Das Windsor-Komplott - S. J. Bennett - E-Book
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Das Windsor-Komplott E-Book

S J Bennett

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Beschreibung

Die Queen auf Mörder-Suche – ein königliches Krimi-Vergnügen! »Das Windsor-Komplott« ist der erste Fall für Queen Elizabeth als heimliche Detektivin und der erste Band einer humorvollen Cosy-Crime-Reihe aus England. Wer hätte das geahnt: Queen Elizabeth hat eine heimliche Passion – sie löst für ihr Leben gern Kriminalfälle! Unerkannt, versteht sich, den Ruhm müssen andere ernten. Als während einer Feier auf Schloss Windsor ein russischer Pianist unter ausgesprochen peinlichen Umständen ums Leben kommt, wittert der MI5 sofort ein Komplott Wladimir Putins. Die Queen ist not amused über so viel politisch brisanten Übereifer. Da muss eingegriffen werden, aber diskret, versteht sich. Queen Elizabeth zieht ihre neue nigerianische Privatsekretärin Rozie ins Vertrauen, die bald ebenso diskret wie beherzt ihre Kompetenzen überschreiten muss. Wird es den beiden Frauen gemeinsam gelingen, dem wahren Mörder auf die Spur zu kommen, bevor der MI5 größere diplomatische Verwicklungen auslöst? Mit Queen Elizabeth und Rozie hat die britische Autorin S J Bennett ein hinreißendes Ermittler-Paar geschaffen, das nicht nur Fans von humorvollen cosy Krimis aus England schnell ans Herz wachsen wird.

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Seitenzahl: 377

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S J Bennett

Das WindsorKomplott

Queen Elizabeth ermittelt

Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

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Über dieses Buch

Queen Elisabeth hat eine heimliche Passion: Sie löst für ihr Leben gern Kriminalfälle! Unerkannt, versteht sich, den Ruhm müssen andere ernten. Als während einer Feier auf Schloss Windsor ein russischer Pianist ums Leben kommt, wittert der MI5 sofort ein Komplott Putins. Die Queen ist not amused über so viel politisch brisanten Übereifer und zieht ihre junge nigerianische Privatsekretärin ins Vertrauen, die bald ebenso diskret wie beherzt ihre Kompetenzen überschreiten muss. Wird es den beiden Frauen gelingen, dem wahren Mörder auf die Spur zu kommen, bevor der MI5 größere diplomatische Verwicklungen auslöst?

Inhaltsübersicht

WidmungTeil einsKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Teil zweiKapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Teil dreiKapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Teil vierKapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32DanksagungLeseprobeProlog
[home]

Für E

 

Und für Charlie und Ros,

die den Spaß am Erfinden mit der Suche nach Wahrheit verbinden.

[home]

Teil eins

Honi soit qui mal y pense.

Schande über den, der Schlechtes dabei denkt.

Motto des Hosenbandordens

April 2016

Kapitel 1

Es war ein fast perfekter Frühlingstag.

Die Luft war frisch und klar, der kornblumenblaue Himmel mit Kondensstreifen überzogen. Vor ihr, über den Bäumen des Parks, leuchtete Windsor Castle im Morgenlicht. Die Queen zügelte ihr Pony, um den Blick zu genießen. Nichts ist so gut für die Seele wie ein sonniger englischer Morgen an der frischen Luft. Auch nach neunundachtzig Jahren staunte sie noch über Gottes Werk. Oder das der Evolution, um es genau zu sagen. Aber an einem Tag wie diesem dachte man eher an Gott.

Wenn sie sich für einen ihrer Wohnsitze entscheiden müsste, wäre es der hier. Nicht Buckingham Palace, dieser vergoldete Bürokomplex an einem Kreisverkehr. Auch nicht Balmoral oder Sandringham, sosehr sie Teile von ihr waren. Windsor war, ganz einfach, ihr Zuhause. Hier hatte sie die glücklichsten Tage ihrer Kindheit verlebt, mit Ausritten und Theaterspielen in der Royal Lodge. Und noch heute kam man an den Wochenenden her, um sich von den endlosen Formalitäten in der Stadt zu erholen. Hier lag Papa begraben, die liebe Mummy und auch Margaret, so schwierig das in dem lauschigen kleinen Gewölbe zu arrangieren gewesen war.

Sollte es je zur Revolution kommen, dachte sie, wäre das hier der Ort, an den man sich zurückziehen wollte. Nicht dass die es ihr erlauben würden, die Umstürzler. Wahrscheinlich würden die sie hinauswerfen … Aus dem Land? Dann ginge sie nach Virginia, der nach ihrer Namensvetterin benannten Heimat von Secretariat, dem Rennpferd, das ’73 die Triple Crown gewonnen hatte. Das Commonwealth mal außer Acht gelassen – und den armen Charles, und William und den kleinen George, die nach all den Grässlichkeiten so schön als seine Nachfolger bereitstanden –, wäre das gar keine so schreckliche Perspektive.

Aber Windsor war das Beste. Hier ließ sich alles ertragen.

Aus der Ferne wirkte das Schloss friedlich, verschlafen, ganz so, als ginge nichts in ihm vor. Aber so war es nicht. Fünfhundert Leute waren dort beschäftigt, waren Teil eines hocheffizienten Gemeinwesens, und sie mochte sie alle, vom Master des Haushalts, der die Konten kontrollierte, bis zu den Zimmermädchen, die sicher gerade die Betten nach der kleinen Soiree gestern Abend frisch bezogen. Aber heute hing ein Schatten über all dem.

Ein Künstler des gestrigen Abends war am Morgen tot in seinem Bett aufgefunden worden, offenbar im Schlaf gestorben. Sie hatte ihn persönlich kennengelernt, sogar kurz mit ihm getanzt. Ein junger Russe, der Klavier gespielt hatte. So talentiert, so gut aussehend. Was für ein schrecklicher Verlust für seine Familie.

Geistloser Triebwerkslärm übertönte das Vogelzwitschern. Die Queen hörte das durchdringende Heulen, hob den Blick und sah einen Airbus 330, der zum Landen angesetzt hatte. Wer unter einer Einflugschneise nach Heathrow wohnt, wird zu einem versierten Flugzeugkundler. Alle geläufigen Passagierflugzeuge allein an ihrer Silhouette zu erkennen, war ein Kabinettstückchen, für das sie allerdings eine Weile gebraucht hatte. Das Flugzeug holte sie aus ihren Gedanken und erinnerte sie daran, dass sie heute einiges zu tun hatte.

Sie nahm sich vor, sich nach der Mutter des jungen Mannes zu erkundigen. Offen gesagt, war sie sonst nicht unbedingt an den Verwandten anderer Leute interessiert. Man hatte genug Ärger mit der eigenen Familie. Etwas jedoch sagte ihr, dass dieser Fall anders lag. Ihr Privatsekretär hatte sie äußerst merkwürdig angesehen, als er ihr die Nachricht vom Tod des jungen Mannes überbrachte. Sosehr sich ihre Bediensteten auch bemühten, sie von allem Misslichen abzuschirmen, spürte sie doch immer, wenn etwas nicht stimmte. Und dass da etwas nicht stimmte, wurde ihr mit einem Mal klar.

»Weiter geht’s«, instruierte sie ihr Pony, und der Stallmeister neben ihr trieb auch sein Pferd an.

 

Das Frühstück unter der reich verzierten Decke im kleinen Speisesaal des Schlosses näherte sich seinem Ende. Aber noch aß der Rennmanager der Queen zusammen mit dem Erzbischof von Canterbury, dem früheren Botschafter in Moskau und einigen anderen Versprengten vom Vorabend Eier mit Speck.

»Ein interessanter Abend«, sagte er zum Erzbischof, der links neben ihm saß. »Ich wusste gar nicht, dass Sie Tango tanzen.«

»Ich auch nicht«, stöhnte sein Nachbar. »Mrs Gostelow hat mir keine Wahl gelassen. Oh, meine Waden, sie bringen mich um.« Er senkte die Stimme. »Sagen Sie mir, auf einer Skala von eins bis zehn, wie lächerlich habe ich mich gemacht?«

Die Lippen des Rennmanagers zuckten. »Um Nigel Tufnel zu zitieren, es war eine Elf. Ich bin nicht sicher, ob ich die Queen je lauter habe lachen hören.«

Der Erzbischof legte die Stirn in Falten. »Tufnel? War der gestern Abend hier?«

»Nein. Der aus dem Film.«

»Oje.« Der Erzbischof griente verlegen, beugte sich vor, um sich die Unterschenkel unter dem Tisch zu massieren, und fing dabei den Blick der äußerst schönen, modeldünnen jungen Frau auf der anderen Seite des Tisches auf. Ihre großen, dunklen Augen schienen bis tief in seine Seele zu blicken. Sie schenkte ihm ein verhaltenes Lächeln, und er errötete wie ein Schuljunge.

Aber Masha Peyrowskaja sah ihn nicht an, sondern durch ihn hindurch. Der gestrige Abend hatte ihr das intensivste Erlebnis ihres Lebens beschert, und sie genoss noch immer jede Sekunde.

»Eine Abendeinladung«, sagte sie stumm vor sich hin, »mit Übernachtung. Eine Abendeinladung mit Übernachtung. In der letzten Woche war ich in Windsor Castle eingeladen. Mit Übernachtung. Oh, ja. Ein Abend mit Ihrer Majestät, der Königin von England. Sie waren noch nicht bei einem solchen Abend? Es ist so wunderbar.« Als gäbe es so etwas jede Woche. »Yuri und ich hatten Zimmer mit Blick auf die Stadt. Ihre Majestät benutzt die gleiche Seife wie wir. Sie ist so witzig, wenn Sie sie näher kennenlernen. Und ihre Diamanten sind unwiderstehlich …«

Ihr Mann, Yuri Peyrowski, behandelte seinen fürchterlichen Kater mit einem Gebräu aus rohem, grünem Gemüsesaft mit Ingwer, angerührt nach seinem persönlichen Rezept. Das Personal hier im Schloss wusste zweifellos, was es tat. Yuri hatte Gerüchte gehört, die Queen bewahre ihr Frühstücksmüsli in Plastikbehältern auf (nicht dass sie heute Morgen zu ihnen gestoßen wäre), und hatte mit altenglisch »schäbigem Schick« gerechnet, schlecht instand gehaltenen Räumen mit mangelhafter Heizung und abblätternder Farbe. Doch da hatte er sich getäuscht. Dieser Raum hier zum Beispiel hatte herrliche rote Seidenvorhänge, um den Tisch herum standen zwei Dutzend vergoldete Stühle, und der Teppich war vom Design her zweifellos eine Maßanfertigung. Alles war makellos. Selbst sein eigener Butler würde hier kaum etwas auszusetzen haben. Auch der Port gestern Abend war ausgezeichnet gewesen. Und der Wein. Und hatte es nicht auch noch Brandy gegeben? Er erinnerte sich dunkel.

Trotz des Pochens in seinem Kopf wandte er sich der Frau zu seiner Linken zu, der Gattin des früheren Botschafters, und fragte sie, wie er sich wohl die Dienste eines persönlichen Bibliothekars sichern könne, von so jemandem wie dem, den sie am Abend zuvor nach dem Essen erlebt hatten. Die Frau des früheren Botschafters, die keine Ahnung, aber viele mittellose, belesene Freunde hatte, setzte ihren Charme in Gang und gab ihr Bestes.

Sie wurden von einer großen Frau mit rabenschwarzem Haar und einem plissierten Hosenanzug unterbrochen, die in der Tür auftauchte, eine Hand in die Hüfte stemmte und alarmiert die karminroten Lippen vorschob.

»Oh, es tut mir so leid. Bin ich zu spät?«

»Ganz und gar nicht«, beruhigte sie der Rennmanager gütlich, wenn »zu spät« auch mehr als eine Untertreibung war. Etliche Gäste waren bereits wieder in ihren Zimmern, um das Packen ihrer Übernachtungstaschen zu beaufsichtigen. »Wir sind hier alle sehr entspannt. Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir.«

Meredith Gostelow begab sich zu dem Stuhl, der von einem Hausdiener für sie zurückgezogen wurde, und nickte dankbar, als ihr ein Kaffee vorgeschlagen wurde.

»Haben Sie gut geschlafen?«, fragte eine vertraute Stimme zu ihrer Rechten. Es war Sir David Attenborough, der so melodisch und bekümmert wie im Fernsehen klang und ihr das Gefühl gab, ein vom Aussterben bedrohter Panda zu sein.

»Hmm, ja«, log sie und ließ den Blick über die Gesichter am Tisch wandern, sah, wie die schöne Masha Peyrowskaja ihr zulächelte, und hätte sich fast neben ihren Stuhl gesetzt.

»Ich habe kein Auge zugetan«, murmelte Masha heiser. Einige Köpfe drehten sich in ihre Richtung, allerdings nicht der ihres Mannes, der in seinen Saft stierte. »Die ganze Nacht ich habe über all die Schönheit nachgedacht, die Musik, die … скáзка … Wie sagt man auf Englisch?«

»Ein Märchen«, murmelte der Botschafter von der anderen Seite des Tisches mit einem Kratzen in der Stimme.

»Ja, es ist ein Märchen, oder? Wie bei Disney! Aber edel.« Sie hielt inne. Das hatte nicht geklungen, wie es sollte. Ihr Englisch reichte einfach nicht aus, aber sie hoffte, dass ihre Begeisterung es wieder wettmachte. »Sie haben Glück«, sagte sie zum Rennmanager. »Sie kommen oft her?«

Er grinste, als hätte sie einen Witz gemacht. »Absolut.«

Bevor sie nach dem Grund für seine Erheiterung fragen konnte, kam ein weiterer Hausdiener mit Frack und prächtiger roter Weste herein, ging zu ihrem Mann, beugte sich zu ihm hinunter und sagte etwas, das Masha nicht verstand. Yuri wurde rot, schob ohne ein Wort seinen Stuhl zurück und folgte dem Mann aus dem Raum.

Später gab sich Masha die Schuld, weil sie von Märchen gesprochen hatte. Irgendwie war alles ihr Fehler. Weil, wenn sie darüber nachdachte, es in Märchen immer um finstere Kräfte ging. Das Böse lauert, wo wir es am wenigsten wollen, und oft trägt es den Sieg davon. Wie dumm es von ihr gewesen war, an Disney zu denken, wo sie die Baba Jaga tief im Wald hätte vor sich sehen sollen.

Wir sind niemals sicher. Ganz gleich, in wie viele Felle und Diamanten wir uns wickeln. Und eines Tages werde ich alt und allein sein.

Kapitel 2

Simon?«

»Ja, Ma’am?« Der Privatsekretär der Queen, Sir Simon Holcroft, sah von der Aufgabenliste hoch, die er in der Hand hielt. Die Queen war zurück von ihrem Ausritt und saß an ihrem Schreibtisch. Sie trug einen grauen Tweedrock und ihre liebste Kaschmirjacke, die das Blau ihrer Augen hervorhob. Ihr privates Wohnzimmer war ein für ein gotisches Schloss gemütlicher Raum mit durchgesessenen Sofas und den kleinen Schätzen und Andenken eines ganzen Lebens. Dennoch, es lag eine Schärfe in ihrer Stimme, die ihn leicht nervös machte, doch er gab sich alle Mühe, es nicht zu zeigen.

»Dieser junge Russe. Gab es da etwas, das Sie mir verschwiegen haben?«

»Nein, Ma’am. Er wird gerade in die Leichenhalle gebracht, glaube ich. Der Präsident möchte am Zweiundzwanzigsten mit dem Hubschrauber kommen, und wir dachten, ob Sie vielleicht …«

»Wechseln Sie nicht das Thema. So wie Sie mich angesehen haben, der Ausdruck auf Ihrem Gesicht?«

»Ma’am?«

»Als Sie mir von seinem Tod berichtet haben. Als wollten Sie mir etwas ersparen. Tun Sie das nicht.«

Sir Simon schluckte. Er wusste genau, was er seiner gealterten Souveränin ersparen wollte. Aber sie war nun mal die Chefin. Er hustete.

»Er war nackt, Ma’am. Als er gefunden wurde.«

»Ja?« Die Queen sah ihn an. Sie stellte sich einen gesunden jungen Mann vor, der nackt unter seiner Decke lag. Was war daran so ungewöhnlich? Philip war früher dafür bekannt gewesen, Pyjamas zu verschmähen.

Sir Simon erwiderte ihren Blick. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ihr das nicht seltsam vorkam. Sie wollte mehr. Er atmete einmal durch.

»Äh, nackt, bis auf einen purpurroten Morgenmantel. Mit dessen Gürtel er unglücklicherweise …« Er verstummte. Es ging nicht. In vierzehn Tagen wurde diese Frau neunzig.

Ihr fragender Blick klärte sich deutlich, als sie begriff, was er meinte.

»Wollen Sie damit sagen, dass er an dem Gürtel hing?«

»Ja, Ma’am. Höchst tragischerweise. Im Schrank.«

»Im Schrank?«

»Genauer gesagt, dem Kleiderschrank.«

»Nun.« Es wurde kurz still, während sie sich beide die Szene vorzustellen versuchten und wünschten, sie täten es nicht. »Wer hat ihn gefunden?«, fragte sie fast schon barsch.

»Eine der Hausdamen. Jemandem fiel auf, dass er nicht zum Frühstück erschienen war, und …«, er hielt eine Sekunde lang inne, um sich an den Namen zu erinnern, »Mrs Cobbold ging nachsehen, ob er wach war.«

»Wie geht es ihr?«

»Nicht gut, Ma’am. Ich glaube, ihr wurde Beistand angeboten.«

»Wie außergewöhnlich …« Sie verstummte.

»Ja, Ma’am. Aber so, wie es aussieht, unbeabsichtigt.«

»Wie?«

»So wie er … und das Zimmer …« Sir Simon hustete wieder.

»So wie was, Simon? Was war mit dem Zimmer?«

Er holte tief Luft. »Da war Damen…unterwäsche. Lippenstift.« Er schloss die Augen. »Taschentücher. Es scheint, er … hat experimentiert. Um sich zu … Er wollte es wahrscheinlich nicht.«

Mittlerweile war er puterrot. Die Queen hatte Mitleid. »Wie entsetzlich. War die Polizei da?«

»Ja. Der Commissioner hat absolute Diskretion versprochen.«

»Gut. Sind die Eltern verständigt worden?«

»Das weiß ich nicht, Ma’am«, sagte Simon und machte sich eine Notiz. »Ich gehe dem nach.«

»Danke. Ist das alles?«

»Fast. Ich habe für heute Nachmittag eine Besprechung einberufen, damit nichts nach außen dringt. Mrs Cobbold war in dem Punkt sehr verständig. Ich bin ziemlich sicher, dass wir uns völlig auf sie verlassen können. Im Übrigen werden wir der gesamten Dienerschaft klarmachen, dass kein Wort darüber nach außen dringen darf. Den Gästen müssen wir seinen Tod natürlich zur Kenntnis bringen – allerdings nicht, wie es dazu gekommen ist. Da Mr Peyrowski Mr Brodsky gestern Abend mit hergebracht hat, wurde er bereits informiert.«

»Verstehe. Danke.«

»Selbstverständlich, Ma’am. Aber jetzt ist da noch die Frage, wo genau Sie die Obamas empfangen wollen …«

Damit kehrten sie zum Tagesgeschäft zurück. Wobei das alles doch sehr verstörend war.

Dass so etwas hier geschehen konnte. In Windsor. In einem Schrank. In einem purpurroten Morgenmantel.

Sie wusste nicht, wen sie mehr bemitleidete, das Schloss oder den armen Pianisten. Natürlich war es für den jungen Mann weit tragischer. Aber ihr stand das Schloss näher. Es war wie eine zweite Haut. Was für eine fürchterliche Geschichte. Einfach fürchterlich. Nach einem so wundervollen Abend.

 

Die Queen verbrachte in jedem Frühjahr einen Monat im Schloss. Es war eine lieb gewonnene, »Easter Court« genannte Gewohnheit. Fern der übertriebenen Förmlichkeit von Buckingham Palace waren entspanntere Einladungen möglich, Gesellschaften mit zwanzig Gästen statt der großen Bankette für hundertsechzig Leute, und damit die Möglichkeit, sich mit alten Freunden auszutauschen. Die Einladung gestern, eine Woche nach Ostern, war in gewisser Weise von Charles gekapert worden, um einige reiche Russen für eines seiner Lieblingsprojekte einzunehmen, das finanzielle Unterstützung brauchte.

Charles hatte darum gebeten, Yuri Peyrowski und seine schon übernatürlich schöne junge Frau einzuladen, dazu einen auf russische Märkte spezialisierten Hedgefonds-Manager namens Hax, der dafür bekannt war, sterbenslangweilig zu sein. Am Ende hatte die Queen ihrem Sohn zuliebe die Einladungen ausgesprochen, dabei jedoch auch eigene Wünsche berücksichtigt.

An ihrem Schreibtisch sitzend, überflog sie die Gästeliste, die noch zwischen ihren Papieren lag. Natürlich war auch der stets entzückende und darüber hinaus gleichaltrige – was heutzutage eine Seltenheit war – Sir David Attenborough da gewesen. Allerdings war er sehr bedrückt, was die Erderwärmung anging. Oje. Und ihr Rennmanager, der ein paar Tage im Schloss und Gott sei Dank niemals bedrückt war. Auf seinen Vorschlag hin waren auch eine Schriftstellerin und ihr drehbuchschreibender Gatte gekommen, dessen liebevoll witzige Filme der Inbegriff britischer Wesensart waren. Dann noch der Provost von Eton mitsamt seiner Frau, die ums Eck wohnten und zu den Stammgästen im Schloss gehörten.

Um Charles zu helfen, hatte sie zudem mehrere Leute mit russischen Verbindungen eingeladen. Den kürzlich aus Moskau zurückgekehrten britischen Botschafter … die oscargekrönte, für ihre Leibesfülle und bissige Zunge bekannte Schauspielerin russischer Abstammung … Wen noch? Ach, ja, die britische Stararchitektin, die gerade für eine ziemlich großartige Museumserweiterung in Russland verantwortlich zeichnete, sowie eine Professorin für russische Literatur und ihren Mann (bei Professoren konnte man heute nie sagen, welchen Geschlechts und welcher Geschlechtlichkeit sie waren, was Philip auf die harte Weise hatte erfahren müssen, aber das hier war eine mit einem Mann verheiratete Frau).

Und dann … sie sah noch einmal auf die Liste. Aber natürlich, der Erzbischof von Canterbury. Auch er gehörte zu den Stammgästen und war eine sichere Bank, wenn es darum ging, die Unterhaltung in Gang zu bringen, sollten einige am Tisch die Zähne nicht auseinanderbekommen, was unglücklicherweise schon mal der Fall war. Es kam allerdings auch vor, dass alle zu viel redeten und man kaum ein Wort einwerfen konnte. Dagegen gab es kaum ein Mittel, abgesehen von einem gelegentlichen ernsten Blick.

Die Queen versorgte ihre Gäste gern mit etwas Unterhaltung, und Mr Peyrowski hatte Charles einen jungen Protegé vorgeschlagen, der »traumhaft Rachmaninow spielt«. Dazu hatte es zwei Balletttänzerinnen gegeben, die in kaiserlich russischem Stil zu eigens zu diesem Zweck zusammengeschnittenen Passagen aus Schwanensee aufgetreten waren. Kultiviert, ernst und seelenvoll sollte das Ganze werden, wovor der Queen eher gegraut hatte. Der Easter Court war eigentlich eine heitere Sache, und Charles’ Fête à la russe klang schrecklich trostlos.

Aber man weiß vorher nie, was geschieht.

Das Essen war großartig. Ein neuer Koch, der sich beweisen wollte, hatte mit Erzeugnissen aus Windsor, Sandringham und Charles’ Küchengarten in Highgrove wahre Wunder vollbracht. Der Wein war sowieso immer gut und Sir David, wenn er nicht gerade den bevorstehenden Tod des Planeten voraussagte, ein schelmischer Unterhalter. Die Russen waren auch nicht annähernd so verdrießlich gewesen, wie man befürchtet hatte, und Charles strahlte vor Dankbarkeit (obwohl er sich bereits nach dem Kaffee verabschiedete, um zurück nach London zu fahren, wo er am nächsten Tag eine Verpflichtung hatte, worauf sie sich wie die Mutter eines Studenten fühlte, der nur nach Hause kam, um die Wäsche gemacht zu bekommen).

Leicht angeheitert waren sie nach dem Essen zu einigen anderen Familienmitgliedern gestoßen, die im Octagon Room im Brunswick Tower gegessen hatten. Gemeinsam ging es in die Bibliothek, um ein paar interessantere russische Bücher zu bewundern, darunter einige hübsche Erstausgaben von Lyrikbänden und übersetzten Theaterstücken, die man schon immer hatte lesen wollen, wozu man aber noch nicht recht gekommen war. Philip war seit Sonnenaufgang auf den Beinen und verschwand ohne großes Getue ins Bett. Die oscargekrönte Schauspielerin wurde, nachdem ihr Profil ausgiebig bewundert worden war und sie die Gäste mit ihren Hollywoodeinblicken unterhalten hatte, in ein Hotel bei Pinewood geholt, wo sie im Morgengrauen bereits zu filmen hatte. Und dann … Klavier und Tanz.

Gänzlich entspannt waren die übrig gebliebenen Gäste schließlich in den Crimson Drawing Room gewechselt, um dem jungen Pianisten zu lauschen, der Auszüge aus Rachmaninows zweitem Klavierkonzert spielte und das, wie versprochen, recht großartig. Hatte Simon gesagt, er hieß Brodsky? Anfang zwanzig, dachte die Queen, aber mit dem Musikverständnis eines weit älteren Mannes. Sein Spiel war voller Leidenschaft gewesen, und er wirkte wie entrückt, während sie sich in Szenen eines ihrer liebsten Filme überhaupt, Begegnung, zurückversetzt fühlte. Und der junge Mann sah zudem noch so gut aus. Alle Frauen waren bezaubert.

Der Crimson Drawing Room war einer ihrer Lieblingsräume für Gesellschaften. Sie mochte die roten Seidentapeten und die Porträts von Mummy und Papa in ihrem prachtvollen Krönungsornat rechts und links vom Kamin. Dazu kam tagsüber der Blick in den Park, bei Nacht der extravagante Kronleuchter und der sich direkt anschließende elegante grüne Salon, der dem Brand 1992 zum Opfer gefallen war, worauf allerdings nichts mehr schließen ließ. Er war perfekt restauriert worden und bildete den idealen Hintergrund für einen Abend wie diesen.

Anschließend hatten die Ballerinen ihre Solos dargeboten – sehr hübsch. Margaret hätten sie gefallen. Wobei man sie insgeheim für etwas unbeholfen hielt, doch das lag wohl an ihren Schuhen. Und dann saß mit einem Mal wieder der junge Brodsky am Klavier und spielte Tanzmelodien aus den Dreißigern. Woher kannte er die denn nur? Und sie hatte zugestimmt, die Möbel etwas zur Seite zu schieben.

Es fing wirklich alles ganz schicklich an, dann setzte sich jemand anderes ans Klavier. Wer? Der Mann der Professorin, schien sie sich zu erinnern, und auch er war überraschend gut. Damit war der junge Russe frei, sich den übrigen zuzugesellen. Und was machte er? Mit untadeligen Manieren schlug er die Hacken zusammen und verbeugte sich vor seiner Gastgeberin, eine flehentliche Bitte in den Augen.

»Eure Majestät. Möchten Sie tanzen?«

Nun, in der Tat, man mochte. Und schon ging es im Foxtrott dahin, ohne einen Gedanken an den Ischias. Sie trug ein leichtes seidenes Chiffonkleid, dessen Rock wunderbar mitschwang. Mr Brodsky war ein erfahrener Tänzer, der sie an Schritte erinnerte, die sie völlig vergessen hatte. Sein Timing war unfehlbar, und es gelang ihm, dass sie sich fast wie Ginger Rogers fühlte.

Mittlerweile tanzten fast alle. Die Musik wurde lauter und kühner. Ein argentinischer Tango. War das immer noch der Mann der Professorin dort am Klavier? Selbst der Erzbischof von Canterbury war, sehr zur allgemeinen Erheiterung, versucht, eine kesse Sohle aufs Parkett zu legen. Ein paar weitere Paare gesellten sich hinzu, aber niemand kam an den Russen und seine letzte Partnerin, eine der Ballerinen, heran, die wahrhaft majestätisch dahinschwebten.

Kurz darauf hatte man sich zurückgezogen und dabei den Gästen versichert, sie könnten weitermachen, solange sie wollten. Zu ihrer besten Zeit hatte die Queen ihrerseits nicht selten das gesamte Außenministerium ins Bett geschickt, dieser Tage jedoch neigte sie dazu, sich gegen halb elf zu verabschieden. Was jedoch kein Grund dafür war, eine gute Party abzubrechen. Ihre Hofdame, die es von einem der unteren Butler gehört hatte, informierte sie, dass es bis lange nach Mitternacht weitergegangen sei.

Das war das Letzte, was sie von dem jungen Pianisten gesehen hatte: wie er mit der schönen, jungen Ballerina im Arm dahingeschwebt war. Großartig hatte er ausgesehen, ganz Herr der Situation, glücklich … und so ungeheuer lebendig.

 

Philip platzte vor Neuigkeiten, als er kam, um mit ihr nach dem Mittagessen einen Kaffee zu trinken.

»Lilibet, hast du gehört, dass er nackt war?«

»Ja, tatsächlich, das habe ich.«

»Aufgezäumt wie ein konservativer Abgeordneter. Es gibt ein Wort dafür. Wie nennt man das noch? Ein autosexuelles Soundso?«

»Eine autoerotische Atemkontrolle«, sagte die Queen düster. Sie hatte es auf ihrem iPad gegoogelt.

»Genau das. Weißt du noch, Buffy?«

Man erinnerte sich natürlich noch an den siebten Earl of Wandle, einen alten Freund, der dieser Praxis nach allem, was man gehört hatte, in den Fünfzigern ziemlich zugeneigt gewesen war. Damals war so etwas unter gewissen Leuten gleichsam ein Muss gewesen.

»Was der Butler sah, wie?«, sagte Philip. »Musste den armen Hund offenbar mehrfach vor sich selbst retten. Buffy war kaum ein Ausstellungsstück, auch nicht im angekleideten Zustand.«

»Was hat er sich nur dabei gedacht?«, überlegte sie.

»Meine Liebe, ich versuche nicht, mich in Buffys sexuelle Begierden hineinzudenken.«

»Nein. Ich meine den jungen Russen. Brodsky.«

»Nun, das ist offensichtlich«, sagte Philip und wies mit einer ausholenden Geste auf den Raum um sich herum. »Du weißt, wie die Leute auf das hier reagieren. Sie kommen her, halten es für den Höhepunkt ihrer verdammten Existenz und wollen Dampf ablassen. Der Übermut, der sie überkommt, wenn sie denken, wir sehen nicht hin … Armes Schwein.« Voller Mitgefühl senkte er die Stimme. »Hat nicht nachgedacht. Das Letzte, was du willst, ist, in einem königlichen Palast mit freiem Gehänge erwischt zu werden.«

»Philip!«

»Aber so ist es doch. Kein Wunder, dass es alle unter der Decke halten wollen. Schon um deine schwachen Nerven zu schonen.«

Die Queen sah ihn finster an. »Sie vergessen, dass ich einen Weltkrieg, die kleine Ferguson und dich in der Navy überlebt habe.«

»Und doch glauben sie, du brauchst ein Riechsalz, wenn sie auch nur etwas Anstößiges andeuten. Sie sehen nur die kleine, alte Lady mit Hut.« Er grinste, als sie die Stirn krauszog. Seine letzte Bemerkung traf zu und war so hilfreich wie traurig. »Sorg dich nicht, mein kleiner Kohlkopf. Sie lieben die kleine, alte Lady.« Er erhob sich steif von seinem Stuhl. »Vergiss nicht, ich will später nach Schottland. Der Lachs ist in diesem Jahr eine Pracht, sagt Dickie. Brauchst du etwas? Toffees? Nicola Sturgeons Kopf?«

»Nein, danke. Wann kommst du zurück?«

»In ein paar Tagen, rechtzeitig zu deinem Geburtstag. Dickie verpestet die Atmosphäre, er transportiert mich in seinem Jet.«

Die Königin nickte. Philip machte dieser Tage seine eigenen Pläne. Vor Jahren hatte es ihr das Herz gebrochen, wenn er einfach so verschwunden war, mit wem immer, wohin immer, und ihr alles überlassen hatte. Ein Teil von ihr war neidisch auf seine Freiheit und Selbstbestimmtheit. Aber er kam jedes Mal mit einer Energie zurück, die wie ein frischer Seewind durch die Korridore blies. Man hatte gelernt, dafür dankbar zu sein.

»Um ehrlich zu sein«, sagte sie, als er sich arthritisch vorbeugte, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu geben, »hätte ich gegen ein paar Toffees nichts einzuwenden.«

»Dein Wunsch ist mir Befehl.« Er grinste, brachte ihr Herz mit erfahrener Präzision zum Schmelzen und schritt zur Tür.

Kapitel 3

Meredith Gostelow schälte sich mühsam aus dem Fond des schwarzen Taxis, das sie für einen Wucherpreis von Windsor nach Notting Hill gebracht hatte, stand da und rang um Atem, während der Taxifahrer ihren Koffer vom Platz neben sich hob.

Sie sah zum blassrosa Stuck ihres Hauses hinauf und hatte das Gefühl, für immer zu einer anderen geworden zu sein. Etwas in ihr hatte sich verschoben, sie war entsetzt, voller Scham, es war etwas, das sie nicht benennen konnte. Sie war nicht mal sicher, was sie gerade dachte, während sich eine Träne einen Weg durch den Puder auf ihrer rechten Wange suchte. Feuchtigkeit, welcher Art auch immer, war dieser Tage hart erkämpft. Sie war eine junge Frau in einem alten Körper, in einen knarzenden Fleischpanzer gehüllt, den sie kaum zu kontrollieren vermochte. Und der gestrige Abend hatte alles noch schlimmer gemacht.

Und dann, heute Morgen … Sie wäre auf die Knie gesunken, hätte sie nicht gewusst, dass sie dann nicht wieder hochgekommen wäre.

»War’s das, Missus?«

Sie sah sich um, sah ihren Koffer und ihre Handtasche und nickte. Sie hatte den Mann bereits im Taxi bezahlt. Zweihundert Pfund! Was hatte sie sich dabei gedacht? Aber wer bestellt schon ein Uber, um sich aus Windsor Castle abholen zu lassen? Sie hätte zum Bahnhof gehen und wie jeder vernünftige Mensch, der nicht selbst fuhr, den Zug nach London nehmen sollen – doch in Windsor dachte man anders. Umgeben von livrierten Bediensteten weiten sich die Maßstäbe. Man ist dort, weil man erfolgreich ist, und schließlich hatte sie tatsächlich zwanzig Minuten mit dem Erzbischof von Canterbury über den Auftrag für eine Kirche gesprochen, in Southwark, eine Kirche für das einundzwanzigste Jahrhundert. Und so bestellte man sich eben ein Taxi, vergaß die Kosten … und zahlte, was ein ganzer Eimer Crème de la Mer kosten würde, um im wahnsinnigen, absolut voraussehbaren Verkehr auf der M4 stecken zu bleiben.

Man war … sie war … Sie musste aufhören, sich als eine knausrige Version der Queen zu sehen. Wobei, Ihre Majestät war dafür bekannt, den Kassenschlüssel tief in der Handtasche zu vergraben. Wie immer, sie, Meredith Gostelow, war allein auf sich gestellt.

Ein Partner hätte an den Zug gedacht. Ein Partner hätte sie einen Moment lang nachdenken lassen. Ein Partner hätte verhindert … was immer gestern Nacht passiert war. Ein Partner hätte sie womöglich in einem schönen, großen Auto hergebracht. Würde ihr jetzt den Koffer die schmale Treppe zur Haustür hinauftragen.

Und ihr sagen, was sie zu tun hatte, würde bekocht werden wollen, ein frisch gemachtes Bett und ihre Aufmerksamkeit verlangen. Ein Albtraum. Sie hatte das ganze Theater schon tausendmal im Kopf durchgespielt und verfluchte sich dafür, es schon wieder zu tun.

Aber letzte Nacht hatte sich etwas geändert. Etwas tief in ihr.

Apropos, sie musste aufs Klo. Ziemlich dringend sogar. Sie packte ihren Koffer, drückte ihre voluminöse Handtasche an die Brust und kämpfte sich die Stufen hinauf. Nachdem sie ihre Schlüssel gefunden, die Tür geöffnet, Koffer und Tasche hatte fallen lassen und den Flur hinuntergerannt war, schaffte sie es tatsächlich noch in allerletzter Sekunde auf die Toilette.

Alte Frauen. Keine Feuchtigkeit, wenn und wo man sie bräuchte. Dann wieder literweise und ohne Vorwarnung, wenn keinerlei Bedarf bestand.

 

Masha Peyrowskaja saß hinten in ihrem Mercedes-Maybach und lauschte den rhythmischen Melodien italienischer Redewendungen, während sich das Auto im Schritttempo zurück nach Hause bewegte. Sie hatte die Hände im Schoß liegen und betrachtete den möweneigroßen, gelb glitzernden Diamanten ihres Eherings. Auf der anderen Seite des Sitzes bellte Yuri russische Obszönitäten in sein Telefon. An ihrem Hals zuckte ein Muskel.

Es war erstaunlich, wie schnell der schönste, beste Tag deines Lebens zu einem von vielen werden konnte.

Die Italienisch-App in ihren Ohrhörern sagte etwas über die Freude, draußen zu sein. Oder ging es um Wandgemälde? Sie stellte sie ab.

Yuri hatte ihr, kaum dass sie im Auto saßen, erklärt, wie unpassend sie sich benommen hätte, wie gewöhnlich. Von einem Disney-Abend zu reden! Das ganze Frühstück habe sie damit verdorben. Für alle.

Aber war er es nicht gewesen, der seinen eigenen Koch hatte mitbringen wollen (was nicht ging), der sich geweigert hatte, irgendetwas Nichtbasisches zu essen, und sein eigenes rosa Himalajasalz in einem Bergkristallspender auf den Frühstückstisch gestellt hatte? Die Frau des Botschafters hatte ihm dabei zugesehen, und Masha war der Blick nicht entgangen, den sie dabei aufgesetzt hatte.

Windsor Castle war ein Traum, dachte sie, den wirkliche Menschen nur zerstören konnten.

Heute Morgen braute sich ein Handelskrieg zusammen. Die Märkte rutschten ab, und Yuri war außer sich, dass seine Leute bestimmte Aktien trotz seiner Anweisung nicht gestern schon abgestoßen hatten. Schließlich ging ihm die Galle aus, und er beendete das Gespräch mit einem bösartigen Stoß auf das Display seines Smartphones.

»Fünfhunderttausend. Damit kannst du dich von deiner Galerie verabschieden.«

Er blitzte seine Frau an, wütend, verletzt. Bei dem Wort »Galerie« sah sie ihn endlich an. Gut. Deshalb hatte er es gesagt. Was alles nötig war, um Mashas Aufmerksamkeit zu erlangen! Dass sie ihn unterstützte, Gott behüte!, wenn er für sie kämpfte, für sie beide, für ihre Zukunft. Ihr ging es immer nur um Kunst – sie zu sammeln, damit anzugeben und mit Leuten zu verkehren, die ihr das Gefühl gaben, besonders clever zu sein, weil sie das Wort »Post-Impressionismus« kannte. Und angebetet wollte sie werden, wie eine Göttin. Nun, er hatte es jahrelang probiert. Als er sie entdeckt hatte, war sie siebzehn gewesen und tatsächlich eine Göttin in ihrem winzigen T-Shirt und der schmutzigen Jeans. Aber es laugte ihn aus. Und es war nicht wirklich so, als ginge es allein ihm so.

»Übrigens«, sagte er beiläufig, wie er es eingeübt hatte, »Maksim ist tot.«

»Wie?«

Er sah, wie sie erstarrte.

»Heute Morgen. Wahrscheinlich ein Herzinfarkt. Du mochtest ihn, oder?«

Einen Moment lang brachte sie kein Wort heraus. Und dann war ihre Stimme kaum zu verstehen. »Ein wenig.«

»All die Klavierstunden. So viele Stunden. Du musst mir ein paar von den Stücken vorspielen, die du gelernt hast.«

Er sah, wie sie ihn schockiert anstarrte. Als hätte er gerade etwas Ungeheuerliches getan. Wie oft sah sie ihn so an und sagte nichts, sah von ihrem göttlichen Thron auf ihn herab, hoch oben aus der Stratosphäre. Wo er doch nur wollte, dass sie zu ihm herunterkam und die Hand ausstreckte. Dass sie vor Scham glühend zu ihm kam, anschmiegsam und bescheiden, und ihn in den Arm nahm. Warum verstand sie das nicht? Sie war hier der Schurke. Warum gab sie ihm immer die Schuld an allem? In seinem Kopf pochte es nach wie vor. Warum hatte sie ihn so viel trinken lassen? Hatte sie gewusst, was als Nächstes kommen würde?

Sie nahm die Kopfhörer aus den Ohren. Die Stille senkte sich wie ein Leichentuch über sie, während sie überlegte, was sie sagen sollte.

»Ich werde dir etwas vorspielen«, murmelte sie schließlich. »Wenn wir nach Hause kommen.« Tränen drohten aus ihren himmlisch glitzernden Augen zu strömen, doch sie hielt sie zurück.

Sie war aus Eis, dachte er. Aber eines Tages würde er sie zum Schmelzen bringen.

 

Die Königin mühte sich vergeblich, nicht mehr an den missgeleiteten jungen Mann im Schrank zu denken. Sie hatte den Nachmittag über mit ihrem Rennmanager besprochen, welche von ihren Pferden sie nach Ascot schicken wollten, und nachdem nun alle das Schloss wieder verlassen hatten, ging sie einen der Wandteppiche im großen Empfangssaal inspizieren, der restauriert werden musste. Auf dem Weg kam ihr eine Wache entgegen, und der Mann sagte, Sir Simon müsse sie dringend sprechen.

»Hat er gesagt, warum?«

Der Mann klopfte auf sein Funkgerät. »Er sagte, ich soll Ihnen ausrichten, es hat eine Entwicklung gegeben, Ma’am«, sagte er zurückhaltend. Sie schätzte seine mangelnde Neugier. Das Letzte, was man brauchte, war Personal, das nickte und einem praktisch zuzwinkerte, wenn es Nachrichten überbrachte. Solche Leute blieben nicht lange.

So machte sie denn seufzend kehrt und ging zurück in ihr Büro. Wenn Sir Simon nach ihr suchen ließ, musste es wichtig sein. Unterwegs kam sie durch die halbstaatlichen Räume, in denen sie ihre Gäste bewirtet hatte, und hielt auf den großen Durchgang und ihre Privatgemächer zu. In der Lantern Lobby kam ihr eine kleine Gruppe entgegen. Genau hier hatte sich das Feuer entzündet, und so wunderbar alles wieder aussah mit der neuen, fächerartigen Holzdecke, erschauderte sie doch mitunter immer noch, wenn sie hier durchkam. Die Gruppe schien erstaunt, sie zu sehen.

Ein distinguierter Mann mittleren Alters mit kantigem Kinn, breitbrüstigem Nadelstreifenanzug und Krawatte löste sich von seinen Begleitern und trat auf sie zu.

»Governor!«

»Eure Majestät.« General Sir Peter Venn schlug die Hacken zusammen und neigte kurz den Kopf. Er allein schien nicht überrascht, ihr zu begegnen. Als der gegenwärtige Governor von Windsor Castle hatte er eine Wohnung im Normannischen Turm beim Tor zum Oberen Hof, und sie kannte ihn gut. Tatsächlich hätte sie all seine Stationierungen rund um die Welt aufzählen und aus der Hälfte seiner Belobigungen zitieren können. Sie erinnerte sich sogar noch an seinen Onkel, den sie in Hongkong auf einer Party auf der Britannia als schmächtigen Lieutenant kennengelernt und dem sie später verschiedene Orden für Leistungen verliehen hatte, die zu geheim waren, um genannt zu werden. Die Venns stellten etwas dar im Militär. Sollte es zu einer Revolution kommen, würde sie sich wünschen, Sir Peter hinter sich zu haben. Oder, idealerweise, ein paar Schritte vor sich.

»Sie sehen beschäftigt aus«, sagte sie, als er näher kam.

»Wir kommen gerade zum Schluss, Ma’am. Eine sehr nützliche Besprechung. Machen noch einen schnellen Rundgang.«

Sie nickte der Gruppe vage anerkennend zu. Die meisten von ihnen hatte sie bereits gestern kurz gesehen, und sie wollte schon weitergehen, doch da lag etwas Ungewohntes im Blick von Sir Peter. Bei einem eingefleischten General wie ihm, der allen Eventualitäten trotzte, konnte man es fast schon eine Erregung nennen. So zögerte sie denn einen Moment, und er ergriff die Chance und sagte: »Darf ich Ihnen Kelvin Lo vorstellen? Er hat in Dschibuti interessante Dinge für uns erledigt.«

»Interessante Dinge« bedeutete Auslandsaufklärung. Sir Peter hatte die Besprechung im Auftrag vom MI6 und dem Außenministerium ausgerichtet. Ein junger Mann mit asiatischen Zügen, der eine dunkle Kapuzenjacke über einer – wirklich?, ja! – Trainingshose trug, trat vor und verbeugte sich schüchtern. Er schien völlig überwältigt von der Ehre, sie kennenlernen zu dürfen. Die Queen wünschte, nicht so eine Wirkung zu haben. Es war ermüdend, obwohl natürlich Schwätzer und Oversharer (den Ausdruck hatte sie von Harry, eine sehr nützliche moderne Bezeichnung für jemanden, der alles immer vor sich hertrug, kurz, ein Langweiler) weit schlimmer waren.

»Waren Sie gestern Abend schon hier?«, fragte sie.

»Nein, Eure Majes... äh, Madam.«

»Ah?«

Er blickte lange genug von seinen Turnschuhen auf, um zu sehen, dass sie ihn noch immer ansah.

»Mein Flugzeug hatte Verspätung«, brachte er hervor.

Sie gab es auf. Ihre Zeit für junge Leute, die sich nicht ausdrücken konnten, war begrenzt, so brillant sie sein mochten. Die anderen in der Gruppe waren am Abend zuvor nicht viel besser gewesen, und daran schien sich nichts geändert zu haben. Einer zitterte wie Espenlaub, und der jungen Frau daneben war eindeutig schlecht. Die Queen verabschiedete sich. Sie wollte wissen, was Sir Simon ihr zu sagen hatte, und eilte in ihr Büro, wo er bereits auf sie wartete.

 

Draußen gingen mittlerweile die Lichter an und warfen ein diffuses Licht auf Rasenflächen, Pfade und den Langen Weg. Sie war froh, dass sie die Vorhänge noch nicht zugezogen hatten. Drinnen bei ihnen war es warm und hell, Zeit für einen Gin.

Aber erst die Arbeit.

»Ja, Simon – was gibt es?«

Sir Simon wartete, bis sie sich hinter ihren Schreibtisch gesetzt hatte.

»Es geht um den jungen Russen, Ma’am. Mr Brodsky.«

»Das habe ich angenommen.«

»Es war kein Unfall.«

Sie zog die Brauen zusammen. »Oje. Der Ärmste. Wie haben Sie es herausgefunden?«

»Der Knoten, Ma’am. Der Pathologe hatte das Gefühl, dass da etwas nicht stimmte. Das Zungenbein war gebrochen. Das ist ein Knochen im Hals, Ma’am …«

»Ich weiß, wo das Zungenbein liegt.«, winkte sie ab. Sie hatte etliche Dick-Francis-Romane gelesen. Zungenbeine gingen die ganze Zeit zu Bruch. Was nie ein gutes Zeichen war.

»Nun, der Bruch beweist notwendigerweise noch nichts, weil es dazu beim Aufhängen durchaus kommen kann. Aber auch der Abdruck um den Hals war ungewöhnlich. Wobei auch das nicht eindeutig war. Die Pathologin hat sich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, weil wir sicher sein wollten. Sie hat sich die Fotografien vom Tatort angesehen und … sie sind nicht unbedingt beruhigend. Es gibt da ein Problem mit dem Knoten.«

»Hat er was falsch gemacht?«, fragte die Queen erschrocken. Sie stellte sich den armen Pianisten vor, wie er mit seinen eleganten Händen panisch am Gürtel zog. Vielleicht hatte er sich noch befreien wollen und konnte es nicht. Wie grässlich.

Sir Simon schüttelte den Kopf. »Der Knoten um seinen Hals ist nicht das Problem, aber der am anderen Ende.«

»Was für ein anderes Ende?«

»Äh, unterbrechen Sie mich, wenn Sie …«

»Oh, nun sagen Sie’s schon, Simon.«

»Ja, Ma’am. Wenn man vorhat, sich … zur Befriedigung … oder auch so … auf jeden Fall muss man das andere Ende der Schnur an etwas binden, das nicht nachgibt, und es sieht so aus, als hätte sich Brodsky den Türgriff des Schranks dafür ausgesucht und die Schnur über die Kleiderstange über seinem Kopf geführt.«

Die Queen versuchte sich den Mann im Schrank vorzustellen und hatte Schwierigkeiten, das Ganze zu begreifen. »Woher soll da der Schwung kommen?«

»Den braucht man offenbar nicht.« Sir Simon schien sich erbärmlich zu fühlen mit seinem neu erworbenen Wissen. »So wie er die Schlinge um seinen Hals verknotet hatte, mit einem einfachen Laufknoten, der sich selbst zuzieht, muss man nur in die Knie gehen. Viele Leute, die so etwas tun, um … ihre Lust zu erhöhen … machen es so, wenn ich es recht verstehe, weil sie dann, wenn sie denken, es ist genug, sich wieder erheben und die Schlinge lockern können. Nur funktioniert das nicht immer, weil sie vorher die Besinnung verlieren. Oder sie können sie nicht wieder lösen und verlieren dann …«

Sie nickte. So hatte sie es sich vorgestellt. Der arme, arme Kerl.

Sir Simon fuhr fort. »Aber das alles ist es nicht, Ma’am, weil er so nicht gestorben ist.«

Es kam zu einer kurzen Pause.

»Wie meinen Sie das, dass er ›so nicht gestorben ist‹?«

»Wenn Brodsky so umgekommen wäre, ob nun absichtlich oder nicht, hätte sein Körpergewicht auch an dem Knoten gezogen, mit dem die Schnur, der Gürtel des Morgenmantels, am Türgriff befestigt war. Aber der war noch ganz locker: nicht vom Gewicht des Körpers zugezogen. Die Pathologin hat das in einer ähnlichen Anordnung nachgestellt, und es war ziemlich eindeutig. Der Gürtel muss hinterher am Türgriff befestigt worden sein …«

Jetzt kam es zu einer längeren Pause.

»Oh.«

Eine volle halbe Minute lang war nur das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims zu hören.

Erst hatte sie gedacht, es sei ein Unfall gewesen, was schlimm genug war. Dann Selbstmord, grässlich … Und jetzt war die Queen gezwungen, das Undenkbare zu denken.

»Wissen Sie, wer …?«

»Nein, Ma’am. Ganz und gar nicht. Natürlich wollte ich es Ihnen so schnell wie möglich sagen. Im Runden Turm richtet sich ein Team zur Aufklärung ein. Sie fangen gerade an.«

 

Sie trank ihren Gin mit Dubonnet, und sie hatten ihr einen extra starken gemixt. Sie vermisste Philip. Er hätte etwas Grobes gesagt und sie zum Lachen gebracht, aber gespürt, wie bestürzt sie war, und sie beruhigt.

Nicht dass sich das Personal nicht bemühte. Lady Caroline Cadwallader, ihre gegenwärtige Hofdame, hörte mitfühlend zu, während sie ihr die Geschichte erzählte. Alle, die Bescheid wussten, setzten diese fürchterlich mitleidige Miene auf, die sie einfach nicht ertrug. Sie war nicht persönlich betroffen – das wäre ja lächerlich: Ihr ging es um das Schloss, die Gemeinschaft, den jungen Mann, dem auf so brutale, so entwürdigende Weise das Leben genommen worden war. Und natürlich war sie leicht beunruhigt.

Es gab einen Mörder in Windsor Castle. Oder hatte doch wenigstens in der letzten Nacht einen gegeben.

Die Queen bereitete sich auf das Dinner vor, heute im kleinen Kreis mit Familie und Freunden, und nahm sich vor, sich nichts anmerken zu lassen. Die fähigsten Köpfe der Polizei und zuständigen Regierungsinstitutionen arbeiteten an dem Fall, und man durfte ihnen zutrauen, ihn baldmöglichst zu lösen. Unterdessen sollte sie sich vielleicht noch einen zweiten Gin genehmigen.

Kapitel 4

Unten bei den Bediensteten sahen Zimmermädchen, Haushälterinnen und Butler mit einer Mischung aus Neugier und Verdruss die Polizei kommen und gehen.

»Was machen die hier so spät am Abend noch?«, murmelte ein Hausdiener einem vorbeikommenden Konditor aus der Küche zu, mit dem er befreundet war.

Mr Brodsky hatte nicht zu den Gästen gehört und war als Künstler im übervollen Dachgeschoss beim Augusta Tower untergebracht worden, über den Besuchergemächern, auf der Südseite des Oberen Hofes, mit Blick auf die Stadt. Die Polizei hatte den Gang abgesperrt, zum großen Ärger der dort Untergebrachten, da es auch so schon kaum genug Zimmer für alle gab, die eines brauchten. Leute mit weißen Kapuzenoveralls und Handschuhen geisterten jetzt dort oben herum, trugen große Taschen hin und her und redeten mit niemandem. Unvermeidlicherweise hatte sich schnell verbreitet, wie der Tote gefunden worden war, allerdings ohne die zusätzliche Information, was den zweiten Knoten betraf.

»Sie tun so, als wäre da einer ermordet worden«, beklagte sich der Konditor. »Ich meine, jeder hat seine verkorksten Geheimnisse. Der Kerl ist tot, und Toten sollte man ihre Ruhe lassen. Verstehst du, was ich meine? Die sollten sich da einfach raushalten.«

»Wie, verkorkst?«, fragte eine Unterbutlerin und blieb stehen, um zu hören, was sie redeten. Die junge Frau hatte Urlaub gehabt und war noch nicht ganz wieder auf der Höhe, was die Gerüchteküche betraf.

»Nun, ich hab’s von einer Wache, der was mit einer von den Wäscherinnen hat, unter dem Siegel der Verschwiegenheit hat sie es ihm gesagt: Er trug einen Frauenslip und Lippenstift und hatte sich eine Krawatte um seinen …«

Sie hörten schnelle Schritte, sahen eine der oberen Haushaltsbediensteten heraneilen und taten so, als wären sie beschäftigt.

»Unter einem Frauenslip? Wie soll das gegangen sein?«, brummte die junge Frau ernsthaft verwirrt. Der Konditor zuckte mit den Schultern. Aber das reichte der Frau nicht, die es gern genau wissen wollte. »Nein, ich glaube, der hat dich hochgenommen.«

»Nein, ich schwöre es!«

»Aber selbst wenn es stimmt«, sagte der Hausdiener, »warum strolchen die hier noch herum um …«, er holte sein Telefon aus der Tasche und sah nach der Zeit, »um halb zehn? Das erweckt ihn auch nicht wieder zum Leben, oder?«

»Vielleicht denken sie, dass es da irgendein Sexspielchen mit jemandem gab«, sagte die Frau, die eine Schnelldenkerin war und eine blühende Fantasie hatte.

»Um Himmels willen, mit wem denn wohl?«, protestierte der Hausdiener. »Er war doch gerade erst angekommen! Für eine Nacht. Und kennst du die Zimmer da oben? Die sind klein wie Gefängniszellen.«

»Das hat noch keinen aufgehalten«, sagte der Konditor. »Vielleicht hat er mit einem von den Mädchen angebandelt, die gestern Abend hier waren. Hast du die gesehen? Die Tänzerinnen? Diese Beine?«

Die körperlich äußerst selbstbewussten Ballerinen hatten die engsten engen Jeans getragen, dazu die knappsten bauchfreien Tops. Das war ganz und gar nicht der typische Windsor-Aufzug und bei der Hälfte des Personals beim Frühstück auf Bewunderung gestoßen.

»Was, und dann haben sie beschlossen, hier pervers zu werden, in Windsor?«, schnaubte der Hausdiener. Er überlegte. »Und dann noch gleich alle beide?«

»Warum alle beide?«

»Weil sie sich ein Zimmer geteilt haben. Wir hatten einen ziemlichen Ansturm, und ich musste Marion helfen, alle unterzubringen, also sind sie in ein Doppelzimmer gekommen. Nun, ein Zimmer mit zwei Betten, in das kaum eins reinpasst. Wenn eine von den beiden da was vorgehabt hätte, hätte die andere es sicher mitgekriegt.«