Das Pen!smuseum - Mit Texten von Jovana Reisinger, Sophia Süßmilch und Illustrationen von Andrea Z. Scharf - Mareike Fallwickl - E-Book

Das Pen!smuseum - Mit Texten von Jovana Reisinger, Sophia Süßmilch und Illustrationen von Andrea Z. Scharf E-Book

Mareike Fallwickl

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Beschreibung

The art of not giving a fuck Was für eine Genugtuung, zu lesen, wie lustvoll die Frauenfiguren von Mareike Fallwickl und Eva Reisinger aus ihren Rollen ausbrechen, wie sie sich nehmen, was ihnen zusteht – ohne Rücksicht auf Verluste Wütend, unberechenbar und ungezähmt – die Frauenfiguren von Mareike Fallwickl und Eva Reisinger haben genug. Sie lassen sich nichts mehr gefallen, verhalten sich anders, als die Gesellschaft es von ihnen erwartet, sie leben anders, lieben anders, hassen anders. Sie wollen nicht funktionieren müssen, sie sind skrupellos und dabei bestechend originell. Während Anna hochschwanger fremdgeht, fotografiert Simone heimlich den schlaffen Penis ihres Mannes. Gabi rührt ihren One-Night-Stands morgens Salz in den Kaffee und die Chefin gewöhnt sich ihr Dauerlächeln mit einer Botoxbehandlung ab. Wenn Mareike Fallwickl und Eva Reisinger gemeinsam ein Buch schreiben, entsteht ein literarisches Feuerwerk. Bitterböse, kompromisslos und dabei unfassbar lustig lesen sich die Geschichten, in denen Frauen aus ihrer Sozialisierung ausbrechen – ein Befreiungsschlag, eine Offenbarung, die Sensation des Bücherherbstes! Mit Beiträgen von: Jovana Reisinger * und Sophia Süßmilch * illustriert von Andrea Z. Scharf * 1. Auflage Farbschnitt nach dem Gemälde »Weapon Choice« (Porträt Mareike Fallwickl) von Sophia Süßmilch

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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leykam:seit 1585

MAREIKEFALLWICKL

EVAREISINGER

DASPENISMUSEUM

MIT TEXTEN VONJOVANA REISINGERSOPHIA SÜSSMILCH

ILLUSTRIERT VONANDREA ZAPANTA SCHARF

Das Böse ist eine Frau

Bram Dijkstra

INHALT

DAS PENISMUSEUMMareike Fallwickl

FRAU ZIELIŃSKAS SCHWANGERSCHAFTSABBRÜCHEEva Reisinger

GIRLS WILL BE GIRLS 1Mareike Fallwickl

FRECHHEIT SINGTEva Reisinger

DIE BEIDLINSophia Süßmilch

WAS MACHST DU SCHON WIEDER FÜR EIN THEATERMareike Fallwickl

EINE ENTSCHULDIGUNG FÜRS MANNSEINJovana Reisinger

GIRLS WILL BE GIRLS 2Eva Reisinger

ZWEIUNDVIERZIG GLÄNZENDE ZÄHNE, VIER DAVON GROSS UND SCHARFMareike Fallwickl

DEINE PERFEKTE TO-DO-LISTEva Reisinger

RÜCKEN AN DER WANDEva Reisinger

DEIN GESICHT, GISÈLEMareike Fallwickl

BOTOX FÜR FORTGESCHRITTENEEva Reisinger

TAKE UP SPACEMareike Fallwickl

BENIMMREGELN FÜR GUTE GASTGEBERINNENMareike Fallwickl

TAYLOR’S VERSIONEva Reisinger

DIE ZEIT IST REIFMareike Fallwickl

TREIBSANDMareike Fallwickl

GIRLS WILL BE GIRLS 3Eva Reisinger

KOMM IN DIE WHATSAPP-GRUPPEEva Reisinger

Biografien

Special Guests

MAREIKE FALLWIGKL

DAS PENISMUSEUM

Das Problem ist jedes Mal der Arsch. Über den muss ich die Hose drüberkriegen, das ist eine Plagerei. Einmal ist der Peter aufgewacht, als ich versucht hab, seine Jeans nach unten zu ziehen. Mach das mal bei einem, der auf seinem Arsch draufliegt, gar nicht so einfach. Ich hab so getan, als wollte ich Sex. Das hat ihn dazu gebracht, sich kommentarlos umzudrehen und weiterzuschlafen. Er hat es nie erwähnt, und ich war erleichtert, gleichzeitig hat es mich geärgert. Stell dir vor, du schreckst hoch, weil deine Frau dir die Hose runterzieht. Sie sagt nichts, und du sagst auch nichts.

An diesem Punkt befinden wir uns. Und damit fängt es ja schon an: dass er in einer Jeans ein Nickerchen macht. Was glaubt er, wer er ist? Denkt er, dass er weniger faul wirkt, wenn er nicht in der Jogginghose auf der Couch liegt, sondern in einer Hose mit Knopf? Er pennt doch trotzdem. Ich finde, dann muss man ehrlich zu sich sein. Sich das Faulsein und die Gemütlichkeit zugestehen. Und sich was Bequemes anziehen. Alles andere ist scheinheilig.

Er schläft, während ich koche. Das ist seine liebste Schlafenszeit. Wahrscheinlich lullt ihn das Gebläse der Dunstabzugshaube in der Küche ein. Wir kommen gleichzeitig nachhause, er aus der Agentur, ich aus der Schule, und wenn ich zum Kühlschrank gehe, seufzt er so. Ein theatralischer Seufzer ist das, der ein Gähnen miteinschließt. Zum ersten Mal hat er das am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag gemacht, als hätte er Jahre darauf gewartet oder eher Jahrzehnte. Dass er sich ein Feierabendschlaferl erlauben darf. In dem Seufzer liegt die Rechtfertigung. Dass er ein fleißiges, hart arbeitendes Männchen ist, das jetzt halt eine Pause braucht.

Ich muss das verstehen.

Er sagt das nie und ich höre es trotzdem. Nach sechsundzwanzig gemeinsamen Jahren hört man alles, auch das, was nicht gehört werden soll. Das hört man sogar am besten.

An den Tagen, an denen er keine Unterhose anhat, experimentiere ich mit der Pimmelposition. Wie muss ich ihn nach dem Fotografieren hinlegen, damit der Peter sich beim nächsten Mal Reißverschlussaufmachen die Vorhaut einzwickt? Ist mir noch nicht gelungen bisher, oder er hat es nicht erwähnt. Aber ich hätt erwartet, dass er dann schreit. Einmal hab ich mich vor die Klotür gestellt und gelauscht. Das Einzige, was nach draußen gedrungen ist, war ein nasser, langer Furz. Das Geräusch hat mich minutenlang verfolgt.

Einhundertachtundzwanzig Fotos hab ich inzwischen gemacht, jeden Tag eins. Ich schau sie mir oft in Vergrößerung am Computer an. Die zerwuzelten Eier. Die faltige Haut. Die Rillen und Haare. Die Muttermale und Druckstellen von der scheiß Jeans. Früher hab ich das alles in den Mund genommen.

Die Ladl-Gabi sagt gern, dass der Mensch nicht für die Monogamie geschaffen ist, und hält sich an diesen Satz wie an ein Lebensmotto. Die Ladl-Gabi heißt schon seit unserer Kindheit so, weil ihre Mama, die Ladl-Gitti, den Kramerladen in dem Dorf geführt hat, in dem wir aufgewachsen sind. Die Gabi war als Freundin sehr begehrt, aber sie hat sich mich ausgesucht, und ich hab sie seither in Ehren gehalten, diese Freundschaft. Seit genau einundvierzig Jahren, es ist eine mit Kindheitsblut besiegelte Liebe. Die Micky-Maus-Hefte haben wir aus dem Ladl gefladert, und den weißen Gummimäusen haben wir die Köpfe abgebissen. Nach dem Lesen haben wir die Hefte wieder zurückgelegt, die waren dann recht pickig. Die Mama von der Ladl-Gabi hat uns aber nie geschimpft, sie war eine sehr zutrauliche Person.

Das hat die Gabi von ihr geerbt. Sie mag Menschen und sie mag Sex mit Menschen. Es ist ihr wurscht, ob dieser Mensch einen Penis oder eine Vulva hat, einen großen Bauch oder kleine Titten. Die Ladl-Gabi beißt mit großer Gier in alles rein, wie damals in die Zuckermäuse.

Sie ist die Einzige, der ich die Fotos zeige. „Das hat was Therapeutisches, Simone“, sagt sie zu mir, als wir in meiner Küche sitzen. Der Peter ist noch mal ausgegangen, das macht er nach seinem Nickerchen neuerdings öfter. Ich stell mir vor, wie er durch die Stadt tigert als alternder Mann, während es dunkel wird und die Jugendlichen süß duftend in die Clubs ausschwärmen. Als einer, der mal einen Riss gehabt hat und jetzt von der Erinnerung an diesen Riss zehrt. Der Peter war nämlich als Mann sehr begehrt, ein fescher Kerl, und er hat sich mich ausgesucht. Weil ich so loyal bin, stehen der Peter und die Ladl-Gabi seit vielen Jahren Seite an Seite im Regal meines Lebens und sammeln Staub an. An der Gabi polier ich weiterhin liebevoll herum, am Peter weniger.

„Findest du?“, frage ich und überlege, ob das der Grund ist, warum ich die Fotos mache. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum ich sie mache. Der Peter hat sich auf die Couch gelegt am Tag nach seinem fünfzigsten Geburtstag, ist weggeratzt, und ich bin in der Küche gestanden, mit dem Pfannenwender in der Hand, ich war auf diese verwirrende Art fassungslos, wo man nicht weiß, was man als Nächstes tun soll. Ich bin zum Sofa rüber und hab auf den Peter runtergeschaut, vom Pfannenwender ist geschmolzene Butter auf den Parkettboden getropft. Ich hätt ihn aufwecken und anschreien können. „Ich hab genauso viel gearbeitet wie du“, hätt ich rufen können, „nein, mehr, viel mehr, du lässt ja nur andere für dich arbeiten, ich hab auch ein Recht auf ein Schlaferl, ich bin erschöpft, verstehst du überhaupt, wie erschöpft ich bin?“

Wenn das jetzt umgekehrt wär, hab ich mich gefragt. Wenn wir beide heimgekommen wären, hungrig und müde, und ich hätt mich wortlos hingelegt mit so einem depperten Seufzer und wär eingeschlafen.

Da hab ich mein Handy aus der Rocktasche gezogen, hab mir den Pfannenwender unter die Achsel geklemmt und den Reißverschluss von Peters Hose aufgemacht. Für dieses erste Foto hab ich seinen Schwanz bloß aus dem Schlitz lugen lassen. Das Licht war nicht gut, der hat ausgeschaut wie ein angeschimmelter Wurm. Danach hab ich mich wieder an den Herd gestellt. An dem Tag hab ich Kartoffeln mit Sauerkraut gemacht, in die Bratwurst hab ich einen Haufen Löcher gestochen.

„Das kennt man ja eigentlich nur von Männern“, sagt die Ladl-Gabi und beißt in ein Stück Mohnstrudel, „dass sie Fotos und Videos hochladen, um ihren Ex-Freundinnen zu schaden.“

„Ich lad das nirgends hoch“, murmle ich und schieb den Mohnstrudel auf meinem Teller von rechts nach links und wieder zurück. „Das wär doch grausig. Wer soll sich das anschauen?“

Die Gabi grinst vergnügt.

„Du wolltest eh immer Künstlerin werden“, sagt sie mit vollem Mund, und ich schau sie verblüfft an, weil es stimmt.

Der Peter und ich haben bei unserem Kennenlernen eine Art Wettbewerb begonnen, den ich schon auf dem ersten Drittel des Wegs verloren hab. Er hat eine Werbeagentur gegründet, ich wurde von jeder Kunst-Uni abgelehnt. Er hat Awards gewonnen, ich bin Zeichenlehrerin geworden. Wenn ich mich beschwert hab, dass er so selten zuhause ist, hat er gesagt, dass einer von uns ja das Geld verdienen muss, während ich mit Kindern bastle. Das ist eine meiner Wunden, aber weil die Ladl-Gabi schon so lange in meinem Leben ist, darf sie da reinbohren.

„Außerdem ist es in Österreich üblich, viele Schwanzbilder auf dem Laptop zu haben“, sagt sie, und jetzt grinse ich auch.

Ich stell mir vor, wie ich mit den Schlaffi-Fotos ein Buch mache, so ein Daumenkino, das man dann rasend schnell durchblättert, und auf jeder Seite die Ehrlichkeit eines Männerkörpers.

Der Peter und ich hatten seit drei Jahren und acht Monaten keinen Sex mehr. Unser Paartherapeut sagt, dass das okay ist und dass wir uns auf andere Art nah sein können. Manchmal gibt er uns als Hausaufgabe, dass wir uns gegenübersetzen und einander in die Augen schauen sollen, ohne was zu sagen. Ich schau dem Peter dann so angestrengt in die Augen, als müsst ich unbedingt was finden, das mir gefällt und mich zu ihm hinzieht. Wenn die Zeit um ist, tut es in meiner Brust weh, als hätt ich zu lange die Luft angehalten.

Wie sollte es Revenge Porn geben, der Männern schadet? Die würden eh nur gefeiert werden.

„Weißt du, was geil wär?“, sagt die Gabi und nimmt sich noch ein Stück Mohnstrudel. „Wir hängen die Bilder in ein Museum, alle Wände voll, und die Besucherinnen kriegen am Eingang einen Kübel mit Farbe. Oder Messer. Oder Scheren. Und dann …“

Gabis Augen glänzen wirklich wild.

„Dass er jetzt mit Männern bumst“, sage ich, „ist mir egal. Mich regt auf, dass ich nicht schlafen könnte. Ich würd mich aufs Sofa legen und wär so gestresst, weil nix gekocht wär und nix erledigt, dass ich nicht einschlafen könnt. Das ist es, was ich ihm übel nehm. Seine Ruhe, seine selige Entspanntheit.“

Als ich am Tag nach dem zweihundertachtunddreißigsten Foto zufällig sehe, wie der Peter und unser Paartherapeut auf der Therapeutencouch ficken, weil ich zwanzig Minuten zu früh dran bin, passieren nacheinander drei Dinge: Als Erstes frage ich mich, ob der Peter heute eine Unterhose anhat. Als Zweites bemerke ich, dass der Gesichtsausdruck vom Peter sich null verändert, als sein Blick durch den Türspalt auf mich fällt, als wär ich gar nicht da. Die ganze Zeit hab ich was in ihm gesucht, und er hat durch mich hindurchgeschaut. Als Drittes freu ich mich, dass die Gabi seit Kurzem in eine große, blonde, wunderbar laute Frau namens Michaela reinbeißt, die eine Kunstgalerie besitzt.

EVA REISINGER

FRAU ZIELIŃSKAS SCHWANGERSCHAFTSABBRÜCHE

Jetzt bin ich schon wieder schwanger. Zum dritten Mal in diesem Jahr. Ich ziehe an der Tschick, bevor ich sie in das mit Wasser gefüllte Marmeladenglas stürze und sie ein letztes Mal kracht. Während ich den Rauch ins Wohnzimmer blase, fällt mir auf, dass der Becher in meiner Hand leer ist. Beim Versuch, ihn zu füllen, stoße ich ihn um, halte ihn dann fest. Zum Glück macht Wodka keine Flecken. Nachdem ich mich aus der Mulde des alten Sessels gestemmt habe, betrachte ich mich im Spiegel an der Wand. Sein Goldrand bröckelt von den Seiten. Meine Haare könnte ich mal wieder waschen. Aber wofür? Wer braucht im Krankenstand gewaschenes Haar? Ich drösle es zu einem Knödel zusammen und stecke ihn mit einer Klammer fest, lasse die alte Strickweste zu Boden fallen und drehe mich auf die Seite. Mein Bauch spannt. Der Rücken schmerzt im Hohlkreuz, ich strecke den Bauch noch ein Stück weiter raus. Ich nicke. Sieht schon besser aus. Ich frage mich, ob sich mein Bauch früher anders angefühlt hat.

Ich meine:

Mein Bauch ist ein Bauch.

Mein Bauch war ein Bauch.

Blödsinn. Mein Bauch war nie nur ein Bauch.

Meine Hände zittern, als ich die Strickweste aufhebe und sie eng um meinen Körper schmiege. Mein Bauch vibriert. Ich nehme das Handy aus der Jackentasche, schon wieder eine neue Nachricht von einer unbekannten Nummer. Ich muss mir eine Zeitung kaufen. Oder ins Internet gehen. Ich muss lesen, was in Polen los ist. Das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch ist in meinem Herkunftsland ohnehin nicht wirklich vorhanden. Auch anderswo auf der Welt arbeitet man hart daran, ihn zu verbieten. Die Rechten in Österreich werben mit dem Slogan: Abschiebung statt Abtreibung. Donald Trump spricht von der Hinrichtung von Babys. In den USA verbluten Frauen auf Krankenhaus-Parkplätzen. In Polen lässt man Frauen mit einem toten Kind im Bauch sterben, anstatt ihnen zu helfen.

Ich schaue auf meinen Bauch: Reichen fünfundzwanzig Tage, um wieder schwanger zu werden? Das muss ich googeln. Kann man nach einer Geburt überhaupt Sex haben? Abgesehen von der biologischen Komponente frage ich mich, ob irgendjemand in den Wochen danach Sex haben will. Das wäre ja, als würde man direkt nach der Entlassung aus dem Gefängnis sofort wieder eine Bank überfallen, mal ganz unabhängig von den Schmerzen. Aber wann geht es beim Sex schon wirklich darum, was Frauen wollen?

Ich hätte der unbekannten Nummer schreiben sollen, dass ich es nicht schaffe. Dass es mir ehrlich leidtut, aber dass es gerade nicht möglich ist. Das wäre die bessere Antwort gewesen. Das wäre die Antwort auf all die Fragen in den vergangenen Tagen gewesen. Als vorhin die neue Nachricht auf meinem Telefon erschien, wusste ich, es ist dringend. Ich betrachte die polnische Vorwahl, darunter die Worte: Bitte zurückrufen.

Ich antworte: Okay!

Nach dem Lesen zwei blaue Häkchen. Damit war ich Teil des Problems. Die Häkchen symbolisieren meine Verantwortung. Ich kann helfen. Wenn ihr etwas passiert, ist es meine Schuld. Also bin ich wieder schwanger. Zumindest laut meiner Krankenversicherung. Da fällt mir ein, vom Profilbild der polnischen Frau weiß ich, dass sie rotes Haar und Sommersprossen hat. Ich muss ihr sagen, dass sie vor der Untersuchung blond werden muss und Makeup auftragen soll. Diese scheiß Fotos auf den Versichertenkarten kommen uns immer wieder in die Quere, als wäre das Leben nicht schon kompliziert genug.

Seit fast zwei Jahren bin ich im Krankenstand. Ob ich jemals wieder ins Büro gehe, weiß ich nicht. So war das alles nicht geplant. Damals wollte ich einer Freundin helfen und keine illegale Untergrundorganisation gründen. Obwohl ich nicht arbeite, habe ich so viel zu tun wie nie zuvor. Ständig leuchtet mein Handy auf. Ständig will jemand etwas von mir. Dabei ist es wichtig, dass ich es geheimhalte. Niemand weiß Bescheid. Niemand außer Gabi. Sie wusste gleich, dass ich etwas verheimliche.

Wir sind seit so vielen Jahren Freundinnen, dass wir uns nichts vormachen können. Gabi ist nicht wie andere. Sie tut nicht so, als würde sie eine Geschichte glauben, nur um Ruhe zu haben. Sie fragt nach, bis sie die Wahrheit erfährt. Irgendwann knickte ich ein. Ich hatte mir geschworen, niemandem davon zu erzählen. Beim ersten Mal redete ich mir noch ein, es sei doch alles eine Ausnahme.

Eine Freundin aus Krakau rief mich an und erzählte mir, sie sei schwanger und finde keine Klinik, in der sie einen Abbruch vornehmen könne. Es gab nur private Einrichtungen, in denen sie über 700 Euro verlangten, und das konnte sie sich nicht leisten. Sie war von ihrem Mann schwanger, den sie verlassen wollte. Konnte alles brauchen, nur kein weiteres Kind. In Polen galt das nicht als Grund für einen legalen Abbruch. Ich überlegte nicht lange, sondern bat sie, nach Wien zu kommen. Wir gingen zusammen zu Anna in die Ordination. Anna arbeitet als selbstständige, private Gynäkologin und ist eine der wenigen, die Abbrüche vornimmt. Sie bekennt sich dazu weder öffentlich, noch steht es auf ihrer Website, weil es sonst ständig Ärger gibt. Sie will ihre Patientinnen in Ruhe versorgen können.

Nach dem erfolgreichen Abbruch fuhr meine Freundin wieder nach Krakau, ein paar Monate später meldete sich eine Freundin von ihr.

So fing das alles an. Zusammen mit Anna zog ich zehn Abbrüche durch, bis mir Gabi auf die Schliche kam. Aber auf Gabi kann ich mich verlassen. Ich erklärte es ihr so: „Ich bin wie eine Leihmutter, nur umgekehrt.“ Sie nickte, als hätte sie das schon hundertmal gehört. Danach ist es nie wieder Thema gewesen, auch wenn ich während unserer Treffen gach telefonieren muss. Auch wenn sie mich nicht versteht, weil ich holpriges Polnisch in mein Handy stammele. In meiner Kindheit sprachen wir viel Polnisch zuhause am Küchentisch. Jetzt brauche ich viele Wörter, oft Fachausdrücke, die wir nie benutzten. Sie stehen in schwarzen Lettern auf Post-its auf meinem Kühlschrank. Einige Wörter sind mit Leuchtstift angestrichen.