Das Testament - Hady Zürcher - E-Book

Das Testament E-Book

Hady Zürcher

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Beschreibung

Ramona Hauser-Stoll , Partnerin einer Rohstoffhandelsfirma mit hervorragender Reputation, wird getötet. Kurz darauf sind auch alle drei weiteren Partner tot. Kommissar Dias fischt im Trüben, bis die Ermittler durch Zufall einen Beweis finden, dass der Sohn der ermordeten Partnerin, den sie seinerzeit zur Adoption freigab, für all die Morde verantwortlich ist. Dias versucht dem Serienkiller das Handwerk zu legen, was aber kein leichtes Unterfangen darstellt. Die Haupterben Ehemann Jan Hauser und ihre uneheliche Tochter Sabrina verlieben sich ineinander. Sie helfen dem Kommissar bei der Ergreifung des Täters.

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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

1 Die Verhandlung

2 Die Firma

3 Beim Notar

4 Sabrina Loosli

5 Ein weiterer Mord

6 Ein Ehevertrag als Motiv

7 Jan und Sabrina

8 Der dritte Mord

9 Die Anfechtung

10 Das zweite Kind

11 Die Gerichtsverhandlung

12 Eine neue Spur

13 Ein Serienmörder

14 Der Aktienverkauf

15 Was macht Lukas

16 Eine neue Firma

17 Lukas und Janos

17 Jan und Sabrina II

19 Eine tote Prostituierte

20 Ein schrecklicher Fund

21 Der Warlord

22 Die Fahndung nach Lukas Demel

23 Jan und Sabrina III

24 Lukas Demel soll verhaftet werden

25 Vor Gericht

Lektorat + Manuskriptbearbeitung

Helen Gysin, Uster

Kapitel 1

Die Verhandlung

Jan Hauser sass unruhig auf seinem Stuhl. Im Raum herrschte absolute Stille. Die Richterin, der Beisitzer und die Gerichtsschreiberin schauten alle auf die vor ihnen liegenden Akten und wurden zusehends ungeduldiger.

„Wir warten nun schon eine halbe Stunde. Wenn Ihre Frau nicht binnen fünfzehn Minuten hier erscheint, breche ich die Verhandlung ab und Sie müssen eine neue Eingabe machen“, sagte die Richterin.

„Ich weiss auch nicht, wieso sie nicht hier ist. Darf ich sie anrufen?“

Die Richterin bejahte die Frage und forderte Hauser mit einer Handbewegung auf, dies zu tun. Nach dem zweiten Versuch stellte Jan seine Bemühungen ein und meinte, dass vielleicht etwas passiert sei.

„Nun, das können wir so nicht akzeptieren. Die Zeit ist um und ich schliesse die Verhandlung. Das entsprechende Urteil und die Kostenfolge erhalten Sie per Post.“

Jan regte sich fürchterlich auf, hatte er doch geglaubt, dass nach einem fast dreijährigen Kampf endlich ein Ende in Sicht sei. Ramona wollte sich nie scheiden lassen und machte ihm das Leben zur Hölle. Er versuchte alles, sie zur Scheidung zu bewegen. Schliesslich gab sie nach und sie vereinbarten ein Datum für den Gerichtstermin. Er war sich sicher, dass ihr nichts geschehen war. Sie wollte sich einfach nicht an die Abmachung halten. Er war stinksauer und verliess den Gerichtssaal.

Im Foyer des Gerichtsgebäudes begegnete er nochmals der Richterin. Er sprach sie an und entschuldigte sich bei ihr für das Verhalten seiner Nochehefrau. Die Richterin war ziemlich reserviert, gab ihm zu verstehen, dass sie das nicht kümmere, und verliess das Gebäude. Er empfand dies als unhöflich und ging ebenfalls seines Weges.

Jan Hauser entschied sich, zu seiner Frau zu fahren und sie zur Rede zu stellen. Sie wohnten schon seit zwei Jahren getrennt. Sie in ihrem ehemals gemeinsamen Haus in Erlenbach, er in Affoltern am Albis. Er hatte ursprünglich in der Stadt Zürich eine Wohnung gesucht – ein unmögliches Unterfangen. Einerseits war das Angebot an Wohnungen viel zu gering und andererseits konnte er die hohen Mietzinse nicht bezahlen. So verschlug es ihn in die Provinz. In Affoltern am Albis bezog er eine kleine Zweieinhalbzimmerwohnung für eintausendachthundert Franken.

Er fuhr auf der Seestrasse vom Bezirksgericht Meilen via Herrliberg nach Erlenbach. Das ehemals gemeinsame Heim lag an der Lerchenbergstrasse 113, ein modernes, gut gestaltetes Haus, das sie von einem bekannten Architekten erstellen liessen. Sie waren einige Jahre glücklich und wohnten gerne dort. In den letzten fünf Jahren veränderte sich ihre Beziehung jedoch stark. Sie lehnte ihn immer mehr ab. Sie ertrug ihn nicht mehr. Seine Anwesenheit war für sie eine Qual. Auch versagte sie ihm von einem Tag auf den anderen den körperlichen Kontakt. Was genau geschah, war ihm bis heute unklar.

Er parkierte sein Fahrzeug auf dem Parkplatz vor dem Haus, begab sich zur Eingangstüre und klingelte. Niemand öffnete.

Jan fühlte sich betrogen und war sauer. Er konnte sich nicht erklären, wieso sie sich einmal mehr nicht an die Abmachung gehalten hatte.

In seiner Wohnung angekommen, hatte er vergessen, dass er noch einkaufen sollte. Er kehrte seinen Wagen und fuhr in Richtung Migros. Er hatte trotz des schlechten Erlebnisses Lust, sich etwas Feines zu kochen. Während der Fahrt rief er erneut seine Frau an. Sie antwortete nicht.

Zu Hause packte er die Einkäufe aus, legte alle Zutaten auf den Küchentresen und machte sich an die Mise en Place.

Obwohl er allein essen würde, freute er sich auf sein Abendessen. Zur Vorspeise kochte er sich eine Pastinakensuppe. Dann gab es ein Paprika-Rahm-Schnitzel mit Bratkartoffeln und Kefen. Als Nachspeise genügte ihm eine Frucht.

Nach dem Einräumen des Geschirrspülers setzte er sich aufs Sofa und trank die Flasche Rotwein leer. Kein besonderer Wein. Ein günstiger Tropfen aus dem Wallis. Seine guten Weine lagen noch immer im Weinkeller des gemeinsamen Wohnhauses. Seine Frau hatte ihm dies gestattet, weil er keine Möglichkeit hatte, die rund sechshundert Flaschen bei sich einzulagern.

Am nächsten Morgen beschloss er, nochmals bei seiner Frau vorbeizufahren.

Er machte sich ohne Kaffee und ohne Frühstück auf den Weg. Auch dieses Mal öffnete niemand. Das kam ihm sehr ungewöhnlich vor, da es nicht den Gepflogenheiten seiner Frau entsprach, nicht erreichbar zu sein. Langsam kam ihm doch der Gedanke, dass ihr etwas zugestossen sein könnte. Er beschloss, den Schlüsseldienst zu bestellen. Dieser sollte die Türe öffnen. Er rief den Schlüsselservice Hirt Sicherheitstechnik in Zürich an und bestellte ihn sofort nach Erlenbach.

Es dauerte keine zwei Minuten und das Schloss war geknackt, die Tür offen und er konnte die Wohnung betreten. Er bedankte sich beim Monteur und verabschiedete sich rasch.

Was ihm sofort auffiel, war der Geruch. Die ganze Wohnung roch nach verwesendem Fleisch. Er musste sich fast übergeben. Nun war ihm klar, dass etwas nicht stimmte. Nachdem er die Schlafzimmertüre langsam geöffnet hatte und sein Blick auf das Doppelbett fiel, erschrak er ungemein. Er schlug beide Hände vor sein Gesicht und versuchte Haltung zu bewahren.

Es war Ramona, die mit offenen Augen auf dem Bett lag, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Er sah kein Blut, deshalb hoffte er, dass sie lediglich schlafe.

Er fühlte am Hals ihren Puls. Sie war tot. Er drehte sie auf den Bauch und sah, dass in ihrem Rücken drei Messer steckten. Alle waren in einen Plastiksack eingepackt, sodass nur wenig Blut aus den Wunden trat. Das war zu viel für ihn. Er setzte sich ins Wohnzimmer und rief die Polizei an.

Kapitel 2

Die Firma

Rohstoffe werden in der Regel an Terminbörsen gehandelt, wo Trader auf höhere Preise spekulieren. Käufer von Rohstoffen, wie zum Beispiel Produktionsfirmen, kaufen auch physisch und übernehmen die Ware. Ramona war eine der erfolgreichsten Händlerinnen, sie erzielte die grössten Gewinne. Sie beherrschte alle Handelsstufen, vom Einzelhandel bis zum Grosshandel, den Kauf, Transport und die Lagerung von Gütern, den Verkauf physischer Rohstoffe sowie die Verwaltung von Vermögenswerten.

Sie hatte Jan immer spüren lassen, dass sie mehr wert war als er und ihn eigentlich für einen Dummschwätzer hielt. Nachdem sie einige Jahre mit ihm verheiratet war, verspürte sie keine Liebe mehr. Sie hatte Mühe, ihn überhaupt noch zu respektieren, und war froh, wenn sie nichts mit ihm unternehmen musste.

So konzentrierte sie sich voll und ganz auf die Führung des Geschäftes. Sie verdiente dreihunderttausend Franken und mehr, dies im Vergleich zum durchschnittlichen Jahreslohn eines Rohstoffhändlers von hundertvierzigtausend Franken. Sie durfte sich also zu den Besserverdienern zählen. Auch das liess sie Jan immer wieder spüren. Jan hatte eine Lehre als technischer Zeichner absolviert und war das geblieben. Da er keine Motivation für eine Weiterbildung oder gar ein Studium verspürte, hatte er auch keine Kaderstellung inne. Ihm war wohl so. Ramona verstand nicht, wie Jan so denken konnte. Am Anfang ihrer Beziehung befanden sie sich beide auf einem ähnlichen Level. Sie mitten im Studium zum Master of Arts in International Trading, Commodity Finance & Shipping. So lautet der etwas längliche Titel des Rohstoffhandel-Lehrgangs, den die Universität Genf seit 2008 anbietet. Sie war eine von dreissig Studierenden. Da das Ehepaar in Erlenbach wohnte und Ramona in Genf studierte, lebten sie sich zusehends auseinander. Sie mietete ein Zimmer in Genf und kam lediglich an Wochenenden und während der Semesterferien nach Erlenbach. Jan gefiel das alles nicht. Vor allem gefiel ihm nicht, dass sie in Genf studierte. Dies war der grösste Zankapfel in ihrer Beziehung. Ramona war eine selbstständige und sehr ehrgeizige Frau, die sich von einem Mann nichts sagen liess. Sie reagierte nicht auf Jans Einwände und ging unbeirrt ihren Weg.

Die Firma Commodity trading + shipping Ltd hatte ihren Sitz in Cham. In einem modernen, hellen Bürogebäude belegte die Gesellschaft zwei Stockwerke. Die Firma beschäftigte hundertachtundzwanzig Angestellte mit unterschiedlichen Aufgaben und Ausbildungen. Ramona war geschäftsführende Teilhaberin und neben den Partnern die Nummer zwei. Ihr Vater hatte das Geschäft in den Fünfzigerjahren gegründet und zu einer rentablen Organisation aufgebaut. Am Anfang war er alleiniger Inhaber. Er hatte nicht viel Geld, auch seine Eltern waren nicht reich, aber er beherrschte das Finanzbusiness. Die Firma wurde immer grösser und er beschäftige mehr Angestellte. Auch das Handelsvolumen nahm stets zu, sodass der Vater drei Partner in die Firma aufnahm. Es waren alles Freunde aus seiner Studienzeit, die erfolgreich unterwegs waren und gutes Geld verdienten.

So wuchs die Gesellschaft zur heutigen Grösse an. Allen Partnern war eines wichtig: Sie wollten keine weitere Vergrösserung des Handelsvolumens und keine weiteren Angestellten. Das bestehende Team arbeitete hervorragend und die Rendite stimmte für alle.

Doch vor fünf Jahren, nach Ramonas Studienabschluss in Genf, verstarb ihr Vater an einem Hirnaneurysma. Der Schmerz war gross, weil das so überraschend kam. Ramona war unsagbar traurig. Jan wollte sie in ihrem Schmerz begleiten und bot ihr Unterstützung an. Sie quittierte seine Bemühungen mit einer abschlägigen Geste. Stattdessen suchte sie Trost bei einem der Partner. Stefan war der jüngste von ihnen. Er war nur zehn Jahre älter als Ramona und sie fühlte sich von ihm verstanden. Sie gingen auch ein paarmal miteinander aus.

Nach dem Hinschied des Firmengründers war das Erbe sehr schnell und einfach verteilt. Ramonas Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, Geschwister hatte sie keine, also war sie Alleinerbin. Sie war nun die Haupteignerin der Firma mit einem Anteil von zweiundsiebzig Prozent. Dazu erbte sie ein grosses Vermögen von mehreren hundert Millionen. Die Beziehung zwischen Jan und ihr wurde dadurch nicht besser, ganz im Gegenteil. Sie liess ihn bei jeder Gelegenheit spüren, dass er nichts besass und sie das Sagen hatte.

Ramona und die Partner verstanden sich sehr gut. Diese waren auch überzeugt von Ramonas enormen Fähigkeiten und beschlossen, die Geschäftsführung ihr zu überlassen. Ganz im Sinne ihres verstorbenen Vaters führte sie die Firma zu weiteren Erfolgen. Mittlerweile galt Commodity trading + shipping Ltd als einer der Marktführer und genoss eine hervorragende Reputation.

Stefan und Ramona intensivierten ihre Beziehung weit über das Geschäftliche hinaus. Anfänglich gingen sie nur zum Mittagessen aus, dann wurden Abendessen daraus und später gingen sie zusammen ins Theater. Ihre Beziehung entwickelte sich zu einer Liebesbeziehung. Ramona hatte das zwar nicht gesucht, war aber auch nicht abgeneigt. So oder so fühlte sie sich mit Jan unglücklich. Auch sexuell fand sie ihn abstossend. Doch hatte auch sie Bedürfnisse und diese wollte sie befriedigen. Darum liess sie sich auf Stefan ein. Sie versteckte die Affäre vor Jan nicht. Sie informierte ihn, dass sie mit Stefan eine Beziehung hatte, dabei war ihr komplett egal, was Jan empfand. Sie wusste, dass er nichts unternehmen würde, da er auf sie beziehungsweise auf ihr Geld angewiesen war.

Jan akzeptierte die unsägliche Situation jedoch nicht so, wie Ramona glaubte. Er hatte viele Male geträumt, sie zu töten und sich damit von ihr zu befreien. Den Mut fand dazu er allerdings nicht.

Und nun, da sie tot war, empfand er keine Erleichterung. Irgendwie fühlte er sich verantwortlich, obschon er nicht im Geringsten etwas damit zu tun hatte. Als die Polizei eintraf, stellt er sich bereitwillig den ersten Fragen, gab ein einwandfreies Alibi ab versuchte so betroffen auszusehen wie möglich. Kommissar Dias notierte in sein kleines Büchlein, dass Jan am Vortag bei der Scheidungsverhandlung war, und als Zeugen gab er die Personen des Gerichts an. Kommissar Dias meinte, dass dies unbestritten ein seriöses Alibi sei, aber eben nur für eine bestimmte Zeitspanne.

„Wo waren Sie vor der Verhandlung und gestern zwischen morgens um acht und abends um zweiundzwanzig Uhr?“, fragte der Kommissar.

Jan fand es äusserst seltsam, dass Dias ein Zeitfenster angab. Woher konnte er wissen, dass Ramona in dieser Zeit ermordet worden war? „Wieso wollen Sie ein Alibi für diese Zeit? Wann wurde sie denn getötet?“

„Das ist noch nicht bestimmt. Die Rechtsmedizin wird dies feststellen. Ich vermute, dass die Tat gestern geschehen ist, deshalb interessiert mich Ihr Alibi.“

Jan schien zu begreifen, dass er als Verdächtiger galt, und versuchte das Geschehen im betreffenden Zeitraum zu beschreiben. Er war sich nicht sicher, was er zu welcher Stunde gemacht hatte, und sagte dies Kommissar Dias.

Kapitel 3

Beim Notar

Der Notar von Küsnacht, der für die Gemeinde Erlenbach zuständig ist, war bereits zu Lebzeiten des Vaters als Willensvollstrecker beauftragt worden. Ramona hatte es dabei belassen. Das grosse Sitzungszimmer bot Platz für fünfundzwanzig Personen. Anwesend waren neben dem Notar aber lediglich vier Personen. Jan fragte sich, weshalb so viele Personen da waren. Erbberechtigt war doch er allein. So hatte es Ramona damals im Testament und dem zugehörigen Ehevertrag bestimmt.

Er kam als Letzter. Jan begrüsste den Notar und schüttelte den anderen Anwesenden die Hand. Er wusste nicht, wer sie waren, und fragte nicht danach.

Der Notar eröffnete die Testamentsverlesung. „Sehr verehrte Herren, als Testamentsvollstrecker der verstorbenen Frau Ramona Hauser-Stoll verlese ich das durch Frau Hauser-Stoll erstellte Testament. Dieses wurde in meinem Beisein durch sie von Hand geschrieben und anschliessend durch mich notariell beglaubigt.“

„Ich, Frau Ramona Hauser-Stoll, bin im Vollbesitz meiner geistigen und körperlichen Kräfte und bestimme nach meinem Ableben, was folgt:“

„Mein Aktienpaket über zweiundsiebzig Prozent der Firma Commodity trading + shipping Ltd wird aufgeteilt in zwanzig Prozent zugunsten meines Ehemannes Jan Hauser. Je vierzehn Prozent zugunsten der drei Firmenpartner. Und zehn Prozent gehen an meine uneheliche Tochter Sabrina. Damit ist garantiert, dass die Mehrheit von siebzig Prozent der Firma bei den drei aktiven Partnern liegt und sie über das Geschick der Gesellschaft gemeinsam weiter entscheiden können. Jeder einzelne der Gesellschafter besitzt dann dreiundzwanzig ein Drittel Prozent, kann also nicht allein bestimmen.“

Jan war sichtlich sauer. Ramona hatte demnach das Testament ohne sein Wissen abgeändert. Ursprünglich war es so gewesen, dass er als Alleinerbe sowohl das Kapital, die Wertgegenstände und die Firmenanteile erben würde. Er war sehr überrascht. So sehr musste sie ihn gehasst haben. Nun denn, immerhin erbte er noch zwanzig Prozent. Das war ein grosser Vermögenswert.

Was er bisher nicht gewusst hatte, war, dass Ramona eine uneheliche Tochter hatte. Sie hatte ihm nie etwas gesagt. Das war das Schrecklichste, was er heute erfuhr.

Der Notar fuhr fort: „Mein ganzes Barvermögen und zusätzlich meine Wertpapiere, Bilder und Wertgegenstände sowie Immobilien vermache ich meiner Tochter Sabrina.“

Der Notar gab zu verstehen, dass dies alles sei und dem Wunsch der Verstorbenen entspreche.

„Da Frau Sabrina Loosli heute nicht anwesend ist, werde ich sie kontaktieren und über ihr Erbe informieren. Damit schliesse ich die Testamentsverlesung und danke den Anwesenden für ihr Kommen.“

Die drei Partner waren mehr als zufrieden. So konnten sie im gleichen Stil weitermachen wie bisher und die enorme Geldmaschine am Laufen halten. Sie verabschiedeten sich von Jan und verliessen das Notariat.

Jan sass allein im Raum. Er schaute in Gedanken versunken aus dem Fenster und sprach leise vor sich hin. „Wie konnte sie mir das antun?“

Er war extrem angespannt und traurig. Nicht unbedingt, weil er quasi enterbt wurde. Schliesslich erhielt er zwanzig Prozent der Firmenaktien. Er verfügte über Zugriff auf das gemeinsame Haushaltskonto, auf dem etwa fünfzehntausend Franken lagen. Damit liess sich wenigstens etwas zu essen besorgen. Vor allem ärgerte ihn die Tatsache, dass er von den vielen Millionen Barvermögen nichts erbte. Vor lauter Ärger begann er zu schwitzen. Er stand auf und verliess das Notariat ohne ein Wort der Verabschiedung.

Er wollte das Kapitel Ehefrau endgültig abschliessen. Er wollte eigentlich gar nichts mehr wissen vom Erben und überlegte sich, die Aktien zu verkaufen. Vielleicht hatte die uneheliche Tochter Interesse daran. Sie könnte damit ihren Anteil von zehn auf dreissig Prozent erhöhen und würde somit grösste Einzelaktionärin, was ihr Mitbestimmungsrecht erheblich vergrösserte. Er würde sie aufsuchen und fragen. Der Notar wusste sicher, wo er diese Sabrina finden könnte.

„Hallo, Herr Notar Meier, darf ich Sie bitten, mir die Adresse von Ramonas Tochter Sabrina Loosli anzugeben?“

Jan war etwas erstaunt. Sie wohnte ganz in der Nähe.

Er würde sie besuchen, um mit ihr zu reden. Auch wollte er sie kennenlernen, schliesslich war sie seine Stieftochter. Er selbst hatte keine Kinder, er hatte nie einen Kinderwunsch verspürt. Nun, da er unerwartet zu einer Stieftochter gekommen war, war er neugierig, wie sie war. Über die Auskunft erfuhr er ihre Telefonnummer.

„Loosli.“

„Guten Tag, Frau Loosli, hier ist Hauser. Ich war der Ehemann von Ramona, Ihrer Mutter.“

„Hallo, was kann ich für Sie tun?“, sagte sie reserviert.

„Ich weiss nicht, ob Sie bereits informiert wurden, Ihre Mutter ist verstorben. Mein herzliches Beileid.“

„Nein, was ist denn passiert?, fragte Sabrina entsetzt. „Ihre Mutter wurde ermordet, es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen das mitteilen muss“, sagte Jan.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, beendete sie das Telefonat. Jan erschrak ob dieser Reaktion. Er beschloss es, für den Moment dabei zu belassen. Zu einem späteren Zeitpunkt war vielleicht ein persönliches Treffen möglich.

Sabrina war geschockt. Sie brach in Tränen aus, hielt beide Hände vors Gesicht und schluchzte laut. Sie hatte keine Ahnung, dass ihre Mutter ermordet worden war. Sie wusste nicht einmal wann. Da sie das Gespräch unterbrochen hatte, konnte sie den Anrufer nicht fragen. Sie ärgerte sich über sich selbst. Wieso war sie so blöd gewesen? Sie kannte seine Nummer nicht und den Namen hatte sie nicht richtig verstanden. Aber ihr Mobiltelefon speicherte die Nummern von eingehenden Anrufen, sofern die Anrufer diese nicht unterdrückt hatten.

Sie hatte Glück. Die Nummer des letzten Gesprächs war sichtbar. Sie entschloss sich, dort anzurufen. Jan nahm den Anruf entgegen und war erstaunt, Sabrina zu hören.

„Ich bitte Sie um Entschuldigung für mein vorheriges Verhalten. Es war schrecklich für mich, zu hören, dass meine Mutter ermordet wurde und nicht mehr lebt.“

Jan antwortete: „Das verstehe ich. Ich nehme Ihnen das keinesfalls übel.“

„Ich habe noch viele Fragen, die Sie als Ehemann mir sicherlich beantworten können. Ich weiss zwar, dass meine Mutter verheiratet war, aber sie hat nie mit mir über ihren Mann geredet, deshalb kenne sich Sie überhaupt nicht. Können wir uns morgen treffen, um zu reden?“

„Das können wir gerne. Ich schlage vor, dass wir uns im Zunfthaus zum Grünen Glas an der Unteren Zäune 15 in Zürich, gleich hinter dem Kunsthaus, treffen. Sagen wir um halb elf? Ich reserviere einen Tisch.“

Sabrina schätzte die Spontanität von Jan und war mit dem Vorgehen einverstanden.

Kapitel 4

Sabrina Loosli

Sabrina kam zu spät. Sie kam immer zu spät. Wenn sie eine negative Eigenschaft hatte, dann diese. Jan sass an einem Tisch mitten im Raum und beobachtete die Eingangstüre des Restaurants. Endlich öffnete sie sich und Sabrina trat ein. Sie schaute sich um und erkannte ihn nicht. Sie wusste ja gar nicht, wie er aussah. Jan wusste auch nicht, wie Sabrina aussah, aber er dachte sich, es muss diese Frau sein, die suchend im Eingang steht. Und richtig. Er winkte ihr zu und sie trat an seinen Tisch.

„Hallo, ich bin Jan. Bitte setzen Sie sich.“

„Gerne, ich bin Sabrina. Wir können uns duzen.“

Sie setzte sich Jan gegenüber und schaute ihn prüfend an.

„So habe ich mir dich nicht vorgestellt. Du siehst viel jünger und attraktiver aus“, begann sie das Gespräch. Jan errötete und antwortete verlegen.

„Was hat deine Mutter denn über mich gesagt?“, wollte Jan wissen.

„Sie hat mir gar nichts von dir erzählt. Ich wusste nur, dass sie verheiratet war. Ich konnte mir ihren Mann nicht vorstellen und ehrlich gesagt, hat er mich auch nicht interessiert.“

„Ich hoffe, wir verstehen uns trotzdem und werden uns nicht hassen.“