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Beschreibung

Als ehemaliger Sitz des Kurfürsten und Erzbischofs, der zugleich das Amt des Reichserzkanzlers innehatte, zählt Das Mainzer Schloss zu den bedeutenden Residenzen des Heiligen Römischen Reiches. Hervorgegangen aus der spätmittelalterlichen Martinsburg, spiegelt die Anlage mit ihren Bauteilen aus Renaissance und Barock eine lange Baugeschichte und wechselvolle Schicksale wider. Die auf einem wissenschaftlichen Kolloquium von 2016 fußenden Beiträge des Buches behandeln das Schloss in einem umfassenden Rahmen und leisten einen wesentlichen Baustein zur Aufarbeitung seiner bau- und kunsthistorischen Grundlagen sowie zur Sichtbarmachung der funktionalen wie symbolisch-zeichenhaften Kontexte. Dabei werden auch erstmals zusammenhängend die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Innenräume sowie das städtebauliche Umfeld mit dem Schlossgarten und den Nebengebäuden beleuchtet, die zu den elementaren Bestandteilen der kurfürstlichen Hofhaltung gehörten. Eine Darstellung und Bewertung erfahren zudem die Leistungen und Verluste im 19. und 20. Jahrhundert, in denen das Mainzer Residenzschloss unter Napoleon, dem Deutschen Bund und schließlich der Mainzer Bürgerschaft vielfältige Nutzungsänderungen erlebte. Beim Erscheinen des Buches steht das Schloss erneut vor einem bedeutenden Transformationsprozess, für den die Beiträge dieses Bandes eine fachliche Grundlage aus kunst- und kulturhistorischer Perspektive bilden sollen.

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Seitenzahl: 469

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DAS MAINZER SCHLOSS

Glanz und Elend einer kurfürstlichen Residenz

Herausgegeben von Georg Peter Karn und Matthias Müller

im Auftrag der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesdenkmalpflege und des Instituts für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

MICHAEL IMHOF VERLAG

Umschlag vorn: Mainz, Kurfürstliches Schloss, Ansicht von Südwesten, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

Umschlag hinten, S. 15: Franz von Kesselstatt, Kurfürstliches Schloss und Martinsburg vom Rheinufer aus, nach 1806, GDKE, LMM, Inv. Nr. GS 0/2084, Foto: Ursula Rudischer

Frontispiz: Kurfürstliches Schloss mit ehem. Stiftskirche St. Peter, Lithografie von Ch. J. Hullmandel nach Samuel Prout, 1833, GDKE, LD, Foto: Helga Eckert

S. 6: Kurfürstliches Schloss, Hoffassade des Rheinflügels, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

S. 12: Kurfürstliches Schloss, nordöstlicher Kopfbau, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

S. 115: Christian Georg Schütz d. Ä., Ausblick aus der Martinsburg auf den Rhein, Ölgemälde, 1785, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Inv. Nr. 6434, Foto: Artothek

S. 191: Stephan Schmitt, Kurfürstliches Schloss mit den napoleonischen Warenmagazinen, Gouache, um 1900, GDKE, LMM, Inv. Nr. GS 1959/7, Foto: Ursula Rudischer

S. 279: Kurfürstliches Schloss, Fenster auf der Hofseite des Rheinflügels, Foto: Georg Peter Karn, GDKE, LD

© 2021

Michael Imhof Verlag GmbH & Co. KG

Stettiner Straße 25 | D-36100 Petersberg

Tel.: 0661/2919166-0 | Fax: 0661/2919166-9

www.imhof-verlag.de | [email protected]

Bearbeitung: Georg Peter Karn, Karola Sperber

Reproduktion und Gestaltung: Patricia Koch, Michael Imhof Verlag

Lektorat: Dorothée Baganz, Michael Imhof Verlag

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

ISBN: 978-3-7319-1178-4

INHALT

Zum GeleitHeike Otto

VorwortThomas Metz

GrußwortMichael Ebling

EinführungGeorg Peter Karn und Matthias Müller

DAS RESIDENZSCHLOSS

Vom Zufluchtsort des Erzbischofs und des Domkapitels zur kurfürstlichen Residenz. Das Mainzer Schloss und seine BaugeschichteLorenz Frank

Schlossarchitektur als Spiegel höfischer Konkurrenz. Die barocken Erweiterungsbauten des Mainzer Schlosses und das fürstliche Baugeschehen im frühneuzeitlichen ReichMatthias Müller

Eine wohnung … gleichwie es einem grossen herren zukommet.Das Kurfürstliche Schloss und seine InnenräumeGeorg Peter Karn

Die „erneuerte“ Porträtgalerie am Kurfürstlichen Schloss in Mainz. Wandel vom feudalen Herrschersitz zur bürgerlichen Kulturinstitution als städtische Schatzkammer von Wissen, Bildung, Erforschung und VermittlungLuzie Bratner

DER RESIDENZBEZIRK UND DIE STADT

Mit Weinstöcken recht lieblich bepflanzt.Der Mainzer Schlossgarten vom 16. bis zum 18. JahrhundertGeorg Peter Karn

Großartige Freiraumfolgen.Zur stadträumlichen und sozialen Funktion von Gartenanlagen für die höfische Gesellschaft und ihr bürgerliches Umfeld in der Frühen NeuzeitStefan Schweizer

Von der Residenz in der Stadt zur Residenzstadt. Das Mainzer Schloss und sein städtebauliches Umfeld im 17. und 18. JahrhundertChristian Katschmanowski

Schlossbau und räumlicher Kontext. Zur Wechselbeziehung von Architektur, Gartenkunst und Städtebau in der frühneuzeitlichen Residenzstadt MainzSascha Winter

ENDE UND WANDEL DER RESIDENZ

Schlossgarten, Schlossplatz und Ernst-Ludwig-Platz. Metamorphosen zwischen 1774 und 1900Hartmut Fischer

Mainzer Schlossplatzplanungen im städtebaulichen Umfeld des 20. JahrhundertsRainer Metzendorf

Tafeln

Literaturverzeichnis zum Mainzer Schloss

Autorenverzeichnis

Bildnachweis

ZUM GELEIT

Als neue Generaldirektorin für das kulturelle Erbe in Rheinland-Pfalz ist es mir ein Anliegen, dem vorliegenden Band einige Worte zum Geleit mitzugeben.

Glanz und Elend prägten gleichermaßen die Geschichte des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz. Als Residenz eines der führenden Reichsfürsten stand es seit dem späten Mittelalter im Mittelpunkt eines bedeutenden Hofes, der zahlreiche Künstler und Gelehrte auch jenseits der Landesgrenzen anzog. Kriege und politische Ereignisse unterbrachen jedoch immer wieder den Ausbau der Anlage, die Französische Revolution, die Phase der Zweckentfremdung unter der napoleonischen Herrschaft und zuletzt die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg vernichteten vieles von dem, was Repräsentationswille und Kunstsinn der Kurfürsten, aber auch bürgerliches Engagement im 19. und frühen 20. Jahrhundert geschaffen hatten.

Diese Schicksale teilt das Mainzer Schloss mit weiteren Hofhaltungen im deutschen Südwesten, insbesondere links des Rheines. Von einer ehemals blühenden Residenzenlandschaft aus der Zeit des Römisch-Deutschen Reiches, in die sich drei Kurfürsten- und Erzbistümer, zwei Fürstbistümer, Herzog- und Fürstentümer sowie zahlreiche kleinere Territorien teilten, ist heute – im Unterschied zu anderen Regionen in Deutschland – nicht mehr viel geblieben. Weitgehend unversehrt haben nur wenige der großen Bauten die Zeit überstanden. Manche Schlösser – wie der barocke Bischofshof in Worms, die kurfürstliche Favorite in Mainz, die kurtrierische Philippsburg in Koblenz-Ehrenbreitstein, das Leininger-Schloss in Bad Dürkheim oder das pfalz-zweibrückische Schloss Karlsberg auf der Grenze zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz – sind gänzlich untergegangen. Andere konnten nach dem Zweiten Weltkrieg wenigstens in ihrer äußeren Hülle wiederaufgebaut werden, darunter die Schlossbauten von Trier, Koblenz und Zweibrücken sowie in Mainz. Historische Ausstattungen mit Mobiliar und Kunstgegenständen, die einst den Reichtum und das Prestige einer Residenz sichtbar vor Augen stellten, sind fast völlig verloren.

Will man die Bedeutung des Landstrichs am Rhein in seinen politisch-historischen, geistigen und künstlerischen Leistungen verstehen, so beanspruchen die verbliebenen Zeugnisse dieser Residenzkultur einen unverzichtbaren Erinnerungswert. In ihrer meist fragmentarischen Überlieferung bedürfen sie jedoch der Vermittlung und Veranschaulichung. Gesetzlicher Auftrag der Denkmalpflege ist nicht nur, zur Erhaltung der historischen Zeugnisse beizutragen, sondern diese auch zu erforschen und in ihren geschichtlichen Dimensionen als konstituierender Bestandteil unserer gebauten und gelebten Umwelt begreifbar zu machen. Als Denkmalfachbehörde arbeitet die GDKE mit ihren Fachbereichen und Fachdiensten in unterschiedlicher Weise an dieser Aufgabe mit. Durch Veranstaltungen und Fachtagungen, wie das Kolloquium zum Mainzer Schloss im Jahre 2016, werden die Erkenntnisse und Fragestellungen weiterentwickelt und zugleich in die Öffentlichkeit getragen.

Der konkrete Bezug zum Kulturdenkmal steht für die Denkmalpflege dabei stets im Mittelpunkt. Dies gilt auch für die anstehende Sanierung des Mainzer Schlosses. Hier stellt sich die Aufgabe, angesichts der kriegsbedingten Substanzverluste die historischen Bezüge im Inneren sowie im Umfeld in die Planung mit ihren technischen sowie funktionalen Erfordernissen zu integrieren und in geeigneter Form anschaulich werden zu lassen. Die Bandbreite der Möglichkeiten dabei ist groß und reicht von der reinen Konservierung und Präsentation materiell überlieferter Spuren über die vorbildgerechte Wiederherstellung oder eine sinngemäße Ergänzung in modernen Formen bis zur virtuellen Vergegenwärtigung baugeschichtlicher Prozesse oder verlorener Zustände mit Hilfe digitaler Techniken. Voraussetzung für jede verantwortliche Entscheidung ist immer die umfängliche Kenntnis der Bau- und Ausstattungsgeschichte und deren Auswertung im Sinne der historischen Aussage und des daraus abgeleiteten Narrativs.

Das vorliegende Buch mit den Kolloquiums-Beiträgen, das die Bedeutung der Mainzer Residenz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, bietet eine Basis für die fachliche und öffentliche Diskussion über den weiteren Umgang mit dem Kurfürstlichen Schloss und seinem Umfeld. Gleichzeitig ist der reich bebilderte Band auch eine Fundgrube für alle Mainzer, denen ihr Schloss am Herzen liegt.

Dr. Heike Otto

Generaldirektorin Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

VORWORT

Die Denkmäler der Kunst und der Geschichte in seine Obhut und Pflege zu nehmen und gleichzeitig allen Menschen die Teilhabe an diesen Kulturgütern zu ermöglichen, ist eine Verpflichtung, die das Land Rheinland-Pfalz bereits in seiner Verfassung von 1947 eingegangen ist. Diese Verpflichtung ist Grundlage der Arbeit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, kurz GDKE genannt, und sie gilt auch für die Arbeit der GDKE als Denkmalfachbehörde. Teilhabe am kulturellen Erbe war 2016 auch Anlass für das Kolloquium „Das Mainzer Schloss – Glanz und Elend einer kurfürstlichen Residenz“.

Das Kurfürstliche Schloss in Mainz ist ein solches Kulturgut unseres Lebens, und blickt man auf seine Geschichte als Sitz des Kurfürsten und Erzbischofs von Mainz, der zugleich Reichserzkanzler war, zählt es zu den bedeutenden Residenzen des Heiligen Römischen Reiches. Hervorgegangen aus der spätgotischen Martinsburg, spiegelt die Anlage mit ihren Bauteilen aus Renaissance und Barock eine lange Baugeschichte und wechselvolle Schicksale wider.

Bereits im 19. Jahrhundert begeisterten sich Bürgerinnen und Bürger für das Schloss und engagierten sich für seine Pflege und seinen Erhalt. Ein hochbedeutendes Baudenkmal, das in der Geschichte von Mainz als der Zeuge einer großen Vergangenheit, in der Reihe deutscher Palast-Bauten als eine der edelsten Perlen zu schätzen sei, ein Bau, der durch seine nunmehrige Bestimmung in hervorragender Weise der Pflege nationaler Kunst-, Kultur- und Geschichts-Wissenschaft dient, nannte der Kunsthistoriker und Prälat Friedrich Schneider das Residenzgebäude in seiner 1897 veröffentlichten Denkschrift zur Herstellung des ehemaligen Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz und bezeichnete seine Restaurierung in der That als nationale Aufgabe. Das Schloss erhielt seine Sanierung und mit der Aufnahme von kulturellen Einrichtungen eine angemessene Nutzung. Der Zweite Weltkrieg brachte seine Zerstörung und in der Folge kam es zu seinem Wiederaufbau und zu einer Neugestaltung seines Umfeldes.

Der aktuelle Zustand des Gebäudes erfordert wieder eine umfassende Sanierung und mit dem Auszug des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM) besteht auch die Notwendigkeit einer neuen Nutzung. Der Ausbau der ehemaligen Residenz und ihres Umfeldes gehört zu den aktuell anspruchsvollsten Aufgaben der Stadt Mainz.

Diese Aufgabe steht im Interesse der Öffentlichkeit und erfährt vielfache Anteilnahme aus der Bevölkerung, sei es durch engagierte – auch finanzielle – Unterstützung bei der Sanierung der Schlossfassaden oder durch einen breiten, öffentlich ausgetragenen Diskurs über die zukünftige Nutzung und Gestaltung des Schlosses und seines Umfeldes. Diese Anteilnahme, dieser Diskurs ist auch eine Form von Teilhabe am Mainzer Schloss in seiner Bedeutung als Kulturgut.

Mit der Ausstellung der GDKE „Mainz – ein Blick, viele Aussichten“ im Jahre 2016 im Landesmuseum Mainz sollte den Mainzer Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, einen Blick auf ihr kulturelles Erbe zu werfen, an diesem teilzuhaben.

Das Mainzer Schloss war auch eines der Themen dieser Ausstellung und in ihrem Rahmen fand am 14. April 2016 das Kolloquium statt, mit dem im Vorfeld der anstehenden Sanierung ein Beitrag zur Aufarbeitung der bau- und kunsthistorischen Grundlagen sowie zur entwicklungsgeschichtlichen Einordnung der kurfürstlichen Residenz geleistet werden sollte. Ziel des Kolloquiums war nicht Meinung zu bilden, sondern die Grundlage für einen Meinungsbildungsprozess zu schaffen. Veranstalter waren neben der Generaldirektion Kulturelles Erbe mit ihrer Direktion Landesdenkmalpflege das Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität, der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz mit seinem Regionalverband Rhein-Main-Nahe(ehemals Mainz), der Mainzer Altertumsverein sowie der Werkbund Rheinland-Pfalz. Die Vorträge fassten nicht nur den gegenwärtigen Wissensstand zum Schloss zusammen, sondern präsentierten auch zahlreiche neue Einsichten und Forschungsergebnisse. Erstmals wurden die 1942 zerstörte Innenausstattung sowie das städtebauliche Umfeld mit dem Schlossgarten und den Nebengebäuden, die zu den elementaren Bestandteilen der kurfürstlichen Hofhaltung gehörten, zusammenhängend beleuchtet. Vorgestellt und bewertet wurden auch die Leistungen sowie die Verluste der bürgerlichen Zeit im 19. und 20. Jahrhundert. Die nun in gedruckter Form vorgelegten Beiträge schließen damit eine seit langem bestehende Lücke.

Das vorliegende Buch soll nicht nur Fachkreise ansprechen, sondern dazu beitragen, dem Schloss seinen Platz im öffentlichen Bewusstsein wiederzugeben und die Mainzer Bürgerinnen und Bürger in die Diskussionen um seine Zukunft einzubeziehen. Für sein Zustandekommen gilt der Dank allen am Kolloquium beteiligten Institutionen, aus deren Kreis ein Teil der Referenten kam, insbesondere aber dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität mit Prof. Dr. Matthias Müller, das auch als Mitherausgeber beteiligt ist. Gedankt sei den Vortragenden für die Bereitstellung ihrer Beiträge und die Geduld bis zum Erscheinen des Buches. Die redaktionelle Bearbeitung übernahmen Dr. Georg Peter Karn und Karola Sperber M. A. vom Fachbereich Weiterbildung und Vermittlung der Landesdenkmalpflege. Unter den Einrichtungen, die Abbildungsvorlagen zur Verfügung stellten, sind vor allem das Stadtarchiv, das Römisch-Germanische Zentralmuseum und das Dom- und Diözesanarchiv Mainz hervorzuheben. Zahlreiche weitere Abbildungen stammen aus den Fotosammlungen der zur GDKE gehörenden Direktionen Landesdenkmalpflege und Landesmuseum Mainz. Ein besonderer Dank gebührt Herrn Stefan Schmitz für die großzügige finanzielle Unterstützung der Drucklegung des Buches. In gewohnt kompetenter und zuverlässiger Weise übernahm der Michael Imhof Verlag in Petersberg die verlegerische Betreuung.

Thomas Metz

Generaldirektor Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (2007–2020)

GRUSSWORT

Wer über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz kommt, dem fällt es gleich ins Auge: das markante, sandsteinrote Kurfürstliche Schloss, das an der Rheinfront eine Länge von 75 Metern einnimmt. Es ist, als wolle die Stadt ihren Besucherinnen und Besuchern den Glanzpunkt ihrer Geschichte – ihre Blütezeit als kurfürstliche Residenz – unmittelbar vor Augen führen.

Lange Zeit allerdings hielt der vermeintliche äußere Glanz des Schlosses der näheren Betrachtung nicht stand, denn allzu deutlich hatte die Zeit ihre Spuren im Mauerwerk hinterlassen. Es brauchte enorme Anstrengungen, die „gute Stubb“ von Mainz wieder zu dem zu machen, was sie immer war: eines der schönsten baulichen Zeugnisse von Mainz – und eines der geschichtsträchtigsten noch dazu!

Das Kurfürstliche Schloss steht geradezu beispielhaft für Wohl und Wehe, Glanz und Elend, Blüte und Niedergang von Mainz. Es hat Kaiser, Könige und Kurfürsten beherbergt. Es hat Mozart spielen und Revolutionäre proklamieren gehört. Und wo heute die Mainzer Narren live vor den Fernsehkameras schunkeln, wartete der „Schinderhannes“ einst auf sein Urteil.

Das Schloss steht aber nicht nur für die wechselvolle Mainzer Geschichte, es steht auch für Bürgersinn und Bürgerverantwortung. Spätestens seit den Verheerungen durch den Zweiten Weltkrieg hat der Schutz der Kulturdenkmäler für unsere Stadt eine ganz besondere Bedeutung: Wenn wir über die Qualitäten unserer Stadt sprechen – über das, was Mainz so einzigartig und unverwechselbar macht – dann sprechen wir immer auch über den inneren Kern unserer Stadt, über unsere Identität. Zu dieser Identität gehören auch und gerade die gebauten Zeugnisse unserer Geschichte, schließlich haben sie zu allen Zeiten das Lebens- und Heimatgefühl in Mainz entscheidend mitgeprägt.

Viele Mainzer Bürgerinnen und Bürger haben das klar erkannt und sich dem Erhalt der Mainzer Kulturdenkmäler regelrecht verschrieben. Ein besonderes Beispiel für diesen ausgeprägten Bürgersinn ist das Mainzer Denkmal-Netzwerk, das im Jahr 2004 gegründet wurde und sich seither mit bewundernswerter Spendenbereitschaft für die Instandsetzung und Sicherung des Kurfürstlichen Schlosses eingesetzt hat – und vieler weiterer Baudenkmäler in Mainz noch obendrein!

Mit jeder sanierten Fensterachse rückte das Schloss aber nicht nur optisch mehr und mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Mit seiner enormen historischen Bedeutung rückte es auch wieder inhaltlich in den Fokus von Forschung und Wissenschaft. Bestes Beispiel für dieses große Interesse ist nicht zuletzt dieser Tagungsband, der die vielen Facetten des Kurfürstlichen Schlosses und seines Umfelds eingehend beleuchtet.

Ich danke allen Autorinnen und Autoren, die mit ihrer Expertise dazu beigetragen haben, das Kurfürstliche Schloss zu Mainz wieder dahin zu stellen, wohin es gehört: in das Zentrum unserer Aufmerksamkeit, in den Fokus der Wissenschaft und nicht zuletzt in das Herz der Mainzerinnen und Mainzer. Ihre Unterstützung werden wir brauchen, wenn wir in den kommenden Jahren die weitere Sanierung und den Umbau des Schlosses anpacken werden.

Michael Ebling

Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz

EINFÜHRUNG

Im Reigen der fürstlichen Residenzen des Römisch-Deutschen Reiches gehört das Kurfürstliche Schloss in Mainz zu den wenig bekannten und selten beachteten Bauten. Zum einen mag dies zusammenhängen mit seinem im Vergleich zu den ausgedehnten, im 17. und 18. Jahrhundert neukonzipierten Anlagen – wie etwa in Gotha, Berlin, Mannheim, Ludwigsburg oder Würzburg – irregulären und weniger monumentalen Erscheinungsbild. Bereits Georg Dehio charakterisierte das Schloss 1911 in seinem Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler in nach den Maßstäben der Zeit kritischer Würdigung seiner unbestrittenen Qualität als „kein Bau von großem Wurf, aber von einer feinen und vornehmen Kultur, wie sie in der deutschen Renaissance nicht wieder zu finden ist.“ Zum anderen tragen dazu die vielen Verletzungen und Verluste bei, die dem einst aus mehreren Bauten bestehenden Ensemble – wie so vielen Residenzen links des Rheines – durch Kriege und Revolutionen zugefügt wurden. Zu dessen prägenden, seit Anfang des 19. Jahrhunderts verschwundenen Bestandteilen zählten vor allem die mittelalterliche Martinsburg als Keimzelle und Eckpfeiler der Gesamtanlage sowie die Hofkanzlei und nicht zuletzt die Stifts- und Schlosskirche St. Gangolph aus dem 16. Jahrhundert, die sich mit der spätbarocken Deutschordenskommende und dem Neuen Zeughaus zu einer reich gegliederten Rheinfront zusammenschlossen. Nicht vergessen werden darf auch der im Bereich des heutigen Ernst-Ludwig-Platzes gelegene, bereits im späteren 18. Jahrhundert aufgegebene Schlossgarten. Schließlich lässt das Innere des Schlosses heute kaum mehr den repräsentativen Charakter erahnen, der sich in aufwendig ausgestatteten Raumfolgen manifestierte und im Sinne der zeremoniellen Abläufe für das Verständnis eines Fürstensitzes unabdingbar war. Anders als bei den Residenzen, deren Fortbestand auch unter den veränderten Vorzeichen der politischen Neuordnung infolge des Wiener Kongresses im 19. Jahrhundert gesichert war, brach in Mainz mit der Französischen Revolution und dem Untergang des Kurstaates auch die Nutzungskontinuität ab. Setzten der Verlust und die Verlagerung der mobilen Einrichtung bereits mit der Flucht des letzten Kurfürsten nach Aschaffenburg ein, so litten die Innenräume mit ihrer wandfesten Ausstattung in der französischen Zeit unter der Zweckentfremdung zum Lagerhaus, der auch das barocke Haupttreppenhaus zum Opfer fiel. Die beiden bedeutenden Hauptsäle und die verbliebenen Stuckdecken des 18. Jahrhunderts, die bei der großen Instandsetzung des Schlosses ab 1903 restauriert worden waren, wurden im Zweiten Weltkrieg bereits während des ersten Bombenangriffs auf Mainz 1942 zerstört. Der bald darauf einsetzende Wiederaufbau durch die Stadt Mainz – seit 1827 Eigentümerin des Schlosses – erfolgte zweckgerichtet und in gewissermaßen bürgerlicher Bescheidenheit.

In den letzten Jahren ist das Kurfürstliche Schloss in unterschiedlicher Hinsicht wieder zunehmend in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Eine Dissertation, 1988 durch Ursula Zahler an der Universität Saarbrücken vorgelegt, fasste auf dem damaligen Stand der Forschung die Baugeschichte zusammen und trug somit zu einer ersten kunsthistorischen Einordnung der Architektur bei. Mit einer Reihe von historischen und kunsthistorischen Einzelthemen zum Schloss sowie den hier tätigen Künstlern hat sich der Mainzer Altertumsverein in Veranstaltungen und Aufsätzen in der Mainzer Zeitschrift auseinandergesetzt, u. a. mit der Martinsburg; hier sind v. a. die Beiträge von Ralph Melville, Franz Stephan Pelgen und Ulrich Hellmann zu nennen. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Luzie Bratner, Georg Peter Karn und Ralph Melville, beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Schloss und erarbeitete eine vom Verein 2016 im Vorfeld der anstehenden Sanierung vorgelegte, 2017 in der Mainzer Zeitschrift veröffentlichte Denkschrift; diese sieht sich in der Nachfolge der 1897 von Prälat Friedrich Schneider verfassten Denkschrift, die den Ausgangspunkt der damaligen großen Wiederherstellung bildete. In verschiedenen Arbeiten, die aus dem Forschungsprojekt „Residenzstädte im Alten Reich (1300–1800)“ der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen an seiner von Prof. Dr. Matthias Müller geleiteten Dienststelle am Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Universität Mainz hervorgegangen sind, wird auch die Residenz der Mainzer Kurfürsten in die Betrachtung einbezogen. In diesem Zusammenhang entstand die grundlegende Dissertation von Christian Katschmanowski zur barocken Stadtplanung von Mainz, in deren Analyse auch dem Kurfürstenschloss und seiner Umgebung eine zentrale Bedeutung zukommt. Schließlich hat sich die Landesdenkmalpflege in ihren Jahrbüchern immer wieder mit einzelnen Aspekten zum Schloss und seiner Restaurierung beschäftigt, abgesehen von der fachlichen Begleitung aller laufenden Maßnahmen. Zahlreiche Beobachtungen zur Baugeschichte sind dabei dem Bauforscher Lorenz Frank zu verdanken, der im Auftrag der Stadt Mainz kontinuierlich anlassbezogene Untersuchungen der historischen Bausubstanz durchführt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang aber auch das praktische Engagement des Mainzer Denkmal-Netzwerks, mit dessen Hilfe die dringend notwendige Instandsetzung der Fassaden mit ihren aufwendigen Steinmetzarbeiten entscheidend vorangebracht werden konnte.

Mit dem geplanten Auszug des Römisch-Germanischen Zentralmuseums endet 2021 eine mehr als 150 Jahre währende Phase des Schlosses als Sammlungs- und Ausstellungsort für das Mainzer Bürgertum, aus dem viele der Kultureinrichtungen und Museen der Stadt hervorgingen. Die daraus resultierende Neuausrichtung der Nutzung ebenso wie die erforderliche bauliche Instandsetzung und Anpassung fordern zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Kurfürstlichen Schloss und zu einer Neubewertung seiner Stellung innerhalb der deutschen Residenzenlandschaft heraus. Denn diese stellen eine wesentliche Voraussetzung für die angemessene Berücksichtigung der historischen Substanz des Schlosses, aber auch seiner von der historischen Bedeutung ausgehenden auratischen Wirkung bei der bevorstehenden Ausbauplanung dar. Hier geht es vor allem darum, die Residenz des ranghöchsten Fürsten im Reich einerseits in ihrer weit über Mainz hinausreichenden politischen, symbolischen und zeremoniellen Funktion und andererseits als profanes Gegenstück bzw. Ergänzung zum Dom als Machtzentrum des Erzbistums wieder verstärkt ins allgemeine Bewusstsein zu rücken und in geeigneter Form erlebbar zu machen.

Zu diesem Zweck fand am 14. April 2016 ein wissenschaftliches Kolloquium im Landesmuseum Mainz statt, das von der Direktion Landesdenkmalpflege der GDKE, dem Institut für Kunstgeschichte und Musikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie dem Mainzer Altertumsverein, dem Regionalverband Rhein-Main-Nahe (vormals Mainz) des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz sowie dem Werkbund Rheinland-Pfalz veranstaltet wurde. In drei Sektionen beschäftigte sich die Tagung mit dem Baudenkmal und seiner Genese seit dem Mittelalter, dem Residenzviertel mit seinen funktionalen Interdependenzen und stadträumlichen Bezügen sowie mit der städtebaulichen Entwicklung des Standorts in der bürgerlichen Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts, der bis heute durch die Nachbarschaft des rheinland-pfälzischen Parlaments und der Landesregierung herausragende Bedeutung als Regierungsviertel beansprucht. Die von Fachleuten aus verschiedenen Institutionen und Disziplinen vorgetragenen Referate fassten nicht nur die bisherigen Kenntnisse zusammen, sondern trugen zugleich viele neue Aspekte zur historischen und kunsthistorischen Einordnung des Schlosses bei. In erweiterter und überarbeiteter Fassung sowie um einen zusätzlichen Beitrag ergänzt, werden sie im vorliegenden Band nun der Öffentlichkeit präsentiert. Dank der vielfältigen Aspekte und wissenschaftlichen Expertise der Beiträge darf dieser Band als das derzeitige, aktuelle Standardwerk zum Mainzer Kurfürstenschloss gelten.

Im ersten, dem Schloss als Baudenkmal gewidmeten Abschnitt stellt der Bauforscher Lorenz Frank die Ergebnisse der bereits vor Jahren von ihm begonnenen und aktuell weitergeführten bauhistorischen Untersuchungen vor, die neben der Abwicklung der verschiedenen, ineinander verwobenen Bauphasen insbesondere die Ursprünge in der Martinsburg und den ersten, selbständig konzipierten Bauabschnitt des Neubaus unter Georg Friedrich von Greiffenclau aufschlüsseln. Matthias Müller stellt das Schloss in den überregionalen Kontext des Residenzenbaus im Alten Reich und beleuchtet die Bedeutung des Residenzschlosses als Symbol fürstlicher Autorität, die vor allem in der Bindung der Neubauteile des 17. und 18. Jahrhunderts an die mittelalterliche Martinsburg als Verkörperung des institutionelldynastischen Gedächtnisses und als architektonisches Sinnbild der altbegründeten Landesherrschaft ihren Ausdruck findet. Georg Peter Karn verfolgt anhand von schriftlichen und bildlichen Quellen systematisch die Entwicklung der Raumfolgen mit der wechselnden Lage der kurfürstlichen Repräsentations- und Wohnräume während der einzelnen Ausbaustufen und geht dabei Neuerungen und traditionellen Bindungen nach; erstmals lassen sich umfänglich die in Fotografien überlieferten Stuckdecken verorten. Mit den Porträtbüsten, die im Rahmen der Restaurierung des Schlosses zwischen 1903 und 1922 über den Fenstern angebracht wurden und in der Tradition der laureati einen bürgerlichen Wertekanon widerspiegeln, behandelt der Beitrag von Luzie Bratner ein bemerkenswertes Beispiel kommunaler Selbstdarstellung nach der Inbesitznahme der Residenz durch die Stadt.

Im zweiten Abschnitt, der sich mit dem Umfeld des Schlosses und dessen Verhältnis zur Stadt beschäftigt, beschreibt Georg Peter Karn den heute fast vergessenen Schlossgarten in seinen verschiedenen Zuständen vom 16. Jahrhundert bis zur letzten Neugestaltung vermutlich unter Kurfürst Lothar Franz von Schönborn, die auf die enge Begrenztheit der Fläche mit originellen Lösungsansätzen reagierte. Stefan Schweizer verfolgt in seiner über Mainz hinausweisenden allgemein gehaltenen Überschau unter dem Schlagwort einer „urbanistischen Gartenkunst“ die mit dem Wandel fürstlicher Repräsentationsformen einhergehende Ausstrahlung gärtnerischer Konzepte auf die Stadtplanung des 18. Jahrhunderts und untersucht Motive sowie Formen der Einbeziehung einer ständeübergreifenden Öffentlichkeit in die herrschaftlichen Gärten. Der städtebauliche Transformationsprozess des Mainzer Schlossumfeldes, der von der ursprünglich gegenüber der Stadt isolierten Martinsburg zur zunehmenden funktionalen Differenzierung und zur Integration der Residenz in den urbanistischen Kontext übergeht, sowie deren Aufwertung durch den repräsentativen Ausbau der Rheinfront stehen im Mittelpunkt des Beitrags von Christian Katschmanowski. Seine Überlegungen werden ergänzt durch Sascha Winters Untersuchung der komplexen baulich-visuellen Wechselwirkungen zwischen Architektur, Garten, Stadt und Landschaft, die sich in komponierten Sicht- und Wegeachsen manifestieren und von der anfangs ausschließlichen Orientierung der Martinsburg auf den Rhein zur Formung eines zusammenhängenden Stadtraums mit dem Schloss als Referenzpunkt führen.

Thema der dritten Sektion ist die Entwicklung des Schlosses und seines Umfeldes nach dem Untergang des Kurstaates und dem Verlust der Residenzfunktion. Die wechselvollen Schicksale des Schlossgartenareals, das nach seiner Planierung im späten 18. Jahrhundert als öffentlicher Platz sowie für militärische Zwecke genutzt wurde, schildert Hartmut Fischer in seinem Beitrag. Infolge der gründerzeitlichen Stadterweiterung rückte das ehem. Residenzviertel aus seiner bisherigen Randlage in die Mitte der Stadt und erfuhr dabei seine Wiederentdeckung. Der Wettbewerb zur Neubebauung des Schlossbereichs am Anfang des 20. Jahrhunderts, die städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit und schließlich die Planungen für den Ausbau des rheinland-pfälzischen Regierungsviertels nach dem Zweiten Weltkrieg werden von Rainer Metzendorf dargestellt.

Nach der im vorliegenden Band dokumentierten Tagung fand 2019 auf Initiative der Landesdenkmalpflege ein weiteres Kolloquium zum Umfeld des Schlosses statt, das insbesondere auch eine Bewertung der heute prägenden städtebaulichen und gestalterischen Überformung des Areals in der Nachkriegszeit vornahm und Anregungen für den zukünftigen Umgang mit dem Bestand sammelte. Im unmittelbaren Vorfeld der anstehenden Sanierungs- und Umbauarbeiten hat die Stadt darüber hinaus vor kurzem einen Runden Tisch aus beteiligten Gruppen und Initiativen einberufen sowie einen interdisziplinär besetzten Expertenkreis, der die Planungen beratend begleiten soll. Neben der Berücksichtigung der kurfürstlichen Tradition und Funktion ist auch eine intensivere Beschäftigung mit der bürgerlichen Nutzung des Residenzschlosses seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vorgesehen.

In dieser Hinsicht versteht sich der vorliegende Band nicht als abschließendes Resümee, sondern auch als Anregung für die weitere Erforschung der Kurmainzer Residenz und ihrer Geschichte. Darüber hinaus wäre zu wünschen, dass die Ergebnisse des Kolloquiums auch in die aktuellen Planungen der Stadt Eingang finden werden – in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für ein herausragendes Kulturdenkmal, das als Zeugnis für einen der bedeutendsten fürstlichen Regierungs- und Verwaltungssitze des Alten Reichs weit über Mainz hinaus historischen Wert besitzt.

Georg Peter Karn | Matthias Müller

VOM ZUFLUCHTSORT DES ERZBISCHOFS UND DES DOMKAPITELS ZUR KURFÜRSTLICHEN RESIDENZ

Das Mainzer Schloss und seine Baugeschichte

Lorenz Frank

Das Mainzer Schloss präsentiert sich heute als fast freistehende Zweiflügelanlage, die weitgehend isoliert in der Stadt steht und keine Beziehung zu ihrer Bebauung zu nehmen scheint. Dass seine annähernd 650-jährige Entstehungs- und Veränderungsgeschichte jedoch ganz eng mit der Entwicklung der Stadt Mainz erfolgte, möchte der folgende Text erläutern.1

DER BAUPLATZ

Nach dem Ende der Zweiten Mainzer Stiftsfehde im Oktober 1463, durch die die Mainzer Bürger fast alle Freiheitsrechte verloren hatten, sollte der sogenannte Grinsturm am nördlichen Ende des rheinseitigen Abschnitts der Mainzer Stadtmauer als Zufluchtsort für den Mainzer Erzbischof Adolf II. von Nassau (1461–1475) und das Domkapitel in den sich anschließenden Auseinandersetzungen mit den Mainzer Bürgern dienen.2 Sein unterlegener Konkurrent und späterer Nachfolger Diether von Isenburg (1459–1462 und 1475–1482) erwarb Grundstücke um den Turm herum, um dort nach dem Aufstand der Mainzer Bürger im August 1476 eine Burg3 zu errichten. Dies erfolgte in den Jahren 1478 bis 1480.

Vom rheinseitigen Abschnitt der Mainzer Stadtmauer aus römischer Zeit haben sich oberirdisch keine Reste erhalten. Von der romanischen Stadtmauer ist außer dem Erdgeschoss des Eisenturms nichts Erkennbares übriggeblieben. Erst die gotische Stadtmauer ist in Resten noch an mehreren Stellen im Stadtbild erkennbar. Insbesondere der vermutlich im Jahr 1355 (d) erbaute Holzturm4, der bis auf sein steiles Walmdach erhalten ist, lässt die Gestalt der gotischen Stadtmauer nachvollziehen. Der sechsstöckige Torturm wird über dem Erdgeschoss und auf halber Höhe jeweils von einem Gesims gegliedert sowie auf seinen vier Kanten durch kleine Türmchen mit Gliederungen aus Backstein akzentuiert. Auch der leider nicht genauer datierte obere Teil des Eisenturms, der die gleichen Fensterformen wie der Holzturm zeigt, weist jeweils ein Gesims über seinem romanischen Erdgeschoss und auf halber Höhe auf. In beiden Türmen sind die Obergeschosse durch eine in die Ecke geschobene Spindeltreppe miteinander verbunden.

Der nördliche Turm der Martinsburg wurde ebenfalls, soweit uns dies von historischen Abbildungen bekannt ist, von zwei Gesimsen gegliedert, die in ihren Höhen von den Gliederungselementen der restlichen Burg abwichen. Die älteste Abbildung von Gottfried Mascop aus dem Jahr 1575 (Abb. 1; vgl. Taf. 19)5 dürfte als seinen oberen Abschluss ein steiles Walmdach zeigen. Auf den jüngeren Abbildungen ist dies nicht erkennbar, jedoch sitzen auf den vier Kanten Türmchen, deren Gliederung sehr den Backsteingliederungen am Holzturm ähnelt. Und von den ältesten Grundrissplänen der Burg wissen wir, dass seine Obergeschosse über eine Spindeltreppe miteinander verbunden waren. Es liegt daher die Annahme nahe, dass der Zufluchtsort Grinsturm beim Bau der Burg erhalten blieb und in die Burg integriert wurde.

Südlich des besprochenen Turms knickt der Rheinflügel der Burg leicht nach Westen vom Rhein weg, was zunächst verwundert. Aufgrund der historischen Stadtpläne von Mainz wird jedoch deutlich, dass der rheinseitige Abschnitt der Stadtmauer an seinem nördlichen Ende zum Rhein hin abknickt. Es ist daher anzunehmen, dass der Rheinflügel der Burg dem Verlauf der gotischen Stadtmauer folgte oder sie sogar einbezog.

DIE SPÄTMITTELALTERLICHE MARTINSBURG

An den vermutlich integrierten Grinsturm am nördlichen Ende des rheinseitigen Abschnitts der Stadtmauer ließ der Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg in den Jahren 1478 bis 1480 die spätmittelalterliche Martinsburg anfügen, die offensichtlich den rheinseitigen Stadtmauerverlauf berücksichtigte. Die Burg wurde bei einem verheerenden Brand in der Nacht vom 2. zum 3. März 1481 zerstört und in der Folgezeit wiederhergestellt.

Abb. 1: Mainz, Martinsburg, Ansicht von Osten, Stadtplan von Gottfried Mascop 1575 (Ausschnitt)

Nach einer erneuten Zerstörung der Anlage durch den Markgrafen von Brandenburg-Kulmbach während des Aufstandes der deutschen Reichsfürsten gegen Kaiser Karl V. im Jahr 1552 ließ der Mainzer Erzbischof Brendel von Homburg (1555–1582) die Burg wiederaufbauen. Da über die Martinsburg ausschließlich historische Abbildungen Auskunft geben (Abb. 2), lassen sich keine Aussagen treffen, was noch spätmittelalterlicher Bestand war und was im 16. Jahrhundert verändert wurde. Lediglich ein Zwillingsfenster der Burg, das sich im Erdgeschoss des Rheinflügels im Schloss erhalten hat, zeigt die Wappen des Mainzer Erzbischofs Brendel von Homburg und des Domkapitels.

Abb. 2: Martinsburg, Ansicht von Norden, Zeichnung von Wenzel Hollar vor 1631

Die Martinsburg bestand aus einem annähernd L-förmigen Hauptbau mit einem nördlichen Burghof und einer westlichen Vorburg. Burghof und Vorburg waren von Wirtschaftsbauten, Mauern und Türmen umgeben. Der dicht am Rheinufer errichtete Hauptbau besaß an beiden Enden und an der Knickstelle Turmbekrönungen, die sich möglicherweise an den Formen des Grinsturms aus dem 14. Jahrhundert orientierten. Er bezog seine Verteidigungsfähigkeit vor allem aus einem hohen Sockelgeschoss auf der Rheinseite. Die Mauern von Burghof und Vorburg hingegen waren zusätzlich durch einen wasserführenden Graben gesichert, der von einem Bach gespeist wurde. Nur an einer Stelle führte eine Brücke über den Burggraben zu einem großen Platz, der die Burganlage von der Stadt trennte. In ihrer Konzeption entsprach die Martinsburg einer spätmittelalterlichen, auf Verteidigung angelegten Niederungsburg, die sich sowohl nach außen als auch zur Stadt hin sichern ließ.6

In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sind bereits Tendenzen zu einer Residenzbildung erkennbar. Unmittelbar nach dem Wiederaufbau der Burganlage wurde im Jahr 1555 mit der Errichtung eines Kanzleigebäudes südlich von ihr begonnen. An dessen Südseite wurde in den Jahren 1570 bis 1581 die Schlosskirche St. Gangolph angefügt.7 Einen Abschluss fanden diese Baumaßnahmen durch die Errichtung eines Zeughauses mit einer Münzprägestelle im Jahr 1603. Wenngleich diese Bauten bereits den Charakter einer Mainzer Residenz verstärkten, so befanden sie sich dennoch außerhalb des Burggeländes. Von einer zusammenhängenden Anlage kann folglich noch keine Rede sein.8

Wichtige Informationen für das Verständnis der späteren Veränderungen an der Martinsburg bietet eine Zeichnung Wenzel Hollars von 1627, welche die Hofansicht der Burg zeigt (Abb. 3). Deutlich erkennbar sind die Westseite des Hauptgebäudes mit den Erdgeschossfenstern, von denen eines bis heute erhalten blieb, und die sich südlich anschließende Mauer der Vorburg. Im Hintergrund erscheinen ein Torbau zum Burghof und mehrere Wirtschaftsgebäude nördlich davon schemenhaft.

DAS NEUZEITLICHE SCHLOSS

Eine erste Veränderung ihres spätmittelalterlichen Erscheinungsbilds erfuhr die Martinsburg durch das Anfügen eines weitgehend freistehenden Schlossgebäudes an die Südwestkante der Burg. Dieses wurde ab 1628 vom Mainzer Erzbischof Georg Friedrich von Greiffenclau zu Vollrads (1626–1629) begonnen und bis 1631 unter dem Mainzer Erzbischof Anselm Casimir Wambolt von Umstadt (1629–1647) weitgehend fertiggestellt, jedoch nicht unter Dach gebracht. Den Baubeginn hält eine Inschrift mit der Jahreszahl 1628 am rheinseitigen Fundament im Bereich des ursprünglichen Grabens fest (Taf. 13). Das Datum der Vollendung dieser Arbeiten kennzeichnen Inschriften mit der Jahreszahl 1631 auf Brüstungsfeldern der Kantenerker an seinem südlichen Ende (Taf. 18).

Das neue Schlossgebäude war mit seinen drei Geschossen und acht Fensterachsen von Anfang an als Solitär geplant und sollte die vornehmen Repräsentationsräume für den Erzbischof aufnehmen (Abb. 4). Neben den beiden Erkern an seinen Südost- und Südwestkanten dürfte er aufgrund der Baubefunde einen entsprechenden Erker an seiner Nordwestkante aufgewiesen haben, während er mit seiner Nordostkante an die Martinsburg ansetzte.9

Abb. 3: Martinsburg, Ansicht von Westen, Zeichnung von Wenzel Hollar, 1627/1628

Abb. 4: Martinsburg mit neuem Schlossgebäude, Rekonstruktionsversuch der Grundrisse von Erd- und 1. Obergeschoss nach 1631

Für seine Errichtung wurde der Mauerzug der Vorburg, der sich südlich an den Hauptbau anschloss, niedergelegt. Der Hauptbau selbst wurde kaum verändert, vermutlich wurden lediglich Durchgänge zwischen beiden Bauteilen hergestellt (Abb. 5).10 Das neue Schlossgebäude ersetzte den Mauerzug der Vorburg, ragte jedoch leicht in den vorhandenen Burggraben hinein. Die südliche Mauer der Vorburg wurde bis an den Neubau herangeführt und damit die Ummauerung der Vorburg geschlossen. Der wasserführende Graben wurde nun auch auf der Rheinseite des neuen Schlossgebäudes verlängert (Abb. 6; vgl. Taf. 21)11.

Abb. 5: Schlossgebäude, Ansicht von Westen, Visualisierung des Zustands nach 1631

Abb. 6: Martinsburg mit neuem Schlossgebäude, Vogelschauansicht von Mainz von Matthäus Merian, 1637 (Ausschnitt)

Folglich blieb die Burganlage trotz der Errichtung des neuen Schlossgebäudes in ihrer Verteidigungsfähigkeit vollkommen unverändert. Die Vorburg behielt weiterhin ihre geschlossene Ummauerung samt dem wasserführenden Graben. Der durch seine Fassadengestaltung sicherlich schwieriger zu sichernde Neubau erhielt sowohl durch sein hohes Sockelgeschoss als auch durch die Erweiterung des Wassergrabens auf der Rheinseite eine Sicherung, sodass die Verteidigungsfähigkeit der Vorburg insgesamt erhalten blieb.12

Zeitgleich sollte durch einen geplanten, aber erst später ausgeführten Verbindungsgang zwischen dem neuen Schlossgebäude und dem Kanzleigebäude der funktionale Zusammenhang der einzelnen Residenzbauten verstärkt werden. Dieser Verbindungsgang hätte den Burggraben auf mehreren Pfeilern ruhend überbrückt. Vermutlich wurde er jedoch nicht fertiggestellt, da ein Kupferstich aus dem Jahr 1669 lediglich einige Pfeiler zeigt (Taf. 20).13 Der Mainzer Erzbischof Damian Hartard von der Leyen (1675–1678) ließ das Schlossgebäude in den Jahren 1675 bis 1678 vollenden und abweichend vom ursprünglichen Konzept um acht weitere Fensterachsen in derselben Flucht nach Norden erweitern, wobei hofseitig die ursprüngliche Fassadengliederung weitergeführt, die feldseitige Mauer aber zurückversetzt ausgeführt wurde (Abb. 7). Von diesem Erweiterungsbau haben sich die acht Fensterachsen auf der Hofseite des Rheinflügels erhalten. Auch die hofseitigen Marmorportale des so entstandenen Rheinflügels gehören zu dieser Bauphase (Taf. 15).

Abb. 7: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Rekonstruktionsversuch der Grundrisse von Erd- und 1. Obergeschoss nach 1678

Abb. 8: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Grundriss des Erdgeschosses, um 1680 (Ausschnitt)

Abb. 9: Martinsburg mit erweitertem Schlossgebäude, Grundriss des Obergeschosses, um 1680 (Ausschnitt)

Die Erweiterung verband nun das Schlossgebäude mit älteren Wirtschaftsbauten am nördlichen Rand der Vorburg, die bisher durch einen Torbau mit dem Hauptbau der Martinsburg verbunden waren (Abb. 3). Da hierdurch der Zugang zum eigentlichen Burghof versperrt wurde, musste eine Durchfahrt im Erdgeschoss des Erweiterungsbaus vorgesehen werden. Im Zusammenhang mit der Erweiterung des Schlossgebäudes wurde auch das turmbekrönte westliche Ende des Hauptgebäudes der Burg niedergelegt, um an dieser Stelle größere Räume und ein Treppenhaus anzulegen. Dies zeigt deutlich ein Kupferstich der Martinsburg mit dem erweiterten Schlossgebäude.14 Diesen Bauzustand geben ebenfalls zwei Grundrisspläne (Abb. 8, 9; vgl. Taf. 23, 24)15 wieder, die bisher in die Zeit um 1700 datiert wurden. Dass sie tatsächlich etwa 20 Jahre älter sein dürften, werden die folgenden Überlegungen zeigen.

Die beiden Grundrisspläne dürfen nicht als Bau- oder Bestandspläne missverstanden werden, vielmehr handelt es sich um eine Beschreibung der einzelnen Raumfunktionen, was auch für die restlichen Bereiche der Burg gilt. Dennoch ist deutlich erkennbar, dass durch die Erweiterung des neuen Schlossgebäudes weder der Bereich der Ummauerung des Burghofs noch die Mauerzüge und Türme der Vorburg beseitigt wurden. Dies lässt Rückschlüsse auf die Verteidigungsfähigkeit der Anlage zu. Trotz des Abbruchs des turmbekrönten westlichen Endes des Hauptbaus, der natürlich dessen Struktur schwächte, behielten die eigentliche Burg weitgehend und die Vorburg vollkommen ihre bisherige Verteidigungsfähigkeit. Mehr noch als die Errichtung des neuen Schlossgebäudes um 1630, betraf dessen Erweiterung nach 1675 nur den inneren Bereich der Burganlage. Lediglich die Vollendung des Verbindungsgangs zum Kanzleigebäude und zur Schlosskirche geht darüber hinaus.

Dass die Erweiterung des Schlossgebäudes über den tatsächlich ausgeführten Bereich im Innern der Burganlage hinausgehen sollte, zeigt der Baubestand an der Ansatzstelle des heutigen Nordflügels an den Rheinflügel im Bereich des Hofs. Hier endet der Erweiterungsbau an seinem nördlichen Ende mit einer zweifachen Stufung: Die Werksteine beider Stufen gehören eindeutig zu seinem Mauerwerk, wie an ihren Lagerfugen erkennbar ist. Folglich war an dieser Stelle bereits ein Nordflügel vorbereitet, jedoch nicht ausgeführt worden.

Unter Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim (1679– 1695) wurde dann der Anbau eines zweiten Flügels rechtwinklig an das nördliche Ende des bereits errichteten Rheinflügels vorbereitet, aber nicht ausgeführt. Davon zeugen die erhaltenen Fundament- und Sockelreste unter dem heutigen Nordflügel des Schlosses, welche an der Nordwestkante die Jahreszahl 1687 tragen (Taf. 17). Das westliche Ende dieser Fundamente zeigt mit der Diagonalstellung des Sockels eine ähnliche Gestaltung wie das südliche Ende der Fundamente unter dem Renaissanceflügel. Sie dürften damit ähnliche Kantenerker wie die Südfassade vorbereiten haben. Interessanterweise sparen die angelegten Fundamente den Bereich der älteren Wirtschaftsbauten am nördlichen Ende des rheinseitigen Schlossflügels aus, sodass diese mit Sicherheit zum älteren Bestand der Martinsburg gehörten.

Zwei wichtige Beobachtungen ergeben sich aus einem Vergleich der Lage der 1687 angelegten Fundamente (Abb. 7) mit den älteren Lageplänen der Vorburg (Abb. 8; Taf. 23). Für den geplanten Nordflügel des Schlosses hätten nicht nur die älteren Wirtschaftsbauten und der Mauerzug am nördlichen Ende der Vorburg, sondern auch der nördliche Turm im stadtseitigen Bereich der Ummauerung der Vorburg abgebrochen werden müssen. Folglich dürften die gezeigten Pläne nicht um 1700 entstanden sein, da sie einen Zustand vor der Anlage der Fundamente des geplanten Nordflügels zeigen.16 Wichtiger noch ist die Beobachtung, dass mit der Anlage der Fundamente die Verteidigungsfähigkeit der Vorburg und damit der gesamten Anlage aufgegeben werden musste. Damit unterscheidet sich diese Maßnahme deutlich von der Erweiterung des Schlossgebäudes, welche die Sicherheit der Gesamtanlage nicht in Frage stellte. Mithin ist erst in den 80er Jahren des 17. Jahrhunderts die Verteidigungsfähigkeit der Burg für den geplanten repräsentativen Ausbau des Kurfürstlichen Schlosses aufgegeben worden.

DER BAROCKE AUSBAU DER RESIDENZ

Den Plan, einen zweiten nördlichen Schlossflügel zu errichten, griff erst Franz Anselm Freiherr von Ritter zu Groenesteyn um 1749 auf (Abb. 10; vgl. Taf. 28–31).17 Seine Planungen sahen vor, an den bestehenden Schlossflügel einen Nordflügel anzubauen, der sich in seiner Fassadengestaltung, insbesondere mit den Risaliten der Hofseite und den Kantenerkern, an die Formen des Rheinflügels anlehnen sollte. Darüber hinaus wurde geplant, die Martinsburg vollkommen niederzulegen und an ihrer Stelle um den Burghof herum drei weitere Flügel um einen geschlossenen Schlosshof anzubauen. Auch diese sollten sich in ihrer Gestaltung, insbesondere durch die Übernahme der Kantenerker, am älteren Schlossflügel orientieren. Auf der Nordseite, wo der Nordflügel und der nördliche Flügel des Burghofs aneinanderstoßen, wäre eine sehr lange Schaufassade entstanden, die lediglich durch einen Mittelrisalit gegliedert werden sollte (Taf. 27). Der Erdgeschossbereich dieses Mittelrisalits sollte eine dreiachsige Durchfahrt aufnehmen. Diese Pläne, die ein repräsentatives Schloss mit den Grundformen der spätmittelalterlichen Burg kombinieren sollten, wurden nicht realisiert. Der Abriss der Martinsburg und die Errichtung der drei Schlossflügel um den ehemaligen Burghof erfolgten ebenfalls nicht.

Der Mainzer Erzbischof Johann Friedrich Carl von Ostein (1743–1763) ließ von 1750 bis 1752 auf den älteren Fundamenten den Nordflügel des Schlosses errichten. Auf der Hofseite orientiert sich der Bau stilistisch an der Fassadengliederung des Renaissancebaus, während er ansonsten eine eigene, spätbarocke Gestaltung findet (Taf. 8, 10). Die Fertigstellung des Nordflügels kennzeichnen zwei Inschriften an den attikaartigen Aufsätzen der Stirnseiten, deren Chronostichon auf das Jahr 1752 verweist (Taf. 16). Der geplante Abriss der Martinsburg fand allerdings wiederum nicht statt, sodass auf der Rheinseite des Mainzer Schlosses immer noch die spätmittelalterliche Burg stand.

Zeitgleich mit der Errichtung des Nordflügels erfolgte der weitere Ausbau der Residenz (Taf. 46). Seit der Anlage einer Wasserleitung ab 1724, die mit der Aufstellung des Neubrunnens 1726 abschloss, entstand eine Residenzstadt im sogenannten Bleichenviertel. Unmittelbar an den Schlossbereich schlossen sich zunächst militärische Bauten wie der Marstall, dann adelige Höfe wie die Eltzer Höfe und zuletzt bürgerliche Wohnhäuser an. Südlich der Schlossanlage entstand in unmittelbarer Nähe zur Schlosskirche St. Gangolph in den Jahren 1749 bis 1756 der Neubau von St. Peter. Auch an der Rheinfront erfuhr die Residenz durch den Neubau der Deutschordenskommende südlich der Schlosskirche zwischen 1730 und 1740 sowie des Neuen Zeughauses südlich davon zwischen 1738 und 1740 eine bedeutende Erweiterung (s. S. 159, Abb. 12). Die barocke Deutschordenskommende, das sogenannte Deutschhaus, das aus einem Hauptgebäude (Corps de Logis), einer Kapelle und einem Verwalterhaus bestand, konnte erst durch einen Grundstückstausch zwischen dem Mainzer Erzbischof Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1729–1732), der zugleich Ordensmeister war, und dem Deutschen Orden erfolgen.18

DER VERLUST DER RESIDENZFUNKTION

Der bis ins frühe 19. Jahrhundert erhaltene Zusammenhang des Mainzer Schlosses mit den restlichen Residenzbauten und der Residenzstadt ging unter der napoleonischen Besatzung weitgehend verloren. So wurde 1807 zunächst die Kanzlei niedergelegt und im selben Jahr auf der Westseite der Zweiflügelanlage ein vermutlich vom französischen Architekten Eustache St.-Far entworfener, eingeschossiger Flügel als Zollmagazin errichtet, der den Schlosshof endgültig von der sich westlich anschließenden Residenzstadt abriegelte. 1809 erfolgte schließlich der endgültige Abbruch der Martinsburg und 1814 die Niederlegung der Schlosskirche St. Gangolph (Taf. 50, 51).

Abb. 10: Kurfürstliches Schloss, Grundrissplan des Obergeschosses für die Erweiterung der Schlossanlage, 1749

Die Verlängerung der Großen Bleiche bis zum Rhein in hessischer Zeit trennte das Schloss vom Deutschhaus und vom Neuen Zeughaus ab, sodass ihr ursprünglicher baulicher Zusammenhang endgültig verloren ging.

Die starken Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg sowie die Bautätigkeit in der Nachkriegszeit hatten zur Folge, dass das Mainzer Schloss heute nur noch eingeschränkt im Zusammenhang mit den erhaltenen Residenzbauten wie dem Deutschhaus und dem Neuen Zeughaus sowie mit der einstigen Residenzstadt und ihren erhaltenen Bauten wie dem Marstall wahrgenommen wird.

ANMERKUNGEN

1Die vorliegenden Beobachtungen basieren auf den Ergebnissen bauhistorischer Untersuchungen, die im Auftrag der Stadt Mainz und des Landesamts für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz vom Autor 1996 durchgeführt wurden. Vgl. Frank, Lorenz: Ergebnisse der bauhistorischen Untersuchungen am ehemaligen Kurfürstlichen Schloß in Mainz. In: Denkmalpflege in Rheinland-Pfalz. Jahresberichte, 47–51, 1992–1996, S. 66–86. Die Baugeschichte des ehemaligen Kurfürstlichen Schlosses war zuvor bereits mehrfach Gegenstand kunsthistorischer Betrachtungen. Vgl. Neeb, Ernst: Das Kurfürstliche Schloss zu Mainz. (Rheinische Kunstbücher, 1), Wiesbaden 1924; Wegner, Ewald (Bearb.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Rheinland-Pfalz. Bd. 2,2: Stadt Mainz. Altstadt, hg. im Auftrag des Kultusministeriums vom Landesamt für Denkmalpflege. Düsseldorf 1988, S. 164–169; Zahler, Ursula: Das Kurfürstliche Schloss zu Mainz. Studien zur Bau- und Stilgeschichte. (Saarbrücker Hochschulschriften, 8), St. Ingbert 1988 [zugl. Diss. Univ. Saarbrücken 1988], mit umfangreichem Verzeichnis der älteren Literatur. Bei der Beschreibung der einzelnen Bauphasen stützten sich die bisherigen Bearbeiter nicht nur auf die Interpretation der bekannten historischen Pläne, sondern vor allem auf die kurfürstlichen Wappen und Initialen, die sich in den Ornamenten der Brüstungsfelder unter den Fernstern des 1. und 2. Obergeschosses und in dem das Erdgeschoss abschließenden Metopen-Triglyphen-Fries befinden. Diese sind jedoch weitgehend im 19. Jahrhundert ausgetauscht oder neu eingesetzt worden. Diese Tatsache stellt zwar nicht die Trennung und Datierung der einzelnen Bauphasen in Frage, jedoch kann die Interpretation der Ornamente nur mit Vorsicht benutzt werden.

2 Vgl. Falck, Ludwig: Die erzbischöflichen Residenzen in Eltville und in Mainz. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 45, 1993, S. 61–81; Dobras, Wolfgang: Die kurfürstliche Stadt bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1462–1648). In: Dumont, Franz / Scherf, Ferdinand / Schütz, Friedrich (Bearb.): Mainz. Die Geschichte der Stadt, hg. im Auftrag der Stadt Mainz. Mainz 1998, S. 227–263.

3 Die Begriffe „Burg“ und „Schloss“ werden in diesem Text folgendermaßen benutzt: Burg meint einen in erster Linie auf Verteidigung angelegten Herrschaftssitz, Schloss eine vornehmlich zur Repräsentation dienende Anlage. Vgl. dazu Müller, Matthias: Von der Burg im Schloss! Das Mainzer Schloss und die Revision eines entwicklungsgeschichtlichen Denkmodells. In: Felten, Franz Josef (Hg.): Befestigungen und Burgen am Rhein. (Mainzer Vorträge, 15), Stuttgart 2011, S. 91–121. Die Unterscheidung ist notwendig, um die Entwicklung der Mainzer Anlage von der nach außen und der Stadt gegenüber zu verteidigenden Burg des späten 15. Jahrhunderts zum repräsentativen Schloss in der Mitte des 18. Jahrhunderts beschreiben zu können. Vgl. auch Schütte, Ulrich: Das Schloß als Wehranlage. Befestigte Schlösser der frühen Neuzeit. Darmstadt 1994.

4 Vgl. Frank, Lorenz / Mielke, Natalie: Mainz Holzturm. Bauhistorische Untersuchung 2015 (unveröffentlichtes Manuskript).

5 StA Mz, BPSP / 35 C.

6 Vgl. Biller, Thomas: Die Adelsburg in Deutschland. Entstehung, Form und Bedeutung. München 1993, S. 195– 207; Neeb 1924, S. 5; Schütte 1994 (wie Anm. 3), S. 106 f.; Zahler, Ursula: Die Martinsburg, der Vorgängerbau des Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz. In: Berens, Michael / Maas, Claudia / Ronig, Franz (Hgg.): Florilegium Artis: Beiträge zur Kunstwissenschaft und Denkmalpflege. Festschrift für Wolfgang Götz. Saarbrücken 1984, S. 173–175.

7 Vgl. Wegner 1988, S. 164.

8 Wenngleich die Errichtung der Schlosskirche durchaus als Element der Residenzbildung angesehen werden kann, erscheint es aufgrund der räumlichen Trennung der einzelnen Bauten nicht zulässig, wie Neeb (1924, S. 6) die Martinsburg als Residenz der Mainzer Erzbischöfe zu bezeichnen.

9 Der Abstand zwischen der nördlichsten Fensterachse des Schlossgebäudes und der südlichsten Fensterachse des Erweiterungsbaus ist deutlich breiter als zwischen den restlichen Fensterachsen. Der Abstand entspricht eher dem Abstand zwischen der südlichsten Fensterachse des Schlossgebäudes und seinem südwestlichen Kantenerker. Der Erweiterungsbau weist in seiner südlichsten Fensterachse im 1. Obergeschoss ein Brüstungsfeld auf, das stilistisch zum älteren Schlossgebäude gehört. Es dürfte ursprünglich in der Nordmauer des Schlossgebäudes versetzt gewesen sein.

10 Eine Ansicht der Stadt Mainz von Wenzel Hollar aus dem Jahr 1632 zeigt die Martinsburg von der anderen Rheinseite aus mit dem bereits angefügten Schlossgebäude, das jedoch kein Dach trägt. Auf der Zeichnung ist deutlich erkennbar, dass das Schlossgebäude einen reinen Anbau darstellt, der die Bausubstanz der Martinsburg nicht angreift. Die Zeichnung befindet sich in der Nationalgalerie Prag. Vgl. Roland, Berthold (Hg.):Wenzel Hollar 1607–1677. Reisebilder vom Rhein. Städte und Burgen am Mittelrhein in Zeichnungen und Radierungen. Ausst. Kat. Mainz 1986, S. 116 und Faltblatteinlage an der vorderen Umschlagseite.

11 Merian, Matthäus: Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis, Trevirensis et Coloniensis. O. O. 1646.

12 Diese Beobachtungen stehen im deutlichen Widerspruch zu den Aussagen von Schütte 1994 (wie Anm. 3), S. 108. Diesen Zustand zeigt auch ein Stadtgrundriss von Mainz aus dem Jahr 1676 (s. S. 173, Abb. 7). Interessant an diesem Plan ist, dass er in der Verlängerung des an die Burg anschließenden Schlossgebäudes in gestrichelter Linie auch eine geplante Erweiterung des Schlossgebäudes zeigt. Diese Erweiterung wäre deutlich länger als das bereits bestehende Schlossgebäude und damit auch als die tatsächlich ausgeführte Schlosserweiterung von 1675–1678 geworden. Dabei sollten erkennbar keine älteren Gebäude an seinem nördlichen Ende mitbenutzt werden.

13 Der Kupferstich ist erstmals wiedergegeben bei Neeb 1924, S. 8, Abb. 4.

14 Die Rheinseite von Martinsburg und Schloss nach der Verlängerung des Schlossgebäudes zeigt ein Kupferstich von Jeremias Wolff Erben um 1720/1730. Deutlich erkennbar ist, dass bei der Erweiterung des Schlossgebäudes in die Bausubstanz der Burg eingegriffen wurde. Zumindest in den obersten Geschossen wurden die westlichen Teile der Burg abgebrochen.

15 StA Mz, BPSP / 1817.1 D; StA Mz, BPSP / 1817.2 D. Die beiden undatierten Zeichnungen wurden von Neeb (1924, S. 12) zwischen etwa 1687 und 1705 datiert.

16 Gegen eine frühere Datierung der Zeichnungen spricht sich Georg Peter Karn in seinem Beitrag zu den Innenräumen in dieser Publikation aufgrund der Beschriftung mit den Raumbezeichnungen aus. Dieser Widerspruch kann bislang nicht aufgelöst werden. Möglicherweise basieren die Zeichnungen auf älteren Plänen oder aber ältere Pläne wurden nachträglich beschriftet.

17 StA Mz, BPSP / 1840.2 C. Zahler 1988, S. 92 f., vermutet aufgrund archivalischer Dokumente, dass die beiden undatierten Zeichnungen um 1749 entstanden sind.

18 Vgl. Frank, Lorenz: Die Geschichte des Deutschhauses in Mainz. In: Das Mainzer Deutschhaus und sein Erbauer. Neues zur Baugeschichte des Landtagsgebäudes. (Schriftenreihe des Landtags Rheinland-Pfalz, 65), Mainz 2016, S. 43–60.

SCHLOSSARCHITEKTUR ALS SPIEGEL HÖFISCHER KONKURRENZ

Die Barocken Erweiterungsbauten des Mainzer Schlosses und das fürstliche Baugeschehen im frühneuzeitlichen Reich

Matthias Müller

SCHLOSSARCHITEKTUR ALS „VISITENKARTE“ FRÜHNEUZEITLICHER TERRITORIALSTAATEN UND IHRER INSTITUTIONEN

Bundeskanzler Helmut Kohl hat das neue, maßgeblich durch ihn selbst initiierte und von 1997 bis 2001 errichtete neue Bundeskanzleramt in Berlin (Abb. 1) als ein Haus charakterisiert, „mit dem die Bundesrepublik identifiziert wird“1 und die Aufgabe der für den Entwurf verantwortlichen Architekten, Axel Schultes und Charlotte Frank, dahingehend beschrieben, dass die von ihnen gestaltete Architektur allen Betrachtern einen anschaulichen Begriff vom wiedervereinigten, weltoffenen und zugleich selbstbewussten Deutschland vermitteln solle. Überdies hatte das neue Bundeskanzleramt die Aufgabe zu erfüllen, mit Hilfe der Architektur nicht nur der „angemessenen protokollarischen Bewältigung“ zu dienen, sondern auch die „hervorgehobene Stellung“ des deutschen Bundeskanzlers zu „dokumentieren“, wie es der damalige Kanzleramtsminister Friedrich Bohl in einer Pressekonferenz formulierte.2

Der von Helmut Kohl ins Spiel gebrachte Gedanke, dass Architektur gewissermaßen als „Visitenkarte“ eines Staates und seiner Institutionen dienen könne, greift letztlich auf eine sehr alte, seit der Antike bestehende Tradition zurück, die der Florentiner Humanist und Architekt Leon Battista Alberti in der Mitte des 15. Jahrhunderts in seinem Architekturtraktat De Architectura bzw. L’Architettura reflektierte. In diesem Traktat erinnerte er seine Zeitgenossen und herrschaftlichen Auftraggeber daran, dass kein Medium besser geeignet sei, den Rang eines Fürsten zu demonstrieren, als die Baukunst. Sie sei letztlich beeindruckender, glaubwürdiger und nachhaltiger als jede historiografische, schriftlich fixierte Überlieferung. Unter Rückgriff auf antike Topoi und die Schriften Vitruvs sowie unter Bezug auf den griechischen Historiografen Thukydides lobt Alberti die Klugheit der Alten, die ihre Stadt mit jeder Art von Gebäuden derart ausschmückten, dass sie weit mächtiger schienen, als sie waren.3 Direkt anschließend spricht Alberti das Motiv des Fürstenruhms an und stellt die rhetorische Frage:Und welchen gab es unter den mächtigsten und weisesten Fürsten, der nicht unter die vornehmsten Mittel, seinen Namen und Nachruhm zu verbreiten, die Baukunst gezählt hätte?4

Abb. 1: Berlin, Bundeskanzleramt

Abb. 2: Wenzel Hollar, Martinsburg in Mainz im Jahr 1627 (kurz vor der ab 1628 erfolgten Errichtung des neuen Südflügels)

Diese Einschätzung, dass Baukunst Fürsten und ihren Staaten sprichwörtlich ein Gesicht geben und staatliche Autorität verbildlichen könne, zieht sich wie ein roter Faden durch die Frühe Neuzeit. Rund zweihundert Jahre nach Alberti, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, weist Jean-Baptiste Colbert, der für Ludwig XIV. als Finanzminister und Surintendant des Bâtiments du Roi tätig war, anlässlich der Louvre-Erweiterung ausdrücklich darauf hin, dass die Gestalt des königlichen Palastes die Menschen von der Stärke königlicher Macht überzeugen und zu untertänigem Gehorsam anhalten müsse.5 Nochmals einhundert Jahre später bringt der hessische Jurist und Diplomat Friedrich Carl von Moser die Sinnbildlichkeit von Schlossarchitektur als Ausweis fürstlich-königlicher Autorität auf eine prägnante Formel. So schreibt er in seinem Teutschen Hof-Recht von 1754: In der Residenz erscheinet der Fürst als Haupt seines Volcks und in dem Glanz der angebohrnen oder erlangten Würde.6

Abb. 3: Ansicht von Mainz mit alter Martinsburg und neuem Südflügel, 1633 (Ausschnitt aus: Matthäus Merian: Topographia Archiepiscopatuum Moguntinensis, Trevirensis et Coloniensis, 1646)

DAS MAINZER KURFÜRSTENSCHLOSS ALS VISITENKARTE VON ERZBISCHOF UND ERZSTIFT

Die Neubaukampagne von 1628 ff.

Als diese Auffassungen von der staatstheoretischen Sinnbildlichkeit eines fürstlichen oder königlichen Residenzschlosses formuliert wurden, befand sich das Residenzschloss der Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten gerade in einer großangelegten Umbauphase, die das Aussehen und die innere Raumorganisation des aus dem späten 15. und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überlieferten alten Residenzschlosses, der Martinsburg, deutlich verändern sollte. Dieser Umbau geschah ab 1628. Bis dahin blieb die ab 1477/1478 unter Kurfürst Diether von Isenburg neuerbaute und ab 1556 aufgrund von umfassenden, am 27. August 1552 im Markgräflerkrieg entstandenen Kriegsschäden7 unter Kurfürst Brendel von Homburg wiederaufgebaute Martinsburg in ihrer spätmittelalterlichen Gestalt (Abb. 2) äußerlich vollkommen unangetastet. Vor allem von der Rheinseite präsentierte sich das Mainzer Kurfürstenschloss als ein monumentaler Kubus, an dessen Ecken zinnenbekrönte Türme für das typische Bild spätmittelalterlicher Burgbzw. Schlossarchitektur sorgten.8 Aufgrund der L-förmigen Grundgestalt des Schlossbaus konnten Betrachter von der Rheinseite dabei durchaus den Eindruck erhalten, auf ein Schloss mit der vor allem im Mittelalter und der beginnenden Frühen Neuzeit prestigeträchtigen rechteckigen bzw. quadratischen Kastellform zu blicken (Abb. 3; vgl. Taf. 22)9. Dass zu dieser Form zwei Flügel fehlten, wurde durch die Anordnung der beiden übereck gestellten Flügel zur Rheinseite und die Ausbildung von zwei Turmaufsätzen auf der Westseite geschickt kaschiert. Zur Stadt hin war dem Kernbau eine Vorburg aus einzelnen Wirtschaftsgebäuden und zwei Rundtürmen vorgelagert. In dieser Form präsentierte sich der Bau bis 1628 äußerlich unverändert, wie auch Zeichnungen von Wenzel Hollar, darunter aus dem Jahr 1627/1628, belegen (vgl. Abb. 2).10 Wenn es bis dahin zu Neubauten kam, dann wurden diese – wie etwa das Kanzleigebäude von 1575 oder die ebenfalls ab 1575 erbaute Schlosskirche St. Gangolph – in den an das engere Burgareal angrenzenden Bereichen errichtet (vgl. auf Abb. 3 die Gebäude links von der alten Martinsburg und dem neuen Ostflügel sowie Taf. 26).11

Abb. 5: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht des Nordwestflügels (oberhalb des Sockelmauerwerks zwischen 1750 und 1752 errichtet) mit dem Sockelmauerwerk von 1687

Abb. 4: Mainz, erzbischöfliches Residenzschloss, Ansicht von der Rheinseite (heutiger Zustand nach Abriss der Martinsburg unter Napoleon 1809)

1628, mitten im Dreißigjährigen Krieg, entschloss sich Kurfürst Georg Friedrich von Greiffenclau zu einer großangelegten Neubaukampagne.12 Der Verlauf dieser Baukampagne sollte jedoch bereits drei Jahre später durch den Einmarsch des schwedischen Königs Gustav Adolf und seiner Truppen in Mainz abrupt unterbrochen werden. Dennoch gelang es den Bautrupps des Mainzer Erzbischofs bis dahin, an das südöstliche Ende der Martinsburg einen achtachsigen und drei Geschosse hoch aufragenden Neubau anzufügen, der bis an die Südmauer der Martinsburg heranreichte. Allerdings konnten bis 1631 zunächst nur die Außenmauern – vermutlich nur mit einem Notdach abgedeckt – fertiggestellt werden (vgl. hierzu Abb. 3, Taf. 22), während unter der schwedischen Besatzung die Baustelle ruhte. Doch auch danach, 1647, erfolgte kein Weiterbau, dieses Mal offensichtlich wegen zwischenzeitlich festgestellter Probleme mit dem durch den nahe gelegenen Rhein und Hochwasser durchfeuchteten Baugrund (weil man dn [sic] Boden nicht allzu gut befunden hat). So begründet jedenfalls Balthasar de Moncony in seinem Reisebericht vom 16./17. Januar 1664 die Ursache für den damals immer noch unfertig als Bauruine herumstehenden neuen Schlossflügel (Taf. 20).13 Beinahe wäre das unvollendete Bauwerk deswegen durch den damals amtierenden Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn wieder abgetragen worden, um seine sehr schön aus jenem roten Stein ausgeführt[en] Mauern anschließend im Bereich der Mainzer Zitadelle neu aufzubauen. So schildert es der Jesuit Daniel Papebroch 1660 in seinem Reisebericht.14

Ob dieser neue Flügel, dessen Architekt nach wie vor nicht identifiziert werden konnte,15 von vornherein nach Norden weitergeführt werden sollte oder – wie es Lorenz Frank rekonstruiert16 – zunächst als abgeschlossener, achsensymmetrischer Gebäudetrakt mit zur Stadtseite hin sichtbarem nördlichem und südlichem Eckerker sowie Walmdach konzipiert war, muss derzeit offen bleiben.17 In den Jahren zwischen 1675 und 1678 ließ dann Kurfürst Damian Hartard von der Leyen das im Dreißigjährigen Krieg begonnene Werk des Kurfürsten Georg Friedrich von Greiffenclau fortsetzen und den neuen Schlossflügel um weitere acht Achsen nach Norden (Abb. 4; vgl. Taf. 4) erweitern. Direkt anschließend war ein weiterer Flügel geplant, der an der Nordwestseite der Martinsburg ansetzen sollte. Dieser unter Kurfürst Anselm Franz von Ingelheim ab 1687 in den Fundamenten und im Sockelmauerwerk vorbereitete Nordwestflügel18 (Abb. 5; vgl. Taf. 10, 17) blieb aber für viele Jahrzehnte – u. a. auch als Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges – ebenfalls als Bauruine stehen und konnte erst zwischen 1750 und 1752 unter Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein im aufgehenden Mauerwerk errichtet und vollendet werden.19 Damit war die 1628 in Angriff genommene Modernisierung und Erweiterung des Mainzer Residenzschlosses – immer wieder durch schwere Kriege unterbrochen – nach immerhin 124 Jahren Bauzeit zumindest äußerlich im Gebäudebestand abgeschlossen. Dass in dieser Schlussphase des Schlossausbaus aber die alte Martinsburg schließlich doch noch für den Abriss freigegeben werden sollte, wie in der Literatur behauptet wird, ist sehr zweifelhaft und dürfte auf einer Fehlinterpretation einer Schriftquelle beruhen.20 Stattdessen ist über alle Ausbauphasen hinweg und ungeachtet der Bemühungen um eine bauliche Modernisierung und ein möglichst einheitliches Erscheinungsbild der frühneuzeitlichen Erweiterungsbauten die konsequente Bewahrung des spätmittelalterlichen Kernbaus des Mainzer Residenzschlosses zu beobachten. Die Ursachen für dieses auffällige Festhalten an der alten Martinsburg sind in der politischen und historiografischen Erinnerungsfunktion des geschichtsträchtigen Altbaus zu suchen, auf die weiter unten, im dritten Kapitel des vorliegenden Beitrags, nochmals zurückzukommen sein wird.

Abb. 6: Dresden, Schloss, Ansicht nach Antonius Weck, 1680

Abb. 7: Berlin, Residenzschloss, Innenhof, Zeichnung von J. Stridbeck, 1690

Die Neubaukampagne ab 1628 als Reaktion auf das fürstliche Baugeschehen im Reich?

Wie lässt sich der Entschluss zu dem ab 1628 vorgenommenen großangelegten Ausbau des alten Mainzer Residenzschlosses erklären? Wenn wir die eingangs zitierten Äußerungen der frühneuzeitlichen Historiker und Staatstheoretiker oder des französischen Staatsministers und königlichen Baudirektors Ludwigs XIV., Jean-Baptiste Colbert, ernst nehmen, demzufolge die Schlossarchitektur ein Sinnbild fürstlicher oder königlicher Autorität und Würde sei, dann liegt der Gedanke nahe, dass dieses Sinnbild im Falle des alten Mainzer Schlosses zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht mehr so recht funktionierte. Doch war das Mainzer Schloss mit der alles beherrschenden Martinsburg 1628, dem Zeitpunkt der Neubaukampagne, tatsächlich schon so veraltet, dass die Mainzer Kurfürsten und das Erzstift befürchten mussten, bei ihren für die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte notwendigen Repräsentationsbauten den Anschluss zu verlieren? Damit diese Frage geklärt werden kann, ist ein Blick auf die höfische Bausituation im deutschen Reich erforderlich, um in Erfahrung zu bringen, wie es um die Residenzschlösser der übrigen deutschen Fürsten und Fürstbischöfe oder des Königs und Kaisers bestellt war.