Das wunderbare Weihnachtsriesenrad - Sven Gerhardt - E-Book

Das wunderbare Weihnachtsriesenrad E-Book

Sven Gerhardt

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

»Hier werden Weihnachtswünsche wahr!«

Jul ist der größte Weihnachtsfan, den man sich nur vorstellen kann. Er liebt die Vorweihnachtszeit und besonders den wunderschönen Weihnachtsmarkt direkt vor seiner Haustür. In diesem Jahr gibt es dort eine außergewöhnliche Attraktion: ein nostalgisches, dampfbetriebenes Riesenrad. Dort sollen laut Werbetafel Weihnachtswünsche in Erfüllung gehen. Jul ist zunächst skeptisch. Doch als er sich mit Feliz, der Enkelin der Besitzerin, anfreundet, stellt er fest, dass rund um das Riesenrad tatsächlich jede Menge Wunder passieren …

Eine magisch-schöne Weihnachtsgeschichte in 24 Kapiteln!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 147

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sven Gerhardt

Mit Illustrationen vonFlorentine Prechtel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

© 2025 Penguin JUNIOR in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Almut Schmidt

Illustrationen: Florentine Prechtel

Umschlaggestaltung: Lena Ellermann unter Verwendung

einer Illustration von Florentine Prechtel

aw · Herstellung: UK

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-32244-1V001

www.penguin-junior.de

Inhalt

Prolog

1. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

2. Alles nur Zufall?

3. Licht und Wärme

4. Noch mehr Rotkehlchen

5. Eine Fahrt mit Folgen

6. Der erste Auftrag

7. Licht breitet sich aus

8. Morgenstund’ und Schlüsselschwund

9. Sprechende Pflanzen

10. Eine schokoladige Stunde

11. Eine schlechte Nachricht

12. Nichts ist unmöglich

13. 2–4–1–2

14. Von Stars und Sternen

15. Ein Traum wird wahr

16. Kekse, Brownies, Kakao und Pizza

17. Zur Feier des Tages

18. Klassenausflug

19. Ein Detektiv in der Kälte

20. Alles Gute kommt von oben

21. Auf eigenartige Weise schön

22. Drei Geister und ganz viel Licht

23. Das Geständnis

24. Die letzte Fahrt

Epilog

Prolog

Lappland, 1897

Der letzte Pinselstrich ist gesetzt und die Farbe auf dem metallenen Schild beginnt zu trocknen. Schon sehr bald wird das dampfbetriebene Riesenrad zum ersten Mal seine Runden drehen. Die Menschen werden lachen, die Aussicht genießen und für einen Moment alles vergessen, was ihnen Sorgen bereitet. Danach werden sie die Gondeln verlassen und wieder ihrer gewohnten Wege gehen. Aber diejenigen, die die Fähigkeit haben, mit dem Herzen zu sehen, werden erkennen, dass die Worte auf dem Schild in Erfüllung gehen: Hier werden Weihnachtswünsche wahr!

1. Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Der Wecker reißt Jul aus dem Schlaf. Obwohl es noch sehr früh ist, dauert es nur wenige Sekunden und er ist hellwach. Er springt aus dem Bett, rennt zum Fenster und schiebt den schweren Vorhang beiseite. Vom zweiten Stock aus hat er einen perfekten Blick auf den Marktplatz. Direkt gegenüber sieht er die Buchhandlung von Frau Bernstein. Dort ist noch alles dunkel, denn der Laden öffnet erst um zehn Uhr. Aus der Tischlerwerkstatt nebenan fällt warmes Licht auf das Kopfsteinpflaster. Der alte Herr Grassnitz war schon immer ein Frühaufsteher. Ansonsten wirkt der Marktplatz mit seinen Läden, dem Café und den Restaurants noch wie ausgestorben. Auch die Stände des Weihnachtsmarkts sind noch geschlossen. Juls Blick bleibt an dem altertümlichen Riesenrad kleben, das direkt vor dem Rathaus steht. Es ist die neueste Attraktion des Weihnachtsmarktes. Dampfbetrieben soll es sein – was auch immer das heißt.

»Heute beginnt endlich die richtige Weihnachtszeit«, flüstert Jul in die kühle Morgenluft.

Auch wenn schon seit Monaten Schoko-Nikoläuse und Lebkuchen in den Supermarktregalen liegen und auch wenn der Weihnachtsmarkt schon vor ein paar Tagen offiziell vom Bürgermeister eröffnet wurde, ist der erste Dezember für Jul ein magisches Datum. Vorher rührt er keine Kekse oder andere weihnachtliche Süßigkeiten an. Und obwohl er direkt am Marktplatz wohnt, hat er in den letzten Tagen einen großen Bogen um den Weihnachtsmarkt gemacht. So, als bringe es Unglück, wenn man ihn vor dem ersten Dezember betritt. Aber Jul ist nicht abergläubisch. Für ihn ist es eine Frage des Gefühls. Und das richtige Weihnachtsgefühl spürt er eben erst genau an diesem Tag – dem ersten Dezember.

Dieses Jahr ist ihm das Warten jedoch noch schwerer gefallen als sonst, zu neugierig ist er auf das Riesenrad. Wobei die Bezeichnung »Riesenrad« eigentlich nicht richtig passt, denn es ist nun wirklich nicht riesig. In den fünf Gondeln finden insgesamt nur 20 Personen Platz und die Aussicht vom höchsten Punkt dürfte so ähnlich sein wie die aus Juls Fenster.

Dennoch zieht ihn dieses Riesenrad irgendwie magisch an. Vielleicht sind es die bunten Lichter, vielleicht die kunstvollen Verzierungen der Gondeln, vielleicht aber auch – und das ist am wahrscheinlichsten – ist es das, was in verschnörkelten Buchstaben auf dem Schild geschrieben steht, das über dem Eingang prangt.

Dieser Satz ist Jul sofort aufgefallen, als die alte Dame und das Mädchen mit dem Riesenrad auf dem Marktplatz angekommen sind. Überhaupt sind die beiden ein eigenartiges Gespann. Handelt es sich um Großmutter und Enkelin? Und warum muss das Mädchen nicht zur Schule gehen? Das herauszufinden, hat Jul sich fest vorgenommen. Denn ab heute wird er jede freie Minute auf dem Weihnachtsmarkt vor seinem Haus verbringen. So wie jedes Jahr.

»Hallo, Frau Bernstein!«, ruft Jul, als er nach der Schule an der Buchhandlung vorbeiläuft. Die Buchhändlerin ist gerade damit beschäftigt, einer schwer bepackten Kundin die Eingangstür zu öffnen.

»Hallo, mein Junge. Und – schon in Weihnachtsstimmung?«, fragt sie lachend.

»Ja, seit heute«, antwortet er. »Deshalb komme ich in den nächsten Tagen auch mal wieder bei Ihnen im Laden vorbei. Vielleicht haben Sie ein Buch, das ich mir zu Weihnachten wünschen kann.«

»Ganz bestimmt.« Frau Bernstein lächelt und verschwindet im Laden.

Bevor Jul die Haustür aufschließt, lässt er seinen Blick über den Weihnachtsmarkt schweifen. Viel ist noch nicht los, aber das wird sich im Laufe des Nachmittags ändern.

Nur vor dem Imbissstand von Gudrun und Bernhard bildet sich eine kleine Schlange. Der Weihnachtsmarkt wäre ohne die beiden genauso wenig denkbar wie ohne den großen bunt geschmückten Tannenbaum in der Mitte des Platzes. Sobald Jul die Hausaufgaben erledigt hat, wird er, so wie jedes Jahr, seine ganz persönliche Weihnachtsmarktzeit einläuten – mit einer Portion Pommes und einer Tüte gebrannter Mandeln zum Nachtisch.

»Ich hab dir was vom Einkaufen mitgebracht!« Juls Vater überreicht ihm feierlich einen Weihnachtsmann aus Schokolade.

»Danke!«, sagt Jul und wiegt den Weihnachtsmann vorsichtig in den Händen. Die bunte Folie glänzt im Licht und Jul schaut sich die Gestaltung ausgiebig an.

»Das ist dieses Mal aber ein besonders schönes Exemplar«, bemerkt er. »Nicht so kitschig wie der von letztem Jahr.«

»Finde ich auch«, antwortet sein Vater. Er zieht lachend einen weiteren Weihnachtsmann aus der Einkaufstasche. »Deshalb habe ich mir auch einen mitgebracht.«

Er reißt die Folie auf und mit einem Knacken bricht er die schokoladige Mütze vom Rest des Körpers. »Er ist auch leckerer als der vom letzten Jahr«, schmatzt er und bietet Jul ein Stück an.

»Später vielleicht«, antwortet Jul. »Zuerst brauche ich eine Portion Pommes.«

Seinen Weihnachtsmann stellt er in seinem Zimmer aufs Regal über dem Schreibtisch. Dort stehen schon neun andere, die er in den letzten Jahren gesammelt hat. Essen kann man die uralten Dinger wohl nicht mehr, aber darum geht es Jul nicht. Es ist für ihn eine Tradition, die schon begonnen hat, als er selbst noch gar nicht wusste, was Weihnachten überhaupt ist. Es gibt ein Beweisfoto, das zeigt, dass Jul den Weihnachtsmann ganz links im Regal tatsächlich schon vor seinem ersten Geburtstag in den Händen hielt.

Er wirft einen letzten Blick auf seine Sammlung und schnappt sich Jacke und Mütze. Jetzt geht es endlich auf den Weihnachtsmarkt!

Die Pommes von Gudrun und Bernhard waren so lecker wie immer. Die beiden haben sich sehr gefreut, Jul wiederzusehen. Genauso wie Ayleen, bei der er die gebrannten Mandeln gekauft hat, die er genüsslich kaut, während er das bunte Treiben auf dem Markt beobachtet. Obwohl der Rathausplatz nicht besonders groß ist und es nur ein Dutzend Buden gibt, ist es für Jul der schönste Weihnachtsmarkt der Welt. Vor allem, wenn es wie jetzt dämmert und all die bunten Lichter so richtig zur Geltung kommen.

Der leuchtende Tannenbaum in der Mitte überragt alles – sogar das Riesenrad, das Jul nun fasziniert ansteuert. Aus der Nähe betrachtet wirkt es viel größer. Das Rad dreht sich mit seinen funkelnden Lichtern direkt über ihm und Jul kann gar nicht aufhören, es anzuschauen.

»Glaubst du, was da steht?«, fragt ihn plötzlich eine unbekannte Stimme.

Das Mädchen, das Jul schon beim Aufbau des Riesenrads bemerkt hat, steht neben ihm und deutet auf das Schild über dem Eingang, auf dem ein Rotkehlchen sitzt und neugierig seinen Kopf zu ihnen dreht.

Jul braucht einen Moment, um zu kapieren, was sie meint.

»Na, dass hier Weihnachtswünsche wahr werden«, erklärt das Mädchen. »Glaubst du daran?«

»Ich weiß nicht«, sagt Jul und mustert das Mädchen. Es scheint ungefähr in seinem Alter zu sein und abgesehen von der roten Bommelmütze, an der ein paar Lichter hektisch blinken, sieht es aus wie alle anderen Mädchen, die er so kennt. Dann schaut er sich die verschnörkelte Schrift an, die wirklich sehr kunstvoll auf das Schild gepinselt wurde. »Ich fände es jedenfalls schön, wenn es so wäre.«

Das Mädchen scheint mit dieser Antwort zufrieden zu sein. »Ich bin übrigens Feliz. Und ich liebe gebrannte Mandeln.«

»Ich heiße Jul«, antwortet Jul und streckt ihr die Tüte entgegen. »Greif zu!«

Feliz schnappt sich eine Süßigkeit und genießt sie mit geschlossenen Augen.

»Siehst du, das war schon der erste Beweis.«

Jul sieht sie fragend an.

»Ich habe mir gebrannte Mandeln gewünscht und schon bist du aufgetaucht. Ein Weihnachtswunsch ist wahr geworden.«

Jul muss schmunzeln. »Na, wenn du meinst. Was kostet eigentlich eine Fahrt mit dem Riesenrad?«

»Es gibt keinen festen Preis«, antwortet Feliz, die ihre Augen mittlerweile wieder geöffnet hat und erneut die Tüte mit den Mandeln anvisiert. »Man kann einfach irgendeinen Betrag in die Spendendose am Ausgang werfen. Wir akzeptieren übrigens auch gebrannte Mandeln. Die schmeißt man dann aber nicht in die Dose, sondern gibt sie direkt mir.«

»Verstehe«, sagt Jul und streckt Feliz wieder die Tüte entgegen. »Dann würde ich jetzt gerne mal mitfahren.«

Kurz darauf sitzt Jul im Riesenrad. Weil er ihr noch drei weitere Mandeln gegeben hat, hat Feliz ihm eine Gondel nur für ihn allein organisiert.

Die alte Dame, die wohl die Besitzerin und vermutlich auch die Großmutter von Feliz ist, schließt die kleine Tür der Gondel und sieht Jul freundlich an.

»Viel Spaß!«, wünscht sie ihm und im nächsten Moment bedient sie die Steuerung und setzt das Riesenrad in Bewegung.

Gemächlich wird Jul in die Höhe gehoben. Die kleine Gondel schaukelt sanft und der Dampf des Antriebs steigt in kleinen Wölkchen empor.

Erst jetzt sieht Jul, dass sich auf den rot-weiß gestreiften Dächern der Gondeln ebenfalls Rotkehlchen niedergelassen haben. Die Färbung ihrer Bäuche macht sie auf den roten Streifen fast unsichtbar.

Als Jul den höchsten Punkt erreicht hat, fängt er automatisch an zu grinsen. Aus dieser ungewohnten Perspektive sieht der Weihnachtsmarkt ganz anders aus als von seinem Zimmer aus. Die gleichen Buden, der gleiche Weihnachtsbaum in der Mitte – und trotzdem wirkt alles geheimnisvoll und neu für ihn.

Jul muss an die Worte auf dem Schild am Eingang denken und ihm kommt dabei sofort eine Frage in den Kopf: Was ist dein größter Weihnachtswunsch?

2. Alles nur Zufall?

Während Jul am nächsten Morgen in der Schule sitzt, geht Frau Bernstein nervös in ihrem Buchladen auf und ab. In der Hand hält sie das Telefon, über das sie gerade eine wirklich schlechte Nachricht bekommen hat. Ihre Mitarbeiterin Brigitte hat sich den Arm gebrochen und wird für die nächsten Wochen ausfallen. Und das ausgerechnet in der Weihnachtszeit, in der immer am meisten in der Buchhandlung los ist.

»Wo soll ich denn so schnell einen Ersatz herbekommen?«, murmelt Frau Bernstein und bleibt am Schaufenster stehen. Auf dem kleinen Absatz vor dem Fenster sitzt ein Vogel und sieht neugierig zu ihr in den Laden. Als sie näher herantritt, fliegt er davon. Frau Bernstein lässt ihren Blick über den Marktplatz schweifen, auf dem noch nicht viele Menschen unterwegs sind. Die Buchhändlerin betrachtet das Riesenrad, das sie an ihre Kindheit erinnert. Sie hat Jahrmärkte geliebt und die Karussells und Fahrgeschäfte konnten gar nicht schnell und wild genug für sie sein. Heute wird ihr jedoch schon allein beim Anblick eines Kettenkarussells übel. Auf das kleine Riesenrad hingegen würde sie sich schon noch trauen. Und auch wenn sie gerade wirklich andere Sorgen hat, fasst sie einen spontanen Entschluss. Sie schnappt sich Jacke und Mütze, hängt ein Schild mit der Aufschrift Bin gleich wieder da! in die Eingangstür und verschließt den Laden. Ein wenig wundert sie sich über sich selbst, als sie schnurstracks auf das Riesenrad zugeht. Bis auf eine Gondel sind alle unbesetzt. Ein Mädchen, das Frau Bernsteins Meinung nach eigentlich um diese Uhrzeit in der Schule sein müsste, begrüßt sie freundlich an der kleinen Eingangstür. Erst jetzt bemerkt die Buchhändlerin die Schrift auf dem Schild über ihr. Hier werden Weihnachtswünsche wahr!

Schön wär’s, denkt Frau Bernstein und bekommt nun von der Besitzerin des Riesenrads einen Sitzplatz zugewiesen.

»Viel Spaß!«, sagt diese lächelnd und verschließt die Tür der Gondel.

»Nach Spaß ist mir eigentlich nicht zumute«, murmelt sie kaum hörbar. Sie rutscht ganz an den Rand der Sitzbank und dabei fängt die Gondel an zu schaukeln. Frau Bernstein verzieht das Gesicht. »Was mache ich hier eigentlich?«

Dann setzt sich das Riesenrad in Bewegung und die Gondel wird sanft in die Höhe gehoben. Auf Frau Bernsteins Gesicht zeichnet sich ein Lächeln ab. Wie schön der Marktplatz von oben aussieht. Hinten links sieht sie ihre Buchhandlung, die schon seit so vielen Jahren ihr Ein und Alles ist. Und obwohl die Aussicht aus dem Riesenrad so wunderschön ist, machen sich in Frau Bernstein doch wieder die Sorgen breit. Wie soll sie das Weihnachtsgeschäft ohne ihre beste Mitarbeiterin schaffen?

Ich wünschte, dieses Problem würde sich irgendwie lösen, denkt sie und stößt einen leisen Seufzer aus.

Im nächsten Moment beginnt ein Handy zu klingeln. Zwei Rotkehlchen, die auf dem Dach der Gondel sitzen, fliegen aufgeschreckt davon. Das Handy scheint der Frau zu gehören, die schon vor Frau Bernstein im Riesenrad saß. Auch wenn sie nur zwei Gondeln weiter sitzt, kann Frau Bernstein sie nicht sehen, da das Dach der Gondel die Sicht versperrt. Aber hören kann sie die Frau sehr wohl.

»Ach, das ist wirklich schade. Und ich hatte so gehofft, dass sie einen Job für mich haben … Klar, kann ich verstehen … Aber ich habe wirklich viel Erfahrung im Verkauf … Natürlich, Sie suchen jemand Jüngeres … Da kann man nichts machen. Trotzdem danke.«

Das Gespräch ist damit beendet.

Frau Bernsteins Herz schlägt plötzlich schneller und das liegt nicht daran, dass das Riesenrad in der Zwischenzeit richtig Fahrt aufgenommen hat. Sie hat das Gefühl, es ist kein Zufall, dass sie das Gespräch mitbekommen hat.

Kurz darauf hält das Riesenrad an und die Frau mit dem Handy steigt aus.

Ihren Platz übernimmt nun ein junges Pärchen.

Als ihre Gondel unten ankommt, bittet Frau Bernstein die Besitzerin, sie bei der nächsten Gelegenheit aussteigen zu lassen. Die alte Dame nickt und nach einer weiteren Runde stoppt das Riesenrad. Die Frau mit dem Handy hat Frau Bernstein in der Zwischenzeit nicht aus den Augen gelassen.

»Danke!«, sagt sie, während sie aus der wackligen Gondel klettert. Dann kramt sie eine Zwei-Euro-Münze hervor, wirft sie in die Dose am Ausgang und eilt zum Verkaufstand mit den gestrickten Schals und den handgearbeiteten Plüschtieren.

Die Frau mit dem Handy probiert gerade einen Schal an, schaut dann jedoch auf das Preisschild und legt ihn sofort zurück.

»Entschuldigung.« Frau Bernstein räuspert sich und die Frau dreht sich erschrocken zu ihr um. »Ich habe eben im Riesenrad völlig unbeabsichtigt Ihr Telefonat mitbekommen. Sie suchen einen Job, ist das richtig?«

»Äh, ja, das stimmt«, antwortet die Frau verwundert. »Ich bin gelernte Verkäuferin und habe viele Jahre in einem Spielwarenladen gearbeitet. Na ja, bis der Laden dann im Herbst geschlossen wurde.«

»Und ich bin Frau Bernstein. Ich habe eine Buchhandlung, direkt hier vorne.« Sie deutet mit ihrer Hand zwischen den Buden hindurch. »Und mir fehlt seit heute meine wichtigste Mitarbeiterin. Ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft.«

»Oje, verstehe«, antwortet die Frau mitleidig. Dann hellt sich plötzlich ihr Gesicht auf. »Und jetzt brauchen Sie kurzfristig eine Aushilfe?«

»Genau. Und zwar so schnell wie möglich. Wäre das was für Sie?«

»Auf jeden Fall!«, antwortet die Frau begeistert. »Ich liebe Bücher! Und ich könnte sofort anfangen.«

»Dann schlage ich vor, dass Sie heute einen Probetag machen. Und wenn es Ihnen gefällt, kommen Sie morgen einfach wieder.« Frau Bernstein streckt der Frau die Hand entgegen.

»Abgemacht!«, antwortet die Frau glücklich. »Was für ein Zufall, dass wir uns getroffen haben.«

Frau Bernstein blickt zu dem Schild, das über dem Eingang des Riesenrads hängt. An einen Zufall will sie gerade nicht so richtig glauben.

Als Jul nach der Schule über den Marktplatz läuft, stehen vor der Bude von Gudrun und Bernhard ein paar schick gekleidete Männer, die vermutlich Mittagspause haben. Einer von ihnen versucht sich mit einer Serviette einen Klecks Currysoße vom Mantel zu wischen. Von Ayleens Stand aus weht ein süßlicher Duft über den Platz und das Riesenrad ist voll besetzt mit herumalbernden Teenagern, die wohl auch Schulschluss oder zumindest eine Freistunde haben.

»Hallo, Jul!«, ruft Feliz und winkt ihn zu sich.

»Hi!«, erwidert er, als er das Riesenrad erreicht, und stellt seinen schweren Rucksack auf dem Boden ab. »Musst du eigentlich nicht zur Schule?«

»Nö, im Moment nicht«, antwortet Feliz. »Alles, was ich wissen muss, bringt Oma mir bei.«

»Okay. Und wo wohnt ihr?«, fragt Jul weiter.

»In einem Wohnwagen auf dem Campingplatz. Unten in der Stadt, direkt am Fluss«, erklärt Feliz. Im nächsten Moment wird sie von ihrer Großmutter herbeigewinkt.

Eigentlich wollte Jul noch fragen, wo ihre Eltern sind, aber da ist Feliz schon die Treppenstufen zum Riesenrad hochgeflitzt, um die Tür der Gondel zu öffnen, die gerade zum Stehen gekommen ist.

»Ich komme später noch mal vorbei«, ruft Jul und deutet mit einem genervten Blick auf seinen Rucksack. »Hausaufgaben …«