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Bremen 2023, das Wohnen ist kostspielig, das Leben sowieso. Ein gerade in die Rente entlassener Mitsechziger macht sich Gedanken, wie sein neues Leben umgesetzt werden kann. Er setzt eine Anzeige auf und lädt Interessierte ein, die mit ihm zusammen eine Wohngemeinschaft auf dem Land organisieren wollen. Einer von ihnen ist ein Sohn reicher Eltern, die ihm ein Haus im Teufelsmoor überlassen würden, wenn er sich um die Instandsetzung kümmert. Dieser Plan wird umgesetzt. Allerdings ist es notwendig, für die Renovierung Geld zu beschaffen. Durch kleinere und auch etwas lukrativere Gaunereien gelingt es ihnen, die Baumaßnahmen in die Wege zu leiten. Irgendwann jedoch kommen sie mit ihren Machenschaften einer Organisation in die Quere, die im Bereich der organisierten Kriminalität als Glücksspielmafia kein Pardon kennt.
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Seitenzahl: 278
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Das Teufelsmoor Quartier
Prolog
So viel Leben lag schon hinter ihm, so viele Menschen, denen er begegnet war. Und jetzt? Er schaute hinaus aus dem Fenster seiner Zweizimmerwohnung. Die Straße war belebt, wie immer. Vom ersten Stock aus hatte Liam Tzesna einen ganz guten Überblick über das Geschehen. So lange war es eigentlich noch gar nicht her, da hätte er sich dort einreihen können in den Fluss all derjenigen, die zur Arbeit oder zum Einkaufen fuhren. Jetzt war er aussortiert worden. Diese Gesellschaft hatte ihn ausgespuckt wie man eine lästige Fliege ausspuckt, die sich beim Dauerlauf in den Rachen verirrt hat. Dabei fühlte er sich eigentlich noch mitten im Leben befindlich, voller Abenteuerlust an neuen Unternehmungen und geistig fit genug, um sich Alternativen zu seinem bisherigen Dasein auszudenken.
Liam war ein etwas in die Jahre gekommener Mann, dem man das Interesse an immer neuen Aktivitäten auch ansah. Eigentlich immer mit der Energie eines Sportlers ausgerüstet, war er nicht für ein Leben zwischen den Wänden einer kleinen Wohnung gemacht, die sich so begrenzend darstellte, wie er es sich für sein Leben nicht ausmalen mochte. Hier lief er oft auf und ab, wie ein Tiger in seinem zoologischen Käfig, um seine Gedanken zu sortieren.
Er hatte eine dunkelbraune Kurzhaarfrisur, aber keinen Bart, da der, wie er meinte, ihn noch älter machen würde, wie er sich jetzt bereits wähnte, in Anbetracht seiner Lebensjahre. Mit seinen braunen Augen und seinem dunklen Teint machte er einen südländischen Eindruck. Sein Blick aber war wach und interessiert, wie man es eher bei nordländischen Landsleuten beobachten konnte. Und tatsächlich kam er gebürtig von der friesischen Nordseeküste.
Eigentlich befand Liam sich bei bester Gesundheit. Er war noch täglich arbeiten gegangen, kaum krank gewesen, nicht mehr der schnellste, okay, aber gründlich verlässlich und vertrauenswürdig. Außerdem hatte er sich ein Sportprogramm verordnet, gar nicht mal um des Sport Treibens willen, sondern als Ausgleich zu seiner beruflichen Tätigkeit. Nach Feierabend setzte er sich gerne auf das Rad, einem Cyclo Cross Fahrrad, welches ähnlich gestaltet war wie ein Rennrad, nur eben eher fürs Gelände konzipiert. Mit solchen Rädern wurden Querfeldein-Rennen bestritten. Er fuhr hauptsächlich auf Straßen, hatte aber eben auch die Möglichkeit, minder befestigte Wege abseits der Straßen zu befahren. Vor allem aber hatte er das Gefühl, auf einem waren Rennesel zu sitzen, wie er das Rad gerne nannte. Er konnte damit beschleunigen und Tempi erreichen, die ihm mit seinem anderen Fahrrad, einem Tourenrad mit dem er mehrtägige Touren fuhr, nicht möglich waren. Mit dem war er dann gerne einmal zwei bis drei Wochen unterwegs, von Pension zu Pension, von Stadt zu Stadt, am liebsten immer entlang an Flüssen. Am Ende war er dann oft an die zweitausend Kilometer gefahren. Sein drittes Fahrrad, mit dem er vor zig Jahren angefangen hatte, Rundreisen zu fahren, benutzte er nur noch als Alltagsfahrrad zum Einkaufen.
Und plötzlich war er Rentner! Er fühlte sich fit und gesund. Trotzdem hatte es plötzlich geheißen: „Das war’s! Es wird Zeit, sich zur Ruhe zu setzen.“
„Aber…“
„Wir können da nichts machen. Auch wenn wir Sie noch so gerne weiterbeschäftigt hätten. Sie haben das Rentenalter erreicht.“
„Rentenalter? Und was ist mit dem Fachkräftemangel?“ Er hatte nicht darüber nachgedacht oder diesen Gedanken daran einfach nicht zugelassen. Er hatte den Gedanken ausgeblendet. „Ich könnte doch noch…“
Björn Falkner sah ihn unmissverständlich an. „Herr Tzesna, es ehrt uns, dass Sie so gerne weiter für unser Büro arbeiten möchten. Aber gönnen Sie sich doch jetzt Ihren Ruhestand. Sie haben das Alter erreicht, in dem Sie andere arbeiten lassen können und selbst nur noch beobachten sollten. Es gibt doch sicher viele Dinge, die Sie noch gerne mal erleben möchten.“
Sicher gab es viele Dinge. Aber der jährliche Bescheid von der Rentenkasse sagte nur eines: Viel Zeit aber wenig Geld ab dem siebenundsechzigsten Lebensjahr. „Vielleicht gibt es ja noch eine Möglichkeit, als geringfügig Beschäftigter weiterzuarbeiten. Ich könnte als Fahrer oder als…“
„Leider sehe ich da im Augenblick keine Möglichkeit aufgrund der reduzierten Auftragslage momentan. Aber falls sich da etwas auftut, werde ich selbstverständlich an Sie denken.“ Falkner gab ihm die Hand und verabschiedete ihn im Namen der ganzen Belegschaft. Sein Architekturbüro würde auch ohne ihn auskommen. Wahrscheinlich war bereits ein Ersatz gefunden. Bauzeichner gab es genügend, jung und innovativ, selbst in diesen Zeiten, in denen alle nach Arbeitskräften verlangten. Wahrscheinlich wollte man einfach jemanden haben, der jung und innovativ war.
Vier Wochen war das her. Und jetzt musste Liam einsehen, dass das Leben viel zu teuer für ihn geworden war. Seine Wohnung fraß zwei Drittel der schmalen Rente auf und der Rest reichte gerade mal für eine kulinarische Schmalkost. Die Zeitung musste er abbestellen, das Auto verkaufen und seine Hobbys einschränken. Auch wenn die Zeit jetzt ausreichen mochte, sich mit all dem zu beschäftigen.
Vielleicht doch ein 450 Euro Job? Aber was? Oder irgendwo anders hinziehen, wo das Leben billiger wäre als hier in Bremen? Vielleicht nach Rumänien oder nach Ungarn? Da würde er wahrscheinlich gut mit dem Geld klarkommen. Andererseits kannte er da natürlich keine Socke. Und sprachlich würde Liam auch nicht durchkommen. Das wäre wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt, so allein. Wenn jetzt jemand mitkommen würde, okay. Dann könnte man klarkommen. Aber er war hier in Bremen schon alleine. Seine Frau hatte ihn verlassen, da er sich nicht an die mit der Ehe einhergehende Regel der Monogamie gehalten hatte. Und seine Freunde? Die lebten alle in ihrem eigenen Mikrokosmos. Nette Menschen gab es da, Bekannte und Sportfreunde, Konzertgänger und Radler, mit denen er hin und wieder seine Runden auf seinem Rennesel absolvierte. Aber richtige Freunde? Fehlanzeige.
Andererseits wäre jetzt ja auch mal die Zeit gekommen, etwas ganz neues anzufangen. Vielleicht sollte er sein Leben total umkrempeln? Und gerade so ein Neuanfang könnte das Salz in der Suppe bedeuten. Einfach so weiter machen würde einem langsamen Dahinwelken gleichkommen. Die äußeren Umstände hatten sich verändert und er würde sein Leben entsprechend anpassen müssen. Irgendetwas passt da ja nicht mehr zusammen. Weshalb sollte er hier in Bremen bleiben? Es musste ja nicht Australien, Rumänien oder Ungarn werden. Vielleicht würde es ja ausreichen, aufs Land zu ziehen. Vielleicht mit mehreren Leuten eine WG gründen, einen Resthof anmieten und da etwas ganz neues machen. Wohnraum, Auto, Zeitung und alles andere teilen, damit das Geld ausreichte. Das hatte er als Student schließlich auch schon so gemacht. Und vielleicht, um ein Exempel zu setzen, um sich dieser Schmach entgegenzustellen, den Anarchisten zu mimen, der sich den gesellschaftlichen Zwängen entgegen stellte: So nicht. Nicht mit mir! Und vielleicht noch eine Prise Salz in die Suppe werfen, um der Gesellschaft eben diese zu versalzen. Liam grinste aus dem Fenster hinaus, in den städtischen Trubel hinein. Nur geeignete Komplizen müsste er finden, mit denen er sich verbünden könnte.
Der Blick aus dem Fenster sagte ihm in diesem Augenblick alles. Er wollte keinen Lärm mehr hören, keine Auspuffabgase mehr einatmen, keinen eingeengten Blick gegen die Fassade des gegenüberliegenden Wohnblocks mehr hinnehmen müssen. Es gab keinen Grund mehr, diese Situation zu ertragen, hinzunehmen oder sich darüber nervlich anspannen zu lassen. Klar, hier in der Stadt war alles leicht zu erreichen. Kultur, Supermarkt und Sporthalle, kein Problem, wenn man das nötige Kleingeld hatte. Auf dem Land hingegen war das Leben doch günstiger. Liam würde sich eben anpassen müssen. Und über das Internet bekam man ja schon fast alles, was man zum Leben benötigte. Alles eine Frage der Organisation und der Anpassung an die neue Umgebung. Und die Zeit wäre ja da, um diese städtischen Gefilde als Jagdgebiet erreichen zu können.
Er schaltete den PC an und gab die Suchanfrage ein. Es schien nicht mehr so einfach zu sein. Nachdem die Corona Pandemie eine allgemeine Stadtflucht ausgelöst hatte, waren Wohnungen und Häuser auf dem Land gefragt. Es wurden noch einige Häuser zum Kauf angeboten. Aber da fehlte ihm das nötige Geld und die Bank würde einem Mitte sechzigjährigen keinen Kredit in dieser Höhe mehr zugestehen. Eigentum wäre allerdings schon klasse, selbst wenn es sich um eine Bruchbude handelte. Das wäre eine Herausforderung, der er sich gerne stellen würde. Schließlich hatte er fachlich vieles auf dem Kasten, was den Bau betraf.
Aber erst einmal Interessenten ausmachen, die das mit ihm angehen würden. Er öffnete sein Facebook Profil, welches er eigentlich schon längst nicht mehr bediente, aber tatsächlich noch voll umfänglich da war, und machte seinen Wunsch öffentlich, ein paar rüstige Gleichgesinnte zu finden, die mit ihm zusammen einen Resthof kaufen und renovieren würden. Es sollten Menschen sein, die sich verändern wollten, die die Energie hatten, Visionen nicht nur zu erdenken sondern auch auszuleben, Einzelgänger, die noch eine Rechnung offen hatten mit der gesellschaftlichen Allianz.
Was hatte Liam getan? Eine Lawine losgetreten, eine Herde einsamer Wölfe zusammengeführt? Innerhalb der ersten Stunde nach seiner Anfrage waren bereits fünfunddreißig Kommentare gepostet worden. Fünfunddreißig einsame alte Menschen, die nur darauf warteten, in ein neues Abenteuer hineinzuschliddern. Er lud alle für den übernächsten Tag in seine Stammkneipe, dem Litfaß in der Lindenstraße, zu einem spontanen Austausch der Gedanken und Vorstellungen ein.
Am späten Nachmittag setzte er sich dann, wie er es gewohnt war, auf sein Rad und fuhr Richtung Stadtmitte, wo er vom Bürgerpark empfangen wurde und wo er sonst auch gerne mal ein paar Runden drehte. Dieser Park war groß genug, um nicht langweilig zu werden und klein genug, um sich nicht in ihm zu verlieren. Zumindest mit dem Rad verlor man sich nicht in seinen Ausdehnungen. Zu Fuß konnte das schon mal passieren.
1
Zwei Tage später saß Liam Tzesna an einem großen Tisch im Litfaß. Er war mit seinem Alltags-Fahrrad hergekommen, das er auch mal irgendwo stehen lassen konnte, ohne Angst vor Diebstahl haben zu müssen. Vor ihm stand ein großes Bier, sein zweites, das erste hatte er zuvor quasi inhaliert, da er gefühlt am Verdursten gewesen war. Das zweite konnte er jetzt genießen. Seine Blickrichtung führte seine Aufmerksamkeit zur Eingangstür. Würde überhaupt jemand kommen? Und würde sich wohl ein echtes Interesse entwickeln oder eine nur von Neugierde inspirierte Scheinheiligkeit? In der Kneipe hielten sich ein paar eher gut situierte Leute auf. Das war das Publikum hier. Im Hintergrund lief angenehme Jazzmusik von Chick Corea. Klavier betonter, moderner Jazz, leicht spanisch angehaucht, passend zum Leumund der Kneipe. Das Interieur bestand aus Holzstühlen und -tischen, die Beleuchtung leicht abgedunkelt und der Tresen war als Rondell zentral angeordnet. Die Poster bekannter Jazz- und Bluesmusiker rundeten den Gesamteindruck einer Jazzkneipe ab wie man sie vielleicht in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts verortet hätte. Und hinten in der Ecke befand sich tatsächlich eine kleine Empore, auf der schon die eine oder andere Band ihre musikalischen Künste zu Gehör gebracht hatte. Liam war immer wieder gerne auch sonntags zum Frühschoppen hier gewesen, wenn auch Livemusik gespielt wurde. Das würde er schon vermissen, wenn er ländlicher unterwegs war.
Eine attraktive Frau kam dann zu ihm an den Tisch. Sie hatte die Aura eines verwegenen Duftes an sich. Eigentlich mochte Liam diese Übertünchung des eigenen Körperduftes nicht so gerne. Sie aber hatte ein Parfum oder Öl aufgelegt, das ihm angenehm in der Nase lag. Er hatte sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen, ohne sie direkt anzusehen.
„Hi! Bist du Liam?“
Interessiert wandte er sich ihr zu. Eine rothaarige Frau mit einer üppigen Haarpracht und einem mit bunten Ornamenten geschmückten Kleid schaute ihn neugierig an. Er hatte durchaus noch einen Blick für attraktive Frauen oder auch solchen, deren einstige Attraktivität noch zu erahnen war. „Ja, ich hatte die Einladung gepostet.“
„Hallo, schön dich kennenzulernen. Du hattest Interesse daran bekundet, eine WG zu initiieren? Ich bin Elke Brandner, Elli, wenn’s Recht ist. Ich bin gerade von Berlin weg und versuche in Bremen oder umzu eine neue Wohnung zu finden. Aber alleine find’ ich auch doof. Mir ist deine Anzeige auf Facebook aufgefallen. Also ich fände das echt spitze, wenn ich so eine WG auf dem Lande mit einem Bezug zur Stadt finden könnte.“
„Wartest du schon länger?“ Liam hatte sie nicht hereinkommen sehen und vermutete richtig, dass Elke bereits vor ihm im Lokal gewesen sein musste. Er stand auf und reichte ihr die Hand zur Begrüßung. Mein Name ist Liam Tzesna. Ich versuche gerade einige Gleichgesinnte für so eine Landflucht zu finden. Setz dich doch. Magst du was trinken?“
„Oh, warte mal, mein Bier steht da noch auf der Theke. Ich bin schon etwas länger hier. Als ich dich kommen sah, wusste ich nicht, ob du Liam bist. Du siehst noch so jung aus für einen Rentner, wenn ich das so sagen darf.“ Elli wandte sich der Theke zu und holte ihr Bier.
„Danke für das Kompliment. Bist du denn auch schon soweit?“
„Hää? Ach so.“ Elke lachte mit einer gewinnenden Heiterkeit. „Rente würde ich wohl nicht bekommen, glaube ich, obwohl ich nächstes Jahr auch schon sechzig werde. So viel habe ich da aber noch nicht einbezahlt. Ich bekomme Geld vom Sozi und bastle Schmuckstücke, die ich auf Märkten verkaufe. Schau mal!“ Sie schob ihre Haarpracht hinter die Ohren. Da erschienen aufwendig gearbeitete Ohrringe, die mit den Ornamenten auf ihrem Kleid gut korrespondierten. Filigrane Goldschmiedearbeiten, die bis auf Kinnhöhe herunterfielen.
„Und die hast du geschmiedet? Sehr kunstfertig. Als basteln würde ich diese Arbeit jedenfalls nicht bezeichnen. Auf normalen Märkten bekommst du aber sicher nicht den Preis, der den Wert widerspiegelt.“
„Doch, das klappt schon. Auf Kunsthandwerkermärkten gibt es da viele Interessenten. Außerdem biete ich noch Öle an, die ich aus Pflanzenextrakten destilliere. Ich stelle so natürliche Öle und Extrakte her, um diesen künstlichen Gerüchen etwas entgegen zu stellen, mit dem sich die Menschen sonst gerne einsprühen. Ich habe außerdem einen Shop im Internet, in dem ich meine Waren anbiete. Dort verdiene ich mein Geld, das ich zum Leben brauche, wenn man vom Bürgergeld einmal absieht.“
Es war mittlerweile zwanzig Uhr, die verabredete Zeit für den Termin. Liam bestellte sich gerade ein drittes Bier als die Eingangstür sich öffnete und zwei Gestalten die Kneipe betraten. Sie kamen schnurstracks zu ihrem Tisch gestiefelt und fragten, ob hier der Treffpunkt der WG-Interessierten sei.
„Ja, schön dass ihr gekommen seid. Mein Name ist Liam Tzesna und hier neben mir sitzt Elke Brandner.“
Elke lächelte die neuen Interessenten an.
„Alles klar, mein Name ist Edzard van Hude. Aber alle Welt nennt mich Eddie.“ Eddie hatte eine exakt geschnittene Kurzhaarfrisur und einen Oberlippenbart, Seine Kleidung dagegen war sehr leger.
„Und ich heiße Theo“, sagte die Stimme im Hintergrund. Er schob sich an Eddie vorbei und setzte sich. „Schön, euch kennen zu lernen. Wann soll das denn losgehen mit dem Einzug? Und wo steht das Haus? Ich meine, man muss ja wissen, wo es hingeht. Obwohl, eigentlich auch egal, Hauptsache ein Dach über dem Kopf. Ich muss nämlich raus aus meiner Butze. Ich habe lange im Haus meiner Freundin gelebt. Jetzt haben wir uns getrennt.“
„Hallo Theo, bist du…“
„Te-Age, wenn es dir nichts ausmacht. Mein Name ist Theo Fackner. Meine Freunde haben mich aber immer Te-Age genannt oder einige auch einfach nur Te.“
„In der Kürze liegt die Würze. Schön dass du da bist. Aber das Problem ist, dass wir bislang nur eine Idee haben. Wir wissen noch nicht, wie und wo wir zu einem geeigneten Haus kommen. Das wollen wir heute besprechen.“
Edzard hatte sich auch gesetzt. „Also da hätte ich einen Vorschlag. Meine Familie hat…“
Wieder öffnete sich die Tür und herein kam eine Dame, die sich neugierig umsah. Sie war mit einem blauen Kostüm bekleidet und machte den Eindruck einer in die Jahre gekommenen Geschäftsfrau, die sich nach ihrem Mann in der Kneipe an der Ecke umsah, um ihn nach Hause zu lotsen. Auffällig waren auch ihre Schuhe, die leicht erhöhte Pfennigabsätze hatten und farblich in einem auberginenton hervorstachen. Sie gaben ihr eine gewisse Extravaganz, die eigentlich zum Klientel dieser Jazzkneipe ganz gut passte. Sie kam ohne Zögern mit einer unangreifbaren Selbstsicherheit ebenfalls an den Tisch und fragte nach der sich hier treffen wollenden Gruppe.
„Ja, bitte! Setz dich.“ Liam war zunächst etwas verwirrt, wollte aber dann keine Vorurteile zulassen.
„Annette Dettmers, mein Name. Ich suche nach einer neuen Herausforderung. Mein altes Leben als Vorzeigedame habe ich so satt, dass ich mich nicht mehr verstellen möchte. Deshalb hat mich der Post auf Facebook so interessiert, so dass ich einfach herkommen musste. Ich möchte mich verändern.“ Annette setzte sich. Ihr langes Haar fiel ihr ungeordnet auf die Schultern. Sie strahlte reine Energie aus. Hinter ihr tauchte dann bereits ein weiteres Gesicht auf. Ein etwas gestresstes Gesicht, gejagt vielleicht, aber auch erleichtert. „Hallo, Frank Kohlpacker. Komme ich zu spät? Tut mir Leid. Ich hatte noch so eine leidige Diskussion mit meinem Sohn. Der wollte wieder mal Geld. Ha, Ha, Ha. Das war mal. Ich habe nämlich keines mehr.“ Frank schaute sich in der Runde um. Sein Blick verweilte eine Spur zu lang auf dem Antlitz von Edzard, so als würde er überlegen, wann oder wo sie sich bereits getroffen hätten.
„Setz dich doch. Schön, dass du da bist“, sagte Edzard und bot ihm einen Platz neben sich an.
Frank setzte sich und bestellte ebenfalls ein Bier. Es hatte etwas längere, gelockte Haare, die wahrscheinlich vom Frisör so hergerichtet worden waren. Wie man sowieso sagen musste, dass hier ein Mann saß, der sehr auf sein Äußeres zu achten schien. „Meine Frau hat das Haus übernommen, meine Kinder haben mir die Haare vom Kopf gefressen, um ihre diversen Ausbildungen zu finanzieren und ich habe mir alles aus den Taschen ziehen lassen. Und jetzt bin ich anscheinend auch noch zu alt für meinen Job, wie mein Chef mir erklärte, bevor er mich rausgeschmissen hat. Aber zumindest habe ich noch eine Provision bekommen für die vierzigjährige Betriebszugehörigkeit.“
„Okay, du bist hier goldrichtig und sicher nicht zu spät“, sagte Liam. Er stellte sich und die bereits Anwesenden erneut vor, nachdem die Aufmerksamkeit auf ihn fokussiert zu sein schien. „Ich finde, wir haben hier schon eine echt gute Truppe. Obwohl sich noch weitere Leute angekündigt haben. Wahrscheinlich kommen aber auch nicht alle.“ Er schaute zu Edzard herüber, der sich gerade mit einer Weinschorle beschäftigte, die der Wirt ihm präsentiert hatte. „Aber Eddie, ich glaube, wir haben dich gerade unterbrochen.“
„Macht nichts. Ich finde deine Idee sehr gut und freue mich, hier ein paar Gleichgesinnte zu finden.“
„Okay. Das ist eine gute Ausgangsbasis.“
Eddie nickte ihm lächelnd zu. „Ich finde auch, dass sich hier ein paar nette und interessante Personen zusammengefunden haben, die sich ernsthaft mit dieser Idee einer gemeinsamen WG auseinandersetzen wollen.“ Edzard sah sich um und schien ein wenig gedanklich abzuschweifen. Der Kreis seiner Zuhörerschaft sah ihm dabei gespannt zu. Er besann sich kurz und schaute dann auf. „Also, wo war ich stehengeblieben?“
„Ganz am Anfang“, lachte Elli. „Nichts für Ungut.“
„Okay! Also meine Familie, die ist recht vermögend. Und ihr missratener Sohn, wie sie immer wieder betonen, hat nichts Besseres zu tun, als in der Weltgeschichte herumzureisen. Ich war als Dachdecker und Zimmermann fast mein ganzes Leben auf der Waltz.“
„Was! Das ist ja fantastisch. Eigentlich dauert die Waltz doch nur zwei Jahre und einen Tag, wenn ich mich richtig erinnere.“
„Viele bleiben auch länger und für mich war das immer das Leben, welches so für mich gerade richtig war. Immer auf der Flucht, sagen viele. Aber egal. Jedenfalls bin ich seit einigen Wochen wieder in Bremen bei meiner Familie. Na ja, lange Rede, kurzer Sinn. Ich schaffe das körperlich nicht mehr, dauernd unterwegs zu sein, weshalb ich zurück nach Bremen gekommen bin, um hier neue Möglichkeiten auszuloten. Meine Eltern sind allerdings froh, alleine zu sein und keine Verantwortung für ihren missratenen Sohn übernehmen zu müssen. Sie haben kein Interesse, mich bei sich wohnen zu lassen, was ich auch verstehen kann. Aber dennoch haben sie mir ein Angebot gemacht, das ich allein aber nicht wuppen kann. Sie haben einen Resthof in Gnarrenburg. Der war immer vermietet. Aber die Mieter haben den Hof jetzt gekündigt, da sie in die Stadt ziehen wollten. Um den Hof aber weitervermieten zu können, müsste da erst richtig renoviert werden. Und wenn ich sage richtig, dann dreht es sich nicht alleine um ein paar Tapeten, die ausgewechselt werden müssten. Das Dach ist teilweise eingestürzt, die Mauern sind durchfeuchtet und mit Schimmelbildung behaftet und die Wasserleitungen sind noch aus Blei. Also wäre da wirklich viel zu tun. Meine Eltern haben mir angeboten, da ich ja Handwerker bin, dort mietfrei zu wohnen und im Gegenzug das Haus zu renovieren.“
„Also Schimmel an den Wänden? Ich weiß nicht. Anne, wie sie genannt werden wollte, machte einen leicht angeekelten Eindruck. „Das kannst du uns doch nicht so zumuten wollen!“
„Die Vormieter sind da noch ganz gut zurechtgekommen. Man könnte da sicher schon mal einziehen und dann Raum für Raum klarmachen. Um dem Schimmel zu begegnen müsste man die Wände trocken bekommen. Da gibt es Mittel und Wege. Ist nur alles sehr arbeitsintensiv.“
„Wir können uns das ja mal anschauen“, sagte eine Stimme, die gerade den Schankraum betreten hatte. „Entschuldigt mein Zuspätkommen. Ich hoffe, ich habe noch nicht so viel verpasst. Mein Name ist Sebastian Wegner. Ich habe bis vor kurzem bei einer Bank als Immobilienmakler und Fondsmanager gearbeitet. Ich kenne mich also etwas mit alten Häusern aus. Und mit Kapital, auch wenn ich mich in letzter Zeit etwas verkalkuliert habe. Um gleich mit offenen Karten zu spielen: Ich habe zwar immer sehr gut verdient in meinem Job, aber ich leide an Spielsucht, weshalb man mich gegen eine Auslöse aus meinem Job herauskomplimentiert hat.“
„Alles gut“, sagte Liam und bot ihm den letzten verbliebenen Stuhl an. „Setz dich doch.“
„Also diese Spielsucht habe ich im Griff. Sie hat mich ein kleines Vermögen gekostet und eine Bewährungsstrafe. Ich bin nicht nur fast pleite sondern auch pensioniert worden, also jetzt nicht mehr Herr Wegner sondern nur noch der vorbestrafte Basti auf der Suche nach neuem Lebensmut.“
„Also ich gehe mal kurz raus, eine rauchen“, bemerkte Elke. „Da kann ich dann auch noch mal kurz über alles nachdenken.“
„Ich komme mit.“ Edzard erhob sich, nahm sein Bierglas in die Hand und folgte Elke. Draußen auf der Terrasse befanden sich einige Stehtische, die mit Aschenbecher bestückt waren. Momentan waren sie allerdings die einzigen Raucher, die diesen Service nutzten. „Ganz schön unterschiedliche Leute, die sich da zusammengefunden haben. Glaubst du, dass das gut geht?“
„Weiß ich nicht. Vielleicht liegt genau da der Vorteil. Aber das kann man vorher nie wissen. Ich finde aber schon, dass alle auch irgendetwas gemein haben.“
„Und was wäre das?“ Eddie nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und blies Rauchringe in die Luft. „Alle sind irgendwie auf der Suche nach einem neuen Weg, habe ich das Gefühl. Meinst du das?“
„Ja, alle wollen sich verändern. Fragt sich nur, wie das zu bewerkstelligen ist. Werden sich alle miteinander verstehen? Und wie soll man das finanzieren? Jeder hat wahrscheinlich andere Ansprüche, die alle unter einem Hut zu bringen sind. Einige sind fit und belastbar, andere haben vielleicht irgendwelche altersbedingten Maleschen oder Krankheiten. Man weiß es nicht.“
„Stimmt. Man weiß es nicht. Man kann es nur ausprobieren. Und wenn man dazu nicht bereit ist, kann man sich auch nicht in so ein Abenteuer stürzen. Jeder hat ja schon etwas von sich preisgegeben. Also kann man von einer gewissen Offenheit ausgehen.“
„So ungefähr, nur Liam hat sich noch nicht geoutet. Ich finde, er ist ganz schön zurückhaltend, obwohl er das ganze ja in Bewegung gesetzt hat.“
„Wahrscheinlich haben alle noch ihre Geheimnisse, die sie erst dann preisgeben, wenn genug Vertrauen aufgebaut ist. Zunächst zeigt sich ja jeder von seiner guten Seite.“
„Und deshalb ist es wohl so, dass sich erst später zeigt, ob man wirklich miteinander klarkommt. Aber ich finde das auch spannend.“ Elke schien bereit, das Wagnis einzugehen, trotz ihrer Einwände. „Es kann vieles schiefgehen, wie man das ja auch schon in seiner Jugend feststellen musste, als man in diversen WGs gescheitert ist. Jetzt ist das aber etwas anderes. Eigentlich gibt es für niemanden eine Alternative, außer weiter alleine vor sich hin zu vegetieren. Ich jedenfalls bin bereit, mich auf dieses Projekt einzulassen.“
„Das geht mir auch so ähnlich. Außerdem ist man im Alter ja nicht mehr so stringent. Es wird wichtig sein, sich gegenseitig zu respektieren, auch wenn die Lebensarten weit voneinander abweichen.“
„Andere sagen das Gegenteil und sprechen von Altersstarrsinn!“
Eddie musste lachen und schüttelte abwägend seine Hand. „Das kommt wahrscheinlich von der Einsamkeit, der viele Menschen im Alter ausgesetzt sind, alleinlebend oder auch im Zweiergespann der Ehe.“ Er beobachtete Elke, wie ihr die positiven Gedanken quasi aus den Augen zu springen schienen. Sie hatte sowieso etwas sehr positives. Aber das schien an ihrem Wesen zu liegen. Vielleicht war das aber auch nur ihre Schutzkappe, dachte Edzard. Die anfänglich geäußerten Zweifel ließen so etwas vermuten. „Liam sollten wir aber unbedingt noch befragen, wie er sich das vorstellt.“
„Ich finde ihn irgendwie geheimnisvoll. Ich werde ihn gleich mal fragen.“ Sie drückte ihre Zigarette in den Aschenbecher. „Kommst du mit, wieder rein in die Manege?“
„Klar!“ Er folgte ihr, nachdem auch er den Rest seiner Fluppe losgeworden war und die Neige aus dem Bierglas heraus geschlürft hatte.
Liam schaute auf. „Hallo, da seid ihr ja.“
„Ja, wir haben noch etwas über die Situation philosophiert. Glaubst du denn daran, dass sich sieben Leute so einfach zusammentun können, ohne dass sich im Nachhinein Streit und Unstimmigkeiten auftun? Was ist zum Beispiel, wenn einer oder zwei von uns nicht mit der Finanzierung klarkommen? Und was ist mit demjenigen, der gesundheitlich nicht mithalten kann? Und was ist mit dir? Wie ist deine Motivation?“
„Ganz schön viele Fragen. Also ich bin auch gerade in die Rente geschickt worden und kann mir das Leben in Bremen nicht mehr leisten. Außerdem habe ich das Bedürfnis nach etwas mehr Raum und einer neuen Umgebung, um meinem Leben noch mal einen neuen Aspekt zu geben. Daher kam mir der Gedanke, eine WG auf dem Land zu gründen.“
„Also ähnlich wie bei uns allen. Und wie stellst du dir das mit unserem künftigen Zusammenleben und der Finanzierung vor?“
„Da kommen wir zum Wesentlichen! Ich bin froh, dass ihr diese Fragen in den Raum stellt.“ Liam schaute sich um und sah in fragende Gesichter. „Ich habe mir diese Frage auch gestellt und bin auf eine pragmatische Antwort gekommen. Zunächst wäre es ja schon mal ein Pfund, wenn wir das Haus der Eltern von Sebastian beziehen könnten. Irgendwie sind wir aber auch alle von der Gesellschaft, der wir so lange gedient haben, aufs Abstellgleis gestellt worden. Das sollten wir uns nicht gefallen lassen! Wir sollten das einfordern, was uns zusteht. Und wenn man uns kein eigenständiges Leben zugesteht, sollten wir uns das nehmen. Ich wäre bereit, den gesellschaftlichen Säckel anzubohren, um dort ein paar Tantiemen für das Überleben herauspurzeln zu lassen, falls es notwendig wird. Ich möchte eine eingeschworene Gemeinschaft, die füreinander einsteht und gemeinsam für ein Überleben sorgt. Und das heißt natürlich auch, jedem seine individuellen Eigenarten und natürlich auch seine Macken zugestehen. Gerade altersbedingte Gebrechen sollten wir akzeptieren. Jeder gibt sein bestes und das reicht dann auch.“
Betretene Gesichter, ungläubige Blicke, belustigte Mimik und eine abenteuerlustige Grundstimmung ließ sich feststellen in der Runde.
„Eigentlich wollte ich damit noch gar nicht herauskommen. Nicht bevor sich jeder entsprechend geoutet hätte. Ich habe aber das Gefühl, dass wir ein gutes Team darstellen könnten und bitte jeden, der da nicht mitgehen kann, das jetzt zu sagen und zukünftig Stillschweigen zu bewahren. Falls wir diesen Hof übernehmen bräuchten wir ja keine Miete zahlen. Aber die Renovierung muss noch gestemmt werden und das wird einiges kosten, nehme ich an.“
„Was haben wir zu verlieren“, warf Elke auffordernd ein. „Solange wir keine körperliche Gewalt anwenden, finde ich diesen Weg der Selbstversorgung voll in Ordnung!“
„Wenn wir erwischt werden, kann das aber auch gut nach hinten losgehen. Eventuell landen wir alle in den Knast.“ Annette stand der Zweifel ins Gesicht geschrieben.
„So schnell kommt man nicht in den Knast. Und dem Richter würde ich dann schon was erzählen von wegen menschenwürdigem Dasein, welches man uns nicht zugesteht.“
„Ich bin zwar schon vorbestraft“, dozierte Sebastian. „Aber auch ich bin nicht in den Knast gewandert, sondern zu einer Bewährung und einer Geldstrafe verurteilt worden, die dann in Sozialstunden umgewandelt wurde, da ich diese nicht ableisten wollte. Schließlich stehe ich aber hier und freue mich, frei zu sein.“
Te-Age hatte die Abenteuerlust ebenfalls im Gesicht stehen. „Ich habe da schon einige Ideen. Also ich bin dabei.“
Annette sah ihn fasziniert an. Genau das Gegenteil von ihrem Exmann, der so viel Wert auf persönliche Präsentation und gesellschaftlicher Etikette legte. „Das wäre genau das Ersatzprogram für mich, um mir mein altes Leben auszutreiben. Ich bin auch dabei!“
Frank ließ ebenfalls vorsichtig zustimmende Worte verlauten. Er erklärte, wie dringend er neuen Wohnraum benötigte.
„Dann sollten wir das fürs erste auch so stehen lassen“, sagte Liam. „Hoffentlich klappt das auch so mit unserem Verein. Ich finde es schon bemerkenswert, dass alle Anwesenden zustimmen und keine weiteren Interessenten gekommen sind, die anderer Meinung sind.“
„Vielleicht ein Zeichen der Ausweglosigkeit, in der wir uns befinden“, bemerkte Anne. „Die finanziellen Aussichten sind katastrophal und die sozialen sowieso.“
„Also wenn dann alle einverstanden sind mit diesen anregenden Vorgaben, können wir morgen das Haus in Gnarrenburg in Augenschein nehmen“, sagte Edzard. „Wir können mit meinem Bus fahren, wenn nicht noch mehr Interessenten dazu kommen.“ Eddie schaute in die Runde und sah überall Zustimmung.
„Ich würde gerne noch mein Rad einladen und vielleicht mit dem wieder zurück fahren. Ich könnte das Vorderrad abnehmen, damit es hinten noch hinein passt“
„Kein Problem“ sagte Edzard.
„Vielleicht, wenn wir uns für das Haus entscheiden, könnte ich ja auch gleich da vor Ort bleiben?“
„Du scheinst es ja echt eilig zu haben, aus deiner Wohnung auszuziehen.“
„Mich hält da nichts mehr.“
„Okay. Es spricht ja nichts dagegen. Du musst ja nur deine Tasche packen und einen Schlafsack. Und ja, etwas zu essen und zu trinken solltest du auch dabei haben. Alles andere kann man nach und nach herbringen.“
„Es gibt da doch sicher auch eine Einkaufsmöglichkeit.“
„Sicher. So ganz aus der Welt sind wir da nicht, nur eben in einem Ort auf dem Lande.“
2
Sie hatten sich für den nächsten Tag um zehn Uhr am Hauptbahnhof verabredet. Liam war mit dem Touren-Rad gekommen und wartete jetzt auf die anderen. Einige Lebensmittel, einen Schlafsack und ein paar Klamotten in zwei Satteltaschen verpackt, hatte er auch dabei. Er war überzeugt von dieser Idee und würde gleich vor Ort bleiben, so seine Vorstellung.
Gleich morgens hatten sie sich noch einmal per Whats App versichert, dass alle so gut wie auf dem Weg zur Verabredung waren. Eddie würde sie dann mit seinem VW Bus einsammeln.
Te-Age und Frank kamen kurz nach Liam mit der Bahn. Frank sprang gehetzt aus der geöffneten Tür und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
„So früh noch und schon gestresst?“ Liam schaute ihm amüsiert entgegen.
„Eine Station zuvor sind zwei Kontrolleure zugestiegen, um die Fahrscheine abzufragen. Da bin ich denn doch etwas in Stress gekommen.“
„Schwarz gefahren?“
„Eigentlich denke ich gar nicht daran, die Fahrten zu bezahlen. Schließlich hieß es schon vor drei Jahren, man wolle den Autoverkehr aus der Stadt evakuieren und stattdessen den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbieten. Das waren aber wohl bloß Wahlversprechen. Aber ich sehe das als Aufforderung.“
Te-Age hatte sich dazugesellt. „Ich sehe das genauso. Und falls ich doch mal erwischt werde, werde ich genau das vor Gericht aussagen und eine Gegenklage gegen die Stadt einreichen.“
„Womit du sicher Erfolg haben wirst“, lachte Liam. „Aber wohl nur auf der politischen Bühne.“
Anne, Basti und Elke kamen kurz darauf zu Fuß. Sie hatten es nicht so weit zum Bahnhof und zogen es vor, seit die Corona Pandemie ihr Unwesen trieb, auf die Bahn zu verzichten. „Schließlich haben wir keinen Zeitstress mehr“, sagte Elli. „Außerdem ist die Bahn viel zu teuer.“
„Wo geht es denn überhaupt hin?“ Anne hatte sich entgegen den anderen Protagonisten dieses Ausflugs richtig schick angezogen. Mit der Handtasche aus Krokodilleder Imitat, wie sie gleich nach ihrer Ankunft betont hatte, um ja niemandem Anlass zu einer kritischen Bemerkung zu geben, machte sie den Anschein, als wäre sie auf dem Weg zu einer Vernissage oder so was. „Haben wir gestern eigentlich erfahren, wo dieser Resthof steht?“
„Das wird unser Fahrer wissen“, sagte Frank, dessen Outfit mit dem von Anne mithalten konnte. Im Sakko verhüllt mochte man ihm die zuvor vorgetragenen anarchistischen Aussagen bezüglich des Schwarzfahrens gar nicht zutrauen.
„In Gnarrenburg erwähnte Edzard, glaube ich zumindest“, sagte Basti. „Eddie wird uns da schon hin kutschieren.“ Sebastian wies auf die Fahrbahn, wo Eddie mit seinem Bus gerade angehalten hatte. Kurze Zeit später waren alle eingestiegen. Der nachfolgende Verkehr hatte sich bereits aufgestaut, während Liam sein Rad hinten verstaute. Wütendes Gehupe und aufgeregte Flüche hatten ihn dabei begleitet. Eddie aber war ganz cool geblieben. Beim Losfahren streckte er noch seinen Mittelfinger aus dem Fenster.
„Ich habe das Gefühl, hier hat sich ein anarchistischer Haufen Querulanten gefunden“, lachte Liam.
Elli ließ einen Heiterkeitsausbruch folgen. „Das finde ich auch. Ihr werdet mir immer sympathischer.“
Annette ließ einen kurzen Fluch hören und öffnete die beiden oberen Knöpfe ihres Blousons. „Ist das so warm hier oder geht es nur mir so?“ Sie zog ihr Jackett aus und öffnete auch noch den dritten Knopf. „So ist es besser.“ Der Ansatz ihrer Brüste glänzte bereits verschwitzt. Te-Age konnte seinen Blick nicht abwenden und bemerkte: „Ich verstehe das auch gar nicht, weshalb du deine Figur so versteckst.“