Das Lexikon der alten Gemüsesorten - Marianna Serena - E-Book

Das Lexikon der alten Gemüsesorten E-Book

Marianna Serena

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Beschreibung

Ein Standardwerk, das neue Massstäbe setzt. Kennen Sie Safier Kartoffeln, die Tomate Rheinlands Ruhm, den Maikönig, deutsche Riesentrauben oder die Znaimer Gurke? Diese und viele andere Gemüsesorten waren einst bei uns in Mitteleuropa verbreitet, sind heute aber in Vergessenheit geraten. Viele von ihnen lohnt es, für den Garten und die Küche wiederzuentdecken. Über 800 Gemüsesorten werden in fundierten Porträts vorgestellt. Es wird berichtet, woher die Gemüsesorten kommen und wie alt sie sind, wo sie angebaut wurden, wer sie entwickelt und gepflegt hat. Hinzu kommen Porträts von Menschen, die heute mit festen Raritäten arbeiten. Bei jeder Gemüsesorte ist eine Bezugsquelle angegeben. Die vorgestellten Sorten eignen sich für jeden Hausgarten, für den Anbau auf dem Balkon und in Töpfen. Ein unverzichtbares Nachschlagewerk für alle Hobbygärtnerinnen und engagierten Gemüseköche. Herausgeber: ProSpecieRara, ProSpecieRara Deutschland, Arche Noah, Hortus

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Das Lexikon der alten Gemüsesorten

Marianna Serena, Michael Suanjak (Texte) Franca Pedrazzetti, Beat Brechbühl (Fotografie)

Unter Mitarbeit von Nicole Egloff, Iris Förster, Philipp Holzherr, Deborah von Arx, Susi Wyden

DAS LEXIKON DER ALTEN

GEMÜSESORTEN

800 Sorten – Geschichte, Merkmale, Anbau

Bei den Gemüsesorten verwendete Symbole:

Aussaat im Haus

Aussaat unter Glas

Aussaat im Freiland

Vorkeimen im Haus

Pflanzung

Ernte

Dieses Buch wurde ermöglicht dank der Unterstützung der Hauser-Stiftung Weggis und der Stiftung zur Förderung der Pflanzenkenntnis.

© 2014 AT Verlag, Aarau und München Lektorat: Petra Holzmann, München Gestaltung und Satz: AT Verlag Bildaufbereitung: Vogt-Schild Druck, Derendingen

ISBN 978-3-03800-120-1

www.at-verlag.ch

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Vorwort von Arche Noah

Vorwort von ProSpecieRara

Kulturpflanzen – Entwicklung und Erhaltung

Einleitung

Die Erhaltung von Kulturpflanzen

Die Entwicklung der Kulturpflanzen – ein historischer Überblick

Gärten der Vielfalt

Nutz- und Lustgarten Schloss Wildegg

Arche Noah Schaugarten in Schiltern

Merian Gärten in Basel – Hauptsitz ProSpecieRara

Samengarten in Eichstetten am Kaiserstuhl

Schaugarten Landwirtschaftliches Zentrum Rheinhof in Salez

Gemüsesorten

Artischocke

Aubergine

Barbarakraut

Blumenkohl und Brokkoli

Bohne

Endivie

Erbse und Kefe

Erdbeerspinat

Etagenzwiebel

Fenchel

Feuerbohne

Flaschenkürbis

Gartenmelde

Gartensauerampfer

Grünkohl, Braunkohl und Palmkohl

Gurke

Guter Heinrich

Haferwurzel

Hirschhornwegerich

Kardy

Karotte

Kartoffel

Kerbelrübe

Kichererbse

Knoblauch

Knollenziest

Kohl, Kopfkohl

Kohlrabi

Kohlrübe

Kürbis

Lauch

Linse

Mangold

Meerkohl

Neuseeländerspinat

Nüsslisalat

Paprika

Pastinake

Portulak

Puffbohne

Radieschen und Rettich

Rande

Rattenschwanzrettich

Rhabarber

Rosenkohl

Salat

Schalotte

Schlafmohn

Schwarzwurzel

Sellerie

Sojabohne

Spargel

Spargelbohne

Spargelerbse

Speiserübe

Spinat

Tomate

Topinambur

Winterheckenzwiebel

Wurzelpetersilie

Zichoriensalat

Zucchetti

Zuckermais

Zuckermelone

Zuckerwurzel

Zwiebel

Sortenempfehlungen

Sortenempfehlungen für Feinschmecker

Sortenempfehlungen für die Gartenpraxis

Gemüsesorten bestimmter Regionen und Länder

Anhang

Herausgeber und Erhalterorganisationen

Adressen

Autoren

Dank

Quellen und Literatur

Bildnachweis

Index

Vorwort von Arche Noah

Liebe Freundin, lieber Freund der Vielfalt

In den umfassenden Sammlungen von Arche Noah und Pro SpecieRara werden Tausende selten gewordene Nutzpflanzen erhalten. All diese Gemüsesorten waren über längere Zeiträume in mitteleuropäischen Regionen beheimatet, wo sie kultiviert, gegessen und erhalten wurden, wo sie beliebt waren, nützlich und bewährt. Mit der Industrialisierung unseres gesamten Ernährungssystems wurden viele lokale Nutzpflanzen jedoch aus Gärten, Küchen und der Landwirtschaft verdrängt, und das in einem erschreckenden Ausmass.

Doch heute erkennen zum Glück mehr und mehr Menschen, dass die gefährdete Vielfalt uns braucht – und uns im Gegenzug mit wunderbaren Gaben beschenkt. Wer einmal mit allen Sinnen durch einen Vielfaltsgarten spazieren konnte oder gar selbst einen bestellt, der bekommt in der Fülle an Schönheit, Geschmackseindrücken und Gerüchen einen Eindruck vom Paradies. All diese Pflanzen tragen darüber hinaus mit ihren unterschiedlichen Eignungen und Eigenschaften einen Schatz in sich, der für die Zukunft unserer Ernährung gar nicht überschätzt werden kann.

All jenen Menschen, die alten Gemüsesorten wieder einen Platz in ihrem Leben geben wollen, ist dieses Buch als Nachschlagewerk, Informationsquelle und Inspiration gewidmet. Es bietet einen grossen, wenn auch bei Weitem nicht vollständigen Einblick in die Welt der alten mitteleuropäischen Gemüsesorten. Diese zeichnen sich meist durch Robustheit aus, wenn sie am richtigen Standort kultiviert werden, durch typischen Geschmack und vor allem durch fruchtbares, frei vermehrbares Saatgut, das die Grundlage jeder zukünftigen Vielfalt ist.

Wenn das Buch dazu beiträgt, dass viele Menschen in ihren Gärten und auf ihren Äckern die Vielfalt unserer Pflanzen kultivieren und erhalten und daraus Nutzen und Genuss hervorgehen, dann ist unser Ziel erreicht.

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit diesem Buch!

Unseren Kolleginnen und Kollegen von ProSpecieRara danke ich sehr herzlich für viele Jahre des fruchtbaren Austausches und der freundschaftlichen Zusammenarbeit, dem Autorinnen- und Autorenteam für die hervorragende Arbeit an diesem Buch und den im Buch porträtierten Gärtnern und Gärtnerinnen für ihren Einsatz, ihr Vorbild und die Bereitschaft, ihre Erfahrungen freigiebig mit anderen zu teilen.

Beate Koller

Arche Noah Geschäftsführerin

Vorwort von ProSpecieRara

Liebe Leserin, lieber Leser

Wenn sich zwei Menschen begegnen, die sich nicht kennen, dann werden sie sich gegenseitig sehr schnell folgende Fragen stellen: «Wie ist Ihr Name und woher kommen Sie?» Dies sind die grundlegenden Fragen nach der eigenen Identität. Bei den Nahrungspflanzen wird diese Identität weitgehend über den Sortennamen definiert. Hinter dem Sortennamen kann entweder ein Ort stehen oder ein Züchter, der seiner neuen Kreation einen Namen gegeben hat. Mit der Sorte sind bestimmte Eigenschaften verknüpft, die diese Sorte von einer anderen unterscheiden. Zu dieser Form der Identifizierung gehört auch, dass Geschichten entstehen, die von Generation zu Generation weitererzählt werden. Sortennamen sind damit auch häufig Ausdruck von inniger Verbundenheit zwischen Mensch und Nahrungspflanze. Denn je mehr Namen ein und derselben Sorte gegeben wurden, desto höher war die Wertschätzung, die man dieser entgegenbrachte.

Wenn wir unseren Einkaufswagen durch einen der Supermärkte schieben, dann werden wir erschlagen von der Vielfalt des Angebots. Auf den Gemüseregalen liegen Tomaten, Zucchini, Auberginen und Paprika schön drapiert in Reih und Glied. Wer sich nun auf die Suche macht und Genaueres über deren Identität im oben erwähnten Sinn erfahren möchte, der prallt auf eine Mauer des Schweigens. Eine gesichts- und charakterlose Einheitlichkeit starrt einem aus den Regalen entgegen. Ein Zeichen, das beispielsweise auf die wirkliche Identität der entsprechenden Tomatensorten hinweisen würde, sucht man meist vergeblich. Sollte doch einmal eine Namensbezeichnung auf der Packung stehen, so ist wiederum Vorsicht geboten, beschreibt diese doch häufig nicht die Sorte selbst, sondern eine beliebige Marke, die im Besitz eines Agrarkonzerns ist und keine bestimmte Tomatensorte benennt. Kurz: Es wird von der Nahrungsindustrie so einiges dafür getan, dass die Identität unserer Nahrungspflanzen für uns Kunden schwer zu ermitteln ist und das Angebot immer gesichtsloser und damit austauschbarer wird.

Das Verschwindenlassen der Identität hat System und führt schliesslich zur Entmündigung des Kunden. Denn diesem wird die Möglichkeit genommen, sich allzu sehr mit einer bestimmten Sorte zu verbinden, immer wieder nach dieser Sorte im Angebot zu suchen und nach ihr zu verlangen. Eine solche «Sortentreue» stünde im Gegensatz zum Zeitgeist und zum Diktat des Marktes, der immer Neues produzieren will und muss, da Patente und Sortenschutz bei den angebotenen Nahrungspflanzen nach rund fünfundzwanzig Jahren auslaufen und es dann für die Industrie an der nun ungeschützten Sorte nichts mehr zu verdienen gibt. Also muss eine neue, wiederum geschützte Sorte her, und der Kunde soll nun diese kaufen – müssen. Um die Einführung neuer Sorten zu erleichtern, liess man nach und nach die Sortennamen aus den Regalen verschwinden und stahl den Sorten so ihre Identität und dem Kunden damit die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Sorte er gerne auf seinem Teller haben möchte.

Genau hier setzt die Arbeit von ProSpecieRara und Arche Noah sowie weiterer Erhalterorganisationen an. Mit der Publikation dieses Gemüselexikons sollen die vielen traditionellen und alten Sorten ihre Identität wieder zurückerlangen. Hier werden sie mit ihren Namen, mit ihren spezifischen Eigen schaften und mit einem typischen Sortenbild festgehalten. Zusätzlich handelt es sich jeweils um Sorten, die mithilfe von Sortendatenbanken aufspürbar und damit heute noch erhältlich sind. Sie sind samenfest und damit für jeden, der etwas von der Samenvermehrung versteht, reproduzierbar. Durch den Einsatz von vielen professionellen und privaten Saatgutproduzenten wird die Geschichte dieser Vielfalt weitergeschrieben. Damit nehmen die Verbraucher ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch und stellen wieder eine direkte Beziehung zu ihren Nahrungspflanzen her. Das vorliegende Gemüselexikon ist somit ein Meilenstein gegen das Vergessen und dokumentiert eine aktuelle Momentaufnahme der Evolutionsgeschichte der Gemüsevielfalt, die noch lange nicht zu Ende geschrieben ist und an der sich möglichst viele Menschen beteiligen sollten. Dafür werden sich ProSpecieRara und Arche Noah auch in Zukunft einsetzen.

Béla Bartha

Geschäftsführer ProSpecieRara

Kulturpflanzen – Entwicklung und Erhaltung

Einleitung

Gemüsepflanzen sind Kulturpflanzen. Im Gegensatz zu Wildpflanzen, die sich vom Menschen unabhängig, meistens sogar am besten möglichst fern von ihm entwickeln, sind Kulturpflanzen auf den Menschen angewiesen. Der Name Kulturpflanze besagt, dass es sich dabei um Wildpflanzen handelt, die vom Menschen in Kultur genommen wurden. Da dies Jahrhunderte und Jahrtausende zurückliegt, leben diese Pflanzen heute so stark in Symbiose mit dem Menschen, dass sie nicht mehr selbstständig überleben können. Wenn Kulturpflanzen frei abblühen, ihre Samen also auf den Boden fallen und im Folgejahr wieder keimen, endet das in der Regel (aber nicht immer) in einer Degeneration; das bedeutet, sie nähern sich ihrer Wildform wieder an, was zwar für die Pflanze eine Stärkung bedeuten kann, aber immer einhergeht mit Einbussen in Bezug auf ihre Nahrungsqualitäten.

Es war schon immer ein Anliegen des Menschen, Nahrung zu produzieren, und deshalb kümmerte er sich auch um Pflanzen. Mehr Ertrag, möglichst gute Essqualitäten, wie zarte Knollen oder bitterfreie Blätter, und eine gute Lagerfähigkeit sind uralte Ziele bei der Arbeit mit den Kulturpflanzen. Das menschliche Leben hängt von Pflanzen ab. Am deutlichsten wird das bewusst, wenn wir Gemüse, Kartoffeln oder Salat essen. Wenn wir Brot zu uns nehmen, hat ein Müller und ein Bäcker das Getreide verarbeitet. Wenn wir Milchprodukte, Eier und Fleisch zu uns nehmen, sind das pflanzliche Nährstoffe, die ein Nutztier, eine Kuh, ein Huhn oder ein Schaf, als Futtermittel zu sich genommen hat. Wenn wir Kleider einkaufen, musste irgendjemand dafür Baumwollsträucher pflanzen und sie sorgsam wachsen lassen. Und selbst wenn wir funktionale Sportbekleidung tragen, hergestellt aus Erdöl und seinen Derivaten, sind die Grundlagen Pflanzen, deren organische Stoffe über Jahrtausende in Erdöl umgewandelt wurden. Auch wenn es uns manchmal in dem der Natur entfremdeten Alltag nicht mehr bewusst ist: Unser Überleben hängt von den (Kultur-)Pflanzen ab.

Gemüsepflanzen sind Nahrungspflanzen. Es gibt eine unendliche Vielfalt an Gemüse – dieses Buch soll dazu anregen, sie zu entdecken. Am grössten war die Gemüsevielfalt in Mitteleuro-pa im 19. Jahrhundert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann man aus verschiedenen Gründen das Sortiment zu straffen (siehe «Die Entwicklung der Kulturpflanzen», Seite 18). Dies hatte zur Folge, dass viele Gemüsevarietäten und spezielle Formen in Vergessenheit gerieten. Heute ist das Gemüseangebot im Grosshandel eintönig und langweilig: Immer die gleich aussehenden Paprika, stets die gleichen runden roten, oft geschmacklosen Tomaten. Wer das satthat, braucht einen Garten, um die Raritäten selbst anzubauen, oder hat vielleicht das Glück, einen ökologisch produzierenden Gemüsegärtner in der Nähe zu haben, der seine Spezialitäten regional vermarktet. Damit die alten Gemüsesorten erhalten werden können, brauchen sie Menschen, die sich um sie kümmern. Kulturpflanzen sind ein Erbe der Menschheit, sind Geschenke, die seit Jahrtausenden von unseren Vorfahren an uns weitergegeben wurden. Wir tragen die Verantwortung, diese an die kommenden Generationen weiterzureichen, damit auch sie sich ihre Ernährungsgrundlage sichern können. Wo Kulturpflanzen plötzlich Eigentum einer Firma werden, wo Sorten produziert werden, die keine fertilen Nachkommen mehr produzieren, verkaufen wir unser Erbe «für ein Linsengericht».

Die in diesem Buch porträtierten Menschen setzen sich alle auf verschiedene Art für die Erhaltung alter Kulturpflanzensorten ein. Erhaltung kann bedeuten, selbst Pflanzen anzubauen und Saatgut zu ernten, es kann aber auch heissen, das Wissen über diese Sorten wieder unter die Leute zu bringen oder sie die vergessenen Geschmacksnoten kosten zu lassen. Und Erhaltung kann ebenfalls heissen, wochenlang Texte in den Computer zu tippen, damit am Schluss dieses «Lexikon der alten Gemüsesorten» Augen öffnen und von der Schönheit und Vielfalt unseres Gemüse-Erbes erzählen kann – immer verbunden mit der Hoffnung, mehr Menschen für die Erhaltung der alten Gemüsesorten zu gewinnen.

Die Arten- und Sortenbeschreibungen in diesem Buch handeln immer auch von Herkunftsgeschichten, von Züchtern und von bestimmten Orten. Hinter jeder Sorte steht mindestens ein Mensch, ein Züchter oder Gärtner, der über Jahre hinweg Pflanzen ausgelesen hat, bis eine Anzahl Pflanzen in ihren Eigenschaften einheitlich und stabil war, um überhaupt als Sorte wahrgenommen zu werden.

Eine Gemüsesorte, die vor hundert Jahren auf den Markt kam, sieht heute nicht mehr so aus wie damals. Sie wurde in der Zwischenzeit einige Male vermehrt. Bei jedem Vermehrungsschritt geschehen Veränderungen, dem Züchter bewusste und auch unbewusste. Pflanzen sind sich verändernde Lebewesen. Bei der Beschreibung der Gemüsesorten in diesem Buch handelt es sich in diesem Sinne also um eine Momentaufnahme. Die Beschreibungen der Merkmale einer Sorte basieren auf Beobachtungen von Erhalterinnen und Erhaltern von ProSpecieRara und Arche Noah, die in den letzten rund fünfzehn Jahren und mit den zur Verfügung stehenden Pflanzenindividuen gemacht wurden. Es sei hier explizit festgehalten: Dies sind keine verbindlichen Beschreibungen von Merkmalen. Einschränkungen für den Anbau und die Vermarktung dürfen nicht aufgrund dieser Beschreibungen getätigt werden. Dies sind frei verfügbare Sorten, die sich auch in Zukunft frei weiterentwickeln und verändern dürfen und sollen.

Es freut alle an diesem Buch Beteiligten, wenn Sie als Leserin oder Leser sich von dieser Vielfalt begeistern lassen, vielleicht zu einer Samentüte greifen und diese selber anbauen oder anderweitig in Kontakt mit ihr kommen. Viel Freude!

Die Erhaltung von Kulturpflanzen

Warum müssen Kulturpflanzen heute erhalten werden? Das nachfolgende Kapitel zur Entwicklung der Kulturpflanzen mit einem historischen Rückblick nennt einige Gründe, weshalb viele alte Sorten heute vor dem Verschwinden bewahrt werden müssen. Ebenso wurden in den vorangehenden Texten einige grundsätzliche Gedanken dazu erläutert.

Viele Kulturpflanzen sind bereits verloren

Man geht davon aus, dass in den letzten gut hundert Jahren mehr als achtzig Prozent der einstigen Kulturpflanzenvielfalt unwiderruflich verloren gegangen ist. Die hier vorgestellten Gemüsesorten zählen zu den zwanzig Prozent der Überlebenden, stellen aber selbst nur einen Bruchteil davon dar.

Alte Sorten sind samenfest und frei verfügbar

Die genannten alten Gemüsesorten sind alle noch samenfest, wie dies alle Sorten vor dem 20. Jahrhundert waren. Das heisst, sie sind nachbaufähig und produzieren Samen, die wieder ausgesät identische Pflanzen bilden. Diese Eigenschaft garantiert allen Anbauern, dass sie selbst Saatgut dieser Sorten ernten und diese Sorten weiterentwickeln können. (Bei Hybridsorten, sogenannten F1-Sorten, ist dies nicht mehr der Fall.) Diese Eigenschaft macht es auch möglich, dass Organisationen diese samenfesten Gemüsesorten überhaupt erhalten können.

Die Erhalterorganisationen setzen sich zudem dafür ein, dass Saatgut von Gemüsesorten allen Menschen frei zugänglich bleibt. Diese Freiheit wird heute immer stärker eingeschränkt.

Erhalterorganisationen

Vereine und Stiftungen, NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und NPOs (nicht profitorientierte Organisationen) sind heute als Erhalterorganisationen in vielen Ländern tätig. Sie wurden allesamt 1980 oder später gegründet, als der Verlust der Agro-Biodiversität ins Bewusstsein drang. ProSpecieRara in der Schweiz, Arche Noah in Österreich, Hortus in Liechtenstein und verschiedene Organisationen in Deutschland setzen sich heute für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt ein.

Erhaltung von Gemüse bedeutet Samenbau

Alle diese Organisationen haben in ihrer Gründerzeit als Erstes Saatgut alter Sorten gesammelt und das Gemüse dann angebaut; für das Überleben der Sorten mussten sie zuerst lernen, wie man Samen erntet. Denn wenn einmal von einer Sorte nur noch nicht keimfähiges Saatgut vorhanden ist, weil dieses bereits zu lange lagerte, dann ist die Sorte ausgestorben. Folglich muss von jeder Sorte in regelmässigem Abstand frisches Saatgut geerntet werden, um ihr Überleben wieder für einige Jahre zu sichern.

Das Wissen über Samenbau ist bei Hausgärtnern wie auch bei professionellen Gärtnern verloren gegangen. Ein Teil der Erhaltungsarbeit ist deshalb immer die Schulung im Samenbau. Sowohl Arche Noah als auch ProSpecieRara Schweiz und Deutschland bieten Samenbaukurse für interessierte Hausgärtner und -gärtnerinnen und Profis an. Will man eine Sorte über Generationen vermehren und ihre guten Eigenschaften behalten, braucht es einiges an Wissen und auch an Engagement. Arche Noah und ProSpecieRara sind keine Gärtnereien, die diese Sorten selbst vermehren. Sie sind vielmehr Netzwerke von vielen Hundert Sortenerhalterinnen und Sortenerhaltern. Jede und jeder Einzelne kümmert sich dabei um die Erhaltung einer oder einiger weniger Sorten, alle zusammen sichern Hunderten von Sorten das Überleben. Die Aufgabe der Erhalterorganisationen ist es, das Netzwerk zu koordinieren, Wissen über die Kulturpflanzen zu sammeln und zu dokumentieren, die Verfügbarkeit von Saat- und Pflanzgut zu gewähren und Öffentlichkeits- und Bewusstseinsarbeit zu leisten.

Samenbibliothek und Sortenarchiv

Bei ProSpecieRara nennt man die Sammlung aller Samen der alten Gemüsesorten «Samenbibliothek», bei Arche Noah «Sortenarchiv». Gemeinsam ist ihnen, dass es sich dabei um einen Raum handelt, in dem Saatgut von in Erhaltung stehenden Sorten gelagert wird. Es handelt sich dabei um VermehrungsSaatgut, das ausschliesslich der weiteren Absicherung der Sorten dient. Das heisst, Saatgut aus der «Samenbibliothek» und aus dem «Sortenarchiv» steht ausschliesslich Erhaltern zur Verfügung.

Zugang zu Saat- und Pflanzgut und zu Produkten

Wer Saatgut beziehen will, um einfach einmal einen Salat anzubauen, ihn zu ernten und zu geniessen, der findet bei ProSpecieRara im «Sortenfinder, dem Saat- und Pflanzgutkatalog für Gönner/innen und Aktive» und im «Sorten-Handbuch» der Arche Noah Bezugsquellen für Saatgut dieser Raritäten. Immer im Frühjahr finden zahlreiche Setzlings- und Jungpflanzenmärkte statt, und im Herbst gibt es Erntetage und Produktemärkte.

Weitere Informationen zu den Organisationen sowie Kontaktadressen siehe im Anhang.

Unsere Kulturpflanzen entstanden durch die Arbeit von Generationen von Menschen. Diese Pflanzen müssen weiterhin gepflegt werden, ansonsten verlieren wir unser wertvolles Kulturerbe.

Die Entwicklung der Kulturpflanzen – ein historischer Überblick

Vom Jäger und Sammler zum Anbauer der ersten Kulturpflanzen

In den älteren Kulturepochen, der Mittel- und Altsteinzeit, lebte der Mensch als Jäger und Sammler. Er ernährte sich von dem, was ihm die Natur an Wildpflanzen und Tieren bot. In der Jungsteinzeit begannen die Menschen, Pflanzen und Tiere zu domestizieren und wurden als Folge davon sesshaft. Diese Änderung der Lebensgewohnheiten vollzog sich weltweit zu unterschiedlichen Zeiten. Erstmals geschah dies im 10. bis 7. Jahrtausend v. Chr. im Gebiet des fruchtbaren Halbmondes, in der heutigen Türkei und im Iran, wo viele Wildgetreidearten beheimatet sind. Die ersten Kulturpflanzen waren Erbsen, Linsen, Gersten und Weizen. In Mitteleuropa fand das Leben noch jahrtausendelang in den Wäldern statt, sesshaft wurden die Menschen hier erst zwischen 5500 bis 2200 v. Chr. Noch vor den Mitteleuropäern begannen die Indianer in Südamerika mit der Kultivierung von Pflanzen: Im Hochland von Peru entwickelten sie im 3. Jahrtausend v. Chr. die ersten essbaren Kartoffeln.

Besonders in Süddeutschland wurde Dinkel von der Bronzezeit (1800 bis 800 v. Chr.) bis ins Mittelalter hinein reichlich angebaut, vor allem auch in klimatisch ungünstigen Gebieten, die sich für Weizenanbau nicht eignen. Zu der schon in der Jungsteinzeit angebauten Rispenhirse trat auch die Kolbenhirse hinzu. Hafer, Emmer und Roggen traten erstmals auf – zuerst wohl nur als Unkraut in den Feldern. Die Puffbohne fand den Weg von Südeuropa über die Alpen nach Norden.

Die Römer brachten die erste Vielfalt

Sehr vielfältig war bei den Römern der Bestand an Gewürz-, Gemüse- und Salatpflanzen, von denen etliche als «romanischer Import» in unsere Heimat eingeführt wurden. Zu diesen gehören beispielsweise Dill und Koriander. Auch die Gemüsearten Gartenmelde und Schildampfer wurden erst von den Römern in grösserem Stil kultiviert. Man nimmt an, dass der rheinische Gemüsebau auf die Einführung durch die Römer zurückgeht.

Das Mittelalter: Gemüseanbau in Klöstern und Königshäusern

Zu Beginn des Mittelalters wurden die Klöster zu Kernzellen für die Entwicklung von Gemüse und Kräutern – sowohl, was die Produktion von Nahrungsmitteln, die Beschreibung der Pflanzen als auch deren Verwendung als Heil- und Medizinpflanzen angeht. Vermutlich fanden damals in den Klöstern erste Züchtungsversuche mit Individualauslese und Nachbau statt. Auch die Könige und Kaiser förderten den Gemüsebau. Eine der ältesten schriftlichen Nachweise von einst bedeutenden Nahrungspflanzen in Mitteleuropa kann dem «Capitulare de villis», der Landgüterverordnung von Karl dem Grossen, entnommen werden. Sie wurde wahrscheinlich im Jahr 812 n. Chr. in Aachen verfasst. Darin erliess der König Vorschriften, welche Nahrungspflanzen in seinen von Mittelitalien bis an die Ostsee und von den Pyrenäen bis nach Böhmen reichenden Krongütern angebaut werden sollten. Neben vielen Kräutern werden darin auch folgende Gemüsesorten erwähnt: Gurke, Zuckermelone, Flaschenkürbis, Kuhbohne, Kichererbse, Lattich, Sellerie, Fenchel, Schlafmohn, Mangold, Pastinake, Karotte, Gartenmelde, Kohlrabi, Kohl, Speiserübe, Winterheckenzwiebel, Rettich, Schalotte, Küchenzwiebel, Knoblauch, Puffbohne und Erbse. So vielfältig dies auf den ersten Blick erscheinen mag, so trügerisch ist diese Liste in Hinblick auf die Ernährung der untersten Bevölkerungsschichten, der Bauern und Leibeigenen, die sich hauptsächlich von Getreidegrütze, Kohl und einigem Wurzelgemüse ernährten. Die grosse Gemüsevielfalt blieb den Wohlhabenden vorbehalten, vielleicht das ein oder andere Gemüse noch den Städtern. Ebenfalls aus dieser Zeit ist der Klosterplan von St. Gallen überliefert. Er entstand vermutlich zwischen 819 und 826 n. Chr. im Kloster Reichenau am Bodensee.

Steigende Temperaturen im Mittelalter

Um 1080 bis 1380 n. Chr. vollzog sich in Europa und über dem Nordatlantik eine beachtliche Erwärmung zumindest der Sommer. Diese Periode wird als Mittelalterliches Klimaoptimum bezeichnet. Im August war es etwa 2 bis 2,5 Grad wärmer als in der Zeitphase davor und etwa 1,5 Grad wärmer als heute. Diese Temperaturen erlaubten damals sogar Weinanbau in Südengland. In der sogenannten Kleinen Eiszeit, von etwa 1550 bis 1850 n. Chr., gingen dann die Temperaturen wieder zurück. Welche Auswirkungen diese Erwärmung auf den Anbau von Gemüse hatte, ist nicht im Detail bekannt. Möglich, dass dadurch aber in dieser Zeit die eine oder andere Gemüseart aus dem Mittelmeerraum in Mitteleuropa Fuss fasste.

Die Entdeckung von Amerika – unbekannte Kulturpflanzen kommen nach Europa

1492 landete Christoph Kolumbus in Amerika. Er brachte Zuckerrohr und Zitrusfrüchte nach Amerika und nahm auf seiner Rückreise den Mais mit nach Europa. In den folgenden Jahrzehnten fanden verschiedenste neue Kulturpflanzen den Weg in die Alte Welt: Von 1508 stammt die erste Abbildung eines Kürbisses aus Frankreich, 1516 eine von Tomaten. 1543 beschreibt Leonhart Fuchs in Deutschland die ersten Bohnen und die ersten Paprika. 1570 wurde die Kartoffel nach Spanien eingeführt, zwanzig Jahre später erreichte sie England. Und im Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert folgten die Feuerbohnen.

Innerhalb von hundert Jahren hatte man plötzlich eine Fülle an neuen Kulturpflanzen zur Verfügung. Diese kamen nicht etwa als Wildpflanzen, die noch entwickelt werden mussten, nach Europa, sondern waren in Amerika bereits seit mehr oder weniger langer Zeit kultiviert worden und kamen in vielfältigen Formen und Varianten zu uns, grossfrüchtig und ertragreich. Die eine oder andere Pflanze brauchte noch Zeit, bis sie sich an das hiesige Klima angepasst hatte, andere wiederum kamen aus ähnlichen Breitengraden und etablierten sich schneller. Zusätzlich brauchte es Zeit, bis sich die Ernährungsgewohnheiten der hiesigen Bevölkerung änderten. «Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.» Diese Hürde musste manches Gemüse zuerst noch nehmen.

Die Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts

Gleichzeitig mit der Einführung amerikanischer Kulturpflanzen begannen im 16. Jahrhundert Gelehrte, meist Ärzte, Predi ger und Botaniker, Kräuterbücher zu schreiben. Diese «Väter der Pflanzenkunde» gaben in ihren Werken umfassende Pflanzenbeschreibungen wieder, oft auch ergänzt durch detailgetreue Zeichnungen, aufgrund derer man sie mit den heute bekannten Gemüsearten vergleichen kann. Sie begründeten die botanische Nomenklatur und teilten die Pflanzen nach systematischen Verwandtschaften ein. Die Werke von Otto Brunfels (1488–1534), Hieronymus Bock (1498–1554), Leonhart Fuchs (1501–1566), Pietro Andrea Mattioli (1501–1577), Tabernaemontanus (1522–1590) und Caspar Bauhin (1560–1624) gehören zu den bis heute bedeutenden Kräuterbüchern.

Erste Kreuzungen zur Verbesserung der Kulturpflanzen

Über all die vergangenen Jahrhunderte und Jahrtausende lag die Entwicklung der Kulturpflanzen in den Händen der Bauern. Jeder bebaute seine Felder, erntete für die Ernährung der eigenen Familie und betrieb in dem Masse Samenbau, dass eigenes Saatgut für das kommende Jahr zur Verfügung stand. Doch aus den Beobachtungen der Gelehrten, kombiniert mit eigenen Erfahrungen, begannen findige Geister im 18. Jahrhundert mit den ersten Kreuzungen zur Verbesserung der Kulturpflanzen: Um 1780 begann man, Landsorten von Kartoffeln gezielt zu kreuzen. 1786 selektierte F. C. Achard die ersten zuckerreichen Rüben und züchtete schliesslich die ‘Weisse Schlesische Zuckerrübe‘. Innerhalb von hundert Jahren wurde so der Zuckergehalt der Rübe von zwei auf fünfzehn Prozent gesteigert. In England wurden 1790 kontrollierte Züchtungen von Mark- und Palerbsen durchgeführt.

Das 19. Jahrhundert – der grosse Umbruch: die Intensivierung der Kulturpflanzen-Züchtung

Im 19. Jahrhundert begann sich die Lebensweise der Menschen in Europa grundsätzlich zu verändern. Das industrielle Zeitalter begann. 1710 waren mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig, 175 Jahre später nur noch wenige Prozente. Hauptsächlich in diesem Jahrhundert begannen sich erste professionelle Züchter zu etablieren. Es entstanden in Mitteleuropa einige renommierte Züchterhäuser und Samenhändler. Vor allem Frankreich und Deutschland wurden zu Zentren der Gemüsezüchtung. Die dort entwickelten Sorten wurden in ganz Europa und auch in den USA gehandelt.

Züchterfirmen und Forschungsanstalten

Eines der grossen Züchterhäuser in Europa ist Vilmorin aus Paris. Die Firma Vilmorin wurde 1742 als Pflanzen- und Saatgutgeschäft von der Saatgutexpertin Claude Geoffroy und ihrem Ehemann Pierre Andrieux gegründet. Dieser war oberster Gärtner des Königs Ludwig XV. Das Geschäft befand sich in Paris. Ihre Tochter heiratete Philippe-Victoire Levêque de Vilmorin (1746–1804). Von da an führte die Familie über einige Generationen und rund 150 Jahre lang das Geschäft. Heute gehört Vilmorin Clause & Cie. zur Limagrain-Gruppe und ist viertgrösster Saatgutproduzent der Welt. Vilmorin brachte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige sehr umfangreiche Werke mit dem Titel «Les Plantes Potagères» (dt. Die Gartenpflanzen) heraus, die interessante Einblicke in damals gehandelte Gemüsesorten geben.

Im deutschen Erfurt gründete 1843 Ernst Benary eine Kunst- und Handelsgärtnerei, die sich nach und nach zu einer Züchterfirma weiterentwickelte. 1893 arbeiteten etwa hundert Züchter in allen Erdteilen mit der Firma Benary zusammen. Der Zweite Weltkrieg und die Besetzung von Erfurt durch die Rote Armee führte zur Auflösung des dortigen Firmenstandorts. 1946 verliess Ernst Benarys Urenkel Erfurt und baute die Firma in Westdeutschland (ehemalige BRD) neu auf. Dabei spezialisierte er sich auf Zierpflanzen.

Lange Zeit, eigentlich bis zur grossen Privatisierungswelle in den 1990er-Jahren, war auch der Staat intensiv in die Züchtung von Gemüse involviert. Da die Forschung über Zuchtmethoden eng mit den Universitäten verbunden ist, war dies nur naheliegend. In Deutschland, Österreich und der Schweiz entwickelten die Forschungsanstalten eine grosse Anzahl neuer Gemüsesorten.

Die Arbeit von Züchter und Anbauer war im 19. Jahrhundert und bis etwa 1960 nicht immer und überall streng getrennt. Ein Bild davon kann man sich über die gut dokumentierte Genfer Gartenbaugesellschaft machen. Hier gab es einige sogenannte «maraîchères et grainiers» (dt. Marktgärtner und Saatgutzüchter), die einerseits Gemüse produzierten und dieses auf dem Markt verkauften, andererseits betrieben sie auch Samenbau und selektierten ihre eigenen Linien aus bestehenden Sorten. Manchmal entstanden daraus mit der Zeit eigenständige Lokalsorten, die sich deutlich von der ursprünglichen Sorte unterschieden.

Ab den 1880er-Jahren wurden überall regionale oder landesweite Gesellschaften gegründet, die mehrjährige Feldversuche durchführten und sich mit der Sortenwahl beschäftigten. In Deutschland betrieb dies beispielsweise die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft, in Genf die Societé d’horticulture de Genève (dt. Genfer Gartenbaugesellschaft).

Die Mendelschen Regeln der Vererbung von 1866

Die Vererbungslehre wurde im 19. Jahrhundert intensiv erforscht. Den Grundstein der klassischen Genetik legte der Augustinermönch Gregor Mendel mit seinen Kreuzungsversuchen an Erbsenpflanzen und den aus seinen Beobachtungen formulierten Mendelschen Regeln der Vererbung. Seiner Publikation von 1866 wurde vorerst wenig Beachtung entgegengebracht, bis 1900 die Botaniker Carl Correns, Erich Tschermak, William Batteson und Hugo de Vries unabhängig voneinander diese Regeln wiederentdeckten und verbreiteten.

Die Entwicklung der Hybridzüchtung

1909 schlossen East und Shutt in den USA die ersten Versuche zur Hybridzüchtung von Mais ab. 1937 entdeckten Blakeslee und Avery, dass durch Anwendung von Colchizin, einem Inhaltsstoff der Herbstzeitlosen, die ein Zellgift ist, eine Verdoppelung der Chromosomensätze in den Zellen erreicht werden konnte. Damit wurde dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, Mutationen am Erbgut von züchterisch bearbeiteten Kulturpflanzen herbeizuführen. 1940 begann man in den USA mit der Hybridzüchtung an Zuckerrüben.

Erste Hybridsorten auf dem Markt

Ab 1956 waren die ersten Maishybriden im Samenhandel Mitteleuropas zu kaufen. Dies war ein wichtiger Meilenstein in der Saatgut-Züchtung. Alle bis dahin verwendeten Sorten von Kulturpflanzen waren samenfest und offen abblühend, das heisst, jeder Anbauer konnte mit dem entsprechenden Wissen über Samenbau seine Pflanzen zur Blüte bringen und Saatgut ernten. Säte er dieses Saatgut aus, wuchsen wieder sortenechte Pflanzen, die denjenigen der vorhergehenden Generation im Grossen und Ganzen in ihrer Ausprägung und Gestalt sowie in ihren Eigenschaften entsprachen. Mit der Einführung von Hybridsorten (sogenannte F1-Sorten) änderte sich dies schlagartig. Hybridsorten sind nicht sortenecht nachbaufähig. Nimmt man von Hybriden Saatgut und sät dieses wieder aus, resultieren daraus vielgestaltige, nicht mit der Muttergeneration identische Pflanzen. Da dies in der Regel auch deutlich ertragsärmere Pflanzen sind, erntet kein Bauer und Gemüsegärtner Saatgut von Hybriden. Heute dominieren Hybriden das Saatgutangebot beim Gemüse. In gewissen Kulturen wie zum Beispiel beim Zuckermais vollständig, bei anderen Kulturen sind noch wenige samenfeste Sorten im Handel. Die Tendenz geht hin zur vollständigen Marktdominanz von Hybridsorten.

Gesetze und Eigentumsrechte verdrängen alte Gemüsesorten

Nach dem Zweiten Weltkrieg machten Pflanzenzüchterverbände Druck auf die Politik. 1950 wurde in Deutschland das Bundessortenamt gegründet, und drei Jahre später führte Deutschland das erste Saatgutgesetz der Welt ein.

1961 schlossen sich die USA, Japan und die meisten westeuropäischen Länder zur UPOV zusammen (International Union for the Protection of New Varieties and Plants, Verband zum Schutz von neuen Pflanzenzüchtungen). Die UPOV beschliesst gemeinsame Grundregeln für den Sortenschutz, das Eigentumsrecht des Züchters an seiner Sorte. Er gilt 25 Jahre lang. Seit 1972 gibt es einen gemeinsamen Sortenkatalog der EUStaaten. Heute kämpft die ESA, die European Seed Association (dt. Europäischer Saatgutverband) für Patente auf Pflanzen. Die ganze Entwicklung zeigt, wie stark Kulturpflanzen zu Eigentum von Firmen gemacht wurden und werden. Der Zugriff auf Saatgut wird immer mehr monopolisiert. Was einst weltweit allen Menschen als Gemeingut gehörte, wird privatisiert. Gesetzgebungen bedrohen die weitere Erhaltung alter Gemüsesorten, heute noch stärker als dies bereits in den letzten Jahrzehnten geschah.

Grüne Revolution und modernisierte Landwirtschaft

In den 1960er-Jahren begann weltweit der Anbau von Hochertragssorten, kombiniert mit der maschinellen Bearbeitung der Felder und mit Zugabe von synthetischen Düngemitteln und Zusatzstoffen wie Herbiziden und Pestiziden. Dies hatte eine signifikante Ertragssteigerung zur Folge – mit erheblich nachteiligen Wirkungen auf die Gesundheit der Böden und der Umwelt. Die Gemüsezüchtung passte sich den veränderten Anbaubedingungen an. 1954 wurde die erste Buschbohnensorte auf den Markt gebracht, die gleichmässig abreift, das heisst, alle ihre Hülsen sind gleichzeitig erntereif. Sie eignete sich damit hervorragend für die 1951 entwickelte erste mechanische Bohnen-Pflückmaschine.

Gentechnische Züchtung

1960 wurde die Methode der Protoplastenfusion entwickelt. Dabei werden zwei Zellen miteinander verschmolzen, deren Zellwände zuvor durch Enzyme aufgelöst wurden. Die beiden Zellen können von unterschiedlichen Arten stammen, wie zum Beispiel von Tomaten und Kartoffeln. Die Protoplastenfusion steht am Anfang der gentechnischen Methoden in der Pflanzenzüchtung, deren Entwicklung ab den 1970er-Jahren intensiviert wurde. 1972 gilt als die eigentliche Geburtsstunde der Gentechnik: Damals gelang es zum ersten Mal, einen DNA-Strang in einzelne Teile zu zerlegen. Einzelne Gene können nun aus dem Erbgut isoliert und analysiert werden. 1994 kam in den USA die erste gentechnisch veränderte Gemüsesorte auf den Markt: die «Flavr-Savr-Tomate», im Jahr 2000 wurde das erste vollständige Pflanzengenom entschlüsselt, und 2005 wurde in Deutschland die erste gentechnisch veränderte Sorte (Mais) zum Anbau zugelassen. Die gentechnischen Methoden entwickeln sich zurzeit rasant weiter, sodass es Laien, aber auch dem Gesetzgeber, schwerfällt, mit dieser Entwicklung mitzuhalten.

Konzerne dominieren den Saatgutmarkt und die Züchtung

Seit den 1980er-Jahren kauften sich grosse Chemiefirmen in den Saatgutmarkt ein. Es begann die Entwicklung hin zu Paketen von bestimmten Sorten, die in Kombination mit einem bestimmten Herbizid und Pestizid verkauft wurden. Das heisst, Pharmafirmen taten sich mit den Saatgutfirmen zusammen und verkauften zu den neu entwickelten Sorten gleich die passenden Herbizide und Pestizide, die diese benötigten, um reichen Ertrag zu bringen. Ein wirtschaftlich lukratives Geschäft. Der Saatgutmarkt befindet sich seither in einem zunehmenden Prozess der Konzentration. 2007 verkauften die Top Ten der Saatguterzeuger zwei Drittel des weltweit gehandelten Saatguts. Die hier führenden Unternehmen sind Monsanto mit einem Marktanteil beim Saatgut von 27 Prozent, Du Pont mit 17 Prozent und Syngenta mit 9 Prozent Marktanteil. Mittlerweile haben diese die meisten kleinen Züchtungsunternehmen übernommen oder haben mit ihnen fusioniert. Viele Gemüsesorten, die heute neu auf dem Markt eingeführt werden, stammen von diesen finanzstarken Konzernen.

Die ökologische Züchtung – ein anderer Weg

Schon vor rund vierzig Jahren begannen kluge Züchterinnen und Züchter aus dem ökologischen Landbau, sich für eine andere Pflanzenzüchtung einzusetzen. Ilmar Randuja, der am Ekkarthof in der Schweiz seit den 1970er-Jahren biodynamische Züchtung betrieb, gilt als einer der Pioniere auf diesem Gebiet. Die Zuchtziele der ökologischen Züchtung sind ausgerichtet auf eine nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen. Auf den technischen Eingriff in das Erbgut der Pflanze wird verzichtet, und es werden nachbaufähige Pflanzen (keine Hybriden) entwickelt, um den Anbauern die Möglichkeit zu lassen, ihr eigenes Saatgut zu produzieren. Die Arbeit dieser ökologischen Züchter steht immer noch am Anfang, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung einer Sorte zehn bis fünfundzwanzig Jahre dauern kann. Diese ökologischen Züchter in Mitteleuropa arbeiten in vielen Belangen mit Erhalterorganisationen wie ProSpecieRara und Arche Noah zusammen. In der Schweiz betreibt Sativa Rheinau ökologische Züchtung, in Österreich Reinsaat und in Deutschland Kultursaat e. V. und Bingenheimer Saatgut sowie Dreschflegel e. V. Ihre Anschriften und weitere Informationen finden sich im Anhang.

Gärten der Vielfalt

Um die seltenen und alten Gemüsesorten wieder bekannt zu machen, damit sie von Fachleuten beschrieben und bestimmt werden können und um neues Saatgut zu ernten, werden diese in verschiedenen Vielfaltsgärten angebaut. In diesen Gärten entstanden über einige Jahre hinweg die Fotos für dieses Buch. Die Gärten stehen interessierten Besucherinnen und Besuchern offen und laden dazu ein, die Gemüseraritäten wachsen und gedeihen zu sehen und sicher noch manche andere Pflanze zu entdecken, die in dieses Buch nicht Eingang fand.

Nutz- und Lustgarten Schloss Wildegg

Die grosse Vielfalt alter Gemüse-, Beeren- und Getreidesorten von ProSpecieRara kann im wunderschön gelegenen barocken Nutz- und Lustgarten von Schloss Wildegg erkundet werden. Jedes Jahr wachsen hier über 400 verschiedene Sorten und Arten, unbekannte Landsorten, alte Zuchtsorten und fast vergessene Kulturen wie Erdbeerspinat oder Haferwurzeln.

Eine bewegte Schlossgeschichte

Das Schloss Wildegg im Kanton Aargau ist als Burganlage konzipiert; es thront, seit es im Jahr 1200 von den Habsburgern erbaut wurde, auf einem Felsvorsprung über dem Dorf Wildegg. Zu den besten Zeiten um das Jahr 1770 gehörten 120 Hektar Wiesen, Wälder, Äcker, Reben und mehrere Gewerbebetriebe zum Schloss und erlaubten den Besitzern eine weitgehend autarke Lebensweise. Bis die Patrizierfamilie Effinger es von 1483 bis 1912, elf Generationen lang, ihr Eigen nannte, hatte das Schloss eine bewegte Geschichte mit vielen Besitzerwechseln hinter sich. Das Gut, von heute immer noch beachtlichen 98 Hektar, gehört seit 2011 dem Kanton Aargau.

Ein Garten mit barockem Charakter

Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Nutz- und Lustgarten als Terrasse mitten im Rebberg angelegt. Er umfasst 3300 Quadratmeter und ist kreuzförmig mit breiten Kieswegen in vier Sektoren aufgeteilt, die ihrerseits wiederum unterteilt sind. Dieses zentrale Wegkreuz hat sich über die Jahrhunderte halten können und wurde mal mit vielen, mal mit wenigen schattenspendenden Bäumen versehen. Derzeit sind es vier grosse Linden in der Mitte des Wegkreuzes, unter denen man gemütlich an einem kleinen Tischchen sitzend den Garten geniessen kann.

Entlang der Mauer werden auch heute noch verschiedenste Spalierobstarten gezogen; hier findet man Mispeln und Weinbergpfirsiche, exotische Kiwis oder sogar Kakis, die dank dem milden Klima bestens gedeihen. Die weitere Ausstattung des Gartens hat sich laufend verändert. So kamen etwa Mitte des 18. Jahrhunderts zwei Eckpavillons hinzu, die mit den Jahren zwar zerfielen, 1926 aber wieder aufgebaut wurden und auch heute noch bestehen. Dafür gibt es die südlich gelegene Formschnitthecke heute nicht mehr, und so kann man den Blick bis hinüber zum Nachbarschloss Lenzburg, bei schönem Wetter sogar bis zu den Alpen schweifen lassen.

Der barocke Charakter des Gartens kommt vor allem durch die Buchsbordüren zustande. Die Buchsbordüren umfassen die blühenden Stauden, Gehölze sowie etliche Zwiebelpflanzen, die im Frühling wunderschön bunt blühen. Pyramidenförmig geschnittene Eiben geben dem barocken Garten zusätzlich Struktur. Kleinere Wege gliedern den Garten mit den Nutzbeeten und den vielfältigen darin enthaltenen Gemüsesorten. Diese Vielfalt kam auch schon zu Effingers Zeiten in der Küche des Schlosses auf den Tisch. Dank alten Kochbüchern weiss man, dass die Herrschaften feine Eier-Kraut-Zwiebelkuchen oder Kümmelkuchen mit Zutaten aus dem eigenen Garten serviert bekamen.

Notwendige Restaurierung

Mit grosser Sorgfalt wurden in den letzten Jahren das Schloss und die Nebengebäude saniert. Um das Ausflugsziel noch attraktiver zu gestalten, wurde auch der Garten, der bis dahin nicht für Besucher zugänglich war, überholt. 1998 nahm man sich der Instandsetzung des Gartens als Nutz- und Lustgarten nach altem Vorbild an. Es wurde darauf geachtet, die charakteristischen Eigenschaften eines Nutzgartens, der Gemüse, Früchte und Beeren liefert, sowie die romantischen Elemente eines Lustgartens wieder unter einen Hut zu bringen, so wie es schon im 18. Jahrhundert bei der Familie Effinger der Fall war. In einem ersten Schritt suchte die Projektleitung in historischen Dokumenten nach Informationen zum Schlossgarten. Man nahm sich auch ein Beispiel an den umliegenden alten Bauerngärten. Denn früher dienten die Gärten der Herrschaft oftmals als Vorbild für das einfache Volk und wurden von den Bauern kopiert, die dann Schlossgärten im Kleinformat besassen. Dank diesen Informationen gelang es, den Schlossgarten wie anno dazumal wieder aufzubauen und öffentlich zugänglich zu machen. Damit auch die Bepflanzung möglichst nah dem seinerzeitigen Original entspricht, plante ProSpecieRara die Gemüsebepflanzung des Gartens mit alten, kaum mehr kultivierten Gemüse-, Kräuter- und Beerensorten. Über 400 verschiedene rare Sorten, vorwiegend solche aus dem 18. Jahrhundert, werden heute den Besucherinnen und Besuchern in den Nutzbeeten gezeigt. Die Bepflanzung ändert sich jährlich.

Saatguternte und Versuchsanbau

Die im Garten angebauten alten Sorten dienen aber nicht nur als Museumsstücke, sondern ganz direkt auch der Erhaltung. So wird von einigen angebauten Gemüse- und Getreidesorten Saatgut geerntet. Denn nur wenn man alte Sorten aktiv anbaut, können sie für die Zukunft erhalten bleiben. Dies führt zu ungewöhnlichen Anblicken, wie etwa jenem von blühenden Randen oder Kopfsalat. ProSpecieRara nutzt auch die Möglichkeit, verschiedene Sorten nebeneinander anzubauen, zu beobachten und spezifische Sortenbeschreibungen zu erstellen.

Jahresthema, Führungen und Setzlingsmarkt

Um den Ausflug in den Garten noch abwechslungsreicher zu gestalten, kann man von Juni bis September jeden Sonntag an einer Führung durch den Garten teilnehmen. Das Führungsteam von ProSpecieRara weiss viele Geschichten aus und über den Garten zu erzählen. Oder man geht mit einer der gratis aufliegenden Broschüren zum jeweiligen JahresGartenthema selbst auf Entdeckungstour und erfährt Kurzweiliges über einzelne Aspekte des Gartens. Wer dann auf den Geschmack gekommen ist, sollte den legendären ProSpecieRara-Setzlingsmarkt immer am ersten Maiwochenende auf Schloss Wildegg nicht verpassen. Dort kann man die Raritäten für den eigenen Garten erwerben.

Nutz- und Lustgarten Schloss Wildegg

Informationen für Besucherinnen und Besucher

Der Schlossgarten ist vom 1. April bis 31. Oktober (Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr) für Besucher geöffnet. Der Eintritt ist kostenpflichtig. Dank einer Broschüre zum Jahres-Gartenthema und der guten Beschilderung kann man den Garten auf eigene Faust erkunden, oder man schliesst sich einer der sonntäglichen Führungen an, die zwischen 11 Uhr und 16 Uhr viermal stattfinden. Für Gruppenführungen kann man das Museumsteam kontaktieren. Auf dem Schloss findet der ProSpecieRara-Setzlingsmarkt am ersten Maiwochenende sowie über das Jahr weitere Blumen- und Gemüsesonderschauen statt. Weitere Informationen: www.schlosswildegg.ch, www.prospecierara.ch

Arche Noah Schaugarten in Schiltern

Im Arche Noah Schaugarten wird Altes mit Neuem verbunden. Fast verloren gegangene Kulturpflanzen werden hier wieder lebendig, vermehrt, vor dem Aussterben bewahrt und weiterentwickelt.

Ein alter barocker Schlossgarten

Der ehemalige «Kuchlgarten» des Schlosses liegt in dem kleinen Örtchen Schiltern in Niederösterreich, malerisch eingebettet in die umliegenden Weinberge. Man betritt den Schaugarten durch ein von Maria Theresia gestiftetes, kunstvoll verziertes schmiedeeisernes Tor. Nach und nach öffnet sich ein immer weiter werdender Blick auf das Gelände. In dem alten Schlossgarten sind die barocken Strukturen weitgehend erhalten und bilden mit den ihn umgebenden alten Mauern und dem Gartenpavillon ein harmonisches Gesamtbild. Der 1706 erstmals erwähnte Gartenpavillon – das ehemalige Lusthaus – befindet sich auf einer kleinen Anhöhe, hinter der sich der historische Obstgarten verbirgt.

Alte und neue Raritäten

Hauptattraktionen sind nicht die geometrisch angeordneten Beeteinfassungen nach englischem Vorbild, sondern die vom Aussterben bedrohten, fast vergessenen Kulturpflanzen. Rund 750 verschiedene seltene Gemüse-, Getreide- oder Färberpflanzen werden jährlich für Schauzwecke, in verschiedene Themenbeete gegliedert, angebaut. Neben den zahlreichen alten Sorten kann der Besucher auch Exotisches aus aller Welt wie Knollenziest, Erdmandel oder Melothria kennenlernen. Im Schaugarten wird zudem Saatgut vermehrt. Und so sind vor allem im Herbst zahlreiche Samenträger zu bewundern, wie zum Beispiel blühende Pastinaken, Salate oder Schwarzwurzeln. Erfahrene und neugierige Gärtnerinnen und Gärtner finden vielfältige Anregungen für die eigene biologische Gärtnerpraxis, etwa zu Themen der Gründüngung oder Mischkultur oder des biologischen Pflanzenschutzes.

Verkauf von Pflanzen für Gärtnerinnen und Gärtner

Die im Garten angepflanzten Raritäten und Kuriositäten können im Anschluss an den Besuch im Arche Noah Shop als Bio-Jungpflanze oder als Bio-Saatgut erworben werden. Auf diese Weise werden auch die Hausgärten zu Vielfaltsgärten. Fachkundige Arche-Noah-Mitarbeitende des Shops vermitteln Wissen und Anbautipps zu den besonderen Pflanzen. Ebenso sind im Shop Bücher zu Gartenthemen, kalte und warme Getränke, Snacks und Eingemachtes sowie Picknickdecken für einen gemütlichen Aufenthalt unter alten Obstbäumen erhältlich.

Arche Noah Schaugarten in Schiltern

Informationen für Besucherinnen und Besucher

Der Garten ist von April bis Anfang Oktober, Dienstag bis Freitag von 10 bis 16 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Es wird ein Erhaltungsbeitrag für den Schaugarten erhoben. Gruppenführungen auch mit Verkostungen auf Anfrage, ebenso Führungen für Schulklassen und ein Kinderprogramm. Der Garten kann gut selbstständig erkundet werden: Alle Arten sind übersichtlich etikettiert, und zusätzliche Informationen finden sich auf den zahlreichen Informationstafeln an den Beeträndern. Wer noch mehr wissen möchte, kann samstags, sonntags und an Feiertagen dreimal täglich an Gartenführungen teilnehmen. Weitere Informationen: www.arche-noah.at

Merian Gärten in Basel – Haupsitz ProSpecieRara

Am Stadtrand von Basel, zwischen Fussballstadion und Industriegebiet, öffnet sich eine ganz eigene Welt, die die Hektik der Stadt vergessen lässt – eine grüne Oase: die Merian Gärten Brüglingen mit ihren Pflanzensammlungen, darin eingebettet der Hauptsitz von ProSpecieRara Schweiz. In einigen Gartenbereichen arbeiten ProSpecieRara und die Merian Gärten zusammen: So können Besucherinnen und Besucher den ProSpecieRara-Gemüsegarten, den Beerengarten und die Obstsammlung sowie einige alte Nutztierrassen erkunden.

Vom Bauerngut zum botanischen Garten

Einst gehörten diese Ländereien Christoph Merian senior (1769–1849), dem Grosskaufmann und zu seiner Zeit reichsten Schweizer. Den rund 56 Hektar umfassenden Landsitz Brüglingen schenkte er seinem Sohn Christoph zur Hochzeit. Dieser vergrösserte die Ländereien und das Vermögen. Der Nutz- und Lustgarten wurde erweitert, eine grosse Orangerie kam dazu. Mit seinem sowie dem Tod seiner Frau Margaretha 1886 gingen sämtliche Besitztümer in die Christoph Merian Stiftung über. Der Ertrag der Stiftungsgelder wird bis heute für Menschen in Not, eine gesunde Umwelt, Lebensqualität und Kultur in Basel eingesetzt.

Im Verlauf des 20. Jahrhunderts nahm die landwirtschaftliche Nutzung des Geländes sukzessive ab und endete 1980 mit der nationalen Gartenbauausstellung «Grün 80».

1968 stellte die Christoph Merian Stiftung den Teil des Geländes, der heute die Merian Gärten umfasst, für hundert Jahre kostenlos für die Schaffung eines botanischen Gartens zur Verfügung. Seither wurden zahlreiche Pflanzensammlungen angelegt. Die berühmteste darunter ist wohl die Iris-Sammlung, deren bunte Blütenpracht jeden Frühsommer Tausende Besucher anzieht.

Seltene Sorten im ProSpecieRara-Bauerngarten

Der Zier- und Nutzgarten wurde nach diversen baulichen Veränderungen 2011 nach Plänen aus dem 19. Jahrhundert umgebaut. Wie beim historischen Vorbild sind nun die rechteckigen Gemüsebeete durch helle Kieswege miteinander verbunden und der schnurgerade Kanal teilt den Garten in zwei Hälften. Nicht nur die Anordnung der Beete entspricht wieder dem ursprünglichen Zustand, sondern es wachsen darin auch wieder alte, fast vergessene Gemüse- und Zierpflanzensorten. Denn seit Ende 2012 hat ProSpecieRara Schweiz ihren Hauptsitz in zwei Gebäuden mitten in den Merian Gärten. ProSpecieRara plant seither die Bepflanzung der Beete, kann so Sichtungen durchführen und seltene Sorten für die neue und moderne Samenbibliothek vermehren. Die Gärtnerinnen und Gärtner der Merian Gärten sorgen für den Unterhalt der Gärten. Der Garten beherbergt sowohl einjährige Kulturen wie ‘Gelbe Radies’ oder ‘Roter Tessinermais’ als auch mehrjährige wie den ‘Riesenrhabarber Adliswil’ oder Kardy. Folgt man dem Mühlebach abwärts, grenzt an den Gemüsegarten die Beerensammlung mit gelben Himbeeren und weissen Erdbeeren, die zum Naschen verführen.

Direkt hinter dem Gemüsegarten liegt der neu gebaute helle Schafstall mit den Bündner Oberländer Schafen. In dem grossen Freigehege springen im Frühling die Lämmer zum Vergnügen der grossen und kleinen Zuschauer um die Wette. Das Brutzentrum, in dem die drei rarsten Schweizer Hühnerrassen vermehrt werden, steht gleich hinter dem Schafstall. Regelmässig schlüpfen dort im Schaufenster Küken und können von den Besucherinnen und Besuchern auf ihrem anstrengenden Weg aus dem Ei beobachtet werden. Weiter südlich liegt die Obstsammlung, in der 400 seltene Obstsorten, viele davon aus der Region Basel, erhalten werden. Alle ProSpecieRaraPflanzen sind mit ausführlichen Sorteninformationen beschriftet, sodass sie als Inspirationsquelle für den eigenen Garten dienen können.

Merian Gärten in Basel – Hauptsitz ProSpecieRara

Informationen für Besucherinnen und Besucher

Die Merian Gärten liegen, gut mit dem öffentlichen Verkehr (Tram 10/11) erreichbar, südlich der Stadt Basel. Von 8 Uhr bis Sonnenuntergang ist das gesamte Parkareal für Besucher zugänglich. Der Eintritt ist frei. Museen, Kunstausstellungen sowie diverse Veranstaltungen machen diesen Ort zu einem spannenden Ausflugsziel. Die Beschilderung der Sorten im Garten wird laufend angepasst, sodass einem selbstständigen Rundgang nichts im Weg steht. Auf Anfrage können auch Führungen gebucht werden. Weitere Informationen: www.meriangaerten.ch, www.prospecierara.ch

Samengarten in Eichstetten am Kaiserstuhl

Das Ziel der Stiftung Kaiserstühler Garten ist, die Bewahrung, Erforschung, Vermehrung und Anpassung der regionalen Kulturpflanzenvielfalt zu fördern. Zu diesem Zweck hat die Stiftung in dem Winzerort Eichstetten am Kaiserstuhl, in der Nähe von Freiburg im Breisgau, einen Schau- und Samengarten eingerichtet. Auf einer Fläche von etwa 8000 Quadratmeter werden hier viele seltene und beinahe vergessene Kulturpflanzen angebaut, um sie für die Zukunft zu erhalten.

Erhaltungssorten von ProSpecieRara Deutschland

2011 hat die Stiftung Kaiserstühler Garten zusammen mit ProSpecieRara Schweiz die gemeinnützige GmbH ProSpecieRara Deutschland gegründet. Diese Gesellschaft setzt sich ebenso wie ProSpecieRara Schweiz für den Erhalt und die Verbreitung alter Kulturpflanzen ein.

Erzeugung von Saatgut für die Region

Das Besondere am Kaiserstühler Garten ist, dass es sich nicht nur um einen Schaugarten, sondern auch um einen Samengarten handelt. Hier werden die alten Gemüse-, Kräuter-, Blumen- und Getreidesorten nicht nur angebaut, sondern es wird von ihnen auch Saatgut gewonnen, sodass sie dem Anbau und der Vermarktung wieder zugänglich gemacht werden können. Das Ziel der Stiftung ist in die Zukunft gerichtet: Sie will die Vielfalt heimischer Kulturpflanzen durch kleinräumigen Anbau erhalten und fördern. Sozusagen als regionale Antwort auf die globale Privatisierung des Saatguts und auf das Verschwinden genetischer Vielfalt. Das Saatgut unserer in 8000 Jahren entstandenen Nahrungspflanzen ist ein Kulturschatz von unabsehbarem Wert. Das Anliegen der Stiftung ist es, diesen Schatz in der Region zu erhalten und samenfestes, vitales Saatgut, auch von heute gefährdeten Sorten, an künftige Generationen weiterzugeben. Um dies zu erreichen, muss der freie Zugang zum Saatgut ermöglicht werden. Weiterhin werden in Zuchtversuchen Gemüsesorten von zum Beispiel Sellerie, Lauch, Kohlrabi, Fenchel, Pastinake und Mangold angebaut mit dem Ziel, sie an die Region anzupassen und durch Selektion züchterisch zu verbessern.

Staunende Kinder erleben die kulturelle Vielfalt

Im Laufe der Vegetationsperiode von April bis Oktober wird im Garten die Vielfalt der heimischen Kulturpflanzen vom Keimen im Frühjahr bis zur Samenreife im Herbst gezeigt. Dabei wird den Besuchern die samentragende Vielfalt von bekannten und raren Gemüsearten nähergebracht. Kinder sehen hier oft zum ersten Mal, dass Karotten auch blühen können. Hier riechen, sehen und ertasten sie, was kulturelle Vielfalt tatsächlich heisst. Der Samengarten wird auch regelmässig als «Grünes Klassenzimmer» von Lehrern und Schulklassen aller Altersstufen genutzt. Um die Inhalte anschaulich vermitteln zu können, werden im Garten jeweils Schwerpunkte gesetzt, wie zum Beispiel die Zuordnung von Gemüsepflanzen zu Pflanzenfamilien, die Entwicklung von der Wildpflanze zur Kulturpflanze oder die Vielfalt innerhalb einer Gemüseart anhand zahlreicher verschiedener Sorten – es werden unter anderem regelmässig vierzig bis fünfzig verschiedene Tomatensorten angebaut, und auch die Vielfalt von Paprika ist jedes Jahr zu sehen. In einem weiteren Themenschwerpunkt wird mit Hilfe von Ursprungszentren gezeigt, wo einige der Nahrungspflanzen herkommen.

Das Obstmuseum auf der Wiese

Angegliedert an den Garten befindet sich ein Obstmuseum. Auf einer grossen Wiese stehen noch junge Obsthochstammbäume und Beerensträucher von besonderen Sorten wie ‘Gellerts Butterbirne’ oder ‘Graue Herbstrenette’, die in der Landschaft am Kaiserstuhl früher weit verbreitet waren.

Parallel zur praktischen Umsetzung im Garten hat die Stiftung eine Akademie gegründet, um die Stiftungsziele auch fachlichtheoretisch zu bearbeiten. Zur Wissensvermittlung rund um das Thema der biologischen Vielfalt werden Kurse, Vorträge, Seminare und Führungen veranstaltet. Angesprochen werden hier nicht nur Fachleute wie Gärtner und Züchter, sondern auch interessierte Laien und Hobbygärtner.

Samengarten in Eichstetten am Kaiserstuhl

Informationen für Besucherinnen und Besucher

Der Samengarten ist täglich geöffnet, und Besucher sind jederzeit herzlich eingeladen, die Pflanzenwelt zu erkunden oder den Gärtnerinnen und Gärtnern über die Schulter zu schauen. Von Juni bis September werden an jedem zweiten Sonntag im Monat Führungen angeboten, auch Privat- oder Gruppenführungen sind möglich. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Schaugarten in Eichstetten zu einer touristischen Attraktion in der Region entwickelt. Er eignet sich auch gut als Ausgangspunkt für Wanderungen in den Kaiserstuhl. Zur Unterstützung des Samengartens existiert seit 2005 ein Förderverein, dessen Mitglieder durch ihren Beitrag die Anlage und Pflege des Gartens mit ermöglichen. Weitere Informationen: www.kaiserstuehler-garten.de

Schaugarten Landwirtschaftliches Zentrum Rheinhof in Salez

Im Schaugarten des Landwirtschaftlichen Zentrums Rheinhof in Salez, Kanton St. Gallen, wurden im Jahr 2013 die Gemüsesorten des Vereins zur Erhaltung alter Kultursorten in Liechtenstein, Hortus, angebaut. Hier befindet sich auch die Geschäftsstelle von Hortus.

Alte und moderne Ackerkulturen

Auf dem Rheinhof wird neben den modernen Sorten eine grosse Vielfalt alter Kulturpflanzensorten angebaut. Der Sortenschaugarten umfasst eine Fläche von 700 Quadratmetern und ist in vier Sektoren aufgeteilt. Es werden erhaltenswürdige Sorten von Ackerkulturen und Getreidearten wie Weizen, Gerste, Dinkel, Binkel, Roggen, Hafer, aber auch Hirse, Buchweizen, Ackerbohnen und Erbsen angebaut. Bei den Hauptgetreidearten werden die Zuchtfortschritte verglichen; heute seltene Getreidearten wie Emmer und Einkorn wachsen nebenan. Die Abstammung des Brotweizens wird ebenso gezeigt wie die neuesten Sorten für die landwirtschaftliche Produktion. Es wachsen auch neuere und ältere Kartoffelsorten sowie die Rheintaler Spezialität Ribelmais und einige Maissorten aus der Region der Linthebene, die hier getestet und in der Region zum Teil bereits wieder grossflächig angebaut werden.

Saatgutvermehrung alter Gemüsesorten

Jedes Jahr finden auch Saatgutvermehrungen von verschiedenen alten Gemüsearten und -sorten statt. Zudem wird der Garten ergänzt mit einer Vielzahl von Industrie- und Färberpflanzen, sowie einer Abteilung mit Heil-, Aroma- und Gewürzpflanzen, die der hier ebenfalls ansässigen Kräuterakademie zur Anschauung dienen.

Schaugarten Landwirtschaftliches Zentrum Rheinhof in Salez

Informationen für Besucherinnen und Besucher

Von Mai bis Oktober kann der Schaugarten tagsüber unter der Woche frei besichtigt werden. Jedes Jahr gibt es einen anderen Schwerpunkt zu entdecken. Führungen für Gruppen auf Voranmeldung; diesen steht die ganze Infrastruktur des Landwirtschaftlichen Zentrums Rheinhof mit Seminar- und Tagungsräumen zur Verfügung. Weitere Informationen: www.lzsg.ch, www.hortus.li

Gemüsesorten

Artischocke

Cynara cardunculus L., Scolymus-Grp. Asteraceae (Korbblütler)

Geschichte

Der wilde Kardy, von dem die heutigen Gartenformen der Artischocke und des Kardys abstammen, ist im östlichen Mittelmeergebiet heimisch. Vermutlich nutzte man ihn schon früh, und zwar sowohl den Blütenboden der Knospe, wie heute bei der Artischocke, als auch die Blattspreiten. Artischocken und Kardy sind heute noch so nah verwandt, dass sie miteinander einkreuzen können. In Aufzeichnungen aus der Antike wird zunächst der Kardy erwähnt. Von Theophrast (371 v. Chr.) stammt eine der ersten ausführlichen Beschreibungen. Es waren römische Gärtner, die die wilde Pflanze züchterisch weiter bearbeiteten und sie fortan «carduus» nannten. Vermutlich trennen sich hier die Wege von Kardy und Artischocke. Plinius der Ältere (ca. 23–79 n. Chr.) preist in seinen Aufzeichnungen die Wirkung der Artischocke und beschreibt sie als Luxusgemüse.

Man geht davon aus, dass die Artischocke in ihrer heutigen Form im 15. Jahrhundert von der Levante über Sizilien nach Italien kam. In Venedig wurde sie 1473 als seltene Gartenpflanze ausgestellt. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts breitete sich die Artischocke von Frankreich nach England aus, nach Deutschland gelangte sie erst im 17. Jahrhundert.

Der Artischocke wurde lange Zeit erotisierende Wirkung nachgesagt. Fuchs schrieb 1543, Artischocken «machen Lust und Begier zu ehelichen Werken». Junge Mädchen warnte man eindringlich vor den Folgen des Artischocken-Konsums. Schon früh wurde die Artischocke auch als Medizin verwendet. Tabernaemontanus (1522–1590) legte eine detaillierte Beschreibung der Pflanze vor, worin es unter anderem heisst: «Die Wurzel in Wein gesotten, und davon getrunken, soll den Gestanck der Achseln (und des ganzen Leibs) vertreiben (…). Ob gemeldeter Tranck treibet auch viel stinckendes Harn, wie die Spargen, dienet dershalben zu den verstopften Lebern und Nieren, zu der Gelbsucht und Wassersucht.» In Frankreich ist die Artischockenheilkunde (Cynaratherapie) entstanden. Ihre Hauptanwendungsgebiete sind: Arterienverkalkung, Cellulitis, Diabetes, Fettleibigkeit, Gicht, Gallen- und Leberstauungen.

Ursprungsregion der Artischocke.

Erntet man sie nicht, entstehen daraus die bei Bienen sehr beliebten grossen violetten Blüten.

Bedeutung heute

Die Artischocke ist heute vor allem im romanischen Kulturkreis beliebt. Sie wird hauptsächlich in den Ländern des Mittelmeerraumes, allen voran Italien und Spanien, angebaut.

Von den Artischocken werden die jungen Blütenknospen gegessen.

Sortenvielfalt

Es gibt grüne, grünviolette und violette Sorten, darüber hinaus weitere lokale, meist vegetativ vermehrte. Grüne Sorten sind meist besonders grossblütig mit schweren Blütenknospen und grossen Blütenböden. Violette Sorten haben Blütenknospen mit grüner Grundfarbe und mehr oder weniger violetten Stellen auf den äusseren Blättern. Sie weisen meist längere und dickere Blütenhüllblätter und kleinere Blütenböden auf.

Anbau

In Italien und Spanien werden Artischocken über das Winterhalbjahr kultiviert, so können sie nach der Blüte vollständig einziehen und die heiss-trockenen Sommermonate über ruhen. Erntereif sind die Knospen dann zwischen Februar und April.

Im mitteleuropäischen Klima ist die Artischocke nicht leicht anzubauen. Sie stellt hohe Ansprüche an Temperatur und Boden. Der Standort soll sonnig und windgeschützt sein. Artischocken lieben Feuchtigkeit, ertragen aber keine Staunässe. Als Tiefwurzler mögen sie einen tiefgründigen, lockeren und nährstoffreichen Boden. Sie bevorzugen Regionen mit einem langen, temperierten Frühling. Am richtigen Standort entwickelt sich eine ausdauernde, distelartige Pflanze, die bis zu zwei Meter hoch werden kann. Die Pflanze ist mehrjährig.

Im schweizerischen Mittelland überwintern Artischocken in milden Wintern auch schon mal draussen auf dem Beet, leicht geschützt durch einige Tannenäste. Im zweiten Jahr beginnen die Artischocken zu blühen und Samen zu bilden. Bei vielen alten Sorten können noch Samen geerntet werden, sie bleiben auch in der nachfolgenden Generation sortenecht.

Bei Arche Noah in Österreich, das kontinentaleres Klima als in der Schweiz und Deutschland vorzuweisen hat, hat es sich bewährt, die Wurzelstöcke Ende Oktober/Anfang November auszugraben und zurückzuschneiden. Die Pflanze überwintert dann im Topf im unbeheizten Folientunnel. Der Neuaustrieb geht so jedoch meist schon im Februar los; diese Neuaustriebe sind im Gegensatz zum Wurzelstock extrem frostempfindlich; wenn die Triebe erfrieren, geht immer auch der Stock zugrunde. Daher werden die Töpfe rechtzeitig zu Beginn des Neuaustriebs an einen frostsicheren Ort gebracht. Zu diesem Zeitpunkt kann man auch mit der vegetativen Vermehrung der Artischocke beginnen. Dazu muss man die 10 bis 15 Zentimeter langen Neuaustriebe mit einem scharfen, sauberen Messer aus dem Wurzelstock herausschneiden. Für eine rasche Bewurzelung empfiehlt es sich, beim Schnitt ein kleines Stück aus dem Wurzelstock mitzugeben. Die so entstandenen «Kindel» können wie Stecklinge zur Bewurzelung in Töpfe gesteckt werden. So erhält man bis zum Auspflanzen nach den Eisheiligen kräftige Jungpflanzen, die schon im ersten Jahr wieder Blütenknospen bilden.

Verwendung

Gegessen werden primär die verdickten Blütenböden, die Artischockenherzen. Dafür werden die Blütenknospen geerntet, bevor sich die Schuppen abzuspreizen beginnen. Auch das Fruchtfleisch der Blattbasen kann genossen werden.

Die Blütenknospen können entweder als Ganzes gekocht und erst beim Essen zerlegt werden oder aber man entfernt schon vor dem Kochen die ungeniessbaren Teile. Von violetten Sorten werden oft auch kleine junge Blütenknospen als Ganzes frittiert oder gekocht. Der «Cynar», ein Artischockenschnaps, ist im südlichen Europa als Aperitif beliebt.

Inhaltsstoffe

Artischocken und Kardy enthalten in hoher Konzentration Inulin, ein spezielles Kohlenhydrat. Daher sind Kardy und Artischocke für Diabetiker besonders geeignet. Sie sind ausserdem besonders reich an Kalium, Magnesium und Kalzium und weisen eine bedeutende Konzentration an Folsäure (Vitamin B9) auf, die sich allerdings beim Kochen teilweise verliert.

Heilwirkung

Die Heilkraft der Artischocke liegt vor allem in den grossen Grundblättern. Deren Inhaltsstoffe sind Caffeoylchinasäure und Flavonoide. Als wichtigster Wirkstoff galt lange Zeit das Cynarin. Moderne Analysen haben jedoch nachgewiesen, dass Cynarin in der frischen Pflanze nur in Spuren vorkommt – es ist wohl vielmehr ein Zusammenspiel verschiedener in der Artischocke enthaltener Stoffe, die für die Heilwirkung verantwortlich ist. Bei Blähungen, Völlegefühl, Brechreiz, Übelkeit oder krampfartigen Schmerzen im Oberbauch können Artischockenextrakte hilfreich sein.

Grüne von Laon

Syn. Grosse von Laon

Wo heute noch samenfeste Artischockensorten angebaut werden, ist die ‘Grüne von Laon’ eine der beliebtesten. Das Städtchen Laon liegt in Nordfrankreich und wurde schon 1809 in agronomischen Lehrschriften als grosses Artischocken-Anbaugebiet gepriesen. Die ‘Grüne von Laon’ war Mitte des 19. Jahrhunderts die am häufigsten verkaufte und beliebteste Artischocke in Paris. In der Schweiz erschien sie 1878 erstmals im Sortenkatalog von François Wyss, in Frankreich führte sie Vilmorin ab 1886 im Sortiment.

Merkmale Grosse runde Blütenknospen mit bleichen grünen Blütenhüllblättern und breitem, dickem und fleischigem Blütenboden. Die Pflanzen wachsen oft mehr in die Breite als in die Höhe. Mittelspät reifend.

Anbau Lässt sich gut sortenrein und stabil über Samen vermehren. Ergiebig im Ertrag und ziemlich frosthart.

Erhältlich über ProSpecieRara Schweiz

Violette von Chioggia

Diese Sorte zeigt eine gewisse Variabilität durch leichte Unterschiede in der Form und Farbe der Blütenhüllblätter. Sie hat ihren Ursprung in Norditalien. Chioggia ist ein an der Adria, südlich von Venedig gelegenes Gemüseanbaugebiet, in dem verschiedenste Sorten gezüchtet wurden, unter anderem die aussergewöhnliche weissrot gestreifte Chioggia-Rande. Unter dem Namen ‘Violetto di Sant Erasmo’ wird auf der gleichnamigen Insel in der Lagune von Venedig eine ähnliche Artischocke auf stark salzhaltigen Böden angebaut. Sie ist in der Region eine beliebte Delikatesse.

Merkmale Kleine hochrunde Blütenknospen mit spitzen, violetten Blütenhüllblättern und kleineren Blütenböden. Junge Blütenknospen sind fleischig, zart und geschmackvoll.

Anbau Diese Sorte wird üblicherweise über Samen, kann aber auch vegetativ vermehrt werden. Bei der Selektion der Samenträger nur Samen von violetten Köpfen ernten!

Verwendung Für die Küche unbedingt nur ganz junge Köpfe ernten. Diese können als Ganzes gekocht, frittiert oder gebraten werden.

Erhältlich über ProSpecieRara Schweiz

Violette von Plainpalais

Syn. Violet de Plainpalais

Violette Artischocken wurden vor allem in Südfrankreich und Italien angebaut. Sie sind frühreifer als die grünen Sorten. In den Gemüsegärten von Plainpalais bei Genf wurde ein violetter Sortentyp weiter verbessert. Daraus entstand Ende des 19. Jahrhunderts die Sorte ‘Violet de Plainpalais’. In bürgerlichen Kreisen wurde sie damals hoch geschätzt. Sie galt als gut an die dortigen Anbauverhältnisse angepasst und qualitativ besser als die ‘Grüne von Laon’.

Merkmale Trägt mittelgrosse Blütenknospen mit violett überlaufenen Blütenhüllblättern, am oberen Ende rundlich mit doppelten Zipfeln endend. Hat eher kleine Blütenböden. Die Pflanzen haben im Vergleich zu grünen Artischockensorten einen kleineren Wuchs.

Anbau Diese Sorte wurde schon immer ausschliesslich über Wurzelableger vermehrt, da sie nicht samenfest ist. Auch ist sie nicht sehr winterhart, deshalb im Freiland gut vor Kälte schützen. Geeignet für den Hausgarten.

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Aubergine

Eierfrucht, Melanzane

Solanum melongena L.Solanaceae (Nachtschattengewächse)

Geschichte

Bereits 1200 v. Chr. wird in Sanskrit ein niedriges, distelartiges Gewächs mit roten oder dunkelgelben Beeren und violetten Blüten beschrieben: das Solanum indicum. Es ist die Wildform der heutigen Aubergine. Südindische Bauern und andere Ureinwohner des Subkontinents begannen bereits zu dieser Zeit mit der Zucht und Kultivierung dieses Gemüses. Die Wildform hat auch heute noch eine grosse Bedeutung in der indischen Heilkunde.

Die Araber lernten Pflanze und Frucht im 7. Jahrhundert kennen. Vermutlich gelangte die Aubergine im 13. Jahrhundert mit arabischen Händlern via Spanien nach Europa.

In Italien allgemein bekannt wurde sie jedoch erst im Laufe des 16. Jahrhunderts. Fuchs schreibt in seinem Kräuterbuch 1543: «Melanzan, Mala insana [ungesunde Äpfel], Poma amoris: Melanzan ist ein fremdes Gewächs (…) Will denselben Wert haben wie die Kürbisse und Melonen (…) Doch esset man die Äpfel an manchen Orten mit Öl und Salz und Pfeffer wie die Pfifferling (…) Doch solche Speise lieben allein die Schleckmäuler, die nicht hoch achten, wie gesund ein Ding sei, wenn es nur wohl schmeckt. Die andern so der Gesundheit wollen pflegen, sollen sich vor dieser Frucht hüten, dann sie ungesund und hertdewig ist.» In der Art wurde immer wieder vor dem Verzehr gewarnt: Diese Frucht sei wenig nahrhaft und gesundheitsschädigend.

Ursprungsregion der Ausgangsform der Aubergine, Solanum indicum.

Eine der ersten frühen Zuchtformen, die weisse, eiförmige Aubergine, erhielt den Namen «Eierfrucht». Bis heute kennt man die Aubergine im englischen Sprachgebiet unter dem Namen «eggplant».

Eine nahe verwandte Auberginenart ist im tropischen Afrika und in Brasilien verbreitet. Sie wird «Äthiopische Eierfrucht», Solanum aethiopicum, oder «Afrikanische Aubergine» genannt. Ihre heutigen Sorten wurden aus der Wildform Solanum anguivi Lam. gezüchtet.

Bedeutung heute

Neben China, Japan und der Türkei sind heute auch Italien und Spanien wichtige Produktionsgebiete. In der südländischen Küche ist die Aubergine ein fester Bestandteil geworden. Ohne dieses Gemüse gäbe es in Griechenland kein Moussaka oder in Frankreich kein Ratatouille. In Indien ist sie bis heute ein wichtiger Bestandteil in der regionalen Küche geblieben. Die Äthiopische Aubergine wird vor allem in Afrika und Brasilien verwendet. Europäern ist die Äthiopische Aubergine nahezu unbekannt und wird lediglich von einigen Liebhabern als alte Gemüsesorte geschätzt.

Sortenvielfalt

Die Familie der Nachtschattengewächse, zu der die Aubergine gehört, ist eine der grössten Pflanzengattungen. Richard Olmstead und Lynn Bohus haben im Jahr 2007 2716 anerkannte Sorten registriert. Zu dieser Gruppe gehören neben der Kartoffel und der Tomate auch die Tollkirsche oder Datura.

Mit vielen Farb- und Formvarianten – tiefviolett bis fast schwarz oder gestreift, klein, gross, länglich, kugelförmig oder zylindrisch – bringt die Aubergine viel Abwechslung für das Auge. Die Varietät mit den kleineren weissen, glänzenden Früchten hat weniger Fruchtfleisch und viele Samen. Ursprüngliche Formen sind an den Fruchtstielen und Kelchblättern oft stachelig, eine Eigenschaft, die den neuen Sorten weggezüchtet wurde. Die Bitterkeit ist ein weiteres Merkmal der Wildform. Heute werden im Grossmarkt vor allem die dunkelvioletten, länglichen, keulenförmigen Früchte angeboten. Doch wer einen Garten sein Eigen nennt, kann unter einer grossen Auswahl verschiedenster Sorten wählen.

Auberginen gibt es in zahlreichen Farben, Formen und Grössen.

Die Aubergine ‘Rotonda bianca sfumata di rosa’ bildet grosse dunkelviolette Blüten.

Anbau