Das Schimpfwörter-Sammelsurium - Falko Hennig - E-Book

Das Schimpfwörter-Sammelsurium E-Book

Falko Hennig

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Beschreibung

Die Sprache begann nicht mit einem lyrischen Liebeslied, sondern mit einem kräftigen Schimpfwort, einem harten Ausdruck der Wut, des Schmerzes und der Aggression. Die Kultur begann, als das Schimpfen nicht mehr untrennbar mit körperlichen Handlungen einherging, sondern diese ersetzen konnte. Beim Menschen der Gegenwart sind fast alle aggressiven Handlungen verbal. Wie unsere Welt sonst aussähe, ist schwer vorzustellen. Wieso schimpfen Menschen? Falko Hennig geht dieser Frage nach und erstellt anhand zahlreicher Schimpfworte ein unterhaltsames Kaleidoskop menschlicher Bedürfnisse und Abgründe. „Dieses Buch ist weder klassisches Wörterbuch noch Belletristik, eher feuilletonistisch und, wie ich hoffe, ein Hybrid aus dem Besten dieser drei Welten.“ – Falko Hennig

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SCHIMPFWÖRTERSAMMELSURIUM

Für Solveig

Impressum

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN: 978-3-95894-229-5 (Print) // 978-3-95894-230-1 (E-Book)

© Copyright: Omnino Verlag, Berlin / 2022

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

Inhalt

Einleitung

Kurze Kulturgeschichte der Schimpfkunst

Gegenwart

Schimpfen in der Pandemie: Die C-Wörter

Deutsche für Ausländer

Piefkesund Marmeladebrüder

Gummihälse, Moffen und Poepen

Krauts

Hunnen

Vater aller schmutzigen Wörter

Der Ur-Arsch

Kleines Lexikon für den Arsch

Das Lecken im und am Arsch

Der Berserker

Der geile Bock

Der Bonze

Caramba, Karacho, Galopp

Thomas Mann sagte „ficken“

Fotze

Schimpfen wie die Fußballweltmeister

Suppenkasper, Gurkentruppe, Mafia, Idioten, letzter Schrott

Foda-se a Copa!

Der Fuzzi

Der Gutmensch

Der Hipster

Der Idiot, das Idiotikon und die Idiotenkultur

Der Kümmeltürke

Der Lustmolch

Der Motherfucker

Der Neger

Das Opfer

Der Quacksalber und der Scharlatan

Scheiße

Bedeutung und Herkunft

Die Scheißerei

Scheißdeutsch

Cacatum non est pictum

Scheiß drauf!

Der Matthäus-Effekt und der Papst

Dichtung und Wahrheit

Die Schlampe

Der Schweinepriester

Schwuli, Schwulibert und schwul Paketche

Vom Spießbürger zum Neospießer

Der Spitzbube

Der Spitzel

Terroristen, Schreckens- und Angstmänner

Terroristenim 20. Jahrhundert

Trantütenund Tränen

Der Weihnachtsmann

Der Wichser

Mozart

Bedrohte und

ausgestorbene Schimpfwörter

Die Typografie und ihre Schimpfwörter

Von Affenstall bis Zwiebelfisch

Gefallene Wörter

Von Dirne bis Elpentrötsch

Drohne, Drohnund Drönlinge

Saprelitund

Sapperlot sackernde Sackermenter

Dank

Literatur

Einleitung

Dieses Buch ist weder klassisches Wörterbuch noch Belletristik, sondern eher feuilletonistisch und, wie ich hoffe, ein Hybrid aus dem Besten dieser drei Welten.

Die ursprüngliche Idee, mich intensiv mit deutschen und manchen internationalen Schimpfwörtern zu beschäftigen, kam mir auf einer Busfahrt durch Bulgarien. Dem war ein fast 50-jähriges Leben mit verschiedenen Höhe- und Tiefpunkten vorangegangen und die Vermutung einiger Freunde, dass mein Interesse an schmutzigen Wörtern seine Ursache in einer Reihe von Prozessen habe, mit denen mich ein Pharmakonzern überzogen hatte, scheint mir plausibel, aber doch nicht zutreffend.

Den Aufenthalt in Bulgarien verdankte ich einem Stipendium, und zwar dem Tandem-Stipendium, das mir Prof. Dr. Hans-Joachim Neubauer zusprach und mit dem ich 2008, betreut von Georgi Tenev, zwei Monate in Sofia zubringen konnte. Durch dieses Stipendium und Georgis Vermittlung kam es zu einer bulgarischen Ausgabe meines ersten Romans, und als ich nach Plowdiw fuhr, da kam mir wie aus heiterem Himmel die Idee. Ich saß im Bus, schaute auf die bulgarische Landschaft und mir fielen immer mehr Schimpfwörter ein, die ich notierte und die den Grundstock dieses Buches bilden. Ich bot dem Redakteur Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung das Thema als Schimpfwortkunde an. Zu meiner Freude war er interessiert und von 2012 bis 2021 erschienen dort in der Rubrik „Unterm Strich“ viele meiner feuilletonistischen Abhandlungen zu aktuellen oder antiken Schimpfwörtern. Ziel war eine unterhaltsame und gut lesbare Sprachkunde für allgemein interessierte Leser, mit gelegentlichen Überraschungen sogar für Sprachwissenschaftler.

Das Korsett eines herkömmlichen Wörterbuches brauchte ich nicht anzulegen und konnte in den Artikeln Verwandtschaften sprachlicher oder sinngemäßer Art zusammenfassen. Vorbilder und Inspiration waren mir Autoren wie Adolf Josef Storfer und sein Buch „Wörter und ihre Schicksale“. Dass es kein Buch ohne Fehler und Irrtümer gibt, macht mich kleinlaut in meiner Hoffnung, möglichst wenige davon abgeschrieben und dafür viele korrigiert zu haben.

Häufig musste ich meine Aufsätze für die Kolumne in der Zeitung mit ihrem unbarmherzig begrenzten Platz stark kürzen. Mich tröstete, dass sie eines Tages noch einmal in ganzer Länge erscheinen würden. Während das Kürzen meistens die wirksamste Methode ist, einen Zeitungsartikel entscheidend zu verbessern, tut einem Buch gelegentlich etwas mehr Ausführlichkeit gut.

Die Strukturierung beschränkt sich auf die Unterteilung in aktuelle Schimpfwörter am Anfang und ausgestorbene im letzten Teil des Buches. Doch nicht selten führt gerade die Geschichte eines ausgestorbenen Schimpfwortes überraschend in die heutige Zeit.

Im Allgemeinen geht es um deutsche Schimpfwörter. Ausnahmen sind zum einen die ausländischen Schimpfwörter, mit denen wir Deutsche bezeichnet werden, und zum anderen Wörter, hauptsächlich aus dem Englischen, die in den heutigen deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind, und schließlich Wörter, die durch persönliche Erlebnisse und Ereignisse, wie der Fußball-WM in Brasilien 2014, in den Fokus meiner Aufmerksamkeit gerieten.

Eine einheitliche Vorgehensweise hatte ich nicht, abgesehen vom Nachschlagen in den vielen Schimpfwörterbüchern, die ich mir für die Recherchen zugelegt hatte. Ich überprüfte ihre Einträge durch Abgleichen mit anderen Büchern und Lexika auf Papier und natürlich im Internet und, wenn es um den aktuellen Sprachgebrauch ging, im Gespräch mit Zeitgenossen.

Manche Wörter gerieten durch Medienberichte in die Schlagzeilen, andere tauchten in belletristischen und Sachbüchern auf oder in Gesprächen mit Freunden oder Fremden.

Quellen wie das „Das große Schimpfwörterbuch“ von Herbert Pfeiffer zitieren die deutsche Hochliteratur mit Beispielen von Luther bis Goethe, Tucholsky, Mann und Grass, sowie mitunter Zeitungen und andere journalistische Veröffentlichungen. Dem folgte ich immer gern, suchte nach den ursprünglichen Quellen und konnte Ungenauigkeiten früherer Autoren korrigieren. Meine Muttersprache öffnete sich mir neu mit kraftvollen, lebensstrotzenden, seltsamen und wohlklingenden Schimpf-, Kampf- und Stichworten. Manchmal war mir, als sei da nicht der Staub alter Bücher, sondern der Odem des Lebens, ohne den es keine Sprache gibt.

Dem Verleger Alexander Schug verdanke ich die Anregung, auf die allgemeinen Wurzeln und die Kulturgeschichte des Schimpfens und Fluchens einzugehen sowie dieses Buch in die vorliegende Form zu bringen.

Große Freude bereitete es mir, die mir zugängliche Literatur zu durchstöbern und überraschende Bedeutungswandel oder Migrationsgeschichten von Wörtern zu finden. Ich wünsche diesem Buch, dieses Vergnügen möge sich häufig auf die Leserinnen übertragen.

La Serena in Chile, im dritten Corona-Jahr 2022

Kurze Kulturgeschichte der Schimpfkunst

Alle Menschen schimpfen und fluchen - und sie schimpften und fluchten seit Anbeginn der Menschheit. Sie können nicht anders, denn es geschieht im Affekt. Das Schimpfen wird uns vom ältesten Teil unseres Denkorgans befohlen, dem Hirnstamm, der sich in der Evolution seit ungefähr 500 Millionen Jahren kaum verändert hat. Volkstümlich Reptiliengehirn genannt, ist der Hirnstamm der Ort unserer unbewussten Instinkte und Triebe.

Die Sprache begann nicht mit einem lyrischen Liebeslied, sondern mit einem kräftigen Schimpfwort, einem harten Ausdruck der Wut, des Schmerzes und der Aggression. Die Kultur begann, als das Schimpfen nicht mehr untrennbar mit körperlichen Handlungen einherging, sondern diese ersetzen konnte. Beim Menschen der Gegenwart sind fast alle aggressiven Handlungen verbal. Wie unsere Welt sonst aussähe, ist schwer vorzustellen.

Wieso schimpfen Menschen? Aus denselben Gründen, aus denen sie atmen, verdauen oder schwitzen. So wie Menschen aus Heiterkeit lachen, aus Freude jubeln, singen oder tanzen, so schimpfen und fluchen sie, wenn sie verärgert, frustriert oder verletzt sind.

Die Kulturgeschichte beginnt mit dem Menschen, aber mit Sicherheit haben auch Tiere vor dem Homo Sapiens Laute von sich gegeben, mit denen sie wie Rohrspatzen schimpften. Affen in Gefangenschaft bewerfen Besucher durch Gitterstäbe gern mit ihrem Kot. Das von Menschen gefluchte „Scheiße!“ ist gleichzeitig Sublimierung und nicht zu unterschätzende Kulturleistung. Dass die Entwicklung zum Höheren damit noch nicht abgeschlossen ist, beweisen Deutsche, die in der Lage sind, stattdessen noch feiner zu fluchen: „Scheibenkleister!“

Im Talmud heißt es: „Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.“ Zum Glück für die Menschheit gilt diese Weisheit nicht für Schimpfworte, denn hätten sich die Beschimpfungen und Flüche der Geschichte erfüllt, dann wären die Erde und das ganze Sonnensystem längst in einem Meer von Blut erloschen.

Seit Erfindung der Schrift wurde nicht nur mündlich, sondern zusätzlich schriftlich geflucht. Wo sie sich erhalten haben und man sie entziffern kann, findet man Beschimpfungen als gemeißelte und geschnitzte Hieroglyphen, auf Papyrus und Papier, bei den alten Ägyptern und Griechen, Chinesen und Inkas. Noch nirgends hat man eine Primitiv- oder Hochkultur gefunden, die auf Beschimpfungen und Flüche verzichtet hätte.

Mit Homers Ilias sind unter anderem auch verschiedene antike Beschimpfungen in die Literatur eingegangen, so lautet in der Übersetzung von Johann Heinrich Voß eine von Hektor gegen Alexandros ausgestoßenen Schimpftirade:

„Weichling, an Schönheit ein Held, weibsüchtiger, schlauer Verführer!

Wärest du nie doch geboren, das wünscht‘ ich dir, oder gestorben,

Eh‘ du um Weiber gebuhlt! Viel heilsamer wäre dir solches, Als nun so zum Gespött dastehn, und allen zum Anschaun!

Ja, ein Gelächter erheben die hauptumlockten Achaier,

Welche des Heers Vorkämpfer dich achteten, weil du so schöner

Bildung erscheinst; doch wohnt nicht Kraft dir im Herzen, noch Stärke!“

Allgemein sind Scherzen und Spotten eng verwandt mit dem Schimpfen. Im Alten Testament der Bibel wird in den sogenannten „Fluchpsalmen“ dagegen nur mit blutigem Ernst geschimpft. Martin Luther übersetzte sie 1545 so:

„Die Gottlosen sind verkeret von Mutter leib an

Die Lügner jrren von Mutter leib an.

Jr wüten ist gleich wie das wüten einer Schlangen

Wie eine taub Otter

die jr ohr zustopfft.

Das sie nicht höre die stimme des Zeuberers

Des Beschwerers der wol beschweren kan.

GOtt zubrich jre Zeene in jrem maul

Zestosse HERR die Backenzeene der jungen Lewen.“

Im „Psalmenbuch“ findet man Dutzende Bitten, der liebe Gott möge doch das Gebet erhören und die Feinde strafen, denn: „DEr Gerecht wird sich frewen / wenn er solche Rache sihet / Vnd wird seine füsse baden in des Gottlosen blut.“

Die Römer erfanden eine eigene Literaturgattung für Beschimpfungen: die „Satiren“, die mit heutigen satirischen Schriften nur den Namen gemein haben. Ihr Schöpfer Gaius Lucilius beschimpfte scherzhaft und angriffslustig Persönlichkeiten und gesellschaftliche Missstände.

Jede Sprache besitzt ihre Schimpfwörter und ihre Flüche. Im ältesten Gesetzbuch, das sich ungefähr aus dem Jahr 500 überliefert hat, der Lex Salica der salischen Franken, ist in einem Kapitel „De conviciis“, also „Von Schimpfworten“, die Rede:

„Wenn einer ein freies Weib, sei‘s Mann oder Weib, eine andere Hure schilt und es nicht nachweisen kann, werde er zu 1800 Pfennigen, gleich 45 Schillingen, verurteilt.“ Zum Vergleich kostete es nur 600 Pfennige, jemanden als Buhlknabe oder Hurenbock zu beschimpfen.

Im Mittelhochdeutschen bedeutete das Verb schimphen eigentlich scherzen, spielen oder spotten und bekam erst später im 17. Jahrhundert seinen heutigen Sinn. Genauso hatte das Wort Schimpf die Bedeutung von Spott, noch häufiger Scherz oder Spiel und war also das Gegenteil von Ernst. Etwas in schimpf ûf nemen war keine beleidigte Reaktion, sondern bedeutete Spaß verstehen. Bei Ritterturnieren machte Schimpf ausdrücklich klar, dass es sich um ein Spiel und kein wirkliches Gefecht handelte. Entsprechend hieß schimpflich so viel wie scherzhaft oder spöttisch.

Ein großer Meister der ernsthaften Schimpfkunst in Deutsch war Martin Luther, und für manche ist er deshalb ein Sprachferkel. Ihm verdanken wir schöne Schimpfwörter wie Memme, Hanswurst oder Grobian und kräftige, bezaubernde Redewendungen, unter anderem Hummeln im Arsch und Ihr sollt eure Perlen nicht vor die Säue werfen. Seiner Wichtigkeit und Sprachkraft war er sich bewusst, denn er schrieb: „Wenn ich einen Furz lasse, soll man es bis Rom riechen.“ Dieser Furz musste gute Laune gehabt haben, denn: „Aus einem verzagten Arsch fährt kein fröhlicher Furz.“

Die Unterscheidung zwischen Hochkultur und minderwertigem Pop oder Massenkultur ist in Bezug auf Schimpfworte unnötig, denn nicht nur minderwertige oder mittelmäßige Schriftsteller schrieben Flüche und schmutzige Wörter, sondern auch Goethe, Thomas Mann oder Peter Handke sind Meister der Schimpfkunst.

Absolutistische Herrscher versuchten zu allen Zeiten, das Schimpfen, wenn es gegen sie selber gerichtet war, als Majestätsbeleidigung zu verbieten. Dass bis heute in Deutschland die Verunglimpfung des Bundespräsidenten strafbar ist, steht in dieser Tradition. Erst 2017 kam es nach der Böhmermann-Erdogan-Affäre und den diplomatischen Verwicklungen zwischen Deutschland und der Türkei zumindest zur Aufhebung der Strafbarkeit bei Beleidigung von ausländischen Potentaten. Bundeskanzlerin Merkel hatte sich persönlich für eine Aufhebung des §103 StGB eingesetzt.

In der DDR war seit 1968 im Strafgesetzbuch die Herabwürdigung staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Organisationen und das Verächtlichmachen der gesellschaftlichen Ordnung verboten und wurde mit jahrelangem Gefängnis bestraft.

Mit der Demokratie dagegen erhob sich das Schimpfen zur Staatsform. Das kann beeindruckend langweilig sein, aber auch sehr unterhaltsam, wenn der politische Gegner mit Worten vernichtet werden soll. Jede Demokratie hat ihre Meister im Schimpfen hervorgebracht.

Dabei scheuen Volksvertreter und sonstige Redner keine Wortspiele und suchen überraschende Volten, was einige Beispiele aus dem Bundestag, stellvertretend für die vielen Demokratien der menschlichen Geschichte, zeigen.

Herbert Wehner von der SPD und Franz Josef Strauß von der CSU waren die Schimpfkönige der alten BRD. Wehner hatte sich schon in der Weimarer Republik über ein Dutzend Ordnungsrufe eingehandelt, im Bundestag waren es nicht weniger als 77. Zum Erfolg einer guten Beschimpfung gehört der Moment der Überraschung, so rief Wehner dem CDU-Abgeordneten Möller während dessen Parlamentsrede zu: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“ Er bekräftigte seine Forderung zwei Minuten später: „Waschen Sie sich erst einmal!“ Jürgen Todenhöfer von der CDU war für Wehner „Hodentöter“ und Schneider ein „Ehrab-Schneider“. 1970 verblüffte er seinen Gegner Jürgen Wohlrabe von der CDU mit: „Sie sind eine Übelkrähe!“, und kurz danach mit: „Sie sind ein Schwein. Wissen Sie das?“

Im selben Jahr fand auch ein Schlagabtausch zwischen Rainer Barzel von der CDU und dem Sozi Wehner statt:

Barzel: „Ich habe nicht die Absicht, einen Pappkameraden hier aufzubauen, wie Sie das nannten.“

Wehner rief: „Sie sind ja selber einer!“

Heiterkeit bei der SPD und lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: „Unerhört!“

Der Parlamentspräsident fragte nach: „Herr Abgeordneter Wehner, haben Sie den Herrn Abgeordneten Dr. Barzel eben als Pappkameraden bezeichnet?“

Wehner: „Lesen Sie das bitte im Protokoll nach, Herr Präsident!“

„Ich werde es im Protokoll nachlesen.“

Rasner von der CDU/CSU rief: „Ein unverfrorener Mensch“. Rösing von der CDU/CSU: „Sie sind ja selber einer, hat er gesagt.“

Barzel: „Bleiben wir also bei den Pappkameraden.“

Wehner setzte noch eins drauf: „Schleimer wäre richtiger!“

Franz Josef Strauß konnte schon als junger Mann ordentlich austeilen, 1951 rief er dem KPD-Fraktionschef Heinz Renner zu: „Schnauze, Iwan!“ Strauß beschimpfte 1977 Hans-Dietrich Genscher als „Edelkurtisane zwischen zwei Monarchen“, Helmut Schmidt 1980 als „reif für die Nervenheilanstalt“ und ein andermal Heiner Geißler und Rita Süssmuth auf einen Streich: „Geißler wird nicht Verteidigungsminister, eher wird Rita Süssmuth deutsche Schönheitskönigin.“ Strauß musste dafür ertragen, von Horst Ehmke als „Bayerisches Rumpelstilzchen“ und von Hans-Jochen Vogel (beide SPD) als „Alpenchurchill“ bezeichnet zu werden.

Ein anderes Beispiel für die Verballhornung eines Namens im Bundestag ist „Finanzminister Schuldenberg“, wie Heinz Suhr (Grüne) Gerhard Stoltenberg nannte.

„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“, beschied Joschka Fischer (Grüne) 1984 dem Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen (CSU). 1995 beschimpfte Fischer den damaligen ewigen Kanzler der Einheit, Helmut Kohl (CDU), als: „Drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit“. „Sie verkörpern Dick und Doof in einer Person“, rief Karsten Voigt (SPD) Martin Bangemann (FDP) zu.

Wer das Erbe von Wehner, Strauß und Fischer antreten wird, werden wir erleben. Die Fackel wird weitergetragen: So bemerkte 2012 die SPD-Abgeordnete Barbara Hendricks, der FDP-Politiker Martin Lindner sei der „berühmteste Eierkrauler dieses Parlaments“.

Der Bundestag inspiriert. Zu den relativ originellen, im Bundestag verwendeten Schimpfwörtern seit 1949 gehören in alphabetischer Ordnung:

Amokläufer, Bauernkiller, Beamtenkuh, Berufsdenunziant, Dampfnudel, Dösbaddel, Dröhnbüdel, Eiertänzer, Erpressungsminister, Friedhofsredner, Frühstücksverleumder, Galgenkandidat, Generalschwätzer, Graphomane, Großinquisitor, Gruselkomiker, Harzer Roller, Hebammenkiller, Heiratsschwindler, Hilfsabgeordneter, Knallfrosch, Lackschuh-Panther, Leichenfledderer, Lügenbold, Lüstling, Massenmörder, Micky Maus, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Naziflegel, NS-Schulungsredner, Ochsenfrosch, Obertünnes, Petersilien-Guru, Pistolero, Pöbelkönig, Putzlumpen, Ratte, Rotzjunge, Schlange, Selbstbefriediger, Sumpfblüte, Wollüstling, Wrack, Wühlratte und Zuhälter.

Für das psychische Wohlbefinden ist das Schimpfen und Fluchen so unverzichtbar wie für das körperliche die Verdauung, einschließlich Flatulenz. Sowohl geistige als auch körperliche Spannungen werden dadurch abgebaut und wir erlangen unser Gleichgewicht zurück. Das Schimpfen schützt uns vor Stress und davor, körperlich gewalttätig zu werden.

Das gute Fluchen und Schimpfen, so schreibt es Sebastian Freud in seinem „Handbuch der Beschimpfungen“, öffnet die Türen zum Unterbewusstsein, fördert den Sinn für Humor und ist ganz allgemein gut für die Gesundheit.

Der Traum einer Menschheit ohne Schimpfen, Fluchen und die dazu nötigen Wörter ist ein Alptraum.

Gegenwart

Schimpfen in der Pandemie: Die C-Wörter

Mit was beleidigen sich Viren? Mit Impfwörtern! Dagegen bleiben die Deutschen beim Beleidigen bei Schimpfwörtern und die Pandemie hat davon eine große Menge neue hervorgebracht.

Den meisten Menschen ist das Thema so über, dass sie ein Hüllwort (wie Armloch oder Scheibenkleister) benutzen und anstatt Corona lieber C-Wort sagen oder schreiben.

Von den Deutschen werden Pandemie, Covid, COVID-19 und Corona synonym gebraucht und so kann man alle im Folgenden erwähnten Schimpfwörter entsprechend variieren.

Zuerst wurden und werden die Viren selber beschimpft, was diese aber insgesamt wenig beeindruckt hat. Wuhan-, China- oder Chinesen-Virus, britischer Virus oder Britenvirus, Südafrika-Virus, die Mutante aus Indien oder die Mutation aus Brasilien, die Bezeichnungen haben gemeinsam, dass ein xenophober Ton mitklingt, am deutlichsten bei Trumps feindlichen Äußerungen gegenüber China herauszuhören.

Klar ist, wer Schuld hat, das sind die Covidioten, also Menschen, die sich in der Pandemie falsch verhalten. Harmlos sind da noch die Corona-Sünder, denn wir sind alle kleine Sünderlein, im Gegensatz zu den Coronasuperverbreitern, Multi-Spreadern und -Treibern, den Virenbombern und -schleudern, die uns das alles eingebrockt haben.

Dann kommen die Lockdownverweigerer, Lockerungsdrängler, Maskengegner, die Nacktnasen mit Nasenpimmel und die Maskenmuffel. Da viele Männer überzeugt waren, mit einer Maske durch die gesamte Pandemie zu kommen, ist ungeklärt, wer für die Ausbreitung mehr Verantwortung trägt, die Maskenmuffel oder die Muffelmasken der Dauerbenutzer. Auch die Klopapierhamster oder -prepper haben in der Anfangszeit den Alltag erschwert.

Was ein Wirrologe ist, erschließt sich wahrscheinlich jedem, denn wir alle haben mindestens einen davon im Familien- und Freundeskreis oder schon einmal einen im Internet oder Fernsehen gesehen. Ein Wirrologe hat eine eigene Expertise, egal ob er in der Virologie bewandert ist oder nicht, er zeigt einem ungefragt eine Fülle von Widersprüchen in Politik und Berichterstattung auf und ignoriert dabei, dass seine Ausführungen um ein Vielfaches widersprüchlicher sind.

Corona-Petzen zeigten Personen bei der Polizei an, die sich ihrer Meinung nach nicht an die Regeln hielten. Aber auch, wer nicht Opfer von Denunzianten wurde, konnte von Corona-Scham oder -Shaming befallen werden, wie zum Beispiel ich selbst, als ich es von Januar bis April des zweiten Corona-Jahres 2021 vorzog, auf Gran Canaria Fußball zu spielen und zu baden, anstatt der Empfehlung der Bundesregierung zu folgen und meinen Arsch gefälligst zu Hause zu lassen.

Mit Aluhut bezeichnete man ursprünglich den Spinner, der sich vor Satelliten- oder Weltraumstrahlung durch einen Aluhut schützt. Manch stolzer Querdenker trug in Anspielung darauf an Hose, Handgelenk oder Hals aus Folie gerollte Alu-Bommeln oder -kugeln.

Quarantänebrecher oder Ausbrecher und nicht nur sie schimpften über den Salamilockdown. Als Corona-Leugner oder Corona-RAF wurden Menschen diffamiert, von denen man extremistischen Protest erwartete. Sie selbst sahen sich lediglich als Corona-Kritiker oder -Rebellen und unser politisches System ist für sie keine Demokratie, sondern eine Hygiene- oder Corona-Diktatur, gern auch -Regime oder sogar Corona-Faschismus mit coronaesken Verordnungen, kurz: eine Plandemie.

Die Balkonklatscher ganz am Anfang der Pandemie waren nicht nur ihnen, sondern auch vielen Beklatschten ein Ärgernis, weil die sich wünschten, dass die Applaudierenden sich ihren Beifall sonstwohin steckten und eher besser bezahlt werden wollten.

Die Corona-Skeptiker veranstalteten Hygienedemos. Für sie waren die Menschen auf der anderen Seite des Coronagrabens Opfer von Panikdemie, Coronahysterie, Coronapanik und Coronahype. Sie seien Corona-Gläubige oder gar Corona-Lügner, Maskentrottel, Maskensklaven, Maskenknappen, die sich mit untauglichen, selbstgehäkelten Schnutenpullis, Coronalappen, Kinnwindeln oder Gesichtskondomen zu schützen suchen.

Wer nicht daran glaubt, dass Merkel, Trump, Biden, Gates und alle anderen Mächtigen einen gigantischen Coup durchziehen, wird von ihnen als Schlafschaf oder Zeuge Coronas beschimpft.

Ein aus Angst oder Wut aggressiver Corona-Mob kann sowohl aus Vertretern der einen wie der anderen Seite bestehen.

Die Geschichte der Querdenker ist die eines gefallenen Wortes. Bis Corona waren Querdenker ehrenwerte ältere Herren der CDU so wie Kurt Biedenkopf und Heiner Geißler oder von der SPD Willy Brandt und Helmut Schmidt. Wurde jemand als Querdenker bezeichnet, dann war dies eine Auszeichnung und bedeutete, dass derjenige sich unabhängig vom Tagesbetrieb wichtige Gedanken um Gegenwart und Zukunft machte. Vermutlich würden genau diese Politiker, wenn sie mit Maßnahmen die Seuche eindämmen wollten, von den Querdenkern als Coronazis und Seuchensheriffs beschimpft werden. Ihre Gegner zogen über die Querdenker wiederum mit Leerdenker, Querfurzer oder Querpupser her.

Zombies waren Unternehmen wie die Lufthansa oder jedes beliebige Luftfahrtunternehmen. Tourismus, Messebau und Gastronomie, die Konzertveranstalter und Hotels gehörten dazu. Ganze Branchen waren und sind stark verschuldet und nur noch durch staatliche Alimentation lebensfähig.

Eine Einrichtung, in der Infizierte zwangsweise zur Quarantäne untergebracht wurden, war ein Coronaknast. Lernplattformen wurden als PDF-Schleudern diffamiert.

Mit dem Impfen gegen die Krankheit müsste die Krise mittelfristig überwunden werden, doch auch diese Zeit bringt noch neue Schimpfwörter hervor, Impftourist, Impfdrängler oder -vordrängler gehören genauso dazu wie umgekehrt Impfmuffel, Impftrödler oder Impfverweigerer.

Die neuen Wörter füllen ein eigenes Wörterbuch, darin sind auch etliche, die eigentlich keine Schimpfwörter sind, aber leicht für Beleidigungen genutzt werden können. Dazu gehört der adipöse After-Corona-Body mit seinen zusätzlichen Coronakilos. Die vielen Bezeichnungen dieser Deformation machen den gefährlich verfetteten Zustand des Volkskörpers deutlich: Corona-Bauch, Corona-Speck, Corona-Plauze, Corona-Wampe und die Corona-Figur.

Auch waren Corona- oder Lockdown-Frisur, -Matte, -Mähne, der Corona-Schnitt, Krisen-Frisen, Pandematte oder das Corona-Haar eher nicht sehr modisch, sondern den geschlossenen Haarschneidereien geschuldet.

Nach den ersten zwei Jahren Corona waren die meisten Deutschen krank, müde, overzoomed oder tot und ihre Hoffnung war erloschen, dass dieser Zustand jemals endet. Dann überfiel Russland die Ukraine und urplötzlich hatten alle Sehnsucht nach der friedlichen Corona-Zeit mit den Diagrammen und Zahlen zur aktuellen Entwicklung.

Deutsche für Ausländer

Ausdrücklich soll es im Folgenden nicht um deutsche Schimpfwörter gehen, sondern um Schimpfwörter, mit denen Deutsche belegt werden. So wie wir Deutsche viele Schimpfwörter für unsere Nachbarn und Ausländer aller Art haben, verfügen auch diese über einen reichen Wortschatz, um uns zu beschimpfen. Aus entsprechender Entfernung sind wir Europäer allesamt stinkende Teufel, Chou Gui