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Ein Perpetuum mobile ist ein hypothetisches Gerät, das – einmal in Gang gesetzt – ohne weitere Energiezufuhr ewig in Bewegung bleibt und dabei – je nach zugrundegelegter Definition – möglicherweise auch noch Arbeit verrichtet. Perpetua mobilia werden nach dem thermodynamischen Hauptsatz kategorisiert, den sie verletzen würden. Die Klassifikation gibt keinen Hinweis auf das beabsichtigte Funktionsprinzip des Perpetuum mobile. Paul Scheerbart (1863-1915), auch unter seinen Pseudonymen Kuno Küfer und Bruno Küfer bekannt, war ein deutscher Schriftsteller phantastischer Literatur und Zeichner.
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Seitenzahl: 56
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Der alte Herr sprang in seinem Laboratorium auf einen kleinen Tisch, räusperte sich heftig und sagte: »Meine Herren, jetzt werde ich mal eine Rede reden. Ich bin ja kein geübter Redner. Aber ich hoffe doch, daß ich mich Ihnen verständlich machen kann. Ich behaupte, daß die Europäer und besonders die Deutschen ihren berühmten Männern der Wissenschaft allzu viel Hochachtung entgegenbringen; allzu viel! Wenn Einer eine halbwegs vernünftige Ansicht geäußert oder etwas Imposantes erfunden hat, wird er gleich eine Autori-tät<. Die Unberühmten sagen sich: Der Mann hat mal was Vernünftiges vorgebracht, also wird Alles, was er sonst noch sagt, wahrscheinlich auch sehr vernünftig sein. Das ist bequem, nicht wahr, meine Herren? Nun wollen wir gleich auf den Kern der Sache kommen. Ein herrliches Beispiel wird Ihnen das Gesagte vortrefflich illustriren. Das große Gesetz von der Erhaltung der Energie hat ja bekanntlich Robert Mayer im Jahr 1849 sehr klar for-mulirt. Und er schloß an diese höchst moderne Gesetzgebung< die Bemerkung, daß ein Perpetuum Mobile nicht möglich sei. Und sechzig Jahre beteten das alle Wissenschaftler ganz gemüthlich nach, ohne sich die Mühe zu geben, die Sache noch mal zu untersuchen. Das Gesetz von der Erhaltung der Energie wollen wir hier gar nicht anzweifeln; daß aber aus diesem Gesetz die Unmöglichkeit eines Lastmotors hervorgeht, wollen wir doch ganz energisch bestreiten. Robert Mayer hat sich bekanntlich auch drei lange Jahre hindurch mit dem Perpetuum Mobile beschäftigt. Als er einsah, daß er selbst das Problem nicht lösen könne, sagte er feierlich: Wenn ichs nicht kann, dann gehts nicht; denn geistreicher als ich selbst kann doch Niemand sein. So (oder so ähnlich) entstand sein sehr vortreffliches Buch über die Erhaltung der Energie. Welche Weisheit aber verzapfte der große Robert dabei? Doch nur diese: geht eine Last herunter, so muß sie wohl wieder hinaufgehoben werden, also kann sie nicht perpetuirlich wirken, wenn sie heruntergeht. Es ist aber doch möglich, daß eine Last ein System von Rädern in Bewegung setzt, ohne daß diese Last sich dem Erdboden nähert. Warum soll Das denn nicht möglich sein?
Was man heute nicht gefunden, kann man doch wohl morgen noch finden. Außerdem: jedes Mühlrad in eisfreiem Fluß, der niemals austrocknet, ist ein Perpetuum Mobile. Bei diesem arrangirt allerdings die Verdunstung des Wassers das Wiederhin-aufheben der Last. Aber dieses Wiederhin-aufheben wird von der Sonne perpetuirlich besorgt. Ich glaube, die Herren Physiker können sich noch nicht bei ihren kosmischen Betrachtungen mit ihrer Phantasie außerhalb der Erdathmosphäre hinstellen und von dort aus die sehr merkwürdige perpetuirliche Anziehungarbeit der Erde beobachten. Diese Anziehungarbeit in perpetuirliche Bewegung umzusetzen, mag ja nicht so ganz leicht sein: für unmöglich dürfen wirs aber nicht halten. Diese Umsetzung von Anziehungarbeit in Bewegung wird von dem Prinzip der Erhaltung der Energie gar nicht berührt. Tote Kraft giebts allerdings auf dieser Erde nicht. Jeder ruhende Gegenstand drückt; und leistet damit Arbeit. Die Physik mag eine sehr schwierige Sache sein. Das berechtigt aber keinen, dummes Zeug auf dem Gebiete dieser herrlichen Wissenschaft zu behaupten und zu glauben. Außerdem erkläre ich
Ihnen, daß ich noch keinen Techniker kennen gelernt habe, der nicht im Geheimen ein Perpetuum Mobile zu erfinden versucht hatte.« Der alte Herr stieg vom Tisch runter und trank drei Cognacs, ohne sich hinzusetzen. Da sagte ich: »Sehr geehrter Herr Laboratoriumsdirektor, ich bin durchaus Ihrer Ansicht und ich habe mich auch zwei Jahre und ein halbes hindurch bemüht, einen transportablen Lastmotor, der nur durch Auflage eines Gewichtes perpetuirlich funktionirt, zu erfinden. Ich glaube, daß mirs gelungen ist. Jedenfalls habe ich ein Buch darüber geschrieben, das, unter dem Titel »Das Perpetuum Mobile«,mit sechsundzwanzig Zeichnungen im Buchhandel käuflich zu erwerben ist.«
»Das ist ja ganz famos!« sagte der Direktor; »ich gratulire Ihnen!«
»Ich gratulire mir auch!« sagte ich freundlich.
»Je größer die Verzweiflung – um so näher ist man den Göttern. Die Götter wollen uns zwingen, dem Grandiosen immer näher zu kommen. Und sie haben kein anderes Mittel zum Zwingen – als die Misere. Nur in der Misere wachsen die großen Hoffnungen und die großen Zukunftspläne.«
Diese Sätze hielt ich lange Zeit hindurch wie ein Glaubensbekenntnis fest. Aber dieses Glaubensbekenntnis sollte mal eine starke Erschütterung erleben.
Und das kam so:
Am 27. Dezember 1907 dachte ich über kleine Geschichten nach, in denen etwas Neues – Verblüffendes – Groteskes – vorkommen sollte. Ich dachte an die Zukunft der Kanonen, die mir als Transportapparate sehr nützlich erschienen; ich glaubte, daß abgeschossene Waren mit automatisch sich öffnender Fallschirmvorrichtung ganz bequem wieder zur Erde herunterkommen könnten.
Und ich stellte mir danach die ganze Erdluft von Drahtseilbahnen, durchspannt vor. Besonders sympathisch wirkten auf
mich die Drahtseilbahnen, die von ganz hohen Bergen herunterkamen. Ich dachte an Ballons als Seilbahnträger bei Nordpolfahrten und dann an Riesenräder, die auf allen Landbahnen nach meiner Meinung viel schneller dahinrollen könnten als die jetzt gebräuchlichen kleinen Räder.
Dabei schien es mir nur natürlich, den Wagen ins Rad zu setzen. Das war jedenfalls etwas Neues.
Ich stellte mir das große Doppelrad a speichenlos vor (Fig. 1) und hing den Wagen R an die Doppelräder b und c, die in der Doppelstange f g befestigt wurden. Die Räder d und e waren zur Sicherheit da, damit b und c nicht von a runterfallen konnte. Wurde nun a geschoben, so bewegten sich die kleinen Räder auch. Alle Räder konnten natürlich auch Zahnräder sein.
Hing ich nun aber an f ein Gewicht L, das dem Gewicht von R nicht viel nachgab, so ergab sich (Fig. 2) die Bewegung aller Räder in der angegebenen Pfeilrichtung. Und zwar: das ganze System bewegte sich nur durch Gewichtsauflage – das Perpetuum mobile war nach meiner Meinung fertig.
»Durch Gewichte bewegtes Zahnrad« nannte ich die Geschichte. Ich sagte mir: die Anziehungskraft der Erde ist eine perpetuierliche, und diese perpetuierliche Anziehungsarbeit läßt sich durch aufeinander gestellte Räder in perpetuierliche Bewegung umsetzen.
Daß jeder Physiker widersprechen würde, wußte ich sehr genau. Aber darin bestand ja ein Hauptreiz für mich. Die Physiker waren mir immer verhaßt. Was ging mich Robert Mayer – und das Gesetz von der Erhaltung der Energie an?
Wohl schien mir gleich etwas fraglich, ob Rad c auch in der Pfeilrichtung sich bewegen würde. Aber ich dachte nun zunächst nicht weiter über die Sache nach und glaubte, c würde schon mitgerissen werden.