Das Verhör | Ein psychologischer Kriminalroman - Astrid Pfister - E-Book

Das Verhör | Ein psychologischer Kriminalroman E-Book

Astrid Pfister

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Beschreibung

Ein Banküberfall mit tödlichem Ausgang, ein unerbittlicher Verhörspezialist – doch der Täter besteht auf seine Unschuld

Ein brutaler Banküberfall mit Schusswaffengebrauch erschüttert das Ruhrgebiet. Eine Geisel stirbt. Der Täter schweigt.

Kriminalhauptkommissar und Verhörspezialist Leonard Lehmann kennt das Spiel – und doch ist dieser Fall anders.
Mark Jankowitz wirkt nicht wie ein kaltblütiger Mörder: Keine Vorstrafen. Keine erkennbare Motivation. Und doch liegt ein Mann tot in der Sparkasse.

Während das Verhör stockt und die Beweise gegen Jankowitz erdrückend sind, stößt Lehmann auf Widersprüche, die ihn nicht mehr loslassen.
Was hat den Täter wirklich zu seiner Tat getrieben? Und warum fühlt sich Lehmann plötzlich stärker mit ihm verbunden, als ihm lieb ist?

Erste Leser:innenstimmen
„Ein meisterhafter Kriminalthriller mit psychologischem Tiefgang – absolute Empfehlung!“
„Dieser fesselnde Ermittlerkrimi überzeugt sowohl durch die von unerwarteten Wendungen durchzogene Handlung als auch den raffinierten Kommissar.“
„Ein absolut spannender Fall, ein unerklärliches Verbrechen, ein Ermittler, der nicht locker lässt. All das liefert dieser höchst spannende Kriminalroman.“
„Ich war von der ersten Seite an wie gefesselt von diesem tiefgründigen Spannungsroman mit überraschendem Finale.“

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Seitenzahl: 249

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses E-Book

Ein brutaler Banküberfall mit Schusswaffengebrauch erschüttert das Ruhrgebiet. Eine Geisel stirbt. Der Täter schweigt.

Kriminalhauptkommissar und Verhörspezialist Leonard Lehmann kennt das Spiel – und doch ist dieser Fall anders. Mark Jankowitz wirkt nicht wie ein kaltblütiger Mörder: Keine Vorstrafen. Keine erkennbare Motivation. Und doch liegt ein Mann tot in der Sparkasse.

Während das Verhör stockt und die Beweise gegen Jankowitz erdrückend sind, stößt Lehmann auf Widersprüche, die ihn nicht mehr loslassen. Was hat den Täter wirklich zu seiner Tat getrieben? Und warum fühlt sich Lehmann plötzlich stärker mit ihm verbunden, als ihm lieb ist?

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Oktober 2025

Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-69090-335-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-69090-336-3

Copyright © 2018, Ullstein Buchverlage GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2018 bei Ullstein Buchverlage GmbH erschienenen Titels Verräterisches Schweigen (ISBN: 978-3-95819-206-5).

Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © 3d_kot, © zef art depositphotos.com: © iloska Korrektorat: Susanne Meier

E-Book-Version 30.09.2025, 12:51:33.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Prolog

Die blutüberströmte Leiche des Rentners lag grotesk verdreht zwischen den Aktenschränken des Abteilungsleiters. Aufgrund der Schusswunde im Kopf hatte es eines Ausweises bedurft, um ihn als Helmut Weißenberger identifizieren zu können, denn viel war nicht mehr von dem Gesicht des Opfers zu erkennen. Makabrerweise war das einzig deutlich Erkennbare in diesem verheerten Gesicht nur die in Panik und Todesangst weit aufgerissenen Augen.

Als der Rentner sich heute Morgen entschlossen hatte, die beschauliche Herner Sparkasse zu betreten, hätte er bestimmt nicht im Traum daran gedacht, diese nicht mehr lebend zu verlassen.

Der Polizist warf einen Blick in den Hauptraum der Sparkasse, wo sich gerade der Geiselnehmer widerstandslos Handfesseln anlegen ließ.
 Wieso tat ein Mensch so etwas? Eine Bank zu überfallen, war das eine … Geiseln zu nehmen schon extremer, aber einen harmlosen alten Mann kaltblütig zu erschießen?

Vor allem war dieser Mord absolut sinnlos. Die Polizisten hatten die Sparkasse noch nicht gestürmt, das SEK war noch gar nicht eingetroffen, keiner hatte dem Geiselnehmer gedroht und er selbst hatte noch keinerlei Forderungen gestellt, zu dessen Druck er Geiseln hätte umbringen müssen. Das Ganze ergab überhaupt keinen Sinn; was wiederum bedeutete, dass sie es hier höchstwahrscheinlich mit einem Geisteskranken zu tun hatten, was die ganze Sache noch schwieriger machen würde.

Das einzig Positive an diesem schrecklichen Vormittag war, dass sie den Mann hatten stoppen können, bevor er noch mehr Unschuldige umbrachte.

Er wusste, als Polizist musste er so etwas gewohnt sein, aber er lebte schließlich nicht in New York oder Berlin, sondern in einer kleinen Stadt, die keinerlei Erfahrungen mit Geiselnahmen und brutalen Morden hatte. Bis auf den Fall Marcel Heße, der deutschlandweit für Aufsehen gesorgt hatte und die Stadt vor einiger Zeit in einen Ausnahmezustand versetzt hatte.

Außerdem empfand er so eine Wut, dass er lieber hier in diesem stickigen Büro mit der Leiche blieb, statt den Hauptraum der Sparkasse zu betreten, denn er befürchtete, dass er den Geiselnehmer sonst mehr als nur grob anfassen würde. Es brachte ihn nämlich auf die Palme, zu sehen, wie kaltschnäuzig und cool dieser sich gab. Er stand dort herum, als warte er auf den Bus, und nicht, als hätte er gerade einem wehrlosen alten Mann einfach mal so in den Kopf geschossen.

Kapitel 1

Leonard seufzte, als er den Verdächtigen durch den Einwegspiegel des Vernehmungszimmers beobachtete. Eigentlich war heute sein freier Tag gewesen, und zwar der erste nach einer gefühlten Ewigkeit, da immer wieder genauso etwas wie jetzt passierte, wenn er seine zu einem Berg angewachsenen Überstunden in freie Tage umwandeln wollte. Es klang immer so toll, wenn Kollegen oder sogar die Bürgermeister ihn als DEN führenden Verhörspezialisten von NRW anpriesen, aber die Kehrseite der Medaille war eine gescheiterte Ehe und ein Kind, das er von Herzen liebte, aber nur alle vierzehn Tage mal am Wochenende sah. Und das er heute wieder einmal hatte enttäuschen müssen.

Er sah noch immer den anklagenden und traurigen Blick seiner Tochter vor sich, als er hierher gemusst hatte.

Und dadurch, dass er gefühlt nonstop arbeitete, blieb ihm auch keine Zeit, mal in eine Bar zu gehen, um eine neue Frau kennenzulernen.

Heute Abend hatte er eigentlich ein Date mit einer alten Schulfreundin, die er zufällig bei Facebook wiedergefunden hatte und was tat er, anstatt mit ihr gemütlich in seiner Lieblingspizzeria zu sitzen oder den Tag mit seiner Tochter zu verbringen? Er trank literweise scheußlichen Kaffee und verbrachte den Tag und den Abend mit einem weiteren Monster der Gesellschaft. 
Manchmal fragte sich Leonard Lehmann, warum er jemals bei der Polizei angefangen hatte und nicht stattdessen lieber Lehrer oder Supermarktkassierer geworden war. Ein ruhiger Job mit geregelten Arbeitszeiten und einer Familie, zu der er jeden Tag pünktlich zum Essen heimkehren konnte.

Aber wenn er ehrlich war, liebte er seinen Job, trotz all der negativen Dinge, die damit verbunden waren. Denn das, was er tat, hatte eine Bedeutung. Er half mit seiner Arbeit, die Welt ein Stückchen sicherer, ein Stückchen besser zu machen und von welchem der „ruhigen und einfachen“ Jobs konnte man das schon behaupten. Er hatte im Laufe seiner Karriere schon den einen oder anderen Verbrecher hinter Gittern gebracht und auch dieses Mal würde es nichts anderes sein. Sein Ruf eilte ihm voraus und er wurde mittlerweile nicht nur in ganz NRW angefordert, sondern auch bei kniffligen Fällen im Rheinland hinzugezogen. Diese ständige Hin- und Herreiserei hatte seiner Ehe natürlich auch nicht gerade gutgetan. 
Da war es ja eigentlich mal eine Erholung, bei einem Fall in seiner Heimatstadt, wo er seine Karriere begonnen hatte, tätig zu sein. Wobei er nicht so ganz verstand, was er hier zu suchen hatte, denn der Mann in dem Verhörraum war so offensichtlich schuldig, dass selbst ein Anfänger ihn überführen könnte.

Leonard gab zu, dessen Äußeres ließ nicht vermuten, dass er zu so einer Tat fähig war, denn der Mann sah geradezu liebenswürdig aus. Wenn er ihn auf der Straße gesehen hätte, hätte er ihn wahrscheinlich für einen typischen Beamten mittleren Alters gehalten. Schütter werdendes braunes Haar, das an den Schläfen schon graue Strähnen zeigte und treue blaue Augen hinter einer dicken Brille. Er trug eine braune Stoffhose, ein weißes Hemd und darüber einen brauen Wollpullover. 
Nichts von alledem deutete darauf hin, dass dieser Mann heute Morgen die städtische Sparkasse überfallen, alle Leute, die sich darin befunden hatten, als Geisel genommen und nach einigen Stunden einen älteren Herrn kaltblütig erschossen hatte. 
Aber so war es oft. Man sagte ja nicht umsonst: Stille Wasser sind tief. Wie viele Serienmörder in der Geschichte waren gerade deshalb so erfolgreich, weil sie so harmlos und manchmal sogar regelrecht attraktiv gewesen waren. Wenn man so jemandem begegnete, sandte der Körper leider keinerlei Alarmsignale aus. Oft waren es gerade die Harmlosen oder die Außenseiter, die eines Tages durchdrehten und wahre Blutbäder anrichteten. Genau wie in diesem Fall.

Als der Mann die Bank betreten hatte, hatte ihm wahrscheinlich keiner der dort Anwesenden auch nur einen Blick geschenkt. Und wenn die Polizei ihn nicht rechtzeitig überwältigt hätte, wären sie jetzt vielleicht alle tot. 
Aber obwohl dieser Fall von äußerster Brutalität und Skrupellosigkeit zeugte, sah Leonard nicht, warum gerade sein Verhörtalent hier vonnöten war, denn schließlich war dieser Mann mitten in der Sparkasse überwältigt worden, in dem Raum mit dem Mann, den er erschossen hatte, und alle Geiseln hatten bezeugt, dass er die Sparkasse am Morgen überfallen hatte. Wie bitteschön sollte er sich aus dieser Nummer wieder herausreden? Selbst der teuerste Anwalt würde keine milderen Umstände bei so etwas erreichen können, geschweige denn einen Freispruch. 
Leonard seufzte noch einmal tief, während er an sein verpasstes Date dachte, und daran, wie der Abend vielleicht hätte ausklingen können, als er aus dem Raum ging, die Tür öffnete und dadurch den angrenzenden Verhörraum betrat.

„Hallo, mein Name ist Kriminalhauptkommissar Leonard Lehmann. Ich würde mich gerne mit Ihnen unterhalten.

Wie mir die Kollegen sagten, verzichten Sie auf einen Anwalt, ich informiere Sie hiermit aber noch einmal darüber, dass Sie das Recht haben, das Gespräch jederzeit zu unterbrechen und einen Anwalt anzurufen. 
Können Sie sich keinen eigenen Anwalt leisten, wir Ihnen vom Gericht einer gestellt. In Ordnung?“
Mark Jankowitz bejahte leise.

„Ich dachte, Sie hätten vielleicht Durst, deshalb habe ich Ihnen einen Kaffee mitgebracht“, sagte Leonard.
Im Laufe seiner Karriere war er ein Experte darin geworden, wie er in der ersten Zeit mit einem Verdächtigen vorgehen musste. Zuallererst ging er in den Raum nebenan und beobachtete die Person eine ganze Weile, um sich einen Eindruck von ihr zu verschaffen. Erst dann entschied er, wie er vorgehen würde. Und in diesem speziellen Fall hatte er beschlossen zuerst die Masche des verständnisvollen und freundlichen Polizeibeamten durchzuziehen, um so das Vertrauen des Mannes zu gewinnen. Dieser sollte das Gefühl haben, dass Leonard durchaus nachvollziehen konnte, warum er diese Tat begangen hatte und dass der Mann ihm ohne Probleme alles darüber erzählen konnte. Sollte diese Technik nicht funktionieren, hatte Leonard noch unzählige Methoden in petto, die er anwenden könnte. 
Der Mann blickte Leonard mit ernstem Gesicht an, und dieser registrierte die zusammengesunkene Körperhaltung des Mannes, die hängenden Schultern und die blutunterlaufenen Augen. Dieser Mann war am Ende seiner Kräfte, was dem Kriminalhauptkommissar nur recht war. Vielleicht hatte er ja Glück und der Mann gestand innerhalb kürzester Zeit, sodass Leonard sein Rendezvous doch noch mit Verspätung einhalten konnte.

Er setzte sich dem Mann gegenüber, nahm einen Schluck des ekelhaften Gebräus, das die Dienststelle Kaffee nannte, und schlug dann seine Unterlagen auf.

Auch sein Gegenüber griff nach dem mitgebrachten Kaffeebecher und trank einen Schluck, verzog aber sofort angewidert das Gesicht. Aus den Augenwinkeln nahm Leonard wahr, dass der Mann so sehr zitterte, dass er kaum fähig war zu trinken.

Auch das war nichts Untypisches. Wenn es sich nicht gerade um einen passionierten Serienkiller handelte, konnte ein Verbrecher während seiner Tat noch so abgebrüht sein; wenn er erst einmal ein paar Stunden in einem Verhörzimmer saß, verwandelte er sich schnell in ein zitterndes Häufchen Elend.
 „Vielen Dank für den Kaffee“, flüsterte der Mann kaum wahrnehmbar.


„Kein Problem“, entgegnete Leonard. „Laut den Notizen meines Kollegen heißen sie Mark Jankowitz, sind fünfundvierzig Jahre alt und wohnen hier in Herne. Ist das alles korrekt?“

Sein Gegenüber nickte mit gesenktem Blick.

Kriminalhauptkommissar Lehmann sah ihn intensiv an und sagte dann: „Und stimmt es, dass Sie heute Morgen um 9.30 Uhr, genau zur Öffnungszeit die Sparkasse in der Herner Innenstadt betreten haben?“

Abermals nickte der Mann.

„Sie müssen meine Fragen bitte laut und deutlich beantworten, damit sie richtig aufgezeichnet werden können.“

„Ja, das habe ich“, antwortete Mark Jankowitz mit zittriger Stimme.

„Und stimmt es, dass Sie alle anwesenden Personen als Geiseln genommen haben?“

Der Mann zögerte einen Augenblick. „Jein.“

„Jein?“, wiederholte Leonard verwirrt. „Was soll das heißen – Jein?“


„Ich wollte sie nicht als Geiseln nehmen, ich wollte doch nur das Geld!“, entgegnete Mark Jankowitz.

„Und Sie dachten, Sie spazieren einfach in die Sparkasse hinein, nehmen das Geld an sich und gehen dann in aller Seelenruhe nach Hause?“, fragte der Kriminalhauptkommissar zynisch.

Als der Mann keine Antwort gab, sprach Leonard weiter: „Und weil Sie ja nur so harmlose Absichten hatten und eigentlich noch nicht einmal Geiseln nehmen wollten, dachten Sie, wenn ich schon einmal dabei bin, kann ich ja auch gleich eine der Geiseln erschießen?“

Mark Jankowitz hielt den Blick weiterhin auf seine Hände gesenkt, die nervös mit dem Pappbecher spielten, und schüttelte abermals den Kopf.

Langsam war Leonard mit seiner Geduld am Ende. Würde er dem Mann ab jetzt jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen müssen? Dann würden sie ja noch ewig hier sitzen.

„Wie gerade schon gesagt, ein Rekorder nimmt unser gesamtes Gespräch auf, deshalb reicht es nicht aus, nur zu nicken. Sie müssen Ihre Antworten klar und deutlich aussprechen.“

„Nein“, stieß der Geiselnehmer hervor.

Kriminalhauptkommissar Lehmann runzelte die Stirn. „Was Nein?“

„Nein, ich habe so etwas nicht im Traum gedacht, und nein, ich habe keine Geisel erschossen!“

Leonard verlor jetzt seine aufgesetzte Ruhe und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Genau diesen Schwachsinn hatte er auch schon den anderen Polizisten aufgetischt.

„Sie wollen mir also weismachen, Sie haben keine Geisel erschossen?“

Der Mann nickte, erinnerte sich dann aber an die Ermahnung des Kriminalhauptkommissars und sagte deutlich: „Nein, ich habe keine Geisel erschossen!“

„Dann muss ich mir die blutüberströmte Leiche von Helmut Weißenberger, die wir in einem der Büros gefunden haben, wohl nur eingebildet haben … zusammen mit den acht Geiseln, die allesamt gehört haben, wie Sie geschossen haben!“

Kriminalhauptkommissar Leonard schäumte innerlich vor Wut. Er hatte unzählige Jahre Erfahrung in seinem Job und er war wirklich gut. Er kannte all die psychologischen Tricks der Verbrecher und konnte sich auf jeden davon mühelos einstellen. Er analysierte sein Gegenüber, fand dessen Schwachstelle und machte sie sich anschließend zunutze. Er wusste immer genau, bei welchem Angeklagten es ratsam war, ruhig und freundlich zu reagieren, oder wo er den knallharten Polizisten rauskehren musste, der notfalls auch vor Gewalt nicht zurückschreckte. Und bei manch einem half es auch, sich als Verbündeter darzustellen, der ja nur zu gut verstehen konnte, warum der Täter getan hatte, was er getan hatte.

Aber diese Art von Typ hatte ihn schon immer zur Weißglut getrieben. Diese nach außen hin so harmlosen Männer, die den Anschein gaben, keiner Fliege etwas zuleide tun zu können und die in Wirklichkeit die abscheulichsten Monster von allen waren, und dann dachten sie auch noch, dass sie einen für dumm verkaufen könnten. 
Aber nicht mit ihm. Er war schließlich derjenige, der am längeren Hebel saß und er würde Jankowitz jetzt erst einmal schmoren lassen. Mal schauen, ob er nach ein paar Stunden immer noch bei Laune war, ihn anzulügen. 
Und dabei hatte der Tag so gut begonnen, dachte Leonard, als er zur Kaffeemaschine ging um sich einen neuen Becher von der Säure, die sie hier Kaffee nannten, einzuschenken.

Kapitel 2


„Papa ist da! Papa ist da!“, schallte es ihm schon entgegen, bevor überhaupt die Tür geöffnet wurde. Er ging auf die Knie hinunter und schloss das Mädchen mit den wippenden Haarzöpfen in die Arme, das ihm sofort entgegensprang.

„Hallo, meine Süße. Da freut sich aber eine, mich zu sehen.“ 
Er hob seine Tochter Joy hoch und trug sie ins Wohnzimmer, während er mit dem Fuß die Wohnungstür zustieß. Mit Erstaunen stellte er fest, dass sie schon wieder ein Stück gewachsen zu sein schien, in den vier Wochen, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Manchmal fragte er sich, wo die Zeit geblieben war. Sie war nun schon sechs Jahre alt und es kam ihm wie gestern vor, als er sie im Krankenhaus nach der Geburt im Arm gehalten hatte.

„Hier ist ihr Rucksack, da ist alles drin, was sie braucht. Und denk daran, sie mit Sonnencreme einzureiben, du weißt, wie schnell sie einen Sonnenbrand bekommt“, sagte seine Ex-Frau Laura und drückte ihm den quietschrosa Prinzessin-Lillifee-Rucksack in die Hand.

Kein „Hallo“ oder „Wie geht es dir?“ Das hatte sie sich schon lange abgewöhnt. Sie trieb nur noch die nötigste Konversation mit ihm und war gerade so freundlich, dass Joy nichts von den Spannungen mitbekam. 
Einerseits konnte er ihr Verhalten ja verstehen, er war weiß Gott kein guter Ehemann oder auch Vater gewesen. Er war ein außergewöhnlich guter Kriminalhauptkommissar und im Laufe der Jahre hatte er festgestellt, dass der Spruch „Man kann nicht alles im Leben haben“, leider wirklich stimmte. Ein guter Ehemann und Vater und gleichzeitig ein toller Polizist zu sein, ging einfach nicht. Eines von beiden hatte er zwangsläufig vernachlässigen müssen … es war ja nicht so, dass er sich bewusst gegen seine Ehe und für seine Karriere entschieden hatte … es war einfach so passiert. Immer wieder hatte er Überstunden machen müssen oder war zu Notfällen gerufen worden. Und auch wenn jeder Therapeut einem davon abriet, hatte er einfach nicht anders gekonnt, als seine Arbeit manchmal mit nach Hause zu nehmen. Er war auch nur ein Mensch und manches, was er im Laufe der Jahre gesehen hatte, war so schrecklich gewesen, dass er es nach Feierabend nicht einfach hatte hinter sich lassen können.
 Und das wiederum hatte seine Frau umso mehr geärgert. Er war so selten zu Hause, reiste ständig in ganz NRW herum, und wenn er dann einmal da war, war er doch nicht da. Körperlich war er zwar anwesend, aber seine Gedanken drehten sich ständig um seine Fälle, und ohne es verhindern zu können, blitzten während gemeinsamer Abendessen oder Spielstunden grausame Tatortszenen vor seinen Augen auf.

Er hatte seine Frau wirklich geliebt und es gab für ihn nichts Kostbareres auf der Welt als seine Tochter, aber das war anscheinend nicht genug gewesen.

Es hatte eine Zeit gegeben, als ein Schicksalsschlag sein Leben von einem Tag auf den anderen verändert hatte. Die Angst um das Leben seiner Tochter, der bloße Gedanke daran, dass sie starb, hatte Leonards Prioritäten komplett verändert. Auf einmal hatte es nicht Wichtigeres gegeben, als Zeit mit seiner Familie und mit seiner süßen Tochter zu verbringen. Er hatte stets pünktlich Feierabend gemacht, keine nächtlichen Notfallverhöre mehr durchgeführt, und wenn seine Gedanken abschweiften, war es genau umgekehrt gewesen. Denn dann hatte er auf der Arbeit gesessen und das Gesicht seiner Kleinen vor sich gesehen. Sich gefragt, wie es ihr gerade ging und was in Gottes Namen er bloß tun sollte, wenn sie nicht überleben sollte. 
Er hatte Nächte an ihrem Krankenbett gewacht und ihr stundenlang immer wieder aus ihrem Lieblingsbuch vorgelesen. Nichts war wichtiger gewesen als sie.

Aber dann war sie wieder gesund geworden und der Alltag war mehr und mehr eingekehrt. Und unmerklich hatten sich die Prioritäten wieder mehr und mehr verschoben. Erst waren es nur ein paar Überstunden gewesen, die er hatte einlegen müssen, weil so viel liegen geblieben war, dann waren es dringende Verhöre nach Feierabend in Essen, Köln und noch weiter weg gewesen, und eines Tages kam er um zwei Uhr morgens nach einem zermürbenden Verhör nach Hause und starrte auf seine Koffer, die direkt im Flur neben der Haustür standen.

Er hatte gewusst, dass es um seine Ehe nicht zum Besten stand und dass das Verständnis seiner Frau schon vor Jahren aufgebraucht gewesen war, aber er hatte nie ernsthaft damit gerechnet, dass sie tatsächlich die Scheidung wollen würde.

In der Zeit, als es so aussah, als ob sie ihre Tochter verlieren würden, hatten sich Leonard und Laura einander so nah gefühlt, wie schon seit Langem nicht mehr. Diese Krise hatte sie wieder zusammengeschweißt und ihnen bewusst gemacht, was im Leben wirklich wichtig war. Und als er seiner Frau und seiner Tochter wieder mehr Zeit schenkte, war Laura förmlich aufgeblüht. Sie war trotz der dramatischen Umstände wieder zu der Frau geworden, in die er sich einst verliebt hatte. Nicht diese nörgelnde, mürrische und ständig Vorwürfe machende Person, mit der er schon so lange Zeit zusammenlebte. Aber es war nun einmal kompliziert. Natürlich verstand er Laura und er konnte auch nachvollziehen, warum sie in dieser Ehe so unglücklich war, denn er war fast nie zu Hause und wenn doch einmal, war er so mit seinen eigenen Problemen beschäftigt, dass er für ihre einfach kein Ohr mehr hatte. Er wollte dann einfach nur seine Ruhe haben und abschalten. Für kurze Zeit vergessen, wie schlimm die Welt da draußen wirklich war.

Er war kein guter Ehemann und Vater gewesen, das gab er ja zu, aber er tat das ja schließlich nicht zum Vergnügen. Es war sein Job. Damit verdiente er seinen Lebensunterhalt. Außerdem machte er mit jeder Festnahme und jedem Erfolg im Verhör die Welt ein Stückchen sicherer. Er machte auch Herne und die Umgebung sicherer, damit Laura ohne Angst mit ihrer kleinen Tochter spazieren gehen konnte, und das war doch ebenso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als ein gemeinsames Abendessen.

Aber das verstand Laura einfach nicht und so stritten sie sich irgendwann unentwegt.

Die Quote der Scheidungen bei Polizeibeamten war schwindelerregend hoch und durch ihn war sie noch ein bisschen höher geworden.
 Manchmal war er einsam und sehnte sich nach einer Familie und einem gemütlichen Heim, wenn er nach Feierabend nach Hause kam, besonders wenn er wieder mehrere Tage in einem anonymen Hotelzimmer zugebracht hatte.

Aber wenn er ehrlich zu sich war, war ein Leben, so wie er es jetzt führte, dass einzig mögliche. Er schaffte es ja oft noch nicht einmal, die Besuche bei seiner Tochter alle vierzehn Tage einzuhalten und das, obwohl er sie von Herzen liebte und auch vermisste.

„Papa, Papa, was machen wir denn heute?“, riss ihn seine Tochter wieder in die Gegenwart zurück.

„Wir zwei gehen heute auf die Kirmes!“, verkündete er und strich seiner Tochter liebevoll über den Kopf. Dann nahm er den Rucksack entgegen und hängte ihn über eine Schulter, während er sich bewusst machte, wie lächerlich er mit dem Teil aussah. 
Seine Ex-Frau schaute ihn kritisch an und sagte: „Aber pass auf, dass du sie richtig im Kindersitz anschnallst und dass sie mittags auch etwas Anständiges isst.“

Er wollte schon zu einer patzigen Antwort ansetzen, in der er seine Frau darüber aufklärte, dass er schon genauso lange ein Kind hatte wie sie, und deshalb wusste, dass man Kinder anschnallte und sie nicht verhungern ließ, aber er wollte nicht, dass Joy die Spannung zwischen ihnen mitbekam und traurig wurde, deshalb biss er sich auf die Lippen und schluckte seinen Ärger hinunter.

Er fragte sich, ob es irgendwann einmal eine Zeit geben würde, in der sie wieder normal miteinander umgehen konnten. Sie hatten sich doch einst so sehr geliebt und so sehr miteinander gelacht, dass sie noch am nächsten Tag Muskelkater davon gehabt hatten, und jetzt schafften sie es nicht einmal mehr, fünf Minuten im selben Raum zu verbringen, ohne sich gegenseitig anzufahren. Er hatte langsam das Gefühl, dass dieses Wir sind zwar geschieden, aber mittlerweile sind wir die besten Freunde nichts als eine moderne Legende war.

Aber es war wie gesagt, nicht nur Lauras Schuld; egal was sie Patziges sagte, er war sofort auf hundertachtzig und reagierte entsprechend darauf. Aber nicht heute. Er hatte Joy aus beruflichen Gründen jetzt schon mehrere Wochenenden nicht gesehen und er würde nicht zulassen, dass die Streitereien zwischen ihnen beiden Joy den Ausflug verdarben. 
Also biss er sich auf die Zunge und ging wortlos zu Tür. Erst als er sie zuzog, rief er ein kurzes Tschüss. Am Auto angekommen, schnallte er Joy in aller Seelenruhe an; wohl wissend, dass seine Ex-Frau garantiert am Fenster stand und ihn genauestens beobachtete. Danach stieg er ebenfalls ein und fuhr in Richtung Wanne-Eickel, wo gerade die Cranger Kirmes stattfand, die drittgrößte Kirmes in ganz Deutschland. Er selbst war überhaupt kein Kirmesfan, denn er hatte Höhenangst und ging freiwillig nie auf irgendwelche Geräte. Wenn er auf die Kirmes ging, dann nur zum Essen. Aber Joy liebte die Kirmes, so wie wahrscheinlich jedes Kind. Seine schönsten Familienerinnerungen verband er mit der Cranger Kirmes, deshalb hatte er beschlossen, mit Joy hierherzufahren. Er stellte sein Auto auf einem der total überteuerten Kirmesparkplätze ab und schob sich dann mit Joy durch die Besuchermassen, bis zum Eingang.


„Papa guck mal, das Riesenrad ist schon aufgewacht“, rief seine Tochter aufgeregt. Und tatsächlich, das Bellevue, so lautete der Name des Riesenrads, drehte sich bereits und ließ seine bunten Lichter über der Kirmes erstrahlen. Er lächelte seine Tochter an und fragte: „Und was möchtest du machen, mein Schatz?“

Sie überlegte einen kurzen Moment und sprudelte dann hervor: „Zuerst will ich mit dir aufs Riesenrad und dann eine Zuckerwatte und ein Kirmeseis. Und wir müssen unbedingt Bälle werfen und Enten angeln. Ach ja, und aufs Kettenkarussell.“ Sie blickte sich aufgeregt um, bevor sie weiterplapperte: „Und ein blaues Slush Eis und eine Waffeltüte für zu Hause. Und ein Lebkuchenherz, das darf auch nicht fehlen.“

Leonard musste sich ein Grinsen verkneifen. Das war bestimmt genau die gesunde Art der Ernährung, die Laura vorgeschwebt hatte. In Kombination mit den ganzen Fahrgeschäften, könnte das bestimmt auch zu einem interessanten Abend führen, dachte er ein wenig schadenfroh.

Allerdings sah er seine Tochter so selten, dass er sie glücklich machen wollte, und dazu gehörten bei Kindern nun einmal auch Süßigkeiten und all die Dinge, die seine Ex-Frau als zu ungesund vom Speiseplan gestrichen hatte.

Er strich seiner Tochter über das blonde feine Haar und war glücklich, als er ihr vor Aufregung gerötetes Gesicht betrachtete.

„Also ich würde vorschlagen, wir gehen als Erstes aufs Riesenrad, dann essen wir etwas zu Mittag … so was total Gesundes wie einen Hotdog … und dann schauen wir mal, wie wir alles andere unterbringen. Na wie klingt das?“, fragte Leonard grinsend.

Seine Tochter kreischte voller Freude auf und umarmte Leonard so fest und ungestüm, dass ihm kurz die Luft wegblieb. Dann ergriff sie wieder seine Hand und zog ihn zielsicher durch die Menschenmassen zum Riesenrad.

Während das „Bellevue“ immer größer wurde, schluckte Leonard schwer. Gut, dass er vorgeschlagen hatte, zuerst Riesenrad zu fahren und dann etwas zu essen. Alleine daran sah man, wie sehr er seine Tochter liebte. Denn für keinen anderen Menschen auf der ganzen Welt wäre er auf so etwas gegangen. Seine Höhenangst war so schlimm, dass er noch nicht einmal auf einem schlichten Balkon stehen konnte. Liebe hin oder her, er hoffte trotzdem inständig, dass sich Joy nach dem Riesenrad nur noch für bodennahe Aktivitäten entschied.

Sie hatten das Riesenrad mittlerweile erreicht und sich in die trotz der frühen Uhrzeit schon unglaublich langen Schlange eingereiht.

„Schau mal Papa, die Gondeln“, rief Joy vollkommen aus dem Häuschen und legte den Kopf in den Nacken, während sie gen Himmel starrte.
 Leonard kniff die Augen zusammen und versuchte kurz, Joys Zeigefinger zu folgen, ließ dies aber hastig bleiben, als ihn ein starkes Schwindelgefühl überkam und sein Magen einen Satz machte.

Er konnte nicht glauben, wie lang die Schlange am Riesenrad war. Sie standen schon eine Viertelstunde an und das, obwohl der Fahrpreis so unverschämt teuer war. Acht Euro pro Person, dafür, dass ihm schlecht wurde und ihm der Schweiß ausbrach, na danke schön.

Joy war zwischendurch schon ungeduldig und hibbelig geworden, weil sie so lange warten mussten, aber je näher die Schlange der Kasse kam, desto mehr verwandelte sich ihre Ungeduld in Aufregung und Vorfreude.

„Nur noch zwei Leute, dann sind wir endlich dran. Dann können wir Riesenrad fahren“, jubelte Joy. 
Er griff gerade in seine Hosentasche, um seine Geldbörse herauszuholen, als sein Handy zu vibrieren begann.
 Das konnte nur seine Ex-Frau oder die Arbeit sein, und wenn er ehrlich war, freute er sich über keinen der beiden zum jetzigen Zeitpunkt.

„Lehmann“, meldete er sich knapp, während Joy ihn an der Hand zur Kasse zerrte, wo nur noch eine Person vor ihnen war.

„Es tut mir leid, Sie an Ihrem freien Tag stören zu müssen, aber es gibt einen Notfall, der Ihre Anwesenheit auf dem Herner Polizeirevier unabdingbar macht“, erklärte sein ehemaliger Kollege Heinz Weber.

„Weber, einen einzigen Tag werden Sie alle doch wohl mal ohne mich auskommen können, Herrgott noch mal. Es ist ja nicht so, dass es in Herne terroristische Anschläge oder Geiselnahmen gibt. Was es auch ist, das wird doch wohl einen Tag warten können“, rief Lehmann entnervt.

Es konnte doch nicht sein, dass irgendein Revier ihn andauernd bei jeder Kleinigkeit anforderte. Er musste doch seinen Kollegen nicht ständig Händchen halten, während sie ihre Arbeit erledigten.

„Papa, Papa wir sind dran“, schrie Joy und hüpfte auf und ab, während sie gleichzeitig an seinem Jackenärmel zog.


„Moment Schätzchen, ich komme ja schon. Ich muss nur noch kurz das Gespräch beenden.“ 
Er ging mit seiner Tochter zur Kasse, klemmte das Handy zwischen Ohr und Schulter, zog die Geldbörse heraus und entnahm ihr einen zwanzig Euro Schein.

„Einmal Erwachsener, einmal Kind bitte.“

„Weber, ich muss jetzt auflegen.“


„Nein, warten Sie, denn genau darum geht es doch. Es gab eine Geiselnahme in der Herner Sparkasse und auch ein Todesopfer. Der Geiselnehmer sitzt hier bei uns im Revier und Hauptkommissar Gunhardt lässt niemanden zu ihm. Er sagt, das ist ein Fall für Sie.“

„Eine Geiselnahme, wollen Sie mich veraschen?“ Leonard entriss der Kassiererin den Geldschein wieder, stopfte ihn achtlos in die Jackentasche und griff dann nach seinem Handy, aber es rutschte ihm vor lauter Aufregung zwischen Schulter und Kopf hindurch und knallte geradewegs auf die Holzbohlen der Riesenradplattform.

„Scheiße!“, schrie er und Joy blickte ihn mit großen Augen ganz erschrocken an.

„Entschuldige Schatz, das war ein böses Wort, das sagt man nicht“, sagte er, während er hektisch auf die Knie ging und sein Handy aufhob … unter den Blicken von gefühlt dreihundert Leuten, die alle hinter ihm in der Schlange standen und immer ungeduldiger wurden. 
„Was ist denn nun, wollen Sie die Karten jetzt haben oder nicht?“, fragte die Kassiererin ebenfalls genervt und gestresst.


„Nein, im Moment nicht“, erwiderte Leonard geistesabwesend, während er hoffte, dass sein Handy den Sturz heil überstanden hatte. Gerade als er den Riss im Display entdeckte und feststellte, dass das Handy aus war und sich auch nicht mehr einschalten ließ, fing Joy an zu weinen.

„Papa, warum hast du denn gesagt, dass wir nicht wollen? Ich WILL aber doch aufs Riesenrad und jetzt sind andere Leute vor uns. Papaaaaa, wir müssen wieder in die Reihe, sonst dauert es wieder ganz lange, bis wir endlich fahren dürfen.“


„So ein verfluchter Mist“, schimpfte Leonard; sein Handy war hinüber. Warum hatte er diesen blöden Silikonschutz auch nicht gekauft, den ihm der Händler unbedingt hatte aufschwatzen wollen?