Das Universum ist eine Scheißgegend - Werner Gruber - E-Book

Das Universum ist eine Scheißgegend E-Book

Werner Gruber

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Beschreibung

Das Universum riecht komisch, klingt komisch und ist so gut wie leer. Fast überall wird man entweder verstrahlt, bekommt keine Luft oder verbrennt. Und das sind noch die schönsten Plätze. Mit anderen Worten: Das Universum ist eine Scheißgegend. Oder, um mit Gerhard Polt zu sprechen: "Dort fahren wir nicht mehr hin." In diesem Buch geben die Science Busters – die beiden Physiker Prof. Heinz Oberhummer und Werner Gruber sowie der preisgekrönte Satiriker Martin Puntigam – eine Reisewarnung und erklären, warum der Kosmos kein Streichelzoo ist, wo man gegen außerirdische Bakterien unterschreiben kann, was sich Sternschnuppen wünschen, wenn sie einen Menschen sehen, wie das Universum endet – und wer das dann alles zusammenräumen muss.

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Seitenzahl: 419

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Von Heinz Oberhummer, Martin Puntigam und Werner Gruber.

Unter maßgeblicher Mitarbeit von Dr. Florian Freistetter.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches oder von Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung – mit Ausnahme der in den §§ 53, 54 URG genannten Sonderfälle –, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2015 Carl Hanser Verlag München

www.hanser-literaturverlage.de

Herstellung: Thomas Gerhardy

Covergestaltung, Illustrationen und Layout: Büro Alba

Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media, Krugzell

ISBN 978-3-446-44477-5

E-Book ISBN 978-3-446-44478-2

Seit 2007 gibt es die „Science Busters“ als Bühnenshow und Radiokolumne (FM4), seit 2011 auch als Fernsehsendung (ORFeins, 3sat, mit Top-Quoten) und in Buchform. Ihr erstes Buch Wer nichts weiß, muss alles glauben war „Buchliebling 2011“, ihr zweites Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln (2012) wurde zum Wissensbuch des Jahres 2013 gekrönt. Beide waren Bestseller. Gemeinsam haben sie bislang sechs Preise zuerkannt bekommen, u.a. den Volksbildungs-Preis der Stadt Wien, den Sonderpreis des Österreichischen Kabarettpreises und den Radiopreis der Erwachsenenbildung.

Martin Puntigam ist ehemaliger Medizinstudent und Studienab-brecher der Uni Graz. Er wurde als (Solo)Kabarettist mehrfach für seine Satire ausgezeichnet (Salzburger Stier, Prix Pantheon, Österreichischer Kleinkunstpreis, Österreichischer Kabarettpreis). Er arbeitet in Wien unter anderem für die ORF-Radiosender Ö1 und FM4. Puntigam ist der purpurne Master of Ceremony der schärfsten Science Boygroup der Milchstraße, mit der er die Science-Busters-Bestseller Wer nichts weiß, muss alles glauben und Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln geschrieben hat und als Hauptautor für das ORF-Fernsehen seit Dezember 2011 eine nicht minder erfolgreiche TV-Show herstellt.

Heinz Oberhummer ist emeritierter Professor für Kern- und Astrophysik, Kosmologie und Theoretische Physik an der TU Wien, zudem –als ehem. Vorsitzender der Konfessionslosen Österreichs und Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung-Chef – Atheist und Skeptiker. Seine Arbeiten über die Feinabstimmung des Universums sorgten für internationales Aufsehen. Er ist Gründer der Science Busters und hat neben den beiden Prachtbändern der Physik-Wonneproppen auch als Autor mit Kann das alles Zufall sein?, das Wissenschaftsbuch des Jahres 2009 verfasst. Heinz Oberhummer lebt umgeben von Alpakas (die eines der widerstandsfähigsten Lebewesen, das Conan-Bakterium, in sich tragen) im Dunkelsteinerwald in der Nähe von Wien.

Werner Gruber ist Experimental- und Neurophysiker an der Uni Wien und gilt als Fachmann für kulinarische Physik. Er schrieb die beiden populärwissenschaftlichen Erfolgsbücher Unglaublich einfach. Einfach unglaublich und Die Genussformel und als Co-Autor (zusammen mit den zwei erstgenannten Herrschaften) die beiden Science-Busters-Blockbuster Wer nichts weiß, muss alles glauben und Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln. Heute ist er hauptsächlich Direktor des Planetariums und der Sternwarten Wiens.

Inhalt

Vorwort

TEIL 1 | Vorspiel im Himmel

Vorspiel im Himmel

D.O.A. – Death on arrival

Unter Gaia

Die Hölle, das sind die anderen

TEIL 2 | Innen

Reisewarnungen

I am coming home

Ich düse im Sauseschritt

Supersonic

Häschen in der Grube

Es ist verdammt hart, der Nächste zu sein

Mercury Project unchained

Venus, altes Treibhaus

Segel im Wind

Die Welt ist nicht genug

Bist du gelähmt!10

Born to be wild

Wünsch dir was

Stoner

Kosmologische Inländerfreunde

Lobster Man from Mars

Zum Goldenen Hummer

Galaktischer Schnupfen

Erde an Kugelstern

Sind wir bald da?

TEIL 3 | Aussen

GTA – Grand Tour Außen

NEO Rauch

Here Comes the Boom

Ausweichmanöver

Greetings from Dr. Kurt Waldheim

Stürmischer Türsteher

Bling-Bling

Some like it hot

Die Ringe des Herrn

Raucherbereich

The Hoff

Volldampf

Uranus Heep

1, 2, 3 – Neptun frei

Timeo Danaos

Genaue Oortsangabe

Philae-Stück

Tschuri der Sängerknabe

Smells like Teen Spirit

TEIL 4 | Jenseits

You ain’t seen nothing yet

Eigentümerversammlung

Heat

Dichtigkeitstest

Kosmischer Cocktail

Sie haben Ihr Ziel erreicht

Night of the Living Aliens

Bis(s) zur Roche-Grenze

Where is everybody?

Time Bandits

Ich komme aus der Zukunft

Masse und Macht

Willkommen im Teilchen-Zoo

Stabilitätspakt

Hut ab

Freund der Blasmusik

Dehnungsübungen

Hier ist alles super!

Anhang

Dank

Text- und Bildnachweise

Endnoten

Vorwort

Wenn ich eine Zahl lese wie – zum Beispiel – eine Trillion, oder wenn Sie mir so Zahlen aufzeigen wie 1 000 000 000 000, und wenn ich dann noch höre, wie leer der Weltenraum ist, dann kann ich mir diese Leere auch nur mit zwölf e vorstellen, also Leeeeeeeeeeeere, oder so. Das Wort „Raum“, wenn man es sich schön langsam vorspricht, klingt nicht unschön, weil das au mit dem m am Schluss einem das Gefühl gibt, es wäre noch Platz da. M am Schluss überhaupt macht die Sache sonor, so wie – dumm. Da hört man einen Klang, es klingt nach Hohlraum, wo nichts ist, besser gesagt, wo gar nichts ist. Wenn ich höre und staunend lese, wie viele Sandkörner alle Gestade dieser Erde bevölkern, und ich schau dann in den Himmel und zähle ein paar Sternlein, dann ist es Schnuppe, wie viele ich zusammenbring. Mein Spezi Rudi hat einmal sehr viele Sterne gesehen, weil ihm irgendein Gegenüber ein Trumm über den Schädel gezogen hat, und als er wieder ins Diesseits zurückgekehrt war, hat er gesagt, er hätte nicht geglaubt, dass so eine Sternenpracht überhaupt existiert, und er freut sich heute noch darüber. Eigentlich war er ja bereits drüben, oder außerhalb, aber die Beschreibung seines kurzen Ausflugs ins Jenseitige war doch eher karg. Jetzt weiß ich nicht – war er mit Lichtgeschwindigkeit drüben? Dann ist er tatsächlich nicht sehr weit gekommen, weil ja, wenn das Licht einen Schritt macht, der Raum zwei macht. Das ist wie beim Hasen und dem Igel. Wenn einen also der Heilige Geist erleuchten will, dann ist der Raum auch für ihn eine Mordsherausforderung – und im All besonders, weil man ja weiß, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Trotzdem begeistert mich, dass gerade da, wo nichts ist, so Erscheinungen auftreten, wie sie die Seher und Seherinnen und die Astrologen und Astrologinnen gegen Entgelt sehr deutlich vor Augen haben. Diese Berufe erfreuen sich galaktischer Chancen, vielleicht weil wir selber nichts sehen, oder auch weil Ungläubige eben mit der Unendlichkeit große Probleme haben. Gerade wurde wieder eine Erde entdeckt und in der Presse banalisiert, weil ja angeblich noch ein paar Milliarden davon herumschwirren in der großen Leeeeeeere. Diese Erdenbewohner, egal ob Bakterien oder Oktopusse, sind dann ja doch keine Außerirdischen, sondern Innerirdische und das beruhigt mich.

Liebe Science Busters, Eure Abhandlung über das unbegreiflich Begreifliche taugt mir sehr, weil Ihr großartige Erzähler seid, und Eure Ironie mir bei meiner Ratlosigkeit diesem Universum gegenüber eine wirkliche Hilfe ist. Mein alter Freund Otto Grünmandl hat mir tröstend gesagt, als er kurz davor stand, diese Erde zu verlassen: „Woasch Gerhard, i stirb jetz amal derweil, und dann schauma weiter!“

Mit Zuversicht, dass Euer Buch eine große Leserschaft findet!

Euer Gerhard Polt

Vorspiel im Himmel

Vorspiel im Himmel

Das war es also. Das Universum wurde tiefergelegt. Wer hätte damals vor 13,8 Milliarden Jahren gedacht, dass es einmal so zu Ende gehen wird. Wohl niemand, und das nicht nur deshalb, weil es damals weit und breit noch niemanden gegeben hat, der sich auch nur irgendwas hätte denken können.

Dass man einmal seine Brille nicht findet, okay. Ein Flugzeug kann spurlos verschwinden,1 manchmal versinkt eine Straßenkreuzung in einem Sinkloch,2 und dass die Welt untergehen könnte, damit beschäftigt sich die Menschheit seit Jahrtausenden leidenschaftlich. Viele Menschen sehnen sich sogar richtiggehend danach, und die meisten Religionen haben einen farbenprächtigen Weltuntergang im Schaufenster stehen. Aber dass ein ganzes Universum von einer Sekunde auf die andere nicht mehr ist, damit rechnet im Alltag niemand. Jede Wette, können Sie gerne einmal bei Ihren Bekannten in die Runde fragen. Dabei ist das viel wahrscheinlicher als etwa ein Weltuntergang. Weiß man heute. Weltuntergänge sind wirklich sehr selten. Prophezeit werden sie zwar alle paar Monate, der letzte große Popstar war der Weltuntergang 2012 anlässlich des vermeintlichen Endes des Mayakalenders, aber in der Regel muss jedes Mal suppliert werden. Fix rechnen können wir eigentlich erst in etwa 8 Milliarden Jahren damit, wenn sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufgebläht haben wird. Bis dahin sollten wir allerspätestens die Erde verlassen haben, vielleicht schon ein wenig eher, zirka in etwa einer Milliarde Jahren sollten wir den Planeten gewechselt haben, die Erde wird dann längst nicht mehr die alte sein.

Worauf können Sie sich einstellen, wenn Sie ab dann aus dem Fenster schauen? Wie wird das Wetter, was wird uns die Sonne als Show bieten? Da muss ich ganz kurz ein wenig ausholen: So wie man vor einem halben Jahrhundert noch vielen Kindern geraten hat, viele Knödel zu essen, damit sie groß und stark würden, so muss auch ein junger Stern massiv zulegen, um als solcher Karriere zu machen. Am Beginn ihres Berufslebens als Sterne fusionieren die noch kleinen Sonnen in ihrem Inneren Deuterium und Lithium. Währenddessen fressen sie ununterbrochen Materie aus ihrer Umgebung, alles, was sie erwischen können, um ihr Kampfgewicht zu erreichen. Denn wenn nicht genug Masse zusammenkommt, dann war es das, dann wird aus der kleinen Sonne kein richtiger Stern, sondern nur ein Brauner Zwerg. Braune Zwerge sind die Loser in der stellaren Hierarchie. Wie sie genau entstehen, ist allerdings noch umstritten, kann sein, dass sie aus der Gas- und Staubwolke, in der Sterne normalerweise geboren werden, hinauskatapultiert werden. Quasi vom Tisch verwiesen, und müssen ohne Nachspeise ins Bett. Deshalb können sie nicht mehr Masse aufnehmen. Es könnte auch sein, dass sie sich am Rand eines entstehenden Sterns ähnlich einer Zyste bilden, und wenn ein größerer Himmelskörper vorbeikommt, dann macht er ihn weg, wenn er schon da ist. Wie ein Chirurg, der bei einer Blinddarmoperation auch gleich die Wärzchen unter der Achsel wegschneidet. Um nur zwei von mindestens sechs Möglichkeiten zu nennen, die momentan diskutiert werden.1 Wenn der Stern es aber schafft, genug Masse einzusammeln und die Kernfusion in Gang zu bringen, dann hat er eine strahlende Zukunft vor sich. Je nachdem, wie viel Masse er in die Waagschale wirft, wird dann aus ihm ein Hyperriese mit bis zu 300 Sonnenmassen2 oder, wie vor rund 4,6 Milliarden Jahren, nur ein Gelber Zwerg wie unsere Sonne mit, Sie haben es erraten, nur einer Sonnenmasse.

Kernfusion bedeutet vereinfacht gesagt, dass aufgrund der enormen Hitze und Masse im Sonneninneren zunächst Wasserstoffkerne, also Protonen, miteinander verschmelzen. Das tun sie nicht freiwillig, denn Protonen sind positiv geladen, und gleiche Ladungen stoßen sich ab. Hitze und Masse der Sonne zwingen sie aber ab und zu doch, sich näherzukommen, als es ihnen angenehm ist. Wenn Sie wollen, stellen Sie sich das so vor wie einen vollgestopften U-Bahnwaggon. Dicht an dicht stehen die Menschen und versuchen den Blicken der anderen auszuweichen und Körperkontakt möglichst zu vermeiden. Aber ab und zu überkommt es ein paar von ihnen, die Erregung geht mit ihnen durch, sie beginnen zu schmusen und können nicht mehr voneinander lassen. Das gesamte Hormonsystem des Körpers kommt in Wallung, was über rote Backen als Wärmestrahlung abgeführt wird.

Nicht anders ist es bei Wasserstoffkernen im Inneren der Sonne. Wenn die Protonen sich zu nahekommen, dann verschmelzen sie in mehreren Schritten zu einem Heliumkern. Dessen Masse ist geringer als die der an der Fusion beteiligten Wasserstoffkerne. Weil aber Masse nicht einfach verschwinden kann, wendet sie sich an die beliebteste Formel der Welt: E = mc2 und wird Energie, im vorliegenden Fall Strahlung. Das klingt nach gröberen Reibungsverlusten im Work-Flow, man nennt das auch Massendefekt, der aber sehr gut ist in dem Fall. Denn die Sonne ist so schwer, dass sie eigentlich lieber heute als morgen unter dem Druck ihrer Schwerkraft in sich zusammenstürzen würde. Die Strahlung drückt aber von innen dagegen, und so bleibt so ein Gelber Zwerg wie die Sonne Jahrmilliarden stabil. Insgesamt werden rund 600 Millionen Tonnen Wasserstoff in rund 596 Millionen Tonnen Helium umgewandelt, und zwar pro Sekunde. Also jetzt, und jetzt, und jetzt und jetzt wieder, und auch jetzt.

Ein Masseverlust von 4 Millionen Tonnen pro Sekunde klingt nach viel, ist aber angesichts der Gesamtmasse der Sonne von knapp 2 x 1030 kg lange Zeit nicht sehr dramatisch. Wenn Sie eine Orange schälen und in Spalten teilen, dann bleibt dabei auch immer wieder ein wenig Fruchtfleisch an der Schale hängen, ein bisschen Saft geht verloren, aber insgesamt werden Sie trotzdem den Eindruck haben, in eine ganze, saftige Orange zu beißen, und merken den Verlust gar nicht. So verhält es sich auch bei der Sonne, und wenn alles passt, dann kann sich zumindest auf einem Planeten dieses neuen Sonnensystems im Verlauf von gut vier Milliarden Jahren Leben entwickeln, und zwar so weit, dass Menschen wie Sie und ich in der Lage sind, sich Gedanken darüber zu machen, was in einer weiteren Milliarde Jahren passieren wird.

Was hat die Sonne mit ihrem Leben sonst noch vor? Die Sechs-Milliarden-Jahre-Prognose lautet: Etwa an ihrem 5,5-milliardsten Geburtstag, in etwa einer Milliarde Jahren, hat die Leuchtkraft der Sonne so sehr zugenommen, dass es auf der Erde deutlich wärmer wird mit einer mittleren Temperatur von 30 °C. Klingt nach Sommer ohne Ende, im Mittel bedeutet es aber, dass es an viel mehr Tagen und in viel mehr Gegenden als heute viel öfter sehr heiß sein wird. Das mögen Pflanzen nur bis zu einem gewissen Grad, dann stellen viele von ihnen den Stoffwechsel ein und sterben ab, danach sind höhere Lebewesen inklusive uns dran, weil wir ohne Nahrung leider nur sehr schlecht über die Runden kommen. Eine weitere Milliarde Jahre später beträgt die Durchschnittstemperatur dann bereits 100 °C. Davon kriegen wir aber nichts mehr mit, keine Angst.3 Äußerlich merkt man auch der Sonne relativ lange nichts an, aber an der Schwelle zum Teenageralter, also mit gut zwölf Milliarden Jahren, wird sie viel heller und größer, gleichzeitig nimmt die Oberflächentemperatur ab. Gäbe es dann noch Menschen auf der Erde, wäre der Himmel nie mehr blau, sondern rot, weil die Sonne als Roter Riese praktisch den ganzen Himmel einnehmen würde.

Zu dieser Zeit haben es Venus und Merkur bereits hinter sich, aber was passiert mit der Erde, wenn der Mutterstern übergriffig wird? Die Sonne wird deshalb viel größer, weil der Wasserstoff im Inneren irgendwann doch zur Neige geht bzw. die meisten Atome zu Heliumkernen verschmolzen sind. Die liegen aber nicht einfach herum wie Minions und lachen über ihre hohen Stimmen, sondern fusionieren auch. Nicht gleich, erst kommt die Kernfusion zum Erliegen, und die Schwerkraft nimmt die Wärmestrahlung in den Schwitzkasten. Das heißt, die Masse der Sonne macht von außen auf das Sonneninnere Druck. So lange, bis das sagt: „Gut, wenn die Gravitation sich derartig schwer macht, soll sie sehen, was sie davon hat, dann fange ich mit der Kernfusion wieder an. Aber diesmal mit Heliumkernen, höhö.“

Dabei wird es aber noch heißer, und die Wärmestrahlung bläht die Sonne auf. Sie gewinnt dramatisch an Größe, erreicht den bis zu 250-fachen Sonnenradius im Vergleich zu heute, und obwohl drinnen geheizt wird wie wild, auf über 15 Millionen °C,4 kühlt die Sonne außen ab. Warum? Ganz einfach, es muss viel mehr Oberfläche geheizt werden als früher, die ihrerseits durch den Flächenzuwachs auch viel mehr Wärme in derselben Zeit abgibt. Kartoffelpüree kühlt auch schneller ab als ein heißer Erdapfel. Haube, Handschuh und lange Unterhose bräuchten Sie aber trotzdem auch auf der kälteren Oberfläche nicht, die Temperatur beträgt noch immer an die 3000 °C. Die Erdoberfläche ist zu diesem Zeitpunkt bereits wieder glutflüssig, ganz so wie am Beginn ihrer Laufbahn vor rund 4,6 Milliarden Jahren, als das Sonnensystem entstanden ist. Das Aufblähen der Sonne wäre dann sozusagen ein sehr wirkungsvolles Anti-Aging-Programm für unseren Heimatplaneten.

Fact Box | Sternenentstehung

Ein Stern entsteht aus einer großen Wolke, aber nicht einer, die bei uns am Himmel zieht, sondern einer, die sich weiter draußen im Weltall findet, bestehend aus Gas und etwas Staub. Beim Gas handelt es sich hauptsächlich um Wasserstoff und Helium, die beiden simpelsten chemischen Elemente und die einzigen, die schon direkt nach dem Urknall entstanden sind. Wenn so eine Wolke in sich zusammenstürzt und immer dichter und heißer wird, wird irgendwann ein Stern daraus! Das zumindest ist die kurze Version. Die lange Version ist ein bisschen komplizierter.

Normalerweise hat die Wolke keine Lust, sich zu verändern. Sie bleibt eine Wolke hauptsächlich aus dünnem Gas, und das so lange, bis sie durch irgendetwas gestört wird. Zum Beispiel einen Stern, der in der Nähe der Wolke vorüberzieht, eine Supernova-Explosion oder irgendetwas anderes, das das Gleichgewicht in der Wolke durcheinanderbringt. Nun entstehen Regionen, in denen sich mehr Gasmoleküle befinden als anderswo. Diese klumpigeren Bereiche üben auf die weniger dichten Bereiche eine stärkere Anziehungskraft aus. Sie ziehen das Material aus ihrer Umgebung an und werden noch dichter. Das geht immer so weiter, und die Wolke kollabiert. Dabei wird sie auch wärmer, denn die ganze Bewegungsenergie kann nicht einfach verschwinden. Noch ist die kollabierende Wolke aber nicht dicht genug, als dass die von ihr erzeugte Wärmestrahlung nicht wieder einfach ins All abgegeben werden könnte. Erst wenn sie weit genug zusammengeklumpt ist, staut sich die Strahlung. Von innen kommend drückt sie gegen die von außen einfallenden Gasteilchen und stoppt dadurch vorerst den Kollaps. Dieser Prozess hat bis jetzt ungefähr 100.000 Jahre gedauert, und am Ende ist ein sogenannter „prästellarer Kern“ entstanden.

Mit einem Stern hat das noch nicht viel zu tun. Es handelt sich immer noch um eine sehr große Wolke aus Gas, die jetzt nur ein bisschen dichter und wärmer ist als zuvor. Von außen strömt weiter Material in ihr Zentrum, und diese ganze Materie drückt auf den dichten Klumpen und macht ihn noch dichter und heißer. Bald ist es so heiß, dass die Moleküle in einzelne Atome auseinanderbrechen. Das kostet nun aber Wärmeenergie, und die restliche Strahlung kann den Kollaps jetzt nicht mehr aufhalten. Die Wolke fällt weiter in sich zusammen und wird kleiner. Und wird dabei noch dichter und noch heißer – bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist. Das, was hier entstanden ist, nennt man „Protostern“. In seinem Inneren herrschen Temperaturen von 1000 bis 2000 °C – aber ein echter Stern ist es immer noch nicht. Dazu muss erst noch mehr Material von außen auf den Protostern fallen, damit es in seinem Inneren noch dichter und noch heißer wird. So heiß, bis sich die Wasserstoffatome im Zentrum irgendwann so schnell bewegen, dass sie nicht mehr voneinander abprallen, sondern miteinander fusionieren können. Dabei wird der Wasserstoff in Helium umgewandelt, und diese Kernfusion setzt Energie frei. Und jetzt endlich, nach ein paar Millionen Jahren, ist aus der Wolke ein richtiger Stern geworden, der aus eigenem Antrieb Energie produziert, leuchtet und dank des Drucks seiner Strahlung nicht mehr weiter kollabiert.

Stellt sich die Frage: Wird die Sonne eigentlich auch schwerer, wenn sie größer wird? Stellt sich die Gegenfrage: Warum sollte sie? Was größer wird bei unveränderter Masse, also mehr Volumen einnimmt, wird einfach weniger dicht. Dieser Tatsache verdankte auch der berühmte Wissenschaftler Richard Reeds einmal sein Leben, den Sie vielleicht als superelastisches Mastermind der Fantastic Four kennen. Noch bevor er als Mr. Fantastic endgültig seinen Durchbruch schaffte, bekam er es in einem frühen Abenteuer mit einem haushohen, echsenartigen, grünen Monster in roter Unterhose vom Planeten Kraloo zu tun. Sein Name: Gormuu. Es führte nichts Gutes im Schilde, sondern wollte vielmehr die Weltherrschaft an sich reißen. Angriffe der Luftwaffe konnten ihm nichts anhaben, das Schicksal der Erde und ihrer Bewohnerinnen schien besiegelt, da machte Mister Reeds eine Entdeckung. Wenn man das Monster mit einem Energiestrahl beschoss, dann wurde es noch größer. Das allein wäre noch kein Trost gewesen, aber eine Vermessung der gleichermaßen immer größer werdenden Fußabdrücke zeigte, dass Gormuu durch die Strahlenbehandlung offenbar nur größer, aber nicht massereicher wurde. Der Rest war für den schlauen Richard ein Kinderspiel. Gormuu wurde einfach so lange mit Energiestrahlung beschossen, bis seine Dichte aufgrund des Größenwachstums – er erreichte immerhin die Größe der Erde! – so gering wurde wie die des Vakuums im Weltall, sodass die einzelnen Atome sich nicht mehr aneinander festhalten konnten und sich allmählich im gesamten Universum verteilten.3

Ganz so schlimm kommt es für unsere Sonne nicht, oder noch nicht, das ist noch nicht geklärt, fest steht aber, sie wird nicht schwerer, nur weil das Volumen zunimmt. Ähnlich wie Popcorn, für das man ja auch nicht plötzlich zwei Hände zum Aufheben braucht, nur weil es aufgeplatzt ist.

Fact Box | Popcorn

Popcorn ist der Autobahnraser unter dem Knabbergebäck. Es platzt nicht nur sehr schnell, sondern springt dabei auch kunstvoll und macht Lärm. Aber warum wird Popcorn so schnell so groß? Aus einem relativ kleinen, dunklen Kern wird ein größeres, weißes Gebilde, und das kommt so: Ein Maiskorn besteht aus einer festen Hülle und einem weichen Inneren aus Stärke. Darin befinden sich 20 mg Wasser, die sich bei Hitze entsprechend ausdehnen. Wasser braucht in verschiedenen Aggregatzuständen verschieden viel Volumen. Das heißt, aus einem Liter Wasser werden unter Normalbedingungen durch Erhitzen 1673 Liter Dampf. Im Popcorn passiert Folgendes: Das Wasser erhitzt sich auf 180 °C. Zwar würde das Wasser gerne verdampfen, aber die Hülle ist so fest, dass es keinen Platz dafür hat, es wird im Inneren des Korns sozusagen gefangen gehalten, sodass die Temperatur auf bis zu 180 °C ansteigen kann. Und dann macht das Corn Pop. Durch den Druck des Wassers platzt die Hülle, das weiche Innere kann sich ausdehnen, bildet eine schaumartige Struktur, die nach der Ausdehnung fast augenblicklich erstarrt.

Dabei verdoppelt sich in der Regel der Durchmesser, gleichzeitig nimmt die Dichte um das 8-Fache ab. Das Pop-Geräusch entsteht aber nicht, wie man lange fälschlich angenommen hat, wenn die Hülle reißt, sondern in Wirklichkeit macht das Wasser so einen Lärm.

„Lautes Wasser“ klingt nach Esoterik, es handelt sich dabei aber um Physik. Wenn es zum Hüllenbruch kommt, entsteht noch kein Geräusch, die Schale platzt mehr oder weniger geräuschlos. Nach etwa 100 ms kommt es zu einem zweiten Hüllenbruch, und dann kommt es 6 ms später zum Pop. Das Wasser, das sich im Korn befindet, kann erst eine Zeit lang nicht heraus, weil die Schale sehr fest ist. Wenn dann die Schale bricht, entweicht das Wasser so schnell, dass es schlagartig verdampft. Und das macht schon das Pop. Das wäre aber noch nicht laut genug, sondern wir können das Geräusch vor allem deshalb so gut hören, weil gleichzeitig die schaumartige, weiße Stärkemasse aus dem Korn austritt. Diese Masse erkaltet, wie gesagt, sehr schnell, und in den offenen Hohlräumen dieser weißen Masse kann der Laut, den das Wasser beim Verdampfen erzeugt hat, hin- und herschwingen.

Das heißt, das Pop ist quasi ein Echo im geplatzten Korn.

Je größer unsere Sonne wird, desto leichter wird sie sogar irgendwann werden. Warum?

Sterne können, wenn sie sich ausdehnen, unter bestimmten Umständen, wenn ein anderer großer Himmelskörper in der Nähe ist, ihr Material durch die Schwerkraft nur bis zu einer bestimmten Grenze an sich halten. Wird diese Grenze überschritten, man nennt sie die Roche-Grenze – merken Sie sich den Namen, Sie werden ihn noch brauchen, wenn wir später Vampire im Weltall treffen –, dann macht sich die Materie in den Randbezirken selbstständig. Menschen, die mit vielen kleinen Kindern zu Fuß unterwegs sind, kennen das nur zu gut. Zwei Kinder kann man an der Hand nehmen, aber je größer die Gruppe wird, desto schwieriger wird es, alle beisammenzuhalten, und sobald man die Grenze zum Spielplatz überschritten hat, auf dem noch dazu der Eiskiosk geöffnet ist, gibt es kein Halten mehr, auch wenn man noch schnell etwas hätte sagen wollen. Bei der Sonne ist zwar der Merkur in der Nähe, aber der ist gravitativ kein Gegner. Die Sonne wird in diesem Aufblähungsstadium nicht deshalb leichter, weil der Merkur ihr was wegnimmt, sondern weil die neu angefachte Kernfusion im Zentrum des Sterns derart hohe Temperaturen erzeugt, dass auch der restliche Wasserstoff in der Schale, der sich dort noch befindet, ins muntere Fusionstreiben mit einstimmt. Im Inneren der Sonne heizen also Heliumkerne und außen Wasserstoffkerne. Man nennt das wenig originell, aber zweckmäßig Wasserstoff-Schalenbrennen. Dadurch entstehen enorme Sonnenwinde, die dann das Material der Sonnenoberfläche ins All schleudern. Hätte die Erde da noch ihre Atmosphäre, gäbe es dauernd überall fantastische Polarlichter, nicht nur an den Polen. Die Sonne feat. Roter Riese verliert in dieser Phase bis zu 28 Prozent ihrer Masse durch Sonnenwind. Bis zu 0,13-milllionstel Sonnenmassen pro Jahr verabschieden sich einfach ins Weltall. Das steckt auch die Sonne nicht so ungerührt weg, und auf die Planeten hat das natürlich auch Auswirkungen. Die bleiben ja nur deshalb so brav auf ihren Umlaufbahnen um die Sonne, weil die vergleichsweise so irrsinnig viel schwerer ist. Die Sonne kontrolliert 99,9 Prozent der gesamten Masse in unserem Sonnensystem. Die daraus resultierenden Gravitationskräfte geben Merkur, Venus, Erde, Mars usw. die Route vor. Wenn die Sonne aber massiv schwächelt, könnte das auch Auswirkungen auf die Bahnradien der Planeten haben. Merkur und Venus hätten trotzdem keine Chance, aber der Bahnradius von Erde und Mars könnte um 38 Prozent zunehmen. Damit wäre die Erdbahn um die Sonne auf Höhe der Bahn des Mars, und der wiederum würde noch weiter weg von der Sonne seine Kreise ziehen. Wenn schon alles Leben vergangen ist, könnte wenigstens der Planet einen Neustart unternehmen. Nach Abkühlen könnte theoretisch alles wieder von vorne beginnen mit Präkambrium, Phanerozoikum bis Pleistozän und Holozän zzgl. Menschen; wenn alles gut geht. Könnte man meinen. Aber erstens wird die Sonne nach ihrer Zwischenkarriere als Roter Riese irgendwann ein paar Hundert Millionen Jahre später ein Weißer Zwerg. Das heißt durch Kernfusion und Schalenbrennen wird die Hülle der Sonne abgestoßen, ein bisschen so, wie bei einer Zwiebel eine Schale nach der anderen abgeschält werden kann. Übrig bleibt ein heißer Kern, nicht viel größer als die Erde, dessen Kernfusion schließlich völlig erloschen ist. Eine strukturschwache Zone, wenn Sie so wollen. Der Stern leuchtet zwar noch ein wenig und eventuell noch sehr lange, aber die Wärmestrahlung ist gering. Für die Erde würde das bedeuten, dass die Zeit von Roter Riese zu Weißer Zwerg viel zu kurz ist, als dass sich noch einmal Leben entwickeln könnte, und zweitens, dass sie sich mit der Zeit in eine eiskalte Steinwüste verwandelt, denn ohne Atmosphäre ist es sehr schwer für einen Planeten, Wärme festzuhalten. Ohne Wintermantel wird es auch uns bei Minusgraden deutlich schneller kalt. Wenn uns dann niemand wärmt und wir das bisschen Wärme, das wir produzieren, nicht festhalten können, dann erstarren wir irgendwo und frieren ab. An Leben ist nicht mehr zu denken. Die schlechte Nachricht: Das wäre das Best Case Scenario für die Erde, sie überlebt, aber ihre Gefühle sind erkaltet. Die noch schlechtere: Jüngere Untersuchungen zeichnen ein deutlich ungünstigeres Bild.4

Durch die Aufblähung zum Roten Riesen kommt die Rotation der Sonne praktisch zum Stillstand. Warum? Es handelt sich dabei quasi um einen umgekehrten Pirouetteneffekt. Gern würde ich jetzt schreiben, dass das sicher jeder schon erlebt hat beim Eistanzen, federleicht übers Gefrorene gleiten und einen doppelten Rittberger unter dem Applaus der Umstehenden in eine Piroutte ausklingen lassen, aber die meisten von uns würden am Eis keine Pirouette zusammenbringen, sondern beim Versuch höchstens einen sehenswerten Stern reißen, wie man in Wien sagt. Denn auch wenn wir im Alltag die Reibung kaum bemerken und nur selten loben, wenn man aufs Eis geht, dann weiß man, was man normalerweise an ihr hat. Wenn man sich auf einen Drehstuhl setzt, kann man den Pirouetteneffekt aber auch erleben, ohne für Holiday on Ice trainieren zu müssen. Ist das schlecht für die Erde, wenn die Sonne sich nicht mehr dreht? Ja, sehr sogar. Und zwar weil dann die Gezeitenkräfte zeigen, was sie können, und die Erde irgendwann in die Sonne stürzen würde.

Fact Box | Sonnenwunder

Würde die Sonne plötzlich schneller zu rotieren beginnen, als sie es momentan tut, oder gar zu tanzen, wäre das aber auch nicht sehr spitze für uns. Obwohl manche Menschen behaupten, genau das schon beobachtet zu haben, nämlich im Rahmen eines sog. Sonnenwunders.

So etwas gab es schon einmal, vor knapp hundert Jahren in Portugal, und schon damals war es ein Riesenerfolg für die Veranstalter. Im Jahr 1917 ist auf einem Feld bei Fatima die Gottesmutter drei Hirtenkindern sechsmal hintereinander erschienen, jeweils am 13. des Monats. Als am 13. September die Fangemeinde bereits nennenswert war, kündigte die Mutter Jesu für 13. Oktober eine Flug-Show an, mit pyrotechnischen Special FX, mithin ein Sonnenwunder mit Ansage. Fernsehen war damals noch nicht weit verbreitet, schon gar nicht in Portugal am Land, also fand sich eine gewaltige Menschenmenge ein, dem Vernehmen nach etwa 30.000 Menschen, und die sahen genau das, was angekündigt war, nämlich ein Sonnenwunder. Nicht schlecht. Wunder sind Ereignisse, die im Widerspruch zu den Naturgesetzen stehen oder nicht durch diese erklärt werden können. Und wenn die Sonne am Himmel zu rotieren, herumzuhüpfen und zu tanzen beginnt, und ein paar Tausend Menschen sehen das, und zwar genau deshalb, weil die Mutter Gottes ihnen dieses Save the date einen Monat davor verraten und sie auf die Gästeliste gesetzt hat, dann kann und muss man mit Fug und Recht von einem Wunder sprechen. Denn Rotieren, am Himmel Herumhüpfen und Tanzen sind physikalisch für die Sonne nicht vorgesehen. Wenn sich die Sonne so benähme, hätte das für die Erde erhebliche Konsequenzen. Begänne die Sonne zu rotieren, würde sie aktiver, d.h. die Sonnenwinde stärker. Das hieße zwar mehr Nordlichter, vielleicht sogar in Äquatornähe, aber und im Weiteren auch deutlich mehr Strahlenbelastung auf der Erde. Das ist für Mensch und Tier nicht gesund. Bei einem Sonnentänzchen würde die Erdbahn sich verändern, was sehr interessante Auswirkungen auf die Jahreszeiten hätte, je nachdem, in welchem Rhythmus getanzt würde. Falls sich die Sonne für Hin- und Herspringen entschiede, wäre die Erde aufgrund der Gravitation gezwungen mitzuspringen. Das allein wäre schon aufregend, darüber hinaus ginge das aber vermutlich für die Atmosphäre, die nicht weiß, dass jetzt gleich gesprungen wird, zu schnell und sie würde sich nicht von der Stelle rühren. Sie merken, ein Sonnenwunder wäre sein Geld wert. Allein, in Fatima haben die Menschen zwar eine rotierende, tanzende und springende Sonne erlebt, aber nicht die Nebenwirkungen. Was war passiert?

Gläubige Menschen werden möglicherweise sagen: Genau darin besteht das Wunder, weniger gläubige eher nach einer plausibleren Erklärung suchen. Die gibt es natürlich auch, und sie bringt die erste Enttäuschung: Es hat auf der Welt schon sehr viele Sonnenwunder gegeben – aber es gab noch nie ein Sonnenwunder in der Nacht. Was deutlich beeindruckender wäre. Das Tolle an Sonnenwundern: Sie sind gratis, weltweit erhältlich, und jeder kann ganz sie ganz leicht selber erleben.

Was braucht man dafür? Mindestens eine Sonne und einen Himmel, sonst funktioniert es nicht, und der Himmel muss mit Dunst oder Wolkenschleier überzogen sein. Die Sonne ist zwar wirklich weit von der Erde weg – Fachleute sprechen von einer mittleren Entfernung von knapp 150 Millionen Kilometern –, aber direkt in den Stern hineinschauen, wenn er unverschleiert am Himmel steht, sollen Menschen nur dann, wenn sie gerne ihr Augenlicht verwirken möchten.

Aber das bringt man ohnedies nicht leicht zusammen, weil man wegen der Helligkeit automatisch die Augen schließt. Bei diesigem Wetter hingegen, etwa im Herbst, beispielsweise am 13. Oktober, sind die Voraussetzungen für ein Sonnenwunder ideal. Das direkte Hineinschauen in die Sonne ist dann zwar möglich, allerdings trotzdem nicht sehr angenehm, weil die Strahlungsmenge noch immer beträchtlich ist. Aus neurophysikalischer Sicht passiert Folgendes: Durch die Verschleierung ist das Sonnenlicht abgeschwächt, unsere Augen versuchen aber bei direktem Blickkontakt trotzdem noch auszuweichen. Sie bewegen sich hin und her, man spricht von einer autokinetischen Bewegung, und dadurch scheint sich die Sonne zu drehen oder zu hüpfen. Tatsächlich handelt es sich aber nur um eine optische Illusion, eine subjektive Wahrnehmung, die sich auf unserer Netzhaut und in unserem Gehirn abspielt. Nicht die Sonne tanzt, sondern unsere Augen. Und weil jeder seine Augen anders abwendet, schaut ein Sonnenwunder auch für jeden oder jede anders aus. Das war auch damals in Fatima so. Dort haben ein paar Tausend Menschen bei passendem Wetter und in Erwartung eines Wunders, was sein Eintreten noch einmal erheblich wahrscheinlicher macht, in die Sonne geschaut und einen autokinetischen Effekt erlebt. Denn die Sonne scheint nicht nur über Fatima, sondern auch über anderen Weltgegenden, und dort hat an besagtem 13. Oktober niemand eine tanzende Sonne registriert.

Um zu verstehen, was dabei passiert, wenn die Sonne die Rotation bestreikt, wenden wir uns kurz dem Verhältnis Erde/Mond zu. Wir sehen dabei das gleiche Phänomen, wie es zwischen Sonne und Erde zum Tragen käme, schon heute zwischen Erde und Mond, nur dass der Mond sich der Erde nicht nähert, sondern sich pro Jahr knapp 4 Zentimeter von uns entfernt. Das hat mit der Drehimpulserhaltung zu tun und ist in nächster Zeit nicht besonders schlimm. Wenn sich in einer Menschenbeziehung auf der Erde die Partner voneinander entfernen, und sei es nur um 4 Zentimeter im Jahr, dann fällt das auf und hat Konsequenzen. Unser Mond macht sich damit aber nur lächerlich. Seine Verhaltensauffälligkeit führt dazu, dass die Tage auf der Erde mit der Zeit etwas länger werden, aber nicht sehr. Eine Sekunde in 10.000 Jahren, das ist eine sehr lange Gleitzeit, und in 500 Millionen Jahren ist deshalb keine totale Sonnenfinsternis mehr möglich. Tod, wo ist Dein Stachel. Der Mond plustert sich auf, und die Erde entgegnet: „Komm her und spring mir auf die Brust, du Kasperl, ich brauch eh was zum Einschmieren.“

Zurück zu den Gezeiten.

Durch seine Schwerkraft bewirkt der Mond einen Gezeitenberg auf der Erde,5 durch die Rotation der Erde wandert der Gezeitenberg unter dem Mond weg, und da sich der Mond in derselben Richtung um die Erde bewegt, in die sich auch die Erde selber dreht, läuft der Mond seinem Gezeitenberg immer etwas nach. Da der Gezeitenberg auch Schwerkraft ausübt, ergibt sich daraus eine kleine resultierende Kraft auf den Mond in Richtung seiner Flugbahn um die Erde. Und deshalb macht er sich sehr, sehr langsam vom Acker. Bei Mars und einem seiner Monde ist übrigens genau das umgekehrte Phänomen zu beobachten. Eigentlich eine Frechheit. Der Mars ist viel kleiner als die Erde und hat trotzdem zwei Monde. Klassische Großmannssucht, wenn Sie mich fragen: rostig, zugig, schlecht geheizt, aber zwei Monde braucht der Herr. Achtspännig ins Armenhaus, hätte man früher gesagt. Wie auch immer.

Der Marsmond Phobos umkreist seinen Planeten Mars schneller, als dieser rotiert. Daher hinkt der Gezeitenberg, den Phobos auf dem Mars erzeugt, hinter Phobos her und erzeugt eine Kraft gegen die Flugrichtung. Ein Berg kann natürlich nicht hinken, das stimmt, aber es gibt eine Verzögerung. Aus diesem Grund wird Phobos auf seiner Bahn um den Mars langsamer, bewegt sich langsam auf einer Spiralbahn nach innen, und in 10 Millionen Jahren wird er die Roche-Grenze erreichen. Nein, wir sind noch nicht bei den Vampiren, da haben Sie zwar gut aufgepasst, aber Roche-Grenze darf ja auch so trotzdem noch einmal vorkommen. Ist ja nicht verboten, oder? Wenn es passt. Wenn Phobos die Roche-Grenze erreicht hat, dann wirkt die Gezeitenkraft, die der Mars auf ihn ausübt, stärker als seine eigene Schwerkraft, die an sich schon nicht sehr eindrucksvoll ist. Die Fluchtgeschwindigkeit, um von Phobos ins All wegzukommen, beträgt gerade einmal 40 km/h. Da reicht ein Moped.5 Das bedeutet, Steine auf der Oberfläche von Phobos fallen ab dann in Richtung Mars, und der kleine Mond löst sich mit der Zeit zu einem Ring aus Gesteinsbrocken auf, die um den Mars kreisen. Das kommt davon, wenn man unbedingt einen zweiten Mond haben will, sich aber eigentlich keinen leisten kann. Immerhin bekommt unser Nachbar dann einen Ring, so was haben wir auf der Erde auch nicht.

Das Gleiche, was Mars und Phobos vormachen, passiert auch bei der Erde, wenn die Sonne als Roter Riese, oder kurz davor, einer zu sein, die Rotation einstellt. Dann schleppt die Erde sozusagen einen Gezeitenberg auf der Oberfläche der Sonne hinter sich her und wird durch diesen gebremst. Die Sonne hilft ja nicht mehr mit, die faule Sau. Wenn die Erde durch den Masseverlust der Sonne erst ein wenig weiter weggekommen sein sollte, also auf eine größere Umlaufbahn, so war der Weg umsonst. Der Effekt kehrt sich wieder um, und unser Heimatplanet bewegt sich langsam auf einer Spiralbahn wieder zur Sonne hin. Bis zur, da ist sie schon wieder, Roche-Grenze. Seien Sie nicht so ungeduldig, wir kommen schon noch zu den Vampiren. Und Zombies gibt es im Weltall übrigens auch, und wir kommen bald zu beiden, versprochen, aber das Auftauchen des Begriffes Roche-Grenze ist kein verlässlicher Indikator dafür. Der kann noch zehnmal vorkommen, ohne dass Blutsauger in Sichtweite sind. Etwa jetzt: Roche-Grenze. Und schon wieder: Roche-Grenze. Und wer hätte das gedacht, noch einmal: Roche-Grenze. Also, können wir weitermachen?

Die Erde bewegt sich also, wir schreiben zirka das Jahr 7 Milliarden n. Chr., weil die Gezeitenkräfte ihr das mittlerweile nahelegen, auf einer Spiralbahn auf die Sonne zu, bis sie die Roche-Grenze erreicht. Blöderweise ist das Größenverhältnis zwischen Sonne und Erde aber deutlich ungünstiger für den kleineren Himmelskörper als bei Mars und Phobos, sodass diese Grenze weit innerhalb des Roten Riesen zu finden ist. Deshalb wird die Erde als Ganzes in die rote Riesen-Sonne eintauchen und dort langsam verdampfen. Die Sonne schnupft die Erde und muss sich dabei nicht einmal bewegen. Das ist das wahrscheinlichste Szenario aus heutiger Sicht.

Weniger wahrscheinlich, aber auch möglich und nicht weniger spektakulär: Der Radius einer Umlaufbahn vergrößert sich ja umgekehrt proportional zur kleiner werdenden Masse der Sonne. Es ist jetzt nicht weiter wichtig, ob Sie das sofort verstanden haben oder nicht, etliche dieser Physiksätze klingen so, dass man sich in die Mittelschulphysikstunde zurückversetzt fühlt und denkt: „Oh Gott, wann läutet endlich die Pausenglocke.“ Und bei umgekehrt proportional verdreht es vielen sofort das Gehirn und sie wollen umgehend unter der Bank vom Pausenbrot abbeißen. Ich verstehe das, und es ist nicht weiter schlimm, glauben Sie einfach, dass der Satz mit den vergrößerten Umlaufbahnradien stimmt, wenn er hier steht. Wichtiger ist, was sich daraus ergibt, und das können Sie nachvollziehen, auch ohne diesen vermaledeiten Satz eben verstanden zu haben.67

Was ich damit sagen will, ist, dass es im Zuge dessen zu Umlaufbahn-Resonanzen kommen kann (siehe Fact-Box), die, und jetzt kommt’s, zu Kollisionen zwischen Planeten führen können oder Planeten ganz aus dem Sonnensystem herausschleudern. Die würden dann zu Steppenwölfen. Auch zu denen kommen wir später ausführlicher, allerdings ganz ohne dass davor in irgendeiner Form der Begriff …(hier könnte Ihre Roche-Grenze (Name v. d. Red. geändert) stehen) vorkommt.

Fact Box | Umlaufbahn-Resonanzen

Himmelskörper können sich nicht einfach so um einen Stern herum bewegen, wie sie gerade Lust haben. Ihre Bewegung wird durch die Gravitationskraft bestimmt, die auf sie wirkt. Die Sonne als massereichster Körper in unserem System übt dabei den größten Einfluss aus, und darum kreisen die Planeten und Asteroiden auch alle um sie herum. Wenn sie in einer stabilen Umlaufbahn bleiben wollen, müssen sie das aber in der richtigen Geschwindigkeit tun. Sind sie zu schnell oder zu langsam, dann fliegen sie aus dem System hinaus oder stürzen auf die Sonne. Unsere Erde befindet sich im Durchschnitt 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, und damit sie in diesem Abstand eine stabile Umlaufbahn einnehmen kann, muss sie sich in 365 Tagen einmal rundherum bewegen. Näher an der Sonne erhöht sich diese Geschwindigkeit; der Merkur zum Beispiel braucht nur 88 Tage. Weiter weg kann sich ein Himmelskörper mehr Zeit lassen: Der Jupiter muss seine Runde um die Sonne in zwölf Erdenjahren absolvieren. Besonders interessant wird die Angelegenheit, wenn die Umlaufzeiten zweier Himmelskörper in einem ganzzahligen Verhältnis stehen. Ein Asteroid, der sich beispielsweise 374 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt befindet (und damit ziemlich genau in der Mitte des Asteroidengürtels zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter), würde für einen Umlauf um die Sonne vier Erdenjahre brauchen. Damit ist er exakt dreimal langsamer als Jupiter mit seinen zwölf Erdenjahren. Ein Jupiterjahr ist also genauso lang wie drei Asteroidenjahre. Und das kann für den Asteroid gravierende Folgen haben. Da die Umlaufzeiten in einem ganzzahligen Verhältnis von 3:1 stehen, stehen auch die beiden Himmelskörper alle drei Asteroidenjahre (oder jedes Jupiterjahr) wieder in genau dem gleichen Verhältnis zueinander entlang ihrer Bahnen.

Mit dem Asteroid kann nun das passieren, was mit einem Kind auf einer Schaukel passiert. Wenn man die Schaukel immer genau zum richtigen Zeitpunkt anschubst, dann wird sie höher und höher nach oben schwingen, auch wenn man selbst dafür immer nur die gleiche Kraft aufwendet. Genau so können sich die gravitativen Störungen des Jupiters „aufschaukeln“. Jedes Mal, wenn der große Planet wieder einen kompletten Umlauf um die Sonne hinter sich gebracht hat, befindet sich der Asteroid in genau der gleichen Position wie beim letzten Mal. Die Gravitationskraft „trifft“ den Asteroid daher auch immer auf die gleiche Art und Weise, anstatt dass die Störungen sich im Laufe der Zeit zufällig verteilen. Früher oder später wird seine Bahn durch diese sogenannte Resonanz so stark verändert, dass er seinen Platz verlässt und aus dem Sonnensystem geworfen wird (bzw. auf einer Kollisionsbahn mit einem der anderen Planeten landet). Deswegen findet man im Asteroidengürtel auch eine entsprechende Lücke, in der sich kaum Felsbrocken befinden. Neben der 3:1-Resonanz gibt es noch mehr solche gefährlichen Orte – zum Beispiel die sogenannte „Hecuba-Lücke“ der 2:1-Resonanz, die die äußere Grenze des Asteroidengürtels darstellt. Resonanzen können unter den richtigen Umständen aber auch positiv auf die Stabilität von Umlaufbahnen wirken. Wenn sich zwei resonante Himmelskörper einmal nahe sind, dann sorgt die Resonanz dafür, dass sie sich in regelmäßigen Abständen immer wieder nahekommen und die gravitativen Störungen immer stärker werden. Ist der Abstand zwischen zwei Himmelskörpern mit resonanter Bewegung aber groß, weil sie sich zum Beispiel auf unterschiedlichen Seiten der Sonne befinden, dann wiederholt sich auch diese Konfiguration regelmäßig, und die Störungen können nie sehr stark werden. Darum gibt es im Asteroidengürtel nicht nur Lücken, sondern auch Anhäufungen wie die „Hilda-Gruppe“ an der Position der 3:2-Resonanz oder die „Thule-Gruppe“ bei der 4:3-Resonanz.

D.O.A. – Death on arrival

Alles bisher über das Weltenende Gesagte tritt natürlich nur dann, und auch nur sehr wahrscheinlich, in Kraft, wenn davor das Universum, wie anfangs angedeutet, nicht spontan untergeht. Wiewohl angedeutet ein bisschen untertrieben ist, eine Todesanzeige ist schon eher ein Wink mit dem Zaunpfahl. Wie hat es so weit kommen können? Sie werden staunen, es ist vielmehr überraschend, dass es überhaupt so weit gekommen ist. Wenn Sie also noch unbedingt einen Sinnspruch auf der Todesanzeige des verblichenen Universums oberhalb einfügen wollen, so wäre „Weine nicht, weil es zerfallen ist, sondern sei dankbar, dass es expandiert ist“ eine adäquate Wahl.

Wenigstens hat es nicht lange leiden müssen, könnte man auch noch sagen. Wobei, bis ein ganzes expandierendes Universum zerstört ist, das dauert seine Zeit, selbst mit Lichtgeschwindigkeit hat man da als Todesblase, und nichts weniger als das würde für diese Arbeit angeheuert, wie wir sehen werden, kein freies Wochenende.

Das ist natürlich alles nur hypothetisch, denn wenn Sie diese Zeilen lesen können, dann erfreut sich das Universum noch bester Gesundheit und schmiedet Pläne, wie es sich noch weiter ausdehnen kann. Aber das, was dem Universum möglicherweise am Ende bevorsteht, kann jederzeit eintreten. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem gering, da haben Sie recht, im Mittel passiert so etwas wie ein Universumsuntergang auf Basis der momentanen Gegebenheiten bei uns nur alle 10100 Jahre, also wirklich sehr selten. Aber im Mittel heißt in dem Fall nur, dass es zwar nicht oft vorkommt, sagt aber überhaupt nichts über den Zeitpunkt. Es kann tatsächlich erst in 10100 Jahren passieren, oder schon deutlich früher oder aber schon in der nächsten Sekunde. Das bedeutet nämlich im Mittel. Wenn etwas alle 10 Jahre einmal vorkommt, dann kann es zweimal knapp hintereinander passieren und dann wieder 10 Jahre nicht und hätte sich trotzdem nichts vorzuwerfen. Die Zahl 10100 nennt man übrigens Googol. Nach ihr hat sich eine der mittlerweile reichsten Firmen der Welt benannt, die bei Ankunft der Todesblase aber spätestens nicht mehr an der Börse notiert wäre.

Das ist natürlich wissenschaftlich nicht ganz korrekt. Wenn es wirklich dazu kommen sollte, dann bleibt vom Universum, wie wir es kennen, praktisch nichts übrig. Kein weißes Rauschen, keine Moleküle, nichts außer Elementarteilchen. Vermutlich. Es kann auch ganz anders aussehen danach. Und es handelt sich auch nicht um eine Störung, die man entschuldigen möge, wie das Insert oben nahelegt, der Untergang gehört einfach dazu zu einem Universum wie dem unseren, es wurde werkseitig so geliefert, quasi geplante Obsoleszenz. Wiewohl es aber gleich weitergeht, das stimmt wieder. Aber ohne uns und alles, was unser Leben bislang angenehm gestaltet hat.

Und wer ist schuld? Wir wollen nicht in ein laufendes Verfahren eingreifen, aber vermutlich niemand. Zumindest, wenn Sie dazu neigen, naturwissenschaftliche Erklärungen für die Existenz eines Universums zu akzeptieren. Das ist zwar grundsätzlich sinnvoll, aber natürlich eine schlechte Grundlage, wenn man das Universum von der Haushaltsversicherung ersetzt haben möchte. Denn wenn in der Schadensmeldung steht: „Plötzlich war das bislang bekannte Universum weg, einfach so, obwohl niemand was gemacht hat“, dann wird sich der Versicherungsträger eher für unzuständig erklären. Denn das klingt wie in dem berühmten Kinderwitz von den Herren Niemand, Keiner und Blöd.

Da haben es gottgläubige Menschen ausnahmsweise einmal besser. Menschen gibt es ja schon ein paar Millionen Jahre lang, Religionen haben sie aber erst relativ spät erfunden, und seit ein paar Hundert Jahren kann man diese auch überhaupt nicht mehr brauchen, wenn man den Kosmos verstehen will. In der Naturwissenschaft ist Gott nämlich keine sinnvolle Hypothese. Einen allmächtigen Schöpfer anzunehmen, um auch nur irgendwas im Universum zu erklären, ist viel zu kompliziert. Außer vielleicht, warum Menschen Weihnachten und Ostern feiern.

Aber wenn das Universum kaputt ist und man einen Schuldigen braucht, dann ist ein Allmächtiger ein erstklassiger Sündenbock. Dann schreibt man in den Unfallbericht: „Wie in den Statuten geschrieben steht, hat der Allmächtige alles erschaffen und kann es auch wieder vergehen lassen. Das hat er am (Datum einfügen) auch gemacht, ich ersuche daher, das gesamte Universum zu ersetzen. Oder zumindest den Anschaffungspreis, wiewohl es durch die Expansion mittlerweile viel mehr wert war.“

Wie groß wäre der Sachschaden eigentlich? Was ist alles kaputt, wenn ein Universum Totalschaden erleidet? Kann man irgendwas weiterverwenden? Oder ist alles, so wie wir es kennen, tatsächlich weg und man muss mit dem großen Wagen zum Möbelhaus? Schwer zu sagen, und das liegt nicht nur daran, dass das Universum seit seinem ersten großen Auftritt als Big Bang als unendlich gilt. Das klingt zwar beeindruckend, aber kaum jemand kann sich darunter etwas vorstellen, und es verrät auch wenig übers tatsächliche Inventar. Seit dem Verschwinden der Dinosaurier haben wir Menschen uns bis heute durchgehend und erfolgreich auf der Erde wichtig gemacht, aber wie vermutlich schon die Dinosaurier, so haben auch wir bis heute keine genauen Zahlen, wie groß das Universum tatsächlich ist und was alles in ihm herumsteht. Das ist einerseits sehr demokratisch, denn es macht alle Menschen sofort gleichermaßen zu kosmologischen Fachkräften. Auf die Frage nach der Größe des Universums brauchen Sie einfach nur mit „Weiß niemand so genau“ zu antworten, und kein Nobelpreisträger, keine Nobelpreisträgerin könnte es besser formulieren. Andererseits ist das keine besonders coole Antwort. Da waren schon die Orakel der Antike raffinierter. Die dort diensthabenden Sachbearbeiter haben gewusst, wenn man schon keine exakte Antwort parat hat, dann zumindest in Rätseln sprechen, das gilt auch als schlau. Eine bessere Antwort wäre also etwa: „Das Universum war von Anfang an unendlich und ist es noch immer und wird es auch immer sein.“ Damit kann zwar auch kaum wer was anfangen, aber alle, die vorher nur gesagt haben: „Weiß niemand so genau“, wären damit aus dem Feld geschlagen.

Bevor wir uns der Frage zuwenden, warum sich das Universum denn in akuter Todesgefahr befindet und welche dunklen Mächte es vernichten wollen, versuchen wir, Inventur zu machen. Wie viele Galaxien hätte es erwischt bei einem Universumsuntergang? Wie viele Sterne? Wie viele Planeten? Auch hier gibt es nur Schätzwerte. Allein was unsere Heimatgalaxie betrifft, ändert sich das Phantombild alle paar Jahre radikal.

Das deutsch-österreichische Komikerduo Stermann/Grissemann erzählt fast seit seinem Bestehen immer wieder gern denselben Witz, sie hätten sich im Rundfunk die Karriereleiter hinuntergebumst. Das gilt in unserem Sonnensystem natürlich für den Zwergplaneten Pluto, der einmal eine Zeit lang Planet war, aber vor allem für die Milchstraße. Die war noch bis 1925, vor nicht einmal hundert Jahren, das gesamte Universum, mit allem Drum und Dran, ohne Konkurrenz. Das muss man sich einmal vorstellen. Selbst Albert Einstein hatte damals alle Hände voll zu tun, dieses Universum als statisch zu beschreiben, damit alles so bleibt, wie es ist. Die Allgemeine und Spezielle Relativitätstheorie waren bereits auf dem Markt, da hat ihn der belgische Priester und Physiker Georges Lemaître darauf hingewiesen, dass er es bitte auch einmal mit einem Urknall versuchen möge, seine neuen Theorien würden das hergeben. Genauer sprach der Gottesmann von einem „kosmischen Ei, das im Moment der Entstehung des Universums explodierte“, und wusste auch das genaue Datum, an dem das geschehen sein sollte, nämlich dem „Tag ohne Gestern“.6 Und da kann es, ähnlich wie beim Highlander, nur einen geben. Wie hat Einstein darauf reagiert? Wäre er damals Hutschenschleuderer im Wiener Wurschtlprater gewesen, hätte er dem umtriebigen Belgier vielleicht geantwortet: „Geh krachen, du Weh“, so aber lautete seine Antwort: „Ihre Berechnungen sind zwar mathematisch richtig, aber Ihre Physik ist schrecklich.“ Die Freude der Milchstraße über ihren berühmten Verteidiger währte aber nur kurz, denn schon kam der US-amerikanische Astronom Edwin Hubble des Weges, zeigte mithilfe der Berechnungen von Henrietta Swan Leavitt unter anderem, dass die Milchstraße kein Einzelkind ist, und so sitzt sie heute als weitgehend unbedeutende Galaxie am Katzentisch des Kosmos, und alle, die mögen, dürfen an ihren Personalien herumdoktern. Und tun das auch. Und wie.

Es ist noch nicht so lange her, etwa sechzig Jahre, da konnte mit Radioteleskopen nachgewiesen werden, dass es sich bei der Milchstraße um eine Spiralgalaxie handle, und zwar mit vier Armen. Da waren sich alle einig, da biss die Maus keinen Faden ab. Zeitweise waren es sogar fünf. Dann im Jahre 2008 plötzlich die Degradierung, zwei Arme kamen weg. Warum? Weil anhand von Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Spitzer, seine Spezialität ist der Infrarotbereich, die Amputation von zwei Extremitäten dringend nahegelegt wurde.7 Fünf Jahre später, wieder zurück in der Radioteleskopie, waren beide Arme wieder nachgewachsen8 wie bei einem galaktischen Axolotl. Dafür wurde kein Jahr später die Masse nach unten korrigiert. Egal wie viele Arme, die Milchstraße sei ab sofort nur noch halb so schwer wie ihre Nachbargalaxie namens Andromeda, nämlich 400 Milliarden Sonnenmassen.9 (Aber keine Sorge, in etwa drei Milliarden Jahren verschmelzen die beiden zu einer Galaxie, und dann gehört wieder allen alles.) Dafür ist sie plötzlich länger, statt der gewohnten rund 100.000 Lichtjahre misst sie von einem Ende zum anderen möglicherweise um die Hälfte mehr.10