Das Leben – und der Sinn des Ganzen. Zwischen Nihilismus und einem Funken Moral - Patrick Spät - E-Book

Das Leben – und der Sinn des Ganzen. Zwischen Nihilismus und einem Funken Moral E-Book

Patrick Spät

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Beschreibung

Über das Buch Das Leben hat keinen Sinn. Darüber lässt Patrick Spät in »Das Leben und der Sinn des Ganzen« keine Zweifel aufkommen. Doch ist dies nicht das Ende, sondern erst Ausgangspunkt der Philosophie. Denn diese, so Spät, liefert niemals letztgültige Antworten, sondern muss zuallererst Fragen aufwerfen. Und so dürfen wir dem Autor beim Denken und Fragen zusehen: Ist alles erlaubt, wenn kein Sinn mehr Maß und Orientierung setzt? Was kann uns vor dem Nihilismus bewahren? Welche Rolle spielt der Tod dabei? Und birgt die Erkenntnis der absoluten Sinnlosigkeit gar Potential für eine ganz neue Freiheit? Anhand fundierter Bezüge auf Philosophie, Literatur und Alltag hinterfragt Spät in radikaler Art und Weise unser aller Leben und gelangt dabei zu einem überraschenden Ergebnis. Wenn es auch keinen Sinn des Lebens geben mag, so gibt es vielleicht doch einen Sinn im Leben. Über den Autor Patrick Spät ist als freier Journalist und Buchautor in Berlin tätig. Neben einigen akademischen Texten in philosophischen Fachzeitschriften veröffentlichte er mehrere Artikel in Telepolis, The European, Spektrum der Wissenschaft und Philosophie Heute. 2012 erschien seine Monographie »Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein«, Parodos, Berlin; Herausgeberschaft: Post-Physikalismus, Karl Arber, Freiburg 2011; Zur Zukunft der Philosophie des Geistes, mentis, Paderborn 2008.

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Über das Buch

Das Leben hat keinen Sinn. Darüber lässt Patrick Spät in »Das Leben und der Sinn des Ganzen« keine Zweifel aufkommen. Doch ist dies nicht das Ende, sondern erst Ausgangspunkt der Philosophie. Denn diese, so Spät, liefert niemals letztgültige Antworten, sondern muss zuallererst Fragen aufwerfen. Und so dürfen wir dem Autor beim Denken und Fragen zusehen: Ist alles erlaubt, wenn kein Sinn mehr Maß und Orientierung setzt? Was kann uns vor dem Nihilismus bewahren? Welche Rolle spielt der Tod dabei? Und birgt die Erkenntnis der absoluten Sinnlosigkeit gar Potential für eine ganz neue Freiheit?

Anhand fundierter Bezüge auf Philosophie, Literatur und Alltag hinterfragt Spät in radikaler Art und Weise unser aller Leben und gelangt dabei zu einem überraschenden Ergebnis. Wenn es auch keinen Sinn des Lebens geben mag, so gibt es vielleicht doch einen Sinn im Leben.

Über den Autor

Patrick Spät ist als freier Journalist und Buchautor in Berlin tätig. Neben einigen akademischen Texten in philosophischen Fachzeitschriften veröffentlichte er mehrere Artikel in Telepolis, The European, Spektrum der Wissenschaft und Philosophie Heute. 2012 erschien seine Monographie »Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein«, Parodos, Berlin; Herausgeberschaft: Post-Physikalismus, Karl Arber, Freiburg 2011; Zur Zukunft der Philosophie des Geistes, mentis, Paderborn 2008.

Patrick Spät

Das Leben – und der Sinn des Ganzen

Zwischen Nihilismus und einem Funken Moral

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2014

www.culturbooks.de

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Printausgabe: © Schmetterling Verlag 2013

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Umsetzung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: 3.3.2014

ISBN: 978-3-944818-46-7

Inhaltsverzeichnis

1. Hat das Leben einen Sinn?
2. Um Gottes willen
3. Vom Zentrum ins Nichts
4. Abgründe
5. Das Absurde
6. Zum Tod
7. Apocalypse Now
8. Alles für die Katz? – Äußerer und innerer Sinn
9. Krankheit
10. Zum Glück
11. Fragst du noch oder lebst du schon?
12. Nihilismus – der unheimliche Gast
13. Das Phänomen Leben
14. Leibhaftiger Leib
15. um zu – Ziele und Zwecke
16. Sieh hin und du weißt!
17. Zwischenspiel: Zur Würde des Lebendigen
18. Verantwortung übernehmen
19. Über den Existentialismus
20. Mein kleines Zimmer – und die große Welt
Quellennachweise

Für Sarah. Und für meine Eltern.

»Also weg vom Spaß und zurück auf’n Punkt:

Wer bin ich, wer bist du, gibt es Herr, gibt es Hund,

ist die Suche für den Grund für das Hirn ungesund?

Oder warum tun so viele hier so selbstverständlich kund:

Es gibt keine Rätsel, geh zurück zu deinem Job,

man ist das, was man tut, also tu nicht so als ob

es da noch was über uns rauszufinden gäbe,

vermessen und kindisch, geh raus, man, und lebe

[...]

Zum Beispiel: Wieso überhaupt und warum und weshalb?

Weswegen denn all das? Bin ich warm? Bist du kalt?

Bin ich doof? Seid ihr klug? Ist mir schlecht? Geht’s mir gut?

Wissen wir viel zu viel oder wissen wir nicht genug?«

– Shaban & Käptn Peng[1]

Die Quellenangabe zu diesem Kapitel finden Sie hier.

1. Hat das Leben einen Sinn?

»Sagt mir, was bedeutet der Mensch? Woher ist er gekommen? Wo geht er hin? [...] Und ein Narr wartet auf Antwort.«

– Heinrich Heine[2]

Selbst im digitalen Zeitalter gibt es noch Fragen, die man nicht googeln kann, um eine passende Antwort zu erhalten. Die Frage nach dem »Sinn des Lebens« ist eine davon: Wozu das Ganze? Warum leben wir? Und was zum Kuckuck machen wir hier eigentlich? Das sind die Kernfragen der Philosophie. Heutzutage ist es aber eher ein Klischee, dass Philosophen nach dem Sinn des Lebens fragen. Denn innerhalb der akademischen Mauern ist es den meisten Philosophen peinlich, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Natürlich droht man sich lächerlich zu machen, wenn man diese Frage öffentlich in einem Buch diskutiert – eine Frage, bei der von vornherein klar ist, dass sie keine endgültige Antwort hat. Nur ein Narr wartet auf Antwort! Und dennoch: Es ist eine der wichtigsten Fragen des Lebens, weil es die Frage über unser Leben ist. Wir sind die Lost Generation 2.0, Kinder des Nihilismus und der Dauerkrise. Die erste Lost Generation, die Ernest Hemingway 1926 in seinem Roman The Sun Also Rises beschreibt, hatte nach dem Ersten Weltkrieg und der anschließenden Wirtschaftskrise alles verloren, was ihr vormals Halt gab, ja, einen Sinn vermittelte. Genau wie die Lost Generation 1.0 fühlen wir uns verloren – und sind es: Wir fühlen uns entfremdet von einer Welt, die keinen Sinn bietet ... einer Welt, deren Gott tot ist ... einer Welt, in der die Massen hungern und frieren ... einer Welt, in der nicht wie im Paradies Honig, sondern Blut fließt.

Was tun? Ist alles erlaubt, wenn Gott tot ist? Ich möchte das Klischee bedienen und nach dem Sinn des Ganzen fragen. Und ich glaube, dass es durchaus seine Vorteile hat, dass diese elementare Frage nicht eindeutig zu beantworten ist.

Es geht also um den Sinn des Lebens, um den Tod Gottes und die Gefahr des Nihilismus. Fernab aller vorgekauten Fast-Food-Sinnangebote versuche ich, Gedankenkost zu bieten, die frei von Ratgeberallüren ist. Was ich hier schreibe, sind Gedankensplitter, die mal befreiend, mal beunruhigend sein können. Gedankensplitter deshalb, weil jede noch so ausgefeilte Theorie über den Sinn des Lebens faserig bleiben muss: Denn die Fülle und Rätselhaftigkeit des Lebens lässt sich nicht einfangen. Obwohl die ersten Kapitel viel »Sinnloses« enthalten, ist es kein hoffnungsloses Buch. Mir geht es in diesem Buch ums Fragen, um das In-Frage-Stellen, um das Herauskitzeln von möglichen Antworten und gedanklichen Sackgassen. Und es geht schließlich um die Frage, was es mit der Sinnlosigkeit und dem Nihilismus auf sich hat.

Für die Frage nach dem Sinn des Lebens gibt es kein Backrezept. Gäbe es eine definitive Antwort, so hätte sie sich nach Jahrhunderten der Suche bestimmt herumgesprochen. Die letzten Worte, die der Physiker Richard Feynman kurz vor seinem Tod an seine Tafel schrieb, lauteten: »What I cannot create, I do not understand« – Was ich nicht erschaffen kann, das verstehe ich nicht. Vielleicht ist unser Gehirn, unser kognitives Denken gar nicht darauf ausgelegt, solche hochtrabenden Fragen zu beantworten. Im Überlebenskampf der Evolution sind schließlich andere Fähigkeiten wichtiger: Was zählt, ist nicht die Lösung philosophischer Knobeleien, sondern dass wir unsere Fressfeinde und Paarungskonkurrenten auf Abstand halten und für Nahrung und Schutz sorgen. Wen kümmert’s da schon, dass wir dem Rätsel des Lebens nicht auf die Schliche kommen ... Aber weshalb hat die Evolution dann nicht dafür gesorgt, dass wir uns derlei Fragen erst gar nicht stellen? Schließlich ist Philosophie die reinste Energieverschwendung – evolutionstechnisch betrachtet. Slavoj Žižek gibt darauf eine recht interessante Antwort:

»Ist es nicht so, dass der gesamte sogenannte Fortschritt der Menschheit daraus hervorgegangen ist, dass sich Menschen unlösbare Fragen gestellt haben wie: Was ist die endgültige Struktur des Universums? Was ist der Sinn des Lebens? Und so weiter. Wie es unsere Freunde der NATO formulieren würden: Der Fortschritt hat sich durch einen Kollateralschaden dieser metaphysischen Fragen entwickelt.«[3]

Uns fehlt noch immer eine Antwort auf die Frage, warum wir uns überhaupt selbst in Frage stellen. Dennoch hat dieses Fragen durchaus seinen Nutzen: Würden wir uns nicht ständig in Frage stellen, würden wir auf philosophisch-ethischem Gebiet vielleicht noch in den Kinderschuhen stecken. Die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« von 1948 ist – neben vielen anderen Faktoren – auch ein Erfolg der Philosophie, oder weitfassender ausgedrückt: ein Erfolg des zweifelnden, fragenden und suchenden Menschen. Was kann der Suchende entdecken, wenn es um den Sinn des Lebens geht?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat viele Facetten: Wir können nach dem Sinn unseres individuellen Lebens fragen, nach dem Sinn des menschlichen Lebens und nach dem Sinn allen biologischen Lebens an sich. Natürlich sind diese Facetten eng miteinander verwoben. Wenn wir sagen: »das ergibt Sinn« oder »das ist sinnvoll«, dann schimmert schon ein wenig der Sinn des Wortes »Sinn« durch: Etwas hat einen Sinn, sobald es in sich stimmig und somit nachvollziehbar ist. Wenn ich Hunger habe, dann ist es ziemlich sinnvoll, etwas zu essen. Der Sinn verweist aber auch auf eine Richtung; im Wort »Uhrzeigersinn« ist diese Bedeutung noch erhalten. Die Frage nach dem Sinn des Lebens hat also zwei miteinander verknüpfte Ebenen: (1) Ist die Tatsache, dass wir leben, eine stimmige und somit nachvollziehbare Angelegenheit? (2) Hat unser Leben eine bestimmte Richtung? Beide Fragen zielen auf die Bedeutung unserer aller Leben ab. In der englischen Sprache ist die Verwandtschaft von »Sinn« und »Bedeutung« etwas markanter: Das englische »the meaning of life« ist die gängige Übersetzung von »der Sinn des Lebens«, wobei es hier eine leichte Sinnverschiebung gibt, weil »meaning« eher mit »Bedeutung« zu übersetzen ist. Im »deuten« steckt abermals die Richtung drin – zum Beispiel dann, wenn wir in eine bestimmte Richtung deuten. Eine Richtung kann Bedeutung haben, und eine Bedeutung eine Richtung. Die Frage nach dem Sinn des Lebens richtet sich also nach einem Ziel, dem unser Leben dienen soll, oder das wir vielleicht sogar erreichen sollen. Aber das sind nur Wortspielereien. Also: Welche Bedeutung, welchen Sinn hat das Leben? Vermutlich gar keinen.

Wenn es den Sinn des Lebens gäbe, müsste dieser ein letzter und endgültiger, unhintergehbarer und unhinterfragbarer Sinn sein. Der Sinn des Lebens müsste uns vollkommen einleuchten und glasklar vor Augen stehen. Er müsste uns mit einem »Bämm, so ist es!« anspringen; er müsste das unerschütterbare Fundament von allem darstellen. Der Sinn müsste also einfach da, einfach gültig, einfach wahr sein. Jeder müsste sagen können: »Ja, das ist eindeutig der Sinn des Lebens!« Demzufolge müssten alle Menschen diesen Sinn teilen, erkennen und akzeptieren können – und das ist offensichtlich unmöglich.

Es gibt keinen fundamentalen Halt oder Rettungsanker bei dieser Frage. We’re lost in space. Jede Antwort wird sofort wieder zur Frage. Und deshalb kann es keine endgültige und allgemeingültige Antwort geben. Wenn einer sagt: »X ist der Sinn des Lebens!«, dann kommt sofort ein zweiter herbeigeeilt und fragt vollkommen zu Recht: »Und was bitte ist der Sinn von X?« Wir haben es also mit einem »Matrjoschka-Problem« zu tun: In jeder der russischen Holzpuppen steckt eine weitere Puppe. Sobald wir irgendetwas zum Sinn des Lebens (v)erklären, stellt sich die Frage nach dem Sinn dieses etwas. Kurzum: Wir können bei jedem Ding nach dem »wozu?« fragen, nach der Richtung und vor allem nach dem Ziel und somit dem Sinn seiner Existenz. Und weil wir niemals eine Antwort erfahren werden, hat das Leben keinen endgültigen Sinn. Das heißt nicht, dass unsere aller Leben hoffnungslos sind und wir uns von den Klippen stürzen sollen – doch dazu später mehr.

Von Archimedes stammt der berühmte Ausspruch: »Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich heb dir die Erde aus den Angeln.« Sobald wir einen Orientierungspunkt für unsere Frage nach dem Sinn des Lebens hätten, könnten wir alles erklären. Doch es gibt keinen solchen Punkt. Unser Hebel stochert im Nichts. Genau diesen Gedanken greift Albert Camus auf: »Was ich nicht begreife, ist ohne Vernunft. Die Welt ist voll dieser irrationalen Dinge. Sie selbst, für sich genommen, deren einzigartige Bedeutung ich nicht begreife, ist nur ein riesiges Irrationales. Nur ein einziges Mal sagen können: ›Das ist klar‹, und alles wäre gerettet.«[4]

Wann immer wir sagen: »das ist klar« und einen Sinn postulieren wollen, laufen wir schnurstracks in eine Sackgasse. Allein die Tatsache, dass wir nach dem Sinn des Lebens fragen können, weist darauf hin, dass die Welt keinen endgültigen Sinn haben kann. Ich glaube, der ebenso vergessene wie großartige Günther Anders hat vollkommen recht, wenn er schreibt:

»Warum setzen Sie eigentlich voraus, daß ein Leben, außer dazusein, auch noch etwas ›haben‹ müßte oder auch nur könnte – eben das, was Sie ›Sinn‹ nennen? Lassen Sie es sich doch nicht weismachen, daß Sie Ihren Lebenssinn ›finden‹ könnten (denn der ist nicht irgendwo versteckt, vielmehr gibt es ihn nicht). [...] Nein, nicht ein pathologisches, einer Behandlung bedürftiges Symptom ist das Gefühl der ›Sinnlosigkeit des Lebens‹, sondern angesichts des Faktums der Sinnlosigkeit ein völlig berechtigtes Gefühl, ein Zeichen von unbeschädigter Wahrheitsbereitschaft, um nicht geradezu zu sagen: ein Symptom von Gesundheit.«[5]

Und an anderer Stelle bemerkt Anders:

»Die Rede vom ›Sinn des Lebens‹ entstammt dem Bedürfnis oder dem Zwang, dem Leben selbst die gleiche Funktion zuzuerteilen, die im Leben selbst jeder Gegenstand oder jede Handlung einnimmt: für etwas dazusein. Damit ist aber eine schlechthin paradoxe Forderung bezeichnet: einerseits scheint das Leben, das ›keinen Sinn‹ hat, wertlos zu sein; andererseits aber ist ja gerade dort, wo das Leben ›sinnvoll‹ ist, dieses Leben selbst als Wertquelle geleugnet: es hat ja Sinn für etwas (den Heilsplan, die Weltordnung und dergl.), das mehr oder größer als das Leben ist. Dieses, in dieser Form freilich selten formulierte Paradox ist eine der Grundlagen des modernen Nihilismus.«[6]

Das Leben hat keinen Sinn. Wenn Gott oder der »Heilsplan« der Sinn sein sollten, wären wir in der Sinnfrage geradezu entmündigt. Wir wären ein bloßes Werkzeug für einen anderen Sinn. Dieser Zustand wäre erbärmlich. Den Gedanken Anders’ bleibt nur noch hinzuzufügen: Jeder noch so schöne Sinn kann seinerseits keinen Sinn haben. Es gibt keinen Sinn des Sinns. Der nackten Sinnlosigkeit des Lebens können wir schon auf einer rein logischen Ebene kaum entrinnen. Es kann keinen objektiven und allgemeinverbindlichen Sinn geben. Jeder, aber auch jeder postulierte Sinn ist unhaltbar, da er seinerseits sinnlos sein muss. Die Existenz aller Dinge – sei es ein Atom, eine Pflanze, ein Mensch, die Milchstraße oder das gesamte Universum – kann niemals einen Sinn haben. Denn wir können stets fragen: Wozu ist dieses und jenes Ding in letzter Konsequenz überhaupt da?

Jeder dahergelaufene Quacksalber, der behauptet, den Sinn des Lebens gefunden zu haben, sieht sich mit dem sogenannten »Münchhausen-Trilemma« konfrontiert: Nehmen wir eine Behauptung X, die den Sinn des Lebens erklärt und die nun begründet und vor allem bewiesen werden soll. Hierfür haben wir drei Möglichkeiten, die allesamt in Sackgassen führen:

(1) Unendliche Argumentationskette: Jede Aussage, die X begründet, muss ihrerseits wieder begründet werden. Dies führt zu einer unendlichen Argumentationskette, vergleichbar mit dem »Matrjoschka-Problem«. Beispiel: Der Sinn des Lebens ist das Glück! – Worin liegt der Sinn des Glücks? – Dass wir ein gesundes und schönes Leben führen! – Worin liegt der Sinn eines gesunden und schönen Lebens? – Dass wir keine Schmerzen erleiden und das Leben genießen! – Worin aber liegt der Sinn ...?

(2) Zirkel: Jede Aussage, die X begründen soll, ist identisch mit X oder kommt in der Begründung bereits vor. Beispiel: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst! – Warum das? – Weil unser Leben nur dann einen Sinn haben kann, wenn wir leben!

(3) Dogma: Die Begründung für X läuft nicht auf eine unendliche Argumentationskette hinaus, sondern bleibt bei einem Dogma stehen. Beispiel: Der Sinn des Lebens ist Gott! – Was ist der Sinn Gottes? – Gott ist Anfang und Ende der Welt, Gottes Wege sind unergründlich, Gott ist die Wahrheit, Gott ist die Antwort auf alles und somit der Sinn des Lebens ... basta!

Dem Münchhausen-Trilemma zufolge ist es unmöglich, den Sinn des Lebens dingfest zu machen, ohne sich dabei in eine unendliche Argumentationskette, einen Zirkel oder eine dogmatische Behauptung zu verfangen. Beim Sinn des Lebens gibt es nur Fragen, aber niemals eine endgültige Antwort. Es ist auch nicht möglich, dass das Leben einen verborgenen Sinn hat, den wir bloß nicht erkennen können. Nein. Das Leben kann schon rein logisch überhaupt keinen allgemeingültigen, endgültigen Sinn haben. Selbst Gott, der seit Generationen als Lückenbüßer für die Sinnleere herhalten muss, kann uns keine Antworten liefern.

Die Quellenangaben zu diesem Kapitel finden Sie hier.

2. Um Gottes willen

»Aber als ich das letztemal einen Blick ins Tintenfaß warf, lagen darin zwei Fliegen. Ertrunken. Was da vorgefallen war, ein Doppelselbstmord aus Liebe ... oder ein Absturz in den Glasbergen infolge ins Rollen geratener Staubkörner ... das ließ sich nicht mehr eruieren. [...] Welchem irrsinnig gewordenen Gott oder Dämon das Tintenfaß gehört, in dem wir leben und sterben, und wem wieder dieser irrsinnige Gott gehört?«

– Albert Ehrenstein[7]

Gott. Ein heikles Thema. Wenn ich hier versuchsweise etwas über den Sinn des Lebens stammle, dann muss ich natürlich auch etwas über Gott sagen ... oder einräumen, dass es über Gott eigentlich nicht viel zu sagen gibt. Ich will hier weder einem radikalen Atheismus noch einer fanatischen Gottesverehrung Gehör verschaffen. Man kann Gottes Existenz weder beweisen noch widerlegen – für den Philosophen bleibt der etwas unspektakuläre, aber redliche Ausweg, die Position eines Agnostizismus einzunehmen: Manche fühlen die Anwesenheit Gottes, manche glauben an sie, manche meinen sogar, sie beweisen zu können. Manche fühlen keinen Gott in oder um sich, sie fühlen schlichtweg das nackte Leben und nichts, was darüber thronen oder trösten sollte. So oder so: Es gibt keine zwingenden Argumente für oder gegen die Existenz eines Gottes, eines Schöpfers oder andersartiger überirdischer Wesen. Agnostizismus heißt einfach: »Ich weiß nicht, ob Gott existiert.« Statt mich weiter mit dieser schwammigen Frage zu beschäftigen, will ich ohnehin auf etwas ganz anderes hinaus:

Für die Frage nach dem Sinn des Lebens ist es vollkommen egal, ob Gott existiert oder nicht! Gott mag konkret wie ein Apfelbaum oder eine bloße Illusion sein – beide Möglichkeiten haben keinerlei Bedeutung für den Sinn des Lebens.

Mit dieser These möchte ich einen neuen Gedankengang zum Thema Gott und Sinn des Lebens vorschlagen. Es gibt viele Formen, Gott zu denken: Zum Beispiel als weißbärtigen, männlichen, allmächtigen und allwissenden Herrscher. Oder als reinen, absoluten, unfassbaren, unendlichen und seelenhaften Geist. Oder als das uns unbekannte Schicksal. Oder als unbeteiligten Beobachter der Welt. Meist wird Gott als der Schöpfer der Welt bezeichnet; vielleicht hat er einen Plan oder eine Aufgabe, die es für den Menschen auf Erden zu erfüllen gilt. Vielleicht liegt der Sinn des Lebens in ebendieser Aufgabe. Vielleicht liegt er aber auch in der Vereinigung mit Gott jenseits des irdischen Lebens – sei es durch mystische Kontemplation, sei es durch den Aufstieg der unsterblichen Seele ins Himmelreich. Ganz gleich, ob es diese Dinge tatsächlich gibt oder ob sie Hirngespinste und Opium des Menschen sind. Ich behaupte, dass all diese Dinge uns nichts über den Sinn des Lebens sagen können.

Selbst dann, wenn es einen Gott (oder viele Götter) gäbe, könnte er (oder sie, oder es) nicht der endgültige Sinn des Lebens sein. Denn auch hier stoßen wir auf das »Matrjoschka-Problem«: Wenn Gott der Sinn des Lebens ist, worin liegt dann der Sinn Gottes? Warum gibt es Gott? Wozu ist er da? Und wer oder was hat diesen Schöpfer geschaffen? Gott kann keinen Sinn haben, denn wir können jederzeit den Sinn Gottes in Frage stellen.