Das Meer am Morgen - Margaret Mazzantini - E-Book

Das Meer am Morgen E-Book

Margaret Mazzantini

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Beschreibung

Libyen, Sommer 2011: Jamila entgeht knapp Gaddafis Truppen. Mit ihrem kleinen Sohn Farid flieht sie quer durch die Wüste bis ans Meer. Ihre Ersparnisse überlässt sie einem Schlepper, der sie in ein überfülltes Boot verfrachtet. Jamila hofft auf eine Zukunft in Europa, doch schon bald mangelt es an Trinkwasser und Benzin. Schließlich hat sie nur noch einen Wunsch: länger durchzuhalten als ihr Sohn, um ihn nicht allein sterben zu lassen. Auf Sizilien geht der achtzehnjährige Vito am Strand spazieren und findet eine Kette, wie sie arabische Kinder tragen. Er denkt an seine Mutter Angelina, die in Libyen aufgewachsen ist. Als Gaddafi an die Macht kam, musste sie nach Italien fliehen, aber die Sehnsucht nach der früheren Heimat lässt ihr keine Ruhe: Sie reist nach Tripolis und macht sich auf die Suche nach Ali, ihrer ersten großen Liebe. Doch Ali ist inzwischen beim libyschen Geheimdienst. Bestürzt kehrt Angelina nach Italien zurück, wo sie den Ausbruch des Bürgerkriegs und die Bombardements der NATO am Bildschirm verfolgt. In eindringlichen Bildern erzählt Margaret Mazzantini von den individuellen Schicksalen, die sich hinter den aktuellen Ereignissen in der arabischen Welt verbergen.

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Seitenzahl: 117

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Margaret Mazzantini

DAS MEER AM MORGEN

Roman

Aus dem Italienischen von Karin Krieger

      eBook 2012 © 2012 DuMont Buchverlag, Köln Alle Rechte vorbehalten Umschlag: glanegger.com, München Umschlagabbildung: © Leander Hopf/plainpicture, © Emely/corbis und © Vasilchenko Nikita/Shutterstock

Für dich mit Dhaki

Farid und die Gazelle

Farid hat das Meer nie gesehen, ist nie hineingetaucht.

Er hat es sich oft vorgestellt. Sternenübersät wie der Mantel eines Paschas. Blau wie die blaue Mauer der toten Stadt.

Er hat die versteinerten Muscheln gesucht, die vor Jahrmillionen verschüttet wurden, als das Meer in die Wüste kam. Hat den Eidechsenfischen nachgespürt, die unterm Sand schwimmen. Er hat den Salzsee gesehen und den Bittersee und die silbrigen Dromedare, die sich wie ramponierte Piratenschiffe vorwärtsbewegen. Er wohnt in einer der letzten Sahara-Oasen.

Seine Vorfahren gehörten zu einem Stamm nomadisierender Beduinen. Sie schlugen ihre Zelte in Wadis auf, in pflanzenbewachsenen Flussbetten. Die Ziegen weideten, die Ehefrauen kochten Essen auf glühend heißen Steinen. Sie hatten die Wüste nie verlassen. Es herrschte ein gewisses Misstrauen gegenüber den Leuten von der Küste, Händler, Seeräuber. Die Wüste war ihr Zuhause, weit und grenzenlos. Ihr Sandmeer. Von Dünen gefleckt wie das Fell eines Jaguars. Sie besaßen nichts. Nichts als Fußspuren, auf die sich der Sand legte. Die Sonne bewegte die Schatten. Sie waren es gewohnt, dem Durst zu trotzen und wie Datteln auszudörren, ohne zu sterben. Ein Dromedar bahnte ihnen den Weg, ein langer, schiefer Schatten. Sie verschwanden in den Dünen.

Für die Welt sind wir unsichtbar, doch nicht für Gott.

Mit diesem Gedanken im Herzen zogen sie umher.

Im Winter ließ der Nordwind, der über den felsigen Ozean kam, den wollenen Berkan am Körper steif werden, und die Haut, blutleer wie die der Ziegen auf den Trommeln, klammerte sich an die Knochen. Uralte Zaubereien fielen vom Himmel. Die Sandverwerfungen waren messerscharf, die Wüste berühren hieß sich verletzen.

Die Alten wurden begraben, wo sie starben. Der Stille des Sandes überlassen. Die Beduinen zogen weiter, Stoffzipfel in Weiß und Indigo.

Im Frühling entstanden neue Dünen, rosig und blass. Jungfrauen aus Sand.

Der glühende Ghibli kam mit dem kratzigen Ächzen eines Schakals. Hier und dort zwickten kleine Windkringel wie umherfahrende Geister den Sand. Dann Böen im Tiefflug, scharf wie Krummsäbel. Eine auferweckte Armee. Die Wüste erhob sich in Sekundenschnelle und verschlang den Himmel. Eine Grenze zum Jenseits gab es nicht mehr. Die Beduinen beugten sich unter der Last des grauen Sturms, suchten Schutz hinter dem Körper kauernder Tiere wie unter dem Mantel eines alten Fluchs.

Dann waren sie geblieben. Sie hatten aus Lehm eine Mauer gebaut und Weideland umzäunt. Im Sand waren Radspuren.

Manchmal kam in dieser Gegend eine Karawane vorbei. Sie lagen an der Route der Händler aus Schwarzafrika, die ihren Weg zum Meer durch die Wüste abkürzten. Sie hatten Elfenbein, Harze, Edelsteine und gefesselte Menschen dabei, die in den Häfen der Cyrenaika und Tripolitaniens als Sklaven verkauft werden sollten.

Die Händler stärkten sich in der Oase, sie aßen, tranken. Eine Stadt war entstanden. Mauern aus getrocknetem Lehm, geflochtenen Seilen ähnlich, Dächer aus Palmwedeln. Die Frauen wohnten oben, von den Männern getrennt, sie liefen barfuß über die Dächer. Mit Tonkrügen auf dem Kopf gingen sie zum Brunnen. Sie rührten Schafsinnereien und aufgekochtes Mehl unter das Couscous. Sie beteten auf den Marabutgräbern. Bei Sonnenuntergang tanzten sie zu den Klängen des Nay auf den Dächern, ihre Bäuche bewegend wie schläfrige Schlangen. Unten mischten die Männer Ziegel an, wickelten Tauschgeschäfte ab, spielten persische Würfel und rauchten die Nargileh.

Heute gibt es diese Stadt nicht mehr. Geblieben ist ein Umriss, ein vom Sandwind zerfressenes Heiligtum. Daneben entstand die vom Oberst gewünschte neue Stadt, entworfen von ausländischen Architekten aus dem Osten. Betonbauten, Antennen.

Die Straße wird von großen Bildnissen gesäumt, der Rais in Wüstengewändern, als Moslem oder als Offizier. Mal ist er gebieterisch und ernst, mal lächelt er mit offenen Armen.

Leute sitzen auf leeren Benzinkanistern, knochige Kinder, Greise, die zur Erfrischung an Wurzeln saugen. Lichtleitungen verlaufen schlaff von einem Gebäude zum anderen. Der glühende Ghibli führt Plastiktüten und Müll mit sich, zurückgelassen von Wüstentouristen.

Arbeit gibt es keine. Nur gezuckerte Getränke und Ziegen. Und Datteln, die für den Export verpackt werden müssen.

Viele junge Menschen gehen fort, zu den Ölfeldern, zu den großen schwarzen Blöcken. Zu den ewigen Flammen der Wüste.

Es ist eigentlich keine Stadt, es ist eine Ansammlung vieler Leben.

Farid wohnt in der Altstadt, in einem der niedrigen Häuser, deren Türen ringsumher auf ein und denselben Hof führen, auf einen verwilderten Garten und eine stets offene Gittertür. Zur Schule geht er zu Fuß. Er rennt mit seinen dünnen Beinen, die sich wie Schilfrohr immerzu schälen. Jamila, seine Mutter, wickelt ihm als Pausenbrot ein paar Sesamstangen in Papier.

Wenn er zurückkommt, vergnügen er und seine Freunde sich mit einem Blechkarren, der Konservenbüchsen hinter sich herzieht, oder sie spielen Ball. Farid rollt sich im roten Staub zusammen wie eine Raupe. Stiehlt kleine Bananen und Trauben schwarzer Datteln. Mit einem Seil klettert er ganz nach oben, ins Herz der schattenreichen Pflanzen.

Um den Hals trägt er ein Amulett. Alle Kinder haben eins. Es ist ein kleiner Lederbeutel mit einigen Glasperlen und Fellbüscheln darin.

Der böse Blick trifft nur auf das Amulett, und du bist in Sicherheit, hat seine Mutter ihm erklärt.

Omar, sein Vater, ist Techniker, er installiert Fernsehantennen. Er wartet auf das Signal. Lächelt den Frauen zu, die keine einzige Folge der ägyptischen TV-Serie verpassen wollen und ihn wie den Retter ihrer Träume behandeln. Jamila ist eifersüchtig auf diese dämlichen Frauen. Sie hat Gesang studiert. Doch ihr Mann will nicht, dass sie auf Hochzeiten oder bei öffentlichen Festen auftritt, geschweige denn vor Touristen. Also singt Jamila nur für Farid, unter dem bauchigen Kalkdach in diesen Räumen voller Vorhänge und Teppiche, die nach Beifuß und aromatischen Kräutern duften, ist er ihr einziger Zuhörer.

Farid ist verliebt in seine Mutter, in ihre Arme, die wie Palmblätter wedeln, in ihren Atem, wenn sie einen Malouf voller Liebe und Tränen singt und ihr das Herz so sehr aufgeht, dass sie es mit beiden Händen festhalten muss, damit es nicht zu Boden fällt, in die kleine, verrostete und stets trockene Eisenschüssel für das Regenwasser.

Seine Mutter ist jung, sie sieht aus, als wäre sie seine Schwester. Manchmal spielen sie Hochzeit, Farid kämmt sie und zupft ihr den Schleier zurecht.

Jamilas Stirn ist ein großer, runder Stein, ihre Augen sind umrändert wie die der Vögel, und ihre Lippen gleichen zwei süßen, reifen Datteln.

Es ist ein Sonnenuntergang ohne Wind. Der Himmel ist pfirsichfarben.

Farid setzt sich an die Gartenmauer. Er betrachtet seine Füße, die dreckigen Zehen, die aus den Sandalen hervorschauen. Ein herabfallendes junges Moos schiebt sich in einen Spalt, Farid rückt mit der Nase an den frischen Duft heran. Erst jetzt bemerkt er, dass neben ihm ein Tier schnauft. Es steht so dicht bei ihm, dass er sich nicht bewegen kann, der Schreck springt ihm in die Augen.

Er hat Angst, es könnte ein Waddan sein, das Eselsschaf mit den großen Hörnern, von dem viele Sagen berichten. Sein Großvater hat ihm erzählt, es tauche am Horizont zwischen den Dünen auf wie eine böse Fata Morgana. Schon seit vielen Jahren hat niemand mehr ein Waddan gesehen, doch Großvater Mussa beteuert, es verstecke sich nach wie vor in dem schwarz verkrusteten Wadi, wo sich kein Leben hält, und es sei fuchsteufelswild wegen all der Jeeps, die die Wüste zerstören, sie würden sie mit ihren Rädern verschieben.

Doch das Tier hat weder weiße Haarbüschel noch sichelförmige Hörner, es fletscht auch nicht die Zähne. Sein Fell ist sandfarben, und seine Hörner sind so dünn, dass sie an Strauchzweige erinnern. Es schaut ihn an, vielleicht hat es Hunger.

Farid sieht, dass es eine Gazelle ist. Eine junge Gazelle. Sie flieht nicht. Ihre weit aufgerissenen Augen in dieser unmittelbaren Nähe sind klar und ruhig. Durch ihr Fell geht ein Zittern. Vielleicht hat auch sie Angst. Doch auch sie ist zu neugierig auf diese Begegnung, um zurückzuweichen. Langsam streckt Farid ihr einen Zweig entgegen, die Gazelle öffnet ihr Maul mit den flachen, weißen Zähnen und rupft einige frische Pistazien ab. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, zieht sie sich zurück. Plötzlich dreht sie sich um, springt über die kleine Lehmmauer und galoppiert Sand aufwirbelnd davon, bis hinter den Horizont der Dünen.

Am nächsten Tag in der Schule füllt Farid ganze Seiten mit Gazellen, er zeichnet sie krumm und schief, mit dem Bleistift, und er malt sie mit dem Finger aus, den er in wasserverdünnte Temperafarben taucht.

Das Fernsehen wiederholt regelmäßig einen vom Rais produzierten Film mit Anthony Quinn in der Rolle des legendären Omar al-Mukhtar, des Anführers der Beduinen, der wie ein Löwe gegen die italienischen Invasoren kämpfte. Farid freut sich, seine Brust ist stolzgeschwellt. Sein Vater heißt auch Omar, wie der Held der Wüste.

Er spielt mit seinen Freunden Krieg, Blasrohre aus Schilfrohr, die Pistazien spucken und von den Stürmen zurückgebliebene rote Steine.

Du bist tot! Du bist tot!

Sie streiten sich, weil keiner Lust hat, sich auf den Boden zu werfen und mit dem Spiel aufzuhören.

Farid weiß, dass irgendwo der Krieg ausgebrochen ist.

Seine Eltern flüstern bis tief in die Nacht hinein, und seine Freunde erzählen, dass von der Grenze Waffen gekommen sind, sie haben gesehen, wie sie nachts von den Jeeps abgeladen wurden. Auch sie hätten gern eine Ka-laschnikow, eine Rakete.

Neben dem alten, tauben Bettler brennen sie ein paar bengalische Feuer ab.

Farid springt umher, er amüsiert sich wie verrückt.

Hisham, der jüngste seiner Onkel und Student an der Universität von Bengasi, hat sich der Rebellenarmee angeschlossen.

Großvater Mussa, der die Touristen als Fremdenführer bis zum Verfluchten Gebirge bringt, der Schlangenspuren lesen und die Felszeichnungen entschlüsseln kann, sagt, Hisham sei nicht ganz bei Trost, er habe zu viele Bücher gelesen.

Er sagt, der Qa’id habe Libyen zwar mit Asphalt und Beton gepflastert, habe das Land mit schwarzen Tuareg aus Mali vollgestopft, habe die Worte seines albernen Grünen Buches in jede Mauer graviert und sei, von schönen Frauen umgeben wie ein Schauspieler im Urlaub, in der Weltgeschichte herumgereist, um sich mit Finanziers und Politikern zu treffen. Doch er sei ein Beduine wie sie, ein Mann der Wüste. Er habe ihr von der Geschichte geplagtes, an den Rand der Oasen gedrängtes Volk verteidigt. Lieber ihn als die Moslembrüder.

Lieber die Freiheit, hat Hisham gesagt.

Omar klettert aufs Dach, er richtet die Satellitenschüssel aus. Sie empfangen einen vom Regime nicht verschlüsselten Sender. Die Küstenstädte stehen in Flammen. Nun ist klar, dass der Prophet des Vereinten Afrika auf seine Jamahiriyya schießt. Jetzt ist er allein im Schloss der Macht. Als Großvater Mussa das zerstörte Misurata sieht, nimmt er das Bild des Qa’id von der Wand, rollt es zusammen und wirft es unters Bett.

Dann kommt das Telegramm. Hisham hat sein Augenlicht verloren. Ein Splitter ins Gesicht. Seine Augen werden keine Bücher mehr lesen. Alle weinen, alle beten. Hisham ist im Krankenhaus in Bengasi. Wenigstens lebt er und steckt nicht in einem grünen Sack wie Fatimas Sohn.

Die Leute auf der Straße kratzen die Parolen des Rais von den Mauern, überschreiben sie mit Hymnen auf die Freiheit und übermalen sie mit Karikaturen der großen, mit falschen Orden behängten Ratte. Das Standbild vor der Medina wurde mit Steinen enthauptet.

Es ist Nacht, nur ein kleines, nacktes Licht brennt, es zuckt unentwegt, als hätte es Husten. Omar schüttet eine Einkaufstüte vom Markt auf dem Tisch aus, darin ist Geld. Omars gesparte Dinare und die Euros und Dollars, die Großvater Mussa mit den Wüstentouristen verdient hat. Omar zählt das Geld, dann nimmt er einen Stein aus der Wand und versteckt es dahinter. Er spricht mit Jamila, umschließt ihre fest gefalteten Hände mit seinen. Farid schläft nicht, er betrachtet dieses Geflecht von Händen in der Dunkelheit, die beben wie eine Kokosnuss im Regen.

Omar sagt, sie müssten fort. Es sei höchste Zeit. In der Wüste gebe es keine Zukunft. Und jetzt gebe es Krieg. Er habe Angst um das Kind.

Farid denkt, sein Vater sorge sich unnötig um ihn, er ist bereit für den Krieg wie Onkel Hisham. Mit den Händen auf den Augen hat er ausprobiert, wie man als Blinder lebt. Man stößt sich ein bisschen, aber das macht nichts.

Farid setzt sich an die Gartenmauer.

Die Gazelle kommt stets lautlos, ein leichter Sprung, und sie ist da. Mit ihren schwarz geschminkten Augen, die Pupillen wie Diamant, die Ohren hell und innen buschig, die kleinen Hörner gewunden. Jetzt sind sie Freunde. Farid hat niemandem davon erzählt. Doch immer ist da die Angst vor einem Eindringling. Auch er fürchtet, sie könnte gefangen werden. Sie ist jung und unerfahren, ist unvorsichtig. Sie kommt zu nahe, bis in bewohntes Gebiet. Mit einer leichten Nervosität unterm Fell wagt sie sich vor, mit zuckenden Muskeln. Bereit davonzuspringen, nicht zu bleiben. Sie müssen sich erst wieder aneinander gewöhnen. Sie gehören zur selben Wüste, doch nicht zur selben Art. Farid drückt sich an die Mauer, wartet darauf, dass die Gazelle durch die dunklen Nüstern atmet, damit er zusammen mit ihr atmen kann. Sie reckt die Schnauze, will spielen. Einmal setzt sie sich auf die Hinterbeine und sieht aus wie seine Mutter bei Sonnenuntergang. Die gleiche majestätische Haltung.

Es ist ein Frühlingsmorgen. Omar geht seiner Arbeit auf dem Dach nach. Er schließt Stromkabel an und wartet auf den Funken. Auf das Zeichen, dass die Fernsehserie gerettet ist. In diesen Tagen kommt der Strom unzuverlässig, stotternd. Die Frauen wollen nicht an Krieg denken, sie wollen vor Liebe weinen. Wollen wissen, ob der Gute auch erfährt, dass das Kind von ihm ist, und ob der Böse mit dem schwarzen Auto von der Klippe stürzt.

Farid hat gesehen, wie Omar zurückwich, im Leeren nach einem Halt suchte, hinfiel und wieder aufstand. Nun sind fremde Männer auf den Dächern, Tarnanzüge und gelbe Helme wie die von Bauarbeitern, doch sie schießen. Sie zielen nach unten, auf die Menschen auf dem Markt, die weglaufen und schreien. Es sind Regierungstruppen, viele darin sind Ausländer, Murtaziqa, Söldner, aus Subsahara-Kriegen angeworben. Beim Schießen schreien sie wie im Film. Ein halbnackter Soldat hat sich hingekauert, um seine Notdurft zu verrichten. Vielleicht hat er zu viel Tamarindensaft getrunken, oder vielleicht hat er Angst. Jetzt schießt er, so wie er ist, mit heruntergelassenen Hosen.

Omar ist stehen geblieben und hat sie angeschaut. Hat versucht, mit ihnen zu reden, sie aufzuhalten. Sie steckten ihm ein Gewehr in den Hals, Entweder du kommst mit und kämpfst bei uns oder du bist so gut wie tot. Farid sah seinen Vater zur Dachrinne gleiten. Ihm fehlte ein Schuh, ein beigefarbener Socken war zu sehen, einer von denen, die Jamila abends für ihn stopfte. Sie drückten ihm eine Pistole in die Hand. Omar schoss in die Luft, auf Vögel, die nicht da waren. Dann ließ er die Pistole fallen. Der Mann ohne Hosen stieß den Vater vom Dach.

Farid sah die Pick-ups mit den Maschinengewehren, die Bazookas, die schmutzigen, fanatischen Gesichter, die grünen Fahnen um die Köpfe. Sie töteten auch die Tiere, zur Abschreckung.

An dem Tag war die Gazelle zum Glück nicht da. Sie kam nur bei Stille.