Das Spiel - Tod - Jeff Menapace - E-Book

Das Spiel - Tod E-Book

Jeff Menapace

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Beschreibung

Die Lamberts sind eine Familie wie aus dem Bilderbuch. Liebevolle Eltern, entzückende Kinder. Doch nach der grauenvollen Begegnung mit drei Psychopathen ist für die Lamberts nichts mehr wie zuvor. Sie haben überlebt — aber es gibt noch ein letztes Spiel, das gespielt werden muss. Für den Meister dieses Spiels ist es die Krönung seines perfiden Schaffens … für die Lamberts die pure Hölle!

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Seitenzahl: 347

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Zum Buch

Monica ist jung – schön – und eine Psychopathin. Sie genießt es, ihre Opfer leiden zu sehen, sie genießt das Morden. In einem Heim für schwer erziehbare Mädchen findet sie Kelly, die ihre Schülerin in der Kunst des Tötens wird. Beide ziehen eine blutige Spur durch das Land. Monica wir getrieben von der Gier nach Rache – Rache an Domino, der einst ihren Vater tötete und jetzt Bodyguard der Familie Lambert ist, mit der Monica ein böses Spiel getrieben hat. Doch dieses Spiel ist noch nicht beendet. Im Gegenteil: Es beginnt erst …

Zum Autor

Jeff Menapace, geboren in Philadelphia, verbringt seine meiste Zeit damit, Bücher zu schreiben und sich Horrorfilme anzusehen. Mit seiner Spiel-Trilogie wird er in Amerika als neuer Stern am Horror-Himmel gefeiert. Er liebt Martial Arts, die 3 Stooges und ist überzeugt davon, dass »The Texas Chainsaw Massacre« von 1974 der größte Film aller Zeiten ist.

Lieferbare Titel

Das Spiel – Opfer

Das Spiel – Rache

JEFF MENAPACE

TOD

THRILLER

Aus dem Amerikanischen vonSven-Eric Wehmeyer

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe BAD GAMES: HELLBENTerschien bei Mind Mess Press

Unter www.heyne-hardcore.de finden Sie das komplette Hardcore-Programm, den monatlichen Newsletter sowie alles rund um das Hardcore-Universum.

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2017

Copyright © 2013 by Jeff Menapace

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Kristof Kurz

Umschlagillustration: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,unter Verwendung eines Fotos von © plainpicture / Anja Weber-Decker

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-18741-5V001

www.heyne-hardcore.de

1

Die Pine Barrens, im Süden von New Jersey

Sommer 2010

Stan und Josephine Barr waren auf dem Weg zurück in die Pines, als sie die Frau im Graben sahen.

Sie hatten sich an diesem Tag hinausgewagt, um ihre Vorräte aufzustocken, eine Fahrt, die erfolgreich, wenn auch nicht anstrengungsfrei verlaufen war. Als junges Ehepaar, damals in Hoboken, waren sie überall zu Fuß hingegangen. Was nahegelegen hatte – schließlich war dort alles, was man brauchte, nur einen Steinwurf entfernt. Als sie das Stadtleben gegen die von ihnen inzwischen bevorzugte abgeschiedene Existenz in den Pines eingetauscht hatten, war die Anschaffung eines Fahrzeugs mehr oder weniger unumgänglich gewesen, denn hier wurden Entfernungen nicht in Steinwürfen, sondern in Fahrtstunden gemessen – eine Tatsache, die sie nicht nur zu akzeptieren, sondern durchaus zu schätzen gelernt hatten.

Von daher war die Frau im Graben umso verstörender: Stan konnte sich nicht erinnern, an einem liegen gebliebenen Fahrzeug vorbeigekommen zu sein. Auch in der unmittelbaren Umgebung war kein Auto zu sehen.

Nur wenige Augenblicke zuvor hatte Josephine ihren Kopf gegen Stans Schulter gelehnt und die Augen geschlossen. Da war es laut Armaturenbrettuhr halb neun Uhr abends gewesen. Das Tageslicht schwand allmählich, und Stan wusste, dass die sie umgebenden dichten Wälder auch den letzten verbliebenen Rest an Helligkeit schlucken würden.

Halb neun. Ihr Ausflug hatte länger gedauert, als er beabsichtigt hatte, und es lag noch ein ganzes Stück Weg vor ihnen. Er hatte gehofft, spätestens um neun zu Hause anzukommen, den Wagen zu entladen und ins Bett gehen zu können. Jetzt sah es eher nach zehn Uhr aus – für die beiden war das reichlich spät.

Stan hatte überlegt, das Radio einzuschalten, zur Zerstreuung und um seinen Augenlidern ein wenig von ihrer Schwere zu nehmen. Das hätte jedoch zweifellos den gleichen Effekt auf Jos Lider gehabt, und es war ihm weitaus wichtiger gewesen, dass seine Frau ein bisschen Ruhe bekam.

Pfeifen? Er hatte stumm den Kopf geschüttelt. Macht keinen Unterschied zum Radiolärm, Dummkopf.

Und dann war die ultimative Ablenkung aufgetaucht, allerdings keine, für die er besonders dankbar gewesen wäre.

Die Frau im Graben.

»Jo«, sagte er. »Jo, wach auf, Schatz.«

Josephine setzte sich auf, gähnte und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Was ist los?«

Stan drosselte das Tempo des Lasters und hielt am Straßenrand an.

»Was ist los?«, fragte Jo erneut. »Warum hältst du?«

Stan zeigte auf das, was von den Frontscheinwerfern in helles Licht getaucht wurde: eine Frau in einem Graben neben der Landstraße, den Körper in Fötusstellung zusammengerollt. »Gleich da drüben.«

Josephine kniff die Augen zusammen und lehnte sich vor. Als sie sah, was dort lag, war ihre Müdigkeit mit einem Schlag verschwunden. »Oh mein Gott.«

Stan nickte. »Was sollen wir machen?«

Josephine deutete auf Stans Handy, das auf dem Armaturenbrett lag. »Hilfe rufen?«

Stan griff sich das Mobiltelefon. »Und wie lange wird es dauern, bis die eintrifft? Erinnerst du dich an Jack Logan? Als sie endlich kamen, war er schon tot.«

»Das war mitten in den Pines, Stan. Sie konnten ihn erst gar nicht finden.« Josephine drehte den Kopf und spähte in sämtliche Richtungen. »Wir sind ja noch relativ weit draußen. Sie würden rechtzeitig hier sein.«

»Rechtzeitig wozu?«, erwiderte Stan. »Wir wissen nicht, ob die Frau tot ist oder …«

Die Frau bewegte sich. Langsam entrollte sie sich aus ihrer Embryonalhaltung, wollte sich zitternd aufrichten und schlug sofort wieder der Länge nach hin.

Stan und Josephine sprangen gleichzeitig aus dem Lastwagen und eilten zu der Frau hinüber. Josephine ließ sich auf ein Knie nieder, während Stan sich über sie beugte. Die Frau stöhnte und versuchte, sich aufzusetzen. Josephine legte ihr eine Hand auf den Rücken, um ihr Halt zu geben.

Stan musterte die Frau von oben bis unten. Sie schien Ende zwanzig, braunes Haar, sehr schlank. Derangiert, aber attraktiv. Sie trug Jeans und T-Shirt. Neben ihr lag eine graue Damenhandtasche. Blutspuren konnte er nirgends erkennen.

»Schätzchen?«, sprach Josephine die junge Frau an. »Schätzchen, können Sie mich hören?«

Die Frau sah Josephine mit leerem Blick an. Dann schaute sie zu Stan auf. Ihre braunen Augen waren geweitet und glasig. Stan vermutete, dass sie unter Schock stand.

»Schätzchen?«, versuchte Josephine es wieder. »Schätzchen, sind Sie verletzt? Können Sie sprechen? Was ist passiert?«

Die Frau versuchte erneut, auf die Beine zu kommen. Stan und Josephine halfen ihr, indem sie jeweils einen ihrer Arme nahmen.

Jetzt schien die Frau ein wenig standfester zu sein. Sie sah sich um. »Wo?«, fragte sie.

»Sie sind im Süden von New Jersey. In den Pine Barrens«, klärte Stan sie auf. »Was um Himmels willen treiben Sie ganz alleine hier draußen? Noch dazu zu Fuß?«

»Die Pine …?«

»Barrens«, ergänzte Stan. »Ein stark bewaldetes Gebiet, das sich über mehr als sieben Bezirke erstreckt. Wie zum Geier sind Sie ohne Auto überhaupt so weit gekommen?«

»Was führt Sie her?«, wollte die Frau wissen.

Stan und Josephine wechselten einen Blick. Unter den gegebenen Umständen kam ihnen die Frage ziemlich überflüssig vor.

»Wir wohnen hier draußen«, sagte Stan. »Wir haben eine kleine Farm. Und außerdem einen Laster«, meinte er nachdrücklich und gestikulierte in Richtung des nach wie vor im Leerlauf tuckernden Fahrzeugs.

»Stan«, sagte Josephine.

Stan hob abwehrend eine Hand und bestätigte die unausgesprochene Bitte seiner Frau um mehr Diskretion mit einem Nicken.

Josephine wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der jungen Frau zu. »Wie heißen Sie?«

Sie blinzelte. »Ich weiß es nicht.«

»Sind Sie verletzt?«, fragte Stan.

Die Frau ließ ihren Blick kurz über ihren Körper schweifen. »Ich weiß es nicht.«

»Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern?«, fragte Josephine.

»Ich weiß es …« Die junge Frau ließ den Kopf sinken.

Josephine rieb ihr sanft über den Rücken und schaute Stan hilfesuchend an.

»Klingt nach schockbedingtem Gedächtnisverlust«, sagte Stan. »Irgendwer hat sie offenbar einfach am Straßenrand liegen lassen.«

»Du solltest jetzt besser Hilfe rufen«, riet Josephine.

Stan nickte. »Lass sie uns erst mal in den Wagen schaffen. Miss? Meinen Sie, Sie schaffen es, sich in unseren Truck zu setzen? Machen Sie es sich bequem, bis Hilfe eintrifft. Jo?«

Josephine nickte ihrerseits, führte die Frau zur Beifahrerseite des Lasters und flüsterte auf dem Weg beruhigend auf sie ein.

Stan bemerkte die zurückgelassene Handtasche der Frau. Er nahm sie auf und hielt sie seiner Frau hin. »Jo?«

Josephine ergriff die Tasche und geleitete die Frau weiter zum Wagen.

»Halt«, rief Stan ihnen nach und kam sich dämlich vor, nicht früher daran gedacht zu haben. »Sie soll mal einen Blick reinwerfen.«

»Was?«

»In die Tasche. Vielleicht ist ihr Ausweis drin. Der könnte ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.«

»Klar«, sagte Josephine mit plötzlichem Eifer. »Klar«, wiederholte sie und übergab der Frau mit Dankbarkeit heischender Miene die Tasche.

Die Frau nahm die Tasche, zögerte jedoch, sie zu öffnen. Stan überlegte, ob die Frau Angst davor hatte, dass der Inhalt der Tasche ihr Erinnerungsvermögen tatsächlich wieder in Gang setzte und ihr die schrecklichen Einzelheiten dessen, was ihr zugestoßen war, ins Gedächtnis rief.

Augenscheinlich teilte Josephine die Befürchtungen ihres Ehemannes. »Soll ich für Sie nachschauen, Schätzchen?«, fragte sie sanft.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, schon in Ordnung.« Sie öffnete die Tasche und sah hinein. Dann runzelte sie die Stirn. Dann zog sie eine Pistole daraus hervor.

Josephine trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Stan sprang seiner Frau hastig zur Seite.

Die Frau drehte die Pistole wie einen Zauberwürfel hin und her. Sie sah mit verängstigtem Blick zu Stan und Josephine auf. »Warum habe ich eine Pistole bei mir?«

Stan schob seine Frau behutsam hinter seinen Rücken, um sie vor der Frau und der Waffe abzuschirmen. Er wusste nicht das Geringste über diese junge Lady, und zweifellos schien sie mindestens ebenso verwirrt wie seine Frau und er zu sein. Nichtsdestotrotz hielt sie eine Waffe in der Hand. Und Stan würde todsicher nicht zulassen, dass Josephine sich eine Kugel einfing – auch keine, die versehentlich abgefeuert wurde.

»Warum legen Sie die Pistole nicht weg, meine Liebe?«, sagte Stan. »Wir wollen doch nicht, dass sie unbeabsichtigt losgeht, oder? Legen Sie die Waffe nieder, und suchen Sie nach einem Ausweis oder so. Einverstanden?«

Die Frau, die offenbar noch immer nicht ganz bei sich war, nickte und setzte die Durchsuchung ihrer Tasche fort. Allerdings legte sie die Pistole nicht wie von Stan gefordert auf den Boden.

»Miss?«, sagte Stan.

Die Frau beachtete Stan nicht. Sie durchwühlte weiterhin mit einer Hand die Tasche und hielt währenddessen mit der anderen die Pistole fest. Hin und wieder zuckte der Lauf an Stan und Josephine vorbei, worauf Stan jedes Mal zusammenfuhr und sich noch breiter vor seine Frau stellte. Es dauerte nicht lange, bis Josephine gänzlich hinter ihrem Mann verschwunden war und nur noch über seine Schulter spähen konnte.

»Miss?«

»Hab sie!«, rief die Frau aus, riss eine Geldbörse heraus und ließ die Handtasche zu Boden plumpsen. Die Pistole verblieb in ihrem Griff.

»Und?«, fragte Stan.

Die Frau brachte die Brieftasche näher an die Scheinwerfer des Trucks und durchwühlte die Brieftasche. Sie hielt inne und fixierte etwas mit zusammengekniffenen Augen. »Monica Kemp. Hier steht, dass mein Name Monica Kemp lautet.«

Es herrschte einen Augenblick lang Stille – Stan und Josephine warteten unruhig auf eine weitere Reaktion der Frau, während diese in aller Ruhe ihren Personalausweis studierte.

»Klingelt bei dem Namen irgendwas bei Ihnen?«, fragte Stan schließlich.

Die Frau starrte weiter auf den Ausweis.

Stan ließ ein demonstratives Räuspern hören. Endlich sah die junge Frau zu ihm auf. »Klingelt bei dem Namen was?«, fragte Stan erneut.

Die Frau schmunzelte. Lächelte. Grinste breit. »Oh ja, und zwar ganz laut«, sagte sie und richtete die Pistole auf das Paar.

Sofort flogen Stans Hände in die Luft. Josephine, die nach wie vor hinter ihrem Mann stand, klammerte sich panisch an dessen Schultern fest.

»Meine blöde Karre ist vor anderthalb Kilometern verreckt«, sagte die junge Frau. »Rückblickend war das wohl meine eigene Schuld; ich hatte extrem viel zu tun und habe es vernachlässigt, das verdammte Ding zu warten. Wahrscheinlich war’s der Keilriemen.« Sie zuckte die Achseln. »War sowieso eine Schrottlaube.«

Stan wies mit erhobenen Händen in Richtung Laster. »Nehmen Sie den Truck. Nehmen Sie ihn einfach, und verschwinden Sie.«

Das Mädchen schürzte die Lippen, legte die Stirn in Falten und zog eine Ach-nee!-Miene. »Nichts anderes hatte ich vor, Stan. Meinst du, ich habe mich zum Spaß in den Graben gelegt? Herrgott, ich muss fast eine ganze bekackte Stunde darin verbracht haben.«

»Nehmen Sie ihn, und verschwinden Sie.«

Die Frau ignorierte ihn und erging sich in scheinbar sinnlosen Abschweifungen. »Ich habe mich sehr lange hier draußen von allem abgeschottet. Ich will mich ja nicht beschweren oder so; das war unvermeidlich. Aber dennoch … sehr lange. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal jemanden umgebracht habe.«

Josephine keuchte und umklammerte Stan noch fester. Stan breitete die Arme aus, um ihre Deckung zu vergrößern. »Bitte«, flehte er. »Bitte, nehmen Sie einfach den Truck, und lassen Sie uns in Ruhe.«

Die Frau musterte die Pistole in ihrer Hand. »Sehr lange«, sagte sie.

»Bitte«, sagte Stan. »Wir wollten Ihnen helfen.«

»Für eure Dummheit kann ich nichts.«

Die Frau schoss Stan ins Knie. Stan schrie auf und stürzte zu Boden. Josephine kreischte.

Die Frau gab einen einzigen Schuss auf Josephine ab. In den Kopf. Zwischen die Augen. Josephines Körper brach zusammen und verfiel in Todeszuckungen.

Die Frau musterte erstaunt ihre Waffe. »Sehr lange und trotzdem treffsicher. Ich überrasche mich immer wieder selbst.«

Stan schleppte sich trotz der unerträglichen Schmerzen in seinem Knie zu seiner toten Frau hinüber. Er warf sich über sie, wollte die sterblichen Überreste seiner geliebten Jo schützen, obwohl er wusste, dass sie von ihm gegangen war. Er weinte hemmungslos.

Die Frau beugte sich vor und hob ihre Handtasche auf. Sie entnahm ihr eine Schachtel Zigaretten, zündete sich eine an und knüllte die leere Packung zusammen, bevor sie sie Richtung Straßenrand warf. Dann näherte sie sich Stan und seiner Frau.

Irgendwann sah Stan zu ihr auf, die Augen rot von Tränen und unermesslicher Trauer. Seine Jo war nicht mehr. »Töte mich«, sagte er. »Töte mich …«

Die Frau ließ die Schultern hängen. Sie seufzte. »Du verdirbst mir den ganzen Spaß.«

Stan flehte sie weiter mit seinen Blicken an.

»Na schön«, sagte sie. »Aber nur, weil ich es kaum erwarten kann, wieder in das Spiel einzusteigen.«

Sie schoss Stan in Kopf und Brust, und sein lebloser Leib landete auf dem seiner Frau, als wollte er sie ein letztes Mal in die Arme schließen. Das war auch Monica Kemp nicht entgangen. Sie gab ein lang gezogenes »Ooooh …« von sich und ging zurück zum Laster.

Bevor Monica einstieg, zog sie ein letztes Mal an ihrer Zigarette und schnippte sie dann auf die toten Eheleute. Der Stummel schlug Funken auf Stans Rücken. »Danke für die Mitfahrgelegenheit, ihr barmherzigen Samariter. Ich haue jetzt ab, denn ich muss mich mit einem großen schwarzen Kerl treffen, der wie ein Gesellschaftsspiel heißt.« Als sie losfuhr, fügte sie mit leiser, fast wollüstiger Stimme hinzu: »Wir beide haben eine Menge zu klären.«

2

Paoli, Pennsylvania

Domino Taylor wachte auf, als er jemanden im ersten Stock weinen hörte. Er rollte sich unverzüglich vom Sofa und eilte zur Treppe.

Carrie und Caleb Lambert saßen nebeneinander auf dem oberen Absatz. Auf Carries Schlafanzug war Hello Kitty abgebildet, auf Calebs Iron Man.

»Wir glauben, Mommy weint«, sagte Carrie.

Domino ging in die erzieherische Offensive. »Warum seid ihr Frechdachse nicht in euren Betten?«

Beide zuckten mit den Schultern, was die für ein achtjähriges Mädchen und einen sechsjährigen Jungen einzig adäquate Antwort auf diese Frage darstellte.

Domino trat auf die vorletzte Stufe und bedeckte ihre Köpfe mit den Flächen seiner riesigen Hände. »Zurück ins Bett mit euch.«

»Redest du mit Mommy?«, wollte Carrie wissen.

Domino stand bereits vor Amy Lamberts Tür. Statt den Kindern zu antworten, legte er einen zur Stille mahnenden Finger auf die Lippen und scheuchte sie dann in ihre Zimmer.

Carrie und Caleb verschwanden. Domino klopfte sacht an Amys Tür.

»Amy?«

Schweigen, dann eine Stimme, die sich hörbar Mühe gab, ganz normal zu klingen. »Ja?«

»Bist du okay?«

»Alles bestens. Komm rein.«

Domino öffnete die Tür. Amy saß aufrecht im Bett. Ihre braunen Augen waren nicht von Schlaf, sondern von Tränen verquollen. Ihr Lächeln war eher ein Grimassieren. Neben ihr lag eine Fernbedienung.

»Mir brauchst du nichts vorzumachen«, sagte Domino und wies auf die Fernbedienung.

Amy griff danach, richtete sie auf den Fernseher am Fußende ihres Bettes und drückte einen Knopf. Auf dem fast stumm gestellten Gerät erschien ein Film von Amy und Patrick am Strand: Patrick, der sich die protestierende Amy über die Schulter warf, losrannte und mit ihr ins Meer eintauchte. Amy, die wieder an die Oberfläche kam, sich Wasser aus den Augen wischte und blindlings nach ihrem Ehemann schlug. Ein lachender Patrick, der in Deckung ging, sich ein paar Hiebe an der Schulter einfing und Amy dann für einen zweiten Tauchgang bis über seinen Kopf hob.

Es tat weh, diese Bilder zu sehen, aber Domino zwang sich zu einem Lächeln. »Wo wart ihr da?«

»Avalon.«

»Wer hat das gefilmt?«

»Die Browns – Jamie und Alexis. Du kennst die beiden ja.«

Domino nickte. »Wann war das?«

»2006. Die Kinder hatten wir übers Wochenende bei Patricks Eltern untergebracht.« Amy schaltete ab, als ihr jüngeres Selbst kurz davorstand, den dritten unfreiwilligen Kopfsprung zu absolvieren.

»Mir brauchst du nichts vorzumachen«, sagte Domino erneut.

Amy bedeutete Domino, sich zu setzen, indem sie mit der Hand leicht auf die Bettkante klopfte. »Mir geht’s gut. Was machst du eigentlich hier? Bist du über Nacht geblieben?«

Domino nickte.

Amy warf ihm einen tadelnden Seitenblick zu. »Domino …«

»Ich hatte keine Lust heimzufahren.«

»Lügner. Ich sollte Miete von dir kassieren.«

Er lächelte. »Was verlangst du üblicherweise für ein Sofa im Wohnzimmer?«

»So langsam bin ich diejenige, die dir was bezahlen müsste.«

Domino verzog das Gesicht.

Amy wischte sich eine verirrte Träne ab. »Sie sind tot. Alle sind tot. Wir brauchen keinen Leibwächter mehr.«

Domino nahm die Hand von ihrem Knie und wandte den Blick ab. »Es verschafft mir Seelenfrieden.«

»Es verschafft dir Rückenschmerzen. Dieses Sofa kann auf Dauer nicht gemütlich sein.«

»Ich habe schon an weitaus ungemütlicheren Orten geschlafen. Abgesehen davon glaube ich, dass es Patrick glücklich macht, wenn ich ab und an nach dir sehe.«

Amy nahm Dominos Hand und drückte sie. »Nur dass du nicht ab und an nach mir siehst, sondern praktisch hier wohnst und versuchst, mich in eine verdammte G.I. Jane zu verwandeln. Du lässt mich andauernd auf diesen Schaufensterpuppen-Sandsack eintreten und einschlagen, den du mir gekauft hast und der mich, wie ich hinzufügen möchte, jedes Mal, wenn ich irgendwas aus dem Keller hole, zu Tode erschreckt.«

Domino gluckste.

»Früher habe ich Schusswaffen gehasst. Jetzt fällt mir jeder diesbezügliche Fehler in einer Krimiserie sofort auf. Dabei hab ich mir diese Serien echt gerne angesehen.«

Wieder kicherte er. »Eigentlich sollte ich dich trösten.«

Amy lächelte. Diesmal sah es nicht wie eine Grimasse aus. »Vielleicht tröstet es mich, dich zu trösten.«

Dominos Lächeln verblasste. »Mir ist klar, dass ich versagt habe. Und ich weiß auch, dass man einen Mann danach beurteilt, wie er sich nach einem solchen Scheitern wieder aufrappelt …« Er sah Amy mit traurigen Augen an. »Ich weiß nicht, ob ich mich davon je wieder erholen werde.«

»Ich lebe noch, Domino. Meine Kinder leben noch. Patrick hätte tausendmal sein Leben dafür gegeben.«

Domino senkte den Kopf und nickte.

Für einen Moment saßen sie schweigend da. Amy schniefte ein paarmal und tilgte die letzten Tränenspuren von ihrem Gesicht. »Ich habe dich im Flur gehört«, meinte sie. »Die Kinder sind doch nicht etwa aufgewacht?«

»Sie haben dich weinen gehört.«

»Oh, gottverdammt noch mal.«

»Es ist nichts Schlimmes daran, wenn man weint.«

»Wenn es deine Kinder aufweckt, ist es sehr wohl schlimm. Ich muss stark sein. Für sie.«

»Du bist auch nur ein Mensch.«

Sie seufzte. »Tagsüber kriege ich es ziemlich gut hin. Das neue Haus macht es mir leichter. Und die Beschäftigung. Aber nachts …« Sie nahm einen tiefen Atemzug, um sich zu beruhigen. »Ich denke immer noch, dass ich mich im Bett umdrehe und ihn sehe. Ihn spüre. Ich weiß, er ist fort – auf einer bewussten Ebene weiß ich das. Doch es ist, als würde mein Unterbewusstsein mich verhöhnen und quälen, indem es mir immer dann, wenn ich besonders verletzbar bin, irgendwie vorgaukelt, er wäre noch da.«

»Macht der Gewohnheit«, sagte Domino.

»Hä?«

»Hast du schon mal was in der Küche umgestellt, was seit Ewigkeiten am selben Ort war? Wie oft greift man an der alten Stelle danach, obwohl man genau weiß, dass es nicht mehr dort steht? Und was ist mit dem ›Schaufensterpuppen-Sandsack‹, den ich dir gekauft habe? Du weißt seit beinahe einem Jahr, dass das Ding im Keller steht. Dennoch erschreckt es dich jedes Mal, wenn du runtergehst.«

Amy nickte und ließ dann den Kopf hängen. Als sie wieder aufsah, sagte sie: »Oder vielleicht ist er wirklich bei mir.«

Domino hätte sich für seine gefühlskalte und der Situation komplett unangemessene Analogie ohrfeigen können. »Ja, der Gedanke gefällt mir viel besser«, sagte er rasch.

Amy schenkte ihm ein schmallippiges Lächeln.

Domino drückte ihre Hand. »Du darfst nicht aufhören, deinen Mann zu lieben. Lass den Tränen freien Lauf. Nur dreh die Lautstärke ein bisschen runter.« Er zwinkerte.

Sie kicherte und nickte.

»Ich habe eine Idee«, hob Domino an. »Wie wäre es, wenn ich dich und die Kinder zum Frühstück ausführe? Danach setzen wir die Kids bei Patricks Eltern ab, und wir besuchen Patrick. Nur wir beide. Du kannst weinen, so laut du willst.«

Amy kicherte abermals.

»Was hältst du davon?«

Sie nickte. Domino tätschelte ihr Knie und stand auf. »Na schön. Schlaf ein wenig.«

»Manchmal frage ich mich, wen es schlimmer getroffen hat«, sagte sie, als Domino auf dem Weg zur Tür war.

Domino drehte sich um. »Was meinst du?«

»Wen hat es härter erwischt? Mich oder Monica?«

Dominos Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Sie ist tot, und du lebst. Ich nehme an, dass die meisten Leute der Meinung wären, dass sie schlechter dabei weggekommen ist.« Dann überdachte Domino ihre Frage und verfluchte sich neuerlich dafür, in einer Welt der Grauzonen allzu schwarz-weiß zu denken. »Du sprichst von der Last, mit der Tatsache leben zu müssen, dass du jemanden getötet hast«, sagte er.

»Nein. Nein, ich bin froh darüber, dass ich das Miststück erschossen und meinen Mann gerächt habe. Ich bedauere lediglich, dass wir nicht die Zeit hatten, ihr beim Verbluten zuzuschauen.«

Domino verkniff sich ein Feixen. Er wusste, dass Amy nicht einfach nur harte Sprüche klopfte. Amy war hart. Den Heldentaten dieser Frau war es zu verdanken, dass ihre Familie das erste Zusammentreffen mit den Fannelli-Brüdern am Crescent Lake überlebt hatte. Amy hatte sich zum Schein einer potenziellen Vergewaltigung gefügt, um sich schließlich eine große metallene Nagelfeile zu greifen und sie einem der Brüder in die blanken Eier zu rammen. Danach hatte sie ihn mit einer Lampe bewusstlos geschlagen. Beinhart war das erste Wort gewesen, das Domino eingefallen war, nachdem Patrick ihm davon erzählt hatte.

»Was meinst du dann?«, fragte er.

»Sie ist tot. Damit hat sich’s für sie. Ich? Ich muss ohne Patrick weiterleben.«

»Nun ja, wie du gesagt hast: Deine Kinder sind am Leben. Sie sind ein Teil von ihm. Und du hast nach wie vor die Möglichkeit, nach vorne zu schauen. Du wirst Patrick nie vergessen, und ich würde mir auch niemals erlauben, dir das Gegenteil zu raten, aber du hast die Chance, in seinem Sinne weiterzumachen. Eure Kinder aufwachsen zu sehen. Ein neues Leben aufzubauen.

Es ist eine Wahrheit, die niemand in einer solchen Situation hören will, aber die Zeit heilt tatsächlich alle Wunden. Und du hast noch das ganze Leben vor dir. Das Einzige, was die durchgeknallte Schlampe vor sich hat, sind knappe zwei Meter Erde.«

Amy stieß den Atem aus und nickte. Dann hielt sie inne und warf Domino einen Seitenblick zu. »Versuch mal, das den Bullen zu verklickern.«

Domino ächzte. »Ja – ich schätze, ich bin offiziell von ihrer Weihnachtskarten-Empfängerliste gestrichen.«

»Glaubst du, sie suchen noch nach ihr?«

»Ein überlebendes Mitglied des berüchtigten Fannelli-Clans? Landesweit wegen mehrfachen Mordes an sowohl Zivilisten als auch Staatsbeamten gesucht? Ja, meiner Ansicht nach steht sie immer noch auf der Top Ten der meistgesuchten Verbrecher.«

»Ich wünschte, wir könnten es ihnen sagen.«

»Geht mir genauso. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass eines Tages irgendwer in Italien eins und eins zusammenzählt und das Ergebnis in die Staaten versendet. Bis dahin …« Er zog einen imaginären Reißverschluss zwischen seinen Lippen zu.

Amy nickte. »Hauptsache, sie ist tot – alles andere ist mir egal.«

»Genau meine Meinung.«

3

Monica Kemp fuhr mit dem Truck des toten Ehepaars durch die ländliche Umgebung, bis die ersten Gebäude auftauchten. Sie entdeckte einen bescheidenen, durchgehend geöffneten Gemischtwarenladen, stellte den Laster mit laufendem Motor davor ab und beobachtete die Kunden, die das Geschäft betraten oder verließen. Den Frauen schenkte sie keinerlei Beachtung, sondern konzentrierte sich ganz auf die Männer.

Als Monica den richtigen gefunden hatte, stieg sie aus dem Truck, prüfte ihr Äußeres kurz im Seitenspiegel, betrat dann den Laden und ging zur Theke. »Ein Prepaid-Handy und eine Schachtel Parliament Lights.«

Der Angestellte, ein Mann mit schütterem Haar, der aussah, als würde er außerhalb seiner Arbeitszeiten im Keller seiner Mutter Videospiele zocken, grinste anzüglich. »Streichhölzer?«

Monika verneinte, bezahlte und entfernte sich, ohne sich zu bedanken, von der Ladentheke. Statt das Geschäft zu verlassen, näherte sie sich jedoch einer Regalreihe mit Knabberzeug. Ein junger Mann, offenbar geplagt von einer cannabisinduzierten Heißhungerattacke, musterte die Auswahl mit ermatteten und geröteten Augen.

Monica lief direkt in den Jungen hinein, entschuldigte sich unverzüglich und ließ ein Lächeln aufblitzen, bei dem dieser sofort rot anlief.

Monica verließ den Laden in der Gewissheit, dass die Blicke des Jungen und des Angestellten bei ihrem Abgang auf ihren Hintern geheftet waren. Aus eben diesem Grund wartete sie eine Minute, bevor sie den Wagen des Jungen stahl. Der Preis für auserlesene Schönheit, dachte sie.

Als der richtige Moment gekommen war, ging Monica zum Toyota des Jungen, sperrte ihn mit dem Schlüssel auf, den sie ihm abgenommen hatte, fuhr los und ließ den Truck auf dem Parkplatz des Gemischtwarenladens zurück. Bis irgendjemand darauf kommen würde, den geklauten Toyota mit dem Laster in Verbindung zu bringen, war Monica längst dort, wo auch das dämliche Ehepaar war, das ihretwegen angehalten hatte: ganz weit weg.

Monica kurvte durch das südliche New Jersey, das Prepaid-Handy aufgeklappt in der Hand. Sie wusste, dass sie nach dem Diebstahl des Toyotas nicht viel Zeit hatte; der Wagen würde früher oder später als gestohlen gemeldet werden. Eher später. Die Polizei um Hilfe zu bitten, wenn man aussah, als hätte man soeben eine Drei-Meter-Bong leer geraucht, war ein Risiko, das der Typ selbst in seinem Zustand nicht eingehen würde. Aus diesem Grund hatte Monica ihn ja auch ausgewählt.

Dennoch würde er es irgendwann melden. Daher musste sie das Fahrzeug wechseln. Sie war dazu ausgebildet worden, so oft wie möglich die Fahrzeuge und Richtungen zu wechseln. Je spontaner und willkürlicher diese Wechsel vonstattengingen, desto unsichtbarer war die von ihr hinterlassene Spur.

Allerdings kamen minderwertige Klapperkisten von jetzt an nicht mehr infrage. Davon hatte sie während des vergangenen Jahres mehr als genug gehabt. Sie war zurück im Spiel. Es wurde höchste Zeit für etwas Besseres.

Monica drückte eine Ziffernfolge auf dem Handy – eine Nummer, die sie seit Ewigkeiten nicht gewählt hatte.

Nach dem ersten Freizeichen ertönte eine Männerstimme. »Kennwort?«

»Neco. 8122765«, sagte Monica.

»Sprachauthentifizierung läuft … identifiziert – halt. Dieser Posten war seit über einem Jahr nicht mehr aktiv. Mutmaßlich verstorben.«

»Und mit wem, meinen Sie, sprechen Sie gerade, Sie Trottel?«

»Identitätskontrolle. Kennwort: eisern.«

»Antwort: Dobermann.«

»Sprachauthentifizierung läuft … identifiziert. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich benötige ein Fahrzeug und eine abhörsichere Leitung.«

»Augenblick … alles klar, wir haben Sie. Südliches New Jersey?«

»Richtig.«

»Spezifische Angaben zum Transportmittel folgen per SMS. Ist die Agentin bereit für einen neuen Auftrag?«

»Nein.« Monica balancierte beim Fahren das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn, während sie, die Folie von der Zigarettenschachtel riss. »Ich werde die nächste Zeit nicht arbeiten. Ich muss mich um eine persönliche Angelegenheit kümmern.«

»Haben Sie das offiziell abgeklärt?«

»Was gibt’s da abzuklären? Ich arbeite nicht, also bekomme ich auch kein Geld.« Sie zupfte mit den Fingernägeln eine Zigarette aus der Packung und schob sie sich zwischen die Lippen, wo sie unangezündet hin und her baumelte. »Ich brauche Informationen, die nicht gerade einfach zu bekommen sind.«

»Geheimdienstinformationen sind Agentinnen und Agenten im Einsatz vorbehalten.«

Monica zündete die Zigarette an und inhalierte tief. »Dann schulde ich Ihnen was. Die nächsten fünf gehen auf meine Rechnung.«

»Die Agentin bestätigt die Durchführung der fünf folgenden Aufträge ohne Bezahlung?«

»Für Informationen und Geld bis zum Abschluss meiner Mission – ja.«

»Informationsgesuch bewilligt. Ressourcen-Zugriff wird in Abhängigkeit von der Komplexität der jeweiligen Anfrage gewährt.«

Monica verdrehte die Augen. »Oh, ich bitte Sie …«

»Da die Agentin seit mehr als einem Jahr kein Lebenszeichen von sich gegeben hat, schlage ich der Agentin vor, dankbar für die zugesagten Sicherheitsvorkehrungen und das Transportmittel zu sein.«

Monica schluckte die ihr bereits auf der Zunge liegenden Obszönitäten herunter und zog heftig an ihrer Zigarette. »Na schön. Dann fangen wir mit den Informationen an. Domino Taylor – T-a-y-l-o-r. Letzter bekannter Aufenthaltsort – sowohl beruflich als auch privat – war New York City. Könnte kürzlich umgezogen sein. Möglicherweise Ost-Pennsylvania. Suchen Sie Verbindungen zu einer gewissen Amy Lambert – L-a-m-b-e-r-t. Auch sie ist möglicherweise vor Kurzem umgezogen.«

»Alles klar. Ich werde die Informationen so bald wie möglich über eine Ihrer verschlüsselten Verbindungen schicken.«

Monica beendete das Gespräch, murmelte »Arschloch« und schmiss das Prepaid-Handy dann auf den Beifahrersitz. Wenige Sekunden später piepte es. Sie schnappte es sich und las die Textbotschaft durch. Sie wusste genau, wo das Auto zu finden war. Monica klemmte sich die Zigarette in den Mund und hielt das Steuer mit einem Handgelenk, während sie das Telefon mit beiden Händen in zwei Teile zerbrach. Daraufhin nahm sie einen letzten Zug von ihrer Zigarette und schnippte sie zusammen mit dem kaputten Mobiltelefon aus dem Fenster.

»Okay«, sagte sie zu sich selbst und rutschte etwas tiefer in ihren Sitz. Sie dachte an ihren Vater. Dann an Domino, den Mann, der ihren Vater getötet hatte. Alles andere als eine einfache Sache. Einen Mann, der das Zeug dazu hatte, ihren Vater umzubringen, durfte man auf gar keinen Fall unterschätzen. Über seine überdurchschnittlichen physischen Eigenschaften hinaus war Domino verdammt schlau. Er hatte sie in Italien aufgespürt. Im Rückblick betrachtet, trug sie selbst die Schuld daran – es war dumm gewesen, vor ihrer Flucht mit Patricks Blut ciao an die Wand zu schreiben. Seinerzeit hatte sie allerdings einfach nicht widerstehen können.

Doch auch wenn die in Blut gekritzelte Anspielung auf Italien zugegebenermaßen auf ihre Kappe ging – Domino war ein erfahrener Profi, mit Muskeln und Grips im Kopf. Ein Frontalangriff kam nicht infrage. Sie würde sich ihm hinterrücks nähern müssen.

Nachdem sie in dem Krankenhaus in Italien das Bewusstsein wiedererlangt hatte, war es kein Problem gewesen, ihre Spuren zu verwischen, obwohl die italienischen Ärzte und Justizbeamten ihren Preis gehabt hatten. Die blonde Frau, die in einem Café von einem unbekannten Angreifer niedergeschossen worden war, hatte man offiziell als eine kurz nach ihrer Einreise für tot erklärte anonyme Touristin zu den Akten gelegt. Monica hatte sich in einen lebenden Leichnam verwandelt, was den scheinbar unbezahlbaren Vorteil mit sich gebracht hatte, unbehelligt herumspazieren zu können, wo und wie es ihr gefiel.

Darauf hatte sich Monica nicht verlassen.

Selbst nach Italien hätte Domino ihrer starken Vermutung nach die Tatsache, dass sie tot war, nicht einfach so akzeptiert. Er war der Typ, der allem auf den Grund ging. Prüfte. Die Augen offen hielt.

Deshalb hatte Monica sämtliche Kontakte abbrechen müssen. Der Rückzug in die Pine Barrens hatte ihr erlaubt, in einer der entlegensten Gegenden des Landes ungestört alle Vorbereitungen zu treffen, ihr Meisterwerk zu vollenden – ein Projekt, das in jenem Moment Gestalt angenommen hatte, in dem sie in Florenz angekommen war – einige Tage nachdem ihr Vater und ihr Bruder bei jener kolossalen Sauerei im Westen Pennsylvanias getötet worden waren.

Und nun, ein Jahr später, war ihr Meisterstück vollendet – das Fundament dafür bildete ein altes Gebäude in den Resten einer verlassenen, am Reißbrett entworfenen Arbeiterstadt, die bis zum Unabhängigkeitskrieg zurückdatierte. Eine von vielen Geisterstädten tief im Herzen der Pine Barrens, und obwohl die Wahrscheinlichkeit, in einer solchen Umgebung Aufsehen zu erregen oder gestört zu werden, gegen null tendierte, hatte Monica kaum Probleme gehabt, Arbeiter zu finden, die Nachtschichten schoben, den Mund hielten und, was das Allerwichtigste war, dem allmächtigen Dollar mehr Wertschätzung entgegenbrachten als moralischen Bedenken, wenn es darum ging, das Gebäude gemäß Monicas bizarren Wünschen und Bedürfnissen zu renovieren.

Das Endresultat übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Sie hatte sogar ein paar Typen engagiert, die während ihrer Abwesenheit gelegentlich ein Auge darauf warfen. Der Handel war dadurch besiegelt worden, dass sie allen dreien einen geblasen sowie entsprechende Zugaben nach ihrer Rückkehr versprochen hatte.

Monica war offiziell startklar – und sie wollte jeden nur erdenklichen Vorteil ausnutzen, um ihren Plan zu verwirklichen. Obwohl es eigentlich nicht ihrem Stil entsprach, hatte sie vor, einen Helfer anzuwerben. Keinen Profi ihrer Zunft. Einen Handlanger. Jemanden, der ähnlich tickte wie sie, von ähnlichen Impulsen angetrieben wurde, sich jedoch mühelos manipulieren ließ. Zwar waren alle Geheiminformationen, zu denen sie jetzt (wenn auch unter Vorbehalt – blöde Arschgeigen) Zugang hatte, nur einen Telefonanruf entfernt. Doch der menschliche Faktor in Form eines Begleiters, eines willigen Assistenten, eines potenziellen Maulwurfs, eines potenziellen Was-auch-immer war der letzte Spritzer Schmieröl im Getriebe, der die Maschinerie sehr viel reibungsloser laufen ließ. Was sich besonders dann bewahrheiten würde, wenn Domino in der Zwischenzeit seinerseits neue Helfer angeworben hatte.

Monica lächelte und schwelgte in der Erinnerung, wie sie Briggs und Allan, Dominos beste Männer, getötet hatte …

Und dann schwand ihr Lächeln, als sie erneut an ihren Vater denken musste. Daran dachte, wie sie seine Gegenwart immer noch gespürt hatte, als sie vor mehr als einem Jahr vor ihrem Exil in New Jersey endgültig von seiner Hütte in Alaska Abschied genommen hatte. Die Erinnerung daran, wie sie sich in jener Hütte erstmals zusammengesetzt und besprochen hatten, wie sie ihren überlebenden Bruder aus dem Gefängnis befreien und gemeinsam furchtbares Unheil über die Lamberts bringen wollten, war extrem lebhaft.

Seinerzeit hatte sie noch nicht die geringste Ahnung von Dominos Existenz gehabt. Er war erst später dazugestoßen, um den Lamberts zu helfen.

Domino. Domino. Domino. Ihre Besessenheit wuchs mit jedem Mal, mit dem der Name in ihrem Kopf auftauchte.

Monica interessierte sich nicht mehr für Amy Lambert und ihre dämliche Brut. Sie hatte ihnen den Ehemann und Vater geraubt. Es käme einem Gnadenakt gleich, sie umzubringen. Nein, sie sollten ruhig weiterleben und leiden.

Domino hingegen? Ihn würde sie so langsam wie möglich zu Tode foltern, auf die entsetzlichste und qualvollste Art, die sich ihr in dieser Hinsicht hochkreativer Geist auszudenken imstande war – das vergangene Jahr hatte sie nicht zuletzt damit verbracht, einige diesbezügliche Ideen auszuarbeiten.

4

Domino geleitete alle zu einer freien Nische im hinteren Bereich des Restaurants. Es war eines der Stammlokale von Amy und den Kids – nicht weit von ihrem Haus entfernt und kinderfreundlich.

Sie nahmen in der Sitzecke Platz, Amy und Caleb auf der einen, Carrie und Domino auf der anderen Seite. Domino saß an der Ecke des Tisches und platzierte ein Bein im Gang.

»Also, was lohnt sich hier?«, fragte Domino. »Wer nimmt was?«

»Ich esse immer die Blaubeerpfannkuchen«, sagte Carrie. »Die sind so gut. Ich nehme die Blaubeerpfannkuchen. Mom, ich will die Blaubeerpfannkuchen.«

»Ja, Schatz, ich hab’s verstanden.«

Domino kicherte und sah Caleb an. »Und was ist mit dir, kleiner Mann?«

»Eier Benedict.«

Domino zog eine Augenbraue hoch. »Echt jetzt?«

Amy strich mit einer liebevollen Geste durch Calebs kurzes dunkles Haar. »Das Lieblingsfrühstück seines Vaters.«

Domino lächelte und schwieg.

»Er mag sie nicht mal«, meinte Carrie. »Er isst nur den Schinken runter.«

»Carrie.«

Carrie schaute ihre Mutter an. »Was? Stimmt doch.«

»Es reicht.«

Unbeeindruckt verkündete Carrie ein weiteres Mal, Blaubeerpfannkuchen bestellen zu wollen.

Die Kellnerin räumte gerade die Teller ab, als Carrie die Bombe platzen ließ.

»Wirst du Mommy heiraten?«

Domino Taylor konnte all die Männer, die er über die Jahre hinweg im Kampf getötet hatte, längst nicht mehr zählen, ebenso wenig wie die Gräueltaten und Abscheulichkeiten, die er aus bester Logenplatzperspektive hatte mitansehen müssen. Er hatte überlebt. Er war nicht daran zerbrochen. Der Mann war die Verkörperung der sprichwörtlichen Katze: Er hatte den Großteil seiner neun Leben verbraucht, war allerdings immer wieder auf die Füße gefallen.

Doch bei dieser simplen Frage, gestellt von einem achtjährigen Mädchen, fühlte er sich komplett hilflos und überfordert.

Amy rettete ihn. »Mommy und Domino sind bloß Freunde, Schätzchen. Einfach nur Freunde.«

Domino konnte nur zustimmend nicken. Die richtigen Worte waren ihm nach wie vor so zugänglich wie höhere Mathematik.

»Warum übernachtet er dann immer bei uns?«

»Deine Freundinnen übernachten auch bei uns oder du bei ihnen, nicht wahr?«, sagte Amy.

Carrie runzelte ratlos die Stirn. »Ja …«

»Tja, und darf Mommy etwa keine Übernachtungsgäste einladen?«

»Schätze schon …«

Amy warf Domino einen kurzen Blick zu, und ihre Miene erinnerte ihn an die Unterhaltung vom vorigen Abend.

Domino erwiderte den Blick mit einem raschen unsicheren Grinsen.

5

Carrie und Caleb waren vor über einer Stunde in die Obhut ihrer Großeltern väterlicherseits übergeben worden. Jetzt standen Domino und Amy alleine vor Patricks Grab.

Amy hatte die alten Blumen von letzter Woche entsorgt und durch frische ersetzt. Domino gegenüber witzelte sie, dass Patrick statt Blumen lieber ein Steak und eine Flasche Scotch gehabt hätte. Domino lachte und meinte, Patricks Grab würde, falls sie das zur Gewohnheit werden ließ, von Obdachlosen überschwemmt.

Amy erwiderte das Lachen, das wie so oft die Dämme brechen ließ. Domino hielt sie fest in den Armen, während sie weinte. Auch in seinen Augen standen Tränen.

Als ihre Trauer langsam abklang, setzten sie sich auf eine Bank in der Nähe, von wo aus sie einen guten Blick auf Patricks Grabstein hatten.

Liebevoller Ehemann, Vater, Sohn und Retter stand darauf zu lesen.

Amy hatte diese Worte selbst ausgewählt. Mit dem Retter hatte sie gezögert in der Befürchtung, er würde ihnen dauerhaft ihr grauenhaftes Martyrium ins Gedächtnis rufen. Es war Domino gewesen, der sie schließlich mit dem Argument überzeugt hatte, der Begriff würdige den mutigen Mann, dessen Frau sie gewesen war – ein Mann, der sein Leben geopfert hatte, um seine Familie zu retten. Amy hatte weniger als eine Minute über das von Domino Gesagte nachdenken müssen; kurz darauf war ihr Ehemann als Retter in Stein verewigt.

»Was ist heute da oben los?«, fragte Domino und wies auf Amys Kopf.

Amy lehnte ihren Kopf gegen Dominos Schulter. »Das Gleiche wie immer, schätze ich. Jedenfalls das, was mir immer durch den Kopf geht, wenn ich hierherkomme.«

»Kannst du die guten Erinnerungen schon zulassen?«

»Natürlich.«

»Was ich meine, ist, ob die guten die schlechten überwiegen.«

Amy zögerte einen Moment und dachte darüber nach. »Hier machen mir die schlechten Erinnerungen so gut wie nichts aus. Das mag an einem solchen Ort seltsam klingen, aber hier finde ich meinen Frieden.«

»Das ist nicht ungewöhnlich«, sagte Domino. »Dies ist ja auch ein Ort der Ruhe und des Friedens.«

Amy nickte gegen seine Schulter. »Stimmt.«

»Was du letzten Abend gesagt hast, war dein Ernst«, fuhr Domino fort.

»Was meinst du?«

»Darüber, dass es dich nicht im Geringsten belastet, Monica getötet zu haben.«

Amy setzte sich aufrecht hin und sah Domino an. »Das ist auch die verdammte Wahrheit.«

Domino gab dem Grinsen nach, das er am Abend zuvor unterdrückt hatte. Es erlosch jedoch schon bald, und Domino starrte in ein augenscheinlich unerfreuliches Nichts.

»Was ist?«, wollte Amy wissen.

Domino schüttelte den Kopf. »Nichts, kein Problem. Es war das Mindeste, was ich tun konnte.«

»Was meinst du?«

»Dich dieses Miststück töten zu lassen.« Danach wurde er still und heftete den Blick seiner starren Augen zurück auf das böse Irgendwo.

Amy lehnte sich auf der Bank zurück und wandte sich Domino zu. »Genau darum ging es mir gestern Abend. Du hast gehört, was Carrie beim Frühstück gesagt hat. Meine Familie hat weniger Probleme als du, mit dem, was geschehen ist, endlich abzuschließen. Du kannst dich nicht auf ewig für alles verantwortlich fühlen, Domino. Verdammt noch mal, wenn du unbedingt jemandem etwas vorwerfen willst, dann mir. Ich war diejenige, die auf Teufel komm raus zu ihrer blöden Massage wollte und den ganzen Ärger verursacht hat.«

»Und ich war derjenige, der es dir erlaubt hat.«

Amy setzte ein schmales Lächeln auf. »Wenn du nein gesagt hättest, hätte ich so lange auf dich eingeredet, bis du klein beigegeben hättest. Wenn Patrick hier wäre, würde er das bestätigen.«

Domino erwiderte das Lächeln nicht. »Er ist aber nicht hier.«

Amy schüttelte den Kopf, als wäre sie enttäuscht. »Hör mal, du hast letzten Abend so überzeugend und leidenschaftlich davon geredet, nach vorne zu schauen, ein neues Leben aufzubauen, in Patricks Sinn zu handeln. Warum hörst du nicht mal hin und wieder auf deine eigenen Ratschläge? Mach deinen Frieden damit.«

»Wie kannst du so etwas sagen? Wie kannst du von mir erwarten, das zu vergessen?«

»Ich habe nicht gesagt, du sollst es vergessen – ich habe gesagt, du sollst deinen Frieden damit machen. Das ist ein Unterschied.«

Domino grummelte etwas Unverständliches.

»Hast du nicht ähnliche Dinge während deiner Zeit bei den Marines erlebt? Patrick hat mir von deinen Taten erzählt. Du hast mehr als einmal Männer verloren.«

»Das waren andere Umstände.«

»Inwiefern?«

»Krieg bedeutet Chaos. Man kann gegen das Chaos ankämpfen, aber man kann es niemals unter Kontrolle bringen. Es war meine Aufgabe, eure Situation unter Kontrolle zu halten.«

»Tja, wer weiß, ob die Situation, in der ich mich befand, nicht auch das reinste Chaos war? Wer weiß, ob diese Arschlöcher nicht einen anderen Weg gefunden hätten, wenn ich nicht zu dieser Massage gegangen wäre? Einen schlimmeren