De Ghe und der Meister - Dirk Gießelmann - E-Book

De Ghe und der Meister E-Book

Dirk Gießelmann

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Meister steht seinem Schüler Đe Ghê mit tiefer Weisheit, ungeteilter Aufmerksamkeit und liebevollem Rat zur Seite. Die Gedanken, Aphorismen, Gleichnisse, Gedichte und kurzen Geschichten in diesem Buch können z.B. in Form täglicher Inspirationen zurate gezogen werden oder als Impulsgeber in einer jeweiligen Lebenssituation dienen. Dabei geht es nicht um die Vermittlung einer besonderen Wahrheit, sondern darum, sich stets selbst mit der Wahrheit verbunden und mit der Liebe geeint zu wissen. // "In sich geschlossen, wundervoll, klug, berührend.", sagt Kati Voß [Akademie der Weisheit] zum Buch.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 410

Veröffentlichungsjahr: 2022

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



— ĐE GHÊ UND DER MEISTER—

Philosophie des liebenden Herzens

1. Auflage

©2022 Dirk Gießelmann

Text, Layout, Satz, Titelgrafik und Fotos: Dirk Gießelmann

Korrektorat: Gabi Jagadīshvarī Dörrer, Kati Voß

ISBN Softcover: 978-3-347-67358-8

ISBN Hardcover: 978-3-347-67373-1

ISBN E-Book: 978-3-347-67360-1

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

INHALT

Anmerkung zur Ausgabe

Vorwort

Textbuch

Đe Ghê und der Meister – Philosophie des liebenden Herzens Gleichnisse, kurze Geschichten, Aphorismen

Anhang

Gedichte · Lyrik · Poesie

Über den Autor

ANMERKUNG ZUR AUSGABE

Schüler Đe Ghê rezitierte die Kalligraphie seines Meisters:„Kein Gipfel ohne Berg.“

Ich schrieb die Worte dieser Lektüre, weil sie mir oftmals sprudelnd in den Sinn kamen. Es ist meine Art, zu denken. Im Prozess der Formulierung empfinde ich Genugtuung. Im Fluss des Findens finde ich Freude. Im Freilassen des Gedachten erfahre ich Erleichterung. Die kurzen Geschichten, Gleichnisse und Aphorismen folgen meiner Neigung für die Schau nach innen und dem Wunsch, begreifen zu wollen.

Schüler Đe Ghê ist Teil meines persönlichen Weges. Er ist ein Mensch, der sich selbst, die Welt und die Zusammenhänge verstehen will und sättigende Antworten auf eifrige Fragen sucht. Đe Ghê ist ein Suchender, der wahrhaft finden will. Der Meister ist ihm und somit auch mir eine Inspirationsquelle. Der Meister ist die liebevolle Stimme im Inneren. Des Meisters Worte sind Antrieb und Lenkung des Bedürfnisses nach redlichem Denken und Handeln. Der Meister ist Mittel und Zweck, Quelle und Ziel, Frage und Antwort, Schüler und Lehrer.

Was ich als mein eigener Schüler und Lehrer in diesem überschaubaren Werk niederschrieb, ist inspiriert. Es ist die Philosophie meines Herzens. Diese will ich freudig mit dir teilen.

Mögen wir – verehrte Leserin, verehrter Leser – uns in gegenseitiger Anerkennung wohlgesonnenen sein. Mögen unsere Meisterinnen und Meister miteinander Freundschaft schließen. So lass uns gemeinsam einen friedlichen Blick in die nahe Ferne wagen, denn: „Dort, wo alles mit allem verbunden ist, liegt die Wiege des Glücks.“

Dirk Gießelmann, Juli 2022

VORWORT

Ich wusste nicht wirklich, worauf ich mich einlasse, als ich mich für ein Vorablesen des Manuskripts für dieses Buch meldete. Interessanterweise fand ich hierin einen Text wieder, den ich einst im Internet entdeckt hatte und der mich sehr beeindruckt hatte, der jedoch in meiner Sammlung mit ‚Autor unbekannt‘ versehen war. Wie mit diesem einen Text ging es mir mit vielen anderen Texten dieses Werkes, die oftmals nur aus einem Satz bestehen – Worte, die der Meister spricht, und dennoch oder gerade der Knappheit wegen tief berührend sind. Wunderbare Gaben, manche tatsächlich nur aus wenigen Worten bestehend, bekommen wir hier von Dirk, der ein außerordentliches Talent besitzt, (wenige) Wörter in einer Weise aneinanderzureihen, dass sie zum erkenntnisreichen Geschenk werden. Dass sie zu etwas werden, das einen tief berührt und das mich oftmals in großer Dankbarkeit selig innehalten ließ. Und immer wieder lässt, denn man hat mit diesem Buch einen Schatz in den Händen, der stets neu entdeckt werden kann.

Gabi Jagadīshvarī Dörrer, Juli 2022

TEXTBUCH

1. Von der Ausdehnung

Der Meister sprach: „Was wahrhaft in uns ist, verlangt danach, sich auszudehnen. Erkenntnis ist Ursache und Folge des Erkennens zugleich. So will Liebe immer nur Liebe sein!“

2. Die gütige Antwort

Der Meister sprach: „Auf jedes scheinbare Übel findest du stets eine hilfreiche Antwort in deiner eigenen Güte. Vergib allen alles, auf dass es nichts mehr gibt, das zu vergeben wäre. Liebe will lieben. Sei wie die Liebe selbst, so wird sich dir die Liebe in allem offenbaren.“

3. Über das Mögliche

Der Meister sprach: „Du kannst mit einem Finger die Sonne verdecken, aber du kannst sie nicht auslöschen. Wisse, was du tun kannst und was nicht. Die Liebe in allem ist das höchste Konzept, die Totalität ohne Gegenteil, das ewig Unendliche und einzig wahrhaft Beständige. Schließlich will alles nur dieser Liebe ganz und gar zu Diensten sein. So ist jeder Schritt ein Schritt innerhalb der Vollkommenheit.“

4. Vom Edlen

Der Meister sprach: „Die Menschen werden nicht dadurch edel, dass sie voneinander lernen, das Schlechte zu hassen, sondern dadurch, dass sie einander lehren, das Gute zu lieben.“

5. Der Weg des Friedens

Đe Ghê ging zum Meister und sagte: „Meister, die Leute in der Stadt erzählen sich, dass alles Übel in der Welt von Menschen gemacht sei.“

Der Meister sprach: „Wenn die Leute es sich erzählen, dann wird es so sein.“

Đe Ghê erwiderte: „Aber Meister, was sollen wir tun?“

Der Meister antwortete: „Geh hin zu den Menschen. Höre ihnen zu. Beobachte was sie tun. Dann überlege. Dann fühle. Dann entscheide. Dann handle. Mache dich von Missgunst und Verurteilung frei. Es wird der Weg des Friedens sein.“

6. Widerschein

Der Meister sprach: „Weisheit ist Erkenntnis des ewigen Geistes durch die ruhige Spiegelung dessen, was ist. Liebe währt ewig – das ist Weisheit.“

Daraufhin nahm der Meister eine mit Wasser gefüllte Holzschale, zeigte sie seinem Schüler und fuhrt fort: „Sieh her: Dies ist eine Schale mit Wasser. Wenn ich an ihr rüttle, so ist die Oberfläche des Wassers unruhig und irritiert; das Spiegelbild darauf wird gestört. Nur das stille Wasser spiegelt den Himmel in seiner vollkommenen Klarheit. Ebenso ist nur ein ruhiger, ein besonnener Geist dauerhaft für die Weisheit bereit. Ich rate dir: Lege alles törichte Verlangen ab, so wird dein Geist zur Ruhe kommen, sodass sich darin, einem sauberen Spiegel gleich, der Widerschein der Wahrheit zeigt. Kurzum: Nimm Kenntnis vom Zustand der Weisheit, doch jage der Weisheit nicht hinterher. So kommt sie erst dann, dies aber gewiss, wenn die sanfte und ruhige Reinheit des Geistes sie liebevoll willkommen heißt.“

7. Vom Weg der Harmonie

Der Meister sprach: „Entsage dem Zorn, so wandelt sich Missklang in Harmonie, und Glück schreitet durch die Tür deines Herzens.“

8. Trägheit

Der Meister sprach: „Trägheit ist der Feind des Fortschritts.“

9. Macht

Der Meister sprach: „Dein Geist ist zu mächtig, um ihn nicht beständig der Liebe zu widmen.“

10. Von der Bestimmung

Đe Ghê und der Meister spazierten auf einem Weg hinab ins Tal.

Der Meister sprach: „Mein lieber Schüler, geh hin zu dem Baum dort hinten am Wegesrand und pflücke den Apfel, der dir am begehrlichsten erscheint.“

Đe Ghê tat wie ihm geheißen und kehrte zurück.

Der Meister sprach: „Fühlst du den Apfel in deiner Hand?“

Đe Ghê antwortete: „Ja Meister, ich fühle den Apfel in meiner Hand.“

Der Meister sprach: „Spürst du die Stärke und die Geschlossenheit der Frucht, die das Innere mit dem Äußeren vereinen?“

Đe Ghê antwortete: „Ja Meister, ich spüre die innere Stärke und die äußere Geschlossenheit des Apfels.“

Der Meister sprach zu Đe Ghê: „Wenn du nun diesen Apfel nimmst und ihn fest gegen meine Schläfe schleuderst, so kann dir der Apfel eine nützliche Waffe sein.“

Đe Ghê fuhr ein Ausdruck von Verwirrtheit ins Gesicht. Dann biss er in den Apfel hinein und sprach zu seinem Meister: „O Erhabener, seht her: Dieser Apfel ist süß und köstlich. Er schmeckt wohl vorzüglich. Ihr seid mein Meister. Von euch lerne ich von einen auf den anderen Tag was es bedeutet, ein rechtschaffener Mensch zu sein. Warum sollte ich in diesem Augenblick fehlen und Gutes gegen Gutes wenden, um daraufhin beides zu verlieren?“

Der Meister sprach mit Sanftmut im Blick: „Mein lieber Freund, geh hin und genieße diesen wunderbaren Apfel, denn du weißt, was wahre Bestimmung ist – deine, meine und die des Apfels.“

11. Vom Sehen

Der Meister fragte seinen Schüler: „Đe Ghê, wenn du hier an meiner Stelle stündest und sehen würdest, was ich in diesem Moment sehe, was also würdest du erblicken?“

Đe Ghê schaute eine Weile umher, wandte sich seinem Meister zu und antwortete: „O Erhabener, ich sähe den Himmel und die Sonne. Ich sähe die Kraniche dort drüben fliegen und die Berge am Horizont. Ich sähe die Kiesel am Boden liegen und die Ameisen, die zwischen den Kieselsteinen hindurchrennen. Ich sähe die Bäume am Wegesrand und ihre Nadeln, die zu Boden fallen. Ich sähe die roten Beeren an den Sträuchern zu meiner linken Seite. Ich sähe die Wolken vorbeiziehen. Ich sähe den Schmetterling, der über die Kräuter fliegt, und sogleich seinen Schatten, der ihm beständig folgt. Ich sähe Tautropfen, wie sie an den leicht gebogenen Halmen herabrinnen. Ich sähe das weite, großartige und lebendige Schauspiel in all seiner Herrlichkeit.“

Der Meister sprach: „Was du sagst ist wahr, o Ehrwürdiger. Aber bedenke: Vor allem erblicktest du immer dich selbst.“

Der Meister und sein Schüler setzten daraufhin ihren Spaziergang fort.

12. Gut

Der Meister sprach: „Wenn Vertrauen und Geduld ineinander fließen, sich vereinen, in Reinheit, dann ist es gut.”

13. Wie du es hältst

Der Meister sprach: „Weisheit ist nicht einfach nur Wissen, Weisheit ist vielmehr eine Haltung.”

14. Vom Leid des Individuums

Der Meister sprach: „Für das Individuum, welches leidet, zählt im Augenblick nichts mehr als das zugefügte Leid am eigenen Selbst.”

15. Täter und Opfer

Đe Ghê kam schnell des Weges gerannt, kam stolpernd zum Stehen und sprach völlig außer Atem zum Meister: „Meister, Meister, … hört mir zu! Vorhin musste ich mit ansehen, wie zwei Männer am Ufer des Flusses einen Fischer um sein Geld, seine Kleidung, sein Essen und letztendlich um sein Leben brachten. Ich sprang in den Fluss, schwamm herüber zur anderen Seite, drohte mit dem Stock und sprach einen Fluch über die Missetäter aus. Die beiden Schurken rannten davon und schlugen sich abseits des Weges in das Gebüsch, sodass meine Augen die Männer verloren. Daraufhin erzählte ich einigen Leuten vom Geschehen, wir wickelten den leblosen Körper des Fischers in Tücher und brachten ihn zur Familie des Toten. Bitte sagt mir: Handelte ich recht?“

Der Meister sprach: „Alles tatest du sehr wohl. Ich an deiner Stelle hätte die Mörder jedoch nicht verflucht, sondern einen Segen der Vergebung über sie ausgesprochen. Das ändert an all dem, was geschehen ist, wahrlich nichts. Aber es dient der Rechtschaffenheit unserer Absicht.“

Đe Ghê antwortete: „Aber Meister, was ist unsere Absicht?“

Der Meister sprach: „Ein Täter ist das Opfer seiner Unfähigkeit, recht zu handeln. Der Frevel wird von Volk und Staat geahndet, dadurch werden diese selbst zu Tätern. Wir aber beten dafür, dass alle Menschen aus dem Kreislauf von Täter- und Opferschaft heraustreten. Nur dadurch werden wir gemeinsam den Weg der Liebe gehen können. Das ist unsere Absicht.“

16. Tempel der Gewissheit

Đe Ghê und der Erhabene saßen abends bei Kerzenlicht zusammen. Der Meister spürte, dass sein Schüler in Gedanken innerlich mit sich rang und mit der Meditation haderte.

Nach der Meditation fragte der Meister: „Lieber Freund, was hält dich davon ab, in die Ruhe einzukehren?“

Đe Ghê schlug seine Augen auf und gab seinem Meister Antwort: „Meister, Ihr fühlt es ganz recht. Meine Gedanken sind verwirrt. Seit vielen Jahren bin ich nun in Eurer Obhut. Ich bin gesegnet durch Eure Weisheit, die Ihr mich mit jedem eurer Atemzüge lehrt. So dachte ich sogleich darüber nach, dass ich nach ach so langer Zeit noch immer unendlich viele Fragen habe, deren Grund, sähe man das Sein als einen tiefen Brunnen an, aus dem man unablässig schöpft, ich nicht erkennen kann. So überkam mich die Angst, dass ich das vollkommene Verstehen niemals erlangen werde. O Erhabener, bitte sagt mir: Woher bezieht Ihr Eure Gewissheit, den Weg gut und richtig zu gehen?“

Der Meister hielt einen Augenblick inne. Dann fuhr er mit den Spitzen seiner Finger zu seinen Mundwinkeln, zog diese sanft ein Stück weit nach oben, fuhr mit der flachen Hand über seine Augen und schloss die Lider. So formte der Meister ein ganz und gar liebliches Gesicht.

Daraufhin sprach der Erhabene: „Ein ruhiger Geist, ein liebendes Herz, ein friedliches Wesen, ein fester Glaube und ein hohes Ziel. Dies sind die fünf Säulen des Tempels, den sich mein Selbst zur Wohnstätte errichtet hat. Darin liegt all meine Gewissheit. Und siehe, dies ist, was ich weiß: Erleuchtung kommt zu jedem, der danach verlangt – so auch zu dir, denn jeden Geist in dieser Welt verlangt es irgendwann danach. Sei dir gewiss: Erleuchtung weilt in jedem Augenblick. Dies lehrt uns die Bestimmung jenseits der Zeit.“

Đe Ghê fragte: „Meister, wie viele Jahre innerer Einkehr haben euch zu dieser Erkenntnis geführt?“

Der Meister sprach: „Im Frieden zu sein bedeutet, sich über die eigene Vollkommenheit im Klaren zu sein. Wir sind vollständig – zu jeder Zeit. Verwirrung geht immer mit einem Gefühl der Angst einher. Du bist das Licht, das die Welt erhellt, indem du klar und deutlich siehst, dass es lediglich ein Glaube an die Unvollständigkeit gewesen ist, der dein vollkommenes Selbst zu verschleiern schien. Sieh, dass Unvollkommenheit nicht existiert und du bist vollkommen. Sieh, dass es Trennung nicht gibt und du bist vereint. Sieh, dass alles um dich herum heilig ist und fürwahr: Du selbst bist im Gewahrsein dessen gleichermaßen heilig. Du erkennst, dass du das, was du suchst, gefunden hast, wenn du weißt, dass du das bist, was du willst.“

17. Von der Auskunft

Der Meister sprach: „Das, was du über jemanden sagst, geht zurück auf dich – im Guten wie im Schlechten. Wenn du über einen Menschen verächtlich spottest, so begibst du dich gerade dadurch – in diesem Moment – unter dessen Würde, die zu achten du nicht imstande bist. Dein Spott gibt mehr Auskunft über dich, als über die Person, von der du sprichst. Darum prüfe stets sorgfältig deine Gesten und Worte. Erkenne deine Absicht!”

18. Vom Moment des Verstehens

Der Meister sprach: „Ebenso wichtig wie das Gesagte oder das Geschriebene – also das Geäußerte selbst – ist der Moment, durch den es verstanden wird.“

19. Von der Bedingung des Fundaments

Schüler Đe Ghê rezitierte die Kalligraphie seines Meisters: „Kein Gipfel ohne Berg.“

20. Schlüssel zur Weisheit

Đe Ghê fragte den Meister: „Meister, worin liegt der Schlüssel zur Weisheit?“

Der Meister beugte sich tief hinunter, tastete über den unebenen Boden, hob einen Kieselstein empor und sprach zu seinem Schüler: „Nimm diesen Stein. Er wird dich lehren, was die Zeit dich nicht zu lehren vermag. Er wird dir offenbaren, was deine Augen zu sehen nicht im Stande sind. Er wird dir geben, was zu nehmen dir bislang niemals in den Sinn kam. Somit ist dieser Stein einer von vielen Schlüsseln zur Weisheit. Aber ohne jemanden, der die Wirklichkeit in ihm zu lesen vermag, ist dieser Stein bloß ein unwesentliches Ding in einer unwirklichen Welt. Ohne Schüler kein Lehrer. Ohne Unwissenheit kein Erkennen. Ohne Verlangen keine Erfüllung. Ohne Wurzel kein Baum. Siehe: Es gibt viele Schlüssel zur Weisheit, doch erzeugt die Weisheit selbst die Form ihrer Erkenntnis. Wisse: Du selbst bist das Tor, das der Weisheit zur passenden Zeit ihren gesicherten Einlass gewährt. So lasse durch dich hindurch, was für den Eintritt bestimmt ist. Nun magst du fragen: »Was ist für den Eintritt bestimmt?«. Die Antwort lautet: Es ist alles, was dich mit allen und allem im Geist und im Herzen vereint. So kommt zur rechten Zeit die Weisheit auch zu dir.“

21. Schatten und Licht

Der Meister sprach: „Nicht weil wir müssen, sondern weil wir möchten – erst dadurch entfernen wir uns vom Schlechten. Nicht weil wir müssen, sondern weil wir wollen – erst dadurch schreiten wir zum Licht.“

22. Erscheinungen der Weisheit

Der Meister sprach: „Weisheit: Freude kommt, Leid kommt. Freude vergeht, Leid vergeht.”

23. Der ruhige Geist

Der Meister sprach: „Suche den Raum zwischen deinen Gedanken, dort findest du dich selbst.“

24. Liebe (1)

Schüler Đe Ghê fragte seinen Lehrer: „Meister, was ist Liebe?“

Der Meister zog sein Gewand zurecht, holte mit der flachen Hand aus, stieß seinem Schüler damit leicht an die Stirn und blickte zu Boden. Đe Ghê wich erschrocken zurück und sah demütig sowie nach einer Antwort suchend in das Antlitz des großen Meisters.

Đe Ghê fragte zaghaft: „Meister, warum habt ihr das getan?“

Der Meister schaute seinem Schüler in die Augen und sprach mit ruhiger Stimme: „Entschuldige bitte, mein junger Freund. Sag, kannst du mir meine Tat vergeben?“

Der Jüngling antwortete: „Ihr seid mein Meister und stets auf mein Wohl bedacht, ungeachtet Eurer eigenen Größe. Sicher vergebe ich Euch diesen Streich. Mehr noch als dies. Euch werde ich alles verzeihen, denn das ist es, was Ihr mich lehrtet.“

Da sprach der Meister: „Und so, Đe Ghê, hast du bereits eine gültige Antwort auf deine erhabene Frage gefunden. Nun will auch ich mir vergeben, weil eben dies zu derselben Antwort dazugehört. Wisse: In wahrer Liebe zueinander werden wir uns gegenseitig niemals ernsthaft verletzen wollen, denn Liebe ist die ständige Anwesenheit eines Friedens der über alles hinausgeht, was Leid schafft.“

25. Vom Wachsen und Sein

Đe Ghê fragte seinen ehrwürdigen Lehrer: „Meister, was ist es, das mich fortwährend dazu bewegt, das große Mysterium des Lebens in all seiner unfassbaren Weite begreifen zu wollen?“

Der Erhabene sprach daraufhin: „Die Lotosblume gedeiht, weil sich ihre Wurzeln hinunter in die Tiefe wagen. So treibt es auch dich gleichermaßen zu den tieferen Gründen allen Seins, währenddessen du im Licht der Erkenntnis beständig nach oben wächst.“

Đe Ghê bat seinen Meister um eine Erklärung.

Der Meister antwortete: „Die Sonne scheint. Der Regen fällt. Die Blume wächst. Weder fragt sich die Sonne noch der Regen oder die Blume, was genau zu tun ist. Gesundes Wachstum vollzieht sich auf eine eigene, vollständige Weise. So ist es gegeben. Frage eifrig nach dem Grund allen Anscheins. Denke niemals, dass es keinerlei Gründe gibt. So wirst du finden, dass es am Ende die Ganzheit ist, ohne die niemand von uns zu wachsen im Stande wäre. Frage dich: »Wer bin ich?« – und die Antwort wird dir gegeben. Frage dich: »Was soll ich tun?« – und die Antwort daraufhin wird dir klar. Doch ganz besonders einer Sache sei dir gewiss: Dein Weg mag dich durch in Schatten getauchte Täler und über hell erleuchtete Gipfel führen. Du magst die Triebe der Ganzheit zu deuten versuchen, wann immer du sie spürst. Doch erst im hellen Lichte deiner selbst wirst du dich mit der Vollkommenheit des Ganzen verbinden. Es ist der Frieden der zu uns kommt, weil er von uns ausgeht. Dorthin gelangen zu wollen bedeutet, bereits dort zu sein. Das ist Wachstum in schönster Form.“

26. Lohn

Der Meister sprach: „Erkenntnis ist der Lohn des Irrtums.“

27. Der rechte Weg

Đe Ghê fragte seinen ehrwürdigen Lehrer: „Meister, ständig verlangt mir das Leben Entscheidungen ab – für oder wider eine Sache. Dementsprechend kann ich etwas Gutes oder etwas weniger Gutes erwarten, wenn ich mich für oder gegen etwas entscheide. Doch wie weiß ich, was zu tun ist? Wie erkenne ich den rechten Weg? Sagt mir, mein ehrwürdiger Lehrer: Was kann ich tun?“

Daraufhin sprach der Meister: „Was du tun kannst, fragst du mich? Siehe: Wenn du von der Sonne abgewandt gehst, so geht dir dein Schatten stets voraus. Wenn du der Sonne entgegengehst, so folgt er dir. Du meinst: Wie du dich auch entscheidest, so hängt dein Heil von deiner Entscheidung ab? Das ist nur bedingt von Bedeutung, obgleich eine Ursache eine Wirkung hat. Dennoch ist es die Sonne, die ungeachtet deiner Entscheidung dort oben am Himmel steht. Sie weiß weder von deinen Urteilen, noch könnte sie jemals von diesen gestürzt werden. Wie auch immer du dich entscheiden magst, wisse, dass das Leben in großzügigen Bahnen verläuft – mit dir – und alles nimmt dabei Bezug auf das große Licht, das uns nie verlässt. Sei dir gewiss: Wenn du dich bemühst, keinen Schaden anzurichten und in Frieden zu leben, so wird dies dir niemals zum Nachteil gereichen. Die Sonne geht auf, mit dir, Tag für Tag. Sei dankbar für diese Tatsache und entscheide dich stets dafür, dass du und jedes dir anvertraute Lebewesen deine Dankbarkeit als eine Wohltat erfährt. So gehst du immer den rechten Weg.“

28. Von der Kalligraphie des Lebens

Der Meister sprach: „Alle Menschen sind wie Flüsse, die in dasselbe Meer fließen. So sind unsere Wege unterschiedlich und dennoch münden wir gemeinsam im großen Ganzen. So, wie jedes unserer Leben eine eigene Handschrift trägt, so sind auch unsere Wege kalligraphisch individuell geschwungen. Auch darin zeigt sich einmal mehr die Schönheit in ihrer ganzen Vielfalt.”

29. Der geschlossene Kreis

Nachdem sich der Lehrer von seiner morgendlichen Andacht erhoben hatte, trat der folgsame Schüler Đe Ghê an seine Seite und sprach: „Meister, gestern sah ich, wie drei Knaben am Rande eines Weizenfeldes miteinander spielten. Ich beobachtete das freudige Treiben mit liebevoller Aufmerksamkeit. Jeder von ihnen übte sich im Geschick und versuchte, mit kleinen Tonkügelchen die Kugeln der Rivalen abzunehmen und für sich selbst hinzuzugewinnen. Nach einer Weile brach ein Streit unter ihnen aus, wobei zwei der Jungen den Kleinsten bezwangen und ihm alle Kugeln spöttisch abnahmen. Daraufhin rief ich ihnen zu und forderte die beiden Stärkeren auf, die Kugeln an den Jüngsten zurückzugeben. Sie taten, wie ihnen gesagt wurde und verschwanden daraufhin allesamt hinter dem Feld. Bitte sagt mir, mein ehrwürdiger Lehrer, handelte ich gerecht?“

Der Meister antwortete: „Gut hast du entschieden, mein lieber Schüler. Lehrreich und verantwortlich. Hätte ich an deiner Stelle vielleicht gewartet und gesehen, wie alles sich entwickelt, so ist dein Ansatz gleichfalls von erhabenem Wert. Was aber ist Gerechtigkeit? Stell dir vor, der Junge, dem die Tonkugeln weggenommen wurden, hatte diese zuvor auf gleiche Weise an sich gebracht, wovon du fürwahr nichts wissen konntest. Und wenn er sie einem anderen Kind stahl, handeltest du somit möglicherweise weit weniger gerecht, als du zuvor noch dachtest? Spielt dies alles überhaupt eine entscheidende Rolle, wenn man der Ursache für unser Empfinden von Gerechtigkeit auf den Grund gehen will?

Also frage ich dich: Was ist Gerechtigkeit? Und du selbst frage dich aufrichtig: Wenn es Gerechtigkeit gibt, wird sie am Ende etwas sein, das ein jeder sich wünschst als ein universelles Gesetz, das auf alles und alle zurückgeführt wird? Oder ist Gerechtigkeit etwas, das ein jeder vielmehr zu fürchten hätte, weil niemand je in der Lage sein kann, in seinem eigenen Leben vollkommen gerecht zu handeln?

Was also ist Gerechtigkeit, wenn nichts anderes als der schiere Glaube an die Wiederherstellung eines Mangels, indem man gewillt ist, eine vermeintlich schlechte Tat durch eine vermeintlich bessere Tat zu entschuldigen? Ist es nicht so, dass wir eben dadurch einen andauernden Kampf gegen die Welt mit zweierlei Waffen erschaffen: Unser Recht wird geführt gegen alles, was uns in unserem Glauben als ein Unrecht erscheint?

So wisse: Alles ist in allem heilig. Und obgleich wir uns für unser Handeln stets speziell zu entscheiden haben, wenn uns Akte der Gewalt, des Raubs, der Folter, der Demütigung oder des Spotts im Leben begegnen, so können wir trotzdem danach streben, uns von unseren begrenzten Urteilen zu befreien, in denen wir danach trachten, die Welt zu entzweien, in das, was augenscheinlich gut, und das, was augenscheinlich schlecht zu sein scheint.

Merke: Es ist das liebevolle Wesen in uns, das uns wahrhaftig sagen wird, was allgegenwärtig begrüßenswert ist – unabhängig davon, was unser, zwischen Ideen von gut und schlecht, umherirrender Geist davon denkt. Dieses Wesen ist in jedem Augenblick in dir zu finden, außerhalb von Tag und Nacht und jenseits von warm und kalt. Und doch: stets inmitten von alledem.

Erkenne: Nichts, was du siehst, denkst, fühlst und erlebst, kann der Liebe nicht dienlich sein, wenn du entschlossen bist, die Liebe als allgegenwärtige Kraft in dieser Welt vorauszusetzen. Alles läuft darauf hinaus, dass uns das große Leben lehrt, welch unermesslicher Gewinn darin liegt, die Einheit in allem zu begrüßen, anstatt die Trennung zu beschwören. Die menschliche Vorstellung von Gerechtigkeit ist nichts weiter als eine zweischneidige Idee, die sich immer durch sich selbst in ihr eigenes Gegenteil verkehrt. Erst wenn du Stille weilen lässt, so kann dir darin eine Antwort gegeben werden. Erst wenn du den Gedanken von Gerechtigkeit vollkommen aufgibst, kann sie wahrhaftig zur Wirklichkeit werden. Das erscheint paradox, doch bedenke: Wo Licht ist, kann es keine Dunkelheit geben. So ist Vollkommenheit immer dort, wo die Entzweiung der Welt in Unrecht und Recht, in Gut und Schlecht nicht existiert. Dies besagt: Solange du Ungerechtigkeit in der Welt siehst, wirst du im selben Zuge dazu gebracht, Gerechtigkeit dagegen anwenden zu wollen. Dies besagt auch: Wenn du aufgehört hast, Ungerechtigkeit zu sehen, so bist du davon erlöst, sie bekämpfen zu wollen. Die Erlösung der Welt wird erst dann vollkommen sein, wenn kein Mensch der Welt mehr danach trachtet, Gerechtigkeit von sich aus hervorbringen zu müssen, eben weil Ungerechtigkeit nicht länger existiert. Solange dieser Tag nicht gekommen ist, bleibt alles unter den Menschen ein andauernder Kampf in einem geschlossenen Kreis. Was also ist Gerechtigkeit, frage ich dich?“

Đe Ghê blickte in die endlos scheinende Tiefe inmitten seines Lehrers Augen. Sodann rief der Meister seinen Schüler auf, mit ihm zusammen die Gewächse im Kräutergarten des Tempels zu pflegen. So trug es sich zu.

30. Schätze, was ist

Der Meister sprach: „Um froh zu sein, bedarf es einfacher Grundsätze: Schätze die Vorzüge des Tages und schätze die Vorzüge der Nacht. Schätze die Vorzüge des Frühlings, des Sommers, des Herbstes und des Winters. Sei dankbar, wenn du Füße hast zum Gehen oder Hände zum Handeln. Und bist du betrübt, so hat auch dies seinen Nutzen, denn dadurch schärft sich dein Sinn für angenehme Qualitäten, ähnlich, wie einem Durstigen die Bedeutsamkeit von Wasser zunehmend klar wird. Jegliches Lernen wurzelt im Leben. Wenn dir nach Weinen zumute ist, weine. Schilt dich nicht unnütz für Vergangenes. Schnell wirst du erkennen, dass alles Veränderliche kommt und geht. Du musst nicht billigen, was du nicht ruhigen Gewissens gutheißen kannst – doch bist du stets frei, annehmen zu dürfen. Daher rate ich dir: Schätze die Vorzüge dessen, was ist.“

31. Von Ort zu Ort

Der Meister sprach: „Gleichmütig im Denken, wahrhaftig in der Rede, gütig im Handeln und alle Übel vergebend, so zieht der Erhabene von Ort zu Ort.“

32. Vom Besten

Der Meister sprach: „Erkenne das Göttliche in dir und folge dem Licht der Erkenntnis. Erleuchtung erhellt die Welt, indem sich Gott in uns selbst erkennt. Dies ist einer jeden Seele festgesetztes Ziel. So ist alles ständig zum Besten.“

33. Von der Wahrhaftigkeit

Der Meister sprach: „Je weniger du erzürnst, zweifelst und dich ängstigst, desto wahrhaftiger ruhst du in deinem Selbst.“

34. Die Wirkung der Liebe

Der Meister sprach: „Unsere heiligen Schriften verkünden, dass alles eine Wirkung der Liebe ist und dass nichts außerhalb dieser Liebe existiert. Wenn du diese Schriften als das Wissen deines Herzens deuten kannst, so wirst du sie nicht widerlegen wollen. Wenn du die Schriften leugnest, so hast du ihre Ursache noch nicht erkannt.“

35. Volksmund

Der Meister sprach: „Für den Rechtschaffenen ist der Volksmund eine Quelle der Weisheit und für den Schuft eine Warnung.“

36. Lächeln

Der Meister sprach: „Niemand ist so arm, als dass er nicht ein Lächeln schenken kann.“

37. Segen für die Welt

Der junge Schüler Đe Ghê sprach zu seinem Meister: „Meister, heute Morgen wurde ich von einem wütenden Bettler verfolgt, weil ich ihm nicht von den Münzen geben mochte, die ich von Euch für die wöchentlichen Besorgungen im Dorf bekam. Der Mann bedrohte mich mit seinem Stock und klagte mich des Hochmuts an. Ich bekam Angst und rannte davon. Bitte sagt mir, was hätte ich tun können?“

Der Meister antwortete: „Angst begegnet dir oftmals wie ein Räuber, der von jenem besonderen Schatz stiehlt, von dem du dir in starken Momenten etwas nimmst, um es deinem Mut zu reichen. Welchen von beiden, der Angst oder dem Mut, du die größte Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt, den machst du dadurch reich und mächtig. Wisse: Du bist die Quelle des Mutes, die niemals versiegt.

Du fragst mich, was du tun kannst? Lass los die Angst vor den harmlosen Dingen, die in der Welt passieren, und lass den Mut seinen eigenen Lohn verdienen – es wird dir wahrhaft zugute kommen. So bleibt dein, was dir gehört, auf dass du mit anderen teilen kannst, wovon du reichlich hast. Finde das Glück deiner Großzügigkeit, indem du selbst empfängst, was du anderen gibst. Gib täglich Freude, und sie kommt auf ein Vielfaches zu dir zurück. Schenke Liebe, gar uneigennützig, und sie fließt erneut zu dir, um wiederum durch dich zu sein. Schenke einem Bedürftigen stets ein Lächeln und ehrliche Aufmerksamkeit, und du erhältst Zins dafür, indem dein Glück wie ein Samenkorn in der Welt aufgehen wird und tiefe Wurzeln und frische Triebe hervorbringt. Begegne der Wut stets mit Gelassenheit. Beantworte Beschuldigung mit liebevollem Blick. Wer könnte dich daraufhin kränken? Sanftmut ist der präsente Ausdruck unserer erhabenen Haltung.

Frage dich selbst: Wer lernt von wem? Wisse: Du bist Schüler und Lehrer zugleich. Gehe nun also hin und bringe dem Bettelmann eine Schale vom Reis, den du soeben bezahltest, und gib ihm auch vom gemischten Gemüse und reiche ihm vom köstlichen Fruchtsaft. Sei dankbar, nicht ausschließlich dafür, was jemand dir gibt, sondern gleichfalls dafür, wenn man Gutes von dir nimmt. Wie könnte so unser Glück jemals schwinden? Lass uns Freude darüber empfinden, dass uns das Leben durch augenscheinliche Schwierigkeiten stets nach unseren Stärken befragt, auf dass wir mit wahrhafter Stärke zur Antwort geben können: »Hier bin ich, Teil des Ganzen, eins in Allem, in mir, durch mich, mit dir, zum Wohle aller.« Dies ist unser Segen für die Welt. Nicht immer werden wir imstande sein, den Segen auszuführen, doch entspricht es unserem ehrwürdigen Ziel, so gut es geht danach zu streben, es zu tun.“

38. Gutmütige Anerkennung

Der Meister sprach:„Liebe? Was ist Liebe? Liebe ist Weisheit durch Güte zum Leben. Liebe ist einzig und allein von sich aus fähig, überall zu wachsen und überall zu sein – ganz ohne Bemühung, sondern lediglich und insbesondere durch die gutmütige Anerkennung dessen, was ist.”

39. Bitter und süß

Der Meister sprach: „Für das Ego gilt: Wahrheit schmeckt allzu oft bitter, Illusion hingegen köstlich und süß.”

40. Von den Schatten

Der Meister sprach: „Es ist nicht die Sonne, die die Schatten wirft, sondern es sind die Dinge, die sich der Sonne entgegenstellen.”

41. Vom Wesen des Lichts

Der Meister sprach: „Wer sagt »Ich will lieben!« weiß »Ich werde leiden.« Wahre Liebe aber nimmt das Leid von unseren Schultern, denn dort wo Licht ist, kann Dunkelheit nicht sein.“

42. Geduld

Der Meister sprach: „Dem Geduldigen ist Zeit ein guter Freund.”

43. Vom Frieden

Der Meister schrieb als junger Schüler eine Notiz:

„In Frieden will ich leben,

in unermesslich gütigem, großherzigem Frieden.

Dieser Friede ist unabhängig von Zeit und Raum.

Ich kann ihn leben im Gefängnis.

Ich kann ihn leben in der lauten Stadt.

Ich kann ihn leben überall, wo ich fähig bin, ihn zu empfinden.

Er ist in mir!

Wenn er nicht in mir ist, so finde ich ihn nirgendwo sonst auf der Welt.

Wenn er in mir ist, so finde ich ihn überall!“

44. Immer da

Der folgsame Schüler Đe Ghê berichtete seinem Meister, was ihm am Morgen widerfahren war: „Ehrwürdiger Meister, heute Morgen sah ich einen Mann mit seinem Kind am Brunnen sitzen. Der kleine Junge blickte neugierig in die Luft, zählte die Vögel auf dem Dorfplatz und träumte mit offenen Augen hinüber zu den Nebelfeldern am Fuße der Weißen Berge. Nach einer Weile nahm der Sohn aus dem Korb des Vaters eine Kirsche, ließ diese in den Brunnen gleiten und schaute dem tiefen Fall der Frucht freudig hinterher. Daraufhin zog der Vater einen Schuh vom Fuß und holte zum Schlag aus. So schnell es ging schritt ich ein und hielt den Arm des Mannes zurück, um ihn davon abzuhalten, Gewalt anzutun. Das Kind weinte sichtlich erschrocken und der Vater ließ mich seine Verbitterung in Wort und Blick deutlich spüren. Ich war sehr wütend in jenem Moment und hegte einen starken Groll gegen den Tobsüchtigen. Ich tröstete das Kind und gab ihm von den Früchten, die ich auf Euer Geheiß hin zuvor besorgt hatte. Nachdem der Junge ruhiger geworden war, ließ ich ihn mit seinem Vater zurück, jedoch mit dem anhaltenden Gefühl von Unvollkommenheit in mir. Dies ist es nun, was mein Gemüt noch immer beschwert. Bitte sagt mir, mein ehrwürdiger Lehrer: Was ist zu tun?“

Daraufhin sprach der Meister mit einem Ausdruck von sanfter Güte im Blick: „Liebe ist Erlösung von jeglichem Schmerz. Die Anwesenheit von Liebe ist stets gegeben. Die Liebe weist von sich aus immer der Friedfertigkeit den Weg. Dass der Vater seinen Sohn schlug bedeutet nicht, dass er ihn nicht liebt. Doch versteht der Mann nicht, aus welchen Gründen auch immer, dass das, was er gibt, er sogleich empfängt. Wenn er seinen Sohn bestraft, so bestraft er gleichfalls dadurch sich selbst. Belohnt er sein Kind mit liebevoller Geste, so belohnt sich der Gebende ebenso selbst. So ist es, dass er empfängt, was er gibt.“

Weiter fuhr der Meister fort: „So frage ich dich, mein geliebter Schüler: Wenn du Groll gegen jemanden hegst, was erhältst du dadurch für dich selbst zurück? Wie leicht geschieht es nur allzu oft, dass Wut sich mit Wut arrangiert? Wisse: Du hast vollkommen richtig entschieden, den Vater vom Schlagen abzuhalten. Doch rate ich dir: Spiegele nicht den Zorn eines Menschen, indem du deinen eigenen Groll auf ihn legst – denn so bestärkst du lediglich die Wut, die du doch zu verhindern wünschst. Ist es nicht so? Verstehe: Um die Widerspiegelung von Zorn im Zorn und von Gewalt in Gewalt zu beenden, bedarf es der Vergebung und Güte.

Vergib, was jemand getan hat, der in schwachen Momenten nicht dem Ruf der Liebe folgt. Weder urteile über jemanden mit dem Wunsch nach Vergeltung in dir, noch richte einen Menschen mit dem Gefühl von Groll in deiner Brust. Frage dich in solchen Momenten der inneren Aufruhr: Was möchte die Liebe jedem stets bringen? So ist es, dass aus Harmonie ein Frieden erwächst, und aus dem Frieden sprießen Freude und Glück. Lass dich dabei von einer ruhigen und friedvollen Haltung leiten, um der Gewalt mit dem Gebot besänftigendem Einhalts und dem Zorn mit zärtlicher Güte Antwort zu geben. So ergibt es sich, dass wir einen glücklichen Ausweg finden können aus der weltlichen Spiegelung der Schuld, die sich Mal um Mal selbst reflektiert. Wenn du dem Vater durch dein liebevolles Gemüt offenbarst, dass sich niemand deiner Vergebung voll und ganz entziehen kann, weil wahrhafte Liebe dein Herz erfüllt, dann wird auch er nicht umhin können, zu erkennen, dass das, was er empfängt, er anderen wiederum gibt. Beharre nicht auf einem Konzept der Schuld, sondern führe die Menschen mit steter Güte zur Liebe. Von innen fließt sie nach außen und von außen fließt sie nach innen. Sperre dich nicht gegen den ständigen Fluss der Liebe. So wirst du glücklich, da du weißt: Der Strom der Liebe fließt ewig und ihre Quelle, die jenseits aller Gedanken liegt, versiegt nie. Wenn du gewillt bist, daraus zu schöpfen, um dir und anderen davon zu reichen, so wird die Liebe immer bei dir sein, auf dass du sie gibst. So wandelt sich die Unvollkommenheit hin zur Vollkommenheit.“

Der junge Đe Ghê verstand die Worte des Meisters sehr wohl, bedankte sich in einer wertschätzenden Verbeugung und erhob sich, um daraufhin der gemeinschaftlichen Meditation im Großen Saal des heiligen Tempels beizuwohnen.

45. Vom Richten

Der Meister sprach: „Eher noch als der Wahrheit fühlt sich ein Richter seinem Urteil verpflichtet.“

46. Vom Schatten der Finsternis

Der Meister sprach: „Angst ist wie ein Schatten in völliger Dunkelheit. Sie fürchtet am meisten, was nicht ist. Suchst du einen Ausweg, so erkenne den Widerspruch darin und du wirst sehen: Das Unmögliche verschwindet ins Nichts.“

47. Gefahr und Verlust

Der Meister sprach: „Gefährlich ist eine Menschheit, die über alle Maßen von sich selbst überzeugt ist. Verlassen ist eine Menschheit, die nicht an sich glaubt.”

48. Wie kann ich dich beeindrucken?

Der Meister las aus seinen Aufzeichnungen vor, die er einst als junger Schüler niederschrieb:

Fragt der Schmetterling den Sonnenstrahl: „Wie kann ich dich beeindrucken?“

Gibt der Sonnenstrahl zur Antwort: „Was wäre die Welt bloß ohne dich?“

Alles in allem ist alles vollkommen,

Wahrhaftiges ist niemals ohne Wichtigkeit.

Was uns Glück und Frieden bringt, liegt in uns selbst.

Daraus erwächst die Welt, wie wir sie sehen.

Fragt die Blume den Himmel: „Wie kann ich dich beeindrucken?“

Gibt der Himmel zur Antwort: „Oft wollen wir mehr sein, als das, was wir sind. Doch durch uns selbst ist die Welt in sich vollkommen. Sorge dich nicht darum, mich zu beeindrucken, sondern schöpfe Glück aus deinem Duft, auf dass du liebst, was du bist. So ist die Liebe dir immer gewiss.“

49. Die Macht der Überzeugung

Der Meister sprach: „Solange du nicht erkennen willst, dass etwas wahr ist, erkennst du nicht, dass es wahr ist.“

50. Das Prinzip der Ganzheit

Der Meister fragte seinen Schüler: „Welche Atemzüge bereiten dir mehr Freude? Sind es jene, durch die du Luft in deinen Körper hineinziehst, oder solche, mit denen der Atem dir entweicht? Oder sage mir: Erscheint es dir genüsslicher, wenn sich das Herz mit deinem Blute füllt, oder ziehst du es vor, wenn dein Herz das Blut aus sich herausstößt?“

Der Schüler blickte seinem Lehrer ratlos entgegen.

Der Meister fuhr fort: „Wenn wir geneigt sind, so können wir uns sogar auf solche Fragen eifrige Antworten zurechtlegen – aber warum sollten wir das tun? Erkenne: Im Zusammenspiel von Gegensätzlichkeiten mögen wir vielleicht einer bestimmten Richtung oder einer gewissen Empfindung den Vortritt lassen, indem wir – je nach Vorliebe oder Haltung – ein Urteil über eine Sache fällen. Doch was könnte unser Urteil für oder gegen etwas bewirken, wenn es offensichtlich das Zusammenspiel des Ganzen ist, durch dessen Vollständigkeit die Funktion überhaupt erst erfüllt wird? Zeige mir also denjenigen, der es vorzieht, nur noch einzuatmen, oder jemanden, der sein Blut in lediglich eine Richtung fließen lässt. Du wirst niemanden finden, der das vollbringt, eben deswegen, weil es hierbei das Prinzip der Ganzheit ist, das wirkt. Sei von nun an aufmerksam und wende dieses erhabene Verständnis vom Prinzip der Ganzheit an, um nicht länger unnötig in irreführenden Anschauungen zu verharren. Gib das üppige Laster zwanghafter Beurteilung auf und du wirst sehen: Das große Leben wirkt ungeachtet unserer Urteile aus sich selbst heraus vollständig und ganz. Darüber staune mit mir und nimm es als ein Geschenk für dich und für einen jeden an, mit dem du Freund sein wirst. Dies wird großen Frieden bringen.“

51. Vom Leben

Der Meister sprach: „Der Atem eines Mörders weiß nichts von der Schuld seines Herrn. Das Leben selbst urteilt nicht. Es lehrt.“

52. Die geliebte Haltung

Der Meister sprach: „Wenn es regnet und du nass wirst, haben es die Regentropfen dann darauf abgesehen, dich zu treffen, oder bist du es sogar, der den Tropfen bei ihrem Fall zu Boden im Wege steht? Du meinst: weder noch? So hast du gut entschieden! Erkenne: In ach so vielen Angelegenheiten ist es gleichermaßen unnötig und anstrengend, sich eine Meinung bilden zu wollen – belassen wir es also bei der einfachen Erfahrung, ohne wieder und wieder darüber zu spekulieren, was unserer Ansicht nach wohl oder übel ist. Ist ein Regenbogen für ein Kind nicht immer gewiss ein Grund zur Freude? Derart ist die geliebte Haltung des Erleuchteten: herzlich und rein.“

53. Vom Wandel

Der Meister las aus seinen Aufzeichnungen vor: „Heute Morgen wachte ich auf, sah durch ein Fenster, hörte die Vögel singen, schaute den Wolken bei ihrer stillen Fahrt am Himmel hinterher und dachte, was für ein glücklicher Zufall es doch ist, dass sich die Erde dreht.“

54. Von der Verbindung

Als der Meister einst Schüler war und von einer Wanderung zurückkehrte, notierte er die Worte: „Ich bin der Boden, auf dem ich gehe. Ich bin die Luft, die ich atme. Ich bin der Himmel, den ich sehe. Dankbarkeit verbindet sich darin mit mir.“

55. Vom Finden

Der Meister sprach: „Begib dich im Vertrauen und mit Hoffnung auf die Suche nach dir selbst. Was du findest, ist vollkommen – denn Vollkommenheit ist deine Natur.“

56. Vom Erkennen des Unerkannten

Schüler Đe Ghê stieg zusammen mit seinem Meister hinab in eines der Dörfer am Rande der Weißen Berge, um wöchentliche Besorgungen zu erledigen. Als sie an einem Feld vorbeigingen, kreuzten die beiden Mönche den Weg eines alten Bauern, der vor seinen Karren einen kräftigen Ochsen gespannt hatte und diesen mit der Peitsche antrieb. Der Meister verbeugte sich vor dem Ochsen und sprach: „Friede sei mit dir, ehrwürdiger Lehrer!“

Der junge Schüler runzelte daraufhin leicht verwirrt seine Stirn, blieb aber stumm. Einige Zeit später erreichten die Männer schließlich ihr Ziel. Unversehens eilte ihnen ein streunender Hund entgegen, auf der Jagd nach umherwehenden Stoffresten, abgebrochenen Zweigen und allerlei Unrat. Da beugte sich der Meister tief hinunter und begegnete dem Hund mit den Worten: „Friede sei mit dir, ehrwürdiger Lehrer!“

Der Jüngling runzelte erneut die Stirn und blieb abermals stumm. Des Abends zurück auf ihrem Heimweg, bat der Schüler nach stundenlangen Überlegungen seinen Begleiter dringend um eine Erklärung: „Mein geliebter Herr, wie kommt es, dass ihr in einem schuftenden Ochsen und in einem herrenlosen Hund eurerseits ehrwürdige Lehrer erkennt?"

Darauf gab der weise Gelehrte lächelnd zur Antwort: „Mein junger Freund, wie kommt es, dass du ebendies nicht erkennst?"

57. Vom Lösen der Fesseln

Der Meister sprach: „Demjenigen, der in Fesseln am Boden liegt, erkläre weder die Schönheit der Welt, noch beschreibe ihm den lieblichen Duft blühender Wiesen, sondern löse seine Ketten und hilf ihm, das Schöne und Gute selbst zu erfahren. Findest du jemanden in hilfloser Traurigkeit vor, so spende dem Trauernden Mut, sodass er von sich aus danach strebt, den Zauber der wiederkehrenden Sonne zu suchen und der Großartigkeit des Lebens in Einklang beizuwohnen.“

58. Zum Stand der Menschen

Đe Ghê klagte dem erhabenen Lehrer sein Leid: „Meister, heute Morgen wurde ich von Söhnen der wohlhabenden Familie des Mao-Zemin für mein schlichtes Gewand, meinen kahlen Kopf und meinen einfachen Stand verspottet. Woher nur rührt eine solche Art der Ungerechtigkeit?“

Der Meister sprach: „Der Ansicht zu sein, man sei besser gestellt als jemand anderes, ist Torheit. Zu meinen, man habe einen geringeren Wert als ein anderer, darin verbirgt sich Arroganz. Im Schlaf sind alle Menschen gleich – ob König oder Bettelmann, Mann oder Frau, Bäuerin, Dieb, Hebamme, Mönch oder Soldat. Was die Menschen voneinander trennt, sind ihre Vorstellungen davon, wer sie zu sein glauben. Viele von ihnen investieren unzählige Gedanken und Mühen in eine Rolle, die sie als eine kontinuierliche Form der Persönlichkeit erschaffen. So widmen sie Tag für Tag der Aufrechterhaltung der Idee dessen, wer oder was sie denken, zu sein. In der Erschöpfung seiner Rolle wünscht sich ein König gar, frei von Amt und Position zu sein und dem Leben eines Landstreichers nachzugehen. Ein Knecht sehnt sich danach, den Stand des Edelmannes zu bekleiden. Doch liegt Freiheit nicht etwa im Wechsel von einer Rolle zur anderen, sondern in der bescheidenen Auflösung dieses uralten irdischen Spiels. Die Menschen sind ihrem wahren Wesen nach gleich. So erlaube dir, dich reinen Herzens deinen Mitmenschen in Mitgefühl zu offenbaren. Wer könnte sodann in grenzenloser Liebe in einem Bruder etwas anderes finden, als grenzenlose Liebe zu sich selbst?“

59. Die Worte der Liebe

Eines warmen Frühlingstages schrieb der Meister folgende Worte an die schieferne Tafel, auf dass die jungen Schüler darüber meditierten: „Das Ego sagt: »Ich liebe dich, wenn du so bist, wie ich es will.« Die Liebe sagt: »Ich liebe dich, so wie du bist.«“

60. Der gute Grund

Đe Ghê fragte den Meister: „Ehrwürdiger Meister, was hat es mit dem Schicksal auf sich?“

Der Meister sprach: „Aus einer Tulpenzwiebel sprießt eine Tulpe, ein gesätes Weizenkorn verwandelt sich naturgemäß in eine Ähre. Dem Ei einer Taube entschlüpft eine Taube. Die Stute gebärt das Fohlen. Ein Mensch entstammt einem anderen Menschen. Andererseits: Gibt es nicht auch den weißen Raben, der anders ist als alle anderen, und den wir doch zu Recht einen Raben nennen können? Kälber mit zwei Köpfen schritten über den Boden der Erde. Ein Fuchs mit drei Beinen bleibt trotzdem ein Fuchs. Das Schicksal ist der Weg, den das Leben nimmt, um dorthin zu gelangen, wo es wächst, um zu werden, was es im Grunde ist. Jedes Lebewesen nimmt seinen Platz in dieser Welt ein. Aber was weiß ein einfacher Mann wie ich von den unvorhersehbaren Wendungen des Lebens in all seiner Fülle? Der Erwachsene gleicht oftmals einem Kind, das andächtig in den Sternenhimmel schaut und winzige Lichter in der Tiefe der Dunkelheit funkeln sieht. Je nach Neigung, doch sehr wahrscheinlich, findet ein Suchender in diesem großartigen Schauspiel mehr Fragen, als dass er Antworten darauf geben kann. Der versöhnliche Glaube an Schicksal bedeutet, im Ganzen einen bestimmten, einen wohlgesonnenen, einen guten Grund zu erkennen. Es ist der Grund der Vollkommenheit. Es ist die Bestimmung aller Dinge, eine gültige Wirkung hin zum Besten zu sein. Das Schicksal bleibt als ein unbekanntes Konzept vor uns verschlossen, indem es die Bestimmung zu einem Mittel macht, das Anfang und Ende miteinander vereint. Von daher kommt es, dass du mir geduldig deine Fragen stellst und ich dir gerne Antwort geben will, so gut es geht. Unsere Unterschiede gegenseitig zu würdigen und uns doch einander gleich zu sein, das ist ganz offensichtlich Teil unserer Bestimmung.“

61. Angebot

Der Meister sprach: „Freiheit ist stets ein Angebot, niemals ein Zwang.“

62. Die Mathematik des liebenden Herzens

Der Meister sprach: „Die Mathematik des Verstandes besagt, dass eins und eins stets zwei ergibt. Das liebende Herz aber lehrt: Eins und eins ist eins.“

63. Vom Spiel der Erscheinungen

Aus den Aufzeichnungen seines geliebten Lehrers trug der Meister seinen Schülern folgenden Absatz vor: „Ebbe und Flut, Aufstieg und Fall, hoch und tief, winzig und groß, Sieg und Niederlage, früh und spät – Bewegungen, Unterschiede und Zeitfluss sind kindische Erscheinungen des Alls, die nur im Unveränderlichen, im Zeitlosen, im Ewigen, im EINEN ihren Platz zum Spielen finden können. Erkenne dies und fühle dich geeint mit dem ewig Unveränderlichen, denn so ist Gott und so bist du, der du von Gott erschaffen bist. Betrachtest du den Wechsel von Tag und Nacht, so wisse um dich als den standhaftesten aller Zeugen. Die Wandlungen der Welt, sie grüßen dich auf ihre Weise. Jeder Unterschied erfährt seine Anerkennung innerhalb kosmischer Gelassenheit. Leugne beileibe die Trennung von Gott, denn Trennung von Gott hat nie existiert und kann nicht existieren. Alles Wahrhaftige steht im Verbund – ob sichtbar oder unsichtbar. Glaube dies und du wirst sehen, dass alles, was ist, der Freiheit des Lebens dient, deren Natur immerzu liebevoll ist.“

64. Zur Vielheit des Ganzen

Der Meister verbeugte sich vor seinen Schülern und sprach: „Eine Verbeugung hat denselben Stellenwert wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, wie ein herabfallendes Blatt, wie die Schmelze eines Schneekristalls, wie das Zirpen einer Grille, wie der Schall des Donners, wie der Gesang einer Lerche, wie der Schein einer Kerze, wie die Lautlosigkeit des blauen Himmels. Manche sagen, es sei nichts. Andere sagen, es ist alles. Wenn ihr euch vor einem Wesen in Demut verbeugt, so habt dabei immer im Sinn, dass sich euer Geist vor der Vielfalt der Einheit verneigt.“

65. Vom Tilgen der Schuld

Der Meister sprach: „Ein Urteil über jene zu fällen, weil sie ein Urteil über andere fällen, und am Ende sich selbst dafür zu verurteilen, dass man geurteilt hat – was soll das bringen? Vergib dir selbst den letzten Schritt und dann den Schritt davor und auch den allerersten, indem du von strafenden Verurteilungen einfach keinen Nutzen mehr erwartest. Sodann vergib immer gleich zu Anfang. Diese Haltung tilgt die Schuld aus dieser Welt.“

66. Zuhause

Der Meister lobte die Notiz seines Schülers, die lautete: „Wer bin ich? Wo Frage und Antwort eins sind, dort bin ich zuhause.“

67. Lebensglück

Der Meister sprach: „Die Liebe in dir ist die Quelle all deines Glücks.“

68. Vom Erblühen

Der Meister wandte sich an seine Schüler und sprach: „Der Lernende ähnelt dem jungen Gewächs. Der Boden, in den er seine Wurzeln schlägt, wird ihn nähren und wachsen lassen. Seine Umgebung wirkt auf ihn und er wirkt auf seine Umgebung. Er transformiert die Elemente in gedeihendes Leben. Anmutig erblüht er in Meisterschaft, um daraufhin den ergiebigen Kern weiterzugeben, umhüllt von der reifen Frucht seiner selbst. Aus den Schülern der Gegenwart entspringen die Meister der Zukunft.“

69. Vom Verstehen

Der Meister sprach: „Wenn jemand versteht, dass jemand verstanden hat, so ist Gleiches sich gleich.“

70. Von der Wandlung

Der Meister sprach: „Einen geschwätzigen Verstand in ein freudig singendes Herz zu verwandeln – die Liebe vermag dies zu tun.“

71. Vom Verlust der Aufrichtigkeit

Der Meister sprach: „Spott ist ein Verlust von Aufrichtigkeit.“

72. Vom Lachen

Der Meister sprach: „Wenn du dich selbst bei einer Torheit erwischst, vergiss nicht zu lachen.“

73. Der Glanz auf den Dingen

Der Meister sprach: „Das Endliche kommt und geht im Unendlichen. Das Unendliche aber war immer und bleibt. Die Gegenwart ist die Zeit, die der Unendlichkeit am nächsten ist. Doch liegt Unendlichkeit jenseits von Zeit. Licht setzt sich als Glanz auf die Dinge und wird wiedergegeben vom Ruhenden als auch vom Bewegten. Das Matte und das Funkelnde, das Starre und der Fluss, die Form und der Werdegang, die Körper und die Durchsichtigkeit – alles erscheint im vollständig Ganzen. Frage dich: »Was ist das Ganze?« Frage dich: »Was ist es, worin sich die Erscheinungen zeigen und ereignen?« Zwei Fragen, eine Antwort: Du bist durch das Ganze und das Ganze ist durch dich.“

74. Ich bin

Der Meister sprach: „»Ich bin froh« und »Ich bin traurig« sind Erscheinungen im Wesen von »Ich bin«. Erkenne dich selbst als das »Ich bin«, pur und einwandfrei. Dies führt dich zur Quelle allen Seins.“

75. Vom Schicksal II

Đe Ghê fragte den Meister: „Meister, was ist Schicksal?“

Der Meister sprach: