Das sagt einem ja keiner - Hollie McNish - E-Book

Das sagt einem ja keiner E-Book

Hollie McNish

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Beschreibung

«Auf jeden Fall eine Tolle, die Hollie!» Judith Holofernes Vom ersten Tag ihrer Schwangerschaft an führt Hollie McNish Tagebuch darüber, wie es ist, ein Kind zu erwarten, zu kriegen, zu haben. Ein Tagebuch über alles, was ihr vorher niemand gesagt hat, über heimliche Gefühle und ungehörige Gedanken. Ein poetisches Tagebuch, McNish wechselt ständig zwischen Prosa und Gedicht und in den Gedichten aufs hinreißendste zwischen hohem und hemdsärmligem Ton, ihr Ernst ist nie heilig und ihre Ironie nie feige. Hollie McNishs Buch gehört zum Schönsten, Authentischsten und Originellsten, was je zum Thema Elternschaft verfasst worden ist. «Hollie schreibt mit Ehrlichkeit, Überzeugung, Humor und Liebe.» Kate Tempest

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Hollie McNish

Das sagt einem ja keiner

Postnatale Poesie

Aus dem Englischen von Jens Friebe und Florian Glässing

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Auf jeden Fall eine Tolle, die Hollie!»

Judith Holofernes

 

Vom ersten Tag ihrer Schwangerschaft an führt Hollie McNish Tagebuch darüber, wie es ist, ein Kind zu erwarten, zu kriegen, zu haben. Ein Tagebuch über alles, was ihr vorher niemand gesagt hat, über heimliche Gefühle und ungehörige Gedanken. Ein poetisches Tagebuch, McNish wechselt ständig zwischen Prosa und Gedicht und in den Gedichten aufs hinreißendste zwischen hohem und hemdsärmligem Ton, ihr Ernst ist nie heilig und ihre Ironie nie feige. Hollie McNishs Buch gehört zum Schönsten, Authentischsten und Originellsten, was je zum Thema Elternschaft verfasst worden ist.

 

Über Hollie McNish

Hollie McNish lebt in London, Cambridge und Glasgow. 2009 wurde sie UK Slam poetry champion und leitet seither Workshops an Schulen und in Jugendeinrichtungen. «Das sagt einem ja keiner» ist in Großbritannien im vergangenen Jahr bei Blackfriars erschienen und war ein Bestseller, zudem hat sie dafür das Arts Foundation Spoken Word Stipendium zugesprochen bekommen.

Dieses Buch widme ich

Dee und der Kleinen (und Broccoli).

Es ist eine Ehre, mit euch in derselben Familie zu sein.

Ihr glaubt gar nicht, wie inspirierend ihr seid.

Ich liebe euch.

Niemand hat mir gesagt, du kannst kein Toilettenpapier benutzen

Niemand hat mir gesagt, dass es blutet

Niemand hat mir gesagt, dass ich einen heimlichen Ort

brauchen würde zum Schreien.

Das hier ist keine Sammlung geschliffener Gedichte. «Das sagt einem ja keiner» ist ein Gedichttagebuch aus den ersten paar Jahren meiner Elternschaft. Manche der Gedichte sind in Eile verfasst, manche sind viel zu lang geraten und nie gekürzt worden, manche entstanden um vier Uhr morgens, manche auf dem Klo, im Krankenhaus, im Auto, bei der Arbeit, manche wurden von Geheul unterbrochen, von Geschrei, von Gelächter … und manche sind nie ganz fertig geworden. Die meisten schrieb ich auf dem Boden im Kinderzimmer, während die Kleine schlief.

All die Dinge, über die ich nicht sprechen konnte.

Einleitung

Glastonbury Festival

Dass ich schwanger war, fand ich auf dem Weg zu meiner ersten Lesung beim Glastonbury Festival raus. In den zwanzig Minuten auf dem Umsteigebahnhof zwischen Birmingham und Glastonbury entschloss ich mich, einer Reihe von Tatsachen ins Auge zu sehen: der Tatsache, dass meine Brüste eine ganze Nummer größer waren als je zuvor; der Tatsache, dass ich noch immer nicht meine Tage hatte; und der, dass mir seit Wochen immer morgens schlecht war. Und nachmittags. Und abends. Ständig erfand ich neue Ausreden für meine Kollegen, warum ich schon wieder Briefmarken kaufen gehen muss, nur um mich dann in der Toilette vom Café nebenan zu erbrechen.

Am Bahnhof Kings Cross musste ich eine Stunde warten. Ich kaufte zwei Tests und nahm sie mit auf die Toilette. Beide waren positiv. Ich ging zurück zum Geschäft und kaufte noch einen – das Ergebnis blieb gleich. Ich wusch meine Hände, stieg in den Zug und fing an zu schreiben

Nach den Toiletten am King’s Cross

nach einem blauen Kreuz

nach Händen im Gesicht

unter Schluchzen, verwirrt, dann lachend

fand ich einen Ort

auf einer Wiese

hinter einem Zelt

wo niemand sonst war.

Nach der Zugfahrt, dem Starren

auf drei Tests, drei Stunden lang

nach dem Entschluss, bis zum Wiedersehen zu warten

trotz trockener Lippen,

ihn noch nicht anzurufen.

Das gab mir drei Tage Zeit.

 

Alleine mit meinem Geheimnis,

 

und ich fand meinen horizontalen Hafen

In Glastonbury.

Die nächsten drei Tage verbrachte ich rund um die «Poetry and Words»-Bühne hauptsächlich damit, auf meinen Bauch zu starren und mich bei meinen Lesungen nicht, dafür aber dann umso mehr allmorgendlich ins feuchte, tauglänzende Gras vor mein beschissenes Einmannzelt zu übergeben. Außerdem fühlte ich mich schrecklich schuldig; obwohl Dee noch nichts wusste, hatte ich das Gefühl, es irgendwem sagen zu müssen, schon allein, falls was passiert. Und so war der erste Mensch, der von meiner Schwangerschaft erfuhr, ein wundervoller Dichter namens Dreadlockalien. Derselbe Mann, an dessen Bustür ich bereits am zweiten Festivaltagmorgen um drei Uhr früh panisch gehämmert hatte, weil ich in einer riesigen, ins undichte Zelt gesickerten Dreckwasserlache aufgewacht war.

Wenn ich nicht grade auftrat oder mich übergab oder zusammengerollt auf der Vorderbank eines restaurierten Vans schlief, starrte ich wie gebannt auf Familien und Holzblumen. Ich sah den Kindern dabei zu, wie sie zwischen den Jongleuren, Musikern, Akrobaten und DJs rumliefen, und fragte mich, wie dieses ganze Elternding wohl funktioniert.

Ich hab’ mit durchhofften Nächten gerechnet,

ich hatte an Dizzee Rascal gedacht,

an DJs und Dope bei Sonnenaufgang,

den Morgen lang gähnen, am Nachmittag fallen,

neue Tracks, Tanz im Dreck, zerfetzte Schuh,

Who is Who.

 

Der Plan war, um fünf Uhr nachts wach zu sein,

in hirnerschütternden Drum-and-Bass-Gewittern.

Stattdessen lieg ich um drei Uhr nachts wach

und wiederhole im Kopf das Wort

«Mum».

«Mum».

 

Alleine im Zelt

Hörte ich prollige Schnösel wie am Spieß grölen,

betrunkene Schritte im Morgengrauen,

und mein Herz schlug schneller

bei jedem Mal:

«Mum».

Dort fing ich also mein Tagebuch an. Ein Tagebuch über alles, was ich dachte; alles, von dem ich dachte, ich sollte es nicht denken; alles, was sich zwischen den Bildern aller Schwangerschaftsmagazine versteckte, die mir unterkamen – Bilder mit graziösen Schwangeren, die langsam einsame Strände entlanggehen. Blümchenkleider umspielen die Bäuche, und lange (meist glatte, blonde) Haare wehen voll Anmut im Wind. Schön und gut. Aber ich hab keinen Strand in der Nähe. Die meisten Schwangeren, die ich kenne, sind eher damit beschäftigt, im Pendelverkehr ihren Brechreiz zu bekämpfen; oder damit, alte Latzhosen auszugraben, die ihnen eventuell noch passen könnten, oder auf ihre anderen Kinder aufzupassen oder damit, wie schnell ihr ganzer Körper Form und Größe verändert und wie er sich anfühlt (von innen und von außen).

In Glastonbury fing ich ein Tagebuch an:

Ein Tagebuch über alles

was ich nicht sagen konnte.

1Schwanger

Das Kleid

Alles gut

Bananenbaby

Tut mir leid

Morgenstimmung Übelkeit

Instinkt

Fleisch

Die Liste

Hohl

Tritt mich

Eis und dreckige Kartoffeln

Schneebaby

Mutterschaft als Markt

Wahrscheinlich

3. Juli

1 Monat schwanger

Glastonbury war gut. Diese Woche nicht so. Aber auch nicht schrecklich. Ich werde mit allem immer am besten fertig, wenn ich draußen sitze und mir die Sterne anschaue. Oder wenn ich sie wenigstens vom Fenster aus sehen kann. Denn sie sind viel größer als ich, und die Nacht ist kühl, und ich bin winzig, und, na ja, Sterne machen einem klar, dass der ganze andere Scheiß nicht so irre wichtig ist innerhalb des großen kosmischen Plans. Dafür liebe ich die Sterne.

Ich erinnere mich, wie ich früher nach Streits in der Schule oder mit wieder mal gebrochenem Teenagerherzen nachts am Fenster saß, mit Zettel und Stift. Ich schrieb Gedichte und sah in die Sterne und dachte mir: «Scheiß drauf, so schlimm ist es auch nicht.» Ein offenes Fenster bei Nacht ist ein guter Ort, wenn alles schiefläuft.

Ich stand an der Spüle, die Hände im Abwasch. Ich hatte den ganzen Tag nachgedacht, wie ich’s mache. Das hier war eigentlich nicht der Moment, den ich mir vorgestellt hatte, aber als er hinter mir steht, kommt es einfach so raus – «Ich muss dir was sagen, Dee.»

Ich atme tief und tapfer ein.

«Ich auch», sagt er.

Lächeln. Angespannt. Schweigen.

«Dann du zuerst», sage ich, froh, noch mehr Zeit zu haben, und denke, vielleicht weiß er’s ja schon.

«Es tut mir leid, Hollie, aber ich bin nicht mehr in dich verliebt.»

Kloß im Hals. Oh, Scheiße. Ich denke an das Umstandskleid, das ich mir grade gekauft hab. Ich hatte mir vorgestellt, es genau jetzt zu tragen, in diesem Moment meines Lebens. Hatte mir sein freudig erstauntes Gesicht beim Anblick des Stoffs und der Gelbtöne vorgestellt, wenn ich ihm die Nachricht überbringe. Aber jetzt habe ich Jeans an und die Hände im Abwasch und weiß nicht, ob ich mir blöd vorkommen soll oder mich schämen – oder mich freuen, dass er wenigstens den Mut hat, mir die Wahrheit zu sagen. So oder so kommen mir die Tränen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und sag dann das Einzige, was ich sagen kann: «Ich bin schwanger. Das war, was ich sagen wollte. Ziemlich schlechtes Timing, was?»

Wir stehen rum und schweigen. Wir sehen uns an. Wir weinen. Wir fluchen. Aber wir lachen auch. Weil es so scheiße ist. Weil es so lächerlich scheiße ist, dass es fast wieder lustig ist. Das Baby bleibt, so viel steht fest. Das ist uns beiden auf der Stelle klar. Nur den Rest müssen wir noch entscheiden. Rausfinden, wie sich die beiden großen Neuigkeiten praktisch vertragen. Es ist schon ziemlich komisch.

Ich habe ihn immer um Ehrlichkeit angefleht. Beim ersten Anzeichen von Langeweile oder Gefühlsschwund – sag’s einfach! So ist das Leben nun mal, und ich hasse die Vorstellung, dass Menschen zusammenbleiben, obwohl sie es gar nicht richtig wollen – und dann, na ja, alt werden und sterben. Ich hab immer um Ehrlichkeit gebettelt. Aber damit hab ich jetzt doch nicht gerechnet. Ich komm mir ein bisschen vor wie im Film, ich weiß nur nicht, ob schwarze Komödie oder Melodrama. Auf jeden Fall werde ich den Augenblick so schnell nicht vergessen.

Diese Woche verbrachten wir die Abende meistens mit Reden und Weinen und anschließendem Sitzen und Schweigen. Auf der Arbeit ging es ziemlich hoch her, das lenkte mich ab von den Schrammen an Herz und Magen.

Heute Nacht ist die Luft ganz frisch. Ich gehe zum Fenster und mache es auf. Ich sehe in die Sterne. Ich kann mich nicht beschweren. Ich bin sechsundzwanzig, ich bin gesund. Ich bin schwanger, eine magische Angelegenheit. Ich mach zwar offenbar grad eine Trennung durch, aber allen geht es gut. Und wenn er auch nicht mehr in mich verliebt ist, ist er jetzt schon verliebt in sein Kind. Also immer noch jede Menge Liebe, die hier rumschwirrt.

Wenn meine Krankenschwester von Mutter mir irgendwas eingetrichtert hat in den letzten sechsundzwanzig Jahren, dann, dass ne Menge Scheißdreck abgeht da draußen, unter den Sternen. Viele Menschen haben Krankheiten. Viele haben Geldsorgen. Ich hab keins von beidem. Dee auch nicht. Unsere Augen sind zwar andauernd rot, und ich bin ziemlich durcheinander, aber die Sterne funkeln immer noch ganz hell. Ich schau noch ein bisschen in den Himmel, dann suche ich die Quittung fürs Kleid. Morgen bring ich es zurück. Ich mochte es sowieso nicht so richtig.

Das Kleid

Ich fühl mich wie durchgeschüttelt,

ich weiß nicht recht, wo mir der Kopf steht.

Zum ersten Mal Zukunft und Pläne,

und ich red’ mir ein, dass einer aufgeht.

 

Ich fand immer, Mädchen sollen sich nicht so reinsteigern

in Märchen und Filmphantasien.

Jetzt merke ich, ich fange selbst damit an,

seit das blaue Kreuz mir erschien

 

Auf einer Toilette, mit angstweiten Augen,

zwischen Aufregung, Panik und Glück,

was mich davon abhielt, sofort laut zu heulen,

war der Gedanke, dass ich es von ihm krieg.

 

Ich war nie eine von diesen Kinderwunschglucken,

mir wurde schlecht, als es rausging aufs Meer.

Und gegen die Panikattacken half nur

zu denken, wie glücklich er wär.

 

Ich hielt es für besser, noch nichts zu verraten,

bevor nicht zwei weitere Kreuze blau waren.

Ich dachte, er wäre am Ende enttäuscht,

wenn es nachher hieß, falscher Alarm.

 

Nach dem letzten Test starrte ich wie ein Geist

auf die verschlossene Klotür,

und ich fühlte mich sogar schlecht, weil ich dachte

er wünscht es sich mehr als ich mir.

 

Ich hing auf dem Festival in Glastonbury rum

und versuchte, das Bild scharf zu kriegen,

von mir als Mutter mit Kind, ohne Angst

vor der Unfähigkeit zu fliegen.

 

Ich war eigentlich nie die Kinderwunschglucke.

Ich fragte mich, passt das überhaupt?

Ich dachte zum Trost daran, was er mal gesagt hat

darüber, wie ich wohl aussäh’ mit Bauch.

 

Ich plante Ausflüge an Kieselstrände,

ich plante mein Umstandskleid, Schnitt und Design.

Wir Hand in Hand, mit sandigen Händen,

das Meerwasser wäscht uns den Sand von den Beinen.

 

Ich stellte mir seinen Blick vor,

Augen, die glänzen, wenn er mich anschaut,

mit einem Lächeln, genau so gespannt

wie meine am ganzen Bauch spannende Haut.

 

Ich träumte von Tränen,

Tränen vor Glück

und von seiner Hand,

fest auf meinen Bauch gedrückt.

 

Vier einsame Tage

hab ich alles geplant,

bin nicht weggerannt,

entgegen meinem Drang.

 

Und in meinem Kopf

seine Witze,

dass ich früh anfang’

und dass ich Drillinge ausbrüte

mit sechsundzwanzig Jahren.

Ich war immer gegen Mädchen, die die Welt rosa malen,

jetzt hab ich’s selber getan.

 

Und ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.

Die Haut kälter,

Der Geist aus Stein.

Und das Kleid, von dem ich dachte,

es würde jetzt genau passen,

tausche ich bald wieder ein.

20. Juli

1½ Monate schwanger

Alles gut

Es wird alles gutgehen,

nur ein bisschen anders aussehen,

das Licht wird nicht ausgehen,

die Sterne am Himmel stehen,

nachts scheinen sie noch durchs Fenster herein,

noch ziehen Tintenfass-Schatten vorbei,

und auch wenn ich vielleicht leichter schlaf und wild träum,

schläfst du immer noch neben mir ein.

 

Es wird gutgehen,

nur ein anderes Leben,

kein weiß getünchtes Reihenhausidyll.

Aber wer sagt, dass ich das will,

ist ja nicht deshalb sonst alles Müll.

 

Wir leben noch, wir sind beide noch da,

Gefühle sterben nicht einfach so,

Kippschalter aus, kalte, finstere Not,

die Luft fließt noch durch uns durch,

tief durchatmen gegen die Furcht,

immer noch Tränen, nur jetzt unterbrochen

von heftigem Lachen.

 

Denn es wird schon o.k. sein,

ein anderer Morgensonnenschein,

ein Zwischenspiel zwischen Teilen,

die sich nicht genau gleichen.

 

Doch es wird sicher alles schön,

nicht im spießigen Sinn,

nicht im Märchen, jetzt und hier,

ich bin noch immer hin und weg von dir,

als Freund, als weniger, als mehr,

ich bin heilfroh, dich nicht zu verlieren.

 

Komm, wir wischen alles auf

oder schmeißen es auf den Haufen

Gedankenscherben

wunde Herzen

und sind dankbar, dass die Zeit sie heilt.

Ich sehe in die Sterne und lächle. Dee kommt dazu, und wir lachen und weinen noch ein bisschen.

2. September

3 Monate schwanger

 

Endlich können wir es Leuten sagen. Nach zwölf Wochen mit nichts als Reden und Weinen und Umarmen und Ruhe bewahren und Entscheidungen treffen. Nach zwölf Wochen voller Ausflüchte und Lügen können wir es endlich erzählen. Es war seltsamer, als ich dachte. Es Dee zu erzählen war anders als erwartet. Es allen anderen zu erzählen auch. Es ist echt seltsam. Peinlich. Fast unheimlich. Aber auch aufregend. Prickelnd. Beängstigend. Schwierig. Sehr schwierig, den Leuten um uns rum zu sagen, dass ich schwanger bin.

Ich bin schwanger

Hallo. Ich bin schwanger.

Hallo. Wie geht’s? Ach ja, und übrigens, ich bin schwanger.

Mum hat es natürlich schon lange geahnt. Sie hat mich schon circa zehnmal gefragt. Ich hasse das, wenn ich sie anlügen muss. «Bist du sicher, Hollie? Deine Brüste sehen so groß aus. Bist du ganz sicher?»

«Nein, Mum.»

«Warum ist dir schlecht?»

«Kater, Mum.»

Aber sie ist Krankenschwester. Ich wusste, dass sie es weiß. Deshalb habe ich es ihr als Erste erzählt. Sie lag im Bett. Ich kam rein, holte tief Luft und sagte: «Ach übrigens, du hattest recht, Mum. Ich bin schwanger.» Dann sprintete ich aus dem Zimmer, bevor sie antworten konnte. Ich hatte Flashbacks von dem Tag, als ich ihr meine Tage gestand und dann das gleiche ebenso infantile wie unumgängliche Manöver veranstaltete, um ja allen Nachfragen zu entkommen. Dabei wusste sie das mit den Tagen natürlich auch schon. Ich hatte seit über einem Jahr immer Binden aus ihrer obersten Schublade geklaut.

Viele aus meinem Freundeskreis hatten auch Verdacht geschöpft, in erster Linie, weil ich ein paarmal im Pub nichts trinken wollte. Angeblich, weil ich auf Antibiotika war. «Wie du meinst», sagte Julie. «Wie du meinst», sagten alle anderen und ließen mich mit einem Lächeln und meiner Lüge in Frieden.

Meine Arbeitskollegin Emma wusste es, weil ich aufgehört hatte, normalen Tee zu trinken. Sie zwinkerte mir zu und fragte jeden Morgen, warum sich meine Einstellung zu Koffein denn auf einmal so verändert hätte. Als ich irgendwann aufgab und sagte, die Frage sei tatsächlich berechtigt, lachten wir im Flüsterton, denn ich hatte eine Wahnsinnsangst, es meiner Chefin zu sagen. Sie hatte, als ich den Job bekam, rumgescherzt: «Aber Sie wollen kein Kind kriegen in nächster Zeit, oder?» Der Scherz wiederholte sich zu Beginn mehrerer Projekte – «Solange Sie nicht schwanger werden …» Ich verstehe ja, dass das nicht grad einfach ist fürs Geschäft, vor allem in einer kleinen Sozialeinrichtung wie dieser hier, aber es ist auch nicht meine Schuld, dass Frauen potenziell in ihrem Leben irgendwann mal Kinder kriegen. Und doch fühl ich mich schlecht. Sollte ich nicht, tue ich aber. Eine befreundete Person sagte mal, Schwangerschaftsurlaub sei das Schlimmste, was dem Land je passiert ist. Bäh.

Wie schafft man es, so was zu verheimlichen?

Ansonsten reagierten die Leute sehr unterschiedlich:

Dee’s Mutter: ekstatisch. Das war wirklich sehr sehr schön.

Mein Vater: «Mein Gott!», gefolgt von einer sehr festen Umarmung. Er war aufgeregter, als ich gedacht hatte. Und er hatte dieses freche Grinsen im Gesicht, mit dem er aussieht wie dreizehn.

Anruf bei meinem Bruder.

«Es gibt Neuigkeiten. Große Neuigkeiten!»

«Oh mein Gott», sagte er, und dann: «Hast du deine Haare pink gefärbt?»

«Was? Nein. Was? Ich bin schwanger.»

Stille.

«Scheiße, im Ernst!»

Gelächter. Auch meinerseits.

Die eine Großmutter:

«Ach, Kindchen.»

Dann, mitfühlend: «War es ein Unfall?»

Und: «Ich dachte, du nimmst die Pille?»

Des Weiteren eine wohlmeinende, aber leicht peinliche Vernehmung zu meinen Verhütungspraktiken. Das hatte ich erwartet. Ich weiß, dass sie sich Sorgen wegen meines Jobs macht. Außerdem gehört sie zur Generation, der man beigebracht hat, dass Schwangerschaft – ein schwangerer Körper vor allem – irgendwie was Ekeliges ist.

Die andere Großmutter:

«Ist es seins?» (Nach sechs Jahren mit dem gleichen Freund frag ich mich schon, wieso das das Erste war, was ihr einfiel.)

«Ja, Gran.»

«Oh, und meinst du, ihr heiratet?»

«Nein, Gran.»

«Na gut, mein Kind.»

Tanten, Cousins und Cousinen. Alle reizend. Ein einziges Lächeln und Beglückwünschen und «Scheiß drauf, was die Leute sagen»-Sagen.

Es gab aber auch solche Reaktionen:

Schockierte Miene: «Du!?»

Dee und ich hatten den Fall etwa gleich oft.

Dann noch mal: «Du?!»

«Ich kann mir jeden anderen besser mit Baby vorstellen als dich.»

«Ich hätte nicht gedacht, dass du Kinder willst.»

«Ich kann mir dich einfach nicht als Mutter vorstellen!» (Das kam am häufigsten.)

«Hey, Wahnsinn!»

«Und wollt ihr heiraten?» Nein.

«Nicht mal aus steuerlichen Gründen?» Nein.

«Aber für dein Kind wär’s schon besser, wenn ihr heiratet – es geht ja jetzt nicht mehr nur um dich.»

Andere Sachen will ich lieber vergessen und gebe sie deshalb hier nicht wieder.

 

Und Umarmungen. Liebevolle Umarmungen und beklommene Umarmungen – als Reaktion auf übertrieben schockierte erste Reaktionen – schuldbewusste Umarmungen.

Es war nicht ganz, was ich mir vorgestallt hatte. Ich kannte so was ja bis dahin nur aus Filmen. Und da ist es immer das Gleiche. Ein properes verheiratetes Pärchen –  meist weiß und nordamerikanisch, immer attraktiv, mit neuen weißen Leinenhemden – versucht schon seit langem vergeblich, ein Kind zu kriegen, und endlich klappt’s. Und in der sicheren Gewissheit, dass alle sich freuen, verkünden sie händchenhaltend der ganzen im Raum versammelten, stolzen, gespannten Familie: «Wir kriegen ein Kind» – immer «wir». Alle sind aus dem Häuschen, und alle weinen. Die beiden Glücklichen sehen einander mit steviasüßem Lächeln in die Augen.

Ganz so war es nicht. Aber doch immer noch ganz schön aufregend.

28. Oktober

5 Monate schwanger

Mittlerweile bereue ich, dass ich im Netz diese Schwangerschaftsupdates abonniert habe – Jede Woche eine Mail, seit Woche acht; was ich essen soll, wie ich trotz Schwangerschaft noch «schick» aussehe und so weiter.

Heute sollte das Baby demnach die Größe einer großen Banane haben: Letzten Monat war es eine mittelgroße Aubergine; bei der ersten Nachricht war es eine Kirsche. Ich stellte mir eine Maraschinokirsche in einem dieser gewaltigen Cocktails vor, die ich nicht mehr trinken darf.

Ich hab heute auf dem Markt eine Obstschüssel gekauft, weil ich dachte, sie würde unsere kleine Küche im Handumdrehen in ein charmantes Landhäuschen verwandeln, wo man gleich italienische Familien um einen Holztisch mit selbstgemachten Tagliatelle sitzen sieht. Ich weiß, dass nicht alle italienischen Familien das so machen oder überhaupt Tagliatelle mögen. Aber die mit großen Küchen und Holztischen vielleicht schon. Als Teenager hatte ich einen immer wiederkehrenden Traum. Ein nacktes Baby tapst auf einem Weinberg rum und ruft mir «Mama, Mama» zu. (Ich bin noch nicht mal sicher, ob das überhaupt das richtige italienische Wort ist.) Ich hatte wohl vorher alte «A Place in the Sun»-Folgen geguckt. Oder eine Werbung für Dolmio-Tomatensauce. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist es sogar wahrscheinlich eher eine Nachwirkung davon, dass ich als Teenie «Stealing Beauty» rauf und runter geguckt habe und völlig besessen davon war. In dem Film verlor eine Teenagerin ihre Jungfräulichkeit in Italien auf einem Weinberg unter einem alten Baum. Gott, bin ich auf diesen Film abgefahren. Mehr, als mir guttat. Ich schrieb haufenweise grauenhafte Gedichte, in denen ich mich mit dem letzten Blatt eines Olivenbaums verglich, das darauf wartete, gepflückt oder vom warmen italienischen Sommerwind fortgetragen zu werden. Die schlimmsten Zeilen, an die ich mich erinnern kann, waren:

Ich bin wie Eis, das schmelzen will im Sonnenlicht

Wie eine Blume, die will, dass man an ihr riecht.

Im Grunde ging es immer darum, dass ich auf einem Weinberg flachgelegt werden wollte, was ich aber in schwülstige und ziemlich leicht zu enträtselnde Metaphern verpackte. In Italien war ich bis heute nicht, dafür weiß ich jetzt, dass der Film genauso schlecht war wie meine Gedichte. Und der Titel ist so ziemlich der schlimmste, den ich je gehört habe. Aber damals war es der heiße Scheiß.

 

Aber zurück zur Obstschüssel.

Die Marktfrau war auch schwanger, und als ich die Schüssel kaufte, weinte sie. Sie sah mir ins Gesicht und heulte. Ich dachte zuerst, sie würde weinen, weil ich der erste Kunde des Tages (der Woche? des Monats?) war, der sich mit Industrieobstschalen der Marke Habitat abgeben wollte.

Aber vielleicht dachte sie auch Folgendes:

Bananenbaby

«Jetzt sollte Ihr Baby die Größe einer Banane haben.»

«Jetzt sollte Ihre Übelkeit eigentlich nachlassen.»

«Jetzt kann Ihr Magen durchaus etwas schmerzen.»

«Jetzt sind Sie wahrscheinlich häufiger müde.»

«Jetzt sollten Sie pro Woche ein Pfund zunehmen.»

«Jetzt werden sie vielleicht etwas vergesslich.»

«Jetzt sollten Sie an die Finanzen denken.»

«Jetzt sollten Sie einen Geburtsvorbereitungskurs belegen.»

«Jetzt sollten Sie den nächsten Ultraschalltermin machen.»

«Jetzt sollten Sie Ihren Beckenboden trainieren.»

«Jetzt sollten Sie beim Pinkeln zwischendurch den Strahl anhalten.»

«Jetzt müssen Sie beim Pinkeln zwischendurch den Strahl anhalten.»

«Jetzt sollten Sie Ihren Antrag auf Schwangerschaftsurlaub

ausfüllen und beim Chef einreichen.»

«Jetzt müssen Sie es Ihrem Chef sagen.»

«Jetzt sollten Sie langsam über einen Namen für ihr Baby nachdenken.»

«Jetzt sollten Sie entscheiden, ob Sie Einwegwindeln oder Stoffwindeln oder Ökowindeln benutzen wollen.»

«Jetzt sollten Sie dafür sorgen, dass das Baby sich wohl fühlt.»

«Jetzt sollten Sie dem Baby klassische Musik vorspielen.»

«Klassische Musik fördert die Intelligenz Ihres Babys.»

«Jetzt kein Mr.-Whippy-Eis mehr.»

«Jetzt kann es Probleme beim Pinkeln geben.»

«Die Bewegungsfreiheit ist möglicherweise eingeschränkt.»

«Jetzt sollten Sie die Geburtstasche packen.»

«Jetzt die Tasche fürs Krankenhaus.»

«Jetzt sollten Sie Einlagen kaufen.»

«Jetzt sollten Sie Stilleinlagen kaufen.»

«Jetzt sollten Sie große Hosen kaufen,

also richtig, richtig, richtig, große Hosen.»

«Jetzt sollten Sie nicht mehr auf dem Rücken schlafen

und auch nicht auf der rechten Seite.

Und es könnte sein, dass Sie unbequem liegen

und nachts häufig aufwachen,

und dass Sie Schmerzen im Brustkorb verspüren,

und Ihnen links das Bein und der Arm

und das Schulterblatt etwas weh tun.

Vielleicht sollten Sie jetzt den Kauf

Eines Schwangerschaftskissens erwägen.»

 

Und überm Rabattcode stand:

 

«Aber machen Sie nicht zu viel.»

«Denken Sie dran … zu … entspannen.»

«Stress kann sehr schädlich sein fürs Baby.»

 

Vielleicht dachte sie das:

Jetzt sollte Ihr Baby die Größe einer Banane haben.

5. November

5¼ Monate schwanger

Heute kam die Hebamme vorbei. Sie ist wirklich ein Schatz, aber leider völlig besessen vom Thema Eiscreme. Das heutige Gespräch lief zum Beispiel so:

Sie: «Und, wie geht’s Ihnen?» (Es ist wirklich schön, jemanden zu haben, der bei einem vorbeikommt, nur um das zu fragen.)

Ich: «Sehr gut, danke.»

Sie: «Haben Sie sich gemerkt, was Sie alles nicht essen sollen?»

Ich: «Ja, alles im Kopf.»

Sie überhört die Auskunft und zählt auf:

«Meeresfrüchte, bestimmte Käsesorten, rotes Fleisch, Mr.-Whippy-Eis.»

Bei diesem Posten hält sie inne und wiederholt:

«Kein Mr.-Whippy-Eis.»

Sie hatte mir das schon beim letzten Mal gesagt. Ich weiß, dass ich kein Mr.-Whippy-Eis essen darf. Ich habe sowieso nicht sehr oft die Gelegenheit dazu. Ich sag also noch mal: «Alles klar, kein Problem.» Dann starrt sie mir tief in die Augen, als ob sie mir gleich den Sinn meiner Existenz auf diesem riesigen sich drehenden Planeten enthüllen wollte und den des durch mich auf ihm neu entstehenden Lebens. Sie beugt sich zu mir vor, legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: «Keine Sorge, Sie können Tesco-Eis essen. Jeden Becher, jede Sorte – Schokolade, Vanille, alles. Nur nicht Mr. Whippy. O.k.? Tesco ist kein Problem.»

Das sind so die großen Momente zwischen uns.

6. November

5¼ Monate schwanger

Heute haben wir erfahren, dass es ein Mädchen wird. Ich habe geweint. In erster Linie wohl aus Angst. Ich bin durchgedreht. Ich weiß gar nicht, warum eigentlich. Jetzt komme ich mir dumm vor. Ich schäme mich sogar, es aufzuschreiben.

Tut mir leid

Warum hatte ich nur dieses schlimme Gefühl

dass er ohne Sohn nicht so gern Vater sein will

Sauer regnen Gedanken, mein Hirn ist ein See

aus lauter Zicken- und Schlampenklischees.

 

Lippenstiftdünne Bilder im Heat-Magazin

wo rote Kringel um Pickel unsere Träume verminen

Fast hätte ich geschrien, «Ein Mädchen», oh nein

für noch eine Sie ist die Welt noch nicht reif.

 

Ich dachte an Schönheit und Mobbing und Bleichcreme

an Werbung, die Mädchen sagt, so müsstet ihr aussehen

An Politik – mehr Schwänze als Sand auf den Dünen –

An eine Welt, in der Männer fast immer gewinnen

 

Doch dann fallen mir alle ein, die ich kenne

und dass keiner von ihnen in dieses Bild passt.

 

Dee auf der Bühne, ich sah schon das Rapduo

Vater und Sohn – Ein Team wie Remus und Farma

Wie sexistisch ich bin! Wie komm ich auf den Scheiß

Und vergesse Jean Grae, Arianna, Ms. Dynamite

 

Fall rein auf den Brainwash medialer Projektionen

Teil Kinder ein im Sinne der binären Obsessionen

 

Vergesse die Traumen, die Jungen haben können

ihre gebrochenen Herzen und Tränen

Die ganzen für Jungen so schlimmen Dinge

und Mädchen, die nur Zeit mit den Vätern verbringen

 

Denk’ bei Trainingsanzügen «für Dee und für ihn»

dabei können Mädchen die gleichen anziehen

Und kurz dachte ich, mit Fußball wird’s dann wohl nichts

Hab im Kopf meinem Sohn den Ball zugekickt

Und mir kam nicht in den Sinn, dass ICH im Verein spiel

Und ich bin eine Frau

Verdammte Scheiße

Und hätte ich einen Sohn

Würde er Fußball vielleicht hassen

So wie mein großer Bruder

 

Was für ’n Theater

Mir ist schlecht

Ich fühl mich müde und dumm

 

Ob Mädchen oder Junge, alles, was jetzt zählt

ist, dass man’s irgendwie gesund und bei Laune hält

Ich fühl mich, als hätte ich es jetzt schon enttäuscht

Anstatt stolz zu sein und mich einfach zu freuen.

 

Tut mir leid, Dee, Tut mir leid, Kind,

All der Blödsinn, der mir durch den Kopf ging.

30. November

6 Monate schwanger

Morgenstimmung Übelkeit

Du zeigst mir den Regenbogen in meinem Innern

Du treibst ihn jeden Tag aus mir heraus!

Mir ist übel beim Radfahren, übel im Auto

Übel am Schreibtisch und im Café

Übeles Hellgelb morgens im Waschbecken

Übeles Hellgelb und pausenlos Gähnen

Du rufst wie das Gold am Ende des Regenbogens

Ich würge und weine beim Lärchenruf Tränen

Und wenn du rauskommst und schreist

Und ich bete, du schreist

Werde ich versuchen, selbst nicht zu schreien

Wenn du rauskommst und schreist

Und ich bete, du schreist

Versprech ich

Ich zeig dir die Regenbögen draußen

O.k., ich versuche, positiv zu denken, aber mir ist immer noch die ganze Zeit schlecht. Außerdem schaffe ich es nicht, mir das Wort «Motherfucker» abzugewöhnen. Ich versuch’s. Ich hasse das Wort. Aber aus irgendeinem Grund sage ich es ständig. Im Kopf, wenn Leute um mich rum sind. Laut, wenn ich allein zu Hause bin. Wenn ich wie immer um Scheiß-Fünf-Uhr morgens aufwache, um mich zu übergeben. Motherfucker. Wenn ich rechts ranfahre, um mich zu übergeben. Motherfucker. Wenn meine Brüste wund sind. Motherfucker. Wenn mir wieder schlecht wird. Motherfucker. Motherfucker. Wenn ich wieder morgens um fünf am Fußende vom Bett stehe und mich dreckig fühle, während mir Dee in schuldbewusster Solidarität nachspricht.

«Oh, das tut mir leid, Hollie. Soll ich dir Eis holen? Kann ich irgendwas tun?»

Ich lächele und geh dann ins Bad, um zu kotzen. Ich versuche, das Positive zu sehen. Mir geht es gut und dem Baby bislang auch, und Dee, nun Dee ist ein Traum. Egal wie es weitergeht, es war die richtige Entscheidung, nicht auseinanderzuziehen. Und das Gekotze ist zwar widerlich, aber ein ganz kleines bisschen fasziniert es mich auch. Es ist die Art saure Kotze, die einem (und damit meine ich: mir) auf Partys hochkommt, wenn man viel zu viel billigen Alkohol getrunken hat, alle Speisen und Getränke bereits ausgeleert sind und einem nur noch die Magensäure bleibt. Aber irgendwie schafft es mein Körper, die Speisen und Getränke bei sich zu behalten und nur die Magensäure loszuwerden. Wie macht er das nur? Mein Körper ist unfassbar! Es hat auch nicht so die Farbe von kalt gewordener Dosenlinsensuppe, wie normales Erbrochenes, eher so ein helles, sanftes, sonniges Narzissengelb. Ja, klar, genau, wie Narzissen, Hollie! Wie ein Regenbogen! Was rede ich da überhaupt? Es ist Erbrochenes! Und es bringt mich dazu, lauter zu würgen, als ich für menschenmöglich gehalten hätte. Ich muss aufhören zu fluchen. Aber es hilft halt. Besser als das ganze verfickte Ginger Beer auf der ganzen verfickten Welt. Besser, als wie eine gottverdammte Feldmaus an einem Stück beschissenem geschmacklosen trockenen Toast rumzuknabbern. Es ist schwerer, als ich dachte. Übelkeit und Schuldgefühle: weil ich so viel fluche und weil ich mich fühle wie eine Betrügerin. Bin ich wirklich bereit, Mutter zu sein? Ich fühl mich nicht wie eine. Letzte Woche erzählte mir eine Frau, sie könne die spirituelle Präsenz des Babys in ihrem Bauch spüren. Wie wunderbar, dachte ich. Ich bin froh, dass das für dich so ’ne Scheiß-Offenbarung ist. Ich bin nur neidisch, ich weiß. Alles, was ich spüre, ist Übelkeit und Angst. Die Übelkeit hätte vor einem Monat aufhören sollen. Ich bin nicht sicher, wann die Angst aufhört.

Instinkt

Du kannst mich nicht hören, doch ich will mich entschuldigen

Ich versuch zuzuhören, aber ich kann nichts fühlen

Bei manchen Frauen soll’s ja so was wie den sechsten Sinn geben

Ich hoffe einfach, du bist noch am Leben.

Ich liege auf dem Bett und spür, wie der Regen tropft

Bei jedem Blitz spritzt er in meinem Kopf

Einmal getroffen, weine ich schon wieder

Hände drücken mir Eis auf den Bauch

Sie schmelzen, tauen auf brandheißer Haut

Geschwollene Brüste, zu wund zum Küssen

Hände glauben, berühren zu müssen

Aus Liebe

Der Körper dreht sich

Aus Angst vor der Ablehnung weg.

Der Morgen graut, mein Kopf in der Kloschüssel

Passend zum Sonnenschirm saurer Vergnügen

Duschfreuden sagen mir, ich bin gesegnet

Aber ich fühl mich zu schwach, um’s zu fühlen.

Mittagsrötung, schon wieder Eiswürfel

Klimpern im Glas und kühlen die Zunge

Hände am Bauch, bei dir alles o.k.?

Aber mütterlich fühle ich mich immer noch nicht

Wenn ich wieder verliebt bin, bin ich glücklicher. Vielleicht.

Glücklicher, wenn ich nach Sonnenaufgang aufwache.

Glücklicher ohne den Kopf in der Kloschüssel

Glücklich, wenn ich sehe, wie du die Augen aufmachst.

Bis dahin versuche ich, so echt es geht zu lächeln.

Und hoffe, sein Kuss war nicht nur gespielt

Ich vergleiche die Galle mit der hellen Morgensonne

Und versuche zu erraten, wie du dich fühlst.

Ich hoffe wirklich, das mit der Übelkeit geht bald vorbei. Was für ein Dreck, in einem winzigen Büro zu arbeiten, immer zwischen Schreibtisch und Toilette hin- und herzulaufen und laute Geräusche zu machen, die jeder hören kann. Was, wenn ich Lehrerin wäre? Was hat meine Mutter im Operationssaal gemacht, als sie schwanger war? «Entschuldigen Sie bitte, gute Frau, ich bin gleich wieder da und mache ihren Abstrich, ich muss mich nur eben kurz das fünfmillionste Mal an diesem Morgen übergeben.» Wenigstens habe ich in meinem Job nicht direkt mit fremden Menschen zu tun. Wenigstens muss ich nicht gleichzeitig meinen Würgereiz unterdrücken und einen Abstrich machen. Oder Parfüm verkaufen. Oder mit Essen rumhantieren. So viele Jobs, die das Grauen wären in schwangerem Zustand. Vier Leute im Büro. Ich sollte dankbar sein. Es ist wirklich scheißanstrengend zu arbeiten, wenn man schwanger ist. Ich hatte keine Ahnung, dass das so sein würde.

15. Dezember

6½ Monate schwanger

Mein Bauch ist immer noch so heiß. Die Eiswürfel, die ich darauf verreibe, schmelzen mittlerweile in knapp zehn Sekunden, das Tiefkühlfach kommt mit dem Nachschub schon nicht mehr hinterher. Ich bin froh, im Winter schwanger zu sein. So froh über die kalte Luft. Über den Frost. Nicht so froh bin ich über all die Ratschläge, die ich anlässlich meiner Lust auf Eis bekomme. Überhaupt sind meine Gelüste ein ziemlich heißes Thema seit Beginn meiner Schwangerschaft. Ich dachte immer, es würde um Erdnussbutter und Gurken gehen, zwei Sachen, die ich liebe, Aber die meisten Leute haben einen anderen Vorschlag:

Fleisch

Du solltest Fleisch essen.

Du musst unbedingt Fleisch essen.

Es ist wirklich wichtig, dass du jetzt Fleisch isst.

Du kannst kein gesundes Baby bekommen, wenn du kein Fleisch isst.

Du wirst Lust auf Fleisch bekommen.

Ich wette, du hast Lust auf Fleisch.

Fleisch

Fleisch

Fleisch

Verdammtes Scheiß-Fleisch

Fleisch.

Fast sieben Monate rum, und ich habe immer noch keine Lust auf Fleisch. Meine Mutter sagt, ich muss kein Fleisch essen, und sie ist Krankenschwester. Meine Großmutter sagt, ich muss.

Aber das Einzige, was ich will, ist Eis; ich will es mir in den Mund stecken und auf meinem heißen, spannenden Bauch verreiben, ich will es auf meiner Stirn haben und in jedem Getränk, das ich bestelle. Ich sehe aus, als wäre ich komplett irre, aber das geht mir mittlerweile am Arsch vorbei. Mit einem Fleischklumpen könnte ich das nicht machen. Ich kann bei meiner Freundin Anna nicht an ihren hypermodernen Kühlschrank gehen und per Knopfdruck ein erfrischendes kaltes Glas crushed Fleisch kriegen.

Trotzdem muss ich immer noch die gleichen Gespräche führen:

XY: «Hast du schon Lust auf Fleisch?»

Ich: «Nein.»

XY: «Hast du schon Lust auf Fleisch»?

Ich: «Nein. Aber der Arzt hat gesagt, das Baby ist gesund, also keine Sorge.»

XY: «Hast du schon Lust auf Fleisch?»

Ich: «Nein, nur auf Eis.»

Den letzten Teil hätte ich besser für mich behalten, denn was ich jetzt die ganze Zeit zu hören kriege, ist das:

Vielleicht hast du ja Anämie.

Lust auf Eis kann auf Eisenmangel hindeuten.

Du musst Fleisch essen.

Fleisch hat jede Menge Eisen.

Du brauchst Fleisch.

Fleisch

Fleisch

Fleisch

Verdammtes Scheiß-Fleisch

Fleisch.

Ich weiß nicht, wie oft ich das in meinem Leben schon gehört habe. Laut meiner Familie habe ich schon mit vier aufgehört, Fleisch zu essen. Angeblich hatte mein Bruder zwei Wochen lang die Figuren vom Spielzeugbauernhof vor mir aufgebaut, um mir dann ganz genau zu sagen, welches meiner Lieblingstiere ich grade aß – und einmal bespritzte er mich mit einem Plastikfisch (einer Flunder) aus dem McDonald’s Happy Meal, als ich an einem Fischstäbchensandwich rumkaute. Ich weinte und aß von da an nie wieder Fisch oder Fleisch. Es gab kein Zurück, ich war traumatisiert. Mein Bruder war selbst auch einen Monat lang Vegetarier, bevor er wieder dem Charme Ronald McDonald’s erlag.

Meine Mutter log mich einige Jahre lang an und gab mir «vegetarisches Hack» oder «Pilzwurst» zu essen, hatte aber irgendwann ein schlechtes Gewissen und respektierte meine Weigerung, «die Bauerhoffiguren» zu essen.

Fairerweise muss ich sagen, dass meine Beliebtheit in der Schule stieg, als sich rumsprach, dass ein McDonald’s-Besuch mit mir gleichbedeutend mit einem Gratis-Burger war, weil ich das Fleisch immer wegtat und stattdessen Fritten in das süße Gurkenbrötchen stopfte. Aber ansonsten sorgte man sich schon immer sehr um mich wegen meines Problems mit dem Kein-Fleisch-Essen. Alle in meiner Familie essen Fleisch. Sowohl sie als auch meine Freunde erzählten mir zigmal, ich sei sicher anämisch. Also habe ich es zigmal untersuchen lassen. Bin ich nicht. War ich auch nie.

Aber die Liebe zum Fleisch bleibt. Es ist eine starke Überzeugung, die sich, wie ich annehmen muss, auf Empfehlungen von Großprofiteuren der Fleischindustrie gründet. Und jetzt, wo ich schwanger bin, erreicht die Liebe zum Fleisch ihren absoluten Höhepunkt. Und wird noch mit Vorwürfen garniert.

Ich weiß, dass du es normalerweise nicht isst, Hollie

aber das ist ja nicht nur deine Sache.

Du bringst dein Kind in Gefahr.

In der Schwangerschaft muss man eben besonders vorsichtig sein.

Es geht jetzt nicht mehr nur um dich.

Es geht ums Baby.

Fleisch

Fleisch

Fleisch

schuldiges Fleisch

Fleisch.

Dee isst auch kein Fleisch. Nur Fisch. Der beste Kommentar, den er sich anhören musste, war der:

Freund: «Hollie ist schwanger?»

Dee: «Ja.»

Freund: «Und, habt ihr wieder angefangen, Fleisch zu essen?»

Dee: «Nö.»

Freund: «Wie hast du es dann überhaupt geschafft, sie zu schwängern?»

Klar, ich habe Anämie, und Dee kann keine Spermien produzieren. Alles nur wegen Fleischmangel.

Versteht mich nicht falsch, Fleisch ist ein guter Eisenlieferant. Und Eisen ist wichtig, während der Schwangerschaft und auch sonst. Und Eislutschen kann ein Zeichen von Anämie sein. Ich will das nicht runterspielen.

Deshalb habe ich mich heute noch mal meinen Eisenwert bestimmen lassen. Ergebnis: kein Eisenmangel.

Also werde ich weiter mein Eis zerbeißen und es, egal, wo ich bin, unters T-Shirt stecken, wo es schmilzt und mir aufs Herrlichste den Bauch runterläuft. Und während es meine Haut entlangrinnt und meine Übelkeit lindert, singe ich:

Eis

Eis

Verdammtes Scheiß-

Eis

Eis

wenn mir irgendwer erzählt, mein Baby braucht Fleisch.

17. Dezember

6½ Monate schwanger

Mich schüttelt es jetzt manchmal richtig vor Aufregung. Ein Zittern, das sich tief im Innern aufbaut. Ich bin wirklich schwanger. Ich habe es jetzt allen gesagt und fange langsam an, selbst dran zu glauben. Ich bilde es mir nicht ein. Ich habe mir heute in der Mittagspause ein geblümtes Umstandskleid gekauft. Ich ging nach Hause, zog es an und stellte mir einen Moment lang vor, ich würde damit am Strand flanieren. Als ich merkte, dass es nur ein Werbespot war, der in meinem Kopf rumgeisterte, zog ich es wieder aus. Ich brachte es am nächsten Tag zurück. Es war einfach nicht das Richtige. Aber eine Sekunde lang schien es wieder eine Option zu sein.

Die Erwartungen bedrücken mich schon oft. Aber zwischen den Sorgen und den Schmerzen und der Übelkeit und der Panik, wenn alle anderen weg sind und endlich mal die Klappe halten, fühle ich ganz deutlich Schauer der Aufregung, die durch meine Adern jagen und Funken sprühen und mich in so eine Art feierliche Stimmung versetzen. Als würde was Außergewöhnliches passieren. So wie damals, als meine Mutter mir erzählte, in mir würde ein Apfelbaum wachsen, wenn ich die Kerne äße, und ich träumte, wie die Äste in meinem Körper langsam ihre Form annehmen, und sie wachsen aus meinen Fingern heraus und an ihnen rote saftige Äpfel. Meine Haare sind Blätter, und mein Körper ragt aus einem riesigen Wald in den Himmel. Aus irgendeinem Grund kam mir nie der Gedanke, dass der Apfelbaum sich durch meine inneren Organe und meine Haut bohren müsste und mich beim Aufschießen verstümmeln würde, bis ich nur noch ein Haufen gebrochener Knochen und zerfetztes Fleisch wäre.

Neulich las ich mal wieder in James und der Riesenpfirsich. Ich weiß, es ist ein Kinderbuch, aber ich stehe immer noch auf Roald Dahl. Ich las wieder die Stelle, wo James stolpert und den magischen Sack fallen lässt, den er von dem geheimnisvollen Mann bekommen hat und der sein ganzes Leben verändern soll. All die grünen Samenwürmchen schießen zu Boden. James ist außer sich vor Trauer und Angst, doch am nächsten Tag sieht er am Ast des Baumes, der sich schon unter der schweren Last biegt, einen riesigen Pfirsich hängen, und die ganze Qual und die Trübsal seines Lebens mit Tante Schwamm und Tante Spitzig sind auf einmal vergessen. Ich stelle mir diesen Pfirsich vor, sein Fleisch und seine süßen Säfte und die Pracht, die er in den schäbigen Garten gebracht hat.

So fühlt es sich jetzt manchmal an. Als ob Tausende kreischende Möwen das Baby und mich auf einem gigantischen Pfirsich in die Luft heben und mit uns über den Ozean fliegen – als ob Leben in meinem Körper entsteht. In diesem Moment. In meinem Fleisch.

23. Dezember

7 Monate schwanger

Ich bin jetzt im siebten Monate schwanger. Und ich werde schon ziemlich dick. Meine Oma hat mir letzte Woche eine Strickjacke mit der Post geschickt und dazugeschrieben, es wäre vielleicht besser «den Bauch zu bedecken, Kind».

«Weißt du, wie komisch du aussiehst?»

Die Betriebsweihnachtsfeier war echt die Hölle.

«Weißt du, wie komisch du aussiehst?»

Ich zähl neuerdings mit, wie oft ich so was in der Art zu hören kriege, meist gefolgt von: «Es ist einfach merkwürdig, deinen Körper so zu sehen, Hollie!»

Bei der Weihnachtsfeier gab’s einiges zu verzeichnen, und als Bonus noch ungefragt jede Menge besoffene Hände auf meinem Bauch. Was soll denn das? Ihr habt meinen Bauch doch vorher auch nicht angefasst – dann lasst es auch jetzt. Vielleicht reagiere ich auch über. Ist ja im Grunde irgendwie auch was Süßes: Neugier. Und es ist auch irgendwie schräg, Lizenzen zu verteilen. Du kannst meinen Bauch anfassen. Nein, du nicht, verpiss dich gefälligst. Eine «Leute, die berechtigt sind, meinen Bauch anzufassen»-Liste. Vielleicht ein bisschen spalterisch, ich weiß. Aber die Feier hat mir echt gereicht. Ich hab zusammengenommen fünf Minuten gestoppt, in denen mir niemand mit seiner verschwitzten, besoffenen Hand die heiße, gespannte Haut gerieben oder gestreichelt hat oder einfach draufgepackt.

Vielleicht bin ich auch nur genervt, weil mal wieder alle betrunken sind und mich anstarren, und ich bin die nüchterne Schwangere, die sich angestarrt fühlt und an ihrem Soft Drink festhält. Ist ja eigentlich keine schlechte Idee, Limonade im Weinglas, aber auf Dauer wird’s langweilig. Ich trinke jetzt einfach nur noch Wasser und spar mir die Kohle. Es ist schwerer, als ich dachte, die Nüchterne auf der Party zu sein; erst recht die nüchterne Schwangere.

Weißt du, wie komisch du aussiehst?

 

Weihnachten mit der Familie in Schottland. Ich liebe das. Ich bin die Einzige in der Familie mit englischem Akzent, und ich habe hier das Gefühl, meine Ohren kommen zurück in ihre wahre Heimat und nehmen ein Bad in den Stimmen aus Glasgow und Stirling. Am ersten Tag wollen wir bei Dobbie’s zu Mittag essen, einer Art Garten-Center mit Restaurant. Als wir losgehen, fragt mich meine Großmutter, ob ich ihren Ring leihen will.

«Nein danke», sage ich lächelnd in der Hoffnung, die Sache so abbügeln zu können.

Aber sie fragt noch mal.

Ich sage: «Nein danke, ich möchte den Ring nicht ausleihen, vielen Dank, Oma.»

Sie sagt: «Ich dachte, du trägst gerne Schmuck.»

Ich weiß, sie will sich nur kümmern und versucht es auf die subtile Tour, aber es klappt nicht.

Ich sage: «Schon gut, Oma.»

Sie sagt, sie will nur nicht, dass mich wer verletzt.

«Hier, nimm die Strickjacke, Kind –

Deck den Bauch zu»

«Es ist ein Baby», sage ich.

Sie lächelt und sieht weg

Heute gehen wir mittagessen

meine Großmutter zieht ihre Handschuhe aus

und bietet mir ihren Ring an

Und obwohl mich das etwas beschämt,

weiß ich, sie will mich nur schützen

davor, dass Leute mich so behandeln

wie sie, hätte sie das Gleiche getan.

Die andere Oma fasst mich um die Hüfte

und zieht mich hauteng an sich heran.

«Bei uns gab’s früher auch reihenweise Unfälle»,

flüstert sie.

«Wir haben es nur vertuscht

und schnellstens geheiratet.»

Ledig und schwanger. Mir wird klar, dass es genau das ist, wofür mein Körper jetzt steht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es damals für meine Großmütter war, denn schon für mich jetzt ist der Gedanke wahnsinnig schmerzhaft, meine Familie könnte sich in irgendeiner Weise dafür schämen, dass ich ein Kind in mir habe. Ein gesundes Kind. Mir wird klar, dass mein Körper aller Welt mitteilt: Ich, Hollie McNish, hatte ungeschützten Geschlechtsverkehr. Männerkörper geben nicht so viel preis. Wobei es bei Männern ja sowieso niemanden stört, wenn sie Sex haben. Niemand fragt Dee, ob er nicht lieber einen Ring tragen will, wenn wir ausgehen. Es fragt nicht mal jemand nach Heiratsplänen. Und anders als bei mir würde sich bei ihm auch niemand trauen, Sachen zu fragen wie: «Ich dachte, sie nimmt die Pille?» oder «Hast du dir ein Kondom über den Penis gezogen?» oder «War es geplant?» –  was im Grunde alles aufs Gleiche rauskommt – sie fragen nur mich, als ob die Sichtbarkeit meiner Schwangerschaft plötzlich allen das Recht gibt, mich über mein Sexleben auszufragen. Sonst noch Fragen zum Thema irgendwer, wo wir schon mal dabei sind? Welche Stellung war es? Welche Unterwäsche habe ich dabei getragen? Habe ich mich in die vermeintlich todsichere Rausziehmethode reinquatschen lassen? Sonst noch was?!

Dee steht nur hinter mir und lacht leise. Entschlossen rubbelt er meinen Bauch und sagt, wie sehr er die gewaltige Kugel liebt. Meine Großmutter lächelt, zuckt aber auch etwas zusammen, sagt ihm, er soll damit aufhören. Ich wollte einfach nur was essen. Eine Ofenkartoffel, einen Krautsalat, eine Tasse Tee. Es sollte keine Freakshow werden. Schließlich wickele ich mir doch die Strickjacke um den Bauch und stelle mir vor, wie furchtbar es damals für meine Großmütter gewesen sein muss, schwanger zu sein – dieses Gefühl, man hätte was falsch gemacht und jeder sieht’s.

Weißt du, wie komisch du aussiehst?

Jemand rief mir neulich auf der Straße «Teenie-Mutter» hinterher. «Ich bin sechsundzwanzig», schrie ich zurück. Ich wünschte, das hätte ich mir verkniffen. Ich arbeite viel mit Teenie-Müttern, und ich sehe, wie tapfer sie sind und was sie jeden Tag durchmachen, entgegen dem Vicky-Pollard-Klischee. Ich will nicht wissen, wie sie sich in solchen Momenten fühlen. Ich hätte einfach sagen sollen: «Ja, das bin ich.» Was für ein gottverdammter Idiot. Junge Schwangere zu dissen ist anscheinend der neue Hexenjagdsport für die Jugend von heute.

Weißt du, wie komisch du aussiehst?

Ja, ich bin ledig und sexuell aktiv. Nein, wir haben kein Kondom benutzt. Und ich soll jetzt eine Wolljacke und einen falschen Ehering tragen, um die Scham zu lindern, die alle empfinden. O.k., nicht alle. Nicht mal die meisten – ich weiß, es ist eine andere Generation – aber es ist trotzdem schwer auszuhalten. Ich ermahne mich selbst, auf die Mehrheit zu hören, auf die, die sich freuen, die lächeln, wenn ich es ihnen sage, die mich umarmen. Die meinen Bauch anfassen wollen. Vielleicht ist es also doch was Gutes. Vielleicht ist es doch gut, meinen Bauch anfassen zu wollen. Besser als es nicht zu wollen wahrscheinlich. Was, wenn niemand es wollte?

Weißt du, wie komisch du aussiehst?

Solche und ähnliche Sprüche. Ich habe jetzt angefangen, sie mir zu notieren.

Die Liste: Was man einer schwangeren Frau besser nicht sagen sollte

Weißt du, wie komisch du aussiehst?

Hast du dich schon mal im Spiegel angesehen?

Es ist einfach so seltsam, deine Figur

Es ist einfach so riesig, ich mein ja nur.

Bist du sicher, es sind keine Zwillinge?

Du wirkst irgendwie dicker als andere Schwangere

Zumindest als die aus den Vorabendserien!

Während mein Körper umfasst und begafft wird

Weißt du, wie wahnsinnig komisch du aussiehst?

Ich hätte nie gedacht, dass du fett werden könntest

Wenn ich deine Statur seh’, ich glaub’s einfach nicht.

«Wunder» würde ich das nicht nennen, sagte sie,

Es sieht einfach nur merkwürdig aus

Dünne Arme und Beine, nur die Mitte umgebaut

Sie sagen:

Weißt du eigentlich, wie du aussiehst?

Wenn du die Straße langwatschelst!

Und schläfst du anständig?

Scherze, dass sie sich freuen, weil ich scheiße ausseh’

Zum ersten Mal bin ich jetzt dicker als sie

Und ich lache und antworte ein-, zweimal freundlich

Aber ehrlich gesagt, richtig nett find ich’s nicht

In kürzester Zeit verlierst du, was du hast

Die Größe, die Form, das Gefühl, das du warst

Du musst damit klarkommen, Mutter zu werden

Hast einen Bauch und lauter Beschwerden

In dir ein Baby mit Beinen, die treten

Musst besorgt und verzaubert sein, weinen und wüten

Gehst an Spiegeln vorbei und wirst durch die Dublette

Erinnert an deine Ballonsilhouette

Du bist unsicher, fragst dich, wie soll’s weitergehen

Und das Letzte, was du brauchst, sind große Augen, die dich ansehen

Die Hauptattraktion bei jedem Spaziergang

Wenn sie dich im Park anstarren, im Bus, in der Bahn

Und wegen des «Missgeschicks» mitleidig nicken

Zweimal «Teenie-Mutter» und den Tag kann ich knicken.

Ich will ja, dass alles ganz neu ist und toll

Und stolz meinen Bauch zeigen, strahlend und prall

Das Seltsame einsaugen, andächtig, still

Die neue Tür öffnen mit ernstem Gefühl

Doch ich will

Mich noch lieber mit meinen Narben verstecken

Vor den Augen, im Dunkeln, in lichtlosen Ecken

Vor arroganten Passanten, die Sitze besetzen

Vor Freundinnen und «Jetzt bin ich dünner»-Witzen

Manchmal will ich wegrennen, mich im Dunkeln verstecken

Meinen Körper beschützen vor Sprüchen und Blicken

Denn mal spür ich Ekel vorm Wachsen in mir

Mal größtes Glück übers Erwachen in mir

Eine Frage des Zeitpunkts; wenn’s mir scheiße geht

Und mein Körpergehäuse die Hüfte lahmlegt

Dann fühl ich mich erniedrigt und mickrig und mies

Wenn du mich fragst: «Weißt du, wie komisch du aussiehst?»

 

Kann sein, dass ich lache, auch wenn das Herz weh tut.

Doch ich denke: Ja, weiß ich,

Und zwar verdammt gut.

25. Dezember

7 Monate schwanger

Es ist der erste Weihnachtsfeiertag, um mich rum türmen sich die Geschenke für ein Baby, das noch gar nicht geboren ist. Meine Familie ist so reizend. So aufmerksam. Der Boden sieht aus wie eine bunt schillernde Grotte. Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen.

Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil wir alle belogen haben nach dem Ultraschall.

Und grade am heutigen Tag, an dem ich lauter wunderschöne Babyklamotten auspacke, ist der Gegenstand dieser Lüge das große Gesprächsthema.

Das war die Lüge:

Alle: «Ist es eine Junge oder ein Mädchen?»

Wir: «Ach, das wollten wir gar nicht wissen.»

Ich hasse Lügen, aber ich will einfach niemandem erzählen, dass wir es wissen. Denn ich lebe in diesem seltsamen Reich namens England, und aus irgendeinem Grund führen dort die Geschäfte nur eine Farbe für kleine Menschen mit Möse und eine für kleine Menschen mit Pimmel. Machen sie das, weil sie Geld sparen, wenn sie die Farben en gros kaufen? Das muss es sein. Ich wüsste sonst jedenfalls keinen Grund für diese seltsame Besessenheit. Nicht, dass ich Hellrosa hassen würde, aber ich wollte einfach nicht, dass es die einzige Farbe in unserer Wohnung wird oder die Farbe, die mein Baby die ganze Zeit sieht, während es versucht, die Welt und seinen Platz darin zu begreifen.

Sie: «Wer bin ich? Was ist das für ein Planet? Was mache ich hier?»

Wir: «Du bist hellrosa. Du magst Prinzessinnen, Schmetterlinge und Blümchenbilder auf all deinen Kleidern. Du magst keine Züge oder Roboter oder Traktoren.»

Also sagen wir: «Wir wollten es nicht wissen.»

Das hat die Leute mehr aufgebracht, als ich dachte. Viele meinten, sie wüssten gar nicht, in welcher Farbe sie jetzt Babyklamotten kaufen sollen. Ich will dann immer sagen: Wenn ihr Babykleidung kaufen wollt – und ich wäre euch wirklich sehr sehr dankbar dafür –, hier ein paar Vorschläge für Farben:

Rot

Orange

Gelb

Grün

Blau

Indigo

Violett

Schwarz

Braun

Weiß

Cremefarben

Türkis

Wann sind diese Farben in Vergessenheit geraten? Ich weiß, die Läden sind voll mit Rosa und Blau, wenn’s keine anderen gibt, nimm irgendeine von den beiden, sag ich. Ich mag beide, und mir ist egal, ob die Leute glauben, mein Baby wäre ein Junge oder ein Mädchen. Babys sehen sowieso alle gleich aus, und ich bin ziemlich sicher, dass es