Das Paradies am Rande der Stadt - Volker Strübing - E-Book

Das Paradies am Rande der Stadt E-Book

Volker Strübing

4,9

Beschreibung

In naher Zukunft, ganz in der Nähe von Berlin: EDEN, der mächtigste Konzern der Welt, bietet seinen Kunden nur ein Produkt an: vollkommenes Glück. Kostenlos. Man muss nur seine Menschlichkeit aufgeben - ein Preis, den Millionen von Verzweifelten gerne zahlen in einer Welt, in der Ich-Religionen boomen und die Menschen Arbeitsplätze mieten, um ihrem Dasein wenigstens den Anschein einer Berechtigung zu geben. Dies ist die Geschichte von Eva, die das Paradies verlässt, um ihren verschwundenen Geliebten Adam zu suchen, von Theo, der sich mit der Rettung der Welt und anderen Teenagerproblemen herumplagt sowie von Dante und seinem Hass auf Eden. Gejagt von Seelenfängern, Konzernpolizisten und der neupreußischen Kirche müssen sie die Geheimnisse von Himmel, Erde und Unterwelt lösen und sich schließlich der Apokalypse stellen.

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Originalausgabe erschienen beim yedermann Verlag, München 2005

Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2013© by Verlag Voland & Quist – Greinus und Wolter GbRUmschlaggestaltung: HawaiiF3, LeipzigSatz: Fred Uhde, Leipzig

Druck und Bindung: C.P.I. Moravia, Czech Republic

ISBN 978-3-86391-032-7

www.voland-quist.de

Prolog

Und sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und schämten sich nicht.

1. Buch Mose 2:25

Evas letzter Tag im Paradies war wunderschön. Nicht, dass es hier jemals Tage gegeben hätte, die nicht wunderschön gewesen wären. Doch dieser war ganz besonders wunderschön. Wie auch der Tag davor und der Tag davor und überhaupt jeder Tag, an den Eva sich erinnern konnte.

Mit ausgebreiteten Armen sprang Eva in die Höhe, ließ den Garten Eden unter sich zurück und schoss hinauf zu den herzallerliebsten Wattewölkchen am paradieshimmelblauen Paradieshimmel, um mit einem Schwarm schillernder Regenbogenflamingos um die Wette zu fliegen. Ihr Kleidchen flatterte im Wind auf die einzige Weise, die hier im Himmel möglich schien: fröhlich. Sie schlug ein paar Purzelbäume, jagte einigen Schwänen hinterher und ließ sich schließlich mit einem Seufzer auf eine Wolke fallen.

Die Sonne schien auf ihren Bauch, und Eva war glücklich. Nicht, dass sie jemals nicht glücklich gewesen wäre, aber dies war doch ein ganz besonderes Glücksgefühl. Nur zu vergleichen mit den Wogen der Glückseligkeit, die sie sonst immer durchströmten.

Nach einer Weile richtete sie sich auf, ließ die Beine vom Rand der Wolke baumeln und blickte hinab auf das Paradies. Eine Strähne ihres blonden Haares fiel ihr ins Gesicht; sie schob sie mit der Hand hinter das Ohr. Direkt unter ihr glitzerte ein See, in dessen kühlem Wasser sie am Morgen mit den Delphinen geschwommen war. Am weißen Strand des Sees stand ein Einhorn und schaute zu ihr hinauf. Sie winkte ihm zu. Noch vor einer halben Stunde war sie auf seinem Rücken durch rauschende Wälder geritten, über duftende Blumenwiesen und mit großen Sprüngen hinweg über Bäche, in denen Milch und Honig flossen.

Ihr Blick fiel auf eine dunkle Gebirgsformation in der Ferne; schroff und kahl, abweisend und drohend ragten die Berge in den Himmel. Das Gebirge verhielt sich zum Paradies exakt wie eine behaarte Warze zum Gesicht eines hübschen Mädchens.1

Eva hatte das Gefühl, dass eine Wolke sich vor die Sonne in ihrem Herzen schob. Schnell wandte sie sich ab. »Angst« hatte der liebe Gott dieses Gefühl einmal genannt und erklärt, es rühre daher, dass hinter jenen Bergen der Baum der Erkenntnis wachse.

»Baum der Erkenntnis?«

»Ja, liebe Eva. Dieser Baum ist das Einzige, was du fürchten musst, denn wenn du von seinen Früchten kostest, muss ich dich verstoßen!«

»Aber warum steht der Baum da? Bitte mach ihn weg. Ich will nicht an ihn denken müssen!«, hatte sie ihn angefleht, doch der liebe Gott hatte den Kopf geschüttelt: »Er muss dort wachsen für den Fall, dass du den Garten Eden jemals verlassen möchtest. Er ist dein Weg nach draußen.«

»Draußen, lieber Gott? Was meinst du damit?«

»Die Hölle.«

*

Hinter ihr kicherte jemand. Sie drehte sich um und jauchzte vor Freude: Adam schwebte breit grinsend heran und winkte ihr mit seinen dünnen Ärmchen zu.

»Oh Herr, ich danke dir, dass du mir den besten aller Männer zur Seite gegeben hast«, rief Eva. Nicht, dass es außer Adam noch andere Männer im Paradies gegeben hätte.

»Hallo Eva, meine Geliebte! Ist das nicht ein wunderschöner Tag?!«

»Komisch, das Gleiche habe ich auch gerade gedacht! Ein wunderwunderschöner Tag.«

»Das muss an deinen Grübchen liegen, Eva!« Der Junge war inzwischen heran und ließ sich in ihre Arme sinken. Sie strich ihm mit der Hand durch das fettige Haar und küsste einen frisch erblühten Mitesser auf seiner Wange. »Was meinst du, wollen wir Gott fragen, ob er eine Runde Mensch freue dich mit uns spielt?«

»Tolle Idee! Genau das richtige Spiel an einem so fantastischen Tag wie diesem!«

Sie schlossen die Augen, falteten die Hände und murmelten ein kurzes Gebet. Kaum hatten sie »Amen« gesagt, ertönte ein Tusch aus tausend Posaunen, die Luft flimmerte kurz, und Gott stand zwischen ihnen.

»Hallo ihr zwei!«, sagte er freundlich, zog seine Sandaletten aus, schürzte das Gewand und ließ sich im Schneidersitz nieder. Der weiße Bart bedeckte seinen Schoß. Er schmunzelte. »Na, ich sehe euch euren Wunsch doch schon an den Nasenspitzen an.«

Gott zog ein dreieckiges Spielbrett unter seiner Toga hervor und legte es zwischen sie. Spielfelder liefen an den Rändern entlang, und in der Mitte war zur Verzierung ein großes Auge in einer Pyramide aufgemalt, das hin und wieder freundlich zwinkerte. Der liebe Gott verteilte die Spielfiguren – hellblaue für Adam, rosafarbene für Eva und für sich selbst Figuren, die in allen Regenbogenfarben schillerten. Dann reichte er Eva den Würfel, zwinkerte ihr zu und bat sie, zu beginnen. Mit einem Lächeln nahm sie ihn entgegen und ließ ihn über die Wolke rollen.

»Eine Drei!«, jubelte sie, als der Würfel liegen blieb. »Ist das nicht herrlich?« Übermütig warf sie sich Adam an den Hals und küsste ihn, dann nahm sie eine ihrer Spielfiguren, setzte sie auf das rosa Startfeld und zog sie drei Felder weiter. »Du bist dran!«, rief sie dem himmlischen Vater zu und schnippste den Würfel zu ihm hinüber.

Und Gott würfelte.

»Fünf!«, kreischten Adam und Eva gleichzeitig und fielen sich in die Arme. Gott lächelte nachsichtig und setzte sein Figürchen.

Die Zeit verging wie im Fluge. Sie würfelten und zogen mit ihren Figuren Runde um Runde, jeder Wurf wurde begeistert gefeiert, und wann immer jemand eine Sechs würfelte, ließen die anderen ihn hochleben, ein Chor von Engeln sang »Hoch soll er leben!« und über ihnen erblühte ein prächtiges Feuerwerk. Und immer, wenn sich zwei verschiedenfarbige Figuren auf einem Spielfeld trafen, zogen ihre Besitzer die Kleidung aus, stürzten sich aufeinander und liebten sich, wie man sich wohl nur auf einer Wolke mitten im Paradies lieben kann.

Nach einigen Runden schließlich trafen sich eine regenbogenfarbene, eine rosane und eine blaue Figur auf einem Feld. »Dreier!«, schrieen Gott, Eva und Adam. Sie sprangen auf, umarmten sich unter fröhlichen Hosianna- und Gelobt-sei-Er- bzw. -Ich-Rufen und was dann geschah, soll nicht durch die Detailschilderungen entwürdigt werden.

»Was für ein wunder-, wunderschöner Tag«, seufzte Eva Stunden später, als die Sonne längst untergegangen war und der Mond ihre nackten, ineinander verknäulten Körper beschien.

»Ja und das beste: Morgen wird genauso ein wunderschöner Tag. Stimmt’s Gott?!«

»Sicher. Schlaft jetzt. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Gott!«

Gott gab ihnen noch einen Kuss auf die Stirn, dann verwandelte er sich in eine weiße Taube und flog davon.

»Gute Nacht, Eva!«, sagte Adam.

»Gute Nacht, Adam!«, antwortete Eva und kuschelte sich an seinen dürren Körper.

*

Der nächste Morgen war wunderschön, und obwohl Eva nichts anderes erwartet hatte, erfüllte ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit ihr Herz. Sie räkelte sich ausgiebig und dachte darüber nach, wie perfekt Gott alles eingerichtet hatte.

Ihren Traum hatte sie schon fast wieder vergessen, einen Traum voller … Kühle … aber nicht jener angenehmen, erfrischenden Kühle eines Bades im See, sondern … Eva schüttelte sich. Dann ließ sie sich vom Rand der Wolke kullern und sank wie eine Feder zu Boden.

Nachdem sie ein Bad genossen und einige Früchte von den Büschen am Ufer gegessen hatte, faltete sie die Hände und bat Gott, sie zu Adam zu bringen. Die Aussicht, diesen herrlichen Morgen mit einem Liebesspiel zu krönen, ließ sie vor Vorfreude erschauern.

Als sie die Augen öffnete, sah sie statt Adam den himmlischen Vater persönlich vor sich. Er trug wie üblich sein weißes Gewand, Sandaletten an den Füßen und einen Heiligenschein über dem bärtigen Haupt. Doch irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Seine Mundwinkel waren ein wenig nach unten gebogen, auf der Stirn stand eine steile Falte, und seine Augenbrauen schienen einen nach unten offenen Halbkreis bilden zu wollen.

Erneut lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter. Kein Glücksschauer diesmal, kein angenehmes Gefühl, sondern … Eva kannte kein Wort, um es zu beschreiben. Es erinnerte sie an die Angst, die sie in der Nähe des Baumes der Erkenntnis erlebt hatte. »Was ist los, lieber Gott? Du guckst so … so …« Sie brach ab.

»Traurig«, sagte Gott. »Ich gucke traurig.«

»Traurig? Was bedeutet das?«

»Das wirst du bald erfahren, arme Eva. Adam hat uns verlassen.«

Etwas geschah mit ihrem Herzen. »Verlassen?«

»Er ist weg.«

»Und wann kommt er wieder?«

Gott atmete tief durch. »Niemals, fürchte ich.«

Evas Augen füllten sich mit Freudentränen. Dabei freute sie sich gar nicht. Gab es noch andere Gründe, Tränen zu vergießen? Plötzlich schüttelte sie sich, krümmte sich zusammen und machte merkwürdige Geräusche und nichts davon konnte sie kontrollieren. Es kam über sie wie der Höhepunkt beim Liebesspiel, aber es … es tat weh. Als würde ihr Adam zärtlich in den Nacken beißen – doch der Schmerz war in ihrem Brustkorb und viel stärker. Sie war nicht glücklich dabei, sondern … das Gegenteil, wie immer man es nennen mochte.

»Das heißt es, traurig zu sein«, sagte Gott und strich ihr mit der Hand über den Kopf.

»Bitte, bitte mach, dass das aufhört!«, brachte Eva hervor, wobei sie mehrmals von einem Schniefen unterbrochen wurde, das ganz tief aus ihrem Bauch kam und sich nicht abstellen ließ. »Bitte bring mich zu Adam!«

»Adam ist in der Hölle, Eva. Er hat vom Baum der Erkenntnis gegessen.«

Eva schrie auf: »Nein! Das würde er nie tun! Er liebt mich doch, warum sollte er mich verlassen?«

»Nicht nur meine Wege sind unergründlich«, seufzte Gott.

»Aber ich kann nicht leben ohne ihn! Und er kann nicht leben ohne mich!«

»Hmm … weißt du, vom Baume der Erkenntnis zu essen heißt, die Hölle kennenzulernen. Der Preis dafür ist der Verlust des Paradieses und jeder Erinnerung daran. Er hat dich vergessen, Eva. Nur in seinen Träumen kennt und liebt er dich noch. Träume sind eine Brücke. Erinnerst du dich an deinen schrecklichen Traum heute Nacht? Du hast von der Hölle geträumt.«

»Kannst du ihn zurückholen?«

»Leider nicht. Als er den Apfel aß, entschied er damit auch, dass ich keine Macht mehr über ihn haben solle.« Gott erhob sich, lief ein paar Schritte hin und her, dann blieb er, das Gesicht von Eva abgewandt, stehen. »Allerdings könntest du ihn zurückholen.«

Eva blickte auf und wischte sich mit dem Arm die Tränen aus den Augen. »Ich? Wie denn?«

»Folge ihm. Folge ihm in die Hölle.«

 

1 Aus »D(üstere Gebirgsformation)/P(aradies)=W(arze)/H(übsches Mädchengesicht)« folgt übrigens H=PxW/D. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie hübsch hübsche Mädchengesichter sind, bekommt man eine Vorstellung davon, wie schön das Paradies sein muss, um nach der Multiplikation mit einer schwarzen Warze und Divison durch ein düsteres Gebirge noch etwas derart Erfreuliches übrig zu lassen.

Das Glück im Nacken

»Wissen Sie, Jahrtausende lang haben die Menschen geglaubt, man müsse die gesellschaftlichen oder materiellen Bedingungen verbessern, wenn man die Menschheit glücklich machen will. Doch sehen Sie sich an, was dabei herausgekommen ist: Entweder wurde zum Wohle der Gemeinschaft das Individuum unterdrückt und die Gesellschaft in ein Gefängnis verwandelt, oder das Individuum wurde über alles gestellt, die Menschen wurden einsam und rücksichtslos.

Und materieller Wohlstand, das große Versprechen, der große Traum des zwanzigsten Jahrhunderts, schuf statt Glück eine sinnlose Konsumspirale, die in den wirtschaftlichen, ökologischen und moralischen Abgrund führte.

Mir ging es nie um Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Wohlstand, Fortschritt, Erleuchtung oder Ähnliches. Ich glaubte und glaube, das Einzige, was letztlich zählt, ist individuelles Glück.

Mit Eden habe ich der Menschheit den Weg zum Glück erbaut. Ob der Einzelne diesen Weg mitgehen will, bleibt ihm überlassen. Übrigens ein Punkt, der mich positiv von anderen Menschheitsbeglückern unterscheidet.«

(E. R. Lösser am 14.08.2040)

OASE: Riesiger Gebäudekomplex, der eine ganze Stadt aufnimmt. Befindet sich üblicherweise in Konzernbesitz und ist politisch und juristisch unabhängig. Stellen Sie sich einfach eine bewohnte Shopping Mall vor, die einen Sitz in der UNO hat.

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