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Das Pestkind 1 E-Book

Nicole Steyer

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Beschreibung

Ausgestoßen und verfemt - Der erste Teil des sechsteiligen Serials »Das Pestkind« von Nicole Steyer! Rosenheim zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges: Die junge Marianne lebt und arbeitet in der Brauerei, die von der Witwe Hedwig Thaler geführt wird. Die alte Frau hat Marianne bei sich aufgenommen und aufgezogen – doch das Mädchen hat von ihr nur böse Worte und Ungerechtigkeiten empfangen. Einzig der Pfarrer des Ortes begegnet Marianne freundlich und nimmt sie vor den Anfeindungen der Leute in Schutz: Diese sehen in ihr so etwas wie eine Hexe, da sie einst die Pest überlebt hat. Doch dann liegt eines Tages Hedwig Thaler erschlagen auf dem Hof – und nur Marianne ahnt, wer der Mörder ist ...

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Seitenzahl: 86

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Nicole Steyer

Das Pestkind 1

Serial Teil 1

Knaur e-books

Über dieses Buch

Rosenheim 1648: Die junge Marianne lebt und arbeitet in der Brauerei, die von der Witwe Hedwig Thaler geführt wird. Die alte Frau, die nur einem einzigen Sohn, der geistig zurückgeblieben ist, das Leben schenken konnte, hat Marianne bei sich aufgenommen und aufgezogen – doch nicht aus Liebe, denn das Mädchen hat von ihr nur böse Worte und Ungerechtigkeiten empfangen. Einzig der Abt des Klosters begegnet Marianne freundlich und nimmt sie vor den Anfeindungen der Leute in Schutz, die in ihr so etwas wie eine Hexe sehen, da sie einst die Pest überlebt hat.

Inhaltsübersicht

WidmungPrologDas rote Licht des [...]Die Frau auf dem [...]Pater Jakobus kroch aus [...]Historische Personen im Buch:
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Für meine Eltern

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Prolog

Pfarrer Angerer hatte seinen Blick auf die Berge gerichtet, als er den schmalen Feldweg entlangging. Wieder einmal redete er sich ein, die mächtigen Gipfel würden ihm Sicherheit geben. Denn sie waren immer da, in ihrer Schönheit unvergänglich, und sie würden auch noch auf die Welt blicken, wenn es die Menschen nicht mehr gab.

Rechts und links des Weges standen Leichenkarren, auf denen in Leinentücher gewickelte, namenlose Tote auf eine Beerdigung in einem Massengrab warteten. Auf einem der Karren saß eine weinende Frau, eine Kinderleiche im Arm. Der Pfarrer blieb stehen und musterte sie mitleidig. Anneliese Hoflechner zählte noch keine achtzehn Jahre. Erst vor zwei Jahren hatte er sie in seiner Kirche getraut. Glücklich war sie damals gewesen, die Wangen rund und gerötet, die blauen Augen strahlend. Jetzt wirkte sie wie ein anderer Mensch, das Gesicht blass und eingefallen, die verweinten Augen in tiefen Höhlen. Ihr Kleid war schmutzig und voller Löcher, ihr Haar strähnig und wirr.

»Ach, Anneliese, es tut mir so leid für dich. Du solltest aber trotzdem vom Wagen herunterkommen. Der kleinen Luise kannst du nicht mehr helfen, denn sie ist schon längst bei Gott. Ich verspreche dir, sie in meine Gebete einzuschließen.« Er streckte ihr seine Hand hin und nickte aufmunternd. »Du wirst doch krank.«

Die junge Frau sah den alten Pfarrer verstockt an.

»Nein, ich gehe nirgendwohin. Sie braucht mich. Ich kann sie nicht einfach hier liegen lassen. Sie wollte doch nie allein sein. Sie schreit bestimmt, wenn ich fortgehe.«

Traurig nickte der Geistliche.

»Na, dann bleib noch ein wenig, damit das Kind nicht schreit.«

Seufzend setzte er seinen Weg fort. Ihm fehlten die Kraft und die Worte, um Anneliese zu erklären, dass ihr Kind nie wieder schreien würde. Wahrscheinlich war auch sie bereits krank, und nur Gott konnte ihr – konnte ihnen allen – jetzt noch helfen.

Am Totenfeld angekommen, empfing ihn Ludwig, der Totengräber. Sein braungebranntes Gesicht war mit Erde verschmiert, seine Wangen waren leicht gerötet. Er begrüßte den Pfarrer mit einem Lächeln.

»Guten Morgen, Hochwürden.«

Ludwig, der den blonden Schopf und das mitfühlende Herz seiner Mutter geerbt hatte, wirkte gesund und kräftig. Keine Anzeichen von Erschöpfung oder gar Fieber waren zu erkennen. In Pfarrer Angerers Augen war dieser Mann ein Phänomen. Seit Wochen vergrub er Leichen, berührte jeden Tag den Schwarzen Tod und atmete verseuchte Luft ein, doch krank wurde er nicht. Viele andere, die hier draußen gearbeitet hatten, waren bereits dahingerafft worden. Aber er war jeden Tag hier, arbeitete bis zur Erschöpfung, spendete so manch Trauerndem Trost und betete für die Toten.

»Und, wie sieht es heute aus?« Der Pfarrer blickte in die neu ausgehobene Leichengrube, in der bereits mehr als zwanzig Tote nebeneinanderlagen.

»Wie immer.« Der Totengräber deutete hinter sich. »Heute ist auch vom Gutshof der Leitners ein Wagen gekommen. Alle sind tot. Nur …« Ludwig stockte.

»Was nur?« Pfarrer Angerer sah ihn erstaunt an.

»Es fehlt jemand.«

»Wie, es fehlt jemand?«

»Ich habe doch oft auf dem Hof ausgeholfen. Im Stall und auf dem Feld. Nachdem Maria, Gott hab sie selig, letztes Jahr im Kindbett gestorben ist, wurden dort immer wieder helfende Hände gebraucht.«

Pfarrer Angerer sah den Totengräber ungeduldig an.

»Ja und, weiter.«

Ludwig deutete auf einen Leiterwagen am Wegrand.

»Alle sind auf dem Karren. Sogar Alma, die Küchenmagd, hat es erwischt. Nur die kleine Marianne fehlt. Es war keine Kinderleiche darunter. Ich habe genau nachgesehen.«

Verdutzt sah der Pfarrer den Totengräber an.

»Vielleicht sollte noch mal jemand auf dem Hof nach dem Rechten sehen?« Ludwig kratzte sich am Kopf. »Am Ende lebt die Kleine noch.«

Pfarrer Angerer seufzte. Viel Hoffnung, ein lebendes Kind zu finden, hatte er nicht. Doch das tote Mädchen dort seinem Schicksal überlassen, das wollte er auch nicht. Das Kind hatte es verdient, in geweihter Erde begraben zu werden.

»Mit jemand bin dann wohl ich gemeint.«

Ludwig grinste, griff erneut nach seiner Schaufel und begann, das Massengrab zuzuschaufeln.

»Ich würde ja hingehen. Aber Ihr seht ja, was hier los ist.«

 

Der Gutshof der Leitners sah von weitem wie immer aus. Doch als der Pfarrer auf den Innenhof des weitläufigen Anwesens trat, war die Veränderung spürbar. Es war totenstill. Keine Hühner kamen ihm neugierig entgegengelaufen, keine Pferde oder Kühe standen auf den Weiden rund ums Haus, Staub tanzte, vom heißen Wind aufgewirbelt, über den Boden, und unter einem Holzkarren saßen zwei Katzen, die ihn misstrauisch musterten. Die Stille zeigte auf grausame Art und Weise den Tod.

Pfarrer Angerer straffte die Schultern, ging auf das Haupthaus zu, öffnete die Tür und betrat den dämmrigen Flur. Die Luft war abgestanden, und es stank nach Erbrochenem, Exkrementen und verfaultem Essen. In der Stube befand sich niemand. Teller mit schimmeligen, vertrockneten Essensresten waren noch auf dem Tisch, unter dem ein Schuh lag. In einer Ecke neben der Ofenbank standen ein Spinnrad und ein Korb mit Wolle und Strickzeug. Der Pfarrer ging weiter.

Die Küche war ebenfalls leer. Im Spülstein stapelten sich Tonteller und Becher, und der Ofen war erkaltet, ein Topf mit Eingebranntem darauf.

Das Fenster war verschlossen, die Hintertür sogar verriegelt.

Er wandte sich ab und stieg die Treppe nach oben, doch weder in den Schlafräumen des Gutsherrn noch in den Gesindekammern fand er das Mädchen.

Er trat wieder auf den Hof, schloss die Tür hinter sich und ging in den leeren Stall. Herumliegender Dung und Mist erinnerten daran, dass hier einst Ziegen, Kühe und Schweine gestanden hatten.

Kopfschüttelnd wandte sich der Pfarrer ab und wollte den Stall gerade wieder verlassen, da drang plötzlich ein seltsames Geräusch an sein Ohr, und er hielt inne.

Ein Summen. Ganz leise nur, aber es war da.

Er ging in die Mitte des Stalles und blickte sich um. Das Summen hörte nicht auf. Suchend schritt er durch den Stall und schaute in jeden Verschlag. Sein Blick blieb an einer schmalen Bretterwand hinter dem Schweinekoben hängen. Einige der Bretter waren schief. Neugierig trat er darauf zu und schob sie zur Seite. Sofort schlug ihm fürchterlicher Gestank entgegen. Eine Mischung aus Kot, Urin und süßlichem Früchteduft raubte ihm den Atem. Im Dämmerlicht entdeckte er Marianne, die ihn mit großen Augen ansah. Ihre Wangen waren, soweit er es bei dem schwachen Licht erkennen konnte, verschmiert, und ihre schwarzen Löckchen ringelten sich wirr um ihr Gesicht. Sie hielt ein halb gefülltes Einmachglas in der Hand und hatte ihren Daumen im Mund. Pfarrer Angerer lächelte erleichtert. Krank sah die Kleine auf den ersten Blick nicht aus.

»Marianne, Kind, da bist du ja«, sagte er freundlich und streckte die Hand nach ihr aus.

Sie wich zurück.

»Nicht rausholen!« Ihr Blick war trotzig. »Die Alma hat gesagt, ich soll hier drinbleiben. Bald wird sie kommen und mich holen. Hier bin ich sicher. Sind wir alle immer sicher, wenn sie kommen.«

Pfarrer Angerer atmete tief durch. Anscheinend saß die Kleine nicht zum ersten Mal in diesem Verschlag. Wie oft sie sich hier vor Marodeuren versteckt hatten, konnte er nur erahnen. Bei näherem Hinsehen bemerkte er jetzt auch einige Decken, einen Tonkrug und Becher.

Warum die alte Magd das Mädchen hierhergebracht hatte, konnte er nur vermuten.

Langsam sank er in die Hocke, sah Marianne fest in die Augen und entschuldigte sich innerlich beim Herrgott für seine Lüge.

»Sie hat mich geschickt, damit ich mich um dich kümmere. Sie selbst kann das im Moment nicht.«

Misstrauisch sah ihn die Kleine an, kam dann aber doch näher.

Erleichtert zog der Pfarrer das Kind aus dem Verschlag, nahm es auf den Arm und verließ sofort den Stall.

»Wo sind die Hühner?«, fragte Marianne verwundert.

»Vielleicht fortgelaufen.« Der Geistliche betrachtete Marianne näher. Sie war schmutzig und stank erbärmlich. Ihr Haar war zerzaust und verklebt, und ihre Finger waren voller Marmelade und Brotkrümel, aber sie schien gesund zu sein. Es war ein Wunder. Alle hier waren gestorben, nur dieses kleine Mädchen lebte und war putzmunter.

»Ich habe Durst.« Marianne begann, auf seinem Arm zu zappeln. »Wo ist Alma?«

Der Priester ließ die Kleine nicht los.

Im Innenhof stand ein Brunnen, doch der Sauberkeit des Wassers traute er nicht. Das Grauen dieses Ortes ergriff Besitz von ihm, und er wollte nur noch weg von hier.

»Du bekommst gleich etwas zu trinken.« Beruhigend strich er dem Mädchen über die Schulter, während er eiligen Schrittes den Hof verließ. »Ich verspreche es dir. Ich bringe dich jetzt ins Pfarrhaus. Gewiss bist du hungrig. Lydia, meine Magd, wird sich um dich kümmern. Sie kann sehr gut kochen.«

Marianne begann zu weinen und wild um sich zu schlagen. Seine Worte interessierten sie nicht. »Lass mich runter! Nicht weggehen! Ich will zu Alma! Sie hat gesagt, sie kommt mich holen. Fest hat sie es versprochen!«

Pfarrer Angerer antwortete nicht. Er hielt sie umklammert und kämpfte mit den Tränen, während er den Feldweg entlangging und erneut den Blick auf die Berge richtete.

Marianne wand sich, schlug auf ihn ein und schrie. Doch es half alles nichts. Der Gutshof wurde immer kleiner und verschwand bald ganz aus ihrem Blickfeld.

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