Das Land Kant - Jochen Gerbershagen - E-Book

Das Land Kant E-Book

Jochen Gerbershagen

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Beschreibung

Noch immer ist Das Land Kant reich an staunenswerten Landschaften sowie wundersamen Tieren, Pflanzen, magischen Geschöpfen. Doch seit Ewigkeiten sind die Zugänge zwischen den ober- und unterirdischen Reichen verschlossen. Nur die Draufkanter an der Oberfläche leben in Frieden, während unten die Höhlenwockler weiter danach streben, die Drumkanter zu versklaven. Joldur, ein junger Draufkanter, zieht bangen Herzens aus, den bösen Fluch zu bannen. Ximdi, ein Mädchen der Drumkanter, gerät ohne ihr Wissen auf den ihr vorbestimmten Weg, seine Begleiterin zu werden. Krassnack aber, als Soldat der Höhlenwockler so ehrgeizig wie skrupellos, wünscht der Held eines Vernichtungskriegs zu werden. Drei unheimliche Parallelgeschichten, vom Autor zu einer fesselnden Saga verknüpft.

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Inhaltsverzeichnis
PROLOG
MEIN NAME FÜR DICH IST JEFFGUR
DAS LOCH IN DER MAUER
WIND
AUF TOD FOLGTE WIND, DIE HELLBLAUE SCHLANGE
MOND
SEIN WEG BEGINNT, NOCH IST ER KIND
SAMMELN
DER HINTERHALT
ICH HABE IMMER GEAHNT, WER DU WIRKLICH BIST
MEER
ICH BIN HURAM, DER HÜTER DES STALAKTITEN
DIE ERSTE SCHLACHT
JALVA DELTA
MUSS DEN EINGANG FINDEN, SICH FALSCHEM EINDRUCK ENTWINDEN
DIE GEISELHAFT
UND ER VERSANK BIS ZUM HALS
WASSER
WENN EIN AUSSENWELTLER DURCH DIE PFORTE KOMMT
DER DOPPELTE VERRÄTER
GANZ ANDERS ALS IN SEINER WELT
HÖHLENWORTE
DIE GELEGENHEIT
MAN NENNT UNS DIE FUXILANER
HOLGATUR
BUNT MARKIERTE SCHRIFTEN, DIE SPRACHE DER SEELE
DER VORMARSCH
WALD
ICH BIN PYROSGUDUS, DER HÜTER DER BRÜCKE
KJELMISCH
DER NEUE HELD
XIMDI
DER SCHLACHTPLAN
AUSGERECHNET IM NORDEN
VERSCHWUNDEN
Danksagung
Glossar

© 2018 Fabulus Verlag, Fellbach

www.fabulus-verlag.de

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Lektorat: Joachim Güntner

Vorsatzpapier/Zeichnung der Landkarten: Gioia Hope

Umschlaggestaltung: Fabulus Verlag in Zusammenarbeit mit

r 2 | röger & röttenbacher, büro für gestaltung, Leonberg

Satz und Herstellung: r 2 | röger & röttenbacher, büro für gestaltung, Leonberg

Druck und Bindearbeiten: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN Print: 978-3-944788-64-7

ISBN E-Book: 978-3-944788-65-4

Dieses Buch ist Patrick Schank († 2018) gewidmet, der mir die Schöpfung und den Schöpfer wieder wertvoll gemacht hat.

PROLOG

Unsere Geschichte beginnt in dem längst vergessenen Land Kant. Es ist ein schönes Land mit großen Wäldern, weiten Ebenen, mit einem großen Binnenmeer, mit Wüsten und Sümpfen. Kant hat eine beeindruckende Steilküste und viele außergewöhnliche Tiere leben dort.

Auch ist das Land von Magie erfüllt, welche die bindende Kraft alles Lebenden und Geschaffenen ist. Von den Einwohnern wird sie »schöpfende Kraft« oder »höhere Macht« genannt.

Man könnte meinen, in diesem Land sei alles perfekt und die Einwohner führten ein glückliches und zufriedenes Leben. Doch dem ist nicht so. Die Einwohner des Landes Kant stehen seit Hunderten von Zyklen unter einem Fluch. Der Fluch des großen Krieges lastet auf ihnen. Einst lebten im Land Kant zwei Völker, eines auf der Oberfläche und eines in den weitläufigen Höhlen. Sie waren Freunde, trieben Handel, heirateten untereinander und hatten es gut.

Doch eines Tages brach im Höhlenvolk ein Streit aus. Eine Gruppe von jungen Männern fühlte sich bevormundet von ihren eigenen Leuten und dem Volk auf der Oberfläche. Es kam zu einem blutigen Krieg. Dieser Krieg dauerte über 100 Zyklen undam Ende wurde er durch die schöpfende Kraft beendet. Der Fluch aber blieb. Das Volk auf der Oberfläche, die Draufkanter, und das Volk in den Höhlen, die Drumkanter, haben keinen Kontakt mehr, da die Zugänge zwischen ihren Reichen verschlossen sind. Das Volk in den Höhlen hat der Fluch noch schlimmer getroffen. Da der Krieg in seiner Mitte ausgebrochen war, zerfiel es in zwei verfeindete Völker. Seitdem hören die Kämpfe in den Höhlen der Unterwelt nicht auf, und ganz Kant wartet auf den Auserwählten, der bestimmt ist, das Land zu erlösen und die Völker wieder zu vereinen. Hier beginnt unsere Geschichte. Sie handelt von Joldur, einem Jungen, der sich auf eine der ungewöhnlichsten Reisen machte, von denen im Land Kant je berichtet wurde.

Joldur lauschte Großvater Kjelmisch, er erzählte ihm seine Lieblingsgeschichte von den Höhlen der Drumkanter.

»Stimmt es, Großvater, dass die Drumkanter Stalagmiten essen und Stalaktiten melken««, fragte Joldur, der sich das einfach nicht vorstellen konnte.

»Oh ja«, sagte Großvater Kjelmisch, »und sie haben viele Geheimnisse dort in ihrer Welt unter der Erde.«

»Was für Geheimnisse?«, fragte Joldur.

»Das musst du schon selber herausfinden, denn davon ist nicht viel überliefert. Ich weiß nur das von den Stalagmiten und Stalaktiten, und dass es in unserer Welt vier Eingänge in ihr unterirdisches Reich gibt.«

»Wo sind diese Eingänge und hat sie schon jemand durchschritten?«

»Oh ja, es sind schon Draufkanter hindurchgegangen, doch nur durch den im Süden, und seit über 20 Generationen ist keiner mehr zurückgekehrt.

Die Eingänge sind über ganz Kant verteilt. Einer befindet sich im Westen, am Rand der Wüste Raubalt, die direkt ans große Pinke Meer grenzt. Er liegt in der Bucht der Fischschlucker Trummeln, mitten in einer Klippe. Man sagt, dass die Drumkanter über diesen Eingang den Trummeln Eier aus den Nestern holen und einmal im Jahr das große Ei-Fest feiern.

Der nördliche Eingang liegt im gewaltigen Eisgebirge Kratzer. Er ist geschützt durch ein großes Labyrinth, in dem es viele unbekannte Ungeheuer geben soll, welche den Eingang bewachen und von den Drumkantern verehrt werden. Sie bringen ihnen Opfer aus Fellrutteln dar, von denen sich die Ungeheuer ernähren.

Ein weiterer Eingang liegt im Osten auf dem Grund des großen Binnenmeers Holgatur, welches 10.000 Schritte tief ist. Durch diese Passage können nur die allerkühnsten Seeungeheuer, die Tiefschlaucher, tauchen.

Man sagt, dass die Drumkanter eines dieser Ungeheuer gefangen und gezähmt haben. Seitdem versorgt es den an den unterirdischen Ufern lebenden Drumkanter Clan der Überschiffler mit großen Mengen Fisch aus dem Binnenmeer. Gerüchten zufolge sind früher die Bewohner mit einer Art Glocke zum Eingang getaucht. Aber ich glaube, das ist nur eine Phantasiegeschichte.

Alle drei Eingänge sind unpassierbar für unser Volk und nicht zu erreichen. Aber wie ich schon sagte, es gibt einen weiteren Eingang im Süden, viele haben ihn durchschritten, doch keiner ist zurückgekehrt.

Nur der Berufene kann diesen Weg gehen. Er wird die Magie entfesseln, welche seit langer Zeit gebunden ist, er wird die Freundschaft zu den Drumkantern erneuern, er wird zurückkehren und das Band unserer Völker neu knüpfen. So deuten unsere Weisen die Prophezeiungen.

Sie sagen auch, dass er die Drumkanter von ihren Feinden,den Höhlenwocklern, die sich abgespalten haben, befreien wird. Außerdem wird er die drei anderen Eingänge wieder passierbar für unser Volk machen, damit die einstige Freundschaft unserer beiden Völker wirklich wiederaufleben kann.«

In dieser Nacht schlief Joldur sehr unruhig. Er lag lange wach und malte sich aus, wie die Drumkanter wohl aussahen und wie sie von ihren Feinden, den Höhlenwocklern, gepeinigt wurden.

Es war nur noch 2 Monde hin bis zu seinem Aufkanten. Dieses Ritual musste jeder Jugendliche durchlaufen, um anschließend als vollwertiger Erwachsener zu gelten. Doch das bedeutete nicht nur mehr Freiheit. Man bekam eine Lebensaufgabe und war von da an für seinen Weg selbst verantwortlich.

Vor diesem Ritual hatte er großen Respekt, da es das erste und wichtigste in seinem jungen Leben war. Nach frühestens 168 Monden konnte jeder junge Draufkanter für 7 Tage und Nächte in den Wald des Vergessens gehen und musste dort in einem 14 mal 14 Schritte großen heiligen Quadrat verweilen.

Er durfte nur 7 Gallonen Wasser mitnehmen. Für jeden Tag eine. Zwischen Untergang und Aufgang des doppelten Leuchtens, welches den Tag durchwanderte, durfte man nichts trinken.

Das war besonders hart, denn es war Halfta, die dunkle Jahreszeit nach dem Blattschwund. Es erwartete ihn eine bitterkalte Nacht im Wald des Vergessens.

Joldur durfte nur eine Schaukelmatte, ein Messer und seinen Feuerstein mitnehmen. Einmal am Tag würde er Feuerholz von den raunigen Schlichbäumen außerhalb des heiligen Quadrats sammeln, damit er nachts nicht fror. Den Rest der Zeit war es ihmverboten, das heilige Quadrat zu verlassen, außer, wenn er sich seiner Notdurft entledigen musste.

Es gab keinen Schutz gegen wilde Tiere und das Wetter. In diesen 7 Tagen und Nächten war er sich selbst und der Natur völlig ausgeliefert. Er musste einfach dieses Ritual bestehen, denn er wollte als Erwachsener gelten und eine Aufgabe übernehmen.

Zwei Monde später war es dann soweit und Großvater Kjelmisch nahm seinen Enkel an die Hand und führte ihn an den Rand des Waldes.

»Pass gut auf dich auf, mein Kleiner, und geh bis zum Untergang des doppelten Leuchtens in den Wald. Geh deinen eigenen Weg. Geh ihn, wie du ihn spürst und denke nicht darüber nach, sondern geh einfach. Du wirst wissen, wie du gehen sollst.

Wenn die Große Dunkelheit an der Schwelle steht, mache Halt, schreite die 14 Schritte ab, leg große Steine an jedes Eck und verbinde sie mit Ästen aus raunigen Schlichbäumen. Achte darauf, dass du nichts von diesem Holz für dein Feuer nimmst, denn dann würde der heilige Wall dir keinen Schutz mehr bieten. Spann deine Schaukelmatte zwischen zwei Bäume und leg dich zur Ruhe.

Mehr kann ich dir nicht sagen, denn alles andere wird sich ergeben und am Ende wirst du als Mann mit einer Aufgabe aus dem Wald herauskommen.«

Joldur schaute Großvater tief in die Augen.

Er hatte ihn aufgezogen, da ein Blitz seine Eltern erschlagen hatte. Joldur war noch ein Baby gewesen und seine Mutter hatte sich schützend über ihn gelegt und so konnte der Blitz ihm nichts anhaben. Großvater Kjelmisch hatte ihm alles beigebracht, wasman in der Natur wissen musste, um zu überleben, und sie hatten viele Nächte draußen in ihren Schaukelmatten verbracht. Doch nun sollte er für 7 Tage und Nächte allein in den Wald des Vergessens gehen, das war etwas ganz anderes. Er hätte lügen müssen, wenn er behauptet hätte, keine Angst zu haben.

Joldur wollte seinen Großvater nicht enttäuschen und ihn noch eine weitere Periode von 12 Monden warten lassen. Deshalb fasste er sich ein Herz und ging los, nachdem er den Blick von Großvater Kjelmisch gelöst hatte.

Der Tag begann gerade erst und das doppelte Leuchten näherte sich von Süden und Norden nur langsam an.

Die beiden Sonnen durchwanderten jeden Tag auf einem anderen Weg den Himmel. Er war gespannt, wo sie stehen würden, wenn er nach 7 Tagen aus dem Wald kam. Die Stellung der Sonnen zueinander würde seine Aufgabe als Mann festlegen.

Nun musste er erst einmal seinen Weg durch den Wald finden. Fast den halben Tag kämpfte er sich durch das Unterholz, bis er auf eine Lichtung kam. Als er am Rand stehen blieb, fiel ihm ein großes Tier auf. Es sah ihn und trottete langsam auf ihn zu.

Es war ein unglaublich großer Horga Hirsch mit 4 mächtigen Geweihschaufeln, welche sich 5 Schritt über ihn erhoben. Joldur hatte nur aus Geschichten von den Hirschen gehört und war überrascht, nun vor einem dieser wunderschönen Geschöpfe zu stehen. Er war gespannt, ob auch die anderen Dinge über diese sonderbaren Tiere, welche ihm zu Ohren gekommen waren, stimmten. Und tatsächlich, der Horga Hirsch fing an zu sprechen.

»Ich grüße dich, Joldur, Enkel des Kjelmisch. Wie geht es deinem Großvater?«

»Es geht ihm gut«, antwortete Joldur, »und er ist vor wenigen Tagen 120 Zyklen alt geworden. Er ist sehr rüstig für sein Alter und hat mich alles gelehrt, was ich im Wald wissen muss. Doch woher kennst du Ihn?«

»Auch er kam zu mir, als er 168 Monde alt war, und ich habe ihn an den heiligen Platz gebracht, wo er zum Mann wurde.«

»Wie alt bist du denn?«, fragte Joldur.

»Meine Monde habe ich nicht gezählt, denn es sind zu viele.

Komm, lass uns gehen.«

Joldur bestieg den Rücken des Hirsches und hielt sich an den zwei hinteren Geweihschaufeln fest, damit er nicht herunterfiel, da der Hirsch in einen schnellen Galopp wechselte.

»Wie ist dein Name?«, fragte Joldur, dessen Neugierde nun geweckt war.

»Ich habe viele Namen und jeder, der ein Mann werden will, bekommt nur einen genannt.

Mein Name für dich ist Jeffgur, was bedeutet: das Zusammentreffen.

Sehr sonderbar!«

»Warum sonderbar?«, wollte Joldur wissen.

»Das darf ich dir nicht sagen, doch es hat etwas mit deinem Großvater zu tun. Lenk mich, wohin du willst, ich werde jeden Weg gehen.«

Krassnack stolzierte durch die große Empfangshalle des dunklen Palastes. Er hatte gute Nachrichten für seinen Gebieter. Haurassack der 7. hatte ihn ausgesandt, um eine Schwachstelle in der Grenze der Drumkanter zu finden. Die Drumkanter lebten genau wie die Höhlenwockler in der Unterwelt von Kant. Und seit Krassnack denken konnte, versuchten seine Leute die Drumkanter zu besiegen und aus der Unterwelt zu vertreiben. Bisher allerdings hatten die Höhlenwockler nur geringen Erfolg gehabt und mussten den größten Teil der Unterwelt dem Gegner überlassen. Doch Krassnack war ehrgeizig und sein Zorn war groß. Er hatte sich vorgenommen, derjenige zu werden, der sein Volk zu einem vernichtenden Schlag gegen die Drumkanter anführte. Nun konnte er endlich mit Neuigkeiten aufwarten, Neuigkeiten, die ihm einen hohen Rang in der Armee der Höhlenwockler bescheren würden. Er hoffte, die Stoßtruppe kommandieren zu dürfen, welche stets die Angriffe auf die Grenze der Drumkanter einleitete.

Als er das große Portal mit seinen schweren und goldenen Scharnieren erreichte, nahm er eine gebückte Haltung ein, bevor die Diener die gewaltigen Flügel öffneten. Keiner durfte dem Herrn des Höhlenwockler-Reichs in die Augen schauen, ohne sofort zu erblinden. Das hätte bedeutet, fortan dem Herrscher im Palast dienen zu müssen und nicht mehr in der Armee kämpfen zu können. Dabei war doch der Kampf sein Leben. Er verachtete die Kreaturen, welche sich freiwillig vom Herrscher blenden ließen, um ihm den Rest ihres Lebens unterwürfig nahe zu sein. Er war ein echter Mann und wollte ein Held seines Volkes werden.

Nur Helden durften dem Herrscher Auge in Auge gegenüberstehen, ohne zu erblinden.

»Krassnack, ich freue mich, dich zu sehen, was hast du zu berichten?«

»Mein Gebieter, Herrscher des Reichs der Höhlenwockler, Herrscher der Dunkelwelt, ich habe euren Auftrag erfüllt und eine Schwachstelle in den Grenzen des Reichs der Drumkanter gefunden.«

»Ich habe nichts anderes von dir erwartet und wäre enttäuscht gewesen, wenn du versagt hättest.«

Krassnack wurde es flau im Magen, denn er wusste, dass das Wort »Enttäuschung« lediglich eine Umschreibung für seinen sicheren Tod war.

»Wo befindet sich diese Schwachstelle und wie kommen wir hindurch?«

»Mein Gebieter, sie ist direkt hinter dem Feuerportal am Feuersee. Die Hitze hat die Mauern der Drumkanter mürbe und brüchig gemacht. Da sie die Hitze scheuen, haben sie die Ausbesserung dieses Grenzabschnitts in den letzten 36 Feuerzyklen vernachlässigt, und nun dringt bereits so viel Hitze durch ihre Grenze, dass sie sich ihr nicht mehr nähern können.«

»Das sind gute Neuigkeiten! Als Belohnung darfst du in derStoßtruppe, welche von Russnack geführt wird, für die Eroberung der Grenze kämpfen und dir einen Namen machen.«

»Danke großer Gebieter, ich danke Euch.«

Mit diesen Worten ging Krassnack, seine Wut und Enttäuschung unterdrückend, langsam rückwärts aus dem Thronsaal. Ausgerechnet unter Russnack, seinem Erzfeind schon aus Kindertagen, sollte er seinen Dienst verrichten. Er musste einen Weg finden, ihn aus dem Weg zu schaffen.

Kaum hatte Krassnack, mit finsteren Gedanken beschäftigt, den Palast verlassen, da näherte sich Russnack durch den Eingang, der für die Helden vorgesehen war, und trat vor seinen Herrscher.

»Ihr habt mich gerufen, mein Gebieter.«

»Ja, Russnack, ich habe eine Aufgabe von höchster Wichtigkeit für dich. Wie du weißt, suchen wir seit langer Zeit nach einer Schwachstelle in den Grenzen zu unseren Feinden. Ich habe vor einiger Zeit Krassnack, den ich für sehr talentiert halte, deswegen ausgesandt. Er war lange fort und ist erst vor wenigen Tagen zurückgekehrt. Die Zeit seit seiner Ankunft hat er in unseren Archiven verbracht, um seine Entdeckung zu prüfen. Für heute bat er um Audienz. Dich habe ich rufen lassen, da er tatsächlich einen Weg gefunden hat, unbemerkt in das Land unserer Feinde einzudringen. Er ist sehr ehrgeizig, vielleicht etwas zu sehr, doch er hatte Erfolg. Ich wünsche, dass du die Truppen anführst und Krassnack mitnimmst. Vergesst eure Rivalitäten und erringt den Sieg über unsere Feinde gemeinsam.«

»Ich danke Euch, mein Gebieter«, sagte Russnack und sah Haurassack dem 7. tief in die Augen. »Es ist mir eine große Ehre, ein weiteres Mal Eure Stoßtruppen anzuführen, und ich werdewie immer siegreich sein, um Eure Macht und Euren Ruhm zu vermehren.«

Er war ein Held der Höhlenwockler!

Er hatte sich einen Namen gemacht, als er in einem großen Kampf gegen die Drumkanter die letzte Lücke in Haurassacks neuer Reichsgrenze im Alleingang verteidigt und geschlossen hatte.

Sein alter Feind Krassnack hatte auf seinen Tod gehofft und feige in den hinteren Reihen gestanden, doch er hatte gesiegt und erhielt die größte Auszeichnung.

Nun war er einer von 11 Helden des Volkes, welche sich das Recht erworben hatten, dem Gebieter Auge in Auge gegenüber zu treten.

Ausgerechnet Krassnack, den Feigling, hatte man nun seinem Stoßtrupp zugeordnet. Ausgerechnet er hatte die Lücke in den Grenzen gefunden. Doch Russnack hatte schon einen Plan, wie er ihn loswerden konnte.

Am nächsten Morgen sammelte er seine Truppen am Feuerportal, um die feindliche Grenze zu überschreiten.

Der Feuersee lag direkt hinter dem Portal. Er war 500 Schritt lang und 36 Schritt breit.

Am hinteren Ende befand sich eine gewaltige Brücke. Sie führte auf eine Straße, die abrupt an einer großen Mauer endete.

Früher hatte der Feuersee ganz anders ausgesehen.

Bevor die Höhlenwockler ihr Reich durch den letzten Krieg massiv ausgedehnt hatten, lag an diesem See eine große Stadt. Der See war voller Leben und der Fischreichtum versorgte viele Drumkanter mit Nahrung.

Es war ein großer Sieg für die Höhlenwockler, dass die Drumkanter den See aufgeben mussten und ihre Fischgründe verloren. Nach der Eroberung legten die Höhlenwockler die Stadt in Schutt und Asche. Sie verwandelten den See mit ihrer Feuermagie in ein brennendes Inferno, und den Drumkantern blieb nichts anderes übrig, als sich gegen die unerträglichen Temperaturen miteiner gewaltigen Mauer zu schützen.

Russnack wusste, dass seine Stunde gekommen war.

Er würde die erste Stellung aller Helden erlangen, wenn er die Drumkanter endgültig besiegte. Er hasste diese Kreaturen, bei denen die Frauen das Sagen hatten und stärker und wagemutiger waren als die Männer. In seinen Augen war es ein erbärmliches Volk, das keine Daseinsberechtigung hatte.

»Krassnack, du übernimmst mit 50 Mann die Vorhut«, sagte Russnack.

Das wird sein sicherer Tod sein, dachte er.

»Ihr werdet die Brücke überqueren und eine 5 Fuß breite Lücke in die Mauer schlagen. Räumt alles zur Seite und berichtet mir umgehend, wenn der Weg frei ist.«

Krassnack spürte unmittelbar, dass er in großer Gefahr schwebte, und sein Magen verkrampfte. Doch noch war es nicht zu spät, um seinen Widersacher zu besiegen. Nun galt es erst einmal zu überleben.

Er und seine Männer arbeiteten hart, dabei immer auf der Hut, um nicht von den Drumkantern überrascht und hinterrücks getötet zu werden. Seine Sorge war umsonst. Sie blieben allein, kein Drumkanter ließ sich blicken, und bald war das Loch in der Mauer groß genug. Er schickte einen Boten zuRussnack, der sogleich die gesamte Armee über die Brücke marschieren ließ.

Direkt nach Eintreffen der Truppen sandte man Krassnack mit einer Handvoll Männer in die angrenzenden Höhlengänge, um zu erkunden, wo die ersten Wachen der Drumkanter stationiert waren. Noch bot sich keine Möglichkeit, Russnack in einen Hinterhalt zu locken, doch die würde schon noch kommen. Er musste Geduld haben.

Ximdi wachte auf. Sie hatte schlecht geträumt. Heute war für sie ein großer Tag, denn sie sollte das erste Mal mit ihrer Mutter zu den Fischschlucker Trummeln gehen.

Schon bald war das alljährliche Trummel-Ei-Fest, und da sie vor kurzem ihren 168. Schattenwechsel vollzogen hatte, durfte sie endlich mitmachen beim Sammeln der Eier.

Die Fischschlucker Trummeln waren Vögel aus der Oberwelt, jedoch hatten die Drumkanter, über mehrere Höhlenausgänge ihres Reichs, Zugang zu den Nistplätzen dieser Tiere. Die Nester befanden sich in einer 2500 Schritt hohen Steilwand am Pinken Meer. Seit ihr Volk verflucht worden war, mussten die Drumkanter einmal im Jahr zu den Brutplätzen der Fischschlucker Trummeln gehen und ihnen Eier aus den Nestern stehlen, denn wenn sie nicht regelmäßig von den Eiern aßen, dann litten sie Mangel, wurden schwach und krank und zur leichten Beute der Höhlenwockler.

Ximdis Mutter wartete schon mit dem Frühstück. Wie bei allen Drumkantern bestand es aus Höhlenpilzen mit Stalagmitenkruste. Ximdi schlang ihr Frühstück runter, denn sie konnte es kaum abwarten, sich auf den Weg zu machen. Schnell trank sie,da die Mutter sie dazu anhielt, auch noch ihr Stalaktitenwasser. Nun aber los!

»Wie lange werden wir gehen müssen?«, fragte Ximdi.

»Je nachdem, wie schnell wir vorankommen, wird es 3 bis 4 Schattenwechsel dauern«, antwortete die Mutter. »Wir nehmen unsere Schlafjacken mit, denn je näher wir den Höhlen am Pinken Meer kommen, umso kälter wird es. Außerdem muss dein Vater uns noch den Handkarren ölen, denn wir werden einiges an Ausrüstung mitnehmen, und auf dem Rückweg haben wir dann ja auch noch die Eier dabei.«

Ihre Ausrüstung bestand aus langen starken Seilen, aus Haken und Ösen, Decken, Körben. Dazu die Schlafjacken. Die Kisten waren mit getrockneten Pilzfasern gefüllt. Darin konnte man die Eier sicher transportieren.

Ximdi war aufgeregt, denn es war Brauch, die Jüngsten und Leichtesten als Sammler einzusetzen. Das Mädchen hatte die letzten zwei Schattenwechsel-Zyklen unentwegt an den steilen Wänden und Kanten des Drumgewölbes geübt. Es hatte als einziges die schwersten Routen mehrmals durchklettert und galt als überaus talentiert.

Das Drumgewölbe maß 3399 Schritt im Durchmesser und war 399 Schritt hoch. Es war die größte Höhle des Drumkanter Staates und diente als Treffpunkt, Marktplatz, Gerichtsund Versammlungsort. In der Mitte des Drumgewölbes stand der Drumpalast, in dem die große Königin lebte.

Direkt vor dem Palast, auf dem großen Drumplatz, fand heute die Segnung der Sammlerinnen durch die Königin statt. Das warder Brauch und von nun an fieberten alle dem größten Fest der Drumkanter, dem Trummel-Ei-Fest, entgegen.

Eiersammeln war Frauensache, wie so vieles im Drumkanter Staat. Die Männer waren zwar geschickt mit den Händen, aber schwach und nicht besonders mutig. Hierin unterschieden sich die Drumkanter von den Draufkantern. Früher, als noch Frieden herrschte und die Eingänge zwischen den Reichen offen standen, waren in beiden Völkern die Geschlechter gleichberechtigt. Doch der Fluch, die Spaltung und der ewige Krieg, hatten bewirkt, dass entweder die Frauen, wie bei den Drumkantern, oder die Männer, wie bei den Draufkantern und Höhlenwocklern, die Oberhand bekamen.

Ximdi zog ihren schweren Handkarren mit Leichtigkeit, denn ihr hartes Training an den Wänden des Drumgewölbes hatte sie stark werden lassen. Doch sie war nicht nur stark, sondern auch groß und hübsch, besaß Eleganz und Anmut. Viele der jungen Männer hatten ein Auge auf sie geworfen. Ximdi machte sich noch nichts daraus, sie wollte viel lieber klettern und freute sich seit vielen Zyklen auf den Tag, der nun zum Greifen nah war, sie wollte Eier sammeln.

Am großen Drumplatz angekommen zählte Ximdi nur 15 Sammelgemeinschaften. Im letzten Zyklus waren es 35 gewesen. Sechs waren abgestürzt und einige hatten wohl aus Furcht diesmal auf eine Teilnahme verzichtet. Ximdi konnte gar nicht verstehen, dass man sich eine solche Chance entgehen ließ. Allerdings konnte sie nachvollziehen, dass manche Familien Angst hatten, ihre Töchter zum Sammeln zu melden. Viele hatten schon Töchter verloren, oft sogar mehrere. Das Sammeln war gefährlich. So weitXimdi zurückdenken konnte – immer waren weniger Sammlerinnen zurückgekommen, als ausgezogen waren. Ob sie selbst wohl zurückkommen würde?, fragte sie sich insgeheim.

Der große Gong wurde geschlagen und alle Anwesenden, sogar die Händler, wurden still. Ximdi schaute hoch zum Palast und sah die Königin auf den Balkon kommen.

Eine Eskorte aus 6 Kriegerinnen begleitete die Herrscherin. Jede dieser Kriegerinnen stand für eine Region des Königreichs. Sie waren groß und stark, schwer bewaffnet und blickten finster. Wie alle Drumkanterinnen hatten sie vier Arme und ein Paar starke Beine.

Die Königin war doppelt so groß wie eine Kriegerin und sah eher plump und gedrungen aus, bis auf ihr Gesicht, das sehr feine und gütige Züge hatte. Ihre Augen bestanden aus grünen und weißen Ringen mit hellblauem Hintergrund.

Auch wenn sie plump aussah, so schien sie doch zu schweben, als sie den Balkon des Palastes betrat. Rechts und links von ihr postierten sich jeweils drei Kriegerinnen und reihten sich am Geländer des Balkons auf.

»Hört die Worte der Königin!«, riefen die Kriegerinnen wie aus einem Mund und so laut, dass man es bis in den hintersten Winkel des Drumgewölbes hören konnte.

Wie ein sanfter warmer Luftzug erfüllte die Stimme der Königin das Gewölbe.

»Mein Volk!

Ich freue mich sehr, auch diesen Zyklus viele mutige Drumkanterinnen vor mir zu sehen, welche bereit sind, ihr Leben zu riskieren, um die Eier für unser Fest zu sammeln. Wie ihr allewisst, kann unser Volk nur überleben, wenn wir regelmäßig eine Speise aus den Eiern der Fischschlucker Trummeln zu uns nehmen. Und nur einmal pro Zyklus brüten diese großen, erhabenen Vögel. Jeden Zyklus aufs Neue machen sich mutig junge Frauen auf den Weg, um diese kostbaren Eier zu sammeln.

Ihr Sammlerinnen, hört mich an: Unser Leben, mein Leben, liegt in eurer Hand. Ich möchte euch danken und den Segen für euer Tun erbeten. Ich gebe mein Leben in eure Hände und vertraue euch.

Jede von euch ist eine Heldin!«

Das ganze Volk stimmte ein in den Jubel.

Heldin!

Heldin!

Heldin!

Ximdi bekam eine Gänsehaut, als alle anfingen zu jubeln. Gleichzeitig wurde ihr mulmig bei dem Gedanken, dass sie womöglich wirklich ihr Leben riskierte. Beim Klettern im Drumgewölbe war ihr nie der Gedanke an Gefahr gekommen und auch jetzt war ihr nicht klar, worin die Gefahr bestand. Sie wusste nur, dass einige von ihnen ihr Leben lassen würden, damit ihr Volk weiter existieren konnte. Dieser Gedanke machte sie innerlich sehr unruhig und trotzdem stolz.

Direkt nach der Zusammenkunft auf dem Drumplatz brach ihre kleine Gruppe auf und machte sich auf den Weg zu den Klippen.

»Was ist so gefährlich an unserer Aufgabe«?«, fragte Ximdi ihre Mutter. »Sind es die Vögel?«

»Oh ja, die Vögel sind sehr gefährlich. Sie verteidigen ihre Eier und werden versuchen, dich die Felsen hinab zu stürzen. Doch die größere Gefahr sind die scharfen Felsen selbst und der Wind. Du wirst ständig herumgeworfen und musst dich sehr gut festhalten, damit dein Seil durch die vielen Bewegungen nicht durchgescheuert wird.

»Was ist Wind?«, wollte Ximdi wissen.

»Wind nennen die Draufkanter Luft, die sich sehr schnell bewegt. Man kann es schwer erklären, wenn man es nicht am eigenen Körper gespürt hat.«

Ximdi konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Luft in der Lage war, ihren Körper zu bewegen, vor allem nicht, wenn sie sich wie eine Spinne im Mauerwerk verankerte. Zufrieden und ohne Sorge, wie sie sich fühlte, hörte Ximdi auf, ihrer Mutter Fragen zu stellen. Sie war sich sicher, dass ihr diese Gefahren nichts anhaben konnten.

Joldur lenkte Jeffgur durch einen Wald mit immer größer werdenden Bäumen. Das Unterholz wurde durchlässiger und die Landschaft leicht hügelig.

Immer wieder unterbrachen Lichtungen den Wald. Ein Meer bunter Blumen bedeckte den Boden und gelegentlich gab es große runde Stellen, wo sie mannshoch wuchsen. Dort waren die Blüten groß wie Wagenräder und ihre silberne Farbe glänzte im Licht der zwei Sonnen. Feine pinke Linien durchzogen das Silber. Noch nie in seinem Leben hatte Joldur so etwas Schönes gesehen.

Gegen Ende des Tages erreichten sie den Rand des Waldes, der sich wie ein Ring um einen großen Hügel legte. Zumindest vermutete Joldur, dass es so war, denn von seinem Ort aus konnte er nur erahnen, dass sich der Hügel im Zentrum einer riesigen Lichtung erhob. In der Ferne war auf dem Gipfel des Hügels ein großer Felsen zu sehen, auf dessen Spitze ein gewaltiger Baum stand.

»Weiter kann ich dich nicht tragen«, sagte Jeffgur. »Wenn du diesen Hügel betreten willst, musst du das alleine tun. Ich werde hier auf dich warten.«

Joldur wurde magisch von dem Baum auf dem Hügel angezogen, und so stieg er von Jeffgurs Rücken herab und machte sichan den Aufstieg. Tat er das Richtige? Je länger er voranschritt, umso mehr regte sich Widerstand in seinen Gedanken. Ich muss vor Ende des Tages meinen heiligen Ort errichtet haben, dachte er. Ich darf keine Zeit verlieren. Bei Einbruch der Nacht muss ich fertig sein. Doch etwas trieb ihn weiter an, unaufhaltsam. Als Joldur nur noch wenige Schritte von seinem Ziel entfernt war, hob er den Kopf und hielt beeindruckt inne.

Der Fels, auf dem der Baum stand, war überzogen mit gigantischen Wurzeln, welche der Baum seit Urzeiten um ihn hatte wachsen lassen. Der felsige Untergrund lag nur noch an wenigen Stellen frei. Der Baum selbst war so dick und massiv, dass die Einwohner seines kleinen Dorfes nicht ausgereicht hätten, um ihn gemeinsam zu umringen.

Seine Blätter waren von einem blendenden Pink und seine Blüten von einem strahlenden Gelb. Insekten, so groß wie kleine Hunde, flogen von Blüte zu Blüte, um diese zu bestäuben und sich an dem herabtropfenden Nektar gütlich zu tun. Die Früchte des Baums waren riesig, rosa mit gelben Punkten, und wenn man sie ansah, verschwamm einem der Blick wegen ihrer seltsam schimmernden Haut.

Joldur war fasziniert. Während er noch ganz gebannt den Baum bewunderte, ertönte eine Stimme.

»Gegrüßt seist du, Joldur, ich habe dich schon erwartet.«

»Wer bist du?«, fragte Joldur.

»Ich bin der Wächter des Baumes der Farben.«

»Des Baumes der Farben?«

»Ja, dies ist der Baum der Farben. Schon morgen, am Ende der Nacht, wird er ganz anders aussehen. Halte, was du siehst, in Erinnerung, denn so wird er nie wieder aussehen.«

Nach diesen Worten kam ein großer Vogel aus dem Baum herab geflogen. Sein Federkleid trug dieselben Farben wie der Baum, er hatte einen großen, völlig weißen Schnabel und rabenschwarze Füße.

»Woher wusstest du, dass ich komme?«

»Das ist nicht wichtig«, sagte der Vogel. »Komm, ich zeige dir deinen heiligen Ort.«

»Aber Großvater hat mir gesagt, dass ich diesen selbst aussuchen und im Wald errichten soll.«

»Ja, das hat er gesagt, aber er wusste ja nicht, das du auserwählt bist.«

»Ich bin was?«

»Komm, wir haben nicht mehr viel Zeit.«

Der Vogel führte Joldur um den Baum herum und blieb in einer Öffnung zwischen den Wurzeln sitzen.

»Hier ist es, komm herein«, sagte der Vogel und schon war er im Loch verschwunden.

Joldur sah mit Schrecken, dass das doppelte Leuchten bereits dabei war, hinter dem Horizont zu verschwinden, und so stieg er mit einigem Unbehagen in die Öffnung, worin der Vogel verschwunden war.

Die Helligkeit im Inneren des Baumes überraschte ihn. Die Wände leuchteten in tausend Farben, welche ständig wechselten. Auch die Muster auf den Wänden wechselten ständig ihre Form, so dass Joldur ganz schwindlig wurde. Der Vogel saß auf einemgroßen silbernen Stein in der Mitte des Raums. Er pickte mit seinem großen weißen Schnabel dagegen und der Stein bekam einen Riss, der immer größer wurde.

»Warum machst du das?«, fragte Joldur.

Der Vogel antwortete nicht, sondern pickte beharrlich weiter, bis der Stein in zwei Teile zerfiel.

Joldur erschrak, als er sah, was sich in dem Stein befand. Es waren 7 Schlangen. Eine war rot, eine schwarz, eine hellblau, eine apfelgrün, eine mittelblau, eine dunkelblau und die letzte war lila.

Der Vogel sagte:

»Stell dich zwischen die zwei Steinhälften, strecke deine Arme aus und warte auf die Botschaft der Schlangen. Wage es nicht, dich zu bewegen, denn das würde böse für dich enden.«