicht ertragen.

Scheinbar teilnahmslos beobachtete Laiwand, wie Prohaska Lena vom Bett hochzog und sie brutal schüttelte. Er packte sie an den Schultern, zog sie ganz nah an sich heran und starrte ihr drohend ins Gesicht. Lena hielt seinem Blick stand. Sie war trotz ihrer Unterlegenheit bereit zu kämpfen und ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Sie machte sich schroff aus Prohaskas Griff los. Provozierend langsam nahm sie eine Plastiktüte vom Bett, in die sie sorgfältig die wenigen Sachen verstaute, die ihr gehörten. Altbackene Unterwäsche, ein durchsichtiger Beutel mit Toiletten- und Schminkartikel, zwei ausgewaschene Sweatshirts und ein paar Jeans. Dann folgte sie Prohaska, der wütend seinen Autoschlüssel am Band herumwirbelte, zur Tür, nicht ohne ihm einen Blick zuzuwerfen, der hätte töten können. Er ließ sie an sich vorbei ins Treppenhaus gehen und versetzte ihr dabei ansatzlos einen schmerzhaften Schlag mit dem Schlüsselbund, der sie beinahe zu Fall brachte. Lena starrte ihn voller Hass an und ließ sich die Schmerzen nicht anmerken.

 

Abel war nach der Verhandlung im Gericht geblieben, da er in einer Betrugssache noch Akten zur Einsicht bei der Geschäftsstelle holen musste. Zurzeit lief es gut in der Kanzlei. Es hatte sich längst unter den armen Teufeln der Stadt herumgesprochen, dass Abel ein offenes Ohr für ihre Belange hatte, und so musste er immer mehr Prozesskostenhilfeanträge stellen und Pflichtverteidigungen absolvieren. Kleinkram, aber Kleinvieh macht auch Mist. Außerdem gab es inzwischen auch Klienten aus dem Mittelstand, Angestellte, Beamte. Und Abel brauchte nicht viel zum Leben, wenn man davon absah, dass Jane auf pünktliche Überweisung ihres Gehalts pochte.

Eigentlich hatte er ja schon seit Tagen seinen alten, angegrauten Hund namens Paul Schmitz am Halsband nehmen, seine kleine Reisetasche packen und beides in seinem Auto verstauen wollen, um – wie alle anderen – der feuchten Hitze der Stadt zu entfliehen und mit offenem Verdeck und wehenden Haaren, Schmitz auf dem Beifahrersitz mit flatternden Ohren, in die Berge oder an einen der Seen zu fahren. Aber es gab keine Saison für Verbrechen und so musste er seine Pläne immer wieder verschieben.

Müde und verschwitzt fuhr Abel zurück in seine Kanzlei. Die Sache mit Natascha ging ihm mehr unter die Haut, als er sich bislang zugestanden hatte. Annabelle hatte ihn um Hilfe gebeten, weil Natascha nicht ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden und wegen ihrer Aussage bei der Polizei extrem gefährdet war. Trotz langer Kämpfe, erst von Seiten Annabelles, später verstärkt durch Abel, wurde für sie das Programm mit der faden Begründung abgelehnt, der Steuerzahler könne nicht für jede Prostituierte, die ihren Beruf an den Nagel hängen wolle, ein Zeugenschutzprogramm finanzieren.

Abel hatte den inoffiziellen Beistand für Natascha mit Jane besprochen, vor allem die Gefahr, in die sie sich selbst begaben, wenn sie Annabelle darin unterstützten, Natascha sicher unterzubringen. Jane war trotzdem sofort Feuer und Flamme gewesen. Hatte sie doch immer schon ein offenes Herz für Frauen in Not und konnte zum Racheengel mit loderndem Schwert werden, wenn es um deren Verteidigung ging.

Abel kurvte fünf Mal ums Karree, vom St.-Anna-Platz über die Thierschstraße und die Pfarrstraße bis er einen Parkplatz gefunden hatte. Im Sommer war es noch schlimmer, weil sich viele Münchner gerne im ländlich wirkenden Lehel trafen, um unter den Bäumen zu essen oder ein Eis zu genießen. Das Lehel, ein Viertel in der Nähe des Englischen Gartens, vermittelte ein dörfliches Idyll mitten in der Stadt mit seinen engen verwinkelten Gassen, den alten Häusern und dem verwunschenen Plätzchen vor dem barocken Mönchskloster, das seinen Mitgliedern mitten in der Großstadt Abgeschiedenheit und Ruhe gewährte.

---ENDE DER LESEPROBE---