DIE MASKE AM SARG - Sidney H. Courtier - E-Book

DIE MASKE AM SARG E-Book

Sidney H. Courtier

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Hauptgewinn: einhunderttausend Pfund! Dieser entfiel auf ein Lotterie-Los, das ein paar gute Freunde gemeinsam gekauft hatten. Doch plötzlich... ist das Los verschwunden. Wer hat es an sich genommen? Jeder verdächtigt den anderen... Alan Birchip, ein junger Rechtsanwalt, soll die Fäden entwirren. Und schließlich wird aus Diebstahl und Betrug – Mord... Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein packender Thriller DIE MASKE AM SARG erschien erstmals im Jahre 1960.

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SIDNEY H. COURTIER

Die Maske am Sarg

Roman

Apex Crime, Band 28

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DIE MASKE AM SARG 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

Hauptgewinn: einhunderttausend Pfund! Dieser entfiel auf ein Lotterie-Los, das ein paar gute Freunde gemeinsam gekauft hatten. Doch plötzlich... ist das Los verschwunden.

Wer hat es an sich genommen? Jeder verdächtigt den anderen...

Alan Birchip, ein junger Rechtsanwalt, soll die Fäden entwirren.

Und schließlich wird aus Diebstahl und Betrug – Mord...

Sidney H. Courtier (* 28. Januar 1904 in Kangaroo Flat, Victoria; † 1974 in Safety Beach, Victoria) gilt als einer der herausragendsten australischen Kriminal-Schriftsteller. Sein packender Thriller Die Maske am Sarg erschien erstmals im Jahre 1960.

DIE MASKE AM SARG

Erstes Kapitel

Jener 5. Februar, ein Freitag, war der sechste Tag einer ganz Australien belastenden Flitzewelle. Diese war von solchen Ausmaßen, dass schweißtriefende Journalisten sich gezwungen sahen, hundert Jahre zurückzugehen, um eine zu finden, die mit ihr zu vergleichen war. Alan Birchip, glücklicherweise kein Journalist, gab sich zufrieden, wenigstens einen kühlen Ort gefunden zu haben. T. J. Shannocks Büro, ein luftgekühlter Horst im fünfzehnten Stockwerk in einem der Glas- und Aluminium-Wolkenkratzer am Anfang der Collins Street in Melbourne, war tatsächlich kühl. Shannock, der mit dem Rücken zu dem hitzeflimmernden Panorama der rauchigen Stadt, den staubigen Parks und der stahlblauen Bucht saß, winkte Birchip mit seiner glatten, gepflegten Hand zu und sagte: »Fein, dass du kommst, Birch. Setz dich, und bediene dich selbst. Hier ist alles, was du zum Rauchen brauchst.«

Birchip nahm Platz und versuchte in Shannocks Gesicht zu lesen. T. J. Shannocks Erscheinung war, genau wie das Messingschild an seiner Tür, das ihn als Finanzberater auswies, unbestritten beeindruckend. Er war groß, wenn auch nicht ganz so groß wie Birchip, und elegant gekleidet. Seine Schädeldecke zeigte zur Hälfte ein Stück rosige Haut, der Rest aber war mit zu früh ergrauten Locken bewachsen, was den Eindruck vermittelte, als sei sein Kopf mit Spinnweben beklebt. Sein blasses, breitflächiges Gesicht umgab ihn mit der Aura einer gewissen, geheimnisvollen Überlegenheit. Gleichzeitig erweckte es unglücklicherweise das Gefühl, dass Shannock plante, wie er heimlich einen unter den Daumen bekommen konnte.

»Hast du kürzlich aus Tysons Bend gehört?«, fragte Shannock.

Als Birchip verneinte, schienen sich Shannocks Augen zu verschleiern. »Nun, dafür habe ich eine ganze Menge zu hören bekommen; was auch der Grund ist, weshalb ich dich bat, zu mir zu kommen. Ich weiß, du bist ein vielbeschäftigter Anwalt, deshalb möchte ich mich gleich bedanken, dass du dir die Zeit genommen hast. Es tut sich einiges in Tysons Bend. Ich denke, wir sollten schnellstens hinfahren.«

»Warum ich?«, fragte Birchip, dessen familiäre Bande mit Tysons Bend im Nord-West Mallee längst gelöst waren.

»Sie brauchen Hilfe, mein Freund!« Shannock strich sich mit der Hand über den kahlen Teil seines Schädels. »Außerdem bietet sich für Allan Birchip, den Sohn des Dorfes, der es geschafft hat, ein bekannter Rechtsanwalt zu werden, eine Chance, etwas für sein Heimatdorf zu tun.«

»Und was ist es, das ich für das Heimatdorf tun kann?«

Shannock griff in eine Schublade, holte eine offizielle Bekanntmachung der Ergebnisse von einer der Tattersall-Lotterien heraus und schob sie seinem Besucher hin.

»Schau dir das mal genau an, Birch, besonders die erste Zeile«, forderte er Birch in einem Ton auf, als würde er ein großes Geheimnis enthüllen.

Die Überschrift lautete:

Tattersalls–Sonderlotterie, 100.000 Pfund Hauptgewinn.

Dann folgte die Liste der zehn Hauptgewinner mit den Summen, Losnummern, samt Namen und Adressen der glücklichen Gewinner. Darunter standen dann in übersichtlichen Reihen die Losnummern, diesmal ohne Details, von etwa zweitausend kleineren Gewinnen. Die Ziehung hatte vor neun Tagen stattgefunden, und Birchip hatte das Ergebnis bereits studiert, weil er einer der Spieler gewesen war, die sich bei der Auslosung des Gewinns von 100.000 Pfund mit einem Fünfer beteiligt hatten, in der Hoffnung ein Vermögen zu gewinnen. Er hatte Pech gehabt.

Die erste Zeile unter der Überschrift besagte:

1.Preis 100.000 Pfund Los Nr. 34.618, S. Talory.

Hauptpostlagernd, Melbourne

»Was hat das mit Tysons Bend zu tun?«, fragte Birchip.

Shannock saß nun mit gekreuzten Beinen seitlich von dem Schreibtisch, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt, und schaute zur Zimmerdecke hinauf. Mit einem trägen Seitenblick auf Birchip erklärte er: »Diese 100.000 Pfund sind bis jetzt nicht angefordert worden. Um die Sache kurz zu machen, will ich dir erzählen, wieso ich das weiß. S. Talory ist ein geehrter – nein, vergiss das, Birch. Kein geehrter, sondern eher ein sorgfältig umhegter Gast im Hotelrestaurant meiner Schwester Sally Moyses in Tysons Bend.«

Der Ausdruck seines Gesichtes hatte sich auf eine Weise verändert, für die Birchip, als er seine Überraschung überwunden hatte, keinen Grund erkennen konnte.

»Was möchtest du, dass ich tue?«, fragte Birchip. »Soll ich die Verhandlungen mit Tattersall übernehmen?«

Dies schien Shannock sichtlich zu reizen. Sein blasses Gesicht war plötzlich leicht gerötet, als er sagte: »Hör mir jetzt gut zu. Ich besitze einen Anteil an diesen 100.000 Pfund. Außer mir gibt es in Tysons Bend noch weitere acht Leute, von S. Talory abgesehen, die einen Anteil daran besitzen. S. Talory gehört nur ein Zehntel von dem Los. Das Los hätte unter dem Namen Lotteriegemeinschaft Tysons Bend eingetragen sein sollen. Dieser Talory ist ein billiger, verstohlener...« Er unterdrückte seinen Ärger und fuhr fort: »Wir möchten, dass du nach Tysons Bend kommst und ihn zurechtbiegst.«

»T. J.«, erklärte Birchip kurz angebunden, »es ist einer meiner unumstößlichen Grundsätze, mich niemals in Auseinandersetzungen dieser Art einzumischen. Nur Ungelegenheiten und kein Profit.«

»Lass mich dir erst die Geschichte erzählen«, beharrte Shannock. Seine Stimme war jetzt wieder gelassen und verbindlich. Er zündete sich eine Zigarette an und stieß eine gerade, kräftige Rauchsäule aus. »Vergangenen Oktober war ich in Tysons Bend, um Sally zu helfen, ein bisschen Ordnung in ihre Angelegenheiten zu bringen. Sally ist zwar anderer Meinung, aber ihr verstorbener Ehemann, Pete Moyses, Gott hab’ ihn selig, war einer ihrer vielen Missgriffe. Junge, du weißt selber, was unser altes Heimatdorf letzten Endes ist – ein Laden mit einem Postamt, eine Schule, ein paar Häuser und damit hat es sich schon. Und es wird niemals etwas anderes sein. Aber mein verstorbener Schwager sah in Tysons Bend ein anderes Mildura, ein neues Renmark, ein künftiges Handelszentrum für Citrusfrüchte und Weintrauben. Er stürzte sich also mit Schwung hinein und stellte für achtzigtausend Pfund ein Hotelrestaurant hin. Selbstverständlich besaß er keine achtzigtausend Pfund, aber natürlich würde er ein Vermögen machen, sobald der eingebildete Boom begann. Dann starb er und ließ Sally, die nicht genug Hirn besitzt, ihren Verlust mit Anstand einzustechen und die Sache aufzugeben, in der Tinte sitzen. Deshalb erreicht mich alle Augenblicke ein SOS-Ruf, und ich muss hinfahren und den bösen Wolf von der Tür verjagen. Freund, glaub mir, es ist nur gut für Sally, dass ich ihr liebender Bruder bin!«

»Ich bezweifle nicht, dass Sally das ebenfalls erkennt«, bemerkte Birchip und wurde mit einem vielsagenden Blick bedacht.

»Tja, als ich nun vergangenen Oktober dort war, wohnte dieser S. Talory – S bedeutet Samuel – in Sallys Hotel«, fuhr Shannock kühl fort. »Er ist ein undurchsichtiger, unangenehmer Kerl mit einer Nase für Geld. Nach seiner eigenen Rede lebt er davon, kleine Ladengeschäfte in den Stadtrandgebieten hochzupäppeln. Er kauft zum Beispiel einen Süßwarenladen auf, sagen wir in der Nähe einer Schule, arbeitet zwanzig Stunden am Tag, bis er ein Geschäft aufgebaut hat, das er um einige tausend Pfund mehr verkaufen kann, als er dafür bezahlt hat; dann sucht er sich einen Käufer und steigt aus. Das ist seine Darstellung. Wenn sie wahr ist«, sagte er anerkennend, »ist es eine gute Sache. Kapital ist in Australien nicht steuerpflichtig – bis jetzt. Das bedeutet, dass dieser S. Talory – ich betone wieder, wenn es wahr ist, was er erzählt – eine Menge schnellverdientes Geld auf diese Weise macht, auf das die Steuerbehörden nicht ihre Finger legen können. Jedes Mal, wenn er ein Geschäft verkauft hat, macht er Ferien, um sich von der Anstrengung zu erholen, und er hat es sich offensichtlich zur Gewohnheit gemacht, diese Ferien in Tysons Bend zu verbringen.«

Birchip, der sich eine Menge Orte denken konnte, die zur Erholung weit geeigneter wären, erkundigte sich, warum dieser Talory ausgerechnet Tysons Bend dazu ausersehen hätte.

»Er hat seine Gründe dafür nie bekanntgegeben«, entgegnete Shannock mit einem zynischen Funkeln in seinen grünen Augen. »Aber es geht das Gerücht, dass er ungewöhnlich stark mit Molly Boston befreundet ist.«

Birchip wurde nachdenklich. Lew Boston war Tysons Bends heiterer, von Ehrgeiz unbelasteter Polizeibeamter. Doch nach Birchips wohlüberlegter Ansicht würde Lew schnellstens aufhören heiter zu sein, wenn irgendein Mann auf die Idee kam, sich mit seiner Frau ungewöhnlich zu befreunden, wie Shannock es ausgedrückt hatte.

»Wir wollen die Romanze übergehen«, meinte Birchip, seine breiten Schultern hebend. »Was ist nun mit dem Los Nr. 34.618?«

Shannock drückte seine Zigarette aus.

»Während ich mich dort aufhielt«, berichtete er, »musste S. Talory für ein paar Tage in irgendeiner geschäftlichen Angelegenheit in die Stadt zurück. Gerade zu dieser Zeit kündigte Tattersall seine Sonderlotterie mit dem Hauptgewinn von 100.000 Pfund an. An dem Abend, bevor er wegfuhr, waren wir alle in der Bar – du weißt, wie es dort zugeht, Birch.«

Birchip wusste es. Tysons Bend war ein abgelegener Ort, fast hundert Meilen von der nächsten höheren Polizeibehörde entfernt, und Lew Boston kümmerte sich nicht um die Sperrstundenvorschriften. Sally konnte ihre Bar vierundzwanzig Stunden am Tag offenhalten, solange es ruhig und ordentlich zuging. Und das tat es auch, denn Lew betrachtete ein blaues Auge oder eine blutige Nase nie als Ruhestörung oder Gefahr für den Frieden.

»Wir befanden uns also alle in der Bar«, wiederholte Shannock. »Da schlug einer vor, wir sollten ein Los in dieser Lotterie kaufen, und so kam die Lotteriegemeinschaft Tysons Bend zustande. Zehn von uns, einschließlich Talory, beteiligten sich mit jeweils zehn Pfund. Wir gaben ihm das Geld, sodass er das Los kaufen konnte, während er sich in der Stadt aufhielt.«

»Wer sind die anderen Mitglieder der Lotteriegemeinschaft?«

»Sally, ich, Lew Boston, Molly Boston – vier«, zählte Shannock die Namen an seinen Fingern ab. »Old Quorn, Arch Crommer, Lorna Crommer – sieben. Helen Grey, die Lehrerin und Mrs. Seagrim – du kennst sie noch nicht. Sie ist die neue Köchin, die Sally für das Restaurant angestellt hat. Dann zähl noch Talory dazu – und du hast alle zehn, Birch.«

»So ungefähr der ganze Ort«, meinte Birchip. »Ausgenommen Ding-dong. Warum machte er nicht mit?«

»Himmel, Birch, Ding-dong ist verrückt wie eine Amsel! Jedes Mal, wenn er weggeht und wieder zurückkommt, ist es schlimmer mit ihm. Glaub mir, es wäre gut, wenn er ein für alle Mal wegbliebe. Andererseits muss man bedenken, dass er für so ein gottverlassenes Nest immer noch ein halbwegs guter Barkeeper ist. Aber, wenn ich mich recht erinnere, hatte er gerade wieder einmal einen seiner irren Einfälle. Er behauptete, er müsste den Mount Everest ersteigen – er kletterte auf die Regale hinter der Bar –, und so kam es, dass wir ihn ausließen.

Aber, um wieder auf das Los zurückzukommen. Ich war bereits abgefahren, als Talory nach Tysons Bend zurückkehrte; doch Sally schrieb mir später alles darüber. Als er kam, fragten sie ihn gleich nach dem Los. Er hatte auch eines mitgebracht, aber als sie sahen, dass es auf den Namen S. Talory ausgestellt war, flogen die Funken. Old Quorn und Lorna Crommer machten am meisten Krach, und Sally regte sich auch rechtschaffen auf. Talory behauptete, es wäre ihm eben ein Versehen unterlaufen, als er das Antragsformular ausfüllte, und was, zum Teufel, sollte das schließlich ausmachen? Sie seien doch alle Freunde, oder etwa nicht? Sie könnten ihm schon Zutrauen, dass er das Richtige tat. Davon abgesehen, ob sie wirklich erwarteten, das Große Los zu ziehen? Worauf Sally in einem Anfall von gesundem Menschenverstand erklärte, dass sie ebenso viel Chancen wie irgendein anderer hätten, was ohnehin nicht viel sei; aber da immerhin noch weitere zweitausend Gewinne ausgesetzt seien, war es leicht möglich, einen der kleineren zu gewinnen, sodass es auf jeden Fall einfacher und fairer gewesen wäre, wenn er das Los unter dem richtigen Namen eingetragen hätte. Natürlich stimmten ihr alle zu, mit Ausnahme von S. Talory.«

Shannock zog sein Taschentuch und tupfte sich die Stirn. Trotz der Klimaanlage schwitzte er.

»Talory lachte«, berichtete er weiter. »Dann meinte er, okay, wenn sie die Sache so ansehen, würde er eben Sally das Los übergeben. Sie sollte es dann aufbewahren. Und sollte es tatsächlich gewinnen, würde es bestimmt keine Schwierigkeiten geben, dass jeder seinen Anteil daran erhielte. Sally nahm das Los, verschloss es in dem Schreibtisch in ihrem Büro, und jedermann beruhigte sich wieder. Talory fuhr im Lauf des Novembers und Dezembers noch einmal für ein paar Wochen in die Stadt, kehrte über Weihnachten und Neujahr nach Tysons Bend zurück und war um den 5. Januar wieder in Melbourne. Am 24. Januar fuhr er wieder nach Tysons Bend hinaus. Und das war, wie du weißt, genau drei Tage vor der Ziehung.«

Shannock wischte sich wieder den Schweiß vom Gesicht. Die Spannung unter seinem gelassenen Gehabe war deutlich zu erkennen.

»So weit, so gut«, sagte er. »Die Ziehung fand am Dienstag – das war der 27. Januar – statt. Sie saßen natürlich mit gespitzten Ohren um Sallys Radio in der Bar und warteten auf die Ergebnisse. Ich hörte hier zu. Und als dann der Sprecher verkündete, dass das Los 34.618 der Gewinner war, kannst du dir den Tumult vorstellen. Hunderttausend Pfund! Für jeden zehntausend! Na, ich war am Telefon, so schnell ich konnte. Und dann brach die Hölle los. Sally ging zu ihrem Schreibtisch, um das Los zu holen und, Junge – Junge«, Shannocks Stimme zitterte, obwohl er sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen, »das verdammte Los war verschwunden!«

»Verschwunden?«, wiederholte Birchip. »Verloren oder...«

Shannocks Taschentuch trat wieder in Aktion.

»Warte, bis du alles gehört hast«, unterbrach er Birchip. »Sally erzählte mir, dass sie immer mal wieder nach dem Los sah, nur um sicher zu sein, dass es noch da sei. Ist zwar ungewöhnlich für sie, denn gewöhnlich befinden sich ihre Papiere in einem höllischen Durcheinander, und sie weiß nie, wo was ist. Macht sich auch nicht viel daraus, was das betrifft. Aber diesmal hatte sie noch zwei Tage zuvor, am Sonntag, nach dem Los gesehen, und es hatte in der Schublade ihres Schreibtisches gelegen. Talory traf drei Tage vor der Ziehung ein. Ich sagte vorher, dass die Hölle losbrach. Das ist eine starke Untertreibung, mein Junge. Es ist nur ein Wunder, dass kein Mord geschah. Sally beschuldigte Talory, das Los weggenommen zu haben, und der platzte vor Wut. Er erklärte, er habe es nicht getan und ging gleich zum Gegenangriff über. Sally sei diejenige, die gewusst habe, wo es sich befand, und sie täusche nur vor, als sei es verschwunden. Er gab auch gleich einen guten Grund dafür an. Sally hat noch an die vierzigtausend Pfund Schulden auf ihrem Hotelrestaurant, und der Gewinn, wenn sie ihn für sich selbst auf die Seite bringen könnte, würde sie ein für alle Mal von ihren Sorgen befreien. Junge, die ganze Bande ging aufeinander los! Der Streit nahm wüste Formen an. Na, du weißt selbst, wie Old Quorn und Lorna Crommer hochgehen können. Aber man muss es den Einheimischen lassen, dass sie trotzdem zu Sally hielten, sodass es acht zu eins gegen Talory stand. Nein, sieben zu eins. Ich vergaß, die Schule war wegen der Weihnachtsferien noch immer geschlossen, und Helen Grey war noch nicht zurück. Sie ist irgendwo in Gippsland zu Hause. Der Streit war immer noch im Gange, als ich am Nachmittag in Tysons Bend eintraf...«

»Was sagst du da? Wieso das?«, fragte Birchip überrascht.

»Ich erzählte dir doch, dass ich Sally, so schnell ich konnte, anrief«, erklärte Shannock, »nachdem ich am Radio das Ergebnis gehört hatte. Als sie mir sagte, das Los sei verschwunden, setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr los, via Tysons Bend. Vierhundertsiebenunddreißig Meilen bis Mildura. Ich schaffte es in sieben Stunden. Hielt nur zweimal, um zu tanken. Nein, entschuldige, noch zweimal. Die Polizei stoppte mich wegen Übertretung der Geschwindigkeitsgrenze. Wenn der Fall vor Gericht kommt, musst du mich verteidigen, Birch, denn ich möchte nicht meinen Führerschein verlieren.«

»Verrückt!«, kommentierte Birchip.

Shannock zündete sich wieder eine Zigarette an und blies hastig kleine, zerfetzte Rauchwolken vor sich hin.

»Der Streit flammte erneut auf, als ich dort eintraf«, fuhr er fort. »Aber S. Talory spielte uns aus. Er forderte Lew Boston, Arch Crommer, Old Quorn und mich auf, ihn selbst, sein Zimmer und sein Gepäck zu durchsuchen. Das taten wir auch und fanden nichts. Dann erklärte er, was dem einen recht ist, sei dem anderen billig; alle anderen Mitglieder der Lotteriegemeinschaft sollten ebenfalls durchsucht werden. Sie selbst, ihre Wohnungen, ihr Besitz. Nun, das war natürlich Unsinn. Helen Grey befand sich sechshundert Meilen entfernt in Gippsland – sie kam am nächsten Tag nach Tysons Bend und muss ebenfalls wie der Teufel gefahren sein – ich war gerade eingetroffen, und wo sollte man denn aufhören zu suchen? Man hätte in jeden hohlen Balken, jedes Kaninchenloch, jedes Vogelnest schauen müssen, jeden Zoll Boden im Umkreis von Meilen umgraben müssen. Mein Gott, es war unmöglich! Und überflüssig. Talory hatte das Los.«

»Eine unberechtigte Annahme«, warf Birchip ein.

»Das ist eine Beleidigung für deine Freunde«, erklärte Shannock hitzig. »Ich will es durchgehen lassen und beweisen, dass Talory der einzige Mensch in der Welt ist, der das Los haben kann.« Er warf seine halbgerauchte Zigarette in den Aschenbecher und zündete sich eine neue an. »Birch, du hast dir selbst schon Lose bei Tattersall gekauft. Du weißt also, wie es dort zugeht. Bevor man das Los kauft, muss man ein Antragsformular ausfüllen. Angenommen, man ist ein bescheidener Typ, und will nicht, dass Gott und die Welt erfährt, dass man gewonnen hat – was eine gute Idee ist, denn sobald so etwas bekannt wird, hat man sämtliche Strauchdiebe, Lumpen, Spinner und Bettler auf dem Hals, die alle an deinem Glück teilhaben wollen. Nun, was tut man da? Man fängt also bei der Zeile an, die mit Lotteriegemeinschaft überschrieben ist und schreibt, sagen wir, Mugs letzte Hoffnung. Dann, wo Name und Adresse verlangt wird, schreibt man Postlagernd Melbourne. Das oder etwas Ähnliches, selbst, wenn man in Timbuktu lebt. Wenn einer dort einen Namen hinschreibt, kann man wetten, dass es sich um ein Pseudonym handelt. Aber auf der Rückseite des Formulars schreibt man dann seinen richtigen Namen und die wirkliche Adresse. Tattersall wird es dann nicht veröffentlichen. Doch es muss dort stehen, um eine Identifikation zu ermöglichen.

Nun...«, Shannock machte eine Pause und atmete tief ein, »nimm nur gerade einmal an, einer von uns hätte das Los gestohlen. Es würde ihm nichts nützen, weil wir nicht wissen, was Talory auf die Rückseite des Antragsformulars schrieb. Wir haben nicht die leiseste Ahnung, was für einen Namen, oder welche Adresse er angab. Und dieser Name, Birch, ist derjenige, unter welchem die hunderttausend Pfund beansprucht werden müssen.«

Die Pointe war gut, obwohl Birchip, noch während Shannock sie ihm unterbreitete, ein kraftvolles Gegenargument einfiel. Doch bevor er Einspruch erheben konnte, redete Shannock schon wieder weiter.

»Vielleicht willst du mir jetzt entgegenhalten, dass S. Talory der Name ist, der auf der Rückseite des Antragsformulars steht. Gut, dann hör dir das an. Angenommen, du hast das Große Los gezogen. Wenn du nun nichts gegen eine Veröffentlichung hast, wird Tattersall dir ein Telegramm mit der wundervollen Nachricht schicken. Aber, wenn du gegen eine Veröffentlichung bist und in Melbourne lebst, dann wird dich das erste offizielle Wort, abgesehen von der Durchsage am Radio und in der Zeitung, die ohne Namensnennung erfolgt, durch zwei höfliche Angestellte von einer der großen Banken erreichen, die dich in deiner Wohnung aufsuchen und dich fragen, wie du das Geld haben möchtest. Birch, es sind seit der Ziehung neun Tage vergangen! Zeit genug für die beiden höflichen Bankangestellten, wenn der Name auf der Rückseite des Antragformulars S. Talory ist, um Talory in Tysons Bend ausfindig gemacht zu haben. Doch bis jetzt ist niemand dort aufgetaucht. Woraus folgt, dass das Los nicht unter dem Namen S. Talory gekauft wurde. Woraus weiterhin folgt, dass keinem von uns das Los etwas nützen würde, und es deshalb auch keiner von uns geklaut hat.«

Shannock lehnte sich triumphierend zurück und betupfte wieder sein Gesicht mit dem Taschentuch.

»Eine recht flotte Theorie«, bemerkte Birchip trocken. »Und, wie meistens, wenn sich etwas so simpel darstellt, hat sie nur einen, dafür aber umso gewaltigeren Haken. Doch zuerst will ich noch auf etwas anderes hinweisen. Die Tatsache, dass sich Talory immer noch in Tysons Bend aufhält, spricht dafür, dass er das Los nicht hat. Wäre es anders, würde er dort längst verschwunden sein, um abzukassieren.«

»Er ist krank. Grippe oder so etwas Ähnliches.«

»Ich glaube nicht, dass mich eine Grippe zurückhalten könnte, wenn für mich hunderttausend Pfund auf dem Spiel stehen«, gab Birchip zu bedenken.

Shannock schien sich ein Lächeln zu verbeißen, als er fragte: »Schön, Birch, du hast nun die Geschichte gehört. Worin besteht der Haken?«

»Er ist leicht zu sehen«, sagte Birch. »Du behauptest, niemand wüsste den Namen, unter welchem Talory das Los erstanden hat. Ist dir nicht der Gedanke gekommen, dass er mit einem anderen Mitglied der Lotteriegemeinschaft gemeinsame Sache machen könnte? Dass er zwar das Los nicht genommen hat, aber dafür sein Spießgeselle?«

Shannock nickte.

»Molly Boston, meinst du? Nun, daran habe ich bereits gedacht. Und, wenn mich nicht alles täuscht, Lew Boston ebenfalls. Aber bis jetzt hat niemand etwas in dieser Richtung geäußert. Mach weiter, du kommst fein voran.«

»Danke.« Birchip beäugte kalt Shannocks undurchdringliche Maske. Das Dumme war, dass man nie sagen konnte, was Shannock wirklich dachte. »Etwas anderes, das du ebenfalls zu übersehen scheinst, Shannock, ist der Wert des Loses vor der Ziehung. Die Chancen, zu gewinnen, standen mit 99.999 zu eins. Glaubst du ernsthaft, dass ein normaler Mensch ein Los stehlen würde, das nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung nichts oder nur sehr wenig wert war? Shannock, du bist durchschnittlich ehrlich«, Shannocks linker Mundwinkel zog sich nach unten, »jawohl, durchschnittlich ehrlich. Würdest du unter solchen Umständen ein Los entwenden? Würde Talory es tun? Einer der anderen? Nein! Wenn das Los gestohlen wurde, dann nur zwischen der Radiodurchsage und dem Moment, da Sally zu ihrem Schreibtisch ging, um es zu holen. Lass uns für die verständliche Aufregung – ich kenne sie alle viel zu gut, vermutlich machten sie eine Riesenflasche Champagner auf eine Zeitspanne von fünf bis fünfzehn, oder zwanzig Minuten rechnen. Vielleicht sogar länger. Wenn du nach Tysons Bend zurückfährst, ist das Wichtigste, was du tun musst, schnellstens festzustellen, wo jeder einzelne sich während dieser Zeitspanne aufhielt. Das könnte dein Problem lösen.«

Shannock erlaubte sich einen Ausdruck der Hochachtung auf seinem Gesicht.

»Birch, die Idee ist hervorragend. Du bist der richtige Mann, um Talory festzunageln.«

Birch schüttelte den Kopf. Der Gedanke an Tysons Bend und seine Einwohner unter dem Einfluss des Geldfiebers und des gegenseitigen Misstrauens hatte nichts Anziehendes für ihn. Er war durchaus bereit, gelegentlich eine Chance wahrzunehmen, aber aus dieser Sache war weiter nichts zu erwarten, als lästiger Ärger und Unannehmlichkeiten jeder Art. Jedenfalls nichts, dass Alan Birchip, dem gut beleumundeten, wenn auch noch nicht sehr bekannten Rechtsanwalt, nützen konnte.

»Geh zur Polizei und übergib ihr die Angelegenheit«, riet er. »Lass es Lew Boston tun. Er ist schließlich Polizeibeamter.«

»Er gehört zur Lotteriegemeinschaft und ist Mollys Mann«, sagte Shannock. »Nein, wir brauchen dich, Birch. Wir müssen die Sache schnell und unter uns erledigen. Wenn sich die Polizei erst offiziell damit befasst, weiß keiner, wo das enden wird. Und von unserem Geld werden wir auch nichts zu sehen bekommen.«

»Ohne mich, Shannock«, erklärte Birch fest.

Shannock sank in seinem Stuhl zusammen und seufzte.

»Ich muss also tatsächlich noch einmal von vorne anfangen. Okay. Ich sagte dir doch, dass Talory am 24. Januar mit dem Postauto von Mildura nach Tysons Bend zurückkehrte. Zufällig erfreute sich Ding-dong an diesem Tag einer seiner mehr zurechnungsfähigen Momente. Sally hatte ihn zum Postamt geschickt, um die Briefe für das Hotel zu holen. Er kam mit einem ganz speziellen Brief zurück, den er Talory zeigte und ihn fragte, ob er für ihn sei, Talory brüllte wie ein verwundeter Stier und musste zurückgehalten werden, sonst hätte er Ding-dong zusammengeschlagen. Er ließe sich von keinem Mann der Welt eine solche Beleidigung gefallen, schrie er.

»Nein«, sagte Shannock, als Birchip versuchte, ihn zu unterbrechen. »Warte, bis du alles gehört hast. Niemand verlangte den Brief, weshalb Lorna ihn schließlich mit dem Stempel Empfänger in Tysons Bend unbekannt versah, und er ging zurück, vermutlich in das Büro für unbestellbare Briefe. Aber, Birch, du weißt ebenso gut wie ich, wie Lorna mit interessanten Briefen umzugehen pflegt. Dem Postminister würden die Haare zu Berg stehen. Später erzählte sie jedermann, was in dem Brief stand. Nur zwei Zeilen: Für den Fall, dass Du nicht an der Ecke sein solltest, teile ich Dir mit, dass ich, wie verabredet, im Bus bin. Werde warten.«

Wieder versuchte Birchip zu reden, aber Shannock hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Nein, warte noch, es kommt noch besser. An dem gleichen Nachmittag, an dem der Brief eintraf, bekam Ding-dong wieder eine seiner verrückten Ideen. Er hielt sich diesmal für den großen Blondin und kletterte auf die Feuertreppe auf der Rückseite des Hotels hinauf, wo er zum Gaudium der Kinder ein paar komische Balanceakte vorführte. Du erinnerst dich sicher, dass sich dort, wo der Einstieg zur Feuertreppe ist, das Fenster einer Toilette befindet. Ding-dong schwört, dass, während er dort auf einer der Handleisten auf dem Kopf stand, aus dem Fenster ein Besenstiel kam, ihn in den Bauch stieß und hinunterwarf. Er ist tatsächlich böse gestürzt. Die Kinder beobachteten, wie es passierte. Außerdem trug er auch ein enorm blaues Auge und eine Menge hässlicher Abschürfungen und Beulen von dem Sturz davon. Aber den Besenstiel sahen die Kinder nicht. Es kann sich also auch wieder um eine von Ding-dongs Einbildungen handeln...«

»Der Teufel hole dich, Shannock«, platzte Birchip heraus. »Was willst du damit andeuten?«

»All right«, seufzte Shannock. »Du erinnerst dich, dass ich meine Bemerkungen über Talorys Story, auf welche Weise er sein Geld verdient, mehrmals mit dem Nachsatz, wenn die Geschichte wahr ist, versehen habe. Birch, der Name auf dem geheimnisvollen Brief war James Cullerman.«

Birchip brauchte mehrere Sekunden, bevor er sich von dieser Überraschung erholte und fragen konnte: »Trägt dieser Talory einen Bart?«

»Guter Gott, nein! Nichts derartig Auffälliges.«

Birchip dachte mit einem üblen Gefühl im Magen an den berüchtigten Mörder James Cullerman. »Was unternahm Lew Boston wegen des Briefes?«, erkundigte er sich schließlich.

»Was meinst du wohl?«, fragte Shamrock scharf zurück. »Lew liebt nichts mehr als ein ruhiges Leben. Und vergiss nicht auf die angebliche Freundschaft. Lew unternahm nichts.« Shannock war so ernst geworden, wie Birchip ihn nie zuvor erlebt hatte. »Birch, Ding-dong zeigte den Brief Talory, weil Talory der einzige Fremde im Dorf ist. Angenommen, Talory dachte, dieser Spinner ist hinter mir her; er weiß, wer ich bin, dann, Birch, hat sich Ding-dong den Besenstiel vielleicht doch nicht eingebildet. Und ich bin sicher, dass du für die Leute deines ehemaligen Heimatdorfes wenigstens so viel übrig hast, dass du nicht zulässt, dass sich diese Sache bis zu ihrem logischen Schluss weiterentwickelt.«

Gesetzt den Fall, Shannock täuschte sich nicht, was Birchips Gefühle für die Leute in Tysons Bend betraf; gesetzt den Fall, Shannock war fähig, einen Brief an James Cullerman zu erfinden, entweder als einen Spaß, oder aus irgendwelchen selbstsüchtigen Gründen; gesetzt den Fall außerdem, dass er lediglich berichtete, was ihm nützte, wenn Birchip es wüsste. Wie auch immer, von da ab war Alan Birchips Reise nach Tysons Bend unvermeidlich.

  Zweites Kapitel

 

 

Die Vereinbarung lautete, dass sie in Birchips Jaguar am Sonntag nach Mildura fahren, dort übernachten und am nächsten lag in Tysons Bend eintreffen sollten. Aber Shannock rief am Samstag an, um zu erklären, dass eine geschäftliche Angelegenheit am Montagvormittag in Crays Bridge seine Anwesenheit erforderte und, da er nicht annahm, Birchip liege daran, Crays Bridge zu besuchen – womit er sehr recht hatte – schlug er vor, sie sollten getrennt reisen und sich Montagnachmittag in Tysons Bend treffen.

Birchip gefiel dieser Plan überhaupt nicht. Er hätte es vorgezogen, Shannock die ganze Zeit im Auge zu behalten, aber da war nichts dagegen zu machen. So traf er also planmäßig am Sonntagabend in Mildura ein und fuhr am Hotel Riverland vor. Die Hitzewelle hatte immer noch nicht nachgelassen. Die Gäste lungerten, so sparsam bekleidet wie nur möglich, in der Halle herum, tranken Bier und wünschten, sie befänden sich am Südpol.

Am anderen Morgen ging die Sonne feuerrot hinter einem bronzefarbenen Schleier auf und, bevor Birchip noch sein Frühstück verzehrt hatte, sprang ein abscheulicher Nord-Westwind auf, der heiße Wogen über das ohnehin schon glühende Land blies.

Dies waren die klassischen Anzeichen eines nahenden Sandsturms und, würde Birchip die Warnung beachtet haben, hätte er sich schnellstens auf den Weg nach Tysons Bend gemacht, bevor die Windstöße sich zu einem gefahrbringenden Sturm entwickelten. Doch seine Gedanken waren bei Shannock. Dieser aalglatte Bursche konnte im Handumdrehen eine Geschichte über dringende Geschäfte erfinden. Es war nicht schwierig zu erfahren, ob Shannock sich tatsächlich dort befand, wo er sagte, da Crays Bridge, eine kleine Niederlassung, nicht weit von Mildura entfernt lag. Um ihm eine Chance zu geben, sich dort sozusagen einzurichten, wartete Birchip bis elf Uhr, fuhr dann zum Postamt, wo er erst im Telefonbuch nachsah und dann eine Zelle betrat, um Henry Smith, den einzigen Viehagenten, den Crays Bridge aufzuweisen hatte, anzurufen. Mit unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit erklärte er Mr. Smith, dass er versuche, mit Mr. T. J. Shannock aus Melbourne in Verbindung zu kommen, der, soviel er wisse, sich an diesem Tag in Crays Bridge aufhalte. Ob Mr. Smith wohl in der Lage sei, ihm zu helfen?

»Sie haben Glück«, antwortete Mr. Smith durch die hitzeglühende Atmosphäre. »Er ist zufällig hier bei mir. Wer, soll ich sagen, will ihn sprechen?«

Birchip behauptete, der Sekretär des Ministerpräsidenten zu sein, und konnte direkt die Welle des Respekts über den Draht zurückfluten spüren.

»Hallo«, meldete sich eine Stimme, die wie die Shamrocks klang.

Birchip schwieg.

»Hallo! T. J. Shannock! Hallo!«

Birchip blieb stumm. Er hörte, wie die Stimme beiseite sprach: »Wer, sagten Sie, ist am Apparat? – Der Sekretär des Ministerpräsidenten? So ein verdammter Narr! – Hallo! Der Teufel soll dich holen! Hallo!«

Es war zweifelsohne Shannock. Birchip hing vorsichtig ein und trat auf die Straße hinaus.

Hitze und Wind waren stärker geworden. Gigantische gelbe Streifen zogen quer über den Himmel. Der Gedanke, dass er nur wegen eines unnötigen Verdachts noch nicht gemütlich in Sally Moyses Restaurant saß, war nicht angetan, Birchips Stimmung zu heben. Dass Shannock ebenfalls gezwungen war, sich durch den Sandsturm zu kämpfen, war kein Trost.

Für alle Fälle traf er geeignete Vorbereitungen für die Feuerprobe. Er ließ sich drei Wassersäcke füllen, um sicher zu sein, genügend Wasser für den Kühler zu haben. Für sich erstand er ein Dutzend Bierflaschen, sauber in Eis verpackt. Dann, in der Überlegung, dass man nie wissen konnte, welche Kalamitäten sich während eines Sandsturms ergaben, kaufte er ein weiteres Dutzend, was zu einem an und für sich trivialen Zwischenfall führte, der sich aber später als wichtig für sein Wohlergehen erweisen sollte.

Der Kauf des zweiten Dutzends Bierflaschen erweckte die Neugier des Barkellners. Er wollte wissen, wo die Party stattfinde. Als er erfuhr, dass Birchip auf dem Weg nach Tysons Bend war, wischte er sich den Schweiß vom Gesicht und lachte in sich hinein.

»Tysons Bend also? Kennen Sie Lew Boston, den Polizisten dort?«

»Ja.«

»Wenn Sie ihn sehen, erzählen Sie ihm, dass Sie Tommy Downes getroffen haben. Richten Sie ihm aus, dass wir uns eigentlich heute ordentlich volllaufen lassen sollten. Ein Jubiläum, verstehen Sie? Heute ist es fünfundzwanzig Jahre her, dass Lew und ich in Kairo Arrest abreißen mussten, weil wir einen Militär-Polizisten anstänkerten. Lew und ich waren bei der 6. Division. Wollen Sie ihm das ausrichten?«

»Klar, mach ich«, versprach Birchip, bezahlte für das Bier, stieg in seinen Wagen und vergaß Tommy Downes.

 

*

 

Er fuhr gen Westen auf dem Sturt Highway, den Wind im Rücken, der sich inzwischen zur Stärke zehn gesteigert hatte und mit brutaler Hitze seinen bloßen Arm, der, auf dem offenen Fenster lag, misshandelte. Sandböen wirbelten auf, aber noch betrug die Sicht an die hundert Meter, sodass er vorerst noch eine annehmbare Geschwindigkeit aufrechterhalten konnte, obwohl der Jaguar unter den Angriffen des Sturms bebte.

Die Straße wand sich durch Orangenplantagen und Weingärten, die hinter einem Nebel von wirbelndem roten Sand vorbeihuschten. Ein paar Meilen später bog sie in welliges, weizenbewachsenes Hügelland ab. Sandsäulen erhoben sich wie Explosionsrauch von Sandhügeln, peitschten über Schafherden, die sich in Mulden zusammendrängten, und der Wind krallte sich mit wütender Kraft in den Bäumen fest.