Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein - Patrick Spät - E-Book

Der Mensch lebt nicht vom Hirn allein E-Book

Patrick Spät

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Beschreibung

Die Hirnforschung will uns weismachen, dass wir Biomaschinen ohne freien Willen sind. Doch offenbar sind unsere geistigen Erlebnisse mehr als ein bloßes Hirngespinst, schließlich können wir fühlen und denken. Ja, das Leib-Seele-Problem ist vertrackt: Wie entsteht aus Materie Bewusstsein? Nun, es kann gar nicht "plopp" machen, so dass plötzlich der Geist vom Himmel fällt. Vielmehr sind geistige Eigenschaften schon immer da, überall. Jedes noch so kleine Atom birgt geistige Eigenschaften. Kann es denken und fühlen? Nein, der Panpsychismus hat mit Esoterik-Kitsch nichts am Hut. Es gibt im Universum eine graduelle Ordnung: Je komplexer ein Ding in materieller Hinsicht ist, desto komplexer ist es in geistiger Hinsicht. Deshalb haben nicht nur der Mensch, sondern auch Pflanzen und Tiere ein bemerkenswertes Innenleben. Der Panpsychismus deckt sich dabei mit den neuesten Erkenntnissen der Pflanzenneurobiologie und der Quantenphysik – er führt zu verblüffenden Einsichten und krempelt den Mainstream-Materialismus kräftig auf links. "Wer sich mit dem Ursprung des Geistes beschäftigt, muss dieses Buch lesen. Ein ganz grandioses Bild der Brücke vom Geist zur Materie und zurück." Harald Lesch

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I Einleitung: Manche mögen’s neuro

Julie: Du kennst mich Danton.

Danton: Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: Lieber Georg. Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren.

Georg Büchner: Dantons Tod[1]

Wer sind wir? Eine riesengroße Frage der Menschheit, die immer mehr Hirnforscher auf einen klitzekleinen Nenner bringen wollen: »Wer sind Sie? Sie sind Ihre Synapsen. Aus ihnen besteht Ihr Selbst«, behauptet zum Beispiel der Neurowissenschaftler Joseph LeDoux.[2] Solche Thesen klingen provokant, bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als ziemlich inhaltsleer. Denn mit der Behauptung, dass alles »neuro« sei, lässt sich kein Blumentopf gewinnen und erst recht nicht Dantons Frage beantworten, was die Persönlichkeit des Menschen ausmache. Die heutigen Neurowissenschaftler bemühen sich eifrig, die Welt des Geistes aus den Hirnfasern zu zerren. Aber sie tappen im Dunkeln. Das Leib-Seele-Problem war, ist und bleibt ein Mysterium.

Sind wir unsere Synapsen? Ist der Mensch eine rein materielle Biomaschine? Oder ist dem Menschen etwas Geistiges eigen, das über das bloße Neuronenflackern hinausreicht? Diese Fragen zielen auf das Leib-Seele-Problem ab: Auf welche Weise kann unser Körper unser bewusstes Erleben hervorbringen? Um es in der alltäglichen Sprache zu formulieren: Wie kann der Körper unser bewusstes Erleben hervorbringen, wie kann aus grau-weißer Hirnmasse unsere bunte Erlebniswelt aus Gedanken und Gefühlen entspringen?

Nach Ansicht vieler Materialisten lässt sich die gesamte Welt des Geistes auf das Verhalten von Neuronen reduzieren. Der Mensch ist demnach nichts weiter als ein Materiehaufen – und die Eigenschaften dieser Materie können wir angeblich mit dem Werkzeug der Naturwissenschaften entschlüsseln. Der Biologe und Nobelpreisträger Francis Crick schildert uns die Quintessenz dieser Weltanschauung:

»Sie, Ihre Freuden und Leiden, Ihre Erinnerungen, Ihre Ziele, Ihr Sinn für Ihre eigene Identität und Willensfreiheit – bei alledem handelt es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer riesigen Ansammlung von Nervenzellen und dazugehörigen Molekülen. […] Sie sind nichts weiter als ein Haufen Neuronen.«[3]

Wenn das die Lösung ist, dann will ich mein Problem zurück. Wie um alles in der Welt können unsere »Freuden und Leiden« ein Haufen Neuronen sein? Sollte Crick recht haben, könnten wir die Welt des Geistes tatsächlich »aus den Hirnfasern zerren«. Ja, es gäbe gar keine geistigen Eigenschaften mehr – es gäbe nur noch Neuronen. Das gesamte Universum wäre nichts anderes als ein gigantisches, nach präzisen Mechanismen laufendes Uhrwerk. Sämtliche Eigenschaften des Universums würden sich in exakten mathematischen Gesetzen erschöpfen und seine Bewohner, also alle Lebewesen, wären nichts anderes als dumpfe Biomaschinen. Gefühle, Träume und Gedanken hätten in diesem Uhrwerk keinen Platz, denn alles, was in der Wirklichkeit geschieht, ließe sich lückenlos durch die Naturwissenschaften beschreiben und erklären. Wenn dem so wäre: Wo im Gehirn lassen sich unsere Gedanken und Gefühle finden?

Der Philosoph Gottfried W. Leibniz (1646–1716) hat dieses Problem in seinem Mühlen-Gedanken-experiment treffend umschrieben: Stellt man sich den Körper eines fühlenden und denkenden Organismus als eine Mühle vor, so wird man, wenn »man sie von innen besichtigt, nur Teile finden, die sich gegenseitig stoßen, und niemals etwas, das eine Perzeption erklären könnte.«[4] Eine Perzeption ist nichts anderes als eine Wahrnehmung. Wenn wir uns in den Finger schneiden, haben wir eine Perzeption des stechenden Schmerzes. Die zentrale Einsicht von Leibniz besteht darin, dass sich die Eigenschaften des Geistes nicht durch den naturwissenschaftlichen Blick einfangen lassen.

Neurowissenschaftler können das Gehirn vermessen und mit technischen Apparaten beobachten. Doch unseren stechenden, pochenden Schmerz können sie nicht im Gehirn entdecken: Könnten wir das vergrößerte Gehirn eines Menschen betreten, der gerade große Schmerzen hat, so würden wir lediglich Abermillionen von Neuronen und Synapsen sehen, die chemische und elektrische Signale austauschen – aber das pochende und brennende Wesen des Schmerzes würden wir nirgendwo ausfindig machen. Man kann Schmerzen nicht einfach unter dem Mikroskop oder im Hirnscanner »sehen«, man kann sie nur selbst erleben. Der menschliche Geist hat also Eigenschaften, die durch das Netz der Naturwissenschaften fallen.

Der »Mainstream« der gegenwärtigen Hirnforschung und Philosophie ignoriert die bunte Welt des Geistes. Er passt nicht so recht in die Welt der Physik, in der alles mit mathematischen Formeln erklärbar ist. Und was nicht passt, wird passend gemacht: Materialisten versuchen, die bunte Welt des Geistes auf eine graue Theorie zu reduzieren. Das ist natürlich ein absurdes Ziel: Wie sollen wir beispielsweise das Gefühl der Liebe in der Sprache der Mathematik formulieren? Ist 1 + 1 = Liebe?

Der Materialist ist quasi dazu verdammt, mit solchen mathematischen Formeln zu arbeiten. Er könnte ja auch behaupten, dass Liebe nichts anderes sei als ein Hormon-Cocktail oder eben ein Neuronengewitter – und somit ein rein materielles Phänomen. Doch all diese Reduzierungen sagen bei näherer Betrachtung nicht viel aus: Denn der Materialist kann uns nicht sagen, was ein Hormon ist, was ein Neuron ist und was schließlich Materie ist. Über das Wesen der Dinge muss die Naturwissenschaft schweigen; sie kann nur mit Formeln arbeiten.

Wenn wir dem Leib-Seele-Problem auf die Schliche kommen wollen, dann dürfen wir nicht die Welt des Geistes zurechtstutzen. Vielmehr sollten wir unsere materialistische Weltsicht überprüfen. Denn wenn wir unsere Erlebnisse mit einer abstrakten grauen Theorie nicht erklären können, dann müssen wir nicht die bunten Erlebnisse ändern (oder wegerklären oder auf bloße Materie reduzieren), sondern wir müssen die graue Theorie ändern. Jede Theorie, die zugleich die gesamte Wirklichkeit erklären und das bewusste Erleben ausklammern will, ist ein Widerspruch in sich. Denn unsere unmittelbaren Erlebnisse sind zum einen unser einziger Zugang zur Wirklichkeit, zum anderen sind sie uns unbezweifelbar gegeben: Wir können nicht ernsthaft daran zweifeln, dass wir irgendetwas erleben, während wir diese Zeilen lesen.

Wenn sich aber das Geistige weder leugnen noch naturwissenschaftlich erklären lässt, dann bedarf es alternativer Lösungen für das Leib-Seele-Problem. Statt dem Geistigen seine ihm ureigenen Eigenschaften streitig zu machen, um das Leib-Seele-Problem aufzulösen, muss es vielmehr in unser Bild der Wirklichkeit integriert werden.

Das ist leichter gesagt als getan. Aber ich möchte es versuchen, indem ich für einen »Graduellen Panpsychismus« argumentiere: Alle Dinge des Universums haben geistige Eigenschaften. Jedes noch so kleine Atom birgt einen Hauch von Geist. Das klingt auf den ersten Blick ziemlich abwegig: Können dann Atome Schmerzen fühlen? Ganz so grotesk und simpel ist es nicht – trotzdem finden wir diese Behauptung leider in vielen Schriften und Lexika. Ein Beispiel: »Panpsychismus […], Lehre, nach der alles beseelt ist; genauer die Lehre, daß im Universum alles eine psychische Natur besitzt, die jener des Menschen analog ist.«[5]

Der Panpsychismus hat mit derartigem Esoterik-Kitsch nichts am Hut. Natürlich hat das Blatt Papier (oder das E-Book), das Sie gerade lesen, keine Gefühle. Ich möchte solche Vorurteile entkräften, indem ich eine plausible Form des Panpsychismus entwickle: Die Kernthese dieses Ansatzes besagt, dass in der Wirklichkeit eine graduelle Ordnung des Geistigen vorliegt, die mit der Komplexität der materiellen Dinge und der lebenden Organismen kontinuierlich zunimmt. Auf der Ebene der Atome gibt es demnach nur eine äußerst simple und einfache Form des Geistigen, aber keinerlei bewusstes Erleben, das dem unseren »analog« ist. Erst durch komplexere Anordnungen der Materie – wie sie bei Lebewesen anzutreffen sind – können sich parallel dazu auch komplexere Formen des Geistigen entwickeln: Je komplexer ein Ding in materieller Hinsicht ist, desto komplexer ist es in geistiger Hinsicht. Deshalb haben Sie Gefühle und Gedanken – Ihre Zahnbürste und Ihr Auto aber nicht.

Wir müssen den gegenwärtigen Neurowahn hinter uns lassen und neue Gedankenwege beschreiten: Die moderne Physik, aber auch philosophische Überlegungen führen zu einem neuen Verständnis der Materie: Die fundamentale Trennung von geistigen und materiellen Eigenschaften ist ein Teil des Problems, nicht aber ein Teil seiner Lösung. Es ist an der Zeit, dass zusammenwächst, was zusammengehört: Körper und Geist sind aufs innigste miteinander verbunden. Es ist nicht so, dass wir nur aus toter Materie bestehen. Es ist aber auch nicht so, dass wir einen Geist haben, der engelsgleich umherschwebt und unsere »Maschine« namens Körper steuert. Der Geist ist schon in der Materie, er gehört zur Materie wie das Holz zum Baum.

II Warum wir kein Haufen Neuronen sind …

1. Willensfreiheit: Pizza oder Nudeln?

Ohne das Faktum Bewußtsein wäre das psychophysische Problem weit weniger interessant; mit ihm aber scheint es hoffnungslos.

Thomas Nagel[6]

Wenn Sie von einem Freund zum Essen eingeladen werden, Sie schließlich im Restaurant sitzen und die Bedienung fragt, was Sie zu essen wünschen, so werden Sie sicherlich nicht antworten: »Hm, einen kleinen Moment noch bitte. Wissen Sie: Ich bin überzeugter Materialist, und deshalb muss ich abwarten, für welches Essen sich mein Gehirn entscheidet.« Kurz gesagt: Sie selbst werden sich für das Essen Ihrer Wahl entscheiden, und Sie werden dabei keinen Zwang vonseiten Ihres Gehirns spüren. Nicht Ihr Gehirn, sondern Sie bestimmen, ob Sie Pizza oder Nudeln bestellen.

Natürlich ist unser Wille nicht vollkommen losgelöst von unseren Empfindungen, Erwartungen, Erinnerungen und Phantasien, die sowohl bewusst als auch (weit häufiger) unbewusst im Gehirn gespeichert und verarbeitet werden: Wenn Sie Vegetarier sind, werden Sie sicherlich eine fleischlose Speise bestellen. Wenn Ihr Körper unterzuckert ist, werden Sie vielleicht gleich einen süßen Nachtisch ordern. Wenn Sie das Restaurant kennen, werden Sie sich vielleicht daran erinnern, dass die Nudeln ziemlich miserabel schmecken. Und wenn Ihr Freund Sie einlädt, dann werden Sie aus Rücksicht auf dessen Geldbeutel vielleicht keine Pizza mit teuren Trüffeln, sondern eine mit Broccoli bestellen. So etwas wie eine absolute »Handlungsfreiheit« gibt es selten. Das heißt, Sie können nur selten all das machen, was Sie wollen. Wenn Sie fliegen wollen, sind Sie in Ihrer Handlungsfreiheit beschnitten, da Sie keine Flügel haben. Von der »Willensfreiheit« hingegen können wir nur dort sprechen, wo es Spielräume für mögliche Handlungen gibt. Wir haben dann aus freien Stücken gehandelt, wenn wir auch anders hätten handeln können. Wenn wir doch die teuren Trüffel bestellen, dann haben wir zwischen möglichen Alternativen ausgewählt. Selbst dann, wenn man sich der Erklärung dieser Wahl mit neurowissenschaftlichen Theorien annähert, verbleibt dennoch das unauslöschliche Gefühl, dass wir es sind, die da entscheiden.

Der springende Punkt ist der: Selbst wenn materielle Mechanismen den Verlauf der Welt unausweichlich festlegen, spüren wir nichts von diesem »Zwang«. Wenn wir eine Entscheidung treffen, fühlen wir keinen Zwang des Hirns, wir fühlen uns frei. Und dieses Gefühl ist keine Illusion, sondern für uns unbestreitbar real. Kein Hirnforscher kann Ihnen einreden: »In Wirklichkeit fühlen Sie sich ja gar nicht frei!« Es ist ziemlich schleierhaft, auf welche Weise uns die Hirnforschung überzeugend zeigen will, dass wir unfrei sind. Denn in der Tat fühlen wir uns frei. Angenommen wir wären Biomaschinen: Weshalb hat sich dann

»Mutter Natur« die großartige Mühe gemacht, uns dermaßen zu täuschen? Warum fühlen wir uns nicht einfach unfrei und eingeschraubt in die Naturgesetze? Warum sind wir keine passiven Zuschauer unseres aktiven Gehirns?

Irgendetwas muss dran sein an der Willensfreiheit. Jedenfalls können wir unsere Willensfreiheit weder naturwissenschaftlich beweisen noch widerlegen. Deshalb werden wir trotz aller neurowissenschaftlichen »Erkenntnisse« stets so handeln, als wären wir frei. Und deshalb werden wir weiterhin Verbrecher schuldig sprechen, wenn sie eine Straftat begangen haben. Die Soziologie weiß auch, weshalb.

Das von William Thomas und seiner Frau Dorothy Thomas 1928 formulierte »Thomas-Theorem« passt da wie die Faust aufs Auge: »Wenn die Menschen Situationen als real definieren, dann sind sie in ihren Folgen real.«[7] Menschen reagieren nur selten auf die nackten Fakten, also die objektiven Gegebenheiten einer Situation; vielmehr reagieren sie auf ihre subjektive Wahrnehmung und Deutung dieser Situation. Jemand könnte – zum Beispiel in einer öffentlichen Debatte darüber, ob die Gewaltrate in Großstädten zunimmt oder nicht – noch so sehr dafür plädieren, dass es ziemlich ungefährlich ist, nachts im Berliner Stadtteil Neukölln oder im New Yorker Brooklyn spazieren zu gehen, und hierzu auch allerlei Statistiken und Fakten anführen; sobald bei einem Individuum oder gar einer sozialen Gruppe das subjektive Gefühl besteht, dass ein solcher Spaziergang höchst gefährlich ist, wird sie auch mit dieser Intuition argumentieren und schließlich nach ihr handeln. Im Kern besagt das Thomas-Theorem also, dass eine Situation objektiv noch so eindeutig analysierbar sein kann – die subjektive Wahrnehmung entscheidet darüber, wie Menschen wann, wo und auf welche Weise handeln.

Gleiches gilt für die Neurowissenschaften: Materialistisch gesinnte Hirnforscher können in den Medien noch so sehr dafür plädieren, dass unser Menschenbild der Willensfreiheit auf die Mülldeponie der Philosophiegeschichte gehört; die Menschen werden weiterhin so handeln, als wären sie frei. Im Grunde ist die Frage nach der Willensfreiheit für unsere alltägliche Lebenswelt also ziemlich irrelevant. Die Hirnforschung kann noch so sehr behaupten, dass wir keinen freien Willen haben, dass wir berechenbare Bioroboter sind und dass wir schleunigst unser Menschenbild auf den Kopf stellen müssen – wen kümmert’s? Wir haben die Frage schon längst für uns entschieden: Wir fühlen uns frei. Wir sind frei.

Natürlich tappen nicht alle Neurowissenschaftler in diese Falle. Aber schon jetzt fordern Hirnforscher wie Wolf Singer, dass wir unseren Rechtsstaat auf links drehen sollen: Wie können wir Straftäter schuldig sprechen, wenn doch nicht ihr freier Wille, sondern ihr Gehirn sie zu ihren Verbrechen getrieben hat? Sitzen bald Hirnforscher statt Juristen in unseren Gerichtssälen? Nein. Kein Hirnforscher der Welt kann die Macht des Geistes zu einer Ohnmacht erklären. Eine Studie des amerikanischen Moralpsychologen Eddy Nahmias zeigt auf anschauliche Weise, dass die Diktatur des Hirns – wenn es sie denn überhaupt gibt – unserem Menschenbild recht wenig anhaben kann. Bei dem Experiment wurde US-amerikanischen Philosophiestudenten im ersten Semester, die mit der Debatte um die Willensfreiheit noch nicht vertraut waren, das folgende Szenario dargeboten:[8]

Stellen Sie sich vor, dass wir im nächsten Jahrhundert alle Naturgesetze entdecken, die es gibt. Anschließend bauen wir einen Supercomputer, der aus diesen Naturgesetzen und aus dem exakten gegenwärtigen Stand der materiellen Welt ableiten kann, was zu jedem gegebenen Zeitpunkt in der Zukunft passieren wird. Der Computer weiß alles über die gegenwärtige Welt, und er kann alles über deren Zukunft mit 100-prozentiger Sicherheit voraussagen. Stellen Sie sich vor, dass ein solcher Supercomputer am 25. März 2150 den Stand des materiellen Universums betrachtet, 20 Jahre bevor Jeremy Hall zur Welt kommt. Der Computer wird nun aus diesen Informationen und den Naturgesetzen ableiten, dass Jeremy am 26. Januar 2195 um 18 Uhr eine Bank überfallen wird. Wie immer ist die Vorhersage des Supercomputers korrekt; Jeremy überfällt am 26. Januar 2195 um 18 Uhr die Bank. Stellen Sie sich vor, dass dieser Supercomputer tatsächlich existiert und die Zukunft vorhersagt. Stellen Sie sich zudem vor, dass Jeremy die Bank überfällt und nichts von der Vorhersage gewusst hat. Denken Sie, dass Jeremy aus freien Stücken handelt, wenn er die Bank überfällt?

83 Prozent der Studenten beantworteten die Frage mit »ja«. Und das, obwohl durch das Szenario klar ist, dass (a) Jeremys Handeln durch die Naturgesetze festgelegt ist und dass (b) Jeremys Handeln daher vorhersagbar ist. Die Studie zeigt, dass die Neurowissenschaften nicht wirklich an unserem (derzeitigen) Menschenbild rütteln können. Im Kern beinhaltet dieses Bild, dass wir moralisch für unsere Handlungen verantwortlich sind. Wir sind, juristisch gesprochen, zurechnungsfähig und können zur Verantwortung gezogen werden, wenn wir bei einer Straftat auch hätten anders handeln können. Der New Yorker Philosophieprofessor Hagop Sarkissian und sein Team haben sich gefragt, ob dieser Glaube an die Willensfreiheit überall in der Welt anzutreffen ist. Und tatsächlich: Knapp 80 Prozent der Befragten glauben, dass Menschen aus freien Stücken handeln – egal ob in den USA, Hongkong, Indien oder Kolumbien.[9] Die angebliche Diktatur des Hirns juckt uns im Alltag herzlich wenig: Wenn Sie mit dem Fahrrad unterwegs sind und Ihnen ein Autofahrer die Vorfahrt nimmt, sagen Sie bestimmt nicht: »Schwamm drüber. Der arme Kerl kann ja nichts dafür. Die elektro-chemischen Signale seines Gehirns sind schuld.« Sie gehen davon aus, dass der Autofahrer aufmerksamer hätte sein müssen, wenn er sich im Straßenverkehr bewegt. Und wenn er mutwillig Menschenleben gefährdet, dann ziehen Sie ihn zur Verantwortung – ganz gleich, ob Sie ihm einen freien Willen unterstellen oder nicht. In der alltäglichen Praxis ist es ziemlich gleichgültig, ob unser Geist oder unser Gehirn den Verlauf der Welt bestimmt.

Pizza oder Nudeln? Das Beispiel zeigt: Irgendetwas stimmt nicht mit den Allmachtsphantasien der Neurowissenschaften. Nicht alle, aber erschreckend viele Hirnforscher wollen uns weismachen, dass wir reine Biomaschinen sind. Doch genauso lange, wie es schon naturwissenschaftliche Erklärungsmodelle der Welt gibt, solange berufen sich viele auf die Intuition, dass dem Menschen etwas eigen ist, was sich nicht durch Zahlen und Formeln einfangen lässt. Auf dieses »Etwas« beziehen sich viele Begriffe. Im Alltag verwenden wir häufig die Ausdrücke »Geist«, »Seele«, »Psyche« oder »Kopfkino«. Und in der Religion begegnen uns Ausdrücke wie »næfæsch« (hebräisch für Seele und Leben) oder »vijñana« (buddhistisch für das Bewusstsein der »Unerleuchteten«). Wir gebrauchen diese Ausdrücke natürlich auf unterschiedliche Weise. Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie grenzen sich deutlich ab vom Begriff des Materiellen, Mechanischen und Körperlichen.

Der Entwicklungspsychologe Paul Bloom hat gezeigt, dass diese intuitive Abgrenzung sogar schon von Babys geteilt wird:[10] Babys verlieren ziemlich schnell das Interesse, wenn ein materielles Objekt wie ein fahrendes Spielzeugauto plötzlich stehenbleibt und keine Regung mehr von sich gibt. Wenn Babys aber mit einem anderen Menschen interagieren und das Gesicht des Anderen plötzlich keine Regung mehr zeigt, werden sie unruhig und fangen manchmal sogar an zu weinen. Selbst ein erwachsener Mensch wird unruhig, wenn sein Gegenüber zu Stein erstarrt und keinen Mucks von sich gibt. Babys kennen weder das philosophische Fachchinesisch noch die Lebenswelt der Erwachsenen. Sie haben noch nicht einmal die menschliche Sprache erlernt. Deswegen nehmen Babys die Welt einfach so wahr, wie sie ist: Sie unterscheiden intuitiv zwischen Dingen, die rein materiell sind und Dingen, die geistige Eigenschaften haben. Doch worauf gründet sich diese Intuition?

Das, was das Leib-Seele-Problem so vertrackt macht, sind die subjektiven und qualitativen Eigenschaften unserer erlebten Wahrnehmungen: unser Bewusstsein. Der Begriff »Bewusstsein« bezeichnet all jene Zustände des Empfindens und bewussten Erlebens, die beginnen, wenn man aus einem traumlosen Schlaf erwacht, und die so lange anhalten, bis man wieder in einen traumlosen Schlaf oder ins Koma fällt, stirbt oder auf andere Art und Weise »bewusstlos« wird. Ein Organismus, der nichts erlebend wahrnimmt, d.h. zu einem bestimmten Zeitpunkt nichts von sich oder seiner Umwelt weiß oder erlebt, der ist zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst. Wenn er etwas bewusst erlebt, dann ist er wach, aufmerksam und buchstäblich bei Sinnen. Wenn ein Organismus ein Bewusstsein hat, dann fühlt es sich irgendwie an, dieser Organismus zu sein.

Das Bewusstsein ist zugleich das uns bekannteste und das mysteriöseste Phänomen der Wirklichkeit. In unserer alltäglichen Lebenswelt nehmen wir alles über unser Bewusstsein auf. Es ist unser Tor zur Welt, durch das wir tagtäglich unsere fünf Sinne erleben und durch das wir träumen, nachdenken und Pläne für die Zukunft schmieden können. Die Naturwissenschaftlerin hat aber immer nur konkrete Materie in seinen Händen, die sie vermessen, wiegen und analysieren kann. Sie hat zwar gute Gründe dafür, dass das Bewusstsein durch Aktivitäten der Neuronen bedingt wird, doch wenn sie das Bewusstsein am Schopf packen will, gleitet es ihr stets aus den Händen. Sie kann das Bewusstsein nicht in einem Reagenzglas einfangen oder unter dem Mikroskop betrachten. Die Naturwissenschaftlerin weiß einfach nicht, auf welche Weise aus der grauen Gehirnmasse unsere bunte Erlebniswelt hervorgehen kann.

Deshalb ist das bewusste Erleben in den Augen vieler ein zentrales, wenn nicht gar das zentrale Hindernis für eine materialistische Weltsicht. In der Tat ist der einzige uns gegebene Zugang zur Wirklichkeit unser bewusstes Erleben. Nicht nur eine Diskussion des Leib-Seele-Problems, sondern unser gesamtes alltägliches Wahrnehmen der Welt hat das bewusste Erleben zum Ausgangspunkt: Wären wir vollkommen empfindungslos und könnten nichts bewusst erleben, so gäbe es für uns keine Welt, die naturwissenschaftlich oder philosophisch zu beschreiben wäre – wir würden von nichts Notiz nehmen. Wir würden uns nicht einmal langweilen können, denn auch das ist ein Erlebnis. Wir würden nur besinnungslos dahinvegetieren. Das bewusste Erleben verschafft uns einen Zugang zur Welt. Deshalb ist es der einzige Ausgangspunkt, wenn wir uns mit der Wirklichkeit oder mit unserem eigenen Bewusstsein beschäftigen wollen. Und deshalb kann unser Bewusstsein auch keine Illusion sein, wie der Philosoph John Searle betont:

»Das Tolle am Bewußtsein ist: Wenn man die Illusion hat, ein Bewußtsein zu haben, dann hat man auch eins. Sie können die übliche Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit auf das Bewußtsein nicht so anwenden wie auf andere Phänomene. […] Es kann zum Beispiel so aussehen, als sei da draußen jemand in den Bäumen, aber in Wirklichkeit ist es nur ein Spiel von Licht und Schatten […], aber über die Existenz der bewußten Erfahrung selbst können Sie sich nicht täuschen.«[11]

Das bewusste Erleben hat eine Reihe von Eigenschaften, die einem materialistischen Weltbild zuwiderlaufen. Die folgenden Punkte bieten eine erste Skizze zur Orientierung – wobei natürlich eine Charakterisierung des bewussten Erlebens nur bedingt möglich ist: Das Leib-Seele-Problem ist gerade deshalb so vertrackt, weil das Geistige Eigenschaften hat, die unsere sprachlichen, symbolischen und naturwissenschaftlichen Mittel übersteigen. Wir erleben es als …

(1) unaussprechbar: Die Schwierigkeiten, die wir bei der exakten Beschreibung des bewussten Erlebens haben, begegnen uns tagtäglich. Wir können jemandem erklären, wie ein Schiffsmotor funktioniert, doch wollen wir jemandem, der noch nie eine Papaya gekostet hat, beschreiben, wie ebendiese schmeckt, so stoßen wir schnell an unsere Grenzen: Man muss den Geschmack der Papaya selbst erleben. Die Rede von einem »Funktionieren« des Schiffsmotors legt schon nahe, dass der Motor mit funktionalen und mathematischen Begriffen, also dem klassischen Vokabular der Naturwissenschaften, beschrieben und erklärt werden kann. Aber die qualitativen Eigenschaften des Bewusstseins scheinen sich einem solch funktionalen Zugang zu verschließen.

(2) subjektiv: Ich erlebe mein Bewusstsein aus einer bestimmten Perspektive: der meinen. Meine innere Perspektive ist subjektiv. Eine äußere Perspektive ist jedermann zugänglich und somit objektiv: Man kann über Pablo Picassos Gemälde Guernica diskutieren und objektiv feststellen, dass es im Juni 1937 entstanden ist, ungefähr 349 mal 777 Zentimeter misst, vorwiegend mit gräulichen Ölfarben gemalt worden ist, typische Merkmale des Kubismus aufweist und im Museo Reina Sofía in Madrid ausgestellt wird. Diese Tatsachen sind insofern objektiv, als sie öffentlich zugänglich und jederzeit überprüfbar sind. Diese objektive Perspektive ist in Hinblick auf mein bewusstes Erleben nicht so leicht einzunehmen. Während die objektiven Tatsachen über Picassos Gemälde jedermann zugänglich sind, vollzieht sich mein bewusstes Erleben dieses Bildes aus einer subjektiven Perspektive: Wie ich die gräulichen Farben, das Grauen der verzerrten Gesichter, die Anordnung der Gegenstände und das Gemälde als Ganzes empfinde, und welche Assoziationen, Emotionen und persönlichen Erinnerungen das Bild bei mir auslöst, ist nur aus meiner Erlebnisperspektive, also nur für mich und nicht für andere, wahrnehmbar. Mein bewusstes Erleben ist für einen Außenstehenden nicht zugänglich und insofern privat. Denn während man durchaus meinen Kopf an sich – als öffentlich zugängliches Objekt – anschauen oder fotografieren kann, kann niemand »in meinen Kopf« blicken.

(3) qualitativ: Der Ausdruck »subjektiv« bezieht sich auf unsere Erlebnisperspektive, auf den Blickwinkel. Der Ausdruck »qualitativ« bezieht sich auf das Wesen und den Charakter eines Erlebnisses: Wenn uns ein drückender Weisheitszahn plagt, dann spüren wir die qualitativen Eigenschaften leider ziemlich deutlich: Unser Zahn sticht und pocht und pulsiert. Dieses scharfe Stechen und heiße Pulsieren machen das »Wesen« des Schmerzes aus.

(4) intentional: Wann immer wir ein Erlebnis haben, erleben wir etwas. Bewusstes Erleben ohne einen Bezugspunkt, auf den unser Erleben gerichtet ist, scheint unmöglich. All diese Zustände sind nach Franz Brentano durch eine »Beziehung auf einen Inhalt« und eine »Richtung auf ein Objekt« charakterisiert.[12] Intentionale Zustände scheinen Raum und Zeit zu überwinden. Wir können über eine bemannte Mars-Landung im Jahre 2169 nachdenken, oder über Sokrates, der vor über 2.400 Jahren in Griechenland lebte. Zudem sind uns Gedanken über Dinge möglich, die nicht konkret existieren (zum Beispiel Sherlock Holmes) oder unmöglich existieren können (etwa ein Cowboy, der seinen Revolver schneller aus dem Halfter zieht als sein eigener Schatten). Schließlich können unsere intentionalen Erlebnisse sogar fehlerhaft sein. Wir können beispielsweise ein Glas Wodka betrachten und es fälschlicherweise für ein Glas Wasser halten. Ein zentraler Aspekt der Intentionalität ist die Bedeutung: Wenn wir ein Buch lesen oder in ein Gespräch involviert sind, so nehmen wir nicht nur die materiellen gedruckten Buchstabenreihen oder die akustischen Schallwellen an sich wahr. Vielmehr haben wir die Fähigkeit, diesen materiellen Dingen eine Bedeutung beizumessen.

(5) selbstbewusst: Eine saubere Trennung von Bewusstsein und Selbstbewusstsein ist ein schwieriges Unterfangen. Es scheint aber ein grundlegender Unterschied zwischen den folgenden Aussagen zu liegen: »Ein Organismus ist sich darüber bewusst, dass gerade ein Apfel vom Baum fällt« und »Ein Organismus ist sich darüber bewusst, dass er sich darüber bewusst ist, dass gerade ein Apfel vom Baum fällt«. Die erste Aussage kann bewusst auftreten, wohingegen die zweite beinhaltet, dass sich der Organismus über seine Bewusstheit bewusst ist. Ein Bewusstsein über unsere Existenz ist eine Voraussetzung dafür, dass wir uns als uns wahrnehmen, wenn wir über einen Gegenstand oder uns selbst nachdenken. Genau das besagt Immanuel Kants Satz: »Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können; denn sonst würde etwas in mir vorgestellt werden, was gar nicht gedacht werden könnte.«[13] Hätten wir kein Selbstbewusstsein, so wüssten wir nicht, dass wir existieren. Damit wir überhaupt erleben können, dass wir gerade etwas erleben, müssen wir ein Bewusstsein von unserem Bewusstsein haben: Es ist mein Bein, das schmerzt. Es ist mein Erlebnis, dass der Apfel sauer schmeckt. Und es ist mein Wunsch, einen Spaziergang zu machen statt ein Buch zu lesen.

Die höchste Stufe des Selbstbewusstseins ist das sogenannte »autobiographische Selbst«, das nur uns Menschen zukommt. Es bezieht sich auf das Ichgefühl, wenn wir uns über den Wandel der Zeit hinweg als identisch mit uns selbst erleben. Meine gesamten Lebenserinnerungen, meine Erziehung, meine zwischenmenschlichen Kontakte, aber auch mein jetziger Gedanke an meine Zukunft bilden Teile meines Ich aus. Wir erfahren dieses Ich als »transtemporale« Einheit: Obwohl wir im Laufe der Zeit zahlreiche verschiedene Erlebnisse wahrnehmen, bleibt unser Ichgefühl unverändert. William James hat dieses transtemporale Ichgefühl mit einer passenden Metapher umschrieben: Es verharrt wie der Regenbogen auf dem Wasserfall: Während das Wasser den Regenbogen immerfort durchströmt, bleibt dieser in seinem Wesen unverändert.[14] Zwar kann sich das Selbst eines Menschen durch besondere Erlebnisse oder existentielle Krisen durchaus verändern – aber es ist das gleiche Ich, das sich bei solchen Ereignissen verändert. Nur dann, wenn ich ein über die Zeit hinweg konstantes Ichgefühl habe, kann ich den Wandel als Wandel wahrnehmen.

Unser bewusstes Erleben ist also unaussprechbar, subjektiv, qualitativ, intentional und selbstbewusst. Es gibt in der umfangreichen Literatur viele Versuche, das Thema Bewusstsein weiter aufzuschlüsseln (oder komplizierter zu machen, als es ist). Für unsere Zwecke können wir folgendes festhalten: Das bewusste Erleben bezieht sich darauf, wie es sich anfühlt, ein Lied von Nirvana zu hören, die Farbe Rot zu sehen, frischen Lavendel zu riechen, eine Papaya zu kosten oder ungeschliffenes Holz zu berühren. All das sind perzeptuelle Erlebnisse, also unsere fünf Sinne. Daneben gibt es auch somatosensorische Erlebnisse, also Wahrnehmungen unseres eigenen Körpers: In diese Kategorie fallen beispielsweise Schmerzen, Hunger oder das nervige Jucken eines Mückenstichs. Zudem gibt es eine Reihe von Emotionen und Gefühlen, die wir nur schwer einordnen und beschreiben können: Hierunter fallen so unterschiedliche Phänomene wie Freude, Ärger, Liebe und Angst.

Das Bewusstsein ist nur die Spitze eines großen Eisbergs. Dieser Eisberg heißt »Geist«. Das Geistige und geistige Eigenschaften beschränken sich nicht auf bewusste oder gar selbstbewusste Erlebnisse. Wenn Sie ein geübter Autofahrer sind, dann denken Sie nicht mehr: »Oh, jetzt muss in den dritten Gang schalten. Davor muss ich aber die Kupplung drücken.« Wahrscheinlicher ist, dass Sie Musik hören oder die Nachrichten im Radio verfolgen. Oder Sie denken über Gott und die Welt nach, aber sicher nicht über die langweilige Kupplung. Als geübter Autofahrer können Sie also weitgehend unbewusst Ihr Fahrzeug lenken. Diese unbewusste »Informationsverarbeitung« ist ein geistiger Akt. Der Geist organisiert die Informationen aus der Umwelt. Manche hält er für so wichtig, dass er sie ans Bewusstsein schickt. Genau das passiert, wenn Sie an einem Autobahnschild vorbeifahren und Ihnen erst eine Minute später dämmert, dass Sie in die falsche Richtung fahren. Ihr Geist hat die Information »Richtung München« aufgegriffen, weiß aber, dass Sie nach Berlin fahren möchten. Plötzlich schießt es Ihnen durch den Kopf, dass Sie schnell eine Abfahrt finden und die Fahrtrichtung ändern müssen. So verstanden ist das Geistige grundlegender als das Bewusstsein, und umgekehrt ist das Bewusstsein nur die Spitze des (geistigen) Eisbergs. Der Begriff »Geist« bezieht sich demnach sowohl auf das bewusste Erleben als auch auf unbewusste Prozesse der Informationsverarbeitung. Beim Panpsychismus werden wir sehen, was es mit dem Geist und dem unbewussten Erleben auf sich hat. (Natürlich hat es damit zu tun, dass Atome keine Schmerzen fühlen können, wir aber schon.)