Das rote Gold Band 3 - Lisa Heven - E-Book

Das rote Gold Band 3 E-Book

Lisa Heven

4,9

Beschreibung

Nach dem verheerenden Anschlag auf das Anwesen wird immer mehr klar, dass viele gnadenlose Mächte am Werk sind, um dem Vampirclan weiter zu schaden. All das, bringt Maddy und die Clankrieger zusehends in größere Gefahr, obwohl sie ihre eigenen Reihen verstärkt haben. Auch wenn der Clan weiterhin bemüht ist, sich um das Wohl von Maddy zu kümmern, will diese sich nicht damit abfinden und darum kämpfen, eine geliebte Person wieder zurückzuholen. Die großen Schwierigkeiten, die sich unterdessen fernab vom Anwesen im Norden von England abspielen, übertreffen alles, was sich ein Mensch - geschweige ein Vampir - vorstellen kann. Dennoch weiß die Vampirgemeinschaft nicht, dass sich ihnen eine viel größere Macht nähert, wovon sie alle nicht gedacht hätten, dass es sie noch gibt...

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Nach dem verheerenden Anschlag auf das Anwesen wird immer mehr klar, dass viele gnadenlose Mächte am Werk sind, um dem Vampirclan weiter zu schaden. All das, bringt Maddy und die Clankrieger zusehends in größere Gefahr, obwohl sie ihre eigenen Reihen verstärkt haben. Auch wenn der Clan weiterhin bemüht ist, sich um das Wohl von Maddy zu kümmern, will diese sich nicht damit abfinden, um darum zu kämpfen, eine geliebte Person wieder zurückzuholen.

Die großen Schwierigkeiten, die sich unterdessen fernab vom Anwesen im Norden von England abspielen, übertreffen alles, was sich ein Mensch – geschweige ein Vampir – vorstellen kann.

Dennoch weiß die Vampirgemeinschaft nicht, dass sich ihnen eine viel größere Macht nähert, wovon sie alle nicht gedacht hätten, dass es sie noch gibt …

Die deutsche Autorin wurde 1969 geboren. Sie verschlang etliche Vampirromane, bevor sie selbst zu schreiben begann. Unter Pseudonym hat sie ihren dritten Romantic Fantasy Roman geschrieben. Gegenwärtig lebt sie mit ihrer Familie in Berlin.

Die Romane von Lisa Heven:

DAS ROTE GOLD

Band I – Erwachen des Mysteriums

Band II – In dunkler schwarzer Nacht

Band III – Spuren des Verlangens

Band IV – Schergen des Todes

Wenn Begierde den Körper quält,

und nur die Sucht nach dem Blute zählt,

beginnt die Jagd bei Nacht,

denn nur die Finsternis hat Macht.

Dieter Neiß

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Band IV: Das rote Gold

1. Kapitel

Der sonst so besonnene Redner war seit einiger Zeit verstummt. Seine knöchernen Hände ruhten am Kamin und seine leichenblasse Haut schimmerte im Schein des Feuers. Mit seinen fast regungslosen Gesichtszügen stand er dort, leicht gebeugt vom Alter, welches er mit sich trug. Seine glanzlosen Augen, die von etlichen Falten gezeichnet waren, starrten nachdenklich in die Flammen. Verdrängte Sorgen und tiefe Ängste trafen ihn wie Ohrfeigen mit voller Wucht ins Gesicht, so dass er Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Sein einziger Gedanke schien zu sein, alle Erinnerungen an das Vergangene aus seinem Kopf zu verbannen. Er vermochte nicht daran zu denken, welcher Graben sich vor ihm auftat. Wie sehr hatte er die Einsamkeit und Stille lieben gelernt, die ihm innerhalb von Minuten brutal entrissen worden war. Die Bilder, die vor seinem geistigen Auge aufblitzten, riefen bittere Abgründe herauf. Es bildete sich ein fahler Geschmack in seinem Mund, der langsam seine Kehle hinunter kroch, um sich in seinen Eingeweiden zu laben. Die alte Geschichte mit neuen Figuren. Der andauernde Kampf gegen das Unheil dieser Welt. Er dachte, sein Leben würde zur Ruhe kommen, doch nun war alles anders. Diese ihm verhasste Begegnung hatte er schon immer kommen sehen und verfluchte den Augenblick, wo sein Gast seine Türschwelle überschritten hatte. Wortlos hatte er ihn hineingebeten und sah ihm schon die Qual an, die er mit sich herumtrug. Sie hatten im Kaminzimmer Platz genommen und nach dem sein Besucher seinen Kummer vorgetragen hatte, war er aufgestanden und verharrte immer noch in seiner Position vor dem Kamin.

Die intensive Ausstrahlung, die seinen Gastgeber umgab, war eisig und es breitete sich ein Schauergefühl über den gesamten Raum aus. Jonathan wurde von diesem Gefühl durchbohrt und in seinem Herzen bildete sich ein Klumpen des Elends. Unerachtet seines Gegenübers versuchte er, sein Augenmerk auf das goldene Dreieck zu lenken, welches vor ihm auf dem kleinen Tisch lag. Doch das Schweigen, welches den Raum eingehüllt hatte, lastete schwer auf ihm, so dass er nicht einmal wagte zu atmen. Nur das Ticken der großen Standuhr und das Knistern des Feuers zerrissen die grauenvolle Stille. Er wusste, dass er das Siegel zwischen ihnen gebrochen hatte und dafür gab es keine Entschuldigung. Die Person, die er vor sich hatte, zollte ihm weder die Anerkennung noch den Respekt, den er sonst als Clanoberhaupt gewohnt war.

Im Gegenteil.

Er kroch vor dieser Gestalt im Staub, ohne den Boden zu berühren.

Eine Woche zuvor …

In der Kommandozentrale saß Raban hoch konzentriert an seinem Computer und beobachtete das schwache Signal, welches von dem Mini Chip, den Conzuela trug, gleichmäßig ausging. Er hatte ihr diesen in ihren Blutkreislauf eingepflanzt, um sie jederzeit ausfindig machen zu können. Sein modernes System war zwischenzeitlich zusammengebrochen. Er hatte Ament versprochen, dass er sich keine Gedanken zu machen bräuchte, doch die Technik war nicht so zuverlässig, wie Raban es sich vorgestellt hatte. Mittlerweile hatte er schon zwei Satelliten angezapft, um einen besseren Empfang zu erreichen. Doch das Signal veränderte seine Position fast stündlich, was ihn an den Rand des Wahnsinns trieb.

„Verdammt noch mal!“, zischte er zwischen seinen Zähnen hervor. „Ich möchte zu gerne wissen, wen die engagiert haben, um mir das Leben so schwer zu machen?“

„Bist wohl doch nicht so ein Genie, wie du immer vorgibst?“ zwitscherte Ortischa ironisch von der Couch herüber.

„Halt bloß die Klappe und nerve jemanden anderen“, gab er bissig zurück, ohne dabei seinen Blick vom Bildschirm abzuwenden.

Mit zusammengebissenen Zähnen fauchte Ortischa ihn an.

„Ament wird dich töten, wenn du sie verlierst!“

„Das weiß ich selbst. Daran brauchst du mich nicht ständig erinnern.“ Sämtliches Blut wich ihm plötzlich aus dem Gesicht, als das Signal erneut verschwand.

„Sie hätte gar nicht erst gehen dürfen. Wir hätten Jacques auch anders befreien können.“ Sie griff sich mit den Händen in ihre schwarze Lockenmähne.

„Klar, oder wir hätten ein weiteres Menschenleben auf dem Gewissen“, sagte Mehit, als er den Raum betrat und auf einem der Stühle Platz nahm.

„Wenn Conzuela wirklich ~die Stimme~ ist, dann haben wir einen der wertvollsten Vampire an unsere Gegner verloren und das … wegen eines Menschen“, keifte Ortischa angewidert.

Mehit studierte sie eindringlich.

„Das hättest du dann aber Mona erklärt“, knurrte er zurück.

„Könntet ihr bitte draußen weiterstreiten?“ fuhr Raban dazwischen. „Geht trainieren oder macht sonst irgendetwas, aber geht mir nicht auf die Nerven!“

Verdutzt drehten sich beide in seine Richtung. Sie fühlten seine Gereiztheit, die aus jeder seiner Poren kroch.

„Wo ist das iPad? Ich werde Philippe und Corinne ihr neues Zuhause zeigen.“

Mehit folgte der Handbewegung Rabans und nahm das Gerät vom Ende des Schreibtisches. Mit einem prüfenden Blick über seine Schulter, verließ er damit die Kommandozentrale.

Als er die Küche betrat, schaute Philippe neugierig zu ihm auf.

„Mehit, schön dich zu sehen. Hast dich die letzten Tage ganz schön rar gemacht. Möchtest du einen frischen Kaffee?“

„Gerne“, antwortete er, wobei sein Blick auf Maddy ruhte, die noch nicht einmal aufgesehen hatte.

Sie rührte mit ihrem Löffel in der Teetasse herum und war tief in ihren Gedanken versunken.

Alle Eingeweihten kämpften immer noch mit der Situation, die sich vor kurzem auf dem Anwesen abgespielt hatte.

Selbst Angel, die ebenfalls am Ende des Tisches saß, starrte vor sich hin. Sie war bei dem Überfall durch den Rat schwer verletzt worden, doch Maddy hatte darauf bestanden, ihr einige Tropfen ihres starken Blutes zu geben, damit ihre Wunden schneller verheilten. Seitdem wich Angel nicht mehr von Maddys Seite. Sie war ihr Schatten geworden, was Mehit wirklich verwunderte. Denn die störrische Amerikanerin hatte sich anfangs wenig kooperativ dem Clan gegenüber gezeigt. Doch bei dem verheerenden Angriff hatte sie sich aufopferungsvoll geschlagen und Mehit wertete dies als positives Zeichen. Selbst gegenüber den menschlichen Bewohnern auf dem Anwesen verhielt sie sich korrekt und zurückhaltend. Er dachte auch an Ivan, der sich als wirklicher Gewinn ausgezeichnet hatte. Das jüngste Clanmitglied hatte sich akribisch um den Wiederaufbau des Eingangsbereichs gekümmert, da Raban zu sehr mit seinem Überwachungssystem beschäftigt war. Das Anwesen erstrahlte wieder in seiner vollen Pracht und auch der gepflasterte Eingangsbereich war wieder vollständig hergerichtet worden. Was Ivan dabei verwundert hatte, war, dass der verbrannte Rasen sich innerhalb eines Tages komplett regeneriert hatte. Auch Mehit konnte ihm das nicht erklären. Die Vorkommnisse, die die Flora auf diesem Grundstück vollzog, waren auch ihm immer noch ein Rätsel. Er zog sich schnell aus seinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurück, als ihm ein duftender Kaffee unter die Nase gehalten wurde.

„Danke“, sagte er und nahm Philippe die Tasse ab.

„Du siehst angespannt aus. Du solltest dir mal ein paar freie Tage gönnen.“ Sein Blick wanderte zu Maddy. „Deine Chefin wird sicher nichts dagegen haben, oder?“ Er neigte seinen Kopf und wartete auf ihre Antwort.

Bevor sie jedoch antworten konnte, sagte Mehit schnell: „Philippe, es ist alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken. Ich habe hier etwas, was dir gefallen könnte.“ Er setzte sich an den Tisch und Philippe nahm ihm gegenüber Platz.

Mehit rief eine Datei auf und schob dann das iPad zwischen Philippe und Corinne, wo das erste Foto erschien. Daraufhin lehnte sich Mehit entspannt zurück und warf Maddy einen vielsagenden Blick zu.

Maddy sah erstaunt auf.

Neugierig inspizierten Philippe und Corinne das erste Bild, welches ein Eckhaus zeigte, dass im Erdgeschoss einen Laden beherbergte.

„Das ist aber hübsch“, sagte Corinne und deutete mit ihrem Finger auf das iPad.

Philippe rief das nächste Bild auf, welches die Seitenansicht des Gebäudes zeigte. Es folgten Bilder vom geräumigen Innenhof, von den Räumlichkeiten des Bistros, der riesigen Küche und dem Übergang zum privaten Wohnbereich. Weitere Räume in der ersten Etage wurden ebenfalls gezeigt. Einige Zimmer waren sogar mit einem Balkon ausgestattet. Die Bäder waren exklusiv und sehr hochwertig eingerichtet.

Maddy fragte. „Und? Gefällt es euch?“

Stockend kamen die Worte über Philippes Lippen.

„Es ist fantastisch. Die Räume sind absolut perfekt, die Küche ist der Wahnsinn und der Rest erinnert eher an eine Luxusvilla.“

Mehit reichte Maddy eine kleine Schachtel, wobei seine kristallblauen Augen sich tief in sie bohrten.

Sie nahm diese, schaute hinein und sagte: „Dann ist das hier für euch.“

Philippe starrte sie verwundert an, als sie ihm die kleine Schachtel reichte.

„Was ist das?“

„Guck rein“, forderte Maddy ihn auf.

Er öffnete den Deckel. „Oh, mon dieu. Es ist doch nicht etwa das, was ich glaube, dass es das ist.“ Seine Stimme zitterte.

„Doch, das ist es.“

„Cherie … das ist ein Schlüssel. Der Schlüssel?“ Mit zwei Fingern nahm er den Metallring heraus, an dem der Schlüssel baumelte.

Ungläubig starrte Corinne ihn an. „Der Schlüssel zu was?“

„Der Schlüssel zu dieser Wohnung und dem Bistro“, sagte Philippe aufgeregt.

„Das kann nicht sein“, stammelte Corinne.

„Da hast du Recht, Corinne. Das ist nicht der Schlüssel zu einer Wohnung. Dieser öffnet das ganze Haus - inklusive eines Bistros.“ Maddy versuchte, ihrem Gesicht ein Lächeln zu verpassen, doch es sah sehr gequält aus.

„Das können wir uns nicht leisten, Maddy. So viele Ersparnisse haben wir nicht.“

„Dieses Haus gehört euch. Es ist ein Geschenk.“

Abwertend hob Philippe die Hände. „Nein, das können wir nicht annehmen, niemals.“

„Dazu ist es zu spät. Das Haus haben wir bereits gekauft und grob hergerichtet. In einer Woche könnt ihr einziehen“, erklärte Maddy.

„Maddy … das können …“

„Doch ihr könnt. Ich habe die Möglichkeiten, nun lasst mich auch helfen.“

Überwältigt traten Corinne Tränen in die Augen, als sie sich erhob und um den Tisch lief.

„Wie sollen wir das denn je wieder gut machen? Das ist unmöglich!“ Sie umarmte Maddy.

„Ihr sollt gar nichts wieder gut machen. Ich will, dass es euch wieder besser geht.“

„Da kannst du dir sicher sein“, sagte Philippe, als er auf Maddy zutrat. „Unter einer Bedingung nehmen wir dieses großzügige Geschenk an.“ Nun wurde sein Gesicht ernst.

„Und die wäre?“

„Wenn du mir versprichst, uns dort öfter besuchen zu kommen.“ Sein breites Lächeln, ließ seinen Schnauzer in die Höhe schnellen.

„Das Versprechen gebe ich dir nur zu gerne“, sagte Maddy zuversichtlich.

Fassungslos starrte Philippe immer noch auf den Schlüssel, der in seiner Hand glänzte.

„Cherie, wir müssen das sofort Sophie erzählen. Komm, lass uns zu ihr gehen. Vielleicht möchte sie auch bei uns bleiben, wenn wir ihr ein Zimmer bei uns anbieten?“, ergriffen verließen die zwei die Küche, wobei Philippe sich das iPad mit einem verschmitzten Grinsen vom Tisch genommen hatte. Er liebte dieses kleine technische Gerät.

Maddy blickte ihnen zufrieden nach. „Es ist schön … sie wenigstens glücklich zu sehen.“ Tiefe Resignation schwang dabei in ihren Worten mit.

Mehit legte seine Hand sanft auf ihre Schulter.

„Als Nächstes sollten wir Mona und Jacques hochholen. Denn sie können nicht ewig bei uns unten bleiben.“

Sie blickte auf. „Du hast Recht. Wir müssen mit den beiden reden.“

Mehit nickte zustimmend.

Nachdenklich schaute sie ihn an. „Hast du ihn gefunden?“

„Ja, das habe ich. Er will aber niemanden sehen.“ Er wollte sie nicht beunruhigen, denn das hätte er, wenn er ihr gesagt hätte, dass er Ament kurz vor dem Sonnentod gerettet hatte. Ament glühte bereits, als die ersten Sonnenstrahlen ihn erreichten. Es roch nach versengtem Fleisch, als Mehit ihn fand. Er sprang auf ihn zu und jagte ihm die Injektion mit dem Tagesserum direkt in die Halsschlagader. Dann stellte er sich schützend vor ihn. Schnell schüttelte er diesen Gedanken wieder von sich, als Maddys Stimme ihn leise anflehte.

„Ich möchte zu ihm.“

Er senkte seinen Blick und schüttelte den Kopf.

„Besser nicht. Seine Verfassung ist nicht gerade die Beste, wie du dir vorstellen kannst.“

„Deswegen ja. Er braucht uns. Wir müssen ihm zur Seite stehen.“ Aufgebracht funkelten ihre Augen ihn an.

„Maddy“, sagte er gedehnt. „Vampire funktionieren da etwas anders. Ament ist gerade in einer sehr schwierigen Phase und wir können froh sein, wenn er uns nicht vollkommen entgleitet.“ Er hoffte, dass Maddy ihren Wunsch noch einmal überdenken würde.

Doch Maddy gab nicht so einfach auf. „Trotzdem! Bring mich zu ihm. Bitte.“

Mehit kämpfte mit sich, ob er die Bitte seines Schützlings erfüllen sollte. Er wusste, dass Ament die größte Bindung zu Maddy hatte, da er das meiste Blut von ihr in sich aufgenommen hatte. Vielleicht konnte sie zu ihm durchdringen? Oder ihm den Todesstoß versetzen? Im Zwiespalt mit sich, presste er seine Lippen zusammen. Einige Sekunden verstrichen, bis er endlich sagte:

„Gut. Wir werden zu ihm gehen. Sollte er aber ausrasten, war es das!“ Er forderte ihre Zustimmung ein.

Maddy nickte und beide verließen die Küche.

Die Brandung umspülte die Felsen der Steilklippe. Die Gischt bäumte sich meterhoch hinauf, um dann den kargen Sandstrand unter sich zu begraben. Inmitten dieser Felsen saß Ament – schon seit einigen Tagen. Seine Stiefel standen bis zum Schaft im seichten Wasser und sein unnachgiebiger Blick war auf den Horizont gerichtet, wo vor einiger Zeit die Sonne ihren Untergang inszeniert hatte. Sein Gesicht war starr und ihm klebte sein dreckiges Haar an den Wangen. Auf seinen Lippen hatten sich bereits kleine Salzkristalle gebildet. Seine ausgedörrte Kehle schrie ihm tobend entgegen, endlich den Durst zu stillen, dem er sich schon seit Tagen aussetzte. Doch quälend unterdrückte er ihn. Er war immer noch unsagbar wütend, weil Mehit ihn gefunden hatte. Wütend, weil sein Entschluss, sich der Sonne zu stellen, damit zunichte gemacht worden war. Doch das war nicht das Einzige, was ihn in den Untergang trieb. Jede Sekunde dachte er an seine Conzuela. Sie hatte nicht aufgegeben, hatte um ihre Liebe gekämpft und ihn mit ihrer Zuneigung und Hartnäckigkeit erobert. Er hingegen hatte sich nach langer Zeit wieder geöffnet, sich verliebt und war dann mit ihr die Blutsverbindung eingegangen. Nie hatte er gedacht, solches Glück wieder empfinden zu können. Doch dann hatten Isfets Leute Jacques entführt und einen grausamen Handel vorgeschlagen. Seine Conzuela gegen das Leben von Jacques. Conzuela hatte sich, trotz der Einwände von Ament, gegen ihn entschieden und war gegangen. Sie wollte dem Menschen das Leben retten, nur das zählte für sie. Er wollte diesen Umstand nicht wahrhaben, dass ein Menschenleben mehr wert sein sollte als er selbst. Bitter stieß es ihm aus der Kehle auf. Ihre Aufopferung ging nicht in seinen dicken Schädel. Er hatte sie gebeten, ja fast angefleht zu bleiben, doch sie hatte es nicht getan. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und dennoch auf seine Zustimmung gehofft. Grollend jagte seine Wut durch seinen ausgelaugten Körper. Nun war es sein Egoismus, der durch seine Adern kroch. Wie Rasierklingen durchflutete es seine Muskeln und Knochen. Er mauerte eine Wand, um seine Gefühle zu Conzuela. Er wollte sich nicht weiter von ihr versklaven lassen. Doch immer wieder erinnerte ihn die geschlossene Blutsverbindung an seine Frau. Seine Lider senkten sich. Zerrissenheit machte sich in jede seiner Zellen breit. Er musste sich entscheiden. Entweder er würde mit aller Macht um sie kämpfen, oder sie für immer aus seinem Leben verbannen. Sein Zorn spie ihn an, sie zu verbannen, und forderte seine letzten Reserven.

Der Nachthimmel bot das ganze Schauspiel seiner Düsterheit auf, als Maddy und Mehit durch die Terrassentür auf den Mosaikweg hinaustraten. Mehits prüfender Blick wanderte unruhig umher, bis sie an der Steilklippe ankamen. Er wandte sich Maddy zu.

„Bist du dir sicher?“, fragte er und runzelte seine Stirn.

Sie reckte ihr Kinn nach oben und erwiderte entschlossen: „Vollkommen sicher.“

Er öffnete seine Arme, umfing blitzschnell Maddys Taille und presste sie an seinen harten Körper.

„Fertig?“

Bevor Maddy jedoch antworten konnte, sprang er mit ihr bereits über die Felsen und sauste den Steilhang hinunter in die Tiefe. Nur das dumpfe Geräusch von Mehits Stiefel ließ Maddy ihre Augen wieder öffnen. Ihr Blick glitt an der kargen Steilwand nach oben, und sie fing an zu stammeln.

„Du … bist nicht … gerade mit mir von da oben runter gesprungen?“

„Doch“, ein überhebliches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

„Ihr Vampire seid doch irre. Zum Teufel mit euch!“ Gerade wollte sie sich aus seinen Armen winden, als er sie weiter festhielt.

„Vorsicht! Das Gebiet ist vermint. Ich werde dich tragen.“ Er ging in die Knie und hob sie auf seine starken Arme.

„Du Fliegengewicht“, sagte er, was ihm einen Knuff auf seinem Oberarm einbrachte. Behutsam trat Mehit zwischen den einzelnen Minen hindurch, bis sie endlich bei Ament angekommen waren. Dort setzte er sie vorsichtig auf einem Felsvorsprung ab.

In der Dunkelheit zeichnete sich die Silhouette des gefährlichen Clankriegers ab und Maddy verspürte den Drang, ihn in ihre Arme zu schließen.

„Hey? Ich bin es … Maddy“, sagte sie sanft.

„Das war nicht zu überhören“, gab Ament knirschend zurück, ohne sie dabei anzusehen.

Mehit hatte sich zwischen die beiden postiert, um bei einer Eskalation der Situation sofort eingreifen zu können.

Nun nahm Maddy all ihren Mut zusammen.

„ICH wollte zu dir.“

Keine Antwort.

„Ich wollte sehen, wie es dir geht.“

Wieder keine Antwort.

„… dich zurückholen!“, sagte Maddy leise und verlagerte ihren Oberkörper leicht nach vorne. „Ich wollte mich selbst davon überzeugen, dass du dich in Selbstmitleid ertränkst!“

Sein Kopf schnellte herum, und in seinen Augen fingen kleine Funken an zu tanzen.

„Bleib ruhig Ament“, warnte ihn Mehit und hob seinen Arm.

„Selbstmitleid, dass ich nicht lache!“, knurrte er bitter. „Haut ab und lasst mich einfach in Ruhe!“

„Nein, das werden wir nicht. Denn wir brauchen dich Ament. Du bist ein Teil von uns.“

Wütend richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und riss die Arme hoch in die Luft.

„Ach, und Conzuela war kein Teil von uns?“

„Doch natürlich, und das ist sie immer noch!“ verteidigte Maddy ihre Aussage.

„Warum habt ihr sie dann gehen lassen? Warum habt ihr sie nicht aufgehalten?“ Aments unbändige Wut kochte in seinen Adern.

Maddy stemmte ihre Hände in die Hüfte. „Es war ihre Entscheidung, und das weißt du ganz genau! Aber wenn wir weiter hier rumsitzen und gar nichts tun, wird sie auch nicht zurückkommen. Wir müssen uns überlegen, wie wir vorgehen, um sie zu befreien. Dabei ist es nicht gerade hilfreich, nur auf das Meer zu starren.“ Sie verschränkte demonstrativ ihre Arme vor der Brust und hatte nun einen ebenso wütenden Gesichtsausdruck. Ihre langen schwarzen Haare peitschten um sie herum und die Gischt durchnässte ihre Kleidung.

„Ich werde jedenfalls nicht tatenlos zusehen. Wenn du der Meinung bist, hier vor dich hin vegetieren zu müssen, dann mach das. Dann müssen wir eben ohne dich agieren. Mehit, komm wir gehen!“ Sie richtete sich auf und streckte die Arme nach Mehit aus.

Diesem blieb der Mund offen stehen, denn unter normalen Umständen, hätte Ament nicht so mit sich reden lassen. Er wäre aufgesprungen und hätte sein Gegenüber in der Luft zerrissen. Aber selbst ihm blieben jetzt die Worte im Hals stecken.

Ament hielt seinen Blick gesenkt und in ihm hallten immer noch die Worte von Maddy nach. Er hätte ihnen gerne Glauben geschenkt, doch er zweifelte daran, und sein Zorn gab ihm den Rest.

„Mehit?“ forderte Maddy ihn erneut auf.

Dieser trat daraufhin dicht an sie heran, nahm sie auf den Arm und trug sie zurück durch das Minenfeld, während ihm die Reaktion von Ament nicht aus dem Kopf gehen wollte. Nie hatte er ihn so ungehalten und resigniert gleichzeitig gesehen.

„Festhalten“, sagte Mehit, als er Maddy an sich presste und in die Luft sprang. Sie landeten wieder auf dem Mosaikweg, wo er sie sanft aus seinen Armen gleiten ließ.

Eine heftige Welle von Gefühlen überrollte Maddy nun. Ihr Atem ging stoßweise und ihr Kopf schien zu explodieren. Sie lief einige Schritte auf die Wiese zu und sank dann auf ihre Knie. Ihre Haare fielen über ihre Schulter und bedeckten ihr Gesicht.

„Alles in Ordnung?“ fragte Mehit nervös, als er sich neben sie kniete.

Nun keifte Maddy wütend.

„Nein, nichts ist in Ordnung! So kann es nicht weitergehen. Verdammter Mist. Wir müssen Conzuela befreien und das schnell. Ich will, dass wir uns alle in der Kommandozentrale treffen und besprechen, wie wir am besten vorgehen. Sie sollte keinen weiteren Tag bei diesen Hurensöhnen verbringen müssen. Ich will …“.

Ihre Stimme brach und sie kämpfte mit den Tränen.

Eine Hand streichelte ihr sanft über den Kopf.

„Hör auf, mich zu tätscheln, wie ein kleines Kind, denn das bin ich wahrlich nicht mehr.“ Als sie wütend ihren Kopf anhob, schaute sie plötzlich in das starre Gesicht von Ament, der sie mit seinen rotglühenden Augen ansah.

Sie warf sich an seine breite Brust und weinte bitterlich.

„Versprich mir, dass wir sie befreien!“

Ament schloss sie in seine muskulären Arme und senkte seinen Kopf, sodass seine Lippen auf ihren Scheitel trafen.

„Schauen wir mal!“ Gleichgültigkeit statt Hoffnung schwang in diesen Worten mit.

Mehit hatte sich schweigsam wieder aufgerichtet und versuchte Ament zu verstehen, aber es gelang ihm nicht. Keine Gefühlsregung, war seinem Gesicht zu entnehmen. Dass er seine Position wegen Maddy an den Felsen aufgegeben hatte, verwunderte ihn - und machte ihn äußerst wachsam. Denn der sonst so störrische Krieger ließ sich nie von irgendjemandem überzeugen. Anscheinend hatten Maddys Vorwürfe funktioniert. Dennoch schwang eine bittere Aura um ihn herum.

Nach einer gewissen Zeit des Schweigens erhoben die beiden sich wieder und liefen dann gemeinsam mit Mehit auf das Herrenhaus zu, als Maddy sagte:

„Die Gefangene sitzt immer noch in unserer Zelle. Vielleicht könnten wir aus ihr Informationen über Isfets Leute herausholen, die uns helfen, Conzuela zu befreien?“ Immer noch hielt sie Ament an der Taille fest umklammert.

„Ihr habt sie noch nicht verhört?“ fragte Ament mit leichtem Interesse.

„Nein, haben wir nicht. Ich wollte, dass du dabei bist, wenn wir damit beginnen“, antwortete Mehit trocken.

„Nicht nur er. Ich will auch dabei sein!“, erwiderte Maddy und wand damit ihren Kopf an Aments Brust nach oben.

Er nickte ihr zu und Erleichterung machte sich bei ihr breit.

Ivan tauchte aus dem Wasser des Swimmingpools auf und holte tief Luft. Nachdem er bei einem Auftrag in Russland vier von seinesgleichen in einem Pool bestialisch ermordet hatte, war er schon seit langem in keinen Pool mehr gestiegen. Doch das war jetzt lange genug her und es fühlte sich gut an, durch das Nass zu gleiten. Der Pool des Clans ließ aber auch keine Wünsche offen. Neben dem geräumigen Becken, indem das Wasser Türkis glitzerte, befanden sich am Rand mehrere Liegen mit dicken weichen Auflagen, worauf je ein flauschiges Handtuch am Fußende lag. Ein Stück weiter hinten im Raum zeigte sich ein Whirlpool, der geradezu dazu einlud, sich in ihm zu entspannen. Einen Moment lang dachte er, wie schön eine ausgiebige Massage im Anschluss wäre. Leider musste er diesen Gedanken verwerfen, als über den Lautsprecher Rabans Stimme ertönte.

„In zehn Minuten in der Kommandozentrale!“ Diese Nachricht hallte durch alle Trainings- und Aufenthaltsräume der unteren Etage.

Abermals tauchte Ivan unter die Wasseroberfläche und ließ sich bis zum Grund sinken. Er genoss die Perspektive, die sich ihm hier bot. Ruhe und Ausgeglichenheit strahlten von den blaugefliesten Wänden wieder. Nach dem er den Boden berührt hatte, stieß er sich kraftvoll ab und glitt wieder an die Wasseroberfläche. Mit seiner rechten Hand strich er über sein Gesicht und über seinen Flat-Haarschnitt. Dann stemmte er seinen massigen Körper am Beckenrand empor, wobei das Wasser in Rinnsalen an seinem gestählten Körper hinablief. Er griff nach einem weichen Handtuch und trocknete sich ab. Sein Blick fiel auf die Tätowierung auf seiner Brust. Er ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und stieß einen russischen Fluch aus.

Darja.

Seit dem er beim Clan angeheuert hatte, war jeglicher Kontakt zu ihr abgebrochen. Auch von der Verwandlung zum Clankrieger wusste seine Schwester nichts. Zwei Mal hatte er schon den Versuch gestartet, Raban darauf anzusprechen, doch dieser war mit der Überwachung von Conzuela so eingebunden, dass er sein Anliegen immer verdrängte. Er griff nach seiner Moleskin-Hose und ließ seine muskulären Beine hineingleiten. Seinen Oberkörper hüllte er in ein eng anliegendes graues T-Shirt und schlüpfte in ein paar Kampfstiefel. Mit einem fast sehnsüchtigen Blick über die Schulter verließ er den SPA-Bereich und trat auf den Flur hinaus. Er lief ihn entlang bis zur letzten Ecke, um dann zur Kommandozentrale abzubiegen. Er blieb abrupt stehen, als Mehit, Maddy und Ament ihm entgegenkamen. Sein Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus. Mit seinen violetten Augen musterte er Ament eindringlich von Kopf bis Fuß. Seine feinen Sinne sagten ihm, dass Ament unter seiner äußerlich ruhigen Fassade wie ein Vulkan tobte, der kurz vor der Eruption stand. Diese heftigen Schwingungen übertrugen sich auf den gesamten Flur, was die Neonröhren in der Decke zum Knistern brachte. Das gesamte Erscheinungsbild von Ament glich dem eines Penners aus der dreckigsten Gosse. Von seinem Geruch ganz zu schweigen und trotzdem klebte Maddy an ihm, wie eine Klette.

Ament, der den prüfenden Blick von Ivan auf sich spürte, wandte sich aus Maddys Umarmung mit den Worten: „Ich will duschen!“

Mit großen Schritten lief Ament an dem irritierten Ivan vorbei, ohne ihn weiter eines Blickes zu würdigen.

Maddy blieb stehen. „Er … ist wieder da.“ Fast sehnsüchtig klangen ihre Worte, als sie erleichtert ausatmete und die Kommandozentrale betrat.

„Shit!“ zischte Raban hervor. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! DU … bist nicht besser als ich, dass kannst DU vergessen!“ Wie wild hämmerte er auf seine Tastatur ein.

Kritisch fragte Mehit. „Mit wem redest du da?“

„RUHE!“ keifte dieser nur zurück.

Schnell zog Ortischa Mehit am Arm und Maddy an ihrer Hand wieder nach draußen. Im Flur drehte sie sich noch einmal um.

„Wir sollten lieber in den Aufenthaltsraum gehen“, sagte sie und deutete mit einer einladenden Handbewegung den Flur entlang.

Sofort folgten Ivan und Angel ihnen, nachdem sie die Glastür der Kommandozentrale hinter sich geschlossen hatten.

Nach und nach ließen sie sich alle auf der großen Ledercouch im Aufenthaltsraum nieder. Mehit war an den Kühlschrank getreten und hatte sich an einem Blutbeutel genährt. Anschließend griff er nach einer Cola, die er bereits im Gehen öffnete und Maddy überreichte. Dankend nahm Maddy ihm die Flasche ab.

Nach einigen Minuten sagte Ortischa. „Wie habt ihr das denn geschafft, dass Ament wieder zurückgekommen ist?“

Fast triumphierend sagte Mehit. „Maddy hat ihm die Leviten gelesen. Aber sag, was hat denn Raban schon wieder?“

„Er ist schon die ganze Zeit so.“ Sie verstummte als Ament den Raum betrat und ihre Augen weiteten sich. Seine lange rotbraune Mähne war einer Glatze gewichen, was nun alle in seine Richtung starren ließ.

Dem erstaunten Mehit blieb der Mund offen stehen.

Verwundert sah auch Ivan seinen Clanbruder an.

Angel hingegen studierte eher Maddy, als sich für die neue Frisur von Ament zu interessieren.

„Warum hast du sie abgeschnitten?“, fragte Maddy schockiert.

Keiner der anderen Anwesenden hätte sich je zu dieser Äußerung hinreißen lassen.

„Es war Zeit für eine Veränderung“, gab Ament emotionslos zurück. Die prüfenden Blicke spürend lehnte er sich an die Wand, so wie er es immer getan hatte. Ihm war es vollkommen egal, was die anderen von seiner Frisur hielten. Er schaute zu Maddy, die ihn weiter fixierte. Aber ihr Blick war nicht mehr schockiert, sondern akzeptierend.

Sie nickte ihm aufmunternd zu, als Ortischa anfing, Mehits Frage zu beantworten.

„Anscheinend haben die bei Isfets Leuten jemanden, der genauso gut mit Computern umgehen kann wie Raban selbst. Und dieser jemand stört ständig das Signal von … Conzuela.“ Ihr rastloser Blick flog in Aments Richtung, doch dieser blieb regungslos.

„Ich habe davon nicht so viel Ahnung. Aber was ich verstanden habe ist, dass sich das Signal fast stündlich bewegt und er schon einen Satelliten angezapft hat, um das Signal zu verstärken. Seit diesem gewissen Abend sitzt er vor dem Computer. Das Einzige, was er macht, ist Blut zu sich zu nehmen. Ich glaube aber, dass er langsam an seine Grenzen kommt. Er muss sich auch mal ausruhen. Wir sollten uns vorsichtshalber jemanden suchen, der ihn im Notfall ersetzen kann. Was haltet ihr davon?“ Nun blickte sie fragend in die Runde.

Ivan, der mit gesenkten Kopf, den Sätzen von Ortischa gefolgt war, sagte: „Ich könnte vielleicht helfen. Ich bin zwar nicht so ein As darin wie Raban, aber er könnte mir zeigen, was ich tun muss.“

„Gut, dann hätten wir das geklärt. Nun zu unserem eigentlichen Problem. Wie wollen wir es anstellen, Conzuela zu retten?“

Betretende Mienen spiegelten sich auf den Gesichtern wieder und minutenlang sagte keiner ein Wort.

Maddy besann sich und schlug etwas verhalten vor: „Vielleicht sollten wir uns auf meine Cousine, Lady Senteberry, konzentrieren? Sie war diejenige, die im Bistro von Isfets Leuten begleitet wurde. Also muss sie auch über die Machenschaften Bescheid gewusst haben, oder ist sogar selbst involviert.“

Erneut machte sich betretendes Schweigen im Raum breit.

„Das wäre eine Möglichkeit“, sagte Mehit zögernd. „Ich glaube, wir hatten alle nicht damit gerechnet, dass Lady Senteberry unserem Gegner hilft. All die Jahre gab es keine Verbindung, die wir erkannt hätten.“ Er schüttelte resigniert den Kopf.

„Aber vielleicht gibt es noch einen anderen Weg?“, meinte Angel nun leise.

Ortischa drehte ihren Kopf in ihre Richtung und die schwarze Lockenmähne schwang über ihre Schulter.

„Was meinst du damit?“

„Isfets Leute agieren nicht nur in Europa. In Amerika sind sie ebenfalls vertreten. Vor einigen Jahren, als mein Bruder noch unsere Gang anführte, haben wir oft gegen sie gekämpft.“

„Was hat das nun mit uns zu tun?“, fragte Ortischa genervt.

„Eines Tages bekam er wieder einen Auftrag. Doch das Ganze war eine Falle. Isfets Leute hatten ihn in einen Hinterhalt gelockt und ihn bestialisch ermordet. Anfangs wusste keiner von uns, dass das Isfets Leute gewesen waren. Daraufhin hat sich die Gang aufgelöst und jeder ging seiner Wege. Erst als ich die persönlichen Sachen von meinem Bruder in seiner Unterkunft durchschaute, fielen mir einige merkwürdige Dinge auf. In einem Buch, beispielsweise, fand ich eine Seite, wo einzelne Buchstaben umrandet wurden. Und Telefonnummern, die ich vorher nicht kannte, oder Eintragungen in seinem Computer, die einem Puzzle glichen. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis ich einen kleinen Teil davon entziffern konnte. Demnach hat mein Bruder, ohne es zu wissen, einige Aufträge von Isfets Leuten durchgeführt. Doch dann eines Nachts, als ich auf der Jagd war, explodierte das Apartment von meinem Bruder und alle Beweise, die ich zusammengetragen hatte, gingen dabei in Flammen auf. Nur dieser hier nicht.“ Sie öffnete ihr Portemonnaie und holte einen gefalteten Zettel hervor. „Leider konnte ich damit nichts anfangen.“ Sie reichte ihn Ortischa.

Diese überflog den Zettel mit den Worten.

„Damit kann ich auch nichts anfangen. Sagt euch der Name „Issi“ etwas?“

Keiner antwortete.

„Vielleicht gibt es eine Verbindung zwischen dem Namen und der Telefonnummer, die etwas weiter unten steht. Die anderen Zahlen sehen eher nach Daten aus. Raban könnte sie in den Computer eingeben. Er ist geschickter als ich.“ Ihre blauen Augen glänzten im Licht der Deckenbeleuchtung, denn ihre Vergangenheit schmerzte sie immer noch sehr.

„Könntest du das übernehmen?“ Ortischa reichte den Zettel an Ivan weiter, der ihn aufmerksam studierte.

Mehit sah Ament an, der leicht nickte.

„Dann werden wir uns jetzt der Gefangenen widmen.“

„Gut, ich werde mit Mona und Jacques sprechen. Vielleicht kann uns Jacques noch Hinweise geben, wo er festgehalten wurde“, warf Ortischa noch in die Runde und alle verließen damit den Aufenthaltsraum und gingen ihren Aufgaben nach.

Maddy lief zwischen Ament und Mehit und konnte kaum mit den beiden Schritt halten. Doch in der Nähe der beiden, fühlte sie sich immer noch am wohlsten. Als sie um die Ecke bogen, blieb Mehit stehen und sagte:

„Du gehst hier rein. Das ist der Nebenraum, der durch eine Glasscheibe vom Verhörraum getrennt ist. Hier kannst du jedes Wort hören und sehen was passiert.“

Sie nickte ihm zu und betrat den Raum.

Hinter ihr verriegelte Mehit mental die Tür.

Maddy schaute sich in dem kargen Raum um. Die Betonwände waren allesamt grau und außer einem Stuhl, gab es nichts darin. An der Seite der Scheibe befand sich ein kleiner Kasten, in dem ein kleines Schaltpult eingelassen war. Sie blickte neugierig durch die Scheibe in den Nebenraum, dort stand ein Tisch und auf beiden Seiten je ein Stuhl. Eine Neonröhre erhellte in kaltem Licht den Raum.

Sie schrak zusammen, als die Tür plötzlich aufflog und Ament ziemlich unsanft die Vampirin in den Raum schleuderte, bevor er dann selbst weiter in den Raum vordrang.

Sie prallte gegen die gegenüberliegende Wand und rieb sich anschließend ihren Arm, als sie unsanft auf der Erde landete. Ihre braunen langen Haare waren ziemlich verknotet, äußerst dreckig und hingen vor ihrem Gesicht.

Nun betrat auch Mehit den Raum und schloss die Tür hinter sich. Seine Fangzähne, wie auch die von Ament, waren voll ausgefahren und glänzten in der Deckenbeleuchtung.

Die Vampirin rappelte sich langsam hoch und auch ihre Fänge kamen langsam zum Vorschein.

„Setz dich!“, knurrte Mehit.

Die Vampirin drückte sich an die Wand und folgte seiner Anweisung nicht.

„SETZ DICH!“, brüllte er.

Ein leichtes Zucken ging durch ihren Körper und zog zaghaft den Stuhl zu sich heran. Dann setzte sie sich in die Ecke.

Ament lehnte mit verschränkten Armen an der Tür und beobachtete jede einzelne ihrer Bewegungen. Beide Clankrieger wussten, dass die Vampirin ihnen in jeglicher Hinsicht unterlegen war. Ihre Kraft reichte bei Weitem nicht aus, sich auch nur gegen einen der beiden zur Wehr zu setzen.

„Wie heißt du?“, fing Mehit an, wobei er sich auf den anderen Stuhl setzte und seine Stiefel landeten auf der Tischplatte.

Keine Antwort.

„Ich habe gefragt, wie du heißt?“ Seine kristallblauen Augen funkelten böse. „Wir können das auch auf die harte Tour machen, wenn du nicht kooperativ bist.“ Nun fletschte er die Mundwinkel.

Die Vampirin bewegte sich leicht nach vorne und Ament verspannte sich sogleich.

„Mein Name ist … Tine“, sagte sie zögerlich, denn sie erkannte die Ausweglosigkeit der Situation.

„Am Abend des Balls. Was wolltest du auf dem Parkplatz?“, wollte Mehit von ihr wissen.

„Ich war beauftragt worden, den Parkplatz zu inspizieren“, gab sie ruhig zurück.

„Wo ist euer Quartier, aus dem du hervorgekrochen bist?“

Sie hob leicht den Kopf, wobei eine Strähne zur Seite fiel und ein wenig von ihrem Gesicht freigab.

„Das kann ich euch nicht sagen. Wenn ich etwas preisgebe, werde ich getötet.“ Ihre Stimme klang emotionslos.

„Was glaubst du eigentlich, was wir mit dir machen, wenn du uns nicht die Informationen gibst, die wir wollen?“ Er zog seine Augenbrauen nach oben und grinste sie herausfordernd an.

Im Nebenraum wurde Maddys Körper von einer Gänsehaut überzogen. So hatte sie Mehit noch nie erlebt.

Eiskalt und knallhart.

Aber sie wusste, dass das die einzige Möglichkeit war, die feindliche Vampirin zum Reden zu bringen.

„Ich bin sowieso tot“, sagte diese nun niedergeschlagen.

„Bei einer solchen Einstellung, wird es dir nicht schwer fallen uns alles zu erzählen, was wir wissen wollen.“ Mehit hätte nicht gedacht, dass das Verhör von so viel Resignation geprägt wäre. Er hätte viel mehr Schweigen erwartet.

Zaghaft strich sich die Vampirin eine dicke Strähne hinters Ohr und gab somit einen Blick auf ihr Auge frei. Das Lid war gesenkt und ihre vollen Wimpern legten sich wie ein Fächer darum. Ihre braune Haut erschien im Neonlicht fahl und grau und ihre schlanken Finger zitterten.

Es vergingen einige Minuten, bis sie erneut ihre zarte Stimme erhob.

„Ich kann euch nicht helfen“, sagte sie nun. „Ich bin ein Nichts. Ich war nie mit großen Aufgaben betreut. Ich mache nur kleine Botengänge oder inspiziere mal einen Parkplatz wegen einem Auto. Zu mehr wurde ich nie eingesetzt.“

Mehit hörte Traurigkeit in ihren Worten, doch er wollte sich davon nicht täuschen lassen.

„Auch das kleinste Glied einer Kette ist von Nutzen“, widersprach er.

Nun hob sie leicht ihren Kopf und schlug ihre Augen auf. Das fahle Grau, welches ihn nun anstarrte, ließ sein Blut hochkochen.

„Ihr wisst nicht wie es ist, immer nur benutzt zu werden.“ Mit starrem Blick richtete sie sich etwas auf. „Wurden an euch auch Tests durchgeführt? Oder wurdet ihr wie ein Tier im Käfig gehalten? Nein, mit Sicherheit nicht. Also kann das hier für mich auch nicht schlimmer werden, denn sterben werde ich so oder so.“ Die Gleichgültigkeit, die aus ihr sprach, ließ Mehit einen Moment lang innehalten.

„Was für Tests wurden an dir durchgeführt?“ fragte er nun sichtlich neugieriger.

Sie schüttelte leicht den Kopf. „Warum haben wir wohl alle diese grauen Augen?“

„Du sollst meine Fragen beantworten und mir keine Gegenfragen stellen!“, knurrte Mehit, als er seine Füße vom Tisch nahm und die Fäuste ballte.

„Bluttests!“, antwortete sie ihm barsch. „Um die Formel für das verdammte Tagesserum zu erlangen. Jeder von uns wird damit vollgepumpt, ob er will oder nicht. Es ist ihnen egal, ob man dabei draufgeht oder nicht. Man wird einfach festgeschnallt und dann bekommt man die Injektionen. Soweit ich gehört habe, gibt es mittlerweile wohl ein paar Exemplare, die tatsächlich am Tage unterwegs sein können.“ Ihre Worte strotzten nur so vor Abneigung.

Mehit erinnerte sich an den Van, der den Bentley gerammt hatte, als sie damals das Atelier verlassen hatten. Beide Vampire waren damals am Tage unterwegs gewesen, also entsprach das der Wahrheit.

„Viele von uns sind jedoch gar nicht so privilegiert, um in diese Riege aufzusteigen. Die meisten, so wie ich, verrichten nur die dreckigen Kleinarbeiten“, kam ihr über die trockenen Lippen.

„Wo schafft ihr eure Gefangenen hin?“, schaltete sich Ament jetzt ein.

Beide Clankrieger dachten, dass sie darauf mit einer Lüge antworten würde.

„Sie haben mehrere Unterschlupfe auf der ganzen Welt. Was ich mitbekommen habe ist, dass sie nie lange an einem Ort gehalten werden, da die Gefahr besteht, dass IHR oder der Rat sie dort aufspüren. Das ist aber wieder eine ganz andere Einheit, die mit solchen Dingen betraut ist.“ Sie fühlte die Erregung der beiden Clankrieger und sagte. „Wenn sie jemanden gefangen oder gekidnappt haben, der aus euren Reihen ist, dann wird es verdammt schwierig werden, diesen wieder aufzuspüren.“

Aments Faust krachte gegen die Betonwand und einzelne Fragmente fielen zu Boden.

„Unsere Sache!“, knurrte er hervor.

Die Vampirin zuckte zurück, riss ihre Augen weit auf und schrie. „Ich habe niemanden entführt. Das müsst ihr mir glauben!“ Ihr Gesichtsausdruck war dabei wild verzehrt.

Nun schoss Ament blitzschnell auf sie zu, riss sie vom Stuhl hoch und rammte ihr seinen Unterarm unsanft gegen die Kehle. Sein heftiger Stoß beförderte sie mit dem Rücken gegen die Wand. Der Aufprall ließ den Beton rieseln. Heftig rang sie nach Luft, dennoch ließ Ament nicht locker. Seine Augen fingen an, kleine Funken zu sprühen, und sein Atem traf ihr Gesicht.

„GENUG!“, schrie Mehit und hob beschwichtigend den Arm. „Wir beenden das Verhör für heute.“

Doch Ament konnte sie einfach nicht loslassen. Unbändige Wut kochte durch seine Eingeweide und er hätte sie am liebsten auf der Stelle getötet. Ihm war es egal, ob sie die einzige Möglichkeit war, Conzuela wiederzufinden. Ihm war nach Rache und Tod.

„AMENT!“, hallte es hinter ihm drohend.

Nun löste Ament seinen Arm vom Hals der Vampirin und gleichzeitig ergriff er ihr Handgelenk, riss sie von der Wand weg und schleifte sie hinter sich her aus dem Verhörraum.

Sie stolperte und wand sich unter seinem unerbittlichen Griff. Flehend stemmte sie sich immer wieder gegen seine enorme Kraft, doch es war aussichtslos.

„Lass mich los, du Bastard!“, schrie sie ihn an.

Doch das interessierte ihn keineswegs. Er brachte sie zurück in ihre Zelle, wo sie durch eine zentnerschwere Tür daran gehindert wurde, diese zu verlassen.

Im Nebenraum der Verhörzelle saß Maddy wie gelähmt auf ihrem Stuhl und wartete, dass Mehit zu ihr herüberkam. Die Härte, die die Clankrieger angewandt hatten, wirkte verstörend auf sie.

Als Mehit den Raum betrat konnte er bereits ihre Unsicherheit spüren.

„Das war noch harmlos“, sagte er zu ihr. „Wenn Ament erst einmal richtig in Rage gerät, sieht das noch ganz anders aus.“ Er wollte sie nicht schonen, denn ihr etwas vorzumachen, schien ihm nicht richtig zu sein.

Fast zögerlich antwortete sie ihm. „Ich wollte es ja so, also kann ich mich jetzt auch nicht beschweren. Meinst du, sie sagt die Wahrheit?“

Er zuckte mit den Schultern.

„Sie hat Angst, verständlicherweise. Aber ich habe auch Traurigkeit und Resignation in ihrer Stimme gehört. Wir müssen jedoch auf der Hut sein. Sie wird alles tun, um uns zu täuschen. Isfets Leute sind Meister darin. Nicht, dass die Leute vom Rat freundlicher wären.“ Ein düsterer Schatten glitt über sein Gesicht und er wandte sich ab, um Maddy nicht noch weiter zu beunruhigen. So ruhig er konnte, sagte er daraufhin.

„Komm, wir gehen zu Raban.“

Maddy verdrehte die Augen. „Hast du mal auf die Uhr gesehen? Es ist schon weit nach Mitternacht. Ich glaube, ich werde besser schlafen gehen. Der Abend war aufregend genug.“ Mit einem Gähnen wollte sie sich gerade verabschieden, als sie sich noch einmal zu ihm umdrehte. „Ich könnte doch auch hier unten schlafen, oder?“

Mit gedämpfter Stimme antwortete er ihr. „Klar kannst du das. Du brauchst doch nicht um Erlaubnis fragen. Die Suite, in der du schon einmal geschlafen hast, steht dir zur freien Verfügung. Ich bringe dich hin, wenn du willst?“

Sie nickte und beide traten auf den Flur hinaus und liefen dann schweigsam den Marmorflur entlang. Sie hörten, dass ihnen Ortischa entgegenkam und blieben gleichzeitig stehen.

„Und? Wie ist es gelaufen?“ fragte Ortischa neugierig, doch ihr ernster Gesichtsausdruck spiegelte Frustration wider.

Mehit sagte nun wirklich gelassener.

„Es ging so. Sie scheint nur ein kleiner Fisch zu sein. Wir müssen abwarten, was sich daraus entwickelt. Und bei dir?“

Sie senkte leicht ihren Kopf, wobei einige Locken über ihre Schulter nach vorn rutschten.

„Auch nicht viel besser. Im Grunde genommen weiß Jacques eigentlich gar nichts. Sie haben ihn anscheinend die ganze Zeit in eine Art Trance gehalten. Das Einzige, woran er sich wirklich gut erinnern kann, ist der Campus, auf dem er, von Mike, gefangen genommen wurde. Seit der Autofahrt fehlt ihm jedoch jede Erinnerung. Er sagt, er wurde dann erst wieder wach, als er in einem kargen Raum gesessen hatte, der einer Zelle ganz ähnlich war. Dort war er dann die ganze restliche Zeit eingesperrt. Bis zu dem Tag, wo der Austausch der Beiden stattgefunden hat. Die ersten Bilder, an die er sich wieder erinnern kann, sind dann die auf dem Parkplatz.“

„Also, ist ihm wenigstens kein Schaden zugefügt worden?“, sagte Maddy andächtig.

„Körperlich nicht, aber seelisch?“ Ihre braunen Augen sahen sie fast mitleidig an. „Und bei Mona ist das nicht viel anders. Der fast tödliche Überfall hat Spuren bei ihr hinterlassen. Ich wollte beiden schon die Erinnerung an die Geschehnisse nehmen, aber …“ Sie verstummte, als sie Maddys unerbittlichen Blick sah. „… aber ich habe es nicht getan“, fügte sie schnell hinzu. „Wir haben uns abgesprochen, dass beide morgen auf das Anwesen kommen sollen, um dann mit Philippe und Corinne zusammen in das neue Haus umzuziehen. Edward wird dann beide im Bentley herausschmuggeln und nach einiger Zeit wiederkommen. Jacques will dann sagen, dass er sich mit seinem Professor überworfen hat und nun in das Geschäft seines Vaters einsteigen möchte. Gegenüber von dem Bistro befindet sich ein modernes Schuhgeschäft, welches von unserer Art betrieben wird. Sie haben eingewilligt, Mona dort zu beschäftigen und zusätzlich auf sie aufzupassen.“

„Das hört sich doch fantastisch an. Oder?“ Freude stieg in Maddy hoch.

Mit einem verschmitzten Lächeln schaute Ortischa sie an.

„Tja, es muss ja auch mal etwas funktionieren, nicht wahr?“

Maddy umarmte Ortischa, die über diese Geste sichtlich überrascht war.

Unterdessen war Ivan in die Kommandozentrale gegangen und hatte auf einem Stuhl neben Raban Platz genommen.

Dieser hatte ihm jedoch nur einen abschätzigen Blick zugeworfen.

„Was willst du hier?“, fragte er nach einiger Zeit argwöhnisch.

„Ein bisschen helfen …“, gab Ivan mit einem hämischen Grinsen zurück.

Entgeistert runzelte Raban die Stirn. „Ich brauche keine Hilfe. Nicht von dir oder sonst irgendjemanden. Hast du verstanden?“

Wortlos lehnte Ivan sich auf dem Stuhl zurück und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. Sein Blick glitt zu dem Computer und er beobachtete Rabans Handgriffe ganz genau, und sah zu wie er auf die Tastatur einhämmerte. Sein Gehirn konnte sich nach kürzester Zeit die Befehle, die zur Satellitensteuerung nötig waren, einprägen. Nach einer knappen halben Stunde, konnte er jeden Befehl, den Raban eingegeben hatte, nachvollziehen.

Seinen Blick hatte Raban aus dem Augenwinkel heraus missmutig registriert.

„So, nun starrst du bereits seit über einer halben Stunde auf meine Monitore und auf meine Finger. Verliere ich jetzt meinen Job?“ Fast wütend stieß er diese Worte aus und drehte kurz seinen Kopf in Ivans Richtung, wobei die grünen Sprenkel in seinen Augen anfingen zu leuchten.

„Bleib ganz ruhig. Niemand will deinen Job. Den kannst du gut und gerne alleine machen. Ich habe früher auch ein wenig mit Computern gearbeitet. Ich möchte dich nur ein wenig unterstützen. Denn wenn du mal eine kurze Pause brauchst, kann ich dich notfalls vertreten. Was hältst du davon?“ Der russische Akzent rollte durch die Kommandozentrale, wie Wodka die Kehle hinunter.

„Auf wessen Mist ist das denn wieder gewachsen?“ Raban zog die Augenbrauen zusammen, was sein Gesicht sehr grimmig wirken ließ.

Ivan konnte und wollte Raban nicht anlügen. „Ortischa“, sagte er ruhig.

„War ja klar, dass die Zuckerpuppe wieder ihre Finger im Spiel hat“, gab er gereizt zurück.

„Wir sind ein Team, vergiss das nicht!“, antwortete Ivan gelassen.

Ein Moment lang überlegte Raban, bis er schließlich viel ruhiger sagte. „Du hast Recht. Einzeln erreichen wir gar nichts.“ Es behagte ihm zwar nicht, jemanden an seine geliebten Computer zu lassen. Aber er sah ein, dass dies notwendig war. Sein Körper war ausgelaugt und unter den gegebenen Umständen, würde er nicht mehr lange durchhalten. Kurzerhand wies er den Clankrieger in alle Einzelheiten ein und sein wissbegieriger Schüler hörte zu.

Der heftige Schlag von Ament’s Faust gegen die Gefängniswand ließ beide aufhorchen.

„Scheint ja eine heftige Befragung zu sein“, äußerte Ivan. „Wäre sehr gern dabei gewesen.“

Raban sah, wie die violetten Augen von Ivan anfingen zu glitzern. Er wandte sich wieder seinem Computer zu und presste hervor: „Wenn das zur Folge hätte, dass wir endlich mal Informationen bekommen würden, wäre das ein echter Vorteil.“

„Ach, in punkto Informationen. Vorhin bei der Besprechung hatte mir Angel einen Zettel gegeben. Es handelt sich um einen Namen und eine Telefonnummer, den sie in den Unterlagen ihres toten Bruders gefunden hat. Wir sollten das mal überprüfen.“

„Gib mal her.“

Ivan überreichte Raban nun den gefalteten Zettel, den Angel, wie ihren Augapfel gehütet hatte.

Kurzerhand rutschte Raban an einen weiteren Computer und entfaltete dort das Papier.

„Übernimm mal.“ War seine knappe Anweisung.

Raban gab die Telefonnummer auf dem Tastenfeld seiner Tastatur ein und ließ sie durch mehrere Datenbanken gleichzeitig laufen. In unterschiedlichen Fenstern erschienen jede Menge Datenströme, die sich in Sekundenschnelle auf dem Monitor überlappten. Als er den Zettel bis zum Ende gelesen hatte, schoss er ruckartig von seinem Stuhl hoch.

„Shit!“, schrie er sichtlich wütend. Mit dem Blick auf das Stück Papier geheftet, durchquerte er mit großen Schritten die Kommandozentrale, warf einen der Stühle um und griff sich mit den Händen an seinen Kopf.

„NEIN! NEIN! NE …“

Seine Stimme brach ab und er schmetterte der Länge nach zu Boden.

Irritiert sah Ivan zu ihm. „Raban? Was ist los?“

Keine Antwort.

Hilflos drückte Ivan das Notsignal.

Als Ortischa, Mehit und Ament gleichzeitig an der Kommandozentrale ankamen, bot sich ihnen ein schreckliches Bild. Die gesamte Kommandozentrale war übersät von glitschigen Schlingpflanzen.

Selbst der sonst so ruhige Ivan, hatte bereits Schwierigkeiten, sich gegen sie zu wehren. Sie hatten sich um seinen Stuhl und seine Beine gewickelt und krochen immer weiter an seinem Körper empor.

„Holt Raban da raus!“, wies er die anderen an.

Mehit war eine Sekunde lang von der Sorge, die Ivan geäußert hatte, fasziniert. Wie schnell er doch wie ein Clankrieger dachte und handelte. Dann besann er sich seiner eigentlichen Aufgabe.

„Hey Raban, was machst du hier für einen Quatsch?“

Doch er erhielt keine Reaktion und die Pflanzen breiteten sich immer weiter aus.

„Du kannst jetzt bitte damit aufhören!“, rief er.

Doch die Pflanzen krochen ungehindert hinaus auf den Flur und reckten sich nach allem, was sie fassen konnten.

Maddy kam um die Ecke gerannt und schlitterte direkt in eine von ihnen hinein. Die Schlingpflanze erfasste sofort ihren Fuß und wickelte sich in Sekundenschnelle an ihrem Bein empor.

„Lass los …“, schrie Maddy verzweifelt.

Ament ließ einen gezielten Feuerball auf die Schlingpflanze los und gleichzeitig riss Ortischa Maddy nach hinten und führte sie den Gang zurück.

„Was ist mit Raban?“, rief sie den Flur entlang.

„Er ist außer Kontrolle“, gab Ament ruhig von sich. Seine Arme richteten sich auf das nähere Umfeld des am Boden liegenden Vampirs.

Beruhigend versuchte Mehit, auf Raban einzureden, doch es half alles nichts. Sein Blick traf den von Ament, der nun seine Gabe durch die Kommandozentrale schleuderte. Die glühenden Feuerbälle verteilten sich um Raban herum.

Zügig breitete sich ein beißender Geruch im gesamten Untergeschoss aus.

Nun kam auch Angel herbeigeeilt.

Als sie Ivan in dem ganzen Schlamassel entdeckte, stockte ihr der Atem. Eine der Pflanzen hatte sich ihren Weg um seinen Hals gebahnt, und drohte ihn zu erwürgen. Ohne groß nachzudenken, stürzte sie sich in das Gestrüpp und kämpfte sich bis zu Ivan durch. Sie zog ein Messer aus ihrem Stiefel hervor und schnitt kurzerhand alle Pflanzenstile durch, die auch nur in der Nähe von Ivan waren. Ihre eigene Unaufmerksamkeit ließ sie nun zu Boden fallen. Die glitschigen Pflanzen überzogen ihre langen Beine. Mit hastigen Schnitten durchtrennte sie die lästigen Schlingpflanzen und befreite sich selbst von ihnen.

„Was ist das für ein Mist hier?“, rief sie zähneknirschend. Doch die Pflanzen dachten nicht an einen Rückzug. Energisch krochen die nichtverbrannten Enden wieder auf die Füße von Angel zu.

„Verpisst euch“, zischte sie und trat hektisch mit ihren Stiefeln nach den zappelnden Enden der Ranken.

Währenddessen sprach Mehit ungehindert auf den am Boden liegenden Raban ein.

Auch Ortischa gesellte sich nun zu ihnen und trat an Mehit vorbei auf die verbrannten Pflanzenteile zu. Mit zielstrebigen Griffen teilte sie die Pflanzen und zog das Handgelenk von Raban darunter hervor.

„Raban!“ keifte sie ihn an.

Doch es passierte nichts. Aus seinem Handgelenk schoss nur eine weitere Schlingpflanze, die sich in Windeseile um seine Hand hinauf bis zum Oberarm rankte.

„Was sollen wir denn nur tun?“ fragte Ortischa ratlos.

„Keine Ahnung!“, erwiderte Mehit ihr schulterzuckend, als die Schlingpflanzen an seinen Kampfstiefeln emporkrochen.

In diesem Moment sauste Ament an ihnen vorbei, riss Raban von der Erde hoch und schoss mit ihm die Treppe nach oben. Dort trat er vor die Tür und warf ihn in hohem Bogen auf die große Rasenfläche, drehte sich um und ging zurück ins Herrenhaus, als ihm Angel und Ortischa bereits entgegenkamen.

„Was hast du getan?“, tadelte Ortischa ihn.

Ament ließ das kalt, als er die Stufen wieder hinabstieg. Er erkundigte sich als Erstes bei Mehit, ob es ihm gut ginge.

Dieser sagte: „Alles okay bei mir. Was ist mit den anderen?“, währenddessen versuchte er, Ivan weiter zu befreien.

„Keine Verluste.“ War die kurze Antwort des wortkargen Kriegers.

„Und Raban?“

„Draußen!“

Kurz sah Mehit auf und war nicht erstaunt, das Ament ihn ignorierte.

„Willst du mir nicht helfen den Mist hier zu entsorgen?“, fragte Mehit.

„Nein!“ Ament wich seinem prüfenden Blick aus.

2. Kapitel

Nach dem Chaos in der Kommandozentrale hatte Ament diese wieder verlassen. Mit funkensprühendem Blick schritt er den Marmorflur zu seinem Quartier entlang. Er öffnete mental schon die Tür, bevor er sie erreicht hatte. Als er seine Räumlichkeiten ein weiteres Mal betrat, blickte er sich um, schloss kurz seine Augen und atmete tief ein. Seine Lippen zuckten, als ihn der liebliche Duft seiner Conzuela traf. Ihr einzigartiger Duft war zurückgeblieben, wenn das auch nur ein Hauch von ihr war. Fast sehnsüchtig wollte er die Augen nie mehr öffnen, weil er dachte der Duft könnte dadurch verschwinden. Für einen Moment lang ließ er sich in einen emotionalen Strudel ziehen, doch dann riss er die Augen auf, schnaubte und ballte seine Hände zu Fäusten, dass seine Knochen sich hart durch das Fleisch bohrten. Seine Haut fing an zu Kribbeln. Nein! Du … wirst mich nicht länger foltern. Du … hättest bleiben sollen, aber nein, du musstest ja die Heldin spielen und … seine Gedanken überschlugen sich und er wollte diese Welle der Gefühle nicht wieder hochkommen lassen, die er gerade so vehement niedergekämpft hatte. Seine Frustration saß noch zu tief. Zielstrebig durchquerte er das Wohnzimmer und glitt in das Ankleidezimmer, wo er sich aus seinem Waffenschrank noch zwei Pistolen in den hinteren Hosenbund steckte. Sein Ledermantel schmiegte sich an seinen massigen Körper, als er ihn überstreifte. Beim Hinausgehen griff er nach seinem Autoschlüssel, der auf der Kommode lag. Dann schlug er die Tür seines Quartiers hinter sich zu.

In der Tiefgarage angekommen, bestieg er seinen Audi R8. Erst als er den Motor startete durchfuhr ihn ein Gefühl der Befriedigung. Das Dröhnen des Motors kribbelte durch seinen gigantischen Körper und er fühlte sich seit Langem wieder einmal lebendig. Seine Hände griffen nach dem Lenkrad und er atmete erleichtert aus, als er aus der Garage fuhr und das Anwesen hinter sich ließ.

Seine mehrstündige, ziellose Fahrt endete vor dem angesagtesten Club, von dem er bisher immer nur gehört hatte. Die enorme Menschenschlange auf dem Bürgersteig zeigte ihm, dass er heute nicht hungrig bleiben würde. Speichel schoss in seinen ausgetrockneten Mund und er beleckte sich seine Zähne.

„Perfekt“, kam es zufrieden über seine Lippen, die geradezu danach lechzten mit Blut benetzt zu werden. Er schwang seinen hünenhaften Körper vom Sitz und verschloss seinen Wagen. Dann steuerte er geradewegs an der wartenden Menschenschlange vorbei auf den Türsteher zu. Ein Blick aus seinen, kurz aufglühenden, Augen verschaffte ihm sofort Eintritt und ein höllisches Theater von den aufgebrachten Menschen, die ebenfalls alle auf Einlass warteten.

Dies alles scherte Ament jedoch einen Dreck. Er drängte sich in das Innere des Clubs, wo ihm bereits dröhnende Bässe entgegenschlugen. Sogar gestandene Männer wichen ihm im Innern aus und den Frauen blieb teilweise der Mund offen stehen, als er an ihnen vorbeiging. Seine imposante Erscheinung, die in dem fast bodenlangen Ledermantel steckte, ließ so manchen Besucher an einen Gangsterboss denken. Was auch eigentlich nicht verkehrt war, denn wenn sie gewusst hätten, was Ament alles an Waffen unter diesem Mantel trug, wären sie wahrscheinlich schreiend davongelaufen.

Der Raum war erfüllt von seiner unbändigen Macht und einige der anwesenden Vampire rümpften missmutig ihre Nasen. Ein paar von ihnen verließen daraufhin eiligst den Club, andere hingegen starrten ihn fasziniert an. Einen wie ihn bekam die Zivilbevölkerung der Vampire nur selten zu Gesicht.

Unterdessen bahnte sich Ament seinen Weg entlang des Tresens. Dort hielt er kurz inne und verlangte nach einem Bier.

Die beschäftigte Bardame griff nach einer Flasche, öffnete diese und ließ sie über den Tresen zu ihm rutschen, sodass sie in Aments Hand landete. Er nahm einen großen Schluck und setzte seinen Weg fort.

Am VIP-Bereich angekommen, konnte er diesen ungehindert passieren und suchte sich einen leeren Tisch, an dem er sich niederließ. Ihn scherten die Blicke nicht, die auf ihn gerichtet waren. Sein Augenmerk war einzig und allein auf seine Flasche gerichtet, die er in der Hand hielt. Seine Stiefel fanden auf einem angrenzenden Stuhl Platz und sein gesenkter Blick verbarg seine todbringenden Augen.

Erst als ein Schatten sein Sichtfeld verdunkelte, sah er langsam auf.

„Verschwinde!“, knurrte er seinem Gegenüber zu.

Unbeeindruckt neigte sich der elegant gekleidete Vampir nach vorn.

„Etwas Freundlichkeit hat noch keinem geschadet, Kumpel.“

Ament war nicht danach, jetzt eine ausgiebige Unterhaltung zu führen. Er schwieg, doch seine Sinne nahmen wahr, dass es sich bei seinem Gegenüber ebenfalls um einen Vampir handelte. Aus seinen Poren kroch Überheblichkeit. Angewidert ließ er seinen Blick nach oben schweifen.

„Ich sagte … verschwinde!“

Ruckartig beugte sich der Vampir tiefer.

„Hör zu, mein Freund. Du bist hier in meinem Revier und ich will keinen Ärger mit dem Clan. Also benimm dich, dann kannst du bleiben, so habe ich mich mit Mehit geeinigt.“ Seine Fänge waren voll ausgefahren, doch wurden sie noch von seinen langen schwarzen Haaren verdeckt.

Eine der Bedienungen unterbrach die beiden.

„Haben Sie noch einen Wunsch?“ Ihr knappes Outfit bedeckte kaum ihre Kurven, und dennoch lenkte sie den Blick von Ament auf sich.

„Er möchte noch ein Bier, Mina. Er ist heute mein Gast und bekommt alles was er haben will. Alles!“

„Okay Mamba“, antwortete Mina. Sie huschte die Treppe vom VIP- Bereich rasch nach unten und ging zielstrebig auf den Tresen zu.

Mamba wandte sich wieder Ament zu.

„Brauchst du sonst noch etwas?“

Aus unnachgiebigen Augen starrte Ament ihn an.

Mamba zog es vor, sich sicherheitshalber aus Aments Reichweite zu bringen. Seine Fangzähne sollten nicht von den Menschen im Club gesehen werden, deshalb machte er sich schnell auf den Weg in sein Büro und schloss die Tür hinter sich. An seinem Schreibtisch angekommen griff er hektisch nach seinem Handy und wählte.

Es dauerte einen Moment, bis am anderen Ende endlich abgenommen wurde.

„Was willst du, Mamba?“

„Einer deiner Krieger ist hier und wie mir scheint, hat ihn irgendjemand mächtig ans Bein gepisst. Entweder ihr kommt und holt ihn ab oder …“ Weiter kam er nicht.

„Ich komme! Eins noch. Lass ihn bloß in Ruhe, wenn du nicht willst, dass sich dein Laden in einen Aschehaufen verwandelt.“ Damit beendete Mehit das Gespräch.

„Verdammt noch mal! Wenn Ament jetzt ausrastet, dann wird es ein Massaker geben, was viele Menschenleben fordern kann. Ruf Ivan, er soll zu meinem Wagen kommen. SOFORT!“

Raban nickte. Seine Worte blieben ihm im Hals stecken, denn er wusste, dass er an dem Leid von Ament mit Schuld trug. Niedergeschlagen öffnete er das Garagentor des Anwesens, sodass der Mustang rasch hinausschießen konnte. Er selbst wandte sich wieder seinen Rechnern zu. Sein Zusammenbruch vorhin hatte alle skeptisch werden lassen. Etliche Male hatten Ortischa und Angel ihn nun schon gefragt, ob alles wieder in Ordnung sei. Er hatte ihnen versichert, dass alles nicht so schlimm war, wie es ausgesehen hatte. Er schob seinen Ausraster auf den fehlenden Schlaf und die Überanstrengung der letzten Tage. Doch innerlich ging es ihm gar nicht gut. Als er auf dem Zettel, den Ivan ihm gereicht hatte, den Namen Issi gelesen hatte, war seine Vergangenheit so schlagartig zurückgekehrt, dass er keine Chance gehabt hatte seine Fähigkeit zu kontrollieren. Er schämte sich für seine Hilflosigkeit, doch wollte er erst einmal Fakten sammeln, bevor er die anderen einweihte.

Das Brennen tief in seinem Innern ließ ihn wachsam sein. Er öffnete einen Laptop, gab einige Daten ein und ließ ein Suchprogramm seine Arbeit tun. Sollte sich sein Verdacht bewahrheiten, hätte es der Clan mit einem weitaus gefährlicheren Gegner zu tun, als sie es bisher alle gedacht hatten.

Zur gleichen Zeit stand Elisa am Fenster ihres kleinen Zimmers. Ihre Fingerspitzen glitten durch den Gardinenstoff, der von feinster Handarbeit war. Ihr wehmütiger Blick wanderte in den Innenhof des Klosters. Der perfekt gepflegte Garten umrundete einen Springbrunnen, der von einem Engel flankiert wurde. Er war aus reinstem Marmor und erstrahlte gerade im tiefsten Mondschein. Bei seinem Anblick musste Elisa fast ironisch Lächeln. Diese Reinheit, die dieser Engel ausstrahlt, trifft hier auf den Abgrund der Hölle. Fast unmerklich schüttelte sie den Kopf. Seit dem sie vor einigen Wochen hierher gebracht worden war, bestand ihre Welt nur noch aus diesen Zimmer. Das einzige Highlight ihrer Tage waren ihre Rationen Blut, die ihr von einer Nonne gereicht wurden.