GEFALLEN WIE LUZIFER - Sidney H. Courtier - E-Book

GEFALLEN WIE LUZIFER E-Book

Sidney H. Courtier

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Sechs Jahre nach dem Brand von Paladin Valley kommt Stewart Hamilton von der Busch-Polizei in das menschenleere australische Tal. Hamilton durchsucht die Ruinen und das verwüstete Gebiet. Die Zeugen sind stumm, doch sie reden in ihrer eigenen Sprache von Verbrechen, Sittenlosigkeit und Mord...    Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein Roman  GEFALLEN WIE LUZIFER erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971.  Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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SIDNEY H. COURTIER

 

 

Gefallen wie Luzifer

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

GEFALLEN WIE LUZIFER 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Das Buch

 

Sechs Jahre nach dem Brand von Paladin Valley kommt Stewart Hamilton von der Busch-Polizei in das menschenleere australische Tal.

Hamilton durchsucht die Ruinen und das verwüstete Gebiet. Die Zeugen sind stumm, doch sie reden in ihrer eigenen Sprache von Verbrechen, Sittenlosigkeit und Mord...

 

Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein Roman Gefallen wie Luzifererschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1971. 

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

 

 

 

  GEFALLEN WIE LUZIFER

 

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Es war ein schwerer Schock für mich, als ich erfuhr, dass Pat Carruthers bei dem Buschbrand in Paladin Valley ums Leben gekommen war. Immer wieder sah ich ihn vor mir, wie er nach Port Moresby kam, um zwei Jahre lang in einer Eingeborenenschule zu unterrichten. Einundzwanzig Jahre alt, groß und stämmig, mit grauen Augen, einem sommersprossigen Gesicht und einer spitzen Nase. Nie würde ich vergessen, wie er lausbubenhaft lächelte, als wir auf dem Flugplatz von Moresby einen letzten Händedruck wechselten.

Ich weiß nicht, was er von mir gehalten hat, denn wir haben nie über unsere Gefühle zueinander gesprochen. Ich jedoch habe viel über ihn nachgedacht. Er besaß zwei charakteristische Eigenschaften: Alles, was er unternahm, tat er mit Begeisterung - ganz gleich, ob er Berge bestieg, Papuakinder unterrichtete oder auf die Regierung schimpfte. Und er war der ideale Gefährte. Man fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft. Mit ihm konnte man bei einem Glas Bier leidenschaftlich diskutieren; man konnte aber auch schweigend, die Angelrute in der Hand, gemeinsam auf einer Klippe sitzen. Und man konnte ihn, ohne sich seiner schämen zu müssen, mit nach Hause nehmen. Doch dazu sollte ich keine Gelegenheit mehr haben.

Er starb nicht allein. Neun Menschen kamen bei dem Inferno, das an einem heißen Februartag Paladin Valley vernichtete, ums Leben. Obwohl ich die anderen Bewohner des Tals niemals kennenlernte, hatte ich doch eine ziemlich genaue Vorstellung von ihnen.

Mein Wissen stammte aus den Briefen, die mir Carruthers schrieb, nachdem er nach Victoria zurückgekehrt war und die Schule von Paladin Valley in East Gippsland übernommen hatte. Beim Abschied auf dem Flugplatz vereinbarten wir, uns regelmäßig zu schreiben. Und dieses Versprechen hielten wir auch. Carruthers war der fleißigere Schreiber. Dies lag allerdings daran, dass ich als Angehöriger der Buschpolizei oft tagelang unterwegs war. Carruthers' Briefe trafen pünktlich jede Woche ein, auch wenn ich schon länger nichts mehr von mir hatte hören lassen. Er war ein leidenschaftlicher Amateurfotograf und legte seinen Briefen häufig Aufnahmen von Paladin Valley und dessen Bewohnern bei.

Eines Tages hoffte ich alles mit eigenen Augen zu sehen, denn ich hatte versprochen, während meines nächsten Urlaubs einige Wochen in Paladin Valley zu verbringen. Aber Carruthers' Tod machte unsere Pläne zunichte, und ich hätte wohl diese Gegend nie kennengelernt, wenn mir nicht vier Jahre später einige seltsame Dinge zu Ohren gekommen wären.

Eines Tages traf ich einen Kollegen namens Thompson, der gerade seinen Urlaub auf dem Festland verbracht hatte. Im Laufe unseres Gesprächs fiel der Name Carruthers. Thompson erzählte mir, Carruthers sei zusammen mit den anderen Opfern der Katastrophe auf dem Friedhof von Trosbo beigesetzt worden. Das war mir bereits bekannt. Neu war mir hingegen, dass zwei Männer noch immer vermisst wurden, obwohl man nach Verlöschen des Buschbrandes zwei Wochen lang intensiv nach ihnen gesucht und auch in den folgenden Monaten die Suche nicht aufgegeben hatte.

Bei den beiden Männern handelte es sich um Wallace Shelton und Saul Leguier. Ihre Namen waren mir aus Carruthers' Briefen geläufig, und anhand der übersandten Fotos konnte ich mir auch ein Bild von ihrem Aussehen machen. Shelton war der Eigentümer der Viehstation von Paladin Valley gewesen und Leguier sein Manager. Carruthers hatte mir vorgeschlagen, während meines Urlaubs bei den Sheltons im Herrenhaus zu wohnen. Er selbst bewohnte dort ein Zimmer, für das Shelton allerdings keine Miete nahm.

Ich konnte nicht begreifen, dass man von Shelton und Leguier keine Spur entdeckt hatte. Das Feuer habe mit unvorstellbarer Gewalt gewütet, gab Thompson zu bedenken. Dicke Baumstämme hätten tagelang gebrannt. Es könnte also durchaus sein, dass die Leichen völlig eingeäschert wurden. Ferner bestünde die Möglichkeit, dass die Gebeine unter den Knochenbergen begraben waren, die noch immer an der Südwand des Tales lagen, wo Sheltons Rinderherde von den Flammen vernichtet wurde.

Verwundert fragte ich, warum die Knochenberge noch nicht beseitigt worden seien, und Thompsons Antwort verblüffte mich. Nach dem Buschbrand war niemand nach Paladin Valley zurückgekehrt - auch kein Mitglied der Familie Shelton, der die Viehstation noch immer gehörte.

Nun war es nicht ganz richtig, wenn Thompson von der Familie Shelton sprach. Aus Carruthers' Briefen wusste ich, dass es nur zwei Sheltons gab: Wallace, der seit dem Brand vermisst wurde, und seine Tochter Harriet. Sheltons Frau Helen war kurz nach Harriets Geburt gestorben.

Ich ging auf diesen Punkt nicht weiter ein. Wichtig war allein, dass mich die Unterhaltung mit Thompson veranlasste, noch einmal Carruthers' Briefe zu lesen. Vielleicht hatte ich in den Jahren, die inzwischen vergangen waren, ein anderes Verhältnis zu den Dingen bekommen. Jedenfalls erschienen mir manche Vorkommnisse, die ich seinerzeit als menschliche Schwächen abgetan hatte, jetzt plötzlich als Anzeichen dafür, dass in Paladin Valley - und sogar mit Carruthers selbst - nicht alles in bester Ordnung gewesen war. So wuchs mein Verlangen, mich einmal persönlich in Paladin Valley umzusehen.

Dieser Entschluss ließ sich allerdings nicht so leicht verwirklichen, denn ich konnte frühestens in neun Monaten Urlaub nehmen. Außerdem wollte ich das Tal zu dem Zeitpunkt kennenlernen, zu dem der Brand ausgebrochen war - also im Sommer. Nun war es nicht einfach, das zu arrangieren. Australier, die in den Tropen leben, reisen nicht gern im Winter nach Süden. Deshalb gab es viele Kollegen, die ihren Urlaub ebenfalls in der heißen Jahreszeit nehmen wollten.

Auf diese Weise vergingen volle zwei Jahre, bevor ich mein Vorhaben ausführen konnte. Doch ich wusste die Zeit gut zu nutzen. Obwohl ich unter den Papuas im Urwald von Neuguinea lebte, gelang es mir, erstaunlich viele Fakten über die Brandkatastrophe zusammenzutragen. Ein Archiv in Melbourne versorgte mich mit Zeitungsartikeln, Augenzeugenberichten, den Aussagen der Überlebenden und dem offiziellen Bericht der Untersuchungskommission. Außerdem erhielt ich das Protokoll der Gerichtsverhandlung, die vier Monate nach dem Brand stattgefunden hatte.

Die Firma Trist & Co., eine Privatdetektei in Melbourne, beschaffte mir Informationen über die Überlebenden. Man schichte mir auch die Messtischblätter von Paladin Valley, so dass ich die Lage jedes einzelnen Gebäudes im Tal genau feststellen konnte. Nicht nur das Herrenhaus, Wohnhäuser, Gemischtwarenhandlung, Werkstätten, Sprengstofflager, Hangar und Schule waren eingetragen, sondern auch Wege, Zäune, Tennisplätze, Swimming-Pool und Feuerschutzräume.

Je mehr ich mich in das umfangreiche Material vertiefte, umso größer wurde mein Unbehagen. Ich entdeckte Widersprüche, sowohl über den Ausbruch des Brandes als auch über die folgenden Ereignisse. Selbst über die Frage, wo sich jeder einzelne bei Brandausbruch aufgehalten hatte, bestanden Unstimmigkeiten. Nur wenige Augenzeugen waren über den Gang der Ereignisse einer Meinung. Nach gründlichem Studium aller Unterlagen hatte ich den Eindruck, dass der Brand mindestens an zwei Stellen gleichzeitig ausgebrochen sein musste.

Natürlich gab es dafür eine einleuchtende Erklärung: Auch dem kaltblütigsten Beobachter mussten Irrtümer unterlaufen, wenn er sich inmitten eines Orkans aus Rauch und Flammen in höchster Lebensgefahr befand. Aber die Widersprüche in den Aussagen und gewisse Andeutungen in Carruthers' Briefen bestärkten mich in der Vermutung, dass Paladin Valley nicht nur einer Naturkatastrophe zum Opfer gefallen war.

Immer wieder las ich Carruthers' Briefe, studierte Fotos und Dias, bis mir jede Einzelheit vertraut war.

Ich besaß zwei Briefe, die nicht von Carruthers stammten. Den einen hatte seine Mutter geschrieben:

 

Lieber Mr. Hamilton,

für Ihre tiefe Anteilnahme möchte ich Ihnen aufrichtig danken. Pats Tod hat uns sehr erschüttert. Der Junge steckte so voller Tatendrang, er war so lebensfroh, dass wir es nicht fassen können, ihn nie wiederzusehen. Am Wochenende lausche ich oft, ob nicht sein alter Wagen den Zufahrtsweg heraufgerattert kommt.

Sie und Pat müssen vieles gemeinsam gehabt haben. Wie oft hat er uns von seinem Freund Stewart Hamilton erzählt! Und wenn er uns seine Bilder aus Neuguinea zeigte, sahen wir auch Sie, und so wurden Sie unser Freund. Ich hoffe, Sie werden uns eines Tages besuchen.

Wir sind völlig gebrochen. Trotzdem danke ich Ihnen für Ihre Anteilnahme.   

Freundliche Grüße

Mary Carruthers

 

Im zweiten Brief stand:

 

Sehr geehrter Mr. Hamilton,

ich schreibe im Auftrag von Miss Harriet Shelton, um Ihnen für die mitfühlenden Worte zu danken, die Sie aus Anlass des Todes ihres Vaters, Wallace Shelton, gefunden haben. Sie werden gewiss Verständnis dafür aufbringen, dass Miss Shelton noch nicht in der Lage ist, Ihnen persönlich zu schreiben.

Wir hatten uns alle darauf gefreut, Sie kennenzulernen. Doch nun ist auch Pat Carruthers aus unserer Mitte gerissen worden, und aus Ihrem geplanten Besuch wird nichts mehr. Harriet hofft, dass Sie vielleicht bald einmal nach Melbourne kommen. Es wäre schön, wenn Sie uns bei dieser Gelegenheit aufsuchen würden. Pat hat uns viel von Ihnen erzählt.

Freundliche Grüße

Adam Quintry

 

Anhand des Materials, das ich zusammengetragen hatte, machte ich mir über Adam Quintry folgende Notizen:

1. Quelle: Carruthers' Briefe und Fotos.

Quintry war Sheltons Buchhalter, möglicherweise auch dessen Teilhaber. Alter ungefähr 32 (bei Brandausbruch). Dunkelhaarig, groß, kluges Gesicht. Häufig in Melbourne, wo er sich um Wallace Sheltons umfangreiche Investitionen kümmerte.

2. Quelle: Trist & Co., Privatdetektei.

Shelton setzte testamentarisch Adam Quintry und Saul Leguier bis zum 23. Geburtstag seiner Tochter zu seinen Vermögensverwaltern ein. Da Leguier seit dem Brand vermisst wird, ist Quintry alleiniger Vermögens Verwalter. Kommt seiner Aufgabe in vorbildlicher Weise nach, denn trotz der Verluste durch die Brandkatastrophe wächst das Vermögen an. Allen Bewohnern des Tals wurden die durch das Feuer verursachten Verluste ersetzt. Quintry genießt in Melbourne guten Ruf. Hervorragende Finanzlage. Verlobte sich kürzlich mit Harriet.

 

Beim Studium meiner Notizen fragte ich mich, ob dies der Grund war, weshalb man Paladin Valley ungenutzt ließ. Adam Quintry war ein Stadtmensch. Vermutlich sah er sich nicht in der Lage, Viehzucht zu betreiben, nachdem Shelton, der Eigentümer der Rinderstation, und sein Berater Leguier nicht mehr lebten. Shelton war ein sehr wohlhabender Mann gewesen. Weshalb also ein Vermögen für den Wiederaufbau der Viehstation investieren, wenn dazu keine Veranlassung bestand, mochte Quintry argumentiert haben. Außerdem musste er sich um die eigenen Geschäfte kümmern. Warum also für andere kostbare Zeit verschwenden?

Dies führte allerdings zwangsläufig zu zwei Fragen: Warum hatte er Paladin Valley nicht für Harriet verkauft? Und warum ließ er dieses fruchtbare Land brachliegen?

 

Am 19. Januar flog ich von Moresby nach Sydney - ein freier Mann für vier volle Monate. Zunächst verbrachte ich vierzehn Tage bei meinen Eltern. In dieser Zeit bereitete ich die Expedition nach Paladin Valley vor. Mein Vater - in seiner Freizeit ein begeisterter Buschmann - lieh mir seinen Jeep mit Vierradantrieb und seine Campingausrüstung: Zelt, Propangasofen und Lampe, Kerosinkühlschrank, Klapptisch, Stuhl, Liege, Decken und eine zusammenfaltbare Badewanne aus Segeltuch.

Ferner half er mir beim Einkauf des Proviants; wir besorgten Mehl, Salz, Zucker, Tee, Konserven, Insektenspray, einige Kartons mit Bier und Fruchtsaft und - darauf bestand mein Vater - eine Flasche Whisky. Mein Vater ist ein prächtiger Mensch. Er stellte weiter keine Fragen. Aber er riss doch überrascht die Augen auf, als er sah, dass ich außer der Kamera auch noch Carruthers' Briefe, Fotos und Dias, dazu einen batteriebetriebenen Diabetrachter, die Berichte von Trist & Co. sowie die Ordner mit den Zeitungsausschnitten einpackte. Ich hoffte, ihm nach meiner Rückkehr alles erklären zu können.

Am vierten Februar, kurz vor dem sechsten Jahrestag des Buschbrandes, fuhr ich über den Princes Highway nach Süden. Ich ließ mir Zeit und übernachtete zweimal in Motels. Am Montagmorgen - es war der sechste Februar - überquerte ich die Grenze nach East Gippsland. Der Tag war ungewöhnlich heiß, und im Radio wurden die Musiksendungen laufend durch eine amtliche Bekanntmachung unterbrochen. Wegen erhöhter Brandgefahr sei es ab sofort verboten, im Freien Feuer zu machen.

Kein Windhauch regte sich; ich hoffte, in Paladin Valley eine Hütte oder eine Ruine zu finden, in der ich abkochen konnte, ohne zwei Jahre Gefängnis zu riskieren. Ich rechnete allerdings nicht damit, in dem einsamen Tal beobachtet zu werden.

Sechzig Meilen jenseits der Grenze zog ich die Straßenkarte zu Rate. Ich bezweifelte, dass die Abzweigung nach Paladin Valley durch einen Wegweiser gekennzeichnet war, denn es handelte sich nur um einen Buschpfad. Zu meinem Erstaunen fand ich doch einen Wegweiser, allerdings mit dem Hinweis, dass der Weg nur für Fahrzeuge mit Vierradantrieb geeignet sei.

Nachdem sich der Jeep zwei Meilen weit gequält hatte, kam ich zu der Überzeugung, dass dieser Buschpfad für keinerlei Fahrzeug geeignet war. Mir blieb jedoch nichts weiter übrig, als weiterzufahren, denn laut Karte zweigte die einzig brauchbare Straße nach Paladin Valley ungefähr hundert Meilen weiter westlich vom Snowline Highway ab, und um dorthin zu gelangen, hätte ich sonst einen Umweg von 220 Meilen machen müssen.

Zwei Stunden lang kroch ich bei brütender Hitze über raue Bergketten westwärts. Zwischen bewaldeten Hängen bog der Pfad nach Norden ab und vereinigte sich mit einer aus Westen kommenden Straße. Dies musste die Landstraße sein, die vom Snowline Highway abzweigte und auf der Karte als gut bezeichnet war. Die Fahrbahn wurde tatsächlich etwas besser, dafür die Steigung halsbrecherisch. Ich konnte nur noch im ersten Gang fahren und kam schließlich zu einer Passhöhe, hinter der die Straße wieder abfiel. Es wurde Zeit, den Motor abkühlen zu lassen. Ich hielt deshalb im Schatten eines Baumes an und stieg aus, um mir die Gegend genauer anzusehen. Es war ein schmaler Pass. Die Straße bog nach links ab und führte am Rand einer steilen Felswand mit starkem Gefälle nach unten. Dort machte sie wieder eine Wendung nach rechts und zog sich schnurgerade durch ein breites Tal.

Ich nahm ein dickes Notizbuch aus meiner Tasche, schlug es auf und schrieb: Montag, 6. Februar, 12 Uhr 19 - Paladin Valley erreicht.

Doch Bäume und Felsvorsprünge ließen nicht viel von dem Tal erkennen. Ich steckte das Notizbuch ein, trank einen kühlen Schluck aus dem Wassersack, holte das Fernglas und kletterte auf eine Anhöhe, die sich links von mir erhob. Bevor ich dreißig Meter zurückgelegt hatte, war ich in Schweiß gebadet.

Ich kam zum Rand des Felsens. Hier gab es keine Bäume mehr. Ich wandte mich nach links und stieg mit gesenktem Blick weiter, denn ich wollte das Tal sofort in seiner vollen Ausdehnung überschauen. Nachdem ich den höchsten Punkt erreicht und einige Sekunden lang Atem geschöpft hatte, hob ich den Kopf. Von Felswänden eingeschlossen, erstreckte sich Paladin Valley mit seinen Hügeln und Senken nach Norden.

Das Tal war vierzehn Meilen lang und drei Meilen breit.

Ein Bach schlängelte sich von der Nordostecke zur Westseite, zog sodann in einem weiten Bogen nach Osten und verschwand - ungefähr eine Meile von mir entfernt - in einer Schlucht, die aussah, als sei sie unpassierbar.

Das Bachbett war ausgedörrt. Auch das Gras war trocken, und die hohen Eukalyptusbäume ließen verdurstend die Zweige hängen. Ließ man den Blick über das Tal hinauswandern, erhoben sich im Norden und Westen die bizarren Gipfel der Alpen - dunkelblau im Vordergrund, in der Ferne kaum mehr als ein vor Hitze flimmernder Lichtschleier.

Im Frühling, wenn alles grünte, wenn Akazien und Blumen blühten, glaubte man sich gewiss im Paradies. Selbst jetzt, da das Tal unter dem kobaltblauen Himmel in der Hitze brütete, war es von grandioser Erhabenheit.

Sechsunddreißig Menschen hatten hier gelebt - neun von ihnen einen schrecklichen Tod gefunden. Ich presste das Fernglas an die Augen. In der Nordostecke glaubte ich Ruinen zu erkennen. Ich sah die Straße und lange, mehrfach unterbrochene braune Linien - offensichtlich die Überreste der Zäune. Noch heute verkündeten zahllose dunkle Stellen, dass dort dicke Baumstämme wochenlang gebrannt hatten, bis nichts als ein Haufen Holzkohle übriggeblieben war.

Ich sah aber auch, dass viele Bäume den Brand überlebt hatten und andere nachgewachsen waren. Das Gras stand hoch und dicht, wenn auch gelb vor Hitze. Doch die Menschen, die in Paladin Valley gelebt hatten, besaßen diese Zähigkeit nicht. Sie waren geflohen, ohne jemals zurückzukehren.

Ich ging zum Jeep zurück, widerstand der Versuchung, noch einmal einen Schluck aus dem Wassersack zu nehmen, und fuhr im ersten Gang die steil abfallende Straße hinab. Unten angelangt, sah ich mich um. Die Straße war in die fast senkrechte Felswand gehauen. Ich hielt und holte den Ordner hervor, in dem ich Carruthers' Briefe aufbewahrte. Nach wenigen Sekunden hatte ich den gesuchten Brief gefunden.

 

»Stewart, in den Ferien bin ich nicht nach Hause gefahren. Stattdessen habe ich die Brüder Williams begleitet, die eine Viehherde nach Trosbo treiben mussten.

Du hast schon oft Trägerkolonnen auf einsamen Pfaden über den Kailala geführt. Alter Junge, das ist nichts im Vergleich zu den Brüdern Williams, wenn sie 400 Rinder über die Bergpfade treiben.

Ich selbst habe nicht viel getan. Ich folgte mit dem Proviantwagen, kümmerte mich um die Verpflegung und die Ersatzpferde. Nach drei Tagen kamen wir in Trosbo an. Wallace Shelton und Saul Leguier trafen mit dem Hubschrauber ein, um bei der Übergabe der Herde anwesend zu sein. Sie boten mir an, mit ihnen im Hubschrauber zurückzufliegen.

Vielleicht hätte ich das Angebot annehmen sollen, aber ich wollte die Brüder Williams nicht im Stich lassen. Es sind prächtige Burschen. Groß und schlank, mit dunklem Haar und grünen Augen. George ist mit 25 Jahren der älteste, dann kommt Frank und schließlich Ted, der mit 21 Jahren der jüngste der drei Brüder ist.

Nachdem die Rinder abgeliefert waren, gingen wir vier in die nächste Gastwirtschaft, um in aller Ruhe ein Glas Bier zu trinken. In aller Ruhe? Ich bemerkte zwar, dass uns die Einheimischen scheel ansahen, achtete aber nicht weiter darauf, bis Frank aufstand und eine Tüte Pfefferminzbonbons kaufte - allerdings nicht zum Lutschen. Wenn einer der Gäste das Glas an den Mund setzte, um zu trinken, warf Frank ein Bonbon, während George und Ted rasch eine Wette abschlossen.

Das Pfefferminzbonbon sollte in dem Augenblick im Glas landen, in dem der Betreffende sein Bier trinken wollte. Das Resultat kannst du dir gewiss vorstellen. Nach dreißig Sekunden war die schönste Rauferei im Gange. Jetzt verstand ich, warum die Einheimischen George, Frank und Ted so misstrauisch gemustert hatten, als wir das Lokal betraten.

Möchtest du wissen, was ich getan habe? Nun, man muss zu seinen Kameraden halten, und so prügelte der ehrenwerte Schulmeister kräftig mit. Nachdem wir den Schankraum leicht ramponiert hatten, ging die Rauferei vor dem Lokal weiter. Und dann erschien die Polizei.

Doch George, Frank und Ted hörten deshalb noch lange nicht auf. Ich Dummkopf musste natürlich auch jetzt noch mitmischen. Schließlich sperrte man uns ein, und am nächsten Morgen wurden wir dem Richter vorgeführt.

Glücklicherweise war dieser Gentleman - er hieß Jim Proctor - ein alter Viehzüchter und in seiner Jugend keiner Rauferei aus dem Weg gegangen. Nachdem er sich die plastische Schilderung unserer Missetaten angehört hatte, erklärte er, von einer Eintragung ins Strafregister absehen zu wollen, falls wir den angerichteten Schaden ersetzen würden. Anschließend allgemeines Händeschütteln, an dem auch die Polizeibeamten teilnahmen. Dann machten wir uns auf den Heimweg. Der Spaß kostete jeden von uns fünfzehn Pfund, von Schrammen und blauen Augen ganz zu schweigen.

Ich glaube, ich kenne die Brüder Williams jetzt besser als alle anderen hier im Tal...«

 

Ich blickte noch einmal zu dem steilen Pfad, über den die Brüder Williams vierhundert Rinder getrieben hatten. Ich sah die schlanken, grünäugigen Männer deutlich vor mir, und auch Pat Carruthers - groß, grauäugig und vital. Aine Rauferei hatte ihm bestimmt großen Spaß gemacht. Ja, er hatte wirklich bis zum Schluss bei George, Frank und Ted ausgehalten - auch wenn die drei Brüder an diesem Ende des Tals gestorben waren, Carruthers hingegen im Nordosten in der Nähe der Schule. Die Leichen der Brüder hatten dicht beieinander gelegen, Carruthers war einsam gestorben. Mehr als je zuvor wollte ich ergründen, warum sie hatten sterben müssen.

Ich packte die Briefe wieder weg und fuhr los. Doch statt der Straße nach Norden zu folgen, bog ich links ab und bahnte mir einen Weg durch das hohe Gras.

Nach einer halben Meile hielt ich im Schatten eines Blaugummibaums an. Wenn die Zeitungsberichte stimmten, mussten ganz in der Nähe die Leichen der drei Brüder gefunden worden sein. Bei Brandausbruch hatten hier viele Bäume gestanden. Die Überreste, grauschwarze Stämme, halbverrottete Stümpfe und Berge von Holzkohle, waren jetzt noch zu sehen.

Ich verließ den Jeep und schritt durch das trockene Gras zu den südlichen Felsen. Schließlich entdeckte ich gewaltige Knochenberge. Grau und verwittert waren diese Knochen, teilweise von Gras überwuchert.

An jenem Tag hatten dreitausend Rinder den Tod gefunden, und dreitausend Rinder hinterlassen eine Menge Gebeine. Ein Entrinnen war unmöglich gewesen, denn der Nordweststurm hatte die Flammen vorwärtsgetrieben. Die Tiere waren vor dem Feuer geflohen, doch die steilen Felswände waren ihnen zum Verhängnis geworden. Schädel, Gerippe und Gebeine bildeten ein wüstes Durcheinander. Ich sah deutlich vor mir, wie sich die Rinder in blinder Panik stießen und drängten, bis sie im Rauch erstickten und von den Flammen verzehrt wurden.

Thompson mochte recht haben: Vielleicht ruhten die Überreste von Wallace Shelton und Saul Leguier tatsächlich noch unter diesen Knochenbergen. Die beiden Männer waren an jenem Tag ebenfalls unterwegs gewesen, um das Vieh zu retten. Aber ich hatte jetzt keine Lust, in den Gebeinen zu wühlen. Außerdem hatten bereits andere nach den Vermissten gesucht. Ich kehrte zum Jeep zurück und nahm mir noch einmal die Briefe vor.

 

Stewart, Paladin Valley ist ein Paradies mit den mannigfaltigsten Tieren und Vögeln. Hier leben Koalas, Zwergkängurus, Kletterbeutler, Adler, Papageien, Honigsauger...

Ich habe versucht, den Ruf des Honigsaugers nachzuahmen. Du weißt ja, dass diese Vögel nacheinander anschlagen, sehr gedehnt und in stets wechselnder Tonhöhe. Es klingt so ähnlich wie ting-tink-tieng-tienk. Ich habe den Lockruf des Honigsaugers mit dem Tonbandgerät aufgenommen. Wenn du mich besuchst, kann ich dir die Ausbeute meiner Tonjägerei vorführen... 

Am nächsten Morgen stand ich früh auf und fuhr zu dem Feuerschutzraum in der Ostwand. Im Tal gibt es drei derartige Schutzräume. Ich hoffe, dass der Ernstfall nie eintritt, aber in einer Gegend, die häufig von schweren Buschbränden heimgesucht wird, kann man nie wissen, ob nicht plötzlich Gefahr droht. Der beste Schutz vor dem Feuer ist natürlich der Swimming-Pool.

Doch an diesem Morgen wollte ich mich nicht vor den Flammen in Sicherheit bringen. Ich wollte vielmehr den Morgengesang des Zaunkönigs auf Tonband festhalten. Ganze Scharen von Zaunkönigen wohnen dort in Farnen und Bäumen. Es war noch dunkel, als ich zu dem Schutzraum hinaufkletterte. Ich stellte mein Tonband in den Höhleneingang und verhielt mich ganz still...

 

Diese Feuerschutzräume wollte ich als erste besichtigen. Ich nahm deshalb gleich die Gelegenheit wahr, mir den Schutzraum anzusehen, bei dem Carruthers an jenem Morgen den Gesang der Zaunkönige aufgenommen hatte. Ich folgte dem Buschpfad nach Norden, überquerte den Bach und bog nach sieben Meilen in östlicher Richtung ab. Wieder musste sich der Jeep seinen Weg durch Buschwerk und hohes Gras bahnen. Schließlich gelangte ich zur Ostwand. Im Schatten der Felsen hatten sich nach dem Brand Farne und Bäume rasch erholt. Schon von weitem hörte ich das muntere Geplauder der Zaunkönige.

Der Höhleneingang lag rund zehn Meter über der Talsohle. Ich nahm meine Taschenlampe und kletterte hinauf. Der Stollen war im Abstand von anderthalb Metern mit dicken Rundhölzern abgestützt. Er war manchmal mannshoch und so breit, dass man zu zweit nebeneinander gehen konnte. Bevor ich ins Innere der Höhle vordrang, betrachtete ich noch einmal das Tal und dachte an die Aussage von Gilbert Leguier, der die Brandkatastrophe überlebt hatte. Er war der Sohn von Saul Leguier, und die Zeitungen hatten seinen Bericht veröffentlicht.

 

Mit einigen Männern versuchte ich, das Vieh zu Billy Chads Grundstück zu treiben, das in der Nordostecke in einer Schlucht liegt. Obwohl alles voller Rauch war, glaubten wir, genügend Zeit zu haben, denn noch trennten uns die Berge vom Feuer.

Wir ritten in einer weit auseinandergezogenen Formation quer durch das Tal, um auf diese Weise das gesamte Vieh wegzutreiben. Doch in dem dichten Qualm verloren wir uns schon bald aus den Augen.

Ich hatte ungefähr sieben Meilen zurückgelegt, als das Feuer plötzlich unmittelbar hinter mir war. Die Flammen rasten mit ungeheurer Geschwindigkeit heran. Ich gab die Sporen und bemühte mich verzweifelt, den Feuerschutzraum in der Ostwand zu erreichen. Da strauchelte mein Pferd, warf mich ab und galoppierte davon. Ich hastete weiter. Plötzlich tauchte Harriet Shelton aus dem Rauch auf. Sie hatte ihren Vater gesucht und war ebenfalls von ihrem verängstigten Pferd abgeworfen worden.