Das Musketier - Richard B. Kirkwood - E-Book

Das Musketier E-Book

Richard B. Kirkwood

0,0
2,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn der Liebesgott Amor Langeweile hat, legt er Pfeil und Bogen beiseite, lacht kurz auf und schmeißt mit Musketieren.   Duckt man sich nicht und wird erwischt, kann einen der Treffer umhauen. Besonders dann, wenn man Derartiges gar nicht bestellt hatte! So zumindest ergeht es Finlay, einem Polizisten in der britischen und beschaulichen Grafschaft Kent. Seine Unfähigkeit, der Liebe auszuweichen, stellt ihn zunächst vor eine Reihe von Probleme. Chris, mit dem er beworfen worden war, zeichnet sich diesbezüglich mit größerer Schnelligkeit aus. Er rappelt sich zufrieden hoch, schüttelt sich kurz und wird sofort zudringlich und vor allem frech. Finlay aber misstraut solchen Attacken eher und sieht mit Argwohn auf den jungen Mann, der sich in sein Leben geschmuggelt hat. Aber sein Widerstand und seine Vorsicht beginnen schnell zu bröckeln...   »Dir ist schon bewusst, dass das meine Wohnung ist?«, fragte ich, obwohl es mehr wie eine Feststellung klang... Was macht man, wenn man nach Hause kommt, in seine leere Wohnung und … sie ist gar nicht leer? Besonders für einen Polizisten eine überraschende Situation, zumal ihm in diesem Fall weder seine übliche Ironie noch sein trockener Humor viel weiterhalfen. Finlay Hendersons Leben war geregelt. Es war angenehm ruhig. Ihm gefiel es, so wie es war. Alles war an seinem Platz und er hatte scheinbar die absolute Kontrolle. Er war kein Polizist, der den ganzen Tag an seinem Schreibtisch verbrachte oder denjenigen, die zu schnell fuhren, Strafzettel verpasste. Nein, man hatte für ihn eine ganz eigene Stelle geschaffen. Sein Verstand funktionierte nicht besser als der seiner Kollegen – nur anders. Finlay war berufsbedingt viel unterwegs und wenn er dann in seine Wohnung zurückkehrte, war er allein. Bis jetzt jedenfalls. Er hatte sich daran gewöhnt. Das Schicksal hatte ihn dazu gezwungen. War es dasselbe Schicksal, dass sein Leben plötzlich vollkommen auf den Kopf stellte? Es musste wohl an dem sein, denn wie erklärte man sonst den unübersehbar attraktiven, ihm aber vollkommen unbekannten jungen Mann auf seiner Couch, der sich Chris nannte und wie ein Musketier aussah.   So hieß es also für Finlay auf einmal … En garde!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Richard B. Kirkwood

HEART LINE

Do Not Cross

Band 1

Das Musketier

Für Matthieu.

En Garde!

 

 

 

KAPITEL

KAPITEL 1  

KAPITEL 2  

KAPITEL 3  

KAPITEL 4  

KAPITEL 5  

KAPITEL 6  

KAPITEL 1

einSchirmchen,

eine Fliege,

ein Musketier

Ich saß an einem warmen Sonntagabend Ende August auf einer Bank im Grünen. Das Licht unter den Bäumen im Park begann merklich zu schwinden. Doch das störte mich nicht. Die letzten Wochen hatte ich damit verbracht, mich in schlecht beleuchteten Räumen durch Aktenberge zu wühlen und hinter verspiegelten Scheiben zu hocken. Das Abschlussmeeting im Dezernat hatte man schon auf heute verlegt. Alles erledigt. Welche Erleichterung.

Eine kühlende Brise traf mein Gesicht, ein Windstoß, den man so nur hier an der Küste kannte. Er roch nach Ferne und Urgewalten, unbezähmbarem Wasser und ein bisschen nach Fisch. Am tiefblauen Himmel gab es buschige, schneeweiße Haufenwolken: ein Schaf, ein Drache, ein Adonis mit Füllhorn. Es duftete nach gerade gemähtem Gras. Alles fügte sich wunderbar.

Zwei ältere Damen in geblümten Sommerkostümen, schlenderten, ohne auf den Gehweg zu achten, nebeneinanderher und hatten ihre Köpfe verschwörerisch zusammengesteckt. Einem Polizisten wie mir, mangelte es nicht an der Phantasie, dazu passende Worte eines genial geplanten, schicksalhaften Verbrechens zu konstruieren.

Es amüsierte und bestürzte mich gleichermaßen. Also sah ich woanders hin.

Auf der gegenüberliegenden Wiese wälzte sich ein beeindruckend großer Hund, dem die Zunge weit aus dem Maul hing und der stetig den Blick seines Herrchens suchte. Ich überlegte, ob ich die Geste für meinen Chef übernehmen sollte. Die Abwechslung hätte uns gutgetan.

Strenggenommen war mein dienstlicher Einsatz in dieser Kleinstadt beendet und ich hätte bereits heute nach Hause gemusst. Aber noch mochte ich nicht zurück nach Cantmorrow. Die Idee, eine letzte Nacht einfach hier zu verbringen und dann am Morgen ausgeruht die Rückreise anzutreten, gefiel mir viel mehr.

In letzter Zeit hatte ich zu meiner Freude ganze Monate in Küstenorten verbracht. Und ich nutzte dies aus, wollte jeden Moment an der See genießen.

Mit der linken Hand, auf der ein silberner Ring saß, strich ich mir durch die kräftigen, dunklen Haare. Ich bevorzugte lässige, unifarbene Hemden, die edel wirkten, und unzerrissene, gut sitzende Markenjeans. Schlank und groß wie ich war, befand man sich so immer auf der sicheren Seite.

Über eine weit ausladende Treppe, verließ ich den Park. An ihrem unteren Ende kam man direkt ins Stadtzentrum.

Mein Hotel war nur einen Katzensprung weit entfernt. Bei ihm angekommen, blieb ich stehen und blickte die vielen Etagen des viktorianischen Gebäudes empor. Die Fassade hatte man hell gestrichen, wodurch es viel freundlicher wirkte. Das sich reflektierende Sonnenlicht blendete meine Augen. Ich erklomm einige Stufen und trat durch die gläserne Eingangstür.

Mit einer kurzen Bewegung warf ich der Empfangsdame einen Gruß zu, die ihn ebenso freundlich und mit einem wiedererkennenden Lächeln zurückgab.

»Zimmer 312«, sagte ich und fand mich irgendwie weltmännisch und mondän. Die Entlastung nach einem abgeschlossenen Fall, löste immer dieses wohlige Hochgefühl in mir aus. Für heute war alles in Ordnung. Und der morgige Tag weit entfernt.

Ich ging auf mein Zimmer. Der Duft eines frischen Blumenstraußes empfing mich. So sollte es sein! Wenn ich nach Hause kam, würde ich wieder einige Stunden lüften müssen, denn durch den Abzug in meinem Bad verbreitete sich seit einiger Zeit der Duschgelgeruch des unter mir wohnenden Paares.

Doch noch war ich an diesem Ort. Stark duftende Nachbarn gab es hier nicht. Die Wände waren dick und die Gäste gediegen und rücksichtsvoll.

Ich freute mich darauf, einen kleinen Trunk aus der Minibar zu entnehmen und in meinem Bett tief und fest einzuschlafen.

Der darauffolgende Montagmorgen kam viel zu schnell. Das Glück vom Vortag war kaum noch zu greifen.

Dem Schlaf entrissen, zuckte ich jäh zusammen. Fast einen Monat hatte ich in diesem Hotelzimmer geschlafen, doch aufgrund seiner aufgeregten, pompösen Möblierung, war es mir so fremd wie am ersten Tag.

Der hässliche kleine Kobold, den manche liebevoll ihr Mobiltelefon nannten, plärrte mir seinen Klingelton durch das Rückenmark. Darauf folgte, welch erbärmliches Ritual, zunächst ein Erschrecken, dann ein Erstarren und schließlich eine viel zu schnelle, pawlowsche Bewegung in Richtung des technischen Folterwerkzeugs auf meinem Nachttisch.

»Ja?«, fragte ich mit vertrockneter Erststimme, die heute auch noch nach hämisch in meinem Schädel kichernden Cocktails klang. Enttäuschte Romantiker neigen zu gezuckerten Gläsern mit Schirmchen.

»Finlay? Der Chef will dich sehen.« Kräftiges Weib redet zu mir. Viel zu laut.

»Zoe?«

»Nein. Ich bin deine balinesische Wahrsagerin, Schwachkopf! Natürlich Zoe, die übrigens immer noch auf eine Entschuldigung wartet.« Sie war sicher weniger gereizt als sie klang.

»Weil ich sagte, dass ich Angst vor deinen gewaltigen Brüsten habe?«

Constable Zoe Edwards war entsetzlich wach, doch eine Seele von Mensch. In diesem Augenblick aber dröhnte ihre herrische Stimme wie Glockengeläut in meinen Ohren. »Nein, weil du dachtest, es wäre ein Kompliment!«

»War es das nicht?«, fragte ich, ohne sie weiter reizen zu wollen, lag aber voll daneben. Dabei war ich sonst so ein friedvoller Mensch.

Am anderen Ende holte jemand tief Luft und instinktiv sprach ich weiter. »Tut mir leid, Zoe. Ich bin so gern befreundet mit dir, aber heute Morgen habe ich furchtbare Kopfschmerzen. Willst du wissen wo?«

»Aha! Gerechtigkeit! Ich hoffe, dein Hirn ist auf extradimensionale Brustgröße angeschwollen!«

Das führte zu nichts. Sie war nicht zu Scherzen bereit.

»Wann muss wer - wo - sein?«, fragte ich und rieb mir die Augen.

»Um DREIZEHN UHR musst DU beim CHEF sein.«

»Bei welchem?«

»Beim Chef.«

Am anderen Ende wurde aufgelegt.

Mit einem Stöhnen fiel ich mit dem Gesicht zurück in mein Kissen. Zoes Brüste würden mich den ganzen Tag über verfolgen. Jemand musste mir helfen!

Es klopfte energisch. Das ging aber schnell!

Hoffentlich hatte ich gestern Abend niemanden in der Hotelbar beleidigt oder belästigt, denn anscheinend hatte ich sie noch aufgesucht. Eine Faust in meinem Gesicht, zu so früher Stunde, reichte mir völlig.

Ich schraubte mich aus dem Bett, spürte einen üblen Schmerz im unteren Rücken, zog meine Shorts einigermaßen dorthin, wo sie offiziell hingehörten und hoffte inständig, sie würden meine noch vorhandene, leichte Erektion etwas kaschieren.

Auf alles gefasst, öffnete ich argwöhnisch die Tür.

»Guten Morgen, Mr. Henderson, beziehungsweise Detective Inspector. Ihr Frühstück, so wie bestellt«, sagte ein augenscheinlich höchstens 16-jähriger Bengel in einem Pagenkostüm mit dazu passender Kopfbedeckung, unter der einige blonde Haarsträhnen hervorblinzelten. Dabei grinste er animierend breit, von mir fordernd, den Tag mit einem Jauchzer zu zelebrieren. Wie konnte er nur.

»Befindet sich unter diesen glänzenden Hauben irgendwo eine Kopfschmerztablette?«, fragte ich, noch immer mit fremder Stimme und blickte auf den Jungen hinunter. Mit meinen 1,86 tat ich derartiges öfter.

Das Lächeln des sorglosen Bengels schmolz in Zeitraffertempo dahin. Entsetzt huschte sein Blick über den kleinen Wagen mit Kaffeekanne und Blümchen. Dann sah er erneut zu mir und vergaß, seinen Mund wieder zu schließen. Der ist die versprochene Hilfe? Doch ich nahm, was ich kriegen konnte.

»Ein Scherz«, sagte ich reuevoll, ihn aus seiner Bredouille erlösend. Dann fuhr ich mir gähnend durchs Haar.

Der Page brachte mein Frühstück herein, servierte es mir und verschwand mit einem Lächeln. Hübscher Kerl.

Ich verschlang mein Frühstück, als hätte ich seit Tagen nichts mehr zu mir genommen. Nur die fettigen Anteile ließ ich aus.

Nach dem Auschecken besorgte ich mir in der Apotheke Kopfschmerztabletten und warf gleich zwei davon ein.

Der Steuerzahler hatte mir eine Fahrkarte spendiert und so schlenderte ich gemütlich zum Bahnhof.

Da mir noch etwas Zeit blieb, setzte ich mich in das kleine Café vor dem alten Backsteingebäude und bestellte mir ein Stück Hefegebäck in Form einer Schnecke. Anscheinend begannen die Tabletten zu wirken. Oder ich hatte einen ›Horror vacui Anfall‹, meinen Magen betreffend.

Oft konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, schon immer ein Beobachter gewesen zu sein, in einer Welt, die mir, seit ich denken konnte, in vielerlei Hinsicht fremd erschien. Als wäre ich in etwas hineingeboren, dass ein wenig verrückt war, verschoben, gegenüber dem, was ich für natürlich hielt.

Die Position des Beobachters hatte sich bei mir langsam herauskristallisiert. Ich sah Dinge, die andere nicht sahen und hörte mehr, als mir lieb war. Eine der nützlichen Konsequenzen meiner Inselbegabung war die Frage, was ich mit all dem Wissen anfangen sollte? Aus diesem Grund bin ich wohl Polizist geworden.

An meinen Nachbartischen spielte sich einiges für meine Sinne ab.

»Sie haben absolut recht. Sie sind reichlich unglücklich aneinander gebunden und diese Person ist so dumm, sie würde ihrem eigenen Pool nicht entkommen.«

Innerhalb des Gespräches war das sicher sozial und verbindend. Es in Anwesenheit der betreffenden Person zu äußern, könnte einen in eine missliche Lage bringen.

»Angeblich brauchte sie Trost. Aber ich glaube, sie haben nur Sex.« Man muss die Ohren nur der Welt öffnen. Ich ließ den Satz auf meiner Zunge zergehen. So viele Gefühle auf einmal: Gehässigkeit, Neid, Missgunst, Verachtung und Lust. Dass man auf der Straße nicht von jedem Dritten angeleckt wurde, war fast ein Wunder.

Die Kellnerin brachte mir meinen Kuchen.

»Sie haben Basilikum auf der Brust«, sagte ich zu ihr. Sie errötete leicht. War das schon unsozial oder eher hilfreich?

Am Tisch gegenüber begannen zwei in die Jahre gekommene Frauen damit, sich unappetitlich über ihren letzten Besuch beim Gynäkologen zu unterhalten. Ich verlor ein wenig die Freude an meiner hefigen Schnecke.

♣ ♣ ♣

Das Präsidium in Cantmorrow, meinem Heimatort im Südwesten Kents, war ein klotziger Neubau ohne Esprit. Die von außen angebrachten Lichtschutzlamellen hingen teilweise schief in den Fenstern. Ihr Türkis erinnerte mich immer an die Kacheln der Pathologie.

Ich hatte einen Blumenstrauß gekauft, um bei Zoe Abbitte zu leisten. Doch die war nicht am Empfang. Vielleicht hatte sie einfach schon Dienstschluss. Also ging ich gleich zu den Aufzügen aus zusammengerotztem Schrott, überlegend, wem ich den Strauß schenken konnte. Ob ich es wagte, ihn Lennox zu überreichen? Ich klemmte den Blumenstrauß im Fahrstuhl hinter den Handlauf. Irgendjemand würde sich bestimmt über ihn freuen.

Im Innern der alten Fahrstühle hatte ich immer das Gefühl, langsam verdaut zu werden.

Die drei Stunden Autofahrt, ich hatte kleine Landstraßen benutzt, waren mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, denn meine Kopfschmerzen waren wieder zurückgekehrt. Auch das mitgenommene Mineralwasser aus Frankreich hatte sie nicht herausspülen können.

Auf dem Weg zu meinem Chef, begann es in meinem Bauch dezent, aber unangenehm zu rumoren. Ich hatte immer frei sein wollen in meinem Beruf und das mit der jetzigen Nischenposition auch erreicht. Jemanden wie mich gab es, so weit ich es wusste, nur einmal.

In diesem Haus suhlte sich das Verbrechen. Es ging um Mord, Betrug, Unfälle und Entführungen. Wenn man einmal unvorsichtigerweise eingetreten und mit einem Dienstausweis versehen war, gab es kein Zurück, kein Entrinnen mehr. Auf einen Neuling mochte all das sehr beeindruckend wirken. Recht und Gesetz wurden aus diesen Zimmern, den Fluren und der Kantine heraus verteidigt. Einst hatte mich dieser brodelnde Moloch auch verschlungen und selbst heute noch griffen seine Tentakeln nach mir.

Der Lift hatte klappernd die Türen geschlossen und ruckelnd fuhr ich mit ihm auf und davon. Hoffentlich würde er keinen Zwischenhalt machen. Ich wollte heute keinem begegnen und in Smalltalk verwickelt werden. ›Na, immer noch bei uns?‹ - ›Wieso, gibt es noch eine andere Welt?‹ Bla, bla, bla.

Aus unsichtbaren Lautsprechern tröpfelte belanglose Kaufhausmusik, die nicht zu dem passte, was hier wirklich geschah. Sie galt den Besuchern. Ich redete mir ein, auch nur ein solcher zu sein.

Im sechsten Stock angekommen, durchschritt ich den muffigen Vorraum und landete schließlich vor einer gläsernen Tür. Ich holte tief Luft und trat ein.

Vor mir eröffnete sich ein gewaltiges Großraumbüro mit unzähligen, gleich aussehenden Schreibtischen, an denen unzählige, gleich aussehende Menschen saßen und miesepetrig in riesige Monitore vor sich starrten. Wären es die Grünpflanzen gewesen, die in diesem Raum alleinig für Sauerstoff hätten sorgen sollen, wären alle in ihm erstickt.

Telefone klingelten, Wagen mit Akten wurden umhergefahren und überall hämmerte man mehr oder weniger hektisch auf Tastaturen. An aufgestellten Pinnwänden klebten Fotos und Kritzeleien.

Um den großen Kaffeeautomaten stand eine Schar von Beamten in viel zu kleinen Jacketts. Man lachte und scherzte. Andere liefen wie Weltmeister im Gehen zwischen den Tischen herum. Ventilatoren trugen das eigene Parfum zum Nachbarn herüber und in manchen Schubladen schimmelten Äpfel, Bananen und Salat vor sich hin. Auf einigen Tischen befand sich mehr privater Krimskrams als echtes Dienstmaterial.

»Es ist mir egal, ob Sie Angst vor ihm haben! Verhaften Sie ihn!« Ein Hörer wurde hinter mir aufgeknallt und jemand ließ sich erschöpft in die Lehne seines Stuhles sinken.

Ich hatte hier auch mal einen Schreibtisch mit Ventilator. Es war nur für eineinhalb Jahre, doch ich wollte nie mehr hierher zurück – zu den dehydrierten Nudelterrinen und den wichtigen Gehern.

»Finlay!«, schrie eine hohe, etwas schmerzhafte Stimme.

Ich sah mich um und fing an zu schwitzen. Also hatte es doch jemand geschafft, mich in dieser Geisterbahn von den anderen zu unterscheiden. Ich musste beim nächsten Mal schneller gehen oder mir einen Stapel Akten besorgen, in dem ich wichtigtuerisch und gehetzt blättern konnte.

Eine winkende Hand, die aus einem Monitor ragte und zu einer etwa vierzigjährigen Frau mit auftoupierten, blonden Haaren gehörte, buhlte um meine wertvolle Aufmerksamkeit.

Ich ging auf das grell geschminkte Gesicht mit der Baiserfrisur zu und klammerte meine Umhängetasche schützend vor meinen Körper.

»Hallo Poppy.«

»Finlay, du schöner Mann«, platzte es aus Poppy heraus, »Musst wohl zum Chef, hab ich recht? Letztens sah in der Aftershave-Werbung einer so aus wie du. Meine Tochter ist endlich achtzehn und zieht, Gott sei Dank, zu ihrem Freund. Was war das noch für ein Aftershave? Dieses göttliche Schnittchen war sicher auch wieder schwul.«

Ich wusste nie, was bei solchen Aussagen von mir erwartet wurde.

»Ich war als Kind sehr unattraktiv«, sagte ich, und da ich das Wort ›hässlich‹ vermieden hatte, klang der Satz im Ergebnis irgendwie komisch, »Ist mit dem Alter besser geworden. Hab eben Glück gehabt.«

»Das kann man wohl sagen! Als Kind war ich der blühende Sonnenschein! Und? Sieh mich jetzt an. Ohne Schminke habe ich das gleiche Gesicht wie die Nacktkatze meiner verhassten Tante.«

»Das stimmt nicht«, entgegnete ich, denn ich kannte Poppy durch eine Weiterbildung, im schlammigen Wald, auch ohne die Maskerade.

Sie zuckte mit ihren Schultern. »Egal. Hauptsache ich sehe nicht irgendwann aus wie meine Mutter oder wie eines dieser zweinasigen Frauenporträts von Picasso. Warst wieder im Land unterwegs, oder? Hast den anderen tüchtig unter die Arme gegriffen?«

Poppy war im Grunde nett und machte ihre Arbeit so gut, dass sie niemals befördert wurde. Sie nahm jeden Fall wichtig und rieb sich dabei endlos auf und in Rage.

»Du hast es richtig gemacht«, fuhr sie fort, »Ich stecke noch immer hier in der Nuttenabteilung. Überwiegend so nette Mädchen. Aber das Ambiente …«

»Poppy, ich muss, leider«, sagte ich rasch, »Der Chef hat es gern, wenn man pünktlich ist, wie du weißt. Schön, dich gesehen zu haben. Grüß deine Hunde.«

Für einen Augenblick befürchtete ich, etwas furchtbar verwechselt zu haben und sah sie unschlüssig an.

»Das mach ich! Die Scheißer pinkeln im Moment überall hin!«, brüllte sie temperamentvoll, knipste sich aus, nahm ihre Brille und begann gestresst und abwesend in den vor ihr liegenden Papieren zu wühlen.

Ich hoffte inständig, dass dieses kleine Gespräch als Tribut an meine Zeit in diesem Büro ausreichend war und schlich nun eilenden Schrittes auf die Kabufftür des Superintendent zu.

Vorher brauchte ich noch einen Kaffee.

Am Automaten lehnte leider ein mir nicht ganz unbekannter Mann Anfang dreißig.

»Hallo«, gab ich mit äußerster Zurückhaltung von mir, als ich das bereits abgezählte und in meiner Hand befindliche Geld dem, dafür extra ins Metall eingebrachten Schlitz übergab. Ich bemerkte, wie ich von oben bis unten gemustert wurde, wobei sich Detective Sergeant Perlman auch keine Mühe gab, sein Tun diskret zu verbergen.

»Hallo Henderson. Sie sind gut in Form«, sagte Perlman trocken, »Trainieren Sie?«

»Im Gegenteil«, brummte ich zurück und wartete darauf, dass mein Becher endlich gefüllt war.

»Im Fitnessraum habe ich Sie noch nie gesehen. Gehen Sie lieber woanders hin?«, hakte er nach, da er meine Antwort offenbar für einen Witz gehalten hatte.

»Ich benutze niemals den Aufzug. Treppensteigen hält fit.« Ich nahm meinen Kaffee, nickte dem Sergeant zu und ging.

Er war einer von diesen selbstverliebten Kerlen, deren Beziehungen endeten, noch bevor die Beteiligten den Namen ihres Gegners kannten. Da er meinen besaß, fiel er somit für eine Partnerschaft aus. Zudem wünschte ich mir für mein Liebesleben mehr, als halb ausgezogen und stehend in der Asservatenkammer gevögelt zu werden.

»Vielleicht sieht man sich mal«, sagte Perlman und in den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie er verschwörerisch grinste, als sein Körper vom Automaten abhob und sich in Bewegung setzte.

Ich ließ ihn, ohne ihm eine Antwort zu gönnen, seiner Wege ziehen. Wenn das eine Anmache gewesen war, so war sie mir deutlich zu plump. Ich muss doch um etwas mehr Raffinesse bitten! Es war schließlich erst gegen zwei …

Niemand kam auf die Idee, dass ich Männer liebte. Natürlich erkannten mich Gleichgesinnte, denn es gibt ja diesen berühmten Blick, der etwas länger ist als gewöhnlich.

Ich ging mit meiner Orientierung niemals hausieren, verheimlichte sie aber auch nicht. Wenn mich jemand zu dieser befragte, bekam er die entsprechende Antwort. Allerdings sah ich nicht ein, warum ich, wenn eine Frau darauf aus war, mit mir zu flirten, mit aufgesetzten schwulen Attitüden zu reagieren hatte. Ich hasste dieses sofortige Zurschaustellen von Eigenschaften, die man als typisch schwul interpretierte, die mir aber fremd waren wie der Plutomond Charon.

Jene affektierte Motto-Show: ›Sorry Baby, ich steh leider so was von auf Artgenossen mit Schwanz‹ stieß mich ab und ich hatte nie das Verlangen, sie anzuwenden. Schließlich sah eine Frau zunächst den bloßen Mann in mir. Und der war vieles. Unter all seinen Eigenschaften irgendwo auch mächtig und prächtig schwul. Flirten benötigt kein Aufklärungsgespräch. Es ist Spaß! Wenn eine Frau mich attraktiv fand, schmeichelte das meinem Ego und sie hatte mir sicher mit ihrem Verhalten keinen Anlass gegeben, sie zu verärgern oder ihr die Freude an ihrem Selbst zu zerschwuchteln.

Ich war auf keiner Mission, der Welt zu zeigen, wie viele Schwule sie nicht erkannte. Sollten bei einer Frau ernste Absichten ersichtlich geworden sein, gab ich ihr auf eine, sie nicht brüskierende Art zu verstehen, dass Avancen in meinem Fall zwecklos waren. Das hatte bisher immer gut funktioniert, denn ich wusste, wie es war, in jemanden verliebt zu sein, den man nicht haben konnte.

Es gab natürlich noch den Typ Frau, der meine Handlungsanweisungen strikt ignorierten. Aber das war dann deren Problem.

Der Lärm im Büro schwoll erdrückend an. Die Mittagspause war wohl zu Ende. Egal was von nun an geschah, ich würde mich jedem Versuch der Kontaktaufnahme verweigern. Freiwillig werde ich mich niemals stellen! Nur in absolut aussichtsloser Bedrängnis, höbe ich kurz die Hand zum Gruß oder verteilte ein schnelles Nicken.

Kurz vor der Tür des Detective Superintendents fiel mir ein, diesen Raum auf dem Rückweg noch einmal durchqueren zu müssen. Vielleicht würde ja ein Feueralarm ausbrechen und alle bei dem Versuch, sich zu retten, unauflösbar verknäuelt, in den Treppenaufgängen festsitzen. Wie viel bekam man noch für das missbräuchliche Auslösen eines Feueralarms?

Ich klopfte, öffnete die Tür und begann sofort mit energischem Ton zu protestieren: »Sie sind ein Sadist! Das wird sicher wieder so grauenvoll wie das letzte Mal. Ich sehe schon überall Gänse, Beagle und Schwäne und alte Frauen, die jeden einzelnen von uns mit Torte totfüttern wollen. Verlangen Sie das bloß nicht von mir!«

Mein Chef war solche Auftritte von mir gewöhnt. Es konnte gut sein, dass er sich sogar auf sie freute.

Der Raum vor mir verschmolz zu einem einzigen Brei. Vor lauter Beigetönen an Wänden und Decken, konnte man die Möbel kaum sehen.

»Ich freue mich auch außerordentlich, Sie zu sehen, Henderson!«, sagte Superintendent Lennox, »Und sparen Sie sich Ihren Vortrag. Der geht bei mir hier rein und da wieder raus.«

Lennox war ein Mann vom alten Schlag und hatte seinen Job von der Pike auf auswendig gelernt. Ihm machte so schnell keiner was vor. Den großen Respekt, den ihm die Beamten entgegenbrachten, hatte er sich redlich verdient. Das imponierte mir sehr. Er war klein, drahtig, trug eine grau karierte Weste und besaß einen viel zu großen Kopf, der gefährlich über einer roten Fliege schwankte. Er sprach immer etwas zu schnell, war kurz angebunden und redete nie um den heißen Brei. Das lag wohl daran, dass ständig jemand was von ihm wollte, sowohl von unten als auch von oben. Hierarchisch betrachtet.

»Henderson. Setzen Sie sich! Wenn sich hier einer paranoid aufregt, bin ich das!«

Ich zog ein Gesicht, als würde ich zusehen müssen, wie jemand faule Eier in einen Nachttopf schlug. Stoßartig öffnete ich den Mund und sagte mit gespielt entrüsteter Stimme: »Seien Sie bloß froh, dass mir mein Job solchen Spaß macht. Diese ewige Reiserei ist nicht unanstrengend.«

Ich setzte mich und schlug die Beine übereinander. »Über die so genannte Gemütlichkeit der Hotels vor Ort ließe sich trefflich streiten und die exquisiten Restaurants, von denen Sie immer schwärmen, sind meist Versuchsküchen von selbstgekrönten Köchen, die zu viele Grillsendungen im Fernsehen gesehen haben.«

»Diesmal wird es Ihnen gefallen«, entgegnete der Superintendent gelassen, »Der dortige DCI ist nicht mehr im Dienst.«

»Wurde er ermordet?«, fragte ich, denn ich genoss die Gespräche mit Lennox.

»Quatsch!«, rief der, »Jedenfalls ist der neue noch nicht einsatzfähig. Und bevor Sie sich wieder aufblasen«, er hob die Hand und richtete ihre Fläche gegen mich, »Ich weiß, dass Sie die Küste lieben. Freuen Sie sich gefälligst und schenken Sie mir was Hübsches zu Weihnachten. Am besten mit Vollmilchschokolade drumrum.«

»Leiden Sie nicht an Diabetes?«

»Unfug. Dann fresse ich eben eine Tablette mehr. Wollen Sie nun wissen, wo ich Sie einsetzen werde?«

»Bitte kein Fischerdorf mit einem Zimmer über dem Pub«, warf ich ein.

»Pendingham«, sagte Lennox und lächelte hoffnungsvoll und fast ein wenig verschlagen.

»Pendingham kenn ich«, sagte ich misstrauisch, »Hat da nicht mal ein entlaufener Bär gewütet? Was muten Sie mir da zu?«

»Unsinn. Das mit dem Bären war eine Ente. Ich habe in den dortigen Chefetagen schon von Ihnen geschwärmt. Man steht kurz vor dem Durchbruch. Dürfte also nicht lange dauern. Die Menschen mögen Sie, weil man Sie dort nicht kennt und Sie fassen das, was Sie anderen mit Ihrer vertraulich interessierten Art aus der Nase ziehen, logisch zusammen. Ich sage es selten, aber Sie zwingen mich jetzt dazu: Sie sind ein hervorragender Polizist. Sie lesen in den Akten zwischen den Zeilen und denken unkonventionell. Ihre Berichte sind ohne Rechtschreibfehler und wenn Sie ehrgeiziger wären, säßen Sie längst auf meinem Stuhl. Meine Entscheidung ist ein weiteres Mal gefallen. Ding Dong und danke für den Applaus! Sie unterschreiben jetzt diesen Wisch, schnappen sich die Anweisungspapiere und verlassen glücklich und zufrieden meine beige gestrichene Burg. Verstanden?«

Ich zog ein Gesicht des Widerwillens.

»Ich weiß, was gut für Sie ist«, sagte Lennox bestimmt, »Der normale Dienst ist nichts für Sie. Ein Bursche wie Sie, will was erleben!«

»Das sagen Sie doch bloß, weil ich schwul bin.«

»Was war das?«

»Ich sagte, das sagen Sie doch bloß …«

»Ich habe Sie schon verstanden, Schätzchen. Fummeln Sie sich davon.«

»Warum tun Sie mir das nur an?«, fragte ich mit dem Ton einer sterbenden Diva.

»Weil Sie so sind, wie ich immer sein wollte. Und dafür hasse ich Sie.«

Der Superintendent ging auf das angrenzende kleine Bad zu, vermutlich um eine seiner Pillen zu schlucken. »Übrigens, wenn man es Ihnen ansehen würde, hätte ich Sie längst in den Innendienst versetzt. Nach ganz unten, zu den Archivmaulwürfen, bei Wasser und Kerzenlicht. Bei denen stößt ihr Genörgel auf taube Ohren. Morgen Mittag reisen Sie ab. Halali.«

Höchst zufrieden mit dem Gespräch, nahm ich die Papieren, die vor mir bereitgelegt waren, sah noch einmal mit wütendem Gesicht zu Lennox und verließ sein Büro.

Dabei schlug ich die Tür laut krachend hinter mir zu, um die Metalljalousie in seinem Zimmer an die Scheiben schlagen zu lassen.

Eine Vorfreude stieg in mir auf. Es geht wieder ans Meer!

Die guten Jobs erhielt man nur, wenn man überzeugend zu meckern wusste und sich mit Händen und Füßen gegen sie wehrte. So einfach war das.

Wie vorausschauend war es von mir gewesen, als ich auf der mir so verhassten Weihnachtsfeier des Präsidiums im letzten Jahr hier und da hatte fallen lassen, wie sehr ich das Herumreisen verabscheuen würde. Die Menschen neigen dazu, dem anderen das zu geben, was der gerade nicht haben will. Ich war unglaublich stolz auf mich.

Es gelang mir, ohne weitere Belästigungen, das Gebäude geschickt zu verlassen.

Ich fühlte mich frei und gab mich diesem Gefühl mit wunderlich zu nennender Freude hin. Auch diesmal war es gut gegangen. Schließlich musste ich stets damit rechnen, doch mit anderen Aufgaben betraut zu werden.

Um mein Leben wieder in den Griff zu bekommen, wollte ich so oft wie möglich raus aus der Stadt, weg von meinen Kollegen, die mich, unbeabsichtigt und mit Vorsatz, mit Geschichten aus vergangenen Zeiten bedrohten. Ich wollte nicht mehr an meinen öden Schreibtisch zurück, die bedauernden Blicke ertragen müssen und die ewig gleichen Gespräche führen. Ich wollte das alles hinter mir lassen, zu vergessen beginnen, mich wieder freuen können und nicht jeden Morgen mit der Angst erwachen, tagsüber durch ein falsches Wort in die Vergangenheit gerissen zu werden.

Nach dem Tod von Tyler empfahl man mir, ich solle mich beurlauben oder krankschreiben lassen, doch dann wäre ich für immer versunken und nie wieder aufgetaucht.

♣ ♣ ♣

Meine Sonnencreme war alt und roch ranzig, also kaufte ich neue. Die Kopfschmerzen waren verflogen und für den Rest des Tages hatte ich, so meine Meinung zu Lennox Worten, frei. In meinem bevorzugten Supermarkt, nahe meiner Behausung, kaufte ich Huhn, Gemüse und einen Becher Creme fraiche. Ein paar Clementinen sollten mir als süßer Nachtisch dienen. Ich ließ mich sogar auf einen kleinen Schwatz mit der Kassiererin ein. ›Schöne Bluse. Schöne Clementinen. Schönes Wetter.‹

Die Tiefgaragenanlage mit meinem Wagen sah nicht abgebrannt aus. Der schmucklose aber gepflegte Altbau, in dem ich wohnte, war fünf Stockwerke hoch und in den Wohnungen hatte man viel Raum für Licht gelassen. Meine neunzig Quadratmeter reichten mir völlig. Es gab zwar keinen Balkon, dafür aber auf dem Dach eine Gemeinschaftsterrasse für alle. Hoch ging ich nie, weil ich Angst hatte, jemandem zu begegnen.

Briefkasten. Werbung und eine Weichspülerprobe.

Lift aus verschweißtem Edelstahl ohne Musik.

Fünfte Etage.

Apartment 508.

Schlüssel.

Tür nicht abgeschlossen?

Ich stutzte. War ich vor einem Monat so in Gedanken gewesen?

Als ich den Flur betrat, hörte ich, dass der Fernseher lief. Evie war da!

Der Besuch meiner besten Freundin kam mir entgegen. Sie hatte schon immer ein Händchen dafür, in den richtigen Momenten, bei mir aufzutauchen.

»Hallo, mein Schatz« rief ich erfreut. Es roch wieder nach Fremdgel. Diesmal bis in den Flur. Von diesem aus ging es rechts in mein Ankleidezimmer und links in das Bad.

Als ich geradeaus ins Wohnzimmer trat, gab mir jemand ein sehr gleichgültig klingendes: »Hallo« zurück.

Zu meiner großen Überraschung, saß auf meiner dunkelblauen Couch nicht Evie, sondern ein jungen Mann, der mir völlig unbekannt war.

Bemerkenswerterweise blieb mein Erschrecken auf kleinem Niveau. Irgendwo auf dem Weg in mein Hirn war es steckengeblieben. Womöglich, ich wollte das später durchdenken, lag es am Anblick des hübsch zu nennenden Burschen.

Erster Eindruck am Tatort: Das kleine Bärtchen, das zweigeteilt über seinem Mund, entlang des Kinns und senkrecht darüber verlief, verlieh seinem schmalen Gesicht einen frechen Ausdruck. Quasi musketierartig. Die schulterlangen, braunen Haare hatte er sich hinter die Ohren geklemmt. Der schlanke Körper steckte in einem hellen T-Shirt und einer, schon vom Hersteller aufgerissenen, dunklen Jeans. Sein rechtes Bein war waagerecht über das linke gelegt und der daraufsitzende Turnschuh wippte unablässig auf und ab. Keine erkennbare Waffe.

Obwohl ich ihn auffällig musterte, nahm er keine Notiz von mir, sondern starrte nur auf ein Fußballspiel vor sich  in meinem TV-Gerät.

Ich sah mich kurz um, ob weitere Besucher anwesend waren, konnte sonst aber keine entdecken. Das dunkle Parkett war nirgendwo aufgerissen oder zeigte Hinweise auf ein Lagerfeuer, an den neoklassizistischen Möbeln standen die Schubladen nicht offen und die, zwei Wände bedeckenden Bücherregale waren auch noch an ihrem Platz. Der Zustand der, bis zum Boden reichenden Vorhänge war tadellos und die antiquarischen Drucke von Ausgrabungsstätten in Griechenland fanden sich vollzählig oberhalb der Tapete. Mit der Einrichtung war offensichtlich alles in Ordnung. Auf den ersten Blick fehlte hier nichts. Alles war sauber und wirkte unangetastet. Aber was sah man auf einer Fernbedienung schon ohne Puder und Klebestreifen.

Ich setzte mich zu ihm. Mein Hochgefühl hatte mich noch nicht verlassen und ich war zu jeder Schandtat bereit. Gute Laune zu haben, machte einen weniger ängstlich.

»Du bist nicht ›Schatz‹«, sagte ich gelassen, zog aber eine Augenbraue hoch, »Darf ich fragen, was du hier machst?«

»Ich seh mir das Spiel an«, antwortete er unberührt.

»Entschuldige meine Neugier, wer bist du?«

»Ignorier mich einfach, so lange du dazu im Stande bist.«

»Ich bin Polizist. Musst du dir Sorgen machen?«

»Aber nicht doch. Keine Spur.«

Der Klang seiner Stimme, die Entspanntheit seines Körpers und die merkwürdige Selbstverständlichkeit, mit der er die Situation zu betrachten schien, ließ mich glauben, dass keine Gefahr von ihm ausging.

»Dir ist schon bewusst, dass das meine Wohnung ist?«, fragte ich, wobei es mehr wie eine Feststellung klang.

Mein Blick fiel auf die flachen aber deutlich sichtbaren, sehnigen Muskeln unter seiner leicht sonnengebräunten Haut. Nicht, dass mir derartige Äußerlichkeiten besonders ins Auge stachen. Einem Bullen fallen solche Details eben auf. Ich hatte gelernt, mich für derartige Dinge zu interessieren. Auch für sein leicht welliges Haar.

»Ja klar. Meine ist drei Etagen tiefer gelegen. Sieht ganz ähnlich aus. Ich habe nur … Das war doch kein Foul! … weniger Möbel.«

»Gibt es hier etwas von besonderem Interesse für dich?«, fragte ich weiter, erstaunlich gelassen.

»Dein Sportsenderpaket. Alles live. Nicht grade billig.«

»Gehst du, wenn das Spiel zu Ende ist?«

Ich bekam keine Antwort.

Mit Leichtigkeit wäre es mir gelungen, ihn ohne die Möglichkeit einer Gegenwehr, innerhalb von sechs Sekunden aus meiner Wohnung zu schaffen. Aber die Situation war so bizarr, dass ich mich auf sie einließ. Vorerst – mit wachsamen Sinnen.

Ich lebte, bisher allein, seit gut einem Jahr in dieser Eigentumswohnung und außer meiner Freundin Evie und mir, hatte sie niemand bisher betreten. Alles war von mir neu eingerichtet und seither nicht mehr verändert worden. Das war durchaus gewollt. Keine alten Erinnerungen, keine vertrauten Gerüche, keine quälenden Bilder. Die Kopien in meinem Kopf genügten vollauf.

Es herrschte sozusagen Seelenhygiene. Die Kissen rochen einzig nach mir, so dachte ich jedenfalls. Meine Augen durften in diesen Zimmern auf alles fallen, ohne dass mir ein ablenkender oder vielleicht sogar schmerzlicher Gedanke kam.

Da die Tür nicht beschädigt war, gab es bestimmt eine logische und sogar für mich nachvollziehbare Erklärung für die Anwesenheit meines männlichen Fußballfans.

Ich ging in meine offene Küche, die komplett aus Naturholz gearbeitet war und begann mir lautstark Abendessen zu machen. Vielleicht vertrieb ihn das ja oder schreckte ihn wenigstens auf.

Die gewünschte Kontaktsperre, so lange das Spiel lief, akzeptierte ich nicht.

»Möchtest du auch etwas essen?«, fragte ich ins Blaue hinein, ohne mit einer Antwort zu rechnen.

»Was willst du denn machen?«

Immerhin eine offene Gegenfrage.

»Hühnerbrust und Gemüse. Clementinen danach.«

»Creme fraiche?«

»Fände ich schön.«

»Ich auch. Danke für das spontane Angebot.«

Er war also ein Mensch mit Bedürfnissen. Ich führte den Gedanken zu Ende und brachte meine neuerworbene Sonnenschutzcreme in das Bad. Auch hier hatte sich nichts verändert. Auf der Klobrille lag sogar noch mein Handtuch.

»Was massiert der denn da noch an ihm herum? Er steht doch schon wieder!«, hörte ich es im Wohnzimmer rufen.

»Klingt irgendwie schlüpfrig. Schaust du noch Fußball?«, gab ich zurück.

Null Reaktion. Wollte ich einen humorlosen Gast an meinem beglückenden Feiertag?

Ich verließ das Bad, lief direkt durch sein Blickfeld und öffnete die Fenster, so weit es nur ging. Noch eine Möglichkeit, ihn im Notfall hinauszubefördern. Dann ging ich auf demselben Wege zurück und hoffte auf ein Zeichen von ihm, erntete aber nur eine Körperbewegung des Ummichherumsehens, da ich ihm störend im Wege stand.

Ich verzog mich in den Küchenbereich und war zumindest einmal durch meine Wohnung gewandert. Nicht ganz. Das Schlafzimmer hatte ich ausgelassen. Aber wenn er das Klo nicht benutzte, würde er sich an meinem Doppelbett auch nicht vergehen. Außer diesem, und zwei Nachttischen mit Mahagoni Furnier, gab es dort nichts zu holen.

»Bist du öfter hier?«, fragte ich mit gelangweilter Stimme.

»Nur manchmal, wenn du nicht da bist.«

Erfrischend! Welch geistreiche Antwort! Er wäre mir sicher schon einmal aufgefallen.

»Nun hau ihm doch zwischen die Beine!« Er hüpfte nach oben.

›Gute Idee‹, dachte ich. Vielleicht bekäme ich so etwas aus ihm heraus.

Das Essen war fertig. Ich verteilte es auf zwei Teller, befüllte zwei Gläser mit Wasser, lud alles auf ein Tablett und trug dieses hinüber zum Tisch vor meiner besetzten Couch.

»Riecht gut«, murmelte er ohne mich anzusehen.

Ich reichte ihm seine Portion und mir fiel auf, Besteck vergessen zu haben. Als ich mich umdrehen wollte, sagte mein Hausgast: »Schon gut. Ich weiß, wo Messer und Gabeln sind.«

Er stand auf, ging zu den Küchenschubladen und kam, ohne suchen zu müssen, mit den Besteckteilen zu mir zurück.

Auf eine logische Erklärung dafür war ich gespannt.

Seelenruhig begann er zu essen, als sei das alles normal. Langsam, geräuschlos, ohne hungrige Gesten. Es machte mir durchaus Spaß, seinen geschmeidigen Bewegungen zuzusehen.

»Wie bist du hier reingekommen?«, fragte ich ihn.

Er zog, wie nebenbei, ein Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, präsentierte es mir auf der flachen Hand und steckte es wieder ein. »Das darf doch nicht wahr sein! Was macht der denn da?« Er beugte sich leicht vorn über und rieb sich genervt das rechte Knie. »Sauber von der Grundlinie weggekratzt!«

Ich sah zum Bildschirm, wollte sehen, wie lange das Spiel noch lief. Regulär achtzehn Minuten. Es stand 3 : 1 für die Männer in den weißen Trikots.

Als er aufgegessen hatte, erhob er sich, ging ins Bad, wusch sich die Hände und ließ sich dann wieder neben mich fallen. Sein Blick war erneut auf den TV geheftet. Er schlug seinen rechten Fuß auf das linke Knie und wackelte wieder leicht mit seinem Turnschuh, der vollkommen sauber war. Seine Hände waren auffallend schön und seine langen Finger endeten in rechteckig geformten, gepflegten Nägeln. Das Glas hatte er schon zweimal berührt. Ich besaß also seine Fingerabdrücke, selbst wenn er die Fernbedienung gereinigt hatte.

Er kreuzte seine Arme hinter dem Kopf und der dezente Duft seines Körpers wehte zu mir herüber. Er roch wirklich sehr angenehm. Irgendwie weich. Nur war da noch mehr. In konzentrierter, deutlicher Form erkannte ich den vermeintlichen Duschgelgeruch meiner Nachbarn am anderen Ende der Lüftungsanlage. Er war also nicht durch das Bad gekommen, Musketier hatte ihn reingeschleppt! Da soll erstmal einer drauf kommen. Wie lange trieb der Bursche sich schon in meiner Wohnung herum?

Wie beunruhigend diese Frage auch war, mir gefiel seine Anwesenheit. Ein wenig erregte sie mich.

Das Spiel endete glücklich für die Weißen mit 4:1 und der Fernseher wurde nicht mehr gebraucht. Er nahm unser Geschirr, trug es in die Küche und bestückte die Spülmaschine damit. Ich war ihm gefolgt und beobachtete fasziniert, was da geschah.

»Das war merkwürdig«, sagte ich, ohne Vorwurf, zusammenfassend.

»Wenn man darüber nachdenkt, gar nicht so sehr«, gab er leichthin zurück.

»Vielleicht könntest du mir ja was zum Nachdenken geben?«, hakte ich nach.

»Geht leider nicht. Ich muss jetzt los.« Er schnappte sich zwei Clementinen und grinste. »Für das danach.«

»Keine weiteren Infos?«, fragte ich fast schon enttäuscht.

»Immer der Reihe nach. Sonst wird dir noch schlecht.«

Er öffnete die Wohnungstür und verschwand fast geräuschlos, den Schlüssel zu meiner Wohnung noch immer in seiner Hose tragend. Der war aber frech. Durfte ich den behalten?

KAPITEL 2

 

von Kuchengabeln,

nordafrikanischen Staaten

& einem Truck

 

 

Die unerwartete Störung meines häuslichen Friedens beschäftigte mich noch den ganzen restlichen Nachmittag. Welcher Verlauf hätte sich wohl ergeben, wenn statt dem gut aussehenden jungen Mann, ein anderer auf mich gewartet hätte? Der gewährte Bonus machte mich äußerst verdächtigt.

Mir ging durch den Kopf, ob er womöglich ein Freund Evies war, den sie gebeten hatte, hin und wieder in meiner Wohnung nach dem Rechten zu sehen. Sie konnte es schlichtweg vergessen haben, mich darüber zu informieren. Wenn dem so war, wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, mir das einfach zu sagen. Und warum befand sich mein Schlüssel dann noch immer in seinem Besitz? Seine offizielle Lebensmaxime bestand darin, provokant und im selben Maße gleichgültig aufzutreten. Wenn Eigenschaften so ausgeprägt waren, dienten sie meist dazu, etwas Anderes zu verdecken.

Er wohnte im Haus. Ich nahm ihm das ab. Diese Information hatte er mir mit Absicht gegeben. Wie bedrohlich konnte er also sein?

Jede Altersgruppe log anders. Ich kannte fast alle verräterischen Lügensignale und lag selten falsch. Frauen logen besser als Männer, Kinder schlechter als Jugendliche und vor alten Leuten hatte man sich zu hüten. Sie besaßen die beste Kontrolle über das, was sie sagten.

Musketier hatte nicht viel gesagt, aber nichts davon war gelogen.

Wäre mir daran gelegen gewesen, seinen Namen herauszubekommen, hätte ich nicht einmal polizeiliche Dienste bemühen müssen. Jede Wohnung im Haus war ein Kaufobjekt. Eine überschaubare, kleine Welt, in der zwar der eine den anderen nicht unbedingt kannte, alle aber einen Mitgliedsausweis besaßen. Die Verwaltung wusste genau, wer hier im einzelnen wohnte und aufgrund der abgewickelten Geldgeschäfte, einiges über die entsprechenden Eigentümer. Von solchen indiskreten Details konnte mancher normale Vermieter nur träumen. Ein kurzer Anruf bei der schwatzhaften Sekretärin in London und ich wäre umfassend informiert.

›Haben einen Haufen geerbt, sind aber nette Leute. Sie reagiert allergisch auf Vibrationen und er allergisch auf sie.‹ 

Es gab natürlich noch subtilere Möglichkeiten, ihm hinterherzuschnüffeln. Ich könnte mich im zweiten Stock auf die Lauer legen. Wenn er sich zeigte, würde ich ihm auf den Rücken schlagen und rufen: »Und jetzt verstecke ich mich und ich bin nicht bei mir oben!«

Oder ich hing überall, und die Idee reizte mich sehr, ein Phantombild mit seinem Konterfei auf und versprach eine Belohnung bei seiner Ergreifung. Ob zehn Pfund dabei zu wenig waren?

 

Der Abend brach an. Mir fehlte die Lust, noch weiteren Unsinn zu ersinnen und einige Stunden Schlaf aus der vergangenen Nacht. Ich ging ins Schlafzimmer, um mir meine Kuscheldecke zu holen. Doch die war nicht da. Ich hatte sie wohl mit der Bettwäsche zusammen der Reinigung übergeben. Vor meinem geistigen Auge sah ich mein flauschiges Wunder oben auf dem Wäschekorb liegen. Wie unangenehm.

So legte ich mich, ohne meine Beruhigungshilfe, allein auf die Couch und döste ein.

Man träumte bei solchen Gelegenheiten seltsame Dinge. Ich sah einen Pagen, der Fußball spielte. Nach und nach gingen die anderen Spieler vom Feld und er blieb zurück. Aus dem Fußball wurde ein Pferd und der Page ritt galoppierend auf ihm davon. Das Spielfeld verdunkelte sich und wurde zu einem Friedhof. Jemand stand mit dem Rücken zu mir an einem Geländer und weinte.

Durch Mundtrockenheit geweckt, verbrachte ich eine weitere Stunde mit dem Gefühl, nicht ganz bei mir zu sein. Ich versuchte zu lesen, doch die Geschichte erreichte mich nicht. Die Wohnungstür hatte ich mit der Kette gesichert.

Den ersten Ansatz von Dunkelheit nahm ich als Grund, um ins Bett zu gehen. Ich schlief tief und fest ein, durch bis zum nächsten Morgen.

Gegen sechs weckte mich ein Geräusch. Auf der Suche nach dessen Quelle, entdeckte ich den Übeltäter im Küchenbereich. Eine magnetische Tafel, die ich irgendwann, irgendwo hatte anbringen wollen, lehnte nicht mehr gegen die Wand, sondern war, sie hatte sich lange und intensiv darauf vorbereitet, laut scheppernd auf das Parkett gekracht.

Unbewusst fiel mein Blick auf die Wohnungstür. Richtig, die Kette. Hier kam keiner rein.

Bedeutungslos spielte ich mit der Schublade vor mir. Fehlte da nicht eine Kuchengabel? Eine verlegene Übersprungshandlung hatte mich überführt.

Ich sehnte mich nach der vollen Kapazität meines Verstandes. ›Wassergefüllte Becken und Desinfektion‹, schoss es mir in den Sinn. Das Hallenbad war eine gute Idee. Zwei- bis dreimal besuchte ich es in der Woche. Immer früh morgens. Da fand man noch einen Parkplatz und bis auf eine dahindümpelnde Seniorengruppe, war man um diese Zeit ganz allein. 

Ich duschte, trimmte mein Gesichtshaar, in dem einige graue Haare zu glitzern begannen, auf mein bevorzugtes Minimum und verließ, mit einer Sporttasche ausgestattet, die Wohnung.

Den Schlüssel drehte ich zweimal herum und nutzte sogar das obere Schloss. Ich hielt das für ein deutliches Zeichen an andere, draußen zu bleiben.

Die Benutzung der Treppe erlaubte mir einen kurzer Blick in den zweiten Stock. Komm raus, komm raus, wo immer du bist …

Bis zur Schwimmhalle waren es mit dem Wagen nur fünfzehn Minuten. Mit Erleichterung fiel mir ein, eine Jahreskarte mein Eigen zu nennen, denn an der Kasse saß derzeit ein Mann, der mich ansah, als wünsche er sich für Typen wie mich spezielle Schwulenschwimmbäder, auf einer verlassenen Bohrinsel, die kurz davor war, im Meer zu versinken. Woher kam nur der, noch immer weitverbreitete Irrsinnsgedanke von einer Krankheit, die noch dazu ansteckend war?

Ich hatte einmal ein Buch über männliche Ehrbegriffe gelesen und konnte daraufhin mehrere Nächte nicht schlafen und tagelang keine Nachrichten schauen.

 

Nach gut zwei Stunden war ich zurück. Zu trainieren hatte mir gutgetan. Auf dem Weg von der Tiefgarage zum Supermarkt fühlte sich mein Körper jung und mein Geist wunderbar wach an. Beim Schwimmen kräftigte man alle Muskeln und schonte sogar, wenn man es technisch richtig anstellte, den Rücken.

Ich kaufte mir im Markt einen Lufterfrischer für meinen Wagen und versuchte, Evie an die Strippe zu kriegen. Bis zu meiner Abreise wünschte ich mir eine Klärung. Sie war nicht zu erreichen und ich sprach ihr aufs Band.

Es stellte sich heraus, dass ich als Schutzpatron meiner Wohnung ein absoluter Versager war. An der Wohnungstür lief der Versuch, meine Schlüsselgewalt auszuüben, innerhalb eines dreiviertel Tages ein weiteres Mal ins Leere.

Evie? Musketier? Begnadeter, hässlicher Dieb? Ich hatte die Wahl. Auf jeden Fall war es eine Person, die sich von einer doppelt verschlossenen Tür nicht abschrecken ließ.

Bereits im Flur war zu riechen, dass jemand kochte. Evie kochte niemals. Ein Einbrecher nahm sich wohl kaum die Zeit dafür.

Vorsichtig meinen Kopf ins Wohnzimmer reckend, hielt ich Ausschau nach dem Chef de Cuisine.

Am Herd stand der dreiste Bengel von gestern. Heute trug er ein hellblaues Hemd. Die oberen Knöpfe waren offen und gaben den Blick auf sein hervortretendes Schlüsselbein frei. Oberhalb der flachen Brust hing eine dunkle Lederkette um seinen Hals. Diesmal bemerkte ich, dass er auf seinem rechten Mittelfinger einen breiten, silbernen Ring trug. In dieser Hinsicht waren wir spiegelverkehrt.

»Guten Morgen«, sagte ich und ließ eine hintergründige Frage durchklingen.

»Hi. Du kannst mir ruhig auch den Rest von dir zeigen« bekam ich als Antwort.

»Bis du ein Freund von Evie?«

»Wer ist das?«

Da ich weiter annahm, dass er nicht log, fiel meine Freundin als Erklärung für seinen Aufenthalt aus.

»Bis du irgendjemandes Freund?« Vielleicht brachte mich das ein Stück weiter.

»Ich weiß nicht. Glaube nicht. Warst du schwimmen?«

»Warst du gelangweilt?«, fragte ich sofort zurück.

»Nö. Ich dachte nur, ich revanchiere mich für deine Einladung gestern.« Wie selbstverständlich rührte er in einer Pfanne und sah mich nicht an. »Ich weiß, dass du nicht so viel Fleisch isst. Also habe ich uns Eier gemacht. Im Fernsehen läuft gleich ›Black Books‹. Setz dich hin und entspann dich. Schwimmen strengt an.« 

Um mich emotional nicht auf ihn einzulassen, beschloss ich, Musketier als Neutrum ins Auge zu fassen. Also: das Musketier. Es aß. Es trank. Es zog sich aus. Es duschte hinter einer glasklaren Scheibe.

»Woher hast du den Schlüssel zu meiner Wohnung?«

»Von deinem Vormieter James. Wir konnten recht gut miteinander. Er hatte ihn mir gegeben, für den Fall, dass er sich mal ausschließen würde.«

»Und ich habe dich mit dem Kaufvertrag übernommen?«

Er grinste hinreißend frech. Gab es dafür bestimmte Gene? Manche hatten es einfach drauf.

»Kaffee?«, fragte er und stellte den Herd aus.

»Sehr gern.«

»Du bist gut in Form.«

Lief das jetzt immer so? Kaffeedurst führte zu Bemerkungen über meine Figur?

»Danke, Perlman«, sagte ich und er erschrak. Nur ganz wenig. Aber warum?

Ich setzte mich an den Tresen, auf dem schon Teller, Besteck und Gläser drapiert waren.

»Woher weißt du das mit dem Fleisch? Wühlst du in meinem Müll herum?«

»Hat mir die Frau im Supermarkt mal erzählt.«

Ich schüttelte kurz den Kopf als Zeichen meiner Verwunderung.

»Wie darf ich mir vorstellen, lief das ab? ›29,95 bitte und übrigens, Mr Henderson kauft kaum rotes Fleisch?‹« 

»So ungefähr. Magst du Oregano?«

»Ja. Wieso weißt du das nicht?«

Er lächelte und rührte entspannt weiter in dem dampfenden Tiegel.

»Moment mal«, warf ich ein, »Ich besitze gar keinen Oregano.«

»Jetzt schon. Möchtest du ein Glas Milch?« Er öffnete, wie selbstverständlich den Kühlschrank.

»Gern«, sagte ich. Es kannte sich ja gut aus bei mir.

Musketier goss mir Milch ein, stellte die Pfanne mit den gebratenen Eiern zwischen uns ab und tat erst mir und dann sich auf. Ohne ein weiteres Wort begann er zu essen und ich nahm mir, seiner Vorlage folgend, ein frisches Brötchen. Er hatte an alles gedacht. Es gab Butter, Käse und Marmelade, die nicht aus meinen Beständen stammte.

»Hagebutte«, las ich laut vor und stellte das Glas zurück auf den Tresen.

»Du siehst manchmal so blass aus«, sagte das Musketier und begann, sich eine Käsesemmel zu machen, »Hagebutte fördert die Eisenaufnahme.«

Mein persönlicher Schutzpatron funktionierte, laut der in der Werbung angegebenen Parameter, ausgezeichnet. Wo hatte ich nur den Beipackzettel gelassen?

So saßen wir eine Weile, kauten und sahen hin und wieder zum Fernseher hinüber, der ohne Ton vor sich hin flimmerte. Die Eier waren glänzend und luftig, der Oregano in ihnen wohltuend abwechslungsreich.

»Schmeckt es dir?«, fragte er mich.

»Ausgezeichnet. Ich mag kein Rührei mit der Konsistenz von Pappmachéflocken.«

»Geht mir genauso. Eine Gemeinsamkeit!«

»Ja. Und wenn du jetzt noch gern fotografierst, gehen wir als Zwillinge durch.«

Erneutes Schweigen.

»Lass uns eines gleich klären«, sagte ich ohne ihn anzusehen.

»Bin ganz Ohr«, entgegnete er.

»Das mit dem Fußwackeln auf dem Sofa nervt furchtbar. Das lässt du von nun an bleiben.«

»Okay«, sagte Musketier kurz und gelassen, bevor er sich einen nächsten Bissen gönnte. In seinem Gesicht zeichnete sich keinerlei verräterischer Gestus ab.

»Das Frühstück ist insgesamt sehr schön«, sagte ich und mir war sofort klar, dass es so klang, als wolle ich mich bei ihm entschuldigen.

»Du hast schöne Dinge im Kühlschrank«, entgegnete er, »Und du kaufst noch immer für zwei.«

»Tu ich das?«, fragte ich, tatsächlich etwas verwundert.

Musketier starrte auf seinen Teller.

»Woher wusstest du, wann ich nach Hause komme?«, wollte ich wissen.

»Ich hab meine Quellen. Bezieht sich der Ring auf deinem Finger auf die Vergangenheit?«

»Hat dein Ring mit einer aktuellen Freundin zu tun?« Das war ja schlimmer als Jeopardy! ›Ich will lösen. Die Frage lautet: Schläfst du allein?‹ 

Unbewusst nahm ich die, zu meiner Linken für mich bereitgelegte Zeitung und begann, die Spalte mit den Tageskommentaren zu lesen.

›Wieder einmal haben nordafrikanische Staaten …‹, mein Gegenüber riss mir das bedruckte Papier aus der Hand und knallte es zurück auf den Tresen. 

»Beim Sex liest du ja auch keine Zeitung«, murrte er, meine morgendlichen Gewohnheiten rügend.

»Woher willst du das wissen?«, entgegnete ich und  ärgerte mich stante pede über den unbeabsichtigten Vorstoß in meinen Intimbereich. »Außerdem, findest du, dass man Essen und Sex miteinander vergleichen kann?« Der Ärger hatte mein Sprachzentrum noch nicht erreicht.

»Auf jeden Fall«, erläuterte er, seine Theorie untermauernd, »Wenn man es richtig anstellt! Beides hat doch mit Lust zu tun. ›Sie verschlangen einander …‹, ›Zum Fressen gern haben …‹ Das trifft es doch, oder? Außerdem bist du der beste Beweis dafür, dass einem statt Sex, monatelang bloßes Essen reicht.« 

Er zwinkerte mir zu und das plötzliche Gefühl des Ertapptseins überdeckte zunächst die naheliegende Frage, woher er so viel über mich wusste, ob ich in den letzten Monaten, sagen wir es gemäßigt, beobachtet worden war. Zwischen meine Scham und diese wichtigen Fragen drängte sich zudem die Besorgnis, an einer Spielart meiner Ehre gekratzt worden zu sein, von der ich glaubte, sie längst überwunden zu haben. Ich schwieg besser zu diesem Themenbereich. Diese Quizrunde ging an ihn.

»Ich muss für ein paar Tage weg«, sagte ich, einer spontanen Eingebung folgend, »In einer Stunde fahre ich los. Du hast die Wohnung vollkommen für dich allein.« Mein stichelnder Unterton war mir durchaus bewusst.

»Das find ich nicht gut«, sagte Musketier und starrte mich plötzlich an.

»Was stört dich daran?«, fragte ich, durchaus zufrieden mit meiner Attacke.

»Dass du nicht da bist«, er sah zurück auf sein Essen, »So etwas macht mich immer nervös.«

»Entschuldige!« Meiner gespielten Entrüstung fügte ich eine Prise Bedauern hinzu.

»Geht es weit weg?«, fragte Musketier matt.

»Es geht.« Endlich hatte ich etwas gefunden, das ihn aus der Reserve zu locken schien.

»Fährst du allein?«

»Ja«, mein eben begonnenes Grinsen über dem Essen verbreiterte sich. Wohin führte das wohl?

»Du hast Sonnencreme eingekauft. Also geht es vermutlich irgendwo an die Küste.«

»Hast du das auch von deiner Quelle im Markt?«, fragte ich und sah ihn an. Mein aufkommendes Unwohlsein wurde aber sofort von der Erkenntnis geschlagen, ihn womöglich am Haken zu haben, was spannender für mich war.

»Nein«, entgegnete er schmunzelnd. »Mir fällt nur auf, wenn sich Neues im Bad befindet.« Er stellte das Geschirr ineinander und trug es zur Spülmaschine. »Fast acht Pfund für eine Sonnencreme auszugeben, ist übrigens totale Verschwendung. Die Billigen sind oft die Besten. Sieh mich an.«

Das tat ich. Das tat ich die ganze Zeit und mir gefiel immer mehr, was ich da sah.

»So billig wirkst du auf mich überhaupt nicht«, sagte ich wie nebenbei und sah auf die Uhr.

Da er mir den Rücken zuwandte, entging mir die Reaktion in seinem Gesicht.

Ich sah ihm fasziniert zu. Das System, dem er folgte, ließe jede Hausfrau in Freudentränen ausbrechen. Als Wasser im Geräteinneren zu spritzen begann, fiel sein Blick auf meinen frisch erstandenen Lufterfrischer.

»Ein Autoduft?«, fragte er, als stünde ich als Beschuldigter vor einem Ökogericht.

»Für meine Fahrt.«

»Sommerbrise?« Er runzelte abwertend die Stirn.

»Genau danach ist mir zur Zeit.«

»In einer Wolke aus Sommerduft fuhr er ans Meer«, deklamierte das Musketier und ich hatte ein wenig den Eindruck, dass er sich lustig über mich machte.

»Was meinst du?«, fragte ich nachdenklich und betrachtete ihn von oben bis unten, »Ob es schon Zeit ist für mich, dir einen Namen zu geben? Musketier kann ich dich ja schlecht nennen.«

Ich war so sehr an diese Bezeichnung gewöhnt, dass ich vergessen hatte, wie neu sie für ihn klingen musste.

»Das ist doch kein Musketierbart«, gab er beleidigt zurück, »Der wäre viel länger und voller. Das hier ist eher an …«, er überlegte kurz, »Guy Fawkes angelegt.«

Ich grinste. »Du hältst dich also für einen Guy Fawkes?«

»Ja klar«, murrte Nichtmusketier, verdrehte die Augen und sah sich um.

»Na, zum Glück ist ja erst Mitte August. Bumm!« Ich fand mich witzig. »Was ist denn nun mit dem Namen?« So leicht wollte ich ihn nicht davonkommen lassen.

Er drehte sich zu mir um, steckte die Hände in die vorderen Hosentaschen und hielt seinen Kopf leicht schräg und geneigt, wodurch einige Haarsträhnen in sein Gesicht fielen. Zum ersten Mal sah er mich länger als für eine Sekunde an.

»Miau«, gab er von sich, löste sich sofort aus seiner Haltung und ging in Richtung des Flures. »Ich geh jetzt packen. Und es geht erst in zwei Stunden los. Ich will mich vorher noch duschen.«

Er verschwand, schloss die Tür hinter sich und ich konnte ihn nur, mit offen stehendem Mund, bewundern.

 

♣ ♣ ♣

 

Mir bot sich die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Entweder, wartete ich tatsächlich zwei Stunden und darauf, dass mich Musketier abholen würde, oder ich setzte mich, wie geplant, einfach ins Auto und fuhr ohne ihn weg. Während ich mir blöd vorkam, verging die Zeit überaus schnell. Ich trödelte mehr als gewöhnlich beim Packen und fand plötzlich, dass nochmaliges Duschen auch seine Vorteile hatte. Fußpilzbekämpfung und Duftigkeit.

Immer wieder schweifte mein Blick zur Uhr. Noch zwanzig Minuten. Noch zehn. Ein bisschen früher zu kommen, wäre höflich gewesen. Lag im Kühlschrank etwas, das verderben konnte? Krümel an meinem Stuhl! Die konnte ich noch rasch dem Mülleimer übergeben.

Die Zeit war um. Kein Zeichen von Musketier. Ich saß wie ein Trottel in meiner Wohnung und wurde offensichtlich von einem mir völlig fremden versetzt. Was die eben noch in mir schleichende Freude betraf, so war diese schreckhaft im Dunklen verschwunden. Gespinste aus uralten Zeiten traten zum Vorschein und ich verfing mich zusehends in ihnen.

Mit mulmigem Trotz wartete ich noch fünfzehn Minuten und kam mir immer törichter vor. Warum brauchte die verdammte Spülmaschine so lange? Das Sparprogramm hätte es auch getan. Vermutlich saß der Kerl unten vor seiner Spielekonsole und hatte inzwischen vergessen, was sonst noch um ihn herum geschah.

Genug ist genug. Ich schnappte mir meine Taschen, verließ eilends die Wohnung und machte mich auf zur Tiefgarage. Hatte ich in den Zimmern irgendwo das Licht brennen lassen?

Das Parkareal wurde von drei älteren Männern bewacht, die sich auf eine verdächtige Art ähnlich sahen. Tag und Nacht saß einer von ihnen im Aufsichtshäuschen, öffnete und schloss die Schranken, sorgte für Sauberkeit und informierte einen, wenn es Probleme gab. Die Renten wurden auch immer kleiner. Genaugenommen war der Stellplatz ein teures Vergnügen. Aber bei meinem Wagen lohnte es sich.

In der Halle roch es immer nach Öl und Benzin. Obwohl man die sonst üblichen, kalten Leuchtstoffröhren durch angenehmere Lampen ausgetauscht hatte, fühlte man sich wie auf einem Maschinenplaneten. Bumblebee wagte es nur nicht, vor mir zu tanzen.

Mein fester Stellplatz befand sich am hinteren Ende der Garage und war breiter als die üblichen Nischen. Als ich dort ankam, glotzte die feige Freude in mir neugierig aus ihrem Versteck. Mein Auto hatte Gesellschaft.

Ein Musketier, in lässiger Haltung, lehnte mit dem Rücken an der Beifahrertür meines weiß/grauen Rovers und las ein Buch. Er hatte sich umgezogen. Auf seinem Kopf saß ein Basecap, auf dem »England forever« stand. Darunter fiel ein weißes T-Shirt über eine hellblaue, verwaschene Jeans. Neben ihm standen ein Rucksack und eine kleine Tasche aus Leder. Geschniegelt, gebügelt und abreisefertig.

Touché, d’Artagnan!

Um seinen Triumph nicht noch zu vergrößern, ersparte ich mir die Frage, woher er wusste, welchen Wagen ich fuhr. Zudem, der Rover fiel auf und er hatte mich sicher gelegentlich mit ihm gesehen.

Ich mochte kantige Geländewagen schon immer, so lange die Modelle kurze Übergänge besaßen. Allein hätte ich mir ein solches Gefährt aber niemals gekauft. Jetzt war ich froh, ihn zu haben. Er war oft mein zweites Zuhause und wenn ich schon so viele Meilen durch die Gegend kutschieren musste, sollte es mir wenigstens gut dabei gehen.

Man wusste auch nie, in welche Gegend es einen verschlug. Außerhalb der gepflegten Orte, konnte die Natur hier recht wild und ablehnend sein. Ich hatte schon Querfeldeinfahrten bewältigt und einen Flüchtigen durch einen Fluss verfolgt. Ein paar Hengste mehr unter der Haube, sorgten auch für Sicherheit beim Überholen.

In meinem Rover hatte ich noch nie das Gefühl gehabt, in einem Tunnel ersticken zu müssen. Der große Kofferraum fasste spielend Gepäckstücke in großer Zahl, ohne dass Tetris notwendig war. Beim Kauf vor vier Jahren war uns das wichtig gewesen. Das Holzfurnier im Innern glänzte wie damals. Und auf dem Rücksitz lag eine Decke, die noch immer nach Tyler roch. Nach einem Ausflug nach Yorkshire, hatte er sie dort abgelegt. Für immer.

Also gut. Musketier war fest entschlossen, mir Reisebegleiter zu sein.

Wortlos ging ich zum Kofferraum, öffnete ihn und legte meine Taschen hinein. In welcher befand sich der Lufterfrischer?

»Ist deine Uhr kaputt?«, fragte Musketier mürrisch, schlenderte gemächlich um den Wagen herum, warf seine Gepäckstücke zu den meinen, entnahm dem Rucksack noch schnell eine Wasserflasche und schickte sich an, einzusteigen.

Mit Bewunderung für seinen Schneid, den er durchaus elegant zu verpacken wusste, schloss ich energisch die Kofferraumklappe.

»Einen Augenblick«, forderte ich, um dem Stürmer zu zeigen, dass er am Verteidiger noch nicht ganz vorbei war. »Die ›Ich-irritiere-gern-andere-Leute-Nummer‹ ist ja recht niedlich, aber bevor es losgeht, würde ich gern deinen Namen kennen.« 

»Chris«, sagte Chris.

»Und weiter?«

Musketier ging zur Beifahrertür, drehte sich zu mir um, richtete seinen Körper stramm auf und salutierte. »Macpherson, Sir! Alter: gerade noch so achtundzwanzig! Gewicht: fünfundsiebzig Kilo, was rund 11,8 Stone entspricht! Haare: durchgehend musketierdunkelbraun! Schwanzlänge: neunz…!«

»Hör auf! Das reicht fürs Erste.« Unsere Stimmen hallten durch den ganzen unterirdischen Raum. Niemand konnte mich als ausgeprägt prüde bezeichnen, aber in diesem Moment sah ich mich um, denn der Bengel scherte sich anscheinend keineswegs darum, ob man ihn hörte.

Mit einem: »Jawohl, Sir! Wie Sie wünschen, Sir!« beendete er seine Verkündigungen, senkte den Arm und stieg in den Wagen.

Dieser Bursche hatte es tatsächlich geschafft, mir kurzzeitig Verunsicherung durch den ganzen Körper zu donnern. »Achtundzwanzig! Neunz…!«, hallte es in meinem Kopf. Alter Schwede …

Ich hatte gerade meine Tür geschlossen, als mich mein Fahrgast stirnrunzelnd ansah.

»Was ist das für ein Geruch?«, fragte er vorwurfsvoll. Die Fahrt wurde bestimmt unterhaltsam.

»Was meinst du?«, gab ich zurück, denn ich verstand nicht, wovon er sprach.

Er kam mit dem Kopf ein Stück näher und schnüffelte an mir herum. »Das ist nicht dein übliches Parfum.«

Überrascht sah ich zu ihm. Er zog den Kopf zurück, wie eine Katze, der man auf die Nase geschlagen hatte.

»Ich habe mir ein neues gekauft.«

»Warum?«

»Warum nicht«, fragte ich belustigt, denn ich war bisher davon ausgegangen, dass es meine Entscheidung war, wonach ich roch.

»Das alte gefiel mir besser. Passte super zu dir«, sagte Chris und entschloss sich, aus seinem Seitenfenster zu starren. Fast hatte ich den Eindruck, als schmolle er, was ich durchaus anziehend fand. Zu meinem Leidwesen musste ich mir gestehen, dass er recht mit seiner Aussage hatte.

Ich heiße sie herzlich Willkommen in meinem Leben, Musketier Chris Macpherson!

Einen Moment lang hielt ich eine fragile Stimmung fest, die lange keinen Platz mehr in mir gefunden hatte.

»Die Dinge da draußen bewegen sich nicht«, knurrte es neben mir.

»Schnall dich an«, sagte ich karg.

»Ich bin angeschnallt.«

»Und warum leuchtet die Lampe dann hier?«, fragte ich mit einer Spur Klugscheißerei.

Chris beugte sich langsam zu mir herüber, zog meinen Gurt an mir vorbei, ließ ihn ins Schloss zu meiner Linken klicken und rastete wortlos in seiner alten Position wieder ein.

Mit einer entschlossenen Geste, startete ich den Wagen.