DAS TÖDLICHE GEHEIMNIS - Sidney H. Courtier - E-Book

DAS TÖDLICHE GEHEIMNIS E-Book

Sidney H. Courtier

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Beschreibung

Die Carricks sind die ungekrönten Könige in der australischen Stadt Kalana. Seit Jacob Carrick vor hundert Jahren begann, ein Goldbergwerk zu erschließen, führte der Weg der Familie steil nach oben zu Reichtum und Macht. Nun soll mit einem großen Fest dieser Aufstieg verherrlicht werden. Da senkt sich der Schatten eines Geheimnisses herab, das die stolze Position der Carricks bedroht... »Dieser australische Autor erreicht Spitzenqualität auf dem Bereich des Thrillers.« - THE TIMES, London. Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein Roman DAS TÖDLICHE GEHEIMNIS erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1964 (unter dem Titel DAS GESICHT AM FENSTER). Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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SIDNEY H. COURTIER

 

 

Das tödliche Geheimnis

 

 

 

 

Roman

 

 

 

 

Signum-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

DAS TÖDLICHE GEHEIMNIS 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Impressum

 

Copyright © 2023 by Sidney Houston Courtier/Signum-Verlag.

Original-Titel: Come Back To Murder.

Übersetzung: Alexandra und Gerhard Baumrucker.

Lektorat: Dr. Birgit Rehberg

Umschlag: Copyright © by Christian Dörge.

 

Verlag:

Signum-Verlag

Winthirstraße 11

80639 München

www.signum-literatur.com

[email protected]

Das Buch

 

 

Die Carricks sind die ungekrönten Könige in der australischen Stadt Kalana. Seit Jacob Carrick vor hundert Jahren begann, ein Goldbergwerk zu erschließen, führte der Weg der Familie steil nach oben zu Reichtum und Macht. Nun soll mit einem großen Fest dieser Aufstieg verherrlicht werden. Da senkt sich der Schatten eines Geheimnisses herab, das die stolze Position der Carricks bedroht...

 

»Dieser australische Autor erreicht Spitzenqualität auf dem Bereich des Thrillers.«

- The Times, London. 

 

Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein Roman Das tödliche Geheimnis erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1964 (unter dem Titel Das Gesicht am Fenster). 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  DAS TÖDLICHE GEHEIMNIS

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Dora Leigh traf im Carrick-Haus genau eine Woche vor Beginn der Feierlichkeiten anlässlich des Festes Alte Heimat Kalana ein. Am Morgen ihrer Ankunft berief David Crowther telefonisch Dr. Stephan Griffin zu sich, jedoch aus anderen Gründen. Denn zu diesem Zeitpunkt wusste David noch nichts von ihr.

Zehn Minuten nach Erhalt des Anrufs eilte Steve, ein großer, rothaariger, junger Mann, den steilen Gartenweg zu Davids Häuschen entlang. David hatte seine Gehfähigkeit eingebüßt, seit er sich vor vielen Jahren in Carricks Bergwerk Alter Tunnel das Rückgrat gebrochen hatte, und würde sie auch nie wieder erlangen. Steve brachte für David viel Zeit und Mitgefühl auf. An diesem Morgen dachte er, Davids Schmerzen müssten besonders arg sein.

An der Haustür wurde er von Davids Haushälterin empfangen, einer beleibten, schweigsamen Frau, die eine gute Köchin und eine tüchtige Krankenpflegerin war. Ihre Schweigsamkeit war eine Folge ihrer Taubheit.

»David hat mich angerufen!«, schrie Steve.

Louisa Kerr blieb gelassen. Sie lächelte, nickte und zeigte die Veranda entlang.

Steve ging rasch um die Ecke, auf die sonnenbeschienene Seite des Hauses.

David saß in seinem Rollstuhl, umgeben von Bleistiften, Farben und Zeichenpapier. Vor sich hatte er ein Zeichenbrett stehen. Im Laufe der Jahre hatte er sich eine beachtliche Geschicklichkeit im Malen angeeignet, mit dem Erfolg, dass er manchmal sogar eine Kleinigkeit an seiner Arbeit verdiente, aber das Wichtigste war, dass sie die ansonsten unerträglich leeren Stunden ausfüllte,

Steve betrachtete die normale Szene mit finsterer Miene und sagte: »Und ich dachte schon, es wäre etwas passiert! Ich bin um diese Tageszeit ein schwer beschäftigter Mensch.«

Auf dem schmalen, blauäugigen Gesicht des Invaliden lag keine Verlegenheit, nur ein düsterer Ernst.

»Ich habe Sie nicht unnütz kommen lassen«, sagte er mit seiner stumpfen, leidenden Stimme. »Ich muss Ihnen etwas zeigen. Sehen Sie sich das mal an.«

Er deutete auf eine schwarz-weiße Skizze, die unweit auf einem Tisch lag. Es war ein Porträt, offenbar in großer Eile hingeworfen, aber von sonderbarer Kraft und Vitalität. Auf den ersten Blick wirkte das Gesicht wie dasjenige eines feuergeschwärzten Gorillas. Das Haar war borstig, die Züge eingesunken, und wo die Nase hätte sein sollen, waren nur zwei schwarze Löcher.

»Wer ist denn das?«, fragte Steve.

So als brauchte er Zeit, um sich seine Antwort zu überlegen, setzte David seine Arbeit auf dem Zeichenbrett fort, eine Studie der Aussicht, die sich ihm von seinem Platz aus bot. Er hatte Dutzende solcher Studien gemacht, hauptsächlich im Herbst, wenn das Kalana-Tal in Orange, Rotgold und Rostbraun prangte. Von hier aus konnte man die Stadtgemeinde, die sich längs der Landstraße erstreckte, nachdem sich diese von Jacob's Hill heruntergeschlängelt hatte, nicht erblicken, aber man sah die Straße sich zwischen flammengleichen Pyramidenpappeln nordwärts winden. Und man sah den Kalana-Park und den Kalana-Teich und die Allerseelenkirche vor der Hintergrundkulisse von Bald Hill und Spider Hill, und dahinter das grüne Hochland, wo sich meilenweit die Carrick'schen Viehweiden erstreckten. Und natürlich, oben auf dem Carrick Hill, rechts von Davids Häuschen, das ebenfalls hier oben stand, erhob sich das Carrick-Haus über seinem prachtvollen Garten.

Das schönste Fleckchen auf Erden, dachte Steve manchmal und freute sich, dass er im Kalana-Tal Heimat und Arbeitsstätte hatte.

»Etwa um halb eins in der Nacht«, sagte David, »lag ich im Bett und las, als dieser Kerl...«- er nickte zu dem Porträt hin -»...kam und mich durchs Fenster anstarrte. Ich habe ihn aus dem Gedächtnis gezeichnet.«

»Was?«, wunderte sich Steve leicht ungläubig. »Er hat sich einfach vor Ihr Fenster gestellt und hat hineingeschaut? Er hat nicht einmal an die Tür geklopft oder dergleichen?«

»Er hat sich nicht mit Anstandsregeln aufgehalten.«

»Wer ist der Mann?«

»Er hat sich nicht vorgestellt. Er stand da und hat mich einfach mit seinen abgebrochenen Zähnen angegrinst.«

»Und Sie ließen sich das gefallen?«

»Ich fragte ihn, was er wollte, aber er sagte kein Wort und ging nach einer Weile. Und außerdem - was könnte so ein Wrack wie ich schon ausrichten?«

»Warum haben Sie nicht Louisa gerufen?«

David lächelte schmal. »Ich hätte mich sehr anstrengen müssen, damit sie mich hört, Steve. Und wozu sie erst aufschrecken? Es hätte doch nichts genützt.«

»Neben Ihrem Bett steht ein Telefon«, sagte Steve. »Sie hätten die Polizei anrufen können.«

David wählte einen orangefarbenen Stift und legte die freie Stelle an, die den Bald Hill darstellte.

»Ich habe Sie gerufen«, sagte er.

Steve fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Was soll ich denn jetzt, neun Stunden später, dagegen unternehmen?«

David zögerte.

»Steve«, begann er dann, »ich habe die Ähnlichkeit recht gut getroffen. Ich glaube zu wissen, was dem Mann widerfahren ist. Ich wette, er ist ein Bergmann, der einmal unvorsichtig mit einer Sprengladung hantiert und dabei seine Nase eingebüßt hat.«

»Sie könnten recht haben«, meinte Steve. »Aber ich frage noch einmal: Was erwarten Sie von mir? Dass ich den Mann finde und ihm eine neue Nase verpasse?«

»Finden könnten Sie ihn«, sagte David. »Ein Mann mit einem derartigen Gesicht muss leicht zu erkennen sein.«

»Dafür wäre die Polizei zuständig«, versetzte Steve. »Wenn er herumgeht und durch Fenster spioniert, ist es besser, er wird so schnell wie möglich gefunden.«

»Ich weiß gar nicht, ob er sich auch anderen Leuten außer mir gezeigt hat«, wandte David ein. Er wirkte noch immer sonderbar. »Falls er das getan hätte, wäre das in ganz Kalana bekanntgeworden, verlassen Sie sich darauf. Ich frage mich bloß, ob ich nicht - nun ja - mit Absicht ausgewählt war. Steve, ich habe das Gefühl, ich hätte ihn schon einmal gesehen, aber ich weiß nicht, wo. Es muss gewesen sein, ehe er seine Nase verlor. Und ehe ich die Rückenverletzung hatte. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn man ihn festnageln könnte. Schauen Sie sich ihn noch einmal an.«

Steve unterzog die Darstellung einer weiteren Prüfung. Hässlich und abstoßend, dachte er. Und dann stellte er staunend fest, dass sich aus dem verstümmelten Gesicht eine unbestimmte und quälende Ähnlichkeit herausbildete. Ein nasenloses Gesicht zu vergessen, war unmöglich; daher musste der Mann, wenn die Ähnlichkeit keine Illusion war, ihn an jemanden erinnern, den er kannte. Er warf David einen Blick zu. Der Invalide machte eine merkwürdige Miene. Das ist Angst, dachte Steve, eine Art abergläubische Angst.

Das führte ihn zu der Überlegung, ob David ihm alles gesagt hatte, was er wusste oder vermutete. Daraufhin musste er an Davids Geschichte denken. Weil er sich in Carricks Bergwerk Alter Tunnel das Rückgrat gebrochen hatte, hatten sich die Carricks seiner angenommen. Das Häuschen war von Carricks Gnaden sein Eigentum; sie zahlten Louisas Gehalt und beglichen alle seine Rechnungen; sie hatten den Rollstuhl angeschafft und auch den motorisierten Krankenfahrstuhl, in dem er sich durch die Gegend bewegte. Alles, was das Leben eines Invaliden erleichtern kann, hatten die Carricks getan.

»An wen erinnert Sie dieser Mensch?«, fragte Steve.

David gab keine Antwort, denn in dem Moment kam der Carrick'sche Rolls-Royce durch das Carrick'sche Einfahrtstor. Der große Wagen, staubig und mit den Spuren einer langen Fahrt, zischte mühelos die steile Zufahrt hinauf und blieb auf der mit Steinplatten belegten Terrasse vor dem Carrick-Haus stehen.

»Wer war verreist?«, erkundigte sich Steve, der den Nasenlosen vorübergehend vergaß.

»Alfred fuhr vergangenen Mittwoch nach Sydney«, sagte David.

Steve sah Alfred aussteigen, einen schmucken, braunbärtigen Mann von zweiundvierzig Jahren. Auf der anderen Seite stieg ebenfalls jemand aus. Dann öffnete sich die Haustür.

Als erster erschien Alfreds magerer, strenger Bruder, der in den Adelsstand erhobene Luther Carrick, Parlamentsmitglied und Minister ohne Geschäftsbereich in der Australischen Bundesregierung. Hinter Luther kam seine Mutter, die alte Elinor, groß, massiv und äußerst würdevoll. Als dritte trat Joanna heraus, Luthers und Alfreds blonde, ziemlich hübsche Schwester. Ihr Ehemann, der Jurist Jackson Hutt, war nicht anwesend. Anne Carrick auch nicht. Indes, überlegte Steve, man kann nicht erwarten, dass eine obskure Cousine zweiten oder dritten Grades, die als Elinors Gesellschafterin fungierte, an etwas teilnahm, was jetzt einem Staatsempfang glich.

Zum Dreinschlagen!, dachte Steve. Je mehr es ihm gelang, Anne zur Heirat mit ihm zu überreden, desto besser für seinen Seelenfrieden.

Die drei bewegten sich zum Wagen, und Alfreds Begleitperson trat ins Blickfeld.

David sagte: »Na, das ist ja etwas ganz Feines!«

Steve starrte hin und hatte das Gefühl, als hätte er einen Tritt in die Magengrube bekommen. Dora Leigh! Es war unmöglich, und doch ließ sich das gelbe Haar, die üppige Figur und der wiegende Gang nicht verkennen, wenn es auch vier Jahre her war, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte.

»Ich würde mir kein Urteil erlauben«, sagte er mit beherrschter Stimme. Den Nasenlosen hatte er jetzt völlig vergessen. Wie, um Himmels willen, kam Dora Leigh dazu, Gast der Carricks zu sein?

David meinte trocken: »Die Dame mag ja eine Million kosten, aber ihr Empfang ist keinen Pfifferling wert. Schauen Sie Elinor an.«

Mrs. Carrick verhielt sich wie unter dem Ansturm eines abscheulichen Geruchs. Die anderen standen in steifer, unnatürlicher Haltung da. Alfred äußerte sich kurz - Steve hörte förmlich seinen Sprachfehler; er lispelte nämlich, was sich besonders bemerkbar machte, wenn er erregt war. Dora äußerte sich noch kürzer. Luther hatte auch etwas zu sagen und bediente sich dabei langsamer, großer Gesten, als hielte er eine Rede im Parlament. Dann standen alle schweigsam und finster im Kreis herum.

Die Spannung wurde gebrochen, als Joanna David und Steve erblickte und ihnen zuwinkte. David winkte zurück. Steve spürte, wie Dora ihn anstarrte, und bekam ein heißes Gesicht. Er war sich seines roten Haares und des großen, starken Körpers bewusst, der auf Davids kleiner Veranda doppelt mächtig wirkte. Er dachte schon, sie würde als nächstes durch den Garten angesaust, kommen und ihn freudig begrüßen, und was sollte er dann tun? Aber die Heimsuchung blieb ihm dadurch erspart, dass Luther sich abrupt umdrehte und der Versammlung auf der Terrasse ins Haus voranging. Die unangenehme Begegnung musste jedoch früher oder später erfolgen, darüber war sich Steve im Klaren.

 

Doras Ankunft erfolgte am Samstag, dem 26. März - in Australien ist um diese Zeit Herbst -, genau eine Woche vor der Eröffnung des Festes Alte Heimat Kalana, dessen verborgenes Thema lautet: Lobpreisung der wundervollen Carricks. In den darauffolgenden Tagen wurden in der Stadt, unter Alfreds Anleitung, der die ganze Schau organisierte, emsig Flaggen, Banner, bunte Lichter und Plakate und Spruchbänder angebracht, auf denen die ehemaligen, aus Anlass des Festes wiedergekehrten Einwohner willkommen geheißen wurden.

Bei all dieser Betriebsamkeit gelang es Steve, den Carricks aus dem Wege zu gehen. Am Freitagnachmittag öffnete seine Haushälterin die Tür zu seinem Sprechzimmer und meldete: »Eine Dame möchte zu Ihnen, Doktor.«

Dora wogte herein. Ihre grünen Augen blickten sanft und klar, und ihr Parfüm überlagerte den sauberen, sterilisierten Geruch des Raumes. Sie nahm Platz, schlug die eleganten Beine übereinander und sagte: »Ich dachte mir, es könnte nur einen rothaarigen Doktor Steve Griffin in der Gegend geben.«

Ihre Stimme war honigweich und rauchig. Von dem Hütchen bis zu den braunen Krokodillederschuhen strahlte sie schwelgerische Weiblichkeit aus. Sie trug ein graues, wie angegossen sitzendes Kostüm, das ihre Formen genau nachzeichnete. Sie sah wie ungefähr zwanzig aus. In Wirklichkeit war sie zehn Jahre älter.

»Es gibt auch nur eine Dora Leigh«, entgegnete er und bezog Verteidigungsstellung hinter seinem Schreibtisch.

»Du weißt immer so hübsche Sachen zu sagen.« Sie musterte ihn unverhohlen. »Das warst doch du letzten Samstag auf der Veranda des Häuschens unterhalb des Carrick-Hauses, nicht?«

»Ja.«

Sie lächelte ihn an.

»Ich habe den Carricks nicht verraten, dass wir alte Freunde sind«, nahm sie wieder auf. »Sie können sich wundern, warum du dich ferngehalten hast. Sie halten große Stücke auf dich, Steve. Sie ziehen dich dem anderen Arzt in Kalana vor.«

Steve dachte: Armer Rowley. Es war Dr. Rowleys Pech, dass er ein Zugereister war, Steve hingegen ein Einheimischer. Er war hier geboren worden, und sein Vater war vor ihm hier Arzt gewesen.

»Nett von den Carricks«, sagte er.

»Kommst du heute Abend zu diesem Dinner?«

»Zu was für einem...«

Dann erinnerte er sich an die formelle Einladung zu einer Dinner-Gesellschaft im Carrick-Haus, die er vor einer Woche, wenn nicht vor noch längerer Zeit erhalten hatte. Auf die Rückseite der Karte hatte Alfred geschrieben:

 

Sie müssen kommen. Es ist nur eine kleine Familienparty, aber wir sind beleidigt, wenn Sie nicht erscheinen.

 

Obwohl Rowley ein netter Mensch war, hatte er keine Einladung bekommen.

»Ja, ich glaube schon«, sagte er düster.

»Ich habe nichts dagegen«, meinte Dora daraufhin, »solange du dich anständig benimmst. Das gleiche gilt für alle anderen zukünftigen Gelegenheiten.«

»Du hast anscheinend vor, längere Zeit hierzubleiben«, knurrte er.

Sie zog den rechten Handschuh aus und betrachtete ihre scharlachroten Fingernägel. Wie eine Tigerin, die die Krallen zeigt, musste er denken. Dann warf sie ihm unter den langen Wimpern hervor einen spähenden Blick zu.

»Würde dir das etwas ausmachen?«

»Mir wäre es lieber, wenn unsere gute Luft nicht verpestet würde.« Ihr Mund wurde schmal. »Du willst dich also mit mir anlegen.«

»Das möchte ich eben vermeiden«, gab Steve achselzuckend zurück.

»Ich verstehe dich sehr gut«, sagte sie mit einem brüchigen Lächeln. »Ich versuche dir klarzumachen, dass alles nur von dir abhängt.«

»Du sprichst in Rätseln.«

Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln. »Was bedeuten dir die Carricks?«

Er hätte gar zu gern gewusst, was sie im Sinne hatte.

»Ich finde die Carricks sehr sympathisch«, erwiderte er, und das war eine ehrliche Antwort, trotz Elinors Schrullen, Luthers Überspanntheit und Alfreds weltmännischem Getue. In ihrer selbst- auferlegten Rolle als Kalanas erste Familie verursachten die Carricks keinerlei Schaden, im Gegenteil, sie stifteten eine ganze Menge Gutes.

»Besonders die kleine arme Verwandte, wie?« stichelte Dora. »Keine gehässigen Vergleiche, bitte«, sagte Steve. »Willst du nicht lieber zur Sache kommen?«

»Würde es dir Kummer bereiten...« - sie schlug sich mit dem abgestreiften Handschuh in die Hand - »...die Carricks ruiniert zu sehen?«

»Wovon redest du eigentlich?«

»Du hast mich gehört.« Etwas Bedrohliches lugte jetzt aus den grünen Augen. »Möchtest du sie gern ruiniert sehen?«

»Ach, sei nicht albern!«

»Es kommt also ganz auf dich an.«

Steve sagte ungeduldig: »Das hast du schon einmal betont. Möchtest du mir gefälligst den Sinn dieser Worte klarmachen?« Ein metallischer Klang schwang in ihrer Stimme mit.

»Ich meine folgendes: Man findet, dass man - äh - alte Geschichten aufdecken muss - und das bedeutet das Ende der Carricks und ihrer Position, ihres Reichtums und alles anderen. Kapiert, lieber Steve?«

Er sagte: »Was kann ein solches Flittchen wie du den mächtigen Carricks anhaben?«

»Wie kommt ein Flittchen wie ich dazu, Gast bei den mächtigen Carricks zu sein?«, konterte sie.

Auf diese unleugbare Tatsache wusste er nichts zu antworten.

Sie fuhr fort: »Ich gestehe offen, dass ich ziemlich überrascht, ja sogar erschrocken war, Doktor Steve Griffin in Kalana und als einen Freund der Carricks zu finden. Zuerst hatte ich vor, dir mit einer Masche zu kommen und zu sagen, die alten Zeiten seien vorbei, ein neues Blatt aufgeschlagen. Aber Ehrlichkeit ist immer noch das Beste. Ich habe die Carricks so in der Hand, Steve.« Sie hob die bloße Hand und ballte sie zusammen. »Jawohl, die großen, mächtigen Carricks! Wenn du den größten Skandal heraufbeschwören möchtest, den es hier je gegeben hat, brauchst du dich nur einzumischen, und die Carricks werden für alle Zeiten verschwinden.«

»Was für Unsinn!«

»Mit anderen Worten«, sprach sie weiter, »wenn du den Carricks sagst, was du von mir weißt - oder von mir zu wissen glaubst, erzähle ich der ganzen Welt die Wahrheit über die Carricks. Glaub mir, Steve, sie werden dich ewig dafür hassen. Du weißt doch, wie Jacob junior starb?«

»Natürlich. Mein Vater hat ihn behandelt.«

Dora machte große Augen. »Dein Vater war auch hier Arzt?«

Steve nickte kurz.

»Wo ist er jetzt?«

Steve sagte: »Falls es dich etwas angeht, was ich bezweifeln möchte - mein Vater ist kürzlich in den Ruhestand getreten. Er befindet sich mit meiner Mutter auf einer Weltreise.«

»Wie nett!«, meinte Dora. »Na, du jedenfalls solltest wissen, wie Jacob junior starb.«

Steve dachte wütend, dass das Ende Jacob juniors keinen Anhaltspunkt für Erpressung bot. Nachdem er der Trunksucht verfallen war, in deren Verlauf er, wie behauptet wurde, fast das Familienvermögen durchgebracht hatte und von Elinor und den Kindern verlassen worden war, hatte er einen Schlaganfall erlitten und war achtzehn Monate lang gelähmt und des Sprechens unfähig dagelegen, bevor er starb. Diese Tatsachen waren allgemein bekannt. Doch Steve entsann sich, dass Dora immer den Beweis für die Richtigkeit ihrer Worte beibringen konnte. Das war in der Vergangenheit ihre Rettung gewesen.

»Außerdem«, fuhr sie fort, und ihre grünen Augen glänzten wieder klar und sanft, »möchtest du bestimmt vermeiden, dass die guten Leute von Kalana ihren geschätzten jungen Doktor Griffin mit scheelen Blicken betrachten, ganz zu schweigen von des jungen Doktor Griffin abwesenden Eltern.« Sie stand auf und streifte den Handschuh über. »Wir sehen uns heute Abend. Übrigens, falls sich jemand dafür interessieren sollte: Ich habe dich wegen einer schmerzhaften Sehnenentzündung im rechten Arm konsultiert. Du hast heiße Umschläge und Stillhaltung des angegriffenen Gliedes verordnet.«

Er folgte ihr zur Tür und fragte: »Darf man erfahren, wie du die Carricks kennengelernt hast?«

Sie wandte sich ihm zu, musterte ihn kurz und begann zu lachen, leise, sprudelnd, amüsiert. Er hatte eine ganze Zeitlang gebraucht, dieses Lachen richtig einschätzen zu lernen.

»Eine gemeinsame Bekannte hat mich ihnen vorgestellt«, sagte sie. »Harriet Bray. Die liebe Harriet! Du solltest Luther oder Alfred nach ihr fragen. Eine großartige Person.«

Sie ging lachend hinaus. Er sah ihr nach, wie sie auf dem grasbewachsenen Rand der Straße dahinschritt, bis sie hinter der Biegung auf (Jena Dead Horse Hill verschwand. Sie war nicht nur schön, sondern auch gefährlich, aber ihm konnte sie nichts anhaben. Doch dann fiel ihm ein, dass es immer Leute gab, die bereit waren, jede Verleumdung als absolute Wahrheit hinzunehmen, sogar in einer so abgelegenen Ansiedlung wie Kalana. Trotz des warmen Herbstsonnenscheins fröstelte ihn.

 

Eine Stunde später bekam er abermals Besuch. Diesmal trat ins Sprechzimmer Anne Carrick. Sie bot in scharlachrotem Pullover und braunem Rock einen höchst erfreulichen Anblick. Sie hatte einen reizenden, ausdrucksvollen Mund. Ihr glattes, dunkles Haar war im Nacken zu einem Knoten zusammengefasst, und ihr Teint war klar und jugendfrisch. Steve dachte: Das ist das richtige Mädchen für mich, und es wird Zeit, dass sie das einsieht.

Sie sagte: »Steve, bilde ich mir etwas ein, oder hast du das Carrick-Haus wirklich gemieden?«

»Um Gottes willen!«, rief er aus. »Wie kommst du auf die Idee?«

Ihre grauen Augen sprachen von sonderbaren Vermutungen.

»Wahrscheinlich bin ich albern«, sagte sie. »Aber du weißt, wie das ist. Wenn etwas schiefgeht, glaubt man gleich, alles sei Teil eines unheimlichen Plans. Tendenz zur Geisterseherei, wie? Aber es stimmt wirklich etwas nicht. Du weißt doch, dass eine Person namens Leigh bei Carricks zu Gast ist?«

Er nickte mit ausdrucksloser Miene.

Anne sprach weiter: »Alfred hat sie letzten Samstag hergebracht. Steve, wer ist sie? Was ist sie?«

»Warum fragst du ausgerechnet mich?« Er fühlte sich unbehaglich unter ihrem forschenden Blick.

»Ja, es ist dumm von mir, aber ich möchte wissen, wer sie ist und was sie hier tut. Denn ich halte Dora Leigh für eine durch und durch schlechte Person. Ich muss mit einem vernünftigen Menschen über die Vorgänge sprechen. Ich kann es nicht länger für mich behalten.«

Er sagte sich, dass Doras Besuch bei ihm in einer kleinen Stadt wie Kalana nicht lange verborgen bleiben konnte, und dass Dora, der wenig entging, ihm die Initiative überlassen hatte.

»Ich kenne die Dame flüchtig«, erklärte er. »Sie kam mich heute Nachmittag besuchen.«

»Dich!«, rief Anne, erstaunt und ziemlich beunruhigt.

»Vergiss nicht, dass ich Arzt bin.«

»Ach so!« Falls Neugier sie bestürmte, dann unterdrückte sie sie vollkommen. »Am besten ist, ich erzähle dir alles. Diese Miss Leigh kommandiert im Carrick-Haus, als gehörte es ihr. Sie erteilt Anweisungen, alle müssen nach ihrer Pfeife tanzen. Und was für einen Ton sie an sich hat! Ausgesprochen beleidigend. So in dem Stil: Du parierst auf der Stelle, oder du wirst es bereuen. Steve, sie ist eine böse Person.«

»Wie reagieren die Carricks darauf?«

Anne machte eine Geste, die der Ratlosigkeit entsprang.

»Steve, sie lassen es sich gefallen, und das ist etwas Erschreckendes. Elinor huscht umher wie ein verängstigtes Kaninchen. Luther zuckt zusammen, wenn die Leigh den Mund aufmacht. Alfred ist wie hypnotisiert. Nur das Personal rebelliert. Mrs. Nightingale, die Wirtschafterin, spricht von Kündigung, und sie ist seit Jahren bei den Carricks angestellt. Weißt du, ich habe den Verdacht, dass Dora Leigh von den Carricks Geld bekommt.«

Er war stark versucht, ihr alles zu erzählen, was er wusste, bis - er sich an Doras Warnung erinnerte.

»Was halten die Hutts davon?«, fragte er.

»Ich komme gerade von ihnen«, sagte Anne. »Joanna will über die Angelegenheit nicht reden, aber Jackso ist der Ansicht, jemand sollte einen Knüppel nehmen, Dora Leigh den Schädel ein- schlagen und sie in einen alten Bergwerksschacht werfen.«

Steve hielt es für ein Wunder, dass ein solches oder ein ähnliches Schicksal Dora nicht schon früher ereilt hatte.

»Ein unpassender Ausspruch für einen Juristen«, bemerkte er.

Anne lächelte traurig.

»Aber typisch Jackson. Du weißt doch, dass er als Rechtsberater des Carrick-Vermögens fungiert, und an seiner Haltung glaube ich zu erkennen, dass die Leigh Geld bekommt. Du kennst ja meine vornehmen Verwandten, Steve. Mich behandeln sie von oben herab, weil ich nicht der Linie der echten Carrick'schen Pioniere entstamme, aber sie sind trotzdem gute Menschen. Es ist furchtbar, mit ansehen zu müssen, was ihnen jetzt angetan wird. Das ist Erpressung. Und vielleicht noch Schlimmeres.«

»Schlimmeres?«

»Mir ist vergangene Nacht etwas Seltsames passiert«, sagte sie, und leichtes Grauen lag in ihrer Stimme. Ihr Gesicht war blass. »Du kennst mein Zimmer im Carrick-Haus?«

Er nickte und sah im Geiste das große Steinhaus vor sich, von vorn bis hinten durch einen hohen, breiten Flur geteilt. An der Hinterfront sprang zu beiden Seiten je ein angebauter Raum vor und bildete mit der dazugehörigen Haushälfte je ein Knie. Von einem dieser Eckräume zum anderen lief um die Seiten und die Vorderfront des Hauses eine breite Veranda, und eine zweite Veranda befand sich hinten. Anne bewohnte das Eckzimmer links, von der Vorderseite des Hauses aus betrachtet.

»Von meinem Seitenfenster aus«, sagte sie, »sieht man auf den Weg hinunter, der zum Stollen des Alten Tunnel führt. Etwas weiter unten sieht man den Dead Horse Road.«

Steve nickte abermals.

Mit einem angstvollen Ausdruck in den Augen fuhr Anne fort: »Ich ging gegen elf Uhr zu Bett. Nach einer Weile weckte mich ein rasches, leichtes Pochen an das Seitenfenster. Mir war nicht ganz geheuer zumute, aber ich stand auf. Ich ging zum Fenster, und da war ein Mann gleich unter dem Sims. Er warf einen Blick auf mich - er konnte mich im Mondschein sehen - und dann rannte er wie gehetzt zur Seitenpforte und den Weg zum Alten Tunnel hinauf.«

»Was hast du gemacht?«

»Nichts.«

»Großer Gott, warum nicht?«

»Aus mehreren Gründen, Steve. Ich glaube nämlich, er war genauso erschrocken wie ich. Ich glaube, er erwartete jemand anderen zu sehen und wollte gar nicht zu mir. Ich glaube, er wollte zu Dora Leigh. Sie logiert in dem anderen Eckzimmer. Er hat sich geirrt und kam ans falsche Fenster.«

»Du schweigst also, weil du meinst, du könntest durch den Mann etwas über Dora Leigh erfahren?«

»Nein, nichts dergleichen. Ich habe Angst, über ihn zu sprechen. Das ganze Carrick-Haus ist drauf und dran zu explodieren, und ich möchte nicht diejenige sein, die den zündenden Funken auslöst.«

»Würdest du den Kerl wiedererkennen?«

Sie saß ganz still da, mit abwesendem Blick und verkrampften Händen. Bezeichnend dafür, wie sehr Dora Leigh Steves Gedanken beherrschte, war, dass er keine Ahnung hatte, was nun kam.

»Ja, ich würde ihn wiedererkennen«, antwortete Anne mit leiser Stimme. »Ich werde sein Gesicht nie vergessen. Ein dunkles, hässliches Gesicht. Und, Steve, er hatte keine Nase!«

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Die Nacht war ruhig und wolkenlos. Steve stattete dem Krankenhaus, das sich gleich neben seinem Heim befand, einen Besuch ab und entschloss sich, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er aller Voraussicht nach ein paar Stunden lang nicht durch plötzliche Todesfälle und Krankheitsausbrüche beansprucht werden würde, zu Fuß zum Carrick-Haus zu gehen. Unter dem dicken Mond ließen in einer Gießbachrinne die Bellbirds ihre glöckchengleichen Stimmen erklingen, Frösche quakten im Kalana-Teich, und ein Mopoke rief vom Dead Horse Hill. Die Pappeln längs der Straße wirkten wie zarte Radierungen.

Er schritt um die Dead-Horse-Biegung, vorbei an der Allerseelenkirche, der Stadthalle und dem Kalana-Park, und stieß gleich hinter der Vereinigung der Landstraße mit der Dead Horse Road auf das Carrick-Tor. Von da aus erblickte er die hellerleuchtete Main Street und die mit bunten Lichtern geschmückten Häuser oben auf dem Spider Hill. Er konnte das Geräusch der die Fußpfade überschwemmenden Menschen hören. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viele Besucher in Kalana gesehen zu haben. Seit zwei Tagen strömten sie per Flugzeug, Auto und Charterbus herbei.

Ein Lautsprecherwagen, der langsam auf ihn zugefahren kam, gab das Programm für das Wochenende bekannt: Morgen die offizielle Eröffnung des Festes und die Enthüllung des Denkmals für Jacob Carrick auf dem Carrick Hill durch den ehrenwerten Luther Carrick, Parlamentsmitglied. Am Abend der Masken- und Kostümball unter dem Motto Willkommen daheim; am Sonntag Gottesdienst in der Allerseelenkirche und Weihe des von der Familie Carrick zu Ehren von Jacob Vater und Jacob Sohn gestifteten bunten Kirchenfensters; am Nachmittag geselliges Beisammensein am Kalana-Teich, und am Abend Gesänge im Mondenschein auf dem Jacob’s Hill; am Montag feierlicher Umzug und sportliche Wettkämpfe und zum Abschluss die Schatzsuche in Carricks Bergwerk Alter Tunnel, Schätze gestiftet von Mr. Alfred Carrick.

Also eine einzige Carrick-Schau.

Steve durchschritt den Torweg und ging die steile Zufahrt hinauf. Er merkte, dass ihm jemand entgegenkam, der noch hinter der Wegbiegung verborgen blieb. Schwere Stiefel knirschten auf dem Kies, und er hörte eine Art rauen, keuchenden Gesang. Der Sänger kam um die Kurve. Es war ein vierschrötiger, schwerer Mann, der unbekümmert vorwärts schritt.

Er erblickte Steve, und das unmusikalische Geräusch verstummte. Das Mondlicht fiel auf seine Züge, und Steves Herz begann zu hämmern. Das versengte, narbige Gesicht hatte keine Nase, nur zwei dunkle Löcher, durch die geisterhaft sein Atem pfiff.

»Gute Nacht, Doktor Griffin«, sagte er mit zischender, nasalierender Stimme, die Steve an einen gespaltenen Gaumen denken ließ. »Sie sind spät dran. Man wartet schon auf Sie.«

Steve war so überrascht, dass er den Mann lediglich anzustarren vermochte, als der an ihm vorbeistrich. Doch dann erholte er sich und setzte dem Mann nach.

»He, Sie!«, rief er. »Wer sind Sie denn überhaupt?«

Der Nasenlose, der sich mit erstaunlicher Schnelligkeit bewegte, sprang seitwärts in den Schatten eines Baumes und schlug sich dann durch ein Dickicht von Rhododendronbüschen. Danach hörte man Draht schwirren, als er sich über den Zaun oberhalb der Dead Horse Road schwang. Und dann war es still.

Steve blieb mit dem bedrückenden Gefühl zurück, entweder den Mann zu kennen oder jemanden, der ihm ähnelte. Dann erhob sich ein anderer Gedanke. Wo konnte sich ein so auffallender Mensch wie der Nasenlose in Kalana verbergen?

Alfred Carrick stand in der Halle. Er sah in seinem weißen Smoking wie ein modern gekleideter König Eduard VII. aus. Er strömte einen aus Whisky, Zigarrenrauch und Haaröl zusammengesetzten Duft aus.

»Steve«, sagte er mit seiner Lispelstimme, »wir dachten schon, Sie kämen nicht mehr. Die Getränke warten auf Sie. Kommen Sie, bedienen Sie sich.«

Er komplimentierte Steve in den Salon, einen mit einem ungewöhnlichen Durcheinander von Möbeln, Zierat, Nippes und den mannigfachsten Kunst- und Kitschgegenständen angefüllten Raum, Da gab es ein Stück goldgefleckten Quarzes, angeblich das erste Gold, das im Jahre 1873 aus dem Alten Tunnel gewonnen wurde, eine Unmenge Krimskrams, Statuetten und Ölbilder und einen Satz von vier polierten schwarzen Hufen, die Überreste von Captain, dem berühmten Hengst von Jacob Carrick senior. Riesige Wandspiegel erhöhten noch den Trödelladeneffekt und warfen ihn bis ins Unendliche zurück.

---ENDE DER LESEPROBE---